Allgemeine Zeitung, Nr. 3, 3. Januar 1872.Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Nr. 3. Mittwoch, 3 Januar 1872.Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen. Correspondenzen sind an die Redaction, Inserate an die Expedition der Allgemeinen Zeitung franco zu richten. Insertionspreis nach aufliegendem Tarif. [Spaltenumbruch] Uebersicht. Byron und Tennyson. -- Die dritte allgemeine Conferenz und der gegenwärtige Stand der europäischen Gradmessung. (II. Schluß.) -- Pietro Conticini. (Ne- krolog.) -- Niederland. Haag: Zur politischen Lage. Aus den Kammern. Kunstausstellung. Personalien. Aus den Colonien. Moerdyk-Brücke. -- Frank- reich. Paris: Rückblick. Neueste Posten. München: Vom Hof. Aus dem fünften Ausschuß der Kammer der Abgeordneten. Berlin: Der Jahresschluß. London: Der Prinz von Wales. Madrid: Dementi. Aus Cuba. Washington: Schulden- tilgung. Telegraphische Berichte. * Berlin, 2 Jan. Der Kaiser entband den Grafen Roon auf Wunsch * Berlin, 2 Jan. Der "Börsencourier," dessen Redacteur Mitglied des * Wien, 2 Jan. Nach einem Telegramm der "N. Fr. Pr." aus Kon- * Frankfurt a. M., 2 Jan. Eröffnungscurse. Oesterr. Creditactien 3331/2, (*) Frankfurt a. M., 2 Jan. Schlußcurse. Bayer. 5proc. Aul. v. 1870 * Frankfurt a. M., 2 Jan. Nachbörse. Oesterr. Creditactien 3323/4, Staats- * Frankfurt a. M., 2 Jan. Schlußnotirungen. (Ergänzungsdepesche.) Staats- * Frankfurt a. M., 2 Jan. Abend-Effectensocietät. 1882er Amerikaner Bonds (*) Köln, 2 Jan. Productenmarkt. (Schlußbericht.) Wetter: schwacher Frost. (*) Hamburg, 2 Jan. Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen loco geschäftslos, Byron und Tennyson. D. A. So lautet die Ueberschrift einer Abhandlung in dem letzten "Quarterly- Man wird nach dem oben erwähnten Artikel und nach dem Vorgang Elze's Tennysons Dichtungen machen nie den Eindruck des Natürlichen, Spontanen, *) Einem künftigen englischen Gervinus dürfte es übrigens nicht schwer fallen nachzu-
weisen, weßhalb gerade der nüchterne, die häuslichen Tugenden feiernde Tennyson zum Modedichter der Engländer in den ersten dreißig Jahren der Regierung der Königm Victoria wurde. Er ist nämlich ebenso der Reflex des Geistes dieser Zeit und der dieser Periode angemessene Dichter, wie es Shakespeare der der Königin Elifabeth, Milton der Eromwells war, wie die Dramatiker der Restauration der Zügellosigkeit jener Zeit entsprechen und Byron und Shelley theils der Ausdruck des Revolutionsgeistes ihres Zeitalters und der darauf folgenden Weltschmerz- periode waren. D. E. Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Nr. 3. Mittwoch, 3 Januar 1872.Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Goſen. Correspondenzen sind an die Redaction, Inserate an die Expedition der Allgemeinen Zeitung franco zu richten. Insertionspreis nach aufliegendem Tarif. [Spaltenumbruch] Ueberſicht. Byron und Tennyſon. — Die dritte allgemeine Conferenz und der gegenwärtige Stand der europäiſchen Gradmeſſung. (II. Schluß.) — Pietro Conticini. (Ne- krolog.) — Niederland. Haag: Zur politiſchen Lage. Aus den Kammern. Kunſtausſtellung. Perſonalien. Aus den Colonien. Moerdyk-Brücke. — Frank- reich. Paris: Rückblick. Neueſte Poſten. München: Vom Hof. Aus dem fünften Ausſchuß der Kammer der Abgeordneten. Berlin: Der Jahresſchluß. London: Der Prinz von Wales. Madrid: Dementi. Aus Cuba. Waſhington: Schulden- tilgung. Telegraphiſche Berichte. * Berlin, 2 Jan. Der Kaiſer entband den Grafen Roon auf Wunſch * Berlin, 2 Jan. Der „Börſencourier,“ deſſen Redacteur Mitglied des * Wien, 2 Jan. Nach einem Telegramm der „N. Fr. Pr.