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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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Von der Wissenschaft.

Also sang der Zauberer; und Alle, die beisammen
waren, giengen gleich Vögeln unvermerkt in das Netz
seiner listigen und schwermüthigen Wollust. Nur der
Gewissenhafte des Geistes war nicht eingefangen: er
nahm flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief "Luft!
Lasst gute Luft herein! Lasst Zarathustra herein! Du
machst diese Höhle schwül und giftig, du schlimmer
alter Zauberer!

Du verführst, du Falscher, Feiner, zu unbekannten
Begierden und Wildnissen. Und wehe, wenn Solche, wie
du, von der Wahrheit Redens und Wesens machen!

Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor solchen
Zauberern auf der Hut sind! Dahin ist es mit ihrer
Freiheit: du lehrst und lockst zurück in Gefängnisse, --

-- du alter schwermüthiger Teufel, aus deiner Klage
klingt eine Lockpfeife, du gleichst Solchen, welche mit
ihrem Lobe der Keuschheit heimlich zu Wollüsten laden!"

Also sprach der Gewissenhafte; der alte Zauberer
aber blickte um sich, genoss seines Sieges und ver¬
schluckte darüber den Verdruss, welchen ihm der Ge¬
wissenhafte machte. "Sei still! sagte er mit bescheidener
Stimme, gute Lieder wollen gut wiederhallen; nach
guten Liedern soll man lange schweigen.

Von der Wissenschaft.

Also sang der Zauberer; und Alle, die beisammen
waren, giengen gleich Vögeln unvermerkt in das Netz
seiner listigen und schwermüthigen Wollust. Nur der
Gewissenhafte des Geistes war nicht eingefangen: er
nahm flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief „Luft!
Lasst gute Luft herein! Lasst Zarathustra herein! Du
machst diese Höhle schwül und giftig, du schlimmer
alter Zauberer!

Du verführst, du Falscher, Feiner, zu unbekannten
Begierden und Wildnissen. Und wehe, wenn Solche, wie
du, von der Wahrheit Redens und Wesens machen!

Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor solchen
Zauberern auf der Hut sind! Dahin ist es mit ihrer
Freiheit: du lehrst und lockst zurück in Gefängnisse, —

— du alter schwermüthiger Teufel, aus deiner Klage
klingt eine Lockpfeife, du gleichst Solchen, welche mit
ihrem Lobe der Keuschheit heimlich zu Wollüsten laden!“

Also sprach der Gewissenhafte; der alte Zauberer
aber blickte um sich, genoss seines Sieges und ver¬
schluckte darüber den Verdruss, welchen ihm der Ge¬
wissenhafte machte. „Sei still! sagte er mit bescheidener
Stimme, gute Lieder wollen gut wiederhallen; nach
guten Liedern soll man lange schweigen.

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[96/0103] Von der Wissenschaft. Also sang der Zauberer; und Alle, die beisammen waren, giengen gleich Vögeln unvermerkt in das Netz seiner listigen und schwermüthigen Wollust. Nur der Gewissenhafte des Geistes war nicht eingefangen: er nahm flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief „Luft! Lasst gute Luft herein! Lasst Zarathustra herein! Du machst diese Höhle schwül und giftig, du schlimmer alter Zauberer! Du verführst, du Falscher, Feiner, zu unbekannten Begierden und Wildnissen. Und wehe, wenn Solche, wie du, von der Wahrheit Redens und Wesens machen! Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor solchen Zauberern auf der Hut sind! Dahin ist es mit ihrer Freiheit: du lehrst und lockst zurück in Gefängnisse, — — du alter schwermüthiger Teufel, aus deiner Klage klingt eine Lockpfeife, du gleichst Solchen, welche mit ihrem Lobe der Keuschheit heimlich zu Wollüsten laden!“ Also sprach der Gewissenhafte; der alte Zauberer aber blickte um sich, genoss seines Sieges und ver¬ schluckte darüber den Verdruss, welchen ihm der Ge¬ wissenhafte machte. „Sei still! sagte er mit bescheidener Stimme, gute Lieder wollen gut wiederhallen; nach guten Liedern soll man lange schweigen.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/103>, abgerufen am 21.11.2024.