Es ist längst durch eine allgemeine Beobachtung bestätiget, daß nichts die Fortschritte des Lernens mehr aufhält, als wenn vielerlei mit Einemmal angefangen wird. Die Anhäufung des Lehrmaterials an sich schon macht den Lehrling zaghaft, indem er sich die Arbeit, die er nicht übersehen kann, noch weit schwieriger denkt, als sie wirklich ist. Noch mehr aber muß er sich nie- dergeschlagen fühlen durch die langsamen Fortschritte, die er in den mannichfaltigen Uebungen macht, in de- nen er sich versucht; während er, wenn seine Kraft auf wenigere Aufgaben concentrirt wird, in dem schnelleren Ueberwinden der Schwierigkeit seine Kraft fühlt, und die merklichen Fortschritte, die er zu machen im Stande ist, ihm Lust erwecken, und ihn mit Muth zur An- strengung und Vertrauen zu sich selbst für die folgen- den schwereren Aufgaben beleben. Sodann ist es auch keinem Zweifel unterworfen, daß es nur ein scheinbarer Gewinn ist, wenn der Lehrling in vielerlei Gegenstän- den zugleich etwas lernt. Die Rechnung (wenn etwas dieser Art dem Calcul unterliegt) ist ganz einfach. Soll eine gewisse Zahl von Gegenständen in einer be- stimmten Zeit bis zu einem gewissen Grade der Fertig- keit erlernt werden, so ist das Facit dasselbe, ob man jeden der vorgeschriebnen Gegenstände einzeln bis zu dem bestimmten Grade von Fertigkeit übt, und so den ganzen Umkreis der Gegenstände nacheinander durch- läuft, oder ob man alle vorgeschriebnen Gegenstände gleichzeitig in einer gewissen Reihenfolge von Graden übt, und so mit allen zugleich dem bestimmten Grade von Vollendung entgegenrückt. Demnach wäre auf
Dritter Abſchnitt.
Es iſt laͤngſt durch eine allgemeine Beobachtung beſtaͤtiget, daß nichts die Fortſchritte des Lernens mehr aufhaͤlt, als wenn vielerlei mit Einemmal angefangen wird. Die Anhaͤufung des Lehrmaterials an ſich ſchon macht den Lehrling zaghaft, indem er ſich die Arbeit, die er nicht uͤberſehen kann, noch weit ſchwieriger denkt, als ſie wirklich iſt. Noch mehr aber muß er ſich nie- dergeſchlagen fuͤhlen durch die langſamen Fortſchritte, die er in den mannichfaltigen Uebungen macht, in de- nen er ſich verſucht; waͤhrend er, wenn ſeine Kraft auf wenigere Aufgaben concentrirt wird, in dem ſchnelleren Ueberwinden der Schwierigkeit ſeine Kraft fuͤhlt, und die merklichen Fortſchritte, die er zu machen im Stande iſt, ihm Luſt erwecken, und ihn mit Muth zur An- ſtrengung und Vertrauen zu ſich ſelbſt fuͤr die folgen- den ſchwereren Aufgaben beleben. Sodann iſt es auch keinem Zweifel unterworfen, daß es nur ein ſcheinbarer Gewinn iſt, wenn der Lehrling in vielerlei Gegenſtaͤn- den zugleich etwas lernt. Die Rechnung (wenn etwas dieſer Art dem Calcul unterliegt) iſt ganz einfach. Soll eine gewiſſe Zahl von Gegenſtaͤnden in einer be- ſtimmten Zeit bis zu einem gewiſſen Grade der Fertig- keit erlernt werden, ſo iſt das Facit daſſelbe, ob man jeden der vorgeſchriebnen Gegenſtaͤnde einzeln bis zu dem beſtimmten Grade von Fertigkeit uͤbt, und ſo den ganzen Umkreis der Gegenſtaͤnde nacheinander durch- laͤuft, oder ob man alle vorgeſchriebnen Gegenſtaͤnde gleichzeitig in einer gewiſſen Reihenfolge von Graden uͤbt, und ſo mit allen zugleich dem beſtimmten Grade von Vollendung entgegenruͤckt. Demnach waͤre auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><pbfacs="#f0270"n="258"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Dritter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/><p>Es iſt laͤngſt durch eine allgemeine Beobachtung<lb/>
