ja auch den Weg verfehlt haben, und selbst durch seine zu große Eilfertigkeit auf Abwege gerathen seyn, die er bald entdecken würde, wenn er nur zuweilen still stehn wollte.
Der Tag des Herrn wäre ein solcher recht be- quemer Zeitpunkt, wo man still stehn könnte. Es ist so weit entfernt, daß man dadurch etwas ver- säumt, oder zurückbleibt, daß vielmehr die weisesten Lehrer, die sich am besten auf die Bedürfnisse unsrer Natur verstanden, es oft empfohlen und fast von je- dem Tage gewünscht haben, sich Zeit zum ruhigen Ueberdenken seiner selbst zu nehmen. Und wenn ihr, meine Freunde, meinem Zeugniß und meiner Erfah- rung einigen Glauben beymessen wollt, so rechnet darauf, daß die Befolgung dieses Wunsches euch wohl thun wird.
Wenn ich mir oft an solchen Tagen der Ruhe die Fragen vorlegte: "Was thust du denn eigent- lich bey allem deinem Mühen und Streben für dei- nen Geist und seine Bestimmung? Wie viel von dem, was du zu deiner Zufriedenheit rechnest, und wornach du alle Segel aufspannest um es zu er- eilen, hat dir das gewährt, was du davon erwar- tetest? Und wenn du nicht fandest, was du suchtest, hat dich die Erfahrung denn vorsichtiger auf die
Zukunft
ja auch den Weg verfehlt haben, und ſelbſt durch ſeine zu große Eilfertigkeit auf Abwege gerathen ſeyn, die er bald entdecken würde, wenn er nur zuweilen ſtill ſtehn wollte.
Der Tag des Herrn wäre ein ſolcher recht be- quemer Zeitpunkt, wo man ſtill ſtehn könnte. Es iſt ſo weit entfernt, daß man dadurch etwas ver- ſäumt, oder zurückbleibt, daß vielmehr die weiſeſten Lehrer, die ſich am beſten auf die Bedürfniſſe unſrer Natur verſtanden, es oft empfohlen und faſt von je- dem Tage gewünſcht haben, ſich Zeit zum ruhigen Ueberdenken ſeiner ſelbſt zu nehmen. Und wenn ihr, meine Freunde, meinem Zeugniß und meiner Erfah- rung einigen Glauben beymeſſen wollt, ſo rechnet darauf, daß die Befolgung dieſes Wunſches euch wohl thun wird.
Wenn ich mir oft an ſolchen Tagen der Ruhe die Fragen vorlegte: „Was thuſt du denn eigent- lich bey allem deinem Mühen und Streben für dei- nen Geiſt und ſeine Beſtimmung? Wie viel von dem, was du zu deiner Zufriedenheit rechneſt, und wornach du alle Segel aufſpanneſt um es zu er- eilen, hat dir das gewährt, was du davon erwar- teteſt? Und wenn du nicht fandeſt, was du ſuchteſt, hat dich die Erfahrung denn vorſichtiger auf die
Zukunft
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0022"n="6[18]"/>
ja auch den Weg verfehlt haben, und ſelbſt durch<lb/>ſeine zu große Eilfertigkeit auf Abwege gerathen ſeyn,<lb/>
die er bald entdecken würde, wenn er nur zuweilen<lb/>ſtill ſtehn <hirendition="#fr">wollte.</hi></p><lb/><p>Der Tag des Herrn wäre ein ſolcher recht be-<lb/>
quemer Zeitpunkt, wo man ſtill ſtehn <hirendition="#fr">könnte.</hi> Es<lb/>
iſt ſo weit entfernt, daß man dadurch etwas ver-<lb/>ſäumt, oder zurückbleibt, daß vielmehr die weiſeſten<lb/>
Lehrer, die ſich am beſten auf die Bedürfniſſe unſrer<lb/>
Natur verſtanden, es oft empfohlen und faſt von je-<lb/>
dem Tage gewünſcht haben, ſich Zeit zum ruhigen<lb/>
Ueberdenken ſeiner ſelbſt zu nehmen. Und wenn ihr,<lb/>
meine Freunde, meinem Zeugniß und meiner Erfah-<lb/>
rung einigen Glauben beymeſſen wollt, ſo rechnet<lb/>
darauf, daß die Befolgung dieſes Wunſches euch<lb/>
wohl thun wird.</p><lb/><p>Wenn ich mir oft an ſolchen Tagen der Ruhe<lb/>
die Fragen vorlegte: „Was thuſt du denn eigent-<lb/>
lich bey allem deinem Mühen und Streben für dei-<lb/>
nen Geiſt und ſeine Beſtimmung? Wie viel von<lb/>
dem, was du zu deiner Zufriedenheit rechneſt, und<lb/>
wornach du alle Segel aufſpanneſt um es zu er-<lb/>
eilen, hat dir das gewährt, was du davon erwar-<lb/>
teteſt? Und wenn du nicht fandeſt, was du ſuchteſt,<lb/>
hat dich die Erfahrung denn vorſichtiger auf die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Zukunft</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[6[18]/0022]
ja auch den Weg verfehlt haben, und ſelbſt durch
ſeine zu große Eilfertigkeit auf Abwege gerathen ſeyn,
die er bald entdecken würde, wenn er nur zuweilen
ſtill ſtehn wollte.
Der Tag des Herrn wäre ein ſolcher recht be-
quemer Zeitpunkt, wo man ſtill ſtehn könnte. Es
iſt ſo weit entfernt, daß man dadurch etwas ver-
ſäumt, oder zurückbleibt, daß vielmehr die weiſeſten
Lehrer, die ſich am beſten auf die Bedürfniſſe unſrer
Natur verſtanden, es oft empfohlen und faſt von je-
dem Tage gewünſcht haben, ſich Zeit zum ruhigen
Ueberdenken ſeiner ſelbſt zu nehmen. Und wenn ihr,
meine Freunde, meinem Zeugniß und meiner Erfah-
rung einigen Glauben beymeſſen wollt, ſo rechnet
darauf, daß die Befolgung dieſes Wunſches euch
wohl thun wird.
Wenn ich mir oft an ſolchen Tagen der Ruhe
die Fragen vorlegte: „Was thuſt du denn eigent-
lich bey allem deinem Mühen und Streben für dei-
nen Geiſt und ſeine Beſtimmung? Wie viel von
dem, was du zu deiner Zufriedenheit rechneſt, und
wornach du alle Segel aufſpanneſt um es zu er-
eilen, hat dir das gewährt, was du davon erwar-
teteſt? Und wenn du nicht fandeſt, was du ſuchteſt,
hat dich die Erfahrung denn vorſichtiger auf die
Zukunft
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 6[18]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/22>, abgerufen am 18.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.