Jch werde von so vielem, was ich meinen Ge- liebten sagen möchte, nur wenig sagen können. Mein Herz ist so voll für euch; ist so voll für sich selbst, daß eine Empfindung die andre verdrängt. Jhr wißt, daß ich euch ungern traurig mache, und doch ist uns die Art von Traurigkeit, die ich vielleicht veranlassen könnte, gut, und würket eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit, die wenigstens in ihren Folgen uns ge- wiß zufrieden und froh macht.
Laß uns zuerst uns fragen, ob wir je recht deutlich überdacht haben, was es heißt: Jeder durch- lebte Zeitraum, jedes Jahr ist unwiederbringlich, unersetzlich! Ob wir es uns je im Einzelnen vor- stellten, daß dies zugleich heißt: Alles was wir also in dieser Zeit thaten, kann nie ungeschehen gemacht werden! Jeden schlimmen Gedanken, jede schlim- mere That hat die Zeit mit sich fortgerissen, und es außer unsrer Gewalt gestellt, beydes jemals ganz zu vertilgen! Von unsern in träger Unthätigkeit verlohr- nen Stunden, Tagen, Monaten, Jahren, kann nicht der mindeste Nutzen, keine Erndte in der Zukunft ge- hofft werden, weil sie im allereigentlichsten Verstande verlohren sind. Wir können uns in vielen Stü- cken bessern; denn die Zukunft ist noch von dieser Seite in unsrer Gewalt! Aber wir können nie die
Summe
Jch werde von ſo vielem, was ich meinen Ge- liebten ſagen möchte, nur wenig ſagen können. Mein Herz iſt ſo voll für euch; iſt ſo voll für ſich ſelbſt, daß eine Empfindung die andre verdrängt. Jhr wißt, daß ich euch ungern traurig mache, und doch iſt uns die Art von Traurigkeit, die ich vielleicht veranlaſſen könnte, gut, und würket eine friedſame Frucht der Gerechtigkeit, die wenigſtens in ihren Folgen uns ge- wiß zufrieden und froh macht.
Laß uns zuerſt uns fragen, ob wir je recht deutlich überdacht haben, was es heißt: Jeder durch- lebte Zeitraum, jedes Jahr iſt unwiederbringlich, unerſetzlich! Ob wir es uns je im Einzelnen vor- ſtellten, daß dies zugleich heißt: Alles was wir alſo in dieſer Zeit thaten, kann nie ungeſchehen gemacht werden! Jeden ſchlimmen Gedanken, jede ſchlim- mere That hat die Zeit mit ſich fortgeriſſen, und es außer unſrer Gewalt geſtellt, beydes jemals ganz zu vertilgen! Von unſern in träger Unthätigkeit verlohr- nen Stunden, Tagen, Monaten, Jahren, kann nicht der mindeſte Nutzen, keine Erndte in der Zukunft ge- hofft werden, weil ſie im allereigentlichſten Verſtande verlohren ſind. Wir können uns in vielen Stü- cken beſſern; denn die Zukunft iſt noch von dieſer Seite in unſrer Gewalt! Aber wir können nie die
Summe
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[47[59]/0063]
Jch werde von ſo vielem, was ich meinen Ge-
liebten ſagen möchte, nur wenig ſagen können. Mein
Herz iſt ſo voll für euch; iſt ſo voll für ſich ſelbſt,
daß eine Empfindung die andre verdrängt. Jhr wißt,
daß ich euch ungern traurig mache, und doch iſt uns
die Art von Traurigkeit, die ich vielleicht veranlaſſen
könnte, gut, und würket eine friedſame Frucht der
Gerechtigkeit, die wenigſtens in ihren Folgen uns ge-
wiß zufrieden und froh macht.
Laß uns zuerſt uns fragen, ob wir je recht
deutlich überdacht haben, was es heißt: Jeder durch-
lebte Zeitraum, jedes Jahr iſt unwiederbringlich,
unerſetzlich! Ob wir es uns je im Einzelnen vor-
ſtellten, daß dies zugleich heißt: Alles was wir alſo
in dieſer Zeit thaten, kann nie ungeſchehen gemacht
werden! Jeden ſchlimmen Gedanken, jede ſchlim-
mere That hat die Zeit mit ſich fortgeriſſen, und es
außer unſrer Gewalt geſtellt, beydes jemals ganz zu
vertilgen! Von unſern in träger Unthätigkeit verlohr-
nen Stunden, Tagen, Monaten, Jahren, kann nicht
der mindeſte Nutzen, keine Erndte in der Zukunft ge-
hofft werden, weil ſie im allereigentlichſten Verſtande
verlohren ſind. Wir können uns in vielen Stü-
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 47[59]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/63>, abgerufen am 16.02.2025.
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