“ aus Kon- * Frankfurt a. M., 2 Jan. Eröffnungscurſe. Oeſterr. Creditactien 333½, (*) Frankfurt a. M., 2 Jan. Schlußcurſe. Bayer. 5proc. Aul. v. 1870 * Frankfurt a. M., 2 Jan. Nachbörſe. Oeſterr. Creditactien 332¾, Staats- * Frankfurt a. M., 2 Jan. Schlußnotirungen. (Ergänzungsdepeſche.) Staats- * Frankfurt a. M., 2 Jan. Abend-Effectenſocietät. 1882er Amerikaner Bonds (*) Köln, 2 Jan. Productenmarkt. (Schlußbericht.) Wetter: ſchwacher Froſt. (*) Hamburg, 2 Jan. Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen loco geſchäftslos, Byron und Tennyſon. D. A. So lautet die Ueberſchrift einer Abhandlung in dem letzten „Quarterly- Man wird nach dem oben erwähnten Artikel und nach dem Vorgang Elze’s Tennyſons Dichtungen machen nie den Eindruck des Natürlichen, Spontanen, *) Einem künftigen engliſchen Gervinus dürfte es übrigens nicht ſchwer fallen nachzu-
weiſen, weßhalb gerade der nüchterne, die häuslichen Tugenden feiernde Tennyſon zum Modedichter der Engländer in den erſten dreißig Jahren der Regierung der Königm Victoria wurde. Er iſt nämlich ebenſo der Reflex des Geiſtes dieſer Zeit und der dieſer Periode angemeſſene Dichter, wie es Shakeſpeare der der Königin Elifabeth, Milton der Eromwells war, wie die Dramatiker der Reſtauration der Zügelloſigkeit jener Zeit entſprechen und Byron und Shelley theils der Ausdruck des Revolutionsgeiſtes ihres Zeitalters und der darauf folgenden Weltſchmerz- periode waren. D. E. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zur Allgemeinen Zeitung.</hi> </titlePart><lb/> <titlePart type="volume"> <hi rendition="#b">Nr. 3. </hi> </titlePart> </docTitle> <docImprint> <docDate> <hi rendition="#b"> Mittwoch, 3 Januar 1872.</hi> </docDate><lb/> <publisher>Verlag der J. 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Die für die heute fälligen<lb/> 4,700,000 Fr. nöthigen Fonds liegen ſchon jetzt bereit.“ (Vergl. die Bukareſter<lb/> Correſpondenz im heutigen Hauptblatt.)</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>* <hi rendition="#b">Wien,</hi> 2 Jan.</dateline><lb/> <p>Nach einem Telegramm der „N. Fr. Pr.“ aus Kon-<lb/> ſtantinopel empfieng der Sultan den bisherigen öſterreichiſch-ungariſchen Botſchaf-<lb/> ter Prokeſch-Oſten in langer Abſchiedsaudienz aufs herzlichſte und überreichte dem<lb/> Scheidenden perſönlich den Osmanie-Orden in Brillanten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>* <hi rendition="#b">Frankfurt a. M.,</hi> 2 Jan.</dateline><lb/> <p>Eröffnungscurſe. Oeſterr. Creditactien 333½,<lb/> Staatsbahn 395½, 1860er L. —, 1882er Amerikaner 96⅜, Lombarden 214, Silberrente<lb/> 62¼ Galizier —, Spanier —, Bankactien 836. Tendenz: feſt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>(*) <hi rendition="#b">Frankfurt a. 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Hafer geſchäftslos, Gerſte ſtill.</p><lb/> <trailer>Weitere telegraphiſche Curs- und Handelsberichte ſ. fünfte Seite.</trailer> </div> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jFeuilleton" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Byron und Tennyſon.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#aq">D. A.