Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.der Reichthum nicht auch seine Sorgen bey sich Wenn wir durch solche Betrachtungen den Urtheile
der Reichthum nicht auch ſeine Sorgen bey ſich Wenn wir durch ſolche Betrachtungen den Urtheile
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0112" n="96[108]"/> der Reichthum nicht auch ſeine Sorgen bey ſich<lb/> führen? Habe ich nicht ſehr oft geſehen, daß mit<lb/> dem zunehmenden Vermögen die Menſchenliebe ab-<lb/> genommen und ſogar der eigne Genuß des Lebens<lb/> gelitten hat; daß wenig Reiche ihres Ueberfluſſes<lb/> wirklich froh werden, weil ſie entweder durch das<lb/> Uebermaaß ſelbſt die Freuden bis zum Ekel und zur<lb/> Erſättigung genießen, oder ſich das verſagen, was<lb/> ſich der weit weniger Reiche nicht verſagt. Hab-<lb/> ſucht und Geiz ſchlagen ſo leicht bey viel Gütern<lb/> des Lebens Wurzel, und ſind doch die Wurzel vieles<lb/> Uebels; verengen die Seele; machen ſie aller höhe-<lb/> ren Freuden unfähig, feſſeln ſie an die Erde, und<lb/> erzeugen den hoffnungsloſen und eben darum<lb/> ſchon ſo traurigen Wunſch, da Hütten zu bauen,<lb/> wo wir doch nur wie Pilgrimme und Wanderer,<lb/> die davon eilen, leben ſollen. O wie viel leichter<lb/> mag es einem Hirten geworden ſeyn, die Welt, die<lb/> nicht viel für ihn hatte, zu verlaſſen, und ſie mit<lb/> dem ewigen Reiche Gottes zu vertauſchen, als ei-<lb/> nem Großen des Volks, deſſen Heerden er vielleicht<lb/> weidete!</p><lb/> <p>Wenn wir durch ſolche Betrachtungen den<lb/> Werth des ſtillern mäßigen Lebens konnen gelernt<lb/> haben, ſo werden dieſe Ueberzeugungen auch in unſre<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Urtheile</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96[108]/0112]
der Reichthum nicht auch ſeine Sorgen bey ſich
führen? Habe ich nicht ſehr oft geſehen, daß mit
dem zunehmenden Vermögen die Menſchenliebe ab-
genommen und ſogar der eigne Genuß des Lebens
gelitten hat; daß wenig Reiche ihres Ueberfluſſes
wirklich froh werden, weil ſie entweder durch das
Uebermaaß ſelbſt die Freuden bis zum Ekel und zur
Erſättigung genießen, oder ſich das verſagen, was
ſich der weit weniger Reiche nicht verſagt. Hab-
ſucht und Geiz ſchlagen ſo leicht bey viel Gütern
des Lebens Wurzel, und ſind doch die Wurzel vieles
Uebels; verengen die Seele; machen ſie aller höhe-
ren Freuden unfähig, feſſeln ſie an die Erde, und
erzeugen den hoffnungsloſen und eben darum
ſchon ſo traurigen Wunſch, da Hütten zu bauen,
wo wir doch nur wie Pilgrimme und Wanderer,
die davon eilen, leben ſollen. O wie viel leichter
mag es einem Hirten geworden ſeyn, die Welt, die
nicht viel für ihn hatte, zu verlaſſen, und ſie mit
dem ewigen Reiche Gottes zu vertauſchen, als ei-
nem Großen des Volks, deſſen Heerden er vielleicht
weidete!
Wenn wir durch ſolche Betrachtungen den
Werth des ſtillern mäßigen Lebens konnen gelernt
haben, ſo werden dieſe Ueberzeugungen auch in unſre
Urtheile
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