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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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würde? -- Oder wäre dies auch nicht, wie groß
würde nicht meine Rechenschaft, wie viel würde von
meinen Händen gefordert werden, und wie viel Ur-
sache würde ich haben, mit Zittern an die Größe
dieser Verantwortung zu denken! Es ist die Frage,
ob die lehrbegierigen Hirten, die der Anweisung,
die ihnen von Gott kam, so gehorsam und willig
folgten, die ihren kleinen Beruf vielleicht mit großer
Treue abwarteten -- eben die guten Männer, eben
die treuen Verehrer Gottes geblieben seyn würden,
wenn sie zu den Großen von Jerusalem gehört
hätten. Wie viel hatten sie also diesem stillern,
unbemerktern Leben, das ihnen Gott anwies, zu
danken! Und wie leicht ist nun wieder die Anwen-
dung auf mich!

Wenn mir ein größeres Maaß irdischer Güter
zugefallen wäre -- so würde, dem Scheine nach,
mein Leben noch ruhiger und sorgenfreyer hinflie-
ßen; so wenig ich auch, mit andern verglichen, zu
sorgen Ursache habe. Ich würde mir auch der er-
laubten Freuden und Bequemlichkeiten weniger versa-
gen dürfen; würde selbst den so edlen und wohlthä-
tigen Trieb, den Nothleidenden beyzustehen und des
Dürftigen Angesicht fröhlich zu machen, weit un-
eingeschränkter erfüllen können. Aber -- würde

der

würde? — Oder wäre dies auch nicht, wie groß
würde nicht meine Rechenſchaft, wie viel würde von
meinen Händen gefordert werden, und wie viel Ur-
ſache würde ich haben, mit Zittern an die Größe
dieſer Verantwortung zu denken! Es iſt die Frage,
ob die lehrbegierigen Hirten, die der Anweiſung,
die ihnen von Gott kam, ſo gehorſam und willig
folgten, die ihren kleinen Beruf vielleicht mit großer
Treue abwarteten — eben die guten Männer, eben
die treuen Verehrer Gottes geblieben ſeyn würden,
wenn ſie zu den Großen von Jeruſalem gehört
hätten. Wie viel hatten ſie alſo dieſem ſtillern,
unbemerktern Leben, das ihnen Gott anwies, zu
danken! Und wie leicht iſt nun wieder die Anwen-
dung auf mich!

Wenn mir ein größeres Maaß irdiſcher Güter
zugefallen wäre — ſo würde, dem Scheine nach,
mein Leben noch ruhiger und ſorgenfreyer hinflie-
ßen; ſo wenig ich auch, mit andern verglichen, zu
ſorgen Urſache habe. Ich würde mir auch der er-
laubten Freuden und Bequemlichkeiten weniger verſa-
gen dürfen; würde ſelbſt den ſo edlen und wohlthä-
tigen Trieb, den Nothleidenden beyzuſtehen und des
Dürftigen Angeſicht fröhlich zu machen, weit un-
eingeſchränkter erfüllen können. Aber — würde

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[95[107]/0111] würde? — Oder wäre dies auch nicht, wie groß würde nicht meine Rechenſchaft, wie viel würde von meinen Händen gefordert werden, und wie viel Ur- ſache würde ich haben, mit Zittern an die Größe dieſer Verantwortung zu denken! Es iſt die Frage, ob die lehrbegierigen Hirten, die der Anweiſung, die ihnen von Gott kam, ſo gehorſam und willig folgten, die ihren kleinen Beruf vielleicht mit großer Treue abwarteten — eben die guten Männer, eben die treuen Verehrer Gottes geblieben ſeyn würden, wenn ſie zu den Großen von Jeruſalem gehört hätten. Wie viel hatten ſie alſo dieſem ſtillern, unbemerktern Leben, das ihnen Gott anwies, zu danken! Und wie leicht iſt nun wieder die Anwen- dung auf mich! Wenn mir ein größeres Maaß irdiſcher Güter zugefallen wäre — ſo würde, dem Scheine nach, mein Leben noch ruhiger und ſorgenfreyer hinflie- ßen; ſo wenig ich auch, mit andern verglichen, zu ſorgen Urſache habe. Ich würde mir auch der er- laubten Freuden und Bequemlichkeiten weniger verſa- gen dürfen; würde ſelbſt den ſo edlen und wohlthä- tigen Trieb, den Nothleidenden beyzuſtehen und des Dürftigen Angeſicht fröhlich zu machen, weit un- eingeſchränkter erfüllen können. Aber — würde der

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 95[107]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/111>, abgerufen am 21.11.2024.