Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Leipzig, 1872.erinnere mich, in den Gefährlichkeiten und Schrecken des Diese freudige Nothwendigkeit der Traumerfahrung ist 1*
erinnere mich, in den Gefährlichkeiten und Schrecken des Diese freudige Nothwendigkeit der Traumerfahrung ist 1*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0016" n="3"/> erinnere mich, in den Gefährlichkeiten und Schrecken des<lb/> Traumes mir mitunter ermuthigend und mit Erfolg zugerufen<lb/> zu haben: »Es ist ein Traum! Ich will ihn weiter träumen!«<lb/> Wie man mir auch von Personen erzählt hat, die die Cau¬<lb/> salität eines und desselben Traumes über drei und mehr<lb/> aufeinanderfolgende Nächte hin fortzusetzen im Stande waren:<lb/> als welche Thatsachen deutlich Zeugniss dafür abgeben, dass<lb/> unser innerstes Wesen, der gemeinsame Untergrund von uns<lb/> allen, mit tiefer Lust und freudiger Nothwendigkeit den<lb/> Traum an sich erfährt.</p><lb/> <p>Diese freudige Nothwendigkeit der Traumerfahrung ist<lb/> gleichfalls von den Griechen in ihrem Apollo ausgedrückt<lb/> worden: Apollo als der Gott der Traumesvorstellungen ist<lb/> zugleich der wahrsagende und künstlerische Gott. Er, der<lb/> seiner Wurzel nach der »Scheinende«, die Lichtgottheit ist,<lb/> beherrscht auch den schönen Schein der Traumwelt. Die<lb/> höhere Wahrheit, die Vollkommenheit dieser Zustände im<lb/> Gegensatz zu der lückenhaft verständlichen Tageswirklich¬<lb/> keit, sodann das tiefe Bewusstsein von der in Schlaf und<lb/> Traum heilenden und helfenden Natur ist zugleich das sym¬<lb/> bolische Analogon der wahrsagenden Fähigkeit und über¬<lb/> haupt der Kunst, durch die das Leben lebenswerth und die<lb/> Zukunft zur Gegenwart gemacht wird. Aber auch jene zarte<lb/> Linie, die das Traumbild nicht überschreiten darf, um nicht<lb/> pathologisch zu wirken, widrigenfalls der Schein nicht nur<lb/> täuschen, sondern betrügen würde — darf nicht im Bilde<lb/> des Apollo fehlen: jene maassvolle Begrenzung, jene Freiheit<lb/> von den wilderen Regungen, jene weisheitsvolle Ruhe des<lb/> Bildnergottes. Sein Auge muss »sonnenhaft«, gemäss seinem<lb/> Ursprunge, sein; auch wenn es zürnt und unmuthig blickt,<lb/> liegt die Weihe des schönen Scheines auf ihm. Und so<lb/> möchte von Apollo in einem excentrischen Sinne das gelten,<lb/> was unser grosser <hi rendition="#i">Schopenhauer</hi> von dem im Schleier der<lb/> <fw place="bottom" type="sig">1*<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [3/0016]
erinnere mich, in den Gefährlichkeiten und Schrecken des
Traumes mir mitunter ermuthigend und mit Erfolg zugerufen
zu haben: »Es ist ein Traum! Ich will ihn weiter träumen!«
Wie man mir auch von Personen erzählt hat, die die Cau¬
salität eines und desselben Traumes über drei und mehr
aufeinanderfolgende Nächte hin fortzusetzen im Stande waren:
als welche Thatsachen deutlich Zeugniss dafür abgeben, dass
unser innerstes Wesen, der gemeinsame Untergrund von uns
allen, mit tiefer Lust und freudiger Nothwendigkeit den
Traum an sich erfährt.
Diese freudige Nothwendigkeit der Traumerfahrung ist
gleichfalls von den Griechen in ihrem Apollo ausgedrückt
worden: Apollo als der Gott der Traumesvorstellungen ist
zugleich der wahrsagende und künstlerische Gott. Er, der
seiner Wurzel nach der »Scheinende«, die Lichtgottheit ist,
beherrscht auch den schönen Schein der Traumwelt. Die
höhere Wahrheit, die Vollkommenheit dieser Zustände im
Gegensatz zu der lückenhaft verständlichen Tageswirklich¬
keit, sodann das tiefe Bewusstsein von der in Schlaf und
Traum heilenden und helfenden Natur ist zugleich das sym¬
bolische Analogon der wahrsagenden Fähigkeit und über¬
haupt der Kunst, durch die das Leben lebenswerth und die
Zukunft zur Gegenwart gemacht wird. Aber auch jene zarte
Linie, die das Traumbild nicht überschreiten darf, um nicht
pathologisch zu wirken, widrigenfalls der Schein nicht nur
täuschen, sondern betrügen würde — darf nicht im Bilde
des Apollo fehlen: jene maassvolle Begrenzung, jene Freiheit
von den wilderen Regungen, jene weisheitsvolle Ruhe des
Bildnergottes. Sein Auge muss »sonnenhaft«, gemäss seinem
Ursprunge, sein; auch wenn es zürnt und unmuthig blickt,
liegt die Weihe des schönen Scheines auf ihm. Und so
möchte von Apollo in einem excentrischen Sinne das gelten,
was unser grosser Schopenhauer von dem im Schleier der
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