Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Von d. Grunds. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
irgend ein verworrnes Etwas von Gedanken vielleicht
verbinden. Zweitens, indem von einem solchen Wort
eine Erklärung in Worten gegeben wird, bildet
man sich oft ein, den geistigen Gegenstand durch
die Erklärung des Wortes erfassen zu können,
täuscht sich aber oft nur durch eine etymologische Ab-
leitung, die nur zufällig den rechten Sinn andeutet,
häufig aber von demselben abführt; oder die zur Er-
klärung gebrauchten Worte werden selbst nicht ver-
standen, weil die Ideen, die sie enthalten, dem Ler-
nenden ebenfalls fremd sind. Drittens kann allerdings
eben diese Art von Belehrung, durch Erklärung von
Worten, welche bei geistigen Gegenständen
angewendet wird, auch zu dem Mißbrauch verleiten,
sie auf die materiellen Gegenstände auszudeh-
nen, die ja auch an bestimmte Worte, als ihre Zei-
chen, gebunden sind: es scheint nämlich, daß man
ein Sachwort eben so gut als ein Ideenwort
durch Erklärung oder Beschreibung deutlich machen,
und sonach die Anschauung umgehen könne. Dies
Letztere nun ist durchaus fehlerhaft, indem die Sache
ganz verschieden ist von der Idee; diese, als der
Vernunft eigenthümlich, kann von jedem vernünftigen
Individuum unmittelbar construirt und eben dadurch
auch verstanden werden; jene, als von dem Indivi-
duum unabhängig vorhanden, kann nur durch wirkliche
Anschauung verstanden werden, und aller Aufwand
von Worten, der zu Beschreibung derselben gemacht
wird, ist nur Verschwendung von Zeit und Mühe,
und in der That ein bloßer Wortkram, den man

Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
irgend ein verworrnes Etwas von Gedanken vielleicht
verbinden. Zweitens, indem von einem ſolchen Wort
eine Erklaͤrung in Worten gegeben wird, bildet
man ſich oft ein, den geiſtigen Gegenſtand durch
die Erklaͤrung des Wortes erfaſſen zu koͤnnen,
taͤuſcht ſich aber oft nur durch eine etymologiſche Ab-
leitung, die nur zufaͤllig den rechten Sinn andeutet,
haͤufig aber von demſelben abfuͤhrt; oder die zur Er-
klaͤrung gebrauchten Worte werden ſelbſt nicht ver-
ſtanden, weil die Ideen, die ſie enthalten, dem Ler-
nenden ebenfalls fremd ſind. Drittens kann allerdings
eben dieſe Art von Belehrung, durch Erklaͤrung von
Worten, welche bei geiſtigen Gegenſtaͤnden
angewendet wird, auch zu dem Mißbrauch verleiten,
ſie auf die materiellen Gegenſtaͤnde auszudeh-
nen, die ja auch an beſtimmte Worte, als ihre Zei-
chen, gebunden ſind: es ſcheint naͤmlich, daß man
ein Sachwort eben ſo gut als ein Ideenwort
durch Erklaͤrung oder Beſchreibung deutlich machen,
und ſonach die Anſchauung umgehen koͤnne. Dies
Letztere nun iſt durchaus fehlerhaft, indem die Sache
ganz verſchieden iſt von der Idee; dieſe, als der
Vernunft eigenthuͤmlich, kann von jedem vernuͤnftigen
Individuum unmittelbar conſtruirt und eben dadurch
auch verſtanden werden; jene, als von dem Indivi-
duum unabhaͤngig vorhanden, kann nur durch wirkliche
Anſchauung verſtanden werden, und aller Aufwand
von Worten, der zu Beſchreibung derſelben gemacht
wird, iſt nur Verſchwendung von Zeit und Muͤhe,
und in der That ein bloßer Wortkram, den man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0185" n="173"/><fw place="top" type="header">Von d. Grund&#x017F;. d. Erziehungsunterr. im Allgem.</fw><lb/>
irgend ein verworrnes Etwas von Gedanken vielleicht<lb/>
verbinden. Zweitens, indem von einem &#x017F;olchen <hi rendition="#g">Wort</hi><lb/>
eine <hi rendition="#g">Erkla&#x0364;rung in Worten</hi> gegeben wird, bildet<lb/>
man &#x017F;ich oft ein, den <hi rendition="#g">gei&#x017F;tigen Gegen&#x017F;tand</hi> durch<lb/>
die <hi rendition="#g">Erkla&#x0364;rung des Wortes</hi> erfa&#x017F;&#x017F;en zu ko&#x0364;nnen,<lb/>
ta&#x0364;u&#x017F;cht &#x017F;ich aber oft nur durch eine etymologi&#x017F;che Ab-<lb/>
