Sollte es auch nur die erziehende Hand seyn, weil der sich ganz überlaßne Geist sich ohne ihre Leitung verirren würde? Jst denn der unsrige nicht so oft in der Gefahr sich zu verirren?
Möchte denn auch dieser Ruhetag, der alle diese wohlthätigen Zwecke an uns erreichen kann, nicht ohne Spur verschwinden! Möchte er unserm Geiste die wahre Ruhe, die nicht mehr an Tage gebunden ist, geben, wornach man ohne Weisheit und Chri- stenthum vergebens ringt! -- Laßt uns einmal ausruhen vom unaufhörlichen Wirbel, in dem uns unsre täglichen Geschäffte herumtreiben; ausruhen von den heißen Begierden, mit denen wir uns nach irdischen und vergänglichen Dingen sehnen. Wenn auch in jener Thätigkeit unsers Geistes nichts ist, was wir uns eigentlich vorzuwerfen hätten; wenn wir dadurch vielleicht gar auf eine weise, vernünftige und selbst christliche Art für unser und andrer Wohl arbeiten, so ist es doch nicht gut, daß wir uns da- bey ganz aus dem Gesichte verlieren, oder nur an das denken, was noch zu thun sey, ohne je zu fra- gen, was schon gethan und ausgerichtet ist. Es liegt doch nicht an dem Eifer, der Schnelligkeit und dem Nichtermüden dessen, der nach einem Ziel läuft, allein, daß er es gleichwohl oft nicht erreicht; er kann
ja
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Sollte es auch nur die erziehende Hand ſeyn, weil der ſich ganz überlaßne Geiſt ſich ohne ihre Leitung verirren würde? Jſt denn der unſrige nicht ſo oft in der Gefahr ſich zu verirren?
Möchte denn auch dieſer Ruhetag, der alle dieſe wohlthätigen Zwecke an uns erreichen kann, nicht ohne Spur verſchwinden! Möchte er unſerm Geiſte die wahre Ruhe, die nicht mehr an Tage gebunden iſt, geben, wornach man ohne Weisheit und Chri- ſtenthum vergebens ringt! — Laßt uns einmal ausruhen vom unaufhörlichen Wirbel, in dem uns unſre täglichen Geſchäffte herumtreiben; ausruhen von den heißen Begierden, mit denen wir uns nach irdiſchen und vergänglichen Dingen ſehnen. Wenn auch in jener Thätigkeit unſers Geiſtes nichts iſt, was wir uns eigentlich vorzuwerfen hätten; wenn wir dadurch vielleicht gar auf eine weiſe, vernünftige und ſelbſt chriſtliche Art für unſer und andrer Wohl arbeiten, ſo iſt es doch nicht gut, daß wir uns da- bey ganz aus dem Geſichte verlieren, oder nur an das denken, was noch zu thun ſey, ohne je zu fra- gen, was ſchon gethan und ausgerichtet iſt. Es liegt doch nicht an dem Eifer, der Schnelligkeit und dem Nichtermüden deſſen, der nach einem Ziel läuft, allein, daß er es gleichwohl oft nicht erreicht; er kann
ja
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[5[17]/0021]
Sollte es auch nur die erziehende Hand ſeyn, weil
der ſich ganz überlaßne Geiſt ſich ohne ihre Leitung
verirren würde? Jſt denn der unſrige nicht ſo oft in
der Gefahr ſich zu verirren?
Möchte denn auch dieſer Ruhetag, der alle dieſe
wohlthätigen Zwecke an uns erreichen kann, nicht
ohne Spur verſchwinden! Möchte er unſerm Geiſte
die wahre Ruhe, die nicht mehr an Tage gebunden
iſt, geben, wornach man ohne Weisheit und Chri-
ſtenthum vergebens ringt! — Laßt uns einmal
ausruhen vom unaufhörlichen Wirbel, in dem uns
unſre täglichen Geſchäffte herumtreiben; ausruhen
von den heißen Begierden, mit denen wir uns nach
irdiſchen und vergänglichen Dingen ſehnen. Wenn
auch in jener Thätigkeit unſers Geiſtes nichts iſt,
was wir uns eigentlich vorzuwerfen hätten; wenn
wir dadurch vielleicht gar auf eine weiſe, vernünftige
und ſelbſt chriſtliche Art für unſer und andrer Wohl
arbeiten, ſo iſt es doch nicht gut, daß wir uns da-
bey ganz aus dem Geſichte verlieren, oder nur an
das denken, was noch zu thun ſey, ohne je zu fra-
gen, was ſchon gethan und ausgerichtet iſt. Es
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 5[17]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/21>, abgerufen am 14.06.2024.
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