Allgemeine Zeitung, Nr. 3, 3. Januar 1872.Allgemeine Zeitung. Nr. 3. Augsburg, Mittwoch, 3 Januar 1872.Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen. Zur Nachricht. Hierdurch die ergebene Mittheilung daß wir der Buchhandlung W. Adolf & Comp. (H. Hengst) in Berlin. 58, Unter den Linden, eine Agentur zur Annahme von Inseraten und Abounements für Berlin und Umgegend übertragen haben. Expedition der Allgemeinen Zeilung. Uebersicht. Rückblicke auf die zweite Session des ersten Deutschen Reichs- tags. V. Das Project zur Durchführung des rumänischen Gisenbahu-gesetzes. Deutsches Reich. Berlin: Vom Hof. Ordensverleihung. Die confessionelle Gesetzgebung. Plenarsitzung des Bundesraths. Das Eisenbahn-Bataillon. Marine-Recrutirung. Die Berliner Polizei. Posen: Polnische Reminiscenzen und Gegenmittel. Oesterreichisch-ungarische Monarchie. Aus Oesterreich: Rückblicke und Ausblicke. Die Thronrede und die Ultramontanen. Wien: Das Ministe- rium und seine Action. Die Preßleitung und die Stimmung. Triest: Engher- zigkeit der Italiener in Triest. Der Vertrag der Regierung mit dem Lloyd. Die Entwicklung der russischen Dampfschifffahrt im Süden. Eine Mahnung. Pest: Die neue Gerichtsorganisation. Schweiz. Bern: Das Revisionswerk. Rheincorrection. Die Abstimmung in Graubünden über die Splügenbahn-Subvention. Mazzini. Graf Chambord. Rüstow. Mina Puccinelli. Berner Assisen. Großbritannien. Die Note des Fürsten Bismarck. Zur Eröffnung des öster- reichischen Reichsraths. Frankreich. Officielles Diner. Kundmachung. Bictor Hugo. Tolhausen und Gramont. Gambetta auf Reisen. Akademiewahlen. Die Vorgänge in Vitry. Der Herzog v. Aumale und sein Intendant. Bank und Akademie. Nizza: Die hiesigen Deutschen. Fehlen eines Consuls. Italien. Rom: Die Volkszählung in Rom. Ver. Staaten von Nordamerika. San Francisco: Die japanische Gesandtschaft. Südamerika. Callao: General und Ex-Dictator Melgarejo +. Verschiedenes. Industrie, Handel und Verkehr. Neueste Posten. London: Prinz von Wales. Budget-Ueberschuß. Die "Times" über Deutschland. König von Siam. Paris: Bischof Dupanloup. Rom: Neujahrsempfang. [Spaltenumbruch]
Telegraphische Berichte. 1 München, 2 Jan. Prof. Friedrich reiste heute nach Amberg um dort (*) Versailles, 1 Jan. Hr. Thiers empfieng heute Mittags die Glück- (*) Rom, 1 Jan. Auf Befehl des Königs begab sich der k. Adjutant Industrie, Handel und Verkehr. London, 1 Jan. Nach einer hier erschienenen Bekanntmachung haben die In- Aus Rom wird berichtet daß die italienische Nationalbank bei der Re- (Washingtoner Stadtanleihe.) Wie Frankfurter Blätter vernehmen, sollen K. Erfurt, 30 Der. Seit den letzten Tagen vergangener Woche haben wir Rückblicke auf die zweite Session des ersten Deutschen [] Berlin, Ende Decembers.Reichstags. V. So viel auch das vom letzten Reichstag Als das vom 1 künft. Mts. an für das ganze Deutsche Reich gültige Straf- Treu ihrem Programm zog die liberale Reichspartei, in welcher überdieß Die Frage der Einführung der Civilehe war damit, da die Vertreter Bayerns Allgemeine Zeitung. Nr. 3. Augsburg, Mittwoch, 3 Januar 1872.Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Goſen. Zur Nachricht. Hierdurch die ergebene Mittheilung daß wir der Buchhandlung W. Adolf & Comp. (H. Hengſt) in Berlin. 