Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Dritter Abschnitt.
die Benennung materieller Gegenstände be-
zeichnet werden.

Ein wesentliches Mißverständniß aber in Absicht
auf die geistigen Gegenstände, welches den Streit
des Philanthropinismus gegen den Humanismus am
meisten verwirrt hat, ruht noch auf einer andern irri-
gen Ansicht und bedarf noch einer besondern Auflösung.
Die geistigen Gegenstände überhaupt, die höch-
sten Ideen selbst wie ihr leisester Abdruck in Gefühlen
und Ahnungen des Höchsten, Ewigen, welche nicht in
den Raum hervortreten und dem leiblichen Auge er-
scheinen können, gestalten sich in dem Schema der
Sprache, und erscheinen, indem sie -- wie ein glück-
lich gefundner, obschon durch unverständige Nachbeterei
fast widerlich gewordner Ausdruck trefflich bezeichnet --
sich aussprechen. So ist das Wort die natür-
liche Erscheinungsform der Ideen und reingeistigen
Gegenstände.

Aber eben daraus, daß diese Form der geistigen
Gegenstände öfters theils nicht tief genug erwogen, theils
nicht genau genug von der Sache unterschieden wird,
entstehen die sonderbarsten Mißgriffe. Erstens, indem
eine Idee, ein Gefühl etc. in einem einzelnen Wort
ausgesprochen ist, und folglich mit dem Wort, wenn
es verstanden werden soll, die Idee, das Gefühl etc.
vollständig verbunden werden muß, bleibt das Wort
für Alle, denen die damit bezeichnete Idee etc. fremd
ist, ein leerer Schall, mit welchem sie gleichwohl

Dritter Abſchnitt.
die Benennung materieller Gegenſtaͤnde be-
zeichnet werden.

Ein weſentliches Mißverſtaͤndniß aber in Abſicht
auf die geiſtigen Gegenſtaͤnde, welches den Streit
des Philanthropiniſmus gegen den Humaniſmus am
meiſten verwirrt hat, ruht noch auf einer andern irri-
gen Anſicht und bedarf noch einer beſondern Aufloͤſung.
Die geiſtigen Gegenſtaͤnde uͤberhaupt, die hoͤch-
ſten Ideen ſelbſt wie ihr leiſeſter Abdruck in Gefuͤhlen
und Ahnungen des Hoͤchſten, Ewigen, welche nicht in
den Raum hervortreten und dem leiblichen Auge er-
ſcheinen koͤnnen, geſtalten ſich in dem Schema der
Sprache, und erſcheinen, indem ſie — wie ein gluͤck-
lich gefundner, obſchon durch unverſtaͤndige Nachbeterei
faſt widerlich gewordner Ausdruck trefflich bezeichnet —
ſich ausſprechen. So iſt das Wort die natuͤr-
liche Erſcheinungsform der Ideen und reingeiſtigen
Gegenſtaͤnde.

Aber eben daraus, daß dieſe Form der geiſtigen
Gegenſtaͤnde oͤfters theils nicht tief genug erwogen, theils
nicht genau genug von der Sache unterſchieden wird,
entſtehen die ſonderbarſten Mißgriffe. Erſtens, indem
eine Idee, ein Gefuͤhl ꝛc. in einem einzelnen Wort
ausgeſprochen iſt, und folglich mit dem Wort, wenn
es verſtanden werden ſoll, die Idee, das Gefuͤhl ꝛc.
vollſtaͤndig verbunden werden muß, bleibt das Wort
fuͤr Alle, denen die damit bezeichnete Idee ꝛc. fremd
iſt, ein leerer Schall, mit welchem ſie gleichwohl

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0184" n="172"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
die Benennung <hi rendition="#g">materieller Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde</hi> be-<lb/>
zeichnet werden.</p><lb/>
                  <p>Ein we&#x017F;entliches Mißver&#x017F;ta&#x0364;ndniß aber in Ab&#x017F;icht<lb/>
auf die <hi rendition="#g">gei&#x017F;tigen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde</hi>, welches den Streit<lb/>
des Philanthropini&#x017F;mus gegen den Humani&#x017F;mus am<lb/>
mei&#x017F;ten verwirrt hat, ruht noch auf einer andern irri-<lb/>
gen An&#x017F;icht und bedarf noch einer be&#x017F;ondern Auflo&#x0364;&#x017F;ung.<lb/>
Die <hi rendition="#g">gei&#x017F;tigen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde</hi> u&#x0364;berhaupt, die ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Ideen &#x017F;elb&#x017F;t wie ihr lei&#x017F;e&#x017F;ter Abdruck in Gefu&#x0364;hlen<lb/>
und Ahnungen des Ho&#x0364;ch&#x017F;ten, Ewigen, welche nicht in<lb/>
den Raum hervortreten und dem leiblichen Auge er-<lb/>
&#x017F;cheinen ko&#x0364;nnen, ge&#x017F;talten &#x017F;ich in dem Schema der<lb/><hi rendition="#g">Sprache</hi>, und er&#x017F;cheinen, indem &#x017F;ie &#x2014; wie ein glu&#x0364;ck-<lb/>
lich gefundner, ob&#x017F;chon durch unver&#x017F;ta&#x0364;ndige Nachbeterei<lb/>
fa&#x017F;t widerlich gewordner Ausdruck trefflich bezeichnet &#x2014;<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;ich aus&#x017F;prechen</hi>. So i&#x017F;t das <hi rendition="#g">Wort</hi> die natu&#x0364;r-<lb/>
liche Er&#x017F;cheinungsform der Ideen und reingei&#x017F;tigen<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde.</p><lb/>
                  <p>Aber eben daraus, daß die&#x017F;e <hi rendition="#g">Form</hi> der gei&#x017F;tigen<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde o&#x0364;fters theils nicht tief genug erwogen, theils<lb/>
nicht genau genug von der <hi rendition="#g">Sache</hi> unter&#x017F;chieden wird,<lb/>
ent&#x017F;tehen die &#x017F;onderbar&#x017F;ten Mißgriffe. Er&#x017F;tens, indem<lb/>
eine <hi rendition="#g">Idee</hi>, ein <hi rendition="#g">Gefu&#x0364;hl</hi> &#xA75B;c. in einem einzelnen <hi rendition="#g">Wort</hi><lb/>
ausge&#x017F;prochen i&#x017F;t, und folglich mit dem <hi rendition="#g">Wort</hi>, wenn<lb/>
es ver&#x017F;tanden werden &#x017F;oll, die <hi rendition="#g">Idee</hi>, das Gefu&#x0364;hl &#xA75B;c.<lb/>
voll&#x017F;ta&#x0364;ndig verbunden werden muß, bleibt das <hi rendition="#g">Wort</hi><lb/>
fu&#x0364;r Alle, denen die damit bezeichnete <hi rendition="#g">Idee</hi> &#xA75B;c. fremd<lb/>
i&#x017F;t, ein <hi rendition="#g">leerer Schall</hi>, mit welchem &#x017F;ie gleichwohl<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0184] Dritter Abſchnitt. die Benennung materieller Gegenſtaͤnde be- zeichnet werden. Ein weſentliches Mißverſtaͤndniß aber in Abſicht auf die geiſtigen Gegenſtaͤnde, welches den Streit des Philanthropiniſmus gegen den Humaniſmus am meiſten verwirrt hat, ruht noch auf einer andern irri- gen Anſicht und bedarf noch einer beſondern Aufloͤſung. Die geiſtigen Gegenſtaͤnde uͤberhaupt, die hoͤch- ſten Ideen ſelbſt wie ihr leiſeſter Abdruck in Gefuͤhlen und Ahnungen des Hoͤchſten, Ewigen, welche nicht in den Raum hervortreten und dem leiblichen Auge er- ſcheinen koͤnnen, geſtalten ſich in dem Schema der Sprache, und erſcheinen, indem ſie — wie ein gluͤck- lich gefundner, obſchon durch unverſtaͤndige Nachbeterei faſt widerlich gewordner Ausdruck trefflich bezeichnet — ſich ausſprechen. So iſt das Wort die natuͤr- liche Erſcheinungsform der Ideen und reingeiſtigen Gegenſtaͤnde. Aber eben daraus, daß dieſe Form der geiſtigen Gegenſtaͤnde oͤfters theils nicht tief genug erwogen, theils nicht genau genug von der Sache unterſchieden wird, entſtehen die ſonderbarſten Mißgriffe. Erſtens, indem eine Idee, ein Gefuͤhl ꝛc. in einem einzelnen Wort ausgeſprochen iſt, und folglich mit dem Wort, wenn es verſtanden werden ſoll, die Idee, das Gefuͤhl ꝛc. vollſtaͤndig verbunden werden muß, bleibt das Wort fuͤr Alle, denen die damit bezeichnete Idee ꝛc. fremd iſt, ein leerer Schall, mit welchem ſie gleichwohl

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/184
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/184>, abgerufen am 18.05.2024.