</hi> So lautet die Ueberſchrift einer Abhandlung in dem letzten „Quarterly-<lb/> Review,“ welche, an Karl Elze’s Buch über Lord Byron anknüpfend, die Verdienſte<lb/> beider Dichter gegen einander abwägt, und jedem ſeine ihm gebührende Stellung<lb/> anzuweiſen verſucht. Der Verfaſſer derſelben ſoll, nach den neueſten Nachrichten, der<lb/> Redacteur des „Quarterly,“ <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Smith, ſelbſt ſein; wir glaubten anfangs es wäre<lb/> Alfred Auſtin, der in ſeinem Buche <hi rendition="#aq">„The Poetry of the Period“</hi> dasſelbe Ur-<lb/> theil fällt wie <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Smith in gedachter Abhandlung. Es gibt uns dieſe letztere<lb/> Anlaß zu ſo mancherlei Betrachtungen, denen wir nicht umhin können hier Aus-<lb/> druck zu verleihen. In der literariſchen wie in der politiſchen Welt tritt uns wie-<lb/> derholt die Erſcheinung entgegen daß entweder die Gunſt des Glücks oder die <hi rendition="#aq">vox<lb/> populi,</hi> meiſtens beide zugleich, einen Namen emporhebt und ihn zum Götzen des<lb/> Tages macht, an dem, ſolang’ er in der Mode bleibt, keine Makel hafet, der ſeine<lb/> ganze Umgebung verdunkelt und alles überſtrahlt. Er iſt für den Augenblick der<lb/> Cäſar, „der die enge Welt beſchreitet wie ein Koloſſus, unter deſſen Rieſenbeinen<lb/> wir kleinen Leute wandeln und umherſchauen nach einem ſchnöden Grabe.“ Alles<lb/> was ein ſolcher Modeheld oder Günſtling des Glückes thut und ſchafft, wird vortrefflich<lb/> befunden; jede neue Leiſtung wird als eine neue Stufe der Vervollkommnung in ihm<lb/><cb/> begrüßt, und erregtimmer größere Bewunderung; er iſt Alleinherrſcher in ſeinem Reich,<lb/> und kein zweiter wird neben ihm genannt. Wehe, wenn der Ruf keine feſtere Be-<lb/> gründung hat als die Gunſt des Glücks oder den Volkshauch; denn dann dürfte<lb/> es leicht geſchehen — wenn auch nicht in jedem einzelnen Fall — daß der ſo Erho-<lb/> bene noch bei Lebzeiten von ſeinem Piedeſtal herabgeſtürzt wird, und in ſein Nichts<lb/> oder in ſeine Bedeutungsloſigkeit zurückſinkt. Schreckliches Loos! Weit beſſer das<lb/> ganze Leben hindurch vergebens nach Anerkennung ringen und in der Dunkelheit<lb/> ſchmachten, als ſo zu fallen. Es ſei jedoch gleich bemerkt daß, wenn es Tennyſon<lb/> jetzt in ſeinem Vaterlande nicht viel beſſer ergeht als wir es eben geſchildert, er<lb/> ſelbſt keine Schuld daran trägt. Was wollt ihr von mir, kann er ſeinen Lands-<lb/> leuten zurufen, ihr allein ſeid es die ihr mich überſchätzt habt; ich habe euch das<lb/> beſte gegeben was ich zu leiſten vermochte; habt ihr es für das beſte überhaupt<lb/> angeſehen was geleiſtet werden kann, ſo zeugte das für eure Urtheilsloſigkeit, nicht<lb/> für meine Selbſtüberſchätzung. Centraliſirte Staaten wie England und Frank-<lb/> reich mit einer einzigen tonangebenden Hauptſtadt haben allerdings den Vortheil<lb/> daß hervorragende Männer leichter als bei uns zu allgemeiner Berühmtheit in<lb/> ihrem Vaterlande gelangen, die ſich dann auch um ſo leichter über die Gränzen<lb/> desſelben erſtreckt; hingegen haben ſie auch den Nachtheil daß das Urtheil über eine<lb/> neue Erſcheinung nur zu oft ein einſeitiges, wo nicht gar gemachtes iſt; ſo daß ein<lb/> Schriftſteller oder Dichter, durch ſeine Clique in der Hauptſtadt vermittelſt der<lb/> Preſſe auf den Schild gehoben, bald zur Berühmtheit wird; das Urtheil der ton-<lb/> angebenden kritiſchen Zeitſchriften der Hauptſtadt verbreitet ſich alsbald