Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn tödtete. Bleib! Und willst du gehn, du Un¬
geduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. Der
Weg ist schlecht.

Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade¬
breche? Dass ich schon dir rathe? Aber wisse, ich
bin's, der hässlichste Mensch,

-- der auch die grössten schwersten Füsse hat.
Wo ich gieng, ist der Weg schlecht. Ich trete alle
Wege todt und zu Schanden.

Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend;
dass du erröthetest, ich sah es wohl: daran erkannte
ich dich als Zarathustra.

Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zuge¬
worfen, sein Mitleiden, mit Blick und Rede. Aber
dazu -- bin ich nicht Bettler genug, das erriethest
du --

-- dazu bin ich zu reich, reich an Grossem, an
Furchtbarem, am Hässlichsten, am Unaussprechlichsten!
Deine Scham, oh Zarathustra, ehrte mich!

Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der
Mitleidigen, -- dass ich den Einzigen fände, der heute
lehrt "Mitleiden ist zudringlich" -- dich, oh Zarathustra!

-- sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mit¬
leiden: Mitleiden geht gegen die Scham. Und nicht-
helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend,
die zuspringt.

Das aber heisst heute Tugend selber bei allen
kleinen Leuten, das Mitleiden: -- die haben keine Ehr¬
furcht vor grossem Unglück, vor grosser Hässlichkeit,
vor grossem Missrathen.

Über diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund

ihn tödtete. Bleib! Und willst du gehn, du Un¬
geduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. Der
Weg ist schlecht.

Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade¬
breche? Dass ich schon dir rathe? Aber wisse, ich
bin's, der hässlichste Mensch,

— der auch die grössten schwersten Füsse hat.
Wo ich gieng, ist der Weg schlecht. Ich trete alle
Wege todt und zu Schanden.

Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend;
dass du erröthetest, ich sah es wohl: daran erkannte
ich dich als Zarathustra.

Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zuge¬
worfen, sein Mitleiden, mit Blick und Rede. Aber
dazu — bin ich nicht Bettler genug, das erriethest
du —

— dazu bin ich zu reich, reich an Grossem, an
Furchtbarem, am Hässlichsten, am Unaussprechlichsten!
Deine Scham, oh Zarathustra, ehrte mich!

Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der
Mitleidigen, — dass ich den Einzigen fände, der heute
lehrt „Mitleiden ist zudringlich“ — dich, oh Zarathustra!

— sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mit¬
leiden: Mitleiden geht gegen die Scham. Und nicht-
helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend,
die zuspringt.

Das aber heisst heute Tugend selber bei allen
kleinen Leuten, das Mitleiden: — die haben keine Ehr¬
furcht vor grossem Unglück, vor grosser Hässlichkeit,
vor grossem Missrathen.

Über diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0052" n="45"/><hi rendition="#g">ihn</hi> tödtete. Bleib! Und willst du gehn, du Un¬<lb/>
geduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. <hi rendition="#g">Der</hi><lb/>
Weg ist schlecht.</p><lb/>
        <p>Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade¬<lb/>
breche? Dass ich schon dir rathe? Aber wisse, ich<lb/>
bin's, der hässlichste Mensch,</p><lb/>
        <p>&#x2014; der auch die grössten schwersten Füsse hat.<lb/>
Wo <hi rendition="#g">ich</hi> gieng, ist der Weg schlecht. Ich trete alle<lb/>
Wege todt und zu Schanden.</p><lb/>
        <p>Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend;<lb/>
dass du erröthetest, ich sah es wohl: daran erkannte<lb/>
ich dich als Zarathustra.</p><lb/>
        <p>Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zuge¬<lb/>
worfen, sein Mitleiden, mit Blick und Rede. Aber<lb/>
dazu &#x2014; bin ich nicht Bettler genug, das erriethest<lb/>
du &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; dazu bin ich zu <hi rendition="#g">reich</hi>, reich an Grossem, an<lb/>
Furchtbarem, am Hässlichsten, am Unaussprechlichsten!<lb/>
Deine Scham, oh Zarathustra, <hi rendition="#g">ehrte</hi> mich!</p><lb/>
        <p>Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der<lb/>
Mitleidigen, &#x2014; dass ich den Einzigen fände, der heute<lb/>
lehrt &#x201E;Mitleiden ist zudringlich&#x201C; &#x2014; dich, oh Zarathustra!</p><lb/>
        <p>&#x2014; sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mit¬<lb/>
leiden: Mitleiden geht gegen die Scham. Und nicht-<lb/>
helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend,<lb/>
die zuspringt.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Das</hi> aber heisst heute Tugend selber bei allen<lb/>
kleinen Leuten, das Mitleiden: &#x2014; die haben keine Ehr¬<lb/>
furcht vor grossem Unglück, vor grosser Hässlichkeit,<lb/>
vor grossem Missrathen.</p><lb/>
        <p>Über diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0052] ihn tödtete. Bleib! Und willst du gehn, du Un¬ geduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. Der Weg ist schlecht. Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade¬ breche? Dass ich schon dir rathe? Aber wisse, ich bin's, der hässlichste Mensch, — der auch die grössten schwersten Füsse hat. Wo ich gieng, ist der Weg schlecht. Ich trete alle Wege todt und zu Schanden. Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend; dass du erröthetest, ich sah es wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra. Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zuge¬ worfen, sein Mitleiden, mit Blick und Rede. Aber dazu — bin ich nicht Bettler genug, das erriethest du — — dazu bin ich zu reich, reich an Grossem, an Furchtbarem, am Hässlichsten, am Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra, ehrte mich! Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der Mitleidigen, — dass ich den Einzigen fände, der heute lehrt „Mitleiden ist zudringlich“ — dich, oh Zarathustra! — sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mit¬ leiden: Mitleiden geht gegen die Scham. Und nicht- helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend, die zuspringt. Das aber heisst heute Tugend selber bei allen kleinen Leuten, das Mitleiden: — die haben keine Ehr¬ furcht vor grossem Unglück, vor grosser Hässlichkeit, vor grossem Missrathen. Über diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/52
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/52>, abgerufen am 21.11.2024.