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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Von d. Grunds. d. Erziehungsunterr. im Allgem.

Dann aber, wie wenig ist es doch des Menschen
würdig, nicht Herr seiner selbst zu seyn! Herr seiner
selbst ist der Mensch nur durch die Kraft seines Ent-
schlusses; dieser muß auch für das Unerfreuliche ihm
zu Gebote stehen. Arbeitsamkeit ist eine Tugend des
Willens, eine Gewöhnung des Entschlusses, eine zweite
Natur durch Uebung. Ohne eine solche Umwandlung
zu einer andern Natur findet keine eigentliche Arbeit-
samkeit statt, keine Festigkeit noch Stätigkeit im Thun.
Wie aber soll diese andre Natur, die nur durch Ge-
wöhnung werden kann, entstehen, wo die Gewöhnung
ganz versäumt, und sogar die entgegengesetzte Gewöh-
nung (der Arbeitsscheue, des sich selber Nachsehens,
des unentschloßnen Umgehens) zur zweiten Natur erzo-
gen wird? Nur wer seines Entschlusses Herr ist, wird
jede Arbeit auch entschlossen angreifen; und nur wer
im entschloßnen Angreifen seiner Arbeit eine lange Ue-
bung bis zur Fertigkeit hat, wird ohne Scheu und
ohne Widerwillen an seine Arbeit denken.

Dahin muß die Erziehung es bringen, die Natur
des Menschen darinn umzuändern; und dazu ist der
einzig wahre Weg, das Kind schon früh zu abgemeßner
Arbeit anzuhalten. Deshalb ist es schon von Wichtig-
keit, frühzeitig eine Zahl von Stunden täglich festzu-
setzen, die dem Geschäft gewidmet sind, und in unun-
terbrochner Ordnung eingehalten werden. Dies aber ist
es nicht allein. Vorzüglich ist das Lernen (die gei-
stige Beschäftigung) ein durchgreifendes Mittel zu jenem
Zweck. Denn Trägheit zur Reflexion, Scheue vor

Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.

Dann aber, wie wenig iſt es doch des Menſchen
wuͤrdig, nicht Herr ſeiner ſelbſt zu ſeyn! Herr ſeiner
ſelbſt iſt der Menſch nur durch die Kraft ſeines Ent-
ſchluſſes; dieſer muß auch fuͤr das Unerfreuliche ihm
zu Gebote ſtehen. Arbeitſamkeit iſt eine Tugend des
Willens, eine Gewoͤhnung des Entſchluſſes, eine zweite
Natur durch Uebung. Ohne eine ſolche Umwandlung
zu einer andern Natur findet keine eigentliche Arbeit-
ſamkeit ſtatt, keine Feſtigkeit noch Staͤtigkeit im Thun.
Wie aber ſoll dieſe andre Natur, die nur durch Ge-
woͤhnung werden kann, entſtehen, wo die Gewoͤhnung
ganz verſaͤumt, und ſogar die entgegengeſetzte Gewoͤh-
nung (der Arbeitsſcheue, des ſich ſelber Nachſehens,
des unentſchloßnen Umgehens) zur zweiten Natur erzo-
gen wird? Nur wer ſeines Entſchluſſes Herr iſt, wird
jede Arbeit auch entſchloſſen angreifen; und nur wer
im entſchloßnen Angreifen ſeiner Arbeit eine lange Ue-
bung bis zur Fertigkeit hat, wird ohne Scheu und
ohne Widerwillen an ſeine Arbeit denken.

Dahin muß die Erziehung es bringen, die Natur
des Menſchen darinn umzuaͤndern; und dazu iſt der
einzig wahre Weg, das Kind ſchon fruͤh zu abgemeßner
Arbeit anzuhalten. Deshalb iſt es ſchon von Wichtig-
keit, fruͤhzeitig eine Zahl von Stunden taͤglich feſtzu-
ſetzen, die dem Geſchaͤft gewidmet ſind, und in unun-
terbrochner Ordnung eingehalten werden. Dies aber iſt
es nicht allein. Vorzuͤglich iſt das Lernen (die gei-
ſtige Beſchaͤftigung) ein durchgreifendes Mittel zu jenem
Zweck. Denn Traͤgheit zur Reflexion, Scheue vor

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[245/0257] Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem. Dann aber, wie wenig iſt es doch des Menſchen wuͤrdig, nicht Herr ſeiner ſelbſt zu ſeyn! Herr ſeiner ſelbſt iſt der Menſch nur durch die Kraft ſeines Ent- ſchluſſes; dieſer muß auch fuͤr das Unerfreuliche ihm zu Gebote ſtehen. Arbeitſamkeit iſt eine Tugend des Willens, eine Gewoͤhnung des Entſchluſſes, eine zweite Natur durch Uebung. Ohne eine ſolche Umwandlung zu einer andern Natur findet keine eigentliche Arbeit- ſamkeit ſtatt, keine Feſtigkeit noch Staͤtigkeit im Thun. Wie aber ſoll dieſe andre Natur, die nur durch Ge- woͤhnung werden kann, entſtehen, wo die Gewoͤhnung ganz verſaͤumt, und ſogar die entgegengeſetzte Gewoͤh- nung (der Arbeitsſcheue, des ſich ſelber Nachſehens, des unentſchloßnen Umgehens) zur zweiten Natur erzo- gen wird? Nur wer ſeines Entſchluſſes Herr iſt, wird jede Arbeit auch entſchloſſen angreifen; und nur wer im entſchloßnen Angreifen ſeiner Arbeit eine lange Ue- bung bis zur Fertigkeit hat, wird ohne Scheu und ohne Widerwillen an ſeine Arbeit denken. Dahin muß die Erziehung es bringen, die Natur des Menſchen darinn umzuaͤndern; und dazu iſt der einzig wahre Weg, das Kind ſchon fruͤh zu abgemeßner Arbeit anzuhalten. Deshalb iſt es ſchon von Wichtig- keit, fruͤhzeitig eine Zahl von Stunden taͤglich feſtzu- ſetzen, die dem Geſchaͤft gewidmet ſind, und in unun- terbrochner Ordnung eingehalten werden. Dies aber iſt es nicht allein. Vorzuͤglich iſt das Lernen (die gei- ſtige Beſchaͤftigung) ein durchgreifendes Mittel zu jenem Zweck. Denn Traͤgheit zur Reflexion, Scheue vor

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/257>, abgerufen am 22.11.2024.