Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.Von der Armuth des Reichsten. Zehn Jahre dahin --, kein Tropfen erreichte mich, kein feuchter Wind, kein Thau der Liebe -- ein regenloses Land ... Nun bitte ich meine Weisheit, nicht geizig zu werden in dieser Dürre: ströme selber über, träufle selber Thau, sei selber Regen der vergilbten Wildniss! Einst hiess ich die Wolken fortgehn von meinen Bergen, -- einst sprach ich "mehr Licht, ihr Dunklen!" Heut locke ich sie, dass sie kommen: macht dunkel um mich mit euren Eutern! -- ich will euch melken, ihr Kühe der Höhe! Milchwarme Weisheit, süssen Thau der Liebe ströme ich über das Land. Fort, fort, ihr Wahrheiten,
die ihr düster blickt! Nicht will ich auf meinen Bergen herbe ungeduldige Wahrheiten sehn. Von der Armuth des Reichsten. Zehn Jahre dahin —, kein Tropfen erreichte mich, kein feuchter Wind, kein Thau der Liebe — ein regenloses Land ... Nun bitte ich meine Weisheit, nicht geizig zu werden in dieser Dürre: ströme selber über, träufle selber Thau, sei selber Regen der vergilbten Wildniss! Einst hiess ich die Wolken fortgehn von meinen Bergen, — einst sprach ich „mehr Licht, ihr Dunklen!“ Heut locke ich sie, dass sie kommen: macht dunkel um mich mit euren Eutern! — ich will euch melken, ihr Kühe der Höhe! Milchwarme Weisheit, süssen Thau der Liebe ströme ich über das Land. Fort, fort, ihr Wahrheiten,
die ihr düster blickt! Nicht will ich auf meinen Bergen herbe ungeduldige Wahrheiten sehn. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0160" n="17"/> <div n="2"> <head>Von der Armuth des Reichsten.<lb/></head> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Zehn Jahre dahin —,</l><lb/> <l>kein Tropfen erreichte mich,</l><lb/> <l>kein feuchter Wind, kein Thau der Liebe</l><lb/> <l>— ein <hi rendition="#g">regenloses</hi> Land ...</l><lb/> <l>Nun bitte ich meine Weisheit,</l><lb/> <l>nicht geizig zu werden in dieser Dürre:</l><lb/> <l>ströme selber über, träufle selber Thau,</l><lb/> <l>sei selber Regen der vergilbten Wildniss!</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Einst hiess ich die Wolken</l><lb/> <l>fortgehn von meinen Bergen, —</l><lb/> <l>einst sprach ich „mehr Licht, ihr Dunklen!“</l><lb/> <l>Heut locke ich sie, dass sie kommen:</l><lb/> <l>macht dunkel um mich mit euren Eutern!</l><lb/> <l>— ich will euch melken,</l><lb/> <l>ihr Kühe der Höhe!</l><lb/> <l>Milchwarme Weisheit, süssen Thau der Liebe</l><lb/> <l>ströme ich über das Land.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Fort, fort, ihr Wahrheiten,</l><lb/> <l>die ihr düster blickt!</l><lb/> <l>Nicht will ich auf meinen Bergen</l><lb/> <l>herbe ungeduldige Wahrheiten sehn.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [17/0160]
Von der Armuth des Reichsten.
Zehn Jahre dahin —,
kein Tropfen erreichte mich,
kein feuchter Wind, kein Thau der Liebe
— ein regenloses Land ...
Nun bitte ich meine Weisheit,
nicht geizig zu werden in dieser Dürre:
ströme selber über, träufle selber Thau,
sei selber Regen der vergilbten Wildniss!
Einst hiess ich die Wolken
fortgehn von meinen Bergen, —
einst sprach ich „mehr Licht, ihr Dunklen!“
Heut locke ich sie, dass sie kommen:
macht dunkel um mich mit euren Eutern!
— ich will euch melken,
ihr Kühe der Höhe!
Milchwarme Weisheit, süssen Thau der Liebe
ströme ich über das Land.
Fort, fort, ihr Wahrheiten,
die ihr düster blickt!
Nicht will ich auf meinen Bergen
herbe ungeduldige Wahrheiten sehn.
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