Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Leipzig, 1872.haupt den lyrischen Zustand ausmacht. In diesem tritt gleich¬ Wer vermöchte in dieser Schilderung zu verkennen, dass haupt den lyrischen Zustand ausmacht. In diesem tritt gleich¬ Wer vermöchte in dieser Schilderung zu verkennen, dass <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0037" n="24"/> haupt den lyrischen Zustand ausmacht. In diesem tritt gleich¬<lb/> sam das reine Erkennen zu uns heran, um uns vom Wollen<lb/> und seinem Drange zu erlösen: wir folgen: doch nur auf<lb/> Augenblicke: immer von Neuem entreisst das Wollen, die<lb/> Erinnerung an unsere persönlichen Zwecke, uns der ruhigen<lb/> Beschauung: aber auch immer wieder entlockt uns dem<lb/> Wollen die nächste schöne Umgebung, in welcher sich die<lb/> reine willenlose Erkenntniss uns darbietet. Darum geht im<lb/> Liede und der lyrischen Stimmung das Wollen (das persön¬<lb/> liche Interesse des Zwecks) und das reine Anschauen der sich<lb/> darbietenden Umgebung wundersam gemischt durch einander:<lb/> es werden Beziehungen zwischen beiden gesucht und imagi¬<lb/> nirt; die subjective Stimmung, die Affection des Willens,<lb/> theilt der angeschauten Umgebung und diese wiederum jener<lb/> ihre Farbe im Reflex mit: von diesem ganzen so gemischten<lb/> und getheilten Gemüthszustande ist das ächte Lied der<lb/> Abdruck«.</p><lb/> <p>Wer vermöchte in dieser Schilderung zu verkennen, dass<lb/> hier die Lyrik als eine unvollkommen erreichte, gleichsam<lb/> im Sprunge und selten zum Ziele kommende Kunst charak¬<lb/> terisirt wird, ja als eine Halbkunst, deren <hi rendition="#i">Wesen</hi> darin be¬<lb/> stehen solle, dass das Wollen und das reine Anschauen d. h.<lb/> der unaesthetische und der aesthetische Zustand wundersam<lb/> durch einander gemischt seien? Wir behaupten vielmehr, dass<lb/> der ganze Gegensatz, nach dem wie nach einem Werthmesser<lb/> auch noch Schopenhauer die Künste eintheilt, der des Sub¬<lb/> jectiven und des Objectiven, überhaupt in der Aesthetik<lb/> ungehörig ist, da das Subject, das wollende und seine egoi¬<lb/> stischen Zwecke fördernde Individuum nur als Gegner, nicht<lb/> als Ursprung der Kunst gedacht werden kann. Insofern aber<lb/> das Subject Künstler ist, ist es bereits von seinem indivi¬<lb/> duellen Willen erlöst und gleichsam Medium geworden, durch<lb/> das hindurch das eine wahrhaft seiende Subject seine Er¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [24/0037]
haupt den lyrischen Zustand ausmacht. In diesem tritt gleich¬
sam das reine Erkennen zu uns heran, um uns vom Wollen
und seinem Drange zu erlösen: wir folgen: doch nur auf
Augenblicke: immer von Neuem entreisst das Wollen, die
Erinnerung an unsere persönlichen Zwecke, uns der ruhigen
Beschauung: aber auch immer wieder entlockt uns dem
Wollen die nächste schöne Umgebung, in welcher sich die
reine willenlose Erkenntniss uns darbietet. Darum geht im
Liede und der lyrischen Stimmung das Wollen (das persön¬
liche Interesse des Zwecks) und das reine Anschauen der sich
darbietenden Umgebung wundersam gemischt durch einander:
es werden Beziehungen zwischen beiden gesucht und imagi¬
nirt; die subjective Stimmung, die Affection des Willens,
theilt der angeschauten Umgebung und diese wiederum jener
ihre Farbe im Reflex mit: von diesem ganzen so gemischten
und getheilten Gemüthszustande ist das ächte Lied der
Abdruck«.
Wer vermöchte in dieser Schilderung zu verkennen, dass
hier die Lyrik als eine unvollkommen erreichte, gleichsam
im Sprunge und selten zum Ziele kommende Kunst charak¬
terisirt wird, ja als eine Halbkunst, deren Wesen darin be¬
stehen solle, dass das Wollen und das reine Anschauen d. h.
der unaesthetische und der aesthetische Zustand wundersam
durch einander gemischt seien? Wir behaupten vielmehr, dass
der ganze Gegensatz, nach dem wie nach einem Werthmesser
auch noch Schopenhauer die Künste eintheilt, der des Sub¬
jectiven und des Objectiven, überhaupt in der Aesthetik
ungehörig ist, da das Subject, das wollende und seine egoi¬
stischen Zwecke fördernde Individuum nur als Gegner, nicht
als Ursprung der Kunst gedacht werden kann. Insofern aber
das Subject Künstler ist, ist es bereits von seinem indivi¬
duellen Willen erlöst und gleichsam Medium geworden, durch
das hindurch das eine wahrhaft seiende Subject seine Er¬
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