58, Unter den Linden, eine Agentur zur Annahme von Inſeraten und Abounements für Berlin und Umgegend übertragen haben. Expedition der Allgemeinen Zeilung. Ueberſicht. Rückblicke auf die zweite Seſſion des erſten Deutſchen Reichs- tags. V. Das Project zur Durchführung des rumäniſchen Giſenbahu-geſetzes. Deutſches Reich. Berlin: Vom Hof. Ordensverleihung. Die confeſſionelle Geſetzgebung. Plenarſitzung des Bundesraths. Das Eiſenbahn-Bataillon. Marine-Recrutirung. Die Berliner Polizei. Poſen: Polniſche Reminiſcenzen und Gegenmittel. Oeſterreichiſch-ungariſche Monarchie. Aus Oeſterreich: Rückblicke und Ausblicke. Die Thronrede und die Ultramontanen. Wien: Das Miniſte- rium und ſeine Action. Die Preßleitung und die Stimmung. Trieſt: Engher- zigkeit der Italiener in Trieſt. Der Vertrag der Regierung mit dem Lloyd. Die Entwicklung der ruſſiſchen Dampfſchifffahrt im Süden. Eine Mahnung. Peſt: Die neue Gerichtsorganiſation. Schweiz. Bern: Das Reviſionswerk. Rheincorrection. Die Abſtimmung in Graubünden über die Splügenbahn-Subvention. Mazzini. Graf Chambord. Rüſtow. Mina Puccinelli. Berner Aſſiſen. Großbritannien. Die Note des Fürſten Bismarck. Zur Eröffnung des öſter- reichiſchen Reichsraths. Frankreich. Officielles Diner. Kundmachung. Bictor Hugo. Tolhauſen und Gramont. Gambetta auf Reiſen. Akademiewahlen. Die Vorgänge in Vitry. Der Herzog v. Aumale und ſein Intendant. Bank und Akademie. Nizza: Die hieſigen Deutſchen. Fehlen eines Conſuls. Italien. Rom: Die Volkszählung in Rom. Ver. Staaten von Nordamerika. San Francisco: Die japaniſche Geſandtſchaft. Südamerika. Callao: General und Ex-Dictator Melgarejo †. Verſchiedenes. Induſtrie, Handel und Verkehr. Neueſte Poſten. London: Prinz von Wales. Budget-Ueberſchuß. Die „Times“ über Deutſchland. König von Siam. Paris: Biſchof Dupanloup. Rom: Neujahrsempfang. [Spaltenumbruch]
Telegraphiſche Berichte. 1 München, 2 Jan. Prof. Friedrich reiste heute nach Amberg um dort (*) Verſailles, 1 Jan. Hr. Thiers empfieng heute Mittags die Glück- (*) Rom, 1 Jan. Auf Befehl des Königs begab ſich der k. Adjutant Induſtrie, Handel und Verkehr. London, 1 Jan. Nach einer hier erſchienenen Bekanntmachung haben die In- Aus Rom wird berichtet daß die italieniſche Nationalbank bei der Re- (Waſhingtoner Stadtanleihe.) Wie Frankfurter Blätter vernehmen, ſollen K. Erfurt, 30 Deꝛ. Seit den letzten Tagen vergangener Woche haben wir Rückblicke auf die zweite Seſſion des erſten Deutſchen [] Berlin, Ende Decembers.Reichstags. V. So viel auch das vom letzten Reichstag Als das vom 1 künft. Mts. an für das ganze Deutſche Reich gültige Straf- Treu ihrem Programm zog die liberale Reichspartei, in welcher überdieß Die Frage der Einführung der Civilehe war damit, da die Vertreter Bayerns <TEI> <text> <pb facs="#f0001"/><lb/> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung.</hi> </titlePart><lb/> <titlePart type="volume"> <hi rendition="#b">Nr. 3. </hi> </titlePart> </docTitle> <docImprint> <pubPlace> <hi rendition="#b">Augsburg,</hi> </pubPlace> <docDate> <hi rendition="#b"> Mittwoch, 3 Januar 1872.</hi> </docDate><lb/> <publisher>Verlag der J. G. <hi rendition="#g">Cotta</hi>’ſchen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: <hi rendition="#aq">Dr.</hi> J. v. <hi rendition="#g">Goſen.</hi></publisher> </docImprint> </titlePage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jExpedition" n="1"> <head>Zur Nachricht. 