beſtaͤtiget, daß nichts die Fortſchritte des Lernens mehr<lb/>
aufhaͤlt, als wenn vielerlei mit Einemmal angefangen<lb/>
wird. Die Anhaͤufung des Lehrmaterials an ſich ſchon<lb/>
macht den Lehrling zaghaft, indem er ſich die Arbeit,<lb/>
die er nicht uͤberſehen kann, noch weit ſchwieriger denkt,<lb/>
als ſie wirklich iſt. Noch mehr aber muß er ſich nie-<lb/>
dergeſchlagen fuͤhlen durch die langſamen Fortſchritte,<lb/>
die er in den mannichfaltigen Uebungen macht, in de-<lb/>
nen er ſich verſucht; waͤhrend er, wenn ſeine Kraft auf<lb/>
wenigere Aufgaben concentrirt wird, in dem ſchnelleren<lb/>
Ueberwinden der Schwierigkeit ſeine Kraft fuͤhlt, und<lb/>
die merklichen Fortſchritte, die er zu machen im Stande<lb/>
iſt, ihm Luſt erwecken, und ihn mit Muth zur An-<lb/>ſtrengung und Vertrauen zu ſich ſelbſt fuͤr die folgen-<lb/>
den ſchwereren Aufgaben beleben. Sodann iſt es auch<lb/>
keinem Zweifel unterworfen, daß es nur ein ſcheinbarer<lb/>
Gewinn iſt, wenn der Lehrling in vielerlei Gegenſtaͤn-<lb/>
den zugleich etwas lernt. Die Rechnung (wenn etwas<lb/>
dieſer Art dem Calcul unterliegt) iſt ganz einfach.<lb/>
Soll eine gewiſſe Zahl von Gegenſtaͤnden in einer be-<lb/>ſtimmten Zeit bis zu einem gewiſſen Grade der Fertig-<lb/>
keit erlernt werden, ſo iſt das Facit daſſelbe, ob man<lb/>
jeden der vorgeſchriebnen Gegenſtaͤnde einzeln bis zu<lb/>
dem beſtimmten Grade von Fertigkeit uͤbt, und ſo den<lb/>
ganzen Umkreis der Gegenſtaͤnde nacheinander durch-<lb/>
laͤuft, oder ob man alle vorgeſchriebnen Gegenſtaͤnde<lb/>
gleichzeitig in einer gewiſſen Reihenfolge von Graden<lb/>
uͤbt, und ſo mit allen zugleich dem beſtimmten Grade<lb/>
von Vollendung entgegenruͤckt. Demnach waͤre auf<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[258/0270]
Dritter Abſchnitt.
Es iſt laͤngſt durch eine allgemeine Beobachtung
beſtaͤtiget, daß nichts die Fortſchritte des Lernens mehr
aufhaͤlt, als wenn vielerlei mit Einemmal angefangen
wird. Die Anhaͤufung des Lehrmaterials an ſich ſchon
macht den Lehrling zaghaft, indem er ſich die Arbeit,
die er nicht uͤberſehen kann, noch weit ſchwieriger denkt,
als ſie wirklich iſt. Noch mehr aber muß er ſich nie-
dergeſchlagen fuͤhlen durch die langſamen Fortſchritte,
die er in den mannichfaltigen Uebungen macht, in de-
nen er ſich verſucht; waͤhrend er, wenn ſeine Kraft auf
wenigere Aufgaben concentrirt wird, in dem ſchnelleren
Ueberwinden der Schwierigkeit ſeine Kraft fuͤhlt, und
die merklichen Fortſchritte, die er zu machen im Stande
iſt, ihm Luſt erwecken, und ihn mit Muth zur An-
ſtrengung und Vertrauen zu ſich ſelbſt fuͤr die folgen-
den ſchwereren Aufgaben beleben. Sodann iſt es auch
keinem Zweifel unterworfen, daß es nur ein ſcheinbarer
Gewinn iſt, wenn der Lehrling in vielerlei Gegenſtaͤn-
den zugleich etwas lernt. Die Rechnung (wenn etwas
dieſer Art dem Calcul unterliegt) iſt ganz einfach.
Soll eine gewiſſe Zahl von Gegenſtaͤnden in einer be-
ſtimmten Zeit bis zu einem gewiſſen Grade der Fertig-
keit erlernt werden, ſo iſt das Facit daſſelbe, ob man
jeden der vorgeſchriebnen Gegenſtaͤnde einzeln bis zu
dem beſtimmten Grade von Fertigkeit uͤbt, und ſo den
ganzen Umkreis der Gegenſtaͤnde nacheinander durch-
laͤuft, oder ob man alle vorgeſchriebnen Gegenſtaͤnde
gleichzeitig in einer gewiſſen Reihenfolge von Graden
uͤbt, und ſo mit allen zugleich dem beſtimmten Grade
von Vollendung entgegenruͤckt. Demnach waͤre auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/270>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.