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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Von d. Grunds. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
Gebrauch der Kräfte von selbst mit sich bringt. Warum
sollen wir denn Zeit damit verlieren, das Merken auf
die Gegenstände der Außenwelt in besondern Uebun-
gen des Anschauens
dem Kinde zu dociren, da
seine erwachende Aufmerksamkeit von Natur auf jene
Gegenstände gerichtet ist, die es allenthalben umgeben
und mit mächtigem Reiz anziehen? Oder warum sol-
len wirs zu einer eigenen Aufgabe des Unterrichts ma-
chen, in besondern Uebungen der Sinne das
Kind -- ich will nicht sagen: überhaupt sehen, hören,
fühlen etc. zu lehren; welches ohnehin um wenig ver-
ständiger wäre, als wenn wir es lebendig seyn lehren
wollten; sondern nur: -- bestimmter, schärfer sehen,
hören, fühlen etc. zu lehren, da es nur Augen, Oh-
ren etc. aufzuthun braucht, um darinn jede nöthige
Fertigkeit zu erlangen, und solche besondre künstliche
Uebungen eines oder des andern Sinnes nur als Me-
dicin bei dem einen oder dem andern Kinde, wo ein
Sinn von Natur verwahrlost ist, eine Anwendung fin-
den? Jener vermeinte Vorzug der neueren Unterrichtsme-
thode, daß sie sich auch auf solche Uebungen ausbreitet, ist
nur ein neuer Beweis, daß man sich in nichtswürdiger
Künstelei gefällt. Oder sind wir wirklich schon ein so
entnervtes und entartetes Geschlecht, daß man, was
sonst nur als Heilmittel für Schwächlinge angewendet
wurde, uns als allgemein nothwendiges pädagogisches
Mittel vorschlagen darf? --

Von einer andern Seite hat wohl der Vorwurf
Wahrheit, inwiefern nämlich die ältere Unterrichtsme-

Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
Gebrauch der Kraͤfte von ſelbſt mit ſich bringt. Warum
ſollen wir denn Zeit damit verlieren, das Merken auf
die Gegenſtaͤnde der Außenwelt in beſondern Uebun-
gen des Anſchauens
dem Kinde zu dociren, da
ſeine erwachende Aufmerkſamkeit von Natur auf jene
Gegenſtaͤnde gerichtet iſt, die es allenthalben umgeben
und mit maͤchtigem Reiz anziehen? Oder warum ſol-
len wirs zu einer eigenen Aufgabe des Unterrichts ma-
chen, in beſondern Uebungen der Sinne das
Kind — ich will nicht ſagen: uͤberhaupt ſehen, hoͤren,
fuͤhlen ꝛc. zu lehren; welches ohnehin um wenig ver-
ſtaͤndiger waͤre, als wenn wir es lebendig ſeyn lehren
wollten; ſondern nur: — beſtimmter, ſchaͤrfer ſehen,
hoͤren, fuͤhlen ꝛc. zu lehren, da es nur Augen, Oh-
ren ꝛc. aufzuthun braucht, um darinn jede noͤthige
Fertigkeit zu erlangen, und ſolche beſondre kuͤnſtliche
Uebungen eines oder des andern Sinnes nur als Me-
dicin bei dem einen oder dem andern Kinde, wo ein
Sinn von Natur verwahrloſt iſt, eine Anwendung fin-
den? Jener vermeinte Vorzug der neueren Unterrichtsme-
thode, daß ſie ſich auch auf ſolche Uebungen ausbreitet, iſt
nur ein neuer Beweis, daß man ſich in nichtswuͤrdiger
Kuͤnſtelei gefaͤllt. Oder ſind wir wirklich ſchon ein ſo
entnervtes und entartetes Geſchlecht, daß man, was
ſonſt nur als Heilmittel fuͤr Schwaͤchlinge angewendet
wurde, uns als allgemein nothwendiges paͤdagogiſches
Mittel vorſchlagen darf? —

Von einer andern Seite hat wohl der Vorwurf
Wahrheit, inwiefern naͤmlich die aͤltere Unterrichtsme-

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[299/0311] Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem. Gebrauch der Kraͤfte von ſelbſt mit ſich bringt. Warum ſollen wir denn Zeit damit verlieren, das Merken auf die Gegenſtaͤnde der Außenwelt in beſondern Uebun- gen des Anſchauens dem Kinde zu dociren, da ſeine erwachende Aufmerkſamkeit von Natur auf jene Gegenſtaͤnde gerichtet iſt, die es allenthalben umgeben und mit maͤchtigem Reiz anziehen? Oder warum ſol- len wirs zu einer eigenen Aufgabe des Unterrichts ma- chen, in beſondern Uebungen der Sinne das Kind — ich will nicht ſagen: uͤberhaupt ſehen, hoͤren, fuͤhlen ꝛc. zu lehren; welches ohnehin um wenig ver- ſtaͤndiger waͤre, als wenn wir es lebendig ſeyn lehren wollten; ſondern nur: — beſtimmter, ſchaͤrfer ſehen, hoͤren, fuͤhlen ꝛc. zu lehren, da es nur Augen, Oh- ren ꝛc. aufzuthun braucht, um darinn jede noͤthige Fertigkeit zu erlangen, und ſolche beſondre kuͤnſtliche Uebungen eines oder des andern Sinnes nur als Me- dicin bei dem einen oder dem andern Kinde, wo ein Sinn von Natur verwahrloſt iſt, eine Anwendung fin- den? Jener vermeinte Vorzug der neueren Unterrichtsme- thode, daß ſie ſich auch auf ſolche Uebungen ausbreitet, iſt nur ein neuer Beweis, daß man ſich in nichtswuͤrdiger Kuͤnſtelei gefaͤllt. Oder ſind wir wirklich ſchon ein ſo entnervtes und entartetes Geſchlecht, daß man, was ſonſt nur als Heilmittel fuͤr Schwaͤchlinge angewendet wurde, uns als allgemein nothwendiges paͤdagogiſches Mittel vorſchlagen darf? — Von einer andern Seite hat wohl der Vorwurf Wahrheit, inwiefern naͤmlich die aͤltere Unterrichtsme-

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/311>, abgerufen am 22.11.2024.