Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Zweiter Abschnitt. Erfahrungen vergleichen und darnach vorausgesehneFolgen schlau berechnen und verhüten oder suchen, und so durch überlegten Plan die Freude seines Daseyns ungetrübt erhalten und verdoppeln? Das aber kann der Mensch durch seinen Geist, und das verbürgt ihm das reale Daseyn dieses Geistes, durch den er das vermag. Das aber deutet ihm auch die Bestimmung seines Gei- stes, den Zweck, wozu er ihn erhalten hat, und wozu er ihn auch mit Sorgfalt bilden und gebrauchen soll: das Leben nämlich möglichst angenehm zu machen, die Arten und die Mittel des Genusses möglichst zu ver- mehren, des Lebens Leiden und Gefahren klüglich vor- zubeugen oder auszuweichen, sein Glück nicht selbst durch Unbedachtsamkeit zu stören, und keine günstige Gelegenheit der Freude zu versäumen, um nach voll- brachter Laufbahn einst, zufrieden mit sich selbst, im Frieden sich zu seinen Vätern zu versammeln. -- Wel- cher Gebrauch, den der Mensch von seinem Geiste ma- chen möchte, hätte mehr Realität, als eben dieser? Welche Bildung, die man ihm geben möchte, wäre seiner würdiger, seiner eigentlichen Bestimmung ange- messener, als eben die, die ihn am sichersten in den Stand setzt, die Erfordernisse eines glücklichen Daseyns möglichst vollkommen zu erfüllen? -- Ueber diese Gränze hinaus liegt ein uns unbekanntes Land, vielleicht das leere Nichts! Vielleicht auch, -- läugnen können wir es nicht, -- ein neues Land der Freude für die Sterb- lichen in seeliger Unsterblichkeit! Doch wer verbürgt es uns? Die Menschen mögen sich daran im stillen An- schauen weiden und ergötzen, die Leidenden sich Trost Zweiter Abſchnitt. Erfahrungen vergleichen und darnach vorausgeſehneFolgen ſchlau berechnen und verhuͤten oder ſuchen, und ſo durch uͤberlegten Plan die Freude ſeines Daſeyns ungetruͤbt erhalten und verdoppeln? Das aber kann der Menſch durch ſeinen Geiſt, und das verbuͤrgt ihm das reale Daſeyn dieſes Geiſtes, durch den er das vermag. Das aber deutet ihm auch die Beſtimmung ſeines Gei- ſtes, den Zweck, wozu er ihn erhalten hat, und wozu er ihn auch mit Sorgfalt bilden und gebrauchen ſoll: das Leben naͤmlich moͤglichſt angenehm zu machen, die Arten und die Mittel des Genuſſes moͤglichſt zu ver- mehren, des Lebens Leiden und Gefahren kluͤglich vor- zubeugen oder auszuweichen, ſein Gluͤck nicht ſelbſt durch Unbedachtſamkeit zu ſtoͤren, und keine guͤnſtige Gelegenheit der Freude zu verſaͤumen, um nach voll- brachter Laufbahn einſt, zufrieden mit ſich ſelbſt, im Frieden ſich zu ſeinen Vaͤtern zu verſammeln. — Wel- cher Gebrauch, den der Menſch von ſeinem Geiſte ma- chen moͤchte, haͤtte mehr Realitaͤt, als eben dieſer? Welche Bildung, die man ihm geben moͤchte, waͤre ſeiner wuͤrdiger, ſeiner eigentlichen Beſtimmung ange- meſſener, als eben die, die ihn am ſicherſten in den Stand ſetzt, die Erforderniſſe eines gluͤcklichen Daſeyns moͤglichſt vollkommen zu erfuͤllen? — Ueber dieſe Graͤnze hinaus liegt ein uns unbekanntes Land, vielleicht das leere Nichts! Vielleicht auch, — laͤugnen koͤnnen wir es nicht, — ein neues Land der Freude fuͤr die Sterb- lichen in ſeeliger Unſterblichkeit! Doch wer verbuͤrgt es uns? Die Menſchen moͤgen ſich daran im ſtillen An- ſchauen weiden und ergoͤtzen, die Leidenden ſich Troſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0062" n="50"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/> Erfahrungen vergleichen und darnach vorausgeſehne<lb/> Folgen ſchlau berechnen und verhuͤten oder ſuchen, und<lb/> ſo durch uͤberlegten Plan die Freude ſeines Daſeyns<lb/> ungetruͤbt erhalten und verdoppeln? 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Zweiter Abſchnitt.
Erfahrungen vergleichen und darnach vorausgeſehne
Folgen ſchlau berechnen und verhuͤten oder ſuchen, und
ſo durch uͤberlegten Plan die Freude ſeines Daſeyns
ungetruͤbt erhalten und verdoppeln? Das aber kann der
Menſch durch ſeinen Geiſt, und das verbuͤrgt ihm das
reale Daſeyn dieſes Geiſtes, durch den er das vermag.
Das aber deutet ihm auch die Beſtimmung ſeines Gei-
ſtes, den Zweck, wozu er ihn erhalten hat, und wozu
er ihn auch mit Sorgfalt bilden und gebrauchen ſoll:
das Leben naͤmlich moͤglichſt angenehm zu machen, die
Arten und die Mittel des Genuſſes moͤglichſt zu ver-
mehren, des Lebens Leiden und Gefahren kluͤglich vor-
zubeugen oder auszuweichen, ſein Gluͤck nicht ſelbſt
durch Unbedachtſamkeit zu ſtoͤren, und keine guͤnſtige
Gelegenheit der Freude zu verſaͤumen, um nach voll-
brachter Laufbahn einſt, zufrieden mit ſich ſelbſt, im
Frieden ſich zu ſeinen Vaͤtern zu verſammeln. — Wel-
cher Gebrauch, den der Menſch von ſeinem Geiſte ma-
chen moͤchte, haͤtte mehr Realitaͤt, als eben dieſer?
Welche Bildung, die man ihm geben moͤchte, waͤre
ſeiner wuͤrdiger, ſeiner eigentlichen Beſtimmung ange-
meſſener, als eben die, die ihn am ſicherſten in den
Stand ſetzt, die Erforderniſſe eines gluͤcklichen Daſeyns
moͤglichſt vollkommen zu erfuͤllen? — Ueber dieſe Graͤnze
hinaus liegt ein uns unbekanntes Land, vielleicht das
leere Nichts! Vielleicht auch, — laͤugnen koͤnnen wir
es nicht, — ein neues Land der Freude fuͤr die Sterb-
lichen in ſeeliger Unſterblichkeit! Doch wer verbuͤrgt es
uns? Die Menſchen moͤgen ſich daran im ſtillen An-
ſchauen weiden und ergoͤtzen, die Leidenden ſich Troſt
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