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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Anwendung der allgemeinen Grundsätze etc.
stimmter Anschauung zu bringen, die Geistesideen ent-
weder objectiv zu machen, sie für Andre auszusprechen
und darzustellen, oder sie in ihrer Objectivität, in der
von Andern bewirkten Darstellung derselben, lebendig
und klar aufzufassen, und ihnen Anwendung und Ein-
fluß auf die Bestimmung der geistigen Existenz des
Menschenstaates zu geben: so ist unstreitig auch für
einen solchen die Uebung zu dieser Geschicklichkeit ein
Haupterforderniß. Wer die Wahrheit verkünden, Ge-
setze geben, den Staat verwalten, das Recht hand-
haben etc. soll, muß vor allen andern der Geistesideen
fähig und der Geistesideen Meister seyn; der muß im
Stande seyn, sie objectiv zu machen, sie in Begriffe
zu fassen, die geistigen Verhältnisse in ihren feinsten
Unterschieden zu erkennen, in ihren verwickeltsten Be-
ziehungen klar zu sondern, sie in ihrem Zusammenhang
unter sich und mit der Grundidee, als ihrem Princip,
sicher zu ergreifen und fest zu halten, den Fall unter
die Regel, die Regel unter das Princip zu subsumiren,
u. s. f.

Alles dies erfordert schon eine Geistesübung von
ganz andrer Art als selbst die damit am nächsten ver-
wandte (contemplative) Geistesbeschäftigung mit der
Außenwelt
. Wer die Aufgabe hat, die Außen-
welt (betrachtend) in allen ihren Gegenständen und
Verhältnissen zu durchdringen, die Naturgegenstände
in ihrer Einzelnheit mit Klarheit, in ihrem Zusam-
menhange mit Bestimmtheit, in ihrer Vielheit mit
Uebersicht, und in ihrer Einheit mit Umsicht zu fassen

Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc.
ſtimmter Anſchauung zu bringen, die Geiſtesideen ent-
weder objectiv zu machen, ſie fuͤr Andre auszuſprechen
und darzuſtellen, oder ſie in ihrer Objectivitaͤt, in der
von Andern bewirkten Darſtellung derſelben, lebendig
und klar aufzufaſſen, und ihnen Anwendung und Ein-
fluß auf die Beſtimmung der geiſtigen Exiſtenz des
Menſchenſtaates zu geben: ſo iſt unſtreitig auch fuͤr
einen ſolchen die Uebung zu dieſer Geſchicklichkeit ein
Haupterforderniß. Wer die Wahrheit verkuͤnden, Ge-
ſetze geben, den Staat verwalten, das Recht hand-
haben ꝛc. ſoll, muß vor allen andern der Geiſtesideen
faͤhig und der Geiſtesideen Meiſter ſeyn; der muß im
Stande ſeyn, ſie objectiv zu machen, ſie in Begriffe
zu faſſen, die geiſtigen Verhaͤltniſſe in ihren feinſten
Unterſchieden zu erkennen, in ihren verwickeltſten Be-
ziehungen klar zu ſondern, ſie in ihrem Zuſammenhang
unter ſich und mit der Grundidee, als ihrem Princip,
ſicher zu ergreifen und feſt zu halten, den Fall unter
die Regel, die Regel unter das Princip zu ſubſumiren,
u. ſ. f.

Alles dies erfordert ſchon eine Geiſtesuͤbung von
ganz andrer Art als ſelbſt die damit am naͤchſten ver-
wandte (contemplative) Geiſtesbeſchaͤftigung mit der
Außenwelt
. Wer die Aufgabe hat, die Außen-
welt (betrachtend) in allen ihren Gegenſtaͤnden und
Verhaͤltniſſen zu durchdringen, die Naturgegenſtaͤnde
in ihrer Einzelnheit mit Klarheit, in ihrem Zuſam-
menhange mit Beſtimmtheit, in ihrer Vielheit mit
Ueberſicht, und in ihrer Einheit mit Umſicht zu faſſen

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[315/0327] Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc. ſtimmter Anſchauung zu bringen, die Geiſtesideen ent- weder objectiv zu machen, ſie fuͤr Andre auszuſprechen und darzuſtellen, oder ſie in ihrer Objectivitaͤt, in der von Andern bewirkten Darſtellung derſelben, lebendig und klar aufzufaſſen, und ihnen Anwendung und Ein- fluß auf die Beſtimmung der geiſtigen Exiſtenz des Menſchenſtaates zu geben: ſo iſt unſtreitig auch fuͤr einen ſolchen die Uebung zu dieſer Geſchicklichkeit ein Haupterforderniß. Wer die Wahrheit verkuͤnden, Ge- ſetze geben, den Staat verwalten, das Recht hand- haben ꝛc. ſoll, muß vor allen andern der Geiſtesideen faͤhig und der Geiſtesideen Meiſter ſeyn; der muß im Stande ſeyn, ſie objectiv zu machen, ſie in Begriffe zu faſſen, die geiſtigen Verhaͤltniſſe in ihren feinſten Unterſchieden zu erkennen, in ihren verwickeltſten Be- ziehungen klar zu ſondern, ſie in ihrem Zuſammenhang unter ſich und mit der Grundidee, als ihrem Princip, ſicher zu ergreifen und feſt zu halten, den Fall unter die Regel, die Regel unter das Princip zu ſubſumiren, u. ſ. f. Alles dies erfordert ſchon eine Geiſtesuͤbung von ganz andrer Art als ſelbſt die damit am naͤchſten ver- wandte (contemplative) Geiſtesbeſchaͤftigung mit der Außenwelt. Wer die Aufgabe hat, die Außen- welt (betrachtend) in allen ihren Gegenſtaͤnden und Verhaͤltniſſen zu durchdringen, die Naturgegenſtaͤnde in ihrer Einzelnheit mit Klarheit, in ihrem Zuſam- menhange mit Beſtimmtheit, in ihrer Vielheit mit Ueberſicht, und in ihrer Einheit mit Umſicht zu faſſen

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/327>, abgerufen am 22.11.2024.