Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

Bild:
<< vorherige Seite

Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästern,
wenn ich lehre: "über allen Dingen steht der Himmel
Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel Ohngefähr,
der Himmel Übermuth."

"Von Ohngefähr" -- das ist der älteste Adel der
Welt, den gab ich allen Dingen zurück, ich erlöste
sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke.

Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich
gleich azurner Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, dass
über ihnen und durch sie kein "ewiger Wille" -- will.

Diesen Übermuth und diese Narrheit stellte ich
an die Stelle jenes Willens, als ich lehrte: "bei Allem
ist Eins unmöglich -- Vernünftigkeit!"

Ein Wenig Vernunft zwar, ein Same der Weis¬
heit zerstreut von Stern zu Stern, -- dieser Sauerteig
ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit willen
ist Weisheit allen Dingen eingemischt!

Ein Wenig Weisheit ist schon möglich; aber diese
selige Sicherheit fand ich an allen Dingen: dass sie
lieber noch auf den Füssen des Zufalls -- tanzen.

Oh Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist
mir nun deine Reinheit, dass es keine ewige Vernunft-
Spinne und -Spinnennetze giebt: --

-- dass du mir ein Tanzboden bist für göttliche
Zufälle, dass du mir ein Göttertisch bist für göttliche
Würfel und Würfelspieler! --

Doch du erröthest? Sprach ich Unaussprechbares?
Lästerte ich, indem ich dich segnen wollte?

Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich
erröthen machte? -- Heissest du mich gehn und
schweigen, weil nun -- der Tag kommt?

Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästern,
wenn ich lehre: „über allen Dingen steht der Himmel
Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel Ohngefähr,
der Himmel Übermuth.“

„Von Ohngefähr“ — das ist der älteste Adel der
Welt, den gab ich allen Dingen zurück, ich erlöste
sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke.

Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich
gleich azurner Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, dass
über ihnen und durch sie kein „ewiger Wille“ — will.

Diesen Übermuth und diese Narrheit stellte ich
an die Stelle jenes Willens, als ich lehrte: „bei Allem
ist Eins unmöglich — Vernünftigkeit!“

Ein Wenig Vernunft zwar, ein Same der Weis¬
heit zerstreut von Stern zu Stern, — dieser Sauerteig
ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit willen
ist Weisheit allen Dingen eingemischt!

Ein Wenig Weisheit ist schon möglich; aber diese
selige Sicherheit fand ich an allen Dingen: dass sie
lieber noch auf den Füssen des Zufalls — tanzen.

Oh Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist
mir nun deine Reinheit, dass es keine ewige Vernunft-
Spinne und -Spinnennetze giebt: —

— dass du mir ein Tanzboden bist für göttliche
Zufälle, dass du mir ein Göttertisch bist für göttliche
Würfel und Würfelspieler! —

Doch du erröthest? Sprach ich Unaussprechbares?
Lästerte ich, indem ich dich segnen wollte?

Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich
erröthen machte? — Heissest du mich gehn und
schweigen, weil nun — der Tag kommt?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0031" n="21"/>
        <p>Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästern,<lb/>
wenn ich lehre: &#x201E;über allen Dingen steht der Himmel<lb/>
Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel Ohngefähr,<lb/>
der Himmel Übermuth.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Von Ohngefähr&#x201C; &#x2014; das ist der älteste Adel der<lb/>
Welt, den gab ich allen Dingen zurück, ich erlöste<lb/>
sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke.</p><lb/>
        <p>Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich<lb/>
gleich azurner Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, dass<lb/>
über ihnen und durch sie kein &#x201E;ewiger Wille&#x201C; &#x2014; will.</p><lb/>
        <p>Diesen Übermuth und diese Narrheit stellte ich<lb/>
an die Stelle jenes Willens, als ich lehrte: &#x201E;bei Allem<lb/>
ist Eins unmöglich &#x2014; Vernünftigkeit!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ein <hi rendition="#g">Wenig</hi> Vernunft zwar, ein Same der Weis¬<lb/>
heit zerstreut von Stern zu Stern, &#x2014; dieser Sauerteig<lb/>
ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit willen<lb/>
ist Weisheit allen Dingen eingemischt!</p><lb/>
        <p>Ein Wenig Weisheit ist schon möglich; aber diese<lb/>
selige Sicherheit fand ich an allen Dingen: dass sie<lb/>
lieber noch auf den Füssen des Zufalls &#x2014; <hi rendition="#g">tanzen</hi>.</p><lb/>
        <p>Oh Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist<lb/>
mir nun deine Reinheit, dass es keine ewige Vernunft-<lb/>
Spinne und -Spinnennetze giebt: &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; dass du mir ein Tanzboden bist für göttliche<lb/>
Zufälle, dass du mir ein Göttertisch bist für göttliche<lb/>
Würfel und Würfelspieler! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Doch du erröthest? Sprach ich Unaussprechbares?<lb/>
Lästerte ich, indem ich dich segnen wollte?</p><lb/>
        <p>Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich<lb/>
erröthen machte? &#x2014; Heissest du mich gehn und<lb/>
schweigen, weil nun &#x2014; der <hi rendition="#g">Tag</hi> kommt?</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0031] Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästern, wenn ich lehre: „über allen Dingen steht der Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel Ohngefähr, der Himmel Übermuth.“ „Von Ohngefähr“ — das ist der älteste Adel der Welt, den gab ich allen Dingen zurück, ich erlöste sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke. Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, dass über ihnen und durch sie kein „ewiger Wille“ — will. Diesen Übermuth und diese Narrheit stellte ich an die Stelle jenes Willens, als ich lehrte: „bei Allem ist Eins unmöglich — Vernünftigkeit!“ Ein Wenig Vernunft zwar, ein Same der Weis¬ heit zerstreut von Stern zu Stern, — dieser Sauerteig ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit willen ist Weisheit allen Dingen eingemischt! Ein Wenig Weisheit ist schon möglich; aber diese selige Sicherheit fand ich an allen Dingen: dass sie lieber noch auf den Füssen des Zufalls — tanzen. Oh Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist mir nun deine Reinheit, dass es keine ewige Vernunft- Spinne und -Spinnennetze giebt: — — dass du mir ein Tanzboden bist für göttliche Zufälle, dass du mir ein Göttertisch bist für göttliche Würfel und Würfelspieler! — Doch du erröthest? Sprach ich Unaussprechbares? Lästerte ich, indem ich dich segnen wollte? Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich erröthen machte? — Heissest du mich gehn und schweigen, weil nun — der Tag kommt?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/31
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/31>, abgerufen am 21.11.2024.