Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Dritter Abschnitt. tigen Natur des Kindes, und erregt ihm eben deshalbLangeweile und bei fortdauernder Anstrengung Wider- willen. Dies scheint hinreichend für die Nothwendig- keit zu beweisen, mehr Mannichfaltigkeit in das Unter- richtsgeschäft zu bringen. Allein, man hat sich auch darinn viel zu sehr übereilt. Fürs erste ist ja überall nicht die Rede davon, das Kind den ganzen Tag un- unterbrochen mit Einem und ebendemselben Lehrgegen- stande zu beschäftigen. So streng auch die Unterrichts- stunden selbst gleich vom ersten Anfang an mit dem Kinde eingehalten werden müssen, so ist doch die Zahl derselben Anfangs nothwendig beschränkt, und die ganze übrige Zeit wird dem Kinde freigelassen. Sobald man nur dies Eine recht bedenkt, so wird man schon die Besorgniß übertrieben finden, dem Lehrling Widerwillen zu erregen, wenn man ihn täglich einige Stunden für Eine Beschäftigung fixiren wollte; der besonnene Er- zieher wird vielmehr den Unterricht als Mittel betrach- ten, das Kind in sich selbst zu sammeln und allmälig zu ernsterem Nachdenken zu gewöhnen; um so weniger also kann er wünschen, durch Mannichfaltigkeit von Lehrgegenständen den Unterricht selbst zu einem Zerstreu- ungsmittel zu machen. Fürs zweite begründet Einzeln- heit des Gegenstandes an und für sich noch gar nicht Einförmigkeit der Beschäftigung mit demselben. Ein Lehrer, der den Gegenständen Interesse abzugewinnen weiß, wird das Mittel verschmähen, durch Anhäufung von Lehrstoff die Aufmerksamkeit des Lehrlings zu un- terhalten; er wird, so viel als mit dem Zwecke des Unterrichts verträglich ist, Mannichfaltigkeit und In- Dritter Abſchnitt. tigen Natur des Kindes, und erregt ihm eben deshalbLangeweile und bei fortdauernder Anſtrengung Wider- willen. Dies ſcheint hinreichend fuͤr die Nothwendig- keit zu beweiſen, mehr Mannichfaltigkeit in das Unter- richtsgeſchaͤft zu bringen. Allein, man hat ſich auch darinn viel zu ſehr uͤbereilt. Fuͤrs erſte iſt ja uͤberall nicht die Rede davon, das Kind den ganzen Tag un- unterbrochen mit Einem und ebendemſelben Lehrgegen- ſtande zu beſchaͤftigen. So ſtreng auch die Unterrichts- ſtunden ſelbſt gleich vom erſten Anfang an mit dem Kinde eingehalten werden muͤſſen, ſo iſt doch die Zahl derſelben Anfangs nothwendig beſchraͤnkt, und die ganze uͤbrige Zeit wird dem Kinde freigelaſſen. Sobald man nur dies Eine recht bedenkt, ſo wird man ſchon die Beſorgniß uͤbertrieben finden, dem Lehrling Widerwillen zu erregen, wenn man ihn taͤglich einige Stunden fuͤr Eine Beſchaͤftigung fixiren wollte; der beſonnene Er- zieher wird vielmehr den Unterricht als Mittel betrach- ten, das Kind in ſich ſelbſt zu ſammeln und allmaͤlig zu ernſterem Nachdenken zu gewoͤhnen; um ſo weniger alſo kann er wuͤnſchen, durch Mannichfaltigkeit von Lehrgegenſtaͤnden den Unterricht ſelbſt zu einem Zerſtreu- ungsmittel zu machen. Fuͤrs zweite begruͤndet Einzeln- heit des Gegenſtandes an und fuͤr ſich noch gar nicht Einfoͤrmigkeit der Beſchaͤftigung mit demſelben. Ein Lehrer, der den Gegenſtaͤnden Intereſſe abzugewinnen weiß, wird das Mittel verſchmaͤhen, durch Anhaͤufung von Lehrſtoff die Aufmerkſamkeit des Lehrlings zu un- terhalten; er wird, ſo viel als mit dem Zwecke des Unterrichts vertraͤglich iſt, Mannichfaltigkeit und In- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0268" n="256"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/> tigen Natur des Kindes, und erregt ihm eben deshalb<lb/> Langeweile und bei fortdauernder Anſtrengung Wider-<lb/> willen. Dies ſcheint hinreichend fuͤr die Nothwendig-<lb/> keit zu beweiſen, mehr Mannichfaltigkeit in das Unter-<lb/> richtsgeſchaͤft zu bringen. Allein, man hat ſich auch<lb/> darinn viel zu ſehr uͤbereilt. Fuͤrs erſte iſt ja uͤberall<lb/> nicht die Rede davon, das Kind den ganzen Tag un-<lb/> unterbrochen mit Einem und ebendemſelben Lehrgegen-<lb/> ſtande zu beſchaͤftigen. 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Dritter Abſchnitt.
tigen Natur des Kindes, und erregt ihm eben deshalb
Langeweile und bei fortdauernder Anſtrengung Wider-
willen. Dies ſcheint hinreichend fuͤr die Nothwendig-
keit zu beweiſen, mehr Mannichfaltigkeit in das Unter-
richtsgeſchaͤft zu bringen. Allein, man hat ſich auch
darinn viel zu ſehr uͤbereilt. Fuͤrs erſte iſt ja uͤberall
nicht die Rede davon, das Kind den ganzen Tag un-
unterbrochen mit Einem und ebendemſelben Lehrgegen-
ſtande zu beſchaͤftigen. So ſtreng auch die Unterrichts-
ſtunden ſelbſt gleich vom erſten Anfang an mit dem
Kinde eingehalten werden muͤſſen, ſo iſt doch die Zahl
derſelben Anfangs nothwendig beſchraͤnkt, und die ganze
uͤbrige Zeit wird dem Kinde freigelaſſen. Sobald man
nur dies Eine recht bedenkt, ſo wird man ſchon die
Beſorgniß uͤbertrieben finden, dem Lehrling Widerwillen
zu erregen, wenn man ihn taͤglich einige Stunden fuͤr
Eine Beſchaͤftigung fixiren wollte; der beſonnene Er-
zieher wird vielmehr den Unterricht als Mittel betrach-
ten, das Kind in ſich ſelbſt zu ſammeln und allmaͤlig
zu ernſterem Nachdenken zu gewoͤhnen; um ſo weniger
alſo kann er wuͤnſchen, durch Mannichfaltigkeit von
Lehrgegenſtaͤnden den Unterricht ſelbſt zu einem Zerſtreu-
ungsmittel zu machen. Fuͤrs zweite begruͤndet Einzeln-
heit des Gegenſtandes an und fuͤr ſich noch gar nicht
Einfoͤrmigkeit der Beſchaͤftigung mit demſelben. Ein
Lehrer, der den Gegenſtaͤnden Intereſſe abzugewinnen
weiß, wird das Mittel verſchmaͤhen, durch Anhaͤufung
von Lehrſtoff die Aufmerkſamkeit des Lehrlings zu un-
terhalten; er wird, ſo viel als mit dem Zwecke des
Unterrichts vertraͤglich iſt, Mannichfaltigkeit und In-
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