Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner
Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf deine
Liebe und Hoffnung nicht weg!

Edel fühlst du dich noch, und edel fühlen dich
auch die Andern noch, die dir gram sind und böse Blicke
senden. Wisse, dass Allen ein Edler im Wege steht.

Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und
selbst wenn sie ihn einen Guten nennen, so wollen
sie ihn damit bei Seite bringen.

Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend.
Altes will der Gute, und dass Altes erhalten bleibe.

Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er
ein Guter werde, sondern ein Frecher, ein Höhnender,
ein Vernichter.

Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre höchste
Hoffnung. Und nun verleumdeten sie alle hohen Hoff¬
nungen.

Nun lebten sie frech in kurzen Lüsten, und über
den Tag hin warfen sie kaum noch Ziele.

"Geist ist auch Wollust" -- so sagten sie. Da
zerbrachen ihrem Geiste die Flügel: nun kriecht er
herum und beschmutzt im Nagen.

Einst dachten sie Helden zu werden: Lüstlinge
sind es jetzt. Ein Gram und ein Grauen ist ihnen
der Held.

Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre
ich dich: wirf den Helden in deiner Seele nicht weg!
Halte heilig deine höchste Hoffnung! --

Also sprach Zarathustra.


Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner
Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf deine
Liebe und Hoffnung nicht weg!

Edel fühlst du dich noch, und edel fühlen dich
auch die Andern noch, die dir gram sind und böse Blicke
senden. Wisse, dass Allen ein Edler im Wege steht.

Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und
selbst wenn sie ihn einen Guten nennen, so wollen
sie ihn damit bei Seite bringen.

Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend.
Altes will der Gute, und dass Altes erhalten bleibe.

Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er
ein Guter werde, sondern ein Frecher, ein Höhnender,
ein Vernichter.

Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre höchste
Hoffnung. Und nun verleumdeten sie alle hohen Hoff¬
nungen.

Nun lebten sie frech in kurzen Lüsten, und über
den Tag hin warfen sie kaum noch Ziele.

„Geist ist auch Wollust“ — so sagten sie. Da
zerbrachen ihrem Geiste die Flügel: nun kriecht er
herum und beschmutzt im Nagen.

Einst dachten sie Helden zu werden: Lüstlinge
sind es jetzt. Ein Gram und ein Grauen ist ihnen
der Held.

Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre
ich dich: wirf den Helden in deiner Seele nicht weg!
Halte heilig deine höchste Hoffnung! —

Also sprach Zarathustra.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0064" n="58"/>
          <p>Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner<lb/>
Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf deine<lb/>
Liebe und Hoffnung nicht weg!</p><lb/>
          <p>Edel fühlst du dich noch, und edel fühlen dich<lb/>
auch die Andern noch, die dir gram sind und böse Blicke<lb/>
senden. Wisse, dass Allen ein Edler im Wege steht.</p><lb/>
          <p>Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und<lb/>
selbst wenn sie ihn einen Guten nennen, so wollen<lb/>
sie ihn damit bei Seite bringen.</p><lb/>
          <p>Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend.<lb/>
Altes will der Gute, und dass Altes erhalten bleibe.</p><lb/>
          <p>Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er<lb/>
ein Guter werde, sondern ein Frecher, ein Höhnender,<lb/>
ein Vernichter.</p><lb/>
          <p>Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre höchste<lb/>
Hoffnung. Und nun verleumdeten sie alle hohen Hoff¬<lb/>
nungen.</p><lb/>
          <p>Nun lebten sie frech in kurzen Lüsten, und über<lb/>
den Tag hin warfen sie kaum noch Ziele.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Geist ist auch Wollust&#x201C; &#x2014; so sagten sie. Da<lb/>
zerbrachen ihrem Geiste die Flügel: nun kriecht er<lb/>
herum und beschmutzt im Nagen.</p><lb/>
          <p>Einst dachten sie Helden zu werden: Lüstlinge<lb/>
sind es jetzt. Ein Gram und ein Grauen ist ihnen<lb/>
der Held.</p><lb/>
          <p>Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre<lb/>
ich dich: wirf den Helden in deiner Seele nicht weg!<lb/>
Halte heilig deine höchste Hoffnung! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Also sprach Zarathustra.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0064] Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg! Edel fühlst du dich noch, und edel fühlen dich auch die Andern noch, die dir gram sind und böse Blicke senden. Wisse, dass Allen ein Edler im Wege steht. Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und selbst wenn sie ihn einen Guten nennen, so wollen sie ihn damit bei Seite bringen. Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend. Altes will der Gute, und dass Altes erhalten bleibe. Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er ein Guter werde, sondern ein Frecher, ein Höhnender, ein Vernichter. Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre höchste Hoffnung. Und nun verleumdeten sie alle hohen Hoff¬ nungen. Nun lebten sie frech in kurzen Lüsten, und über den Tag hin warfen sie kaum noch Ziele. „Geist ist auch Wollust“ — so sagten sie. Da zerbrachen ihrem Geiste die Flügel: nun kriecht er herum und beschmutzt im Nagen. Einst dachten sie Helden zu werden: Lüstlinge sind es jetzt. Ein Gram und ein Grauen ist ihnen der Held. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf den Helden in deiner Seele nicht weg! Halte heilig deine höchste Hoffnung! — Also sprach Zarathustra.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/64
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/64>, abgerufen am 21.11.2024.