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Thiers empfieng heute Mittags die Glück-<lb/> wünſche des diplomatiſchen Corps. Eine Anſprache wurde nicht gehalten. Graf<lb/> Arnim, welcher hier ſeine Beglaubigungsſchreiben noch nicht überreicht hat und<lb/> ſeines Geſandtenpoſtens in Rom noch nicht enthoben iſt, war bei dem Empfange nicht<lb/> zugegen. Bereits geſtern tauſchte Hr. Thiers Gratulationsbeſuche mit dem Prä-<lb/> ſidium der Nationalverſammlung aus, und nahm alsdann die Glückwünſche von<lb/> zahlreichen Abgeordneten aller Parteien entgegen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>(*) <hi rendition="#b">Rom,</hi> 1 Jan.</dateline><lb/> <p>Auf Befehl des Königs begab ſich der k. Adjutant<lb/> General Pralormo, von einem Ordonnanzofficier begleitet, zur Beglückwünſchung<lb/> des Papſtes im Namen des Königs in den Vatican. Der General wurde vom<lb/> Cardinal Antonelli empfangen, welcher erklärte: der Papſt könne ihn wegen eines<lb/> leichten Unwohlſeins nicht empfangen; er werde aber dem Papſte die freundliche<lb/> Botſchaft des Königs übermitteln. Antonelli bat den General Pralormo dem<lb/> König zu danken, und demſelben den Ausdruck ſeiner Ehrerbietung zu überbringen.<lb/> — In Folge einer neuen Municipalverfügung haben ſämmtliche Kutſcher die Ar-<lb/> beit eingeſtellt.</p> </div> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jFinancialNews" n="1"> <div n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Induſtrie, Handel und Verkehr.</hi> </hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">London,</hi> 1 Jan.</dateline><lb/> <p>Nach einer hier erſchienenen Bekanntmachung haben die <hi rendition="#g">In-<lb/> haber 5 procentiger türkiſcher Bonds,</hi> welche die Bezahlung der Zinſen des<lb/> letzten Semeſters an einem europäiſchen Platze zu erhalten wünſchen, hievon eine der<lb/> Agenturen der kaiſerlich osmaniſchen Bank bis zum 9 Febrnar zu verſtändigen. (T. N.)</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>Aus <hi rendition="#b">Rom</hi> wird berichtet daß die <hi rendition="#g">italieniſche Nationalbank</hi> bei der Re-<lb/> gierung um Erhöhung ihres Capitals von 100 auf 150 Mill, eingekommen iſt. Die<lb/> Emiſſion der neuen Actien wird zu 2000 Frcs, nämlich mit einer Prämie von 1000 Frcs.,<lb/> geſchehen, und die derzeitigen Actionäre haben den Vorzug. Die Hälfte der Prämie,<lb/> 500 Frcs. per Actie, wird dem Aerar zugewieſen werden, dem dadurch eine Einnahme<lb/> von 25 Millionen erwächst.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <argument> <p>(<hi rendition="#g">Waſhingtoner Stadtanleihe.</hi>)</p> </argument><lb/> <p>Wie Frankfurter Blätter vernehmen, ſollen<lb/> die 6proc. Goldobligationen der Stadt Waſhington am 11 Januar zu etwa 92 Proc. durch<lb/> die Oeſterreichiſch-deutſche Bank und die HH. Seligman und Stettheuner zur Emiſſion<lb/> gelaugen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#aq">K.</hi><hi rendition="#b">Erfurt,</hi> 30 Deꝛ.</dateline><lb/> <p>Seit den letzten Tagen vergangener Woche haben wir<lb/> mäßiges Froſtwetter. Wie gewöhnlich um die Zeit der Feſttage waren die Marktzuſnhren<lb/> nur geringfügig, weßhalb der Berkehr keine Ausdehnung gewinnen konnte. Preiſe ſind ohne<lb/> weſentliche Aenderung zu notiren. Weizen per Wiſpel 79½—85 Thlr. (1000 Kilogr. = 2000 Pfd.<lb/> Netto 78⅚—84⅓ Thlr), Roggen per W. 60—63½ Thlr. (1000 Kilogr. = 2000 Pfd.<lb/> Netto 60¼—63¾ Thlr), Gerſte per W. 46—51 Thlr. (1000 Kilogr. = 2000 Pfd. Netto<lb/> 52½—58¼ Thlr.), Hafer per W. 28½—29½ Thlr. (1000 Kilogr. = 2000 Pfd. Netto<lb/> 48½—50¼ Thlr.), Linſen per 100 Pfd. 3½—4¼ Thlr. (100 Kilogr. = 200 Pf. Netto<lb/><cb/> 7—8½ Thlr.), Erbſen per 100 Pfd 2⅔—4 Thlr. (100 Kilogr = 200 Pfd. Netto<lb/> 5⅓—8 Thlr.), Bohnen, weiße, per 100 Pfd. 3⅚—4⅓ Thlr. (100 Kilogr. = 200 Pfd.