Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

hörte, verwandelte er sich. "Was geschieht mir doch!
rief er aus, wer kümmert mich denn noch in diesem
Leben, als dieser Eine Mensch, nämlich Zarathustra,
und jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel?

Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe
wie ein Fischer, und schon war mein ausgehängter Arm
zehn Mal angebissen, da beisst noch ein schönerer Igel
nach meinem Blute, Zarathustra selber!

Oh Glück! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag,
der mich in diesen Sumpf lockte! Gelobt sei der beste
lebendigste Schröpfkopf, der heut lebt, gelobt sei der
grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!" --

Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute
sich über seine Worte und ihre feine ehrfürchtige Art.
"Wer bist du? fragte er und reichte ihm die Hand,
zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und aufzuheitern:
aber schon, dünkt mich, wird es reiner heller Tag."

"Ich bin der Gewissenhafte des Geistes,
antwortete der Gefragte, und in Dingen des Geistes
nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und härter
als ich, ausgenommen Der, von dem ich's lernte, Zara¬
thustra selber.

Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber
ein Narr sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach
fremdem Gutdünken! Ich -- gehe auf den Grund:

-- was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob
er Sumpf oder Himmel heisst? Eine Hand breit Grund
ist mir genung: wenn er nur wirklich Grund und Boden ist!

-- eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn.
In der rechten Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts
Grosses und nichts Kleines."

hörte, verwandelte er sich. „Was geschieht mir doch!
rief er aus, wer kümmert mich denn noch in diesem
Leben, als dieser Eine Mensch, nämlich Zarathustra,
und jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel?

Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe
wie ein Fischer, und schon war mein ausgehängter Arm
zehn Mal angebissen, da beisst noch ein schönerer Igel
nach meinem Blute, Zarathustra selber!

Oh Glück! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag,
der mich in diesen Sumpf lockte! Gelobt sei der beste
lebendigste Schröpfkopf, der heut lebt, gelobt sei der
grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!“ —

Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute
sich über seine Worte und ihre feine ehrfürchtige Art.
„Wer bist du? fragte er und reichte ihm die Hand,
zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und aufzuheitern:
aber schon, dünkt mich, wird es reiner heller Tag.“

„Ich bin der Gewissenhafte des Geistes,
antwortete der Gefragte, und in Dingen des Geistes
nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und härter
als ich, ausgenommen Der, von dem ich's lernte, Zara¬
thustra selber.

Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber
ein Narr sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach
fremdem Gutdünken! Ich — gehe auf den Grund:

— was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob
er Sumpf oder Himmel heisst? Eine Hand breit Grund
ist mir genung: wenn er nur wirklich Grund und Boden ist!

— eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn.
In der rechten Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts
Grosses und nichts Kleines.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030" n="23"/>
hörte, verwandelte er sich. &#x201E;Was geschieht mir doch!<lb/>
rief er aus, <hi rendition="#g">wer</hi> kümmert mich denn noch in diesem<lb/>
Leben, als dieser Eine Mensch, nämlich Zarathustra,<lb/>
und jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel?</p><lb/>
        <p>Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe<lb/>
wie ein Fischer, und schon war mein ausgehängter Arm<lb/>
zehn Mal angebissen, da beisst noch ein schönerer Igel<lb/>
nach meinem Blute, Zarathustra selber!</p><lb/>
        <p>Oh Glück! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag,<lb/>
der mich in diesen Sumpf lockte! Gelobt sei der beste<lb/>
lebendigste Schröpfkopf, der heut lebt, gelobt sei der<lb/>
grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute<lb/>
sich über seine Worte und ihre feine ehrfürchtige Art.<lb/>
&#x201E;Wer bist du? fragte er und reichte ihm die Hand,<lb/>
zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und aufzuheitern:<lb/>
aber schon, dünkt mich, wird es reiner heller Tag.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich bin <hi rendition="#g">der Gewissenhafte des Geistes</hi>,<lb/>
antwortete der Gefragte, und in Dingen des Geistes<lb/>
nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und härter<lb/>
als ich, ausgenommen Der, von dem ich's lernte, Zara¬<lb/>
thustra selber.</p><lb/>
        <p>Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber<lb/>
ein Narr sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach<lb/>
fremdem Gutdünken! Ich &#x2014; gehe auf den Grund:</p><lb/>
        <p>&#x2014; was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob<lb/>
er Sumpf oder Himmel heisst? Eine Hand breit Grund<lb/>
ist mir genung: wenn er nur wirklich Grund und Boden ist!</p><lb/>
        <p>&#x2014; eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn.<lb/>
In der rechten Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts<lb/>
Grosses und nichts Kleines.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0030] hörte, verwandelte er sich. „Was geschieht mir doch! rief er aus, wer kümmert mich denn noch in diesem Leben, als dieser Eine Mensch, nämlich Zarathustra, und jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel? Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein Fischer, und schon war mein ausgehängter Arm zehn Mal angebissen, da beisst noch ein schönerer Igel nach meinem Blute, Zarathustra selber! Oh Glück! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag, der mich in diesen Sumpf lockte! Gelobt sei der beste lebendigste Schröpfkopf, der heut lebt, gelobt sei der grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!“ — Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute sich über seine Worte und ihre feine ehrfürchtige Art. „Wer bist du? fragte er und reichte ihm die Hand, zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und aufzuheitern: aber schon, dünkt mich, wird es reiner heller Tag.“ „Ich bin der Gewissenhafte des Geistes, antwortete der Gefragte, und in Dingen des Geistes nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und härter als ich, ausgenommen Der, von dem ich's lernte, Zara¬ thustra selber. Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken! Ich — gehe auf den Grund: — was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Himmel heisst? Eine Hand breit Grund ist mir genung: wenn er nur wirklich Grund und Boden ist! — eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn. In der rechten Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts Grosses und nichts Kleines.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/30
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/30>, abgerufen am 21.11.2024.