Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.thustra ab und sprang, wild brüllend, auf die Höhle los; Zarathustra selber aber, betäubt und fremd, erhob Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff Oh ihr höheren Menschen, von eurer Noth war's -- zu eurer Noth wollte er mich verführen und Zu meiner letzten Sünde? rief Zarathustra und lachte -- Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich "Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höhe¬ thustra ab und sprang, wild brüllend, auf die Höhle los; Zarathustra selber aber, betäubt und fremd, erhob Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff Oh ihr höheren Menschen, von eurer Noth war's — zu eurer Noth wollte er mich verführen und Zu meiner letzten Sünde? rief Zarathustra und lachte — Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich „Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höhe¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0140" n="133"/> thustra ab und sprang, wild brüllend, auf die Höhle los;<lb/> die höheren Menschen aber, als sie ihn brüllen hörten,<lb/> schrien alle auf, wie mit Einem Munde, und flohen zurück<lb/> und waren im Nu verschwunden.</p><lb/> <p>Zarathustra selber aber, betäubt und fremd, erhob<lb/> sich von seinem Sitze, sah um sich, stand staunend da,<lb/> fragte sein Herz, besann sich und war allein. „Was<lb/> hörte ich doch? sprach er endlich langsam, was geschah<lb/> mir eben?“</p><lb/> <p>Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff<lb/> mit Einem Blicke Alles, was zwischen Gestern und Heute<lb/> sich begeben hatte. „Hier ist ja der Stein, sprach er<lb/> und strich sich den Bart, auf <hi rendition="#g">dem</hi> sass ich gestern am<lb/> Morgen; und hier trat der Wahrsager zu mir, und hier<lb/> hörte ich zuerst den Schrei, den ich eben hörte, den<lb/> grossen Nothschrei.</p><lb/> <p>Oh ihr höheren Menschen, von <hi rendition="#g">eurer</hi> Noth war's<lb/> ja, dass gestern am Morgen jener alte Wahrsager mir<lb/> wahrsagte, —</p><lb/> <p>— zu eurer Noth wollte er mich verführen und<lb/> versuchen: oh Zarathustra, sprach er zu mir, ich komme,<lb/> dass ich dich zu deiner letzten Sünde verführe.</p><lb/> <p>Zu meiner letzten Sünde? rief Zarathustra und lachte<lb/> zornig über sein eigenes Wort: <hi rendition="#g">was</hi> blieb mir doch<lb/> aufgespart als meine letzte Sünde?“</p><lb/> <p>— Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich<lb/> und setzte sich wieder auf den grossen Stein nieder und<lb/> sann nach. Plötzlich sprang er empor, —</p><lb/> <p>„<hi rendition="#g">Mitleiden</hi>! <hi rendition="#g">Das Mitleiden mit dem höhe¬<lb/> ren Menschen</hi>! schrie er auf, und sein Antlitz ver¬<lb/> wandelte sich in Erz. Wohlan! <hi rendition="#g">Das</hi> — hatte seine Zeit!</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [133/0140]
thustra ab und sprang, wild brüllend, auf die Höhle los;
die höheren Menschen aber, als sie ihn brüllen hörten,
schrien alle auf, wie mit Einem Munde, und flohen zurück
und waren im Nu verschwunden.
Zarathustra selber aber, betäubt und fremd, erhob
sich von seinem Sitze, sah um sich, stand staunend da,
fragte sein Herz, besann sich und war allein. „Was
hörte ich doch? sprach er endlich langsam, was geschah
mir eben?“
Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff
mit Einem Blicke Alles, was zwischen Gestern und Heute
sich begeben hatte. „Hier ist ja der Stein, sprach er
und strich sich den Bart, auf dem sass ich gestern am
Morgen; und hier trat der Wahrsager zu mir, und hier
hörte ich zuerst den Schrei, den ich eben hörte, den
grossen Nothschrei.
Oh ihr höheren Menschen, von eurer Noth war's
ja, dass gestern am Morgen jener alte Wahrsager mir
wahrsagte, —
— zu eurer Noth wollte er mich verführen und
versuchen: oh Zarathustra, sprach er zu mir, ich komme,
dass ich dich zu deiner letzten Sünde verführe.
Zu meiner letzten Sünde? rief Zarathustra und lachte
zornig über sein eigenes Wort: was blieb mir doch
aufgespart als meine letzte Sünde?“
— Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich
und setzte sich wieder auf den grossen Stein nieder und
sann nach. Plötzlich sprang er empor, —
„Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höhe¬
ren Menschen! schrie er auf, und sein Antlitz ver¬
wandelte sich in Erz. Wohlan! Das — hatte seine Zeit!
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