<lb/> Petto 7⅔—8⅔ Thlr.), Viehbohnen per 100 Pfd. 2⅔—2¾ Thlr. (100 Kilogr. = 200<lb/> Nfd. Netto 5¼—5½ Thlr.)</p> </div> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Rückblicke auf die zweite Seſſion des erſten Deutſchen<lb/> Reichstags.</hi> </hi><lb/> <hi rendition="#aq">V.</hi> </head><lb/> <dateline><supplied>&#xfffc;</supplied><hi rendition="#b">Berlin,</hi> Ende Decembers.</dateline><lb/> <p>So viel auch das vom letzten Reichstag<lb/> beſchloſſene Ergänzungsgeſetz zum Strafgeſetzbuch beſprochen iſt, ſo iſt doch die<lb/> eigentliche Geſchichte des berühmten §. 130 a nur in engeren Kreiſen bekannt ge-<lb/> worden. Es wird daher vorausſichtlich für die Leſer von größerem Intereſſe ſein<lb/> wenn ich ihnen erzähle was darüber zu meiner Kunde gelangt iſt, als wenn ich<lb/> die für und gegen das Geſetz geltend gemachten Gründe hier noch einmal er-<lb/> örtern wollte.</p><lb/> <p>Als das vom 1 künft. Mts. an für das ganze Deutſche Reich gültige Straf-<lb/> geſetzbuch zuerſt entworfen und im Norddeutſchen Reichstage berathen wurde, gab<lb/> es noch kein Dogma vom 18 Juli 1870, und es lag keine Veranlaſſung vor Straf-<lb/> beſtimmungen gegen den Mißbrauch des geiſtlichen Amts in dasſelbe aufzunehmen.<lb/> Auch als der erſte Deutſche Reichstag im Frühjahr d. J. über die Einführung des<lb/> Strafgeſetzbuchs in Bayern Beſchluß zu faſſen hatte, war ein entſchiedenes Be-<lb/> dürfniß für die Aufnahme ſolcher Beſtimmungen noch nicht hervorgetreten, und<lb/> man glaubte das Vertrauen hegen zu dürfen daß die höhere katholiſche Geiſtlichkeit<lb/> Agitationen des niedern Klerus, wie ſie bei verſchiedenen Wahlprüfungen zur<lb/> Sprache gekommen waren, aus freien Stücken im Intereſſe der Kirche für die Zu-<lb/> kunft vorbeugen werde. Anders ſtanden die Sachen als der Reichstag im October<lb/> zu ſeiner zweiten Seſſion zuſammentrat. Das neue Dogma von der Unfehlbarkeit<lb/> hatte angefangen den Frieden zwiſchen Staat und Kirche zu gefährden. Fälle in<lb/> welchen die geiſtliche Amtsgewalt zu Angriffen auf die öffentliche Ordnung miß-<lb/> braucht wurde, waren in mehreren Bundesſtaaten, vor allen in Bayern, vorge-<lb/> kommen, und wenige Tage ſpäter wurde jenes officielle Schreiben des Biſchofs von<lb/> Eichſtädt bekannt, in welchem offen ausgeſprochen war: daß der Verfaſſungseid für<lb/> den Geiſtlichen die bindende Kraft verliere ſobald er mit dem Intereſſe der Kirche<lb/> in Widerſpruch trete. Das Gefühl, es bedürfe eingreifender Maßregeln zum Schutze<lb/> des Staats und ſeiner Angehörigen gegen die Uebergriffe und Angriffe der Kirche,<lb/> ward deßhalb ziemlich allgemein empfunden, und nur darüber mit welcher Maß-<lb/> regel zu beginnen ſei, giengen die Anſichten der Mehrheit auseinander.</p><lb/> <p>Treu ihrem Programm zog die liberale Reichspartei, in welcher überdieß<lb/> das zum Hauptangriffsfelde der Ultramontanen auserſehene Bayern am ſtärkſten<lb/> vertreten iſt, dieſe Fragen zuerſt in den Kreis ihrer Berathungen. Sie beſchäftigte<lb/> ſich zunächſt — und zwar ſchon am 19 October — mit dem Nothſtande der durch<lb/> die in Folge des neuen Dogma’s vielfach vorgekommenen Verweigerungen der kirch-<lb/> lichen Trauung in Bayern hervorgerufen war, und glaubte Abhülfe in ein em An-<lb/> trag auf allgemeine Einführung der obligatoriſchen Eivilehe zu finden. Da ein<lb/> ſolcher Antrag eine Verfaſſungsänderung involvirte, beſchloß man vorläuſig mit<lb/> den anderen Fractionen darüber in Communication zu treten und die Stimmung<lb/> des Bundesraths zu ſondiren. Die ſich anfangs in der nationalliberalen Partei<lb/> zeigende Geneigtheit auf die Sache einzugehen, hielt nicht lange vor. Man erklärte<lb/> ſich den ſchon am 24 October bemerkbaren Stimmungswechſel wohl mit Recht<lb/> aus einer längeren Unterredung welche der Reichskanzler am Tage vorher im<lb/> Sitzungsſaale mit Hrn. v. Bennigſen gehalten hatte, zumal da jetzt die national-<lb/> liberale Fraction ihrerſeits die Erweiterung der Reichscompetenz auf die Geſetz-<lb/> gebung über das geſammte bürgerliche Recht als einen vorbereitenden Schritt auf<lb/> die Einführung der obligatoriſchen Civilehe in Anregung brachte. Trotz gewichtiger<lb/> Bedenken ob die Civilehe-Frage durch eine ſolche Aenderung der Nr. 13 des Art. 4<lb/> der Verfaſſung nicht eher verzögert als erleichtert werden würde, konnten ſich die<lb/> andern liberalen Parteien nicht wohl entziehen dieſer Anregung Folge zu geben.<lb/> War doch derſelbe Antrag, nachdem er im conſtituirenden Reichstage 1867 durch-<lb/> gefallen war, bereits im Norddeutſchen Reichstag im Frühjahr 1869 mit großer<lb/> Mehrheit beſchloſſen worden, ohne jedoch damals die Zuſtimmung des Bundesraths zu<lb/> finden. Bereits am 30 October wurde denn auch dieſer, zwar von Mitgliedern<lb/> aller drei liberalen Parteien, ſowie der Deutſchen Reichspartei, geſtellte, aber nur<lb/> unter dem Namen Lasker-Miquel bekannt gewordene Antrag, mit nicht weniger<lb/> als 167 Unterſchriften verſehen — nur die Conſervativen und das Centrum hatten<lb/> ſich jeder Betheiligung daran enthalten — eingebracht.</p><lb/> <p>Die Frage der Einführung der Civilehe war damit, da die Vertreter Bayerns<lb/> im Bundesrathe ſich nicht veranlaßt ſahen ihrerſeits die Initiative zu ergreifen,<lb/> vorläufig beſeitigt. Die Beaufſichtigung der Schule konnte der Geiſtlichkeit wegen<lb/> mangelnder Competenz vom Reichstage nicht entzogen werden. Beide Maßregeln<lb/> würden ohnehin keine unmittelbare Abwehr der klerikalen Verſuche die Autorität<lb/> des Staats zu untergraben zur Folge gehabt haben. Es galt ein anderes „Boll-<lb/> werk“ gegen die Angriffe der Ultramontanen zu finden. Da ſtellte <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Marquard<lb/> Barth, nach Verabredung mit Fiſcher (Augsburg), v. Hörmann, <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Völk<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0001]
Allgemeine Zeitung.
Nr. 3. Augsburg, Mittwoch, 3 Januar 1872.
Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Goſen.
Zur Nachricht. Hierdurch die ergebene Mittheilung daß wir der Buchhandlung W. Adolf & Comp. (H. Hengſt) in Berlin. 58, Unter den Linden, eine Agentur
zur Annahme von Inſeraten und Abounements für Berlin und Umgegend übertragen haben. Expedition der Allgemeinen Zeilung.
Ueberſicht.
Rückblicke auf die zweite Seſſion des erſten Deutſchen Reichs-
tags. V.
Das Project zur Durchführung des rumäniſchen Giſenbahu-geſetzes.
Deutſches Reich. Berlin: Vom Hof. Ordensverleihung. Die confeſſionelle
Geſetzgebung. Plenarſitzung des Bundesraths. Das Eiſenbahn-Bataillon.
Marine-Recrutirung. Die Berliner Polizei. Poſen: Polniſche Reminiſcenzen
und Gegenmittel.
Oeſterreichiſch-ungariſche Monarchie. Aus Oeſterreich: Rückblicke
und Ausblicke. Die Thronrede und die Ultramontanen. Wien: Das Miniſte-
rium und ſeine Action. Die Preßleitung und die Stimmung. Trieſt: Engher-
zigkeit der Italiener in Trieſt. Der Vertrag der Regierung mit dem Lloyd. Die
Entwicklung der ruſſiſchen Dampfſchifffahrt im Süden. Eine Mahnung. Peſt:
Die neue Gerichtsorganiſation.
Schweiz. Bern: Das Reviſionswerk. Rheincorrection. Die Abſtimmung in
Graubünden über die Splügenbahn-Subvention. Mazzini. Graf Chambord.
Rüſtow. Mina Puccinelli. Berner Aſſiſen.
Großbritannien. Die Note des Fürſten Bismarck. Zur Eröffnung des öſter-
reichiſchen Reichsraths.
Frankreich. Officielles Diner. Kundmachung. Bictor Hugo. Tolhauſen und
Gramont. Gambetta auf Reiſen. Akademiewahlen. Die Vorgänge in Vitry.
Der Herzog v. Aumale und ſein Intendant. Bank und Akademie. Nizza: Die
hieſigen Deutſchen. Fehlen eines Conſuls.
Italien. Rom: Die Volkszählung in Rom.
Ver. Staaten von Nordamerika. San Francisco: Die japaniſche
Geſandtſchaft.
Südamerika. Callao: General und Ex-Dictator Melgarejo †.
Verſchiedenes.
Induſtrie, Handel und Verkehr.
Neueſte Poſten. London: Prinz von Wales. Budget-Ueberſchuß. Die
„Times“ über Deutſchland. König von Siam. Paris: Biſchof Dupanloup.
Rom: Neujahrsempfang.
Telegraphiſche Berichte.
1 München, 2 Jan.
Prof. Friedrich reiste heute nach Amberg um dort
das Begräbniß eines Altkatholiken vorzunehmen, und wird morgen den Trauer-
gottesdienſt in der vom Amberger Magiſtrat eingeräumten dortigen Spitalkirche
abhalten. Das katholiſche Stadtpfarramt Amberg proteſtirte, die Negierung ge-
nehmigte jedoch die öffentliche Feier des altkatholiſchen Begräbniſſes.
(*) Verſailles, 1 Jan.
Hr. Thiers empfieng heute Mittags die Glück-
wünſche des diplomatiſchen Corps. Eine Anſprache wurde nicht gehalten. Graf
Arnim, welcher hier ſeine Beglaubigungsſchreiben noch nicht überreicht hat und
ſeines Geſandtenpoſtens in Rom noch nicht enthoben iſt, war bei dem Empfange nicht
zugegen. Bereits geſtern tauſchte Hr. Thiers Gratulationsbeſuche mit dem Prä-
ſidium der Nationalverſammlung aus, und nahm alsdann die Glückwünſche von
zahlreichen Abgeordneten aller Parteien entgegen.
(*) Rom, 1 Jan.
Auf Befehl des Königs begab ſich der k. Adjutant
General Pralormo, von einem Ordonnanzofficier begleitet, zur Beglückwünſchung
des Papſtes im Namen des Königs in den Vatican. Der General wurde vom
Cardinal Antonelli empfangen, welcher erklärte: der Papſt könne ihn wegen eines
leichten Unwohlſeins nicht empfangen; er werde aber dem Papſte die freundliche
Botſchaft des Königs übermitteln. Antonelli bat den General Pralormo dem
König zu danken, und demſelben den Ausdruck ſeiner Ehrerbietung zu überbringen.
— In Folge einer neuen Municipalverfügung haben ſämmtliche Kutſcher die Ar-
beit eingeſtellt.
Induſtrie, Handel und Verkehr.
London, 1 Jan.
Nach einer hier erſchienenen Bekanntmachung haben die In-
haber 5 procentiger türkiſcher Bonds, welche die Bezahlung der Zinſen des
letzten Semeſters an einem europäiſchen Platze zu erhalten wünſchen, hievon eine der
Agenturen der kaiſerlich osmaniſchen Bank bis zum 9 Febrnar zu verſtändigen. (T. N.)
Aus Rom wird berichtet daß die italieniſche Nationalbank bei der Re-
gierung um Erhöhung ihres Capitals von 100 auf 150 Mill, eingekommen iſt. Die
Emiſſion der neuen Actien wird zu 2000 Frcs, nämlich mit einer Prämie von 1000 Frcs.,
geſchehen, und die derzeitigen Actionäre haben den Vorzug. Die Hälfte der Prämie,
500 Frcs. per Actie, wird dem Aerar zugewieſen werden, dem dadurch eine Einnahme
von 25 Millionen erwächst.
(Waſhingtoner Stadtanleihe.)
Wie Frankfurter Blätter vernehmen, ſollen
die 6proc. Goldobligationen der Stadt Waſhington am 11 Januar zu etwa 92 Proc. durch
die Oeſterreichiſch-deutſche Bank und die HH. Seligman und Stettheuner zur Emiſſion
gelaugen.
K. Erfurt, 30 Deꝛ.
Seit den letzten Tagen vergangener Woche haben wir
mäßiges Froſtwetter. Wie gewöhnlich um die Zeit der Feſttage waren die Marktzuſnhren
nur geringfügig, weßhalb der Berkehr keine Ausdehnung gewinnen konnte. Preiſe ſind ohne
weſentliche Aenderung zu notiren. Weizen per Wiſpel 79½—85 Thlr. (1000 Kilogr. = 2000 Pfd.
Netto 78⅚—84⅓ Thlr), Roggen per W. 60—63½ Thlr. (1000 Kilogr. = 2000 Pfd.
Netto 60¼—63¾ Thlr), Gerſte per W. 46—51 Thlr. (1000 Kilogr. = 2000 Pfd. Netto
52½—58¼ Thlr.), Hafer per W. 28½—29½ Thlr. (1000 Kilogr. = 2000 Pfd. Netto
48½—50¼ Thlr.), Linſen per 100 Pfd. 3½—4¼ Thlr. (100 Kilogr. = 200 Pf. Netto
7—8½ Thlr.), Erbſen per 100 Pfd 2⅔—4 Thlr. (100 Kilogr = 200 Pfd. Netto
5⅓—8 Thlr.), Bohnen, weiße, per 100 Pfd. 3⅚—4⅓ Thlr. (100 Kilogr. = 200 Pfd.
Petto 7⅔—8⅔ Thlr.), Viehbohnen per 100 Pfd. 2⅔—2¾ Thlr. (100 Kilogr. = 200
Nfd. Netto 5¼—5½ Thlr.)
Rückblicke auf die zweite Seſſion des erſten Deutſchen
Reichstags.
V.
 Berlin, Ende Decembers.
So viel auch das vom letzten Reichstag
beſchloſſene Ergänzungsgeſetz zum Strafgeſetzbuch beſprochen iſt, ſo iſt doch die
eigentliche Geſchichte des berühmten §. 130 a nur in engeren Kreiſen bekannt ge-
worden. Es wird daher vorausſichtlich für die Leſer von größerem Intereſſe ſein
wenn ich ihnen erzähle was darüber zu meiner Kunde gelangt iſt, als wenn ich
die für und gegen das Geſetz geltend gemachten Gründe hier noch einmal er-
örtern wollte.
Als das vom 1 künft. Mts. an für das ganze Deutſche Reich gültige Straf-
geſetzbuch zuerſt entworfen und im Norddeutſchen Reichstage berathen wurde, gab
es noch kein Dogma vom 18 Juli 1870, und es lag keine Veranlaſſung vor Straf-
beſtimmungen gegen den Mißbrauch des geiſtlichen Amts in dasſelbe aufzunehmen.
Auch als der erſte Deutſche Reichstag im Frühjahr d. J. über die Einführung des
Strafgeſetzbuchs in Bayern Beſchluß zu faſſen hatte, war ein entſchiedenes Be-
dürfniß für die Aufnahme ſolcher Beſtimmungen noch nicht hervorgetreten, und
man glaubte das Vertrauen hegen zu dürfen daß die höhere katholiſche Geiſtlichkeit
Agitationen des niedern Klerus, wie ſie bei verſchiedenen Wahlprüfungen zur
Sprache gekommen waren, aus freien Stücken im Intereſſe der Kirche für die Zu-
kunft vorbeugen werde. Anders ſtanden die Sachen als der Reichstag im October
zu ſeiner zweiten Seſſion zuſammentrat. Das neue Dogma von der Unfehlbarkeit
hatte angefangen den Frieden zwiſchen Staat und Kirche zu gefährden. Fälle in
welchen die geiſtliche Amtsgewalt zu Angriffen auf die öffentliche Ordnung miß-
braucht wurde, waren in mehreren Bundesſtaaten, vor allen in Bayern, vorge-
kommen, und wenige Tage ſpäter wurde jenes officielle Schreiben des Biſchofs von
Eichſtädt bekannt, in welchem offen ausgeſprochen war: daß der Verfaſſungseid für
den Geiſtlichen die bindende Kraft verliere ſobald er mit dem Intereſſe der Kirche
in Widerſpruch trete. Das Gefühl, es bedürfe eingreifender Maßregeln zum Schutze
des Staats und ſeiner Angehörigen gegen die Uebergriffe und Angriffe der Kirche,
ward deßhalb ziemlich allgemein empfunden, und nur darüber mit welcher Maß-
regel zu beginnen ſei, giengen die Anſichten der Mehrheit auseinander.
Treu ihrem Programm zog die liberale Reichspartei, in welcher überdieß
das zum Hauptangriffsfelde der Ultramontanen auserſehene Bayern am ſtärkſten
vertreten iſt, dieſe Fragen zuerſt in den Kreis ihrer Berathungen. Sie beſchäftigte
ſich zunächſt — und zwar ſchon am 19 October — mit dem Nothſtande der durch
die in Folge des neuen Dogma’s vielfach vorgekommenen Verweigerungen der kirch-
lichen Trauung in Bayern hervorgerufen war, und glaubte Abhülfe in ein em An-
trag auf allgemeine Einführung der obligatoriſchen Eivilehe zu finden. Da ein
ſolcher Antrag eine Verfaſſungsänderung involvirte, beſchloß man vorläuſig mit
den anderen Fractionen darüber in Communication zu treten und die Stimmung
des Bundesraths zu ſondiren. Die ſich anfangs in der nationalliberalen Partei
zeigende Geneigtheit auf die Sache einzugehen, hielt nicht lange vor. Man erklärte
ſich den ſchon am 24 October bemerkbaren Stimmungswechſel wohl mit Recht
aus einer längeren Unterredung welche der Reichskanzler am Tage vorher im
Sitzungsſaale mit Hrn. v. Bennigſen gehalten hatte, zumal da jetzt die national-
liberale Fraction ihrerſeits die Erweiterung der Reichscompetenz auf die Geſetz-
gebung über das geſammte bürgerliche Recht als einen vorbereitenden Schritt auf
die Einführung der obligatoriſchen Civilehe in Anregung brachte. Trotz gewichtiger
Bedenken ob die Civilehe-Frage durch eine ſolche Aenderung der Nr. 13 des Art. 4
der Verfaſſung nicht eher verzögert als erleichtert werden würde, konnten ſich die
andern liberalen Parteien nicht wohl entziehen dieſer Anregung Folge zu geben.
War doch derſelbe Antrag, nachdem er im conſtituirenden Reichstage 1867 durch-
gefallen war, bereits im Norddeutſchen Reichstag im Frühjahr 1869 mit großer
Mehrheit beſchloſſen worden, ohne jedoch damals die Zuſtimmung des Bundesraths zu
finden. Bereits am 30 October wurde denn auch dieſer, zwar von Mitgliedern
aller drei liberalen Parteien, ſowie der Deutſchen Reichspartei, geſtellte, aber nur
unter dem Namen Lasker-Miquel bekannt gewordene Antrag, mit nicht weniger
als 167 Unterſchriften verſehen — nur die Conſervativen und das Centrum hatten
ſich jeder Betheiligung daran enthalten — eingebracht.
Die Frage der Einführung der Civilehe war damit, da die Vertreter Bayerns
im Bundesrathe ſich nicht veranlaßt ſahen ihrerſeits die Initiative zu ergreifen,
vorläufig beſeitigt. Die Beaufſichtigung der Schule konnte der Geiſtlichkeit wegen
mangelnder Competenz vom Reichstage nicht entzogen werden. Beide Maßregeln
würden ohnehin keine unmittelbare Abwehr der klerikalen Verſuche die Autorität
des Staats zu untergraben zur Folge gehabt haben. Es galt ein anderes „Boll-
werk“ gegen die Angriffe der Ultramontanen zu finden. Da ſtellte Dr. Marquard
Barth, nach Verabredung mit Fiſcher (Augsburg), v. Hörmann, Dr. Völk
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(2022-03-29T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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