über das<lb/> ganze Land; läßt ſich auch hier und da eine abweichende Stimme vernehmen, ſo<lb/> fällt ſie nicht ins Gewicht, ſie wird durch den allgemeinen Lärm gleichſam über-<lb/> täubt oder findet höchſtens bei der Minderheit die es wagt ſelbſt zu denken, und<lb/> ſich ein Urtheil zu bilden, einen Wiederhall. Die große Maſſe der ſogenannten<lb/> Gebildeten aber ſchwimmt mit dem Strome der öffentlichen Meinung, und ſo ſteht<lb/> der alſo gemachte Ruf eine Zeitlang unerſchüttert feſt. Allmählich jedoch treten<lb/> einzelne Stimmen hervor die den Muth haben ſich gegen den Strom zu ſtemmen,<lb/> und gelingt es ihnen einmal ſich das Ohr des Publicums zu verſchaffen, und deſſen<lb/> beirrtes Urtheil zu berichtigen, ſo iſt es zwar nicht um den guten Ruf des Viel-<lb/> bewunderten geſchehen — falls er nämlich wenigſtens theilweiſe begründet iſt —<lb/> wohl aber wird die Bewunderung auf das richtige Maß zurückgeführt, und der<lb/> irregeleitete Geſchmack wieder geläutert.</p><lb/> <p>Man wird nach dem oben erwähnten Artikel und nach dem Vorgang Elze’s<lb/> in England wieder zur Beſinnung kommen, die Vorzüge und Mängel Tennyſons<lb/> genauer gegen einander abwägen, und beim Vergleich desſelben mit Byron end-<lb/> lich zur Einſicht gelangen daß ein ſolcher im Grunde gar nicht zuläſſig ſei, inſofern<lb/> es ſich hier um eine Nebeneinanderſtellung von zwei ganz ungleichartigen Größen<lb/> handelt, die nun einmal ihrer innern Beſchaffenheit nach nie und nimmer verglichen<lb/> werden können. Denn es liegt hier kein Unterſchied dem Grade, ſondern der Art<lb/> nach vor, oder, um es in <hi rendition="#g">einem</hi> Worte zuſammenzufaſſen, Byron iſt ein Genie,<lb/> Tennſyon aber lediglich ein Talent.<note place="foot" n="*)">Einem künftigen engliſchen Gervinus dürfte es übrigens nicht ſchwer fallen nachzu-<lb/> weiſen, weßhalb gerade der nüchterne, die häuslichen Tugenden feiernde Tennyſon<lb/> zum Modedichter der Engländer in den erſten dreißig Jahren der Regierung der<lb/> Königm Victoria wurde. Er iſt nämlich ebenſo der Reflex des Geiſtes dieſer Zeit<lb/> und der dieſer Periode angemeſſene Dichter, wie es Shakeſpeare der der Königin<lb/> Elifabeth, Milton der Eromwells war, wie die Dramatiker der Reſtauration der<lb/> Zügelloſigkeit jener Zeit entſprechen und Byron und Shelley theils der Ausdruck<lb/> des Revolutionsgeiſtes ihres Zeitalters und der darauf folgenden Weltſchmerz-<lb/> periode waren. D. E.</note> Das eine nur iſt incommenſurabel, wäh-<lb/> rend das andere ſeine beſtimmten Schranken hat; das eine trägt die Keime der Voll-<lb/> kommenheit von der Geburt an in ſich, und bedarf nur der Entwicklung dazu; das<lb/> andere ſtrebt ſtets nach Vollkommenheit, ohne ſie zu erreichen. Nun iſt eben Ten-<lb/> nyſon ein Talent — erſten Rangs, wenn man will — aber immer nur ein Talent,<lb/> und als ſolches trennt ihn eine unüberſteigbare Kluft von Byron, der, was auch<lb/> ſeine Mängel und Schwächen, doch ein gebornes Genie iſt. Als ſolches hat er<lb/> nämlich ebenfalls ſeine Schranken, d. h. er excellirt nicht in <hi rendition="#g">allen</hi> Gattungen der<lb/> Dichtkunſt — wo wäre auch der Künſtler der in allen Zweigen ſeiner Kunſt gleich<lb/> großes geleiſtet hätte? — in ſeiner beſtimmten Gattung aber, der lyriſchen, und<lb/> in dieſer’ wiederum; ſpeciell in dem ſchildernden Zweige, übertrifft er Tennyſon<lb/> ebenſo wie Shakeſpeare z. B. nach Goethe’s eigenem Geſtändniß dieſen als Dra-<lb/> matiker übertrifft.