die Geschichte seiner Erduldungen zu den Geschich- ten der größten Leidenden gehören. Es vereinigt sich alles in ihr, was den Muth niederschlagen, die Aussicht verdunkeln und den Geist niederdrücken mußte. Denn da steigen doch wohl die Leiden am höchsten, wo uns fast alles, was uns sonst unter ihnen bruhigt, verläßt -- wo nicht bloß ein Theil unsers Wesens, sondern beyde zugleich leiden -- wo das Bewußtseyn der vollkommensten Unschuld die Unterwerfung erschweret, und wo endlich bey dem Ausgange selbst dem festesten Gottvertrauen nicht alle Zweifel gleich überwindlich sind. Und dies alles ist der Fall bey dem Größten unter denen, die je gelitten haben. Es ist unmöglich, daß wir dies näher überdenken können, ohne innigst ge- rührt, und auf die Gott gefälligste Art dankbar zu werden.
Was hat uns oft, wenn uns am übelsten zu Muthe war, mehr aufgerichtet, was hat uns we- nigstens auf Stunden das Leiden vergessen gemacht, als der Zuspruch, der Trost, selbst schon die Gesell- schaft derer, die wir liebten? Ihre Treue, ihr Ausdauren in Tagen, wo man so selten Freunde findet, die ausdauren mögen, -- wie hat sie uns, wenn wir uns dem Unmuth überlassen wollten,
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die Geſchichte ſeiner Erduldungen zu den Geſchich- ten der größten Leidenden gehören. Es vereinigt ſich alles in ihr, was den Muth niederſchlagen, die Ausſicht verdunkeln und den Geiſt niederdrücken mußte. Denn da ſteigen doch wohl die Leiden am höchſten, wo uns faſt alles, was uns ſonſt unter ihnen bruhigt, verläßt — wo nicht bloß ein Theil unſers Weſens, ſondern beyde zugleich leiden — wo das Bewußtſeyn der vollkommenſten Unſchuld die Unterwerfung erſchweret, und wo endlich bey dem Ausgange ſelbſt dem feſteſten Gottvertrauen nicht alle Zweifel gleich überwindlich ſind. Und dies alles iſt der Fall bey dem Größten unter denen, die je gelitten haben. Es iſt unmöglich, daß wir dies näher überdenken können, ohne innigſt ge- rührt, und auf die Gott gefälligſte Art dankbar zu werden.
Was hat uns oft, wenn uns am übelſten zu Muthe war, mehr aufgerichtet, was hat uns we- nigſtens auf Stunden das Leiden vergeſſen gemacht, als der Zuſpruch, der Troſt, ſelbſt ſchon die Geſell- ſchaft derer, die wir liebten? Ihre Treue, ihr Ausdauren in Tagen, wo man ſo ſelten Freunde findet, die ausdauren mögen, — wie hat ſie uns, wenn wir uns dem Unmuth überlaſſen wollten,
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die Geſchichte ſeiner Erduldungen zu den Geſchich-
ten der größten Leidenden gehören. Es vereinigt
ſich alles in ihr, was den Muth niederſchlagen, die
Ausſicht verdunkeln und den Geiſt niederdrücken
mußte. Denn da ſteigen doch wohl die Leiden am
höchſten, wo uns faſt alles, was uns ſonſt unter
ihnen bruhigt, verläßt — wo nicht bloß ein Theil
unſers Weſens, ſondern beyde zugleich leiden —
wo das Bewußtſeyn der vollkommenſten Unſchuld
die Unterwerfung erſchweret, und wo endlich bey
dem Ausgange ſelbſt dem feſteſten Gottvertrauen
nicht alle Zweifel gleich überwindlich ſind. Und
dies alles iſt der Fall bey dem Größten unter denen,
die je gelitten haben. Es iſt unmöglich, daß wir
dies näher überdenken können, ohne innigſt ge-
rührt, und auf die Gott gefälligſte Art dankbar zu
werden.
Was hat uns oft, wenn uns am übelſten zu
Muthe war, mehr aufgerichtet, was hat uns we-
nigſtens auf Stunden das Leiden vergeſſen gemacht,
als der Zuſpruch, der Troſt, ſelbſt ſchon die Geſell-
ſchaft derer, die wir liebten? Ihre Treue, ihr
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 119[131]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/135>, abgerufen am 16.02.2025.
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