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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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weinender Freunde und Geliebten sollte ihm sein sanf-
tes Herz brechen.

Und unter allen diesen Leiden vertraute er den-
noch Gott, und Gott half ihm aus zu seinem himm-
lischen Reich. Seine Worte, die wir wissen, sind
lauter Güte, Geduld und Frömmigkeit, und sie lassen
uns auf die schliessen, die wir nicht wissen. Wir
können uns vielleicht keine Vorstellung davon machen,
wie seiner reinen Seele dabey zu Muthe war; wie
sie diesen Grad von Verkennung, von Undank, von
Ungerechtigkeit, von Grausamkeit gegen einen ganz
Schuldlosen fühlte. In denen Augenblicken, in de-
nen er sich verlassen klagte von Gott, drängten viel-
leicht die Empfindungen von dem allen auf ihn zu,
und er erlag unter dem Gedanken, ob auch der All-
gerechte es gegen ihn seyn werde. Aber diese trüben
Wolken giengen so bald vorüber. Es war unmög-
lich, daß selbst dieser Lebensausgang ihn scheiden
konnte von seinem Vater. Sicher von dem, was
ihn erwartete, voll stilles Gefühls der sich nahenden
Ruhe, empfahl er dem Vater der Geister auch den
seinen, und so entschlummerte er am Kreuz. -- --

O daß er uns heilig und festlich sey, der Tag
des Heils und des Segens! Das hat er alles uns ge-
than! An allen diesen Leiden, allen Kämpfen seiner

Seele,

weinender Freunde und Geliebten ſollte ihm ſein ſanf-
tes Herz brechen.

Und unter allen dieſen Leiden vertraute er den-
noch Gott, und Gott half ihm aus zu ſeinem himm-
liſchen Reich. Seine Worte, die wir wiſſen, ſind
lauter Güte, Geduld und Frömmigkeit, und ſie laſſen
uns auf die ſchlieſſen, die wir nicht wiſſen. Wir
können uns vielleicht keine Vorſtellung davon machen,
wie ſeiner reinen Seele dabey zu Muthe war; wie
ſie dieſen Grad von Verkennung, von Undank, von
Ungerechtigkeit, von Grauſamkeit gegen einen ganz
Schuldloſen fühlte. In denen Augenblicken, in de-
nen er ſich verlaſſen klagte von Gott, drängten viel-
leicht die Empfindungen von dem allen auf ihn zu,
und er erlag unter dem Gedanken, ob auch der All-
gerechte es gegen ihn ſeyn werde. Aber dieſe trüben
Wolken giengen ſo bald vorüber. Es war unmög-
lich, daß ſelbſt dieſer Lebensausgang ihn ſcheiden
konnte von ſeinem Vater. Sicher von dem, was
ihn erwartete, voll ſtilles Gefühls der ſich nahenden
Ruhe, empfahl er dem Vater der Geiſter auch den
ſeinen, und ſo entſchlummerte er am Kreuz. — —

O daß er uns heilig und feſtlich ſey, der Tag
des Heils und des Segens! Das hat er alles uns ge-
than! An allen dieſen Leiden, allen Kämpfen ſeiner

Seele,
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[134[146]/0150] weinender Freunde und Geliebten ſollte ihm ſein ſanf- tes Herz brechen. Und unter allen dieſen Leiden vertraute er den- noch Gott, und Gott half ihm aus zu ſeinem himm- liſchen Reich. Seine Worte, die wir wiſſen, ſind lauter Güte, Geduld und Frömmigkeit, und ſie laſſen uns auf die ſchlieſſen, die wir nicht wiſſen. Wir können uns vielleicht keine Vorſtellung davon machen, wie ſeiner reinen Seele dabey zu Muthe war; wie ſie dieſen Grad von Verkennung, von Undank, von Ungerechtigkeit, von Grauſamkeit gegen einen ganz Schuldloſen fühlte. In denen Augenblicken, in de- nen er ſich verlaſſen klagte von Gott, drängten viel- leicht die Empfindungen von dem allen auf ihn zu, und er erlag unter dem Gedanken, ob auch der All- gerechte es gegen ihn ſeyn werde. Aber dieſe trüben Wolken giengen ſo bald vorüber. Es war unmög- lich, daß ſelbſt dieſer Lebensausgang ihn ſcheiden konnte von ſeinem Vater. Sicher von dem, was ihn erwartete, voll ſtilles Gefühls der ſich nahenden Ruhe, empfahl er dem Vater der Geiſter auch den ſeinen, und ſo entſchlummerte er am Kreuz. — — O daß er uns heilig und feſtlich ſey, der Tag des Heils und des Segens! Das hat er alles uns ge- than! An allen dieſen Leiden, allen Kämpfen ſeiner Seele,

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 134[146]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/150>, abgerufen am 24.11.2024.