</p><lb/> <p>Tennyſons Dichtungen machen nie den Eindruck des Natürlichen, Spontanen,<lb/> ſondern ſtets nur des Gemachten, oft des rein Erkünſtelten. Die Form überragt<lb/> bei ihm, wie bei den Romantikern überhaupt, den Inhalt und drängt ſich allzu ſehr<lb/> vor, ja zuweilen ſo ſehr, daß man den Inhalt faſt überſieht und bei der bloßen Form<lb/> verweilt. Häufig treibt er ein wahres ans Geſchmackloſe ſtreifendes Spiel mit der<lb/> Form, wie z. B. in ſeinem <hi rendition="#aq">Ringlet, Ringout</hi> und unzähligen anderen ſeiner belieb-<lb/> teſten Dichtungen. Und da wo ſie nicht in Spielerei ausartet, iſt ſie, bei allem<lb/> Geſchick mit welchem er den Vers zu handhaben verſteht, bei aller Melodie die man<lb/> ihm nachrühmt, der Proſa weit ähnlicher als der Poeſie. Es iſt der gewählte und<lb/> oft recht bezeichnende und maleriſche Ausdruck welcher beſticht; unſerm Geſchmack<lb/> nach jedoch hat die Tennyſon’ſche Dichtung auch in dieſer Hinſicht einen mehr byzan-<lb/> tiniſchen als claſſiſchen Anſtrich. In einer engliſchen Zeitſchrift würden alle dieſe<lb/> Behauptungen durch Belege aus des Dichters Werken zu erhärten ſein; in der Ein-<lb/> gangs erwähnten Abhandlung iſt das auch geſchehen; einer deutſchen können wir<lb/> nicht zumuthen uns ſo viel Raum für engliſche Citate zu vergönnen. Ueberdieß<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 3. Mittwoch, 3 Januar 1872.
Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Goſen.
Correspondenzen sind an die Redaction, Inserate an die Expedition der Allgemeinen Zeitung franco zu richten. Insertionspreis nach aufliegendem Tarif.
Ueberſicht.
Byron und Tennyſon.
— Die dritte allgemeine Conferenz und der gegenwärtige
Stand der europäiſchen Gradmeſſung. (II. Schluß.)
— Pietro Conticini. (Ne-
krolog.)
— Niederland. Haag: Zur politiſchen Lage. Aus den Kammern.
Kunſtausſtellung. Perſonalien. Aus den Colonien. Moerdyk-Brücke.
— Frank-
reich. Paris: Rückblick.
Neueſte Poſten.
München: Vom Hof. Aus dem fünften Ausſchuß der
Kammer der Abgeordneten.
Berlin: Der Jahresſchluß.
London: Der Prinz
von Wales.
Madrid: Dementi. Aus Cuba.
Waſhington: Schulden-
tilgung.
Telegraphiſche Berichte.
* Berlin, 2 Jan.
Der Kaiſer entband den Grafen Roon auf Wunſch
von ſeinen Functionen als Marineminiſter und anerkannte dabei in den wärm-
ſten Dankesworten die Bereitwilligkeit womit der Miniſter in ſo langem Zeit-
raum ſich der mühevollen Marineverwaltung unterzogen habe, welche unter ſeiner
Leitung in ſo erfreulicher Weiſe in ihrer Entwicklung fortgeſchritten ſei. Zum
Marineminiſter iſt General Stoſch ernannt. Das Marineminiſterium wird, wie
die „Kreuzzeitung“ erfährt, direct unter dem Reichskanzler ſtehen und eine mit dem
Reichskanzleramte coordinirte Stellung erhalten.
* Berlin, 2 Jan.
Der „Börſencourier,“ deſſen Redacteur Mitglied des
rumäniſchen Comité’s iſt, meldet telegraphiſch aus Bukareſt: „Die Kammer nahm
alle Artikel des Eiſenbahnvertrags mit einigen für die Actiengeſellſchaft günſtigen
Modalitäten an. Morgen findet die allgemeine Abſtimmung ſtatt. Laut Art. 5
zahlt die rumäniſche Regierung bereits am 1 Jan. 1872 und von jetzt ab in halb-
jährigen Terminen einen Zuſchuß für die Couponzahlung. Die für die heute fälligen
4,700,000 Fr. nöthigen Fonds liegen ſchon jetzt bereit.“ (Vergl. die Bukareſter
Correſpondenz im heutigen Hauptblatt.)