leitung, die nur zufa&#x0364;llig den rechten Sinn andeutet,<lb/>
ha&#x0364;ufig aber von dem&#x017F;elben abfu&#x0364;hrt; oder die zur Er-<lb/>
kla&#x0364;rung gebrauchten <hi rendition="#g">Worte</hi> werden &#x017F;elb&#x017F;t nicht ver-<lb/>
&#x017F;tanden, weil die <hi rendition="#g">Ideen</hi>, die &#x017F;ie enthalten, dem Ler-<lb/>
nenden ebenfalls fremd &#x017F;ind. Drittens kann allerdings<lb/>
eben die&#x017F;e Art von Belehrung, durch Erkla&#x0364;rung von<lb/><hi rendition="#g">Worten</hi>, welche bei <hi rendition="#g">gei&#x017F;tigen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden</hi><lb/>
angewendet wird, auch zu dem Mißbrauch verleiten,<lb/>
&#x017F;ie auf die <hi rendition="#g">materiellen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde</hi> auszudeh-<lb/>
nen, die ja auch an be&#x017F;timmte <hi rendition="#g">Worte</hi>, als ihre Zei-<lb/>
chen, gebunden &#x017F;ind: es &#x017F;cheint na&#x0364;mlich, daß man<lb/>
ein <hi rendition="#g">Sachwort</hi> eben &#x017F;o gut als ein <hi rendition="#g">Ideenwort</hi><lb/>
durch Erkla&#x0364;rung oder Be&#x017F;chreibung deutlich machen,<lb/>
und &#x017F;onach die <hi rendition="#g">An&#x017F;chauung</hi> umgehen ko&#x0364;nne. Dies<lb/>
Letztere nun i&#x017F;t durchaus fehlerhaft, indem die <hi rendition="#g">Sache</hi><lb/>
ganz ver&#x017F;chieden i&#x017F;t von der <hi rendition="#g">Idee</hi>; die&#x017F;e, als der<lb/>
Vernunft eigenthu&#x0364;mlich, kann von jedem vernu&#x0364;nftigen<lb/>
Individuum unmittelbar <hi rendition="#g">con&#x017F;truirt</hi> und eben dadurch<lb/>
auch ver&#x017F;tanden werden; jene, als von dem Indivi-<lb/>
duum unabha&#x0364;ngig vorhanden, kann nur durch wirkliche<lb/><hi rendition="#g">An&#x017F;chauung</hi> ver&#x017F;tanden werden, und aller Aufwand<lb/>
von Worten, der zu Be&#x017F;chreibung der&#x017F;elben gemacht<lb/>
wird, i&#x017F;t nur Ver&#x017F;chwendung von Zeit und Mu&#x0364;he,<lb/>
und in der That ein bloßer <hi rendition="#g">Wortkram</hi>, den man<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0185] Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem. irgend ein verworrnes Etwas von Gedanken vielleicht verbinden. Zweitens, indem von einem ſolchen Wort eine Erklaͤrung in Worten gegeben wird, bildet man ſich oft ein, den geiſtigen Gegenſtand durch die Erklaͤrung des Wortes erfaſſen zu koͤnnen, taͤuſcht ſich aber oft nur durch eine etymologiſche Ab- leitung, die nur zufaͤllig den rechten Sinn andeutet, haͤufig aber von demſelben abfuͤhrt; oder die zur Er- klaͤrung gebrauchten Worte werden ſelbſt nicht ver- ſtanden, weil die Ideen, die ſie enthalten, dem Ler- nenden ebenfalls fremd ſind. Drittens kann allerdings eben dieſe Art von Belehrung, durch Erklaͤrung von Worten, welche bei geiſtigen Gegenſtaͤnden angewendet wird, auch zu dem Mißbrauch verleiten, ſie auf die materiellen Gegenſtaͤnde auszudeh- nen, die ja auch an beſtimmte Worte, als ihre Zei- chen, gebunden ſind: es ſcheint naͤmlich, daß man ein Sachwort eben ſo gut als ein Ideenwort durch Erklaͤrung oder Beſchreibung deutlich machen, und ſonach die Anſchauung umgehen koͤnne. Dies Letztere nun iſt durchaus fehlerhaft, indem die Sache ganz verſchieden iſt von der Idee; dieſe, als der Vernunft eigenthuͤmlich, kann von jedem vernuͤnftigen Individuum unmittelbar conſtruirt und eben dadurch auch verſtanden werden; jene, als von dem Indivi- duum unabhaͤngig vorhanden, kann nur durch wirkliche Anſchauung verſtanden werden, und aller Aufwand von Worten, der zu Beſchreibung derſelben gemacht wird, iſt nur Verſchwendung von Zeit und Muͤhe, und in der That ein bloßer Wortkram, den man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/185
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/185>, abgerufen am 18.05.2024.