* Wien, 2 Jan.
Nach einem Telegramm der „N. Fr. Pr.“ aus Kon-
ſtantinopel empfieng der Sultan den bisherigen öſterreichiſch-ungariſchen Botſchaf-
ter Prokeſch-Oſten in langer Abſchiedsaudienz aufs herzlichſte und überreichte dem
Scheidenden perſönlich den Osmanie-Orden in Brillanten.
* Frankfurt a. M., 2 Jan.
Eröffnungscurſe. Oeſterr. Creditactien 333½,
Staatsbahn 395½, 1860er L. —, 1882er Amerikaner 96⅜, Lombarden 214, Silberrente
62¼ Galizier —, Spanier —, Bankactien 836. Tendenz: feſt.
(*) Frankfurt a. M., 2 Jan.
Schlußcurſe. Bayer. 5proc. Aul. v. 1870
100⅜, bayer. 4½proc. Anl. 100⅛, 4proc. bayer. Präm.-Anl. 112½, 4½proc. bayer.
Oſtbahn 145½, neue Emiſſion 127, mit 40 Proc. Einz. 126¾, Alſenzbahn 123, bad.
Prämien-Anl. 110½, 1882er Amerikaner 96⅜, Köln-Mindeuer-L. 96¾, öſterr. Silber-
rente 62¼, Papierrente 53, 1860er L. 89⅝, 1864er L. 142½, Bankactien 834,
Creditactien 333¼, Lombarden 213½, Staatsbahn 396½, neue 193½, Eliſabeth 246½,
Franz-Joſeph Prior. 87½, Rudolfsb. Prior. 77¾, Ungar. Oſtbahn Prior. 74¾, ſpan.
3proc. ausl. Schuld 32¼, Napoleons 918, Darmſtädter Bank 439, böhm. Weſtbahn
261¾, Nordweſtbahn Prior. 87½, Oregon 100¾. Wechſel: London 117⅜, Paris 91⅝,
Wien 100¾. Tendenz: ſehr feſt.
* Frankfurt a. M., 2 Jan.
Nachbörſe. Oeſterr. Creditactien 332¾, Staats-
bahn 396, 1860er L. 89½, 1882er Amerikaner 96⅜, Lombarden 212¾, Silberrente 62¼,
Galizier 258, Bankactien 834. Feſt.
* Frankfurt a. M., 2 Jan.
Schlußnotirungen. (Ergänzungsdepeſche.) Staats-
bahn-Prior. 58⅜, Lombarden-Prior. 49¼, Central-Paciſic 88½, 5proc. Italiener 67,
Deutſch-öſterr. 114, Bankverein 122½, Antwerpener 110¼, Brüſſeler 107.
* Frankfurt a. M., 2 Jan.
Abend-Effectenſocietät. 1882er Amerikaner Bonds
96⅜, öſterr. Silberrente [FORMEL], Papierrente —, 1860er L. 89⅞, Creditactien 338¾,
Lombarden 213½, Staatsbahnactien 400, Galizier 258½. Eliſabeth-Weſtbahn 246½,
3proc. ſpan. ausl. Schuld [FORMEL], neue Staatsbahn 196.25, Türken 49¼, Böhmen 262¼,
Deutſch-öſterr. 114½. Brüſſeler 107¾. Nordweſtbahn 224, Bankactien 836, Ital.-deutſche
89, Wechslerbank 107⅜. Tendenz: Hauſſe.
(*) Köln, 2 Jan.
Productenmarkt. (Schlußbericht.) Wetter: ſchwacher Froſt.
Weizen feſter, hieſiger loco 9, fremder loco 8.5, per Januar 83½, per März 87, per
Mar 8.8½. Roggen feſt, loco 6.10, per Januar 5.22½, per März 527, per Mai 5.28.
(*) Hamburg, 2 Jan.
Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen loco geſchäftslos,
auf Termin feſt, per Jan.-Febr. 156, per Febr.-März 160, per April-Mai 163. Roggen
loco geſchäftslos, auf Termin feſt, per Jan.-Febr. 111, per Febr.-März 112, per April-
Mai 114. Hafer geſchäftslos, Gerſte ſtill.
Weitere telegraphiſche Curs- und Handelsberichte ſ. fünfte Seite.
Byron und Tennyſon.
D. A. So lautet die Ueberſchrift einer Abhandlung in dem letzten „Quarterly-
Review,“ welche, an Karl Elze’s Buch über Lord Byron anknüpfend, die Verdienſte
beider Dichter gegen einander abwägt, und jedem ſeine ihm gebührende Stellung
anzuweiſen verſucht. Der Verfaſſer derſelben ſoll, nach den neueſten Nachrichten, der
Redacteur des „Quarterly,“ Dr. Smith, ſelbſt ſein; wir glaubten anfangs es wäre
Alfred Auſtin, der in ſeinem Buche „The Poetry of the Period“ dasſelbe Ur-
theil fällt wie Dr. Smith in gedachter Abhandlung. Es gibt uns dieſe letztere
Anlaß zu ſo mancherlei Betrachtungen, denen wir nicht umhin können hier Aus-
druck zu verleihen. In der literariſchen wie in der politiſchen Welt tritt uns wie-
derholt die Erſcheinung entgegen daß entweder die Gunſt des Glücks oder die vox
populi, meiſtens beide zugleich, einen Namen emporhebt und ihn zum Götzen des
Tages macht, an dem, ſolang’ er in der Mode bleibt, keine Makel hafet, der ſeine
ganze Umgebung verdunkelt und alles überſtrahlt. Er iſt für den Augenblick der
Cäſar, „der die enge Welt beſchreitet wie ein Koloſſus, unter deſſen Rieſenbeinen
wir kleinen Leute wandeln und umherſchauen nach einem ſchnöden Grabe.“ Alles
was ein ſolcher Modeheld oder Günſtling des Glückes thut und ſchafft, wird vortrefflich
befunden; jede neue Leiſtung wird als eine neue Stufe der Vervollkommnung in ihm
begrüßt, und erregtimmer größere Bewunderung; er iſt Alleinherrſcher in ſeinem Reich,
und kein zweiter wird neben ihm genannt. Wehe, wenn der Ruf keine feſtere Be-
gründung hat als die Gunſt des Glücks oder den Volkshauch; denn dann dürfte
es leicht geſchehen — wenn auch nicht in jedem einzelnen Fall — daß der ſo Erho-
bene noch bei Lebzeiten von ſeinem Piedeſtal herabgeſtürzt wird, und in ſein Nichts
oder in ſeine Bedeutungsloſigkeit zurückſinkt. Schreckliches Loos! Weit beſſer das
ganze Leben hindurch vergebens nach Anerkennung ringen und in der Dunkelheit
ſchmachten, als ſo zu fallen. Es ſei jedoch gleich bemerkt daß, wenn es Tennyſon
jetzt in ſeinem Vaterlande nicht viel beſſer ergeht als wir es eben geſchildert, er
ſelbſt keine Schuld daran trägt. Was wollt ihr von mir, kann er ſeinen Lands-
leuten zurufen, ihr allein ſeid es die ihr mich überſchätzt habt; ich habe euch das
beſte gegeben was ich zu leiſten vermochte; habt ihr es für das beſte überhaupt
angeſehen was geleiſtet werden kann, ſo zeugte das für eure Urtheilsloſigkeit, nicht
für meine Selbſtüberſchätzung. Centraliſirte Staaten wie England und Frank-
reich mit einer einzigen tonangebenden Hauptſtadt haben allerdings den Vortheil
daß hervorragende Männer leichter als bei uns zu allgemeiner Berühmtheit in
ihrem Vaterlande gelangen, die ſich dann auch um ſo leichter über die Gränzen
desſelben erſtreckt; hingegen haben ſie auch den Nachtheil daß das Urtheil über eine
neue Erſcheinung nur zu oft ein einſeitiges, wo nicht gar gemachtes iſt; ſo daß ein
Schriftſteller oder Dichter, durch ſeine Clique in der Hauptſtadt vermittelſt der
Preſſe auf den Schild gehoben, bald zur Berühmtheit wird; das Urtheil der ton-
angebenden kritiſchen Zeitſchriften der Hauptſtadt verbreitet ſich alsbald über das
ganze Land; läßt ſich auch hier und da eine abweichende Stimme vernehmen, ſo
fällt ſie nicht ins Gewicht, ſie wird durch den allgemeinen Lärm gleichſam über-
täubt oder findet höchſtens bei der Minderheit die es wagt ſelbſt zu denken, und
ſich ein Urtheil zu bilden, einen Wiederhall. Die große Maſſe der ſogenannten
Gebildeten aber ſchwimmt mit dem Strome der öffentlichen Meinung, und ſo ſteht
der alſo gemachte Ruf eine Zeitlang unerſchüttert feſt. Allmählich jedoch treten
einzelne Stimmen hervor die den Muth haben ſich gegen den Strom zu ſtemmen,
und gelingt es ihnen einmal ſich das Ohr des Publicums zu verſchaffen, und deſſen
beirrtes Urtheil zu berichtigen, ſo iſt es zwar nicht um den guten Ruf des Viel-
bewunderten geſchehen — falls er nämlich wenigſtens theilweiſe begründet iſt —
wohl aber wird die Bewunderung auf das richtige Maß zurückgeführt, und der
irregeleitete Geſchmack wieder geläutert.
Man wird nach dem oben erwähnten Artikel und nach dem Vorgang Elze’s
in England wieder zur Beſinnung kommen, die Vorzüge und Mängel Tennyſons
genauer gegen einander abwägen, und beim Vergleich desſelben mit Byron end-
lich zur Einſicht gelangen daß ein ſolcher im Grunde gar nicht zuläſſig ſei, inſofern
es ſich hier um eine Nebeneinanderſtellung von zwei ganz ungleichartigen Größen
handelt, die nun einmal ihrer innern Beſchaffenheit nach nie und nimmer verglichen
werden können. Denn es liegt hier kein Unterſchied dem Grade, ſondern der Art
nach vor, oder, um es in einem Worte zuſammenzufaſſen, Byron iſt ein Genie,
Tennſyon aber lediglich ein Talent. *) Das eine nur iſt incommenſurabel, wäh-
rend das andere ſeine beſtimmten Schranken hat; das eine trägt die Keime der Voll-
kommenheit von der Geburt an in ſich, und bedarf nur der Entwicklung dazu; das
andere ſtrebt ſtets nach Vollkommenheit, ohne ſie zu erreichen. Nun iſt eben Ten-
nyſon ein Talent — erſten Rangs, wenn man will — aber immer nur ein Talent,
und als ſolches trennt ihn eine unüberſteigbare Kluft von Byron, der, was auch
ſeine Mängel und Schwächen, doch ein gebornes Genie iſt. Als ſolches hat er
nämlich ebenfalls ſeine Schranken, d. h. er excellirt nicht in allen Gattungen der
Dichtkunſt — wo wäre auch der Künſtler der in allen Zweigen ſeiner Kunſt gleich
großes geleiſtet hätte? — in ſeiner beſtimmten Gattung aber, der lyriſchen, und
in dieſer’ wiederum; ſpeciell in dem ſchildernden Zweige, übertrifft er Tennyſon
ebenſo wie Shakeſpeare z. B. nach Goethe’s eigenem Geſtändniß dieſen als Dra-
matiker übertrifft.
Tennyſons Dichtungen machen nie den Eindruck des Natürlichen, Spontanen,
ſondern ſtets nur des Gemachten, oft des rein Erkünſtelten. Die Form überragt
bei ihm, wie bei den Romantikern überhaupt, den Inhalt und drängt ſich allzu ſehr
vor, ja zuweilen ſo ſehr, daß man den Inhalt faſt überſieht und bei der bloßen Form
verweilt. Häufig treibt er ein wahres ans Geſchmackloſe ſtreifendes Spiel mit der
Form, wie z. B. in ſeinem Ringlet, Ringout und unzähligen anderen ſeiner belieb-
teſten Dichtungen. Und da wo ſie nicht in Spielerei ausartet, iſt ſie, bei allem
Geſchick mit welchem er den Vers zu handhaben verſteht, bei aller Melodie die man
ihm nachrühmt, der Proſa weit ähnlicher als der Poeſie. Es iſt der gewählte und
oft recht bezeichnende und maleriſche Ausdruck welcher beſticht; unſerm Geſchmack
nach jedoch hat die Tennyſon’ſche Dichtung auch in dieſer Hinſicht einen mehr byzan-
tiniſchen als claſſiſchen Anſtrich. In einer engliſchen Zeitſchrift würden alle dieſe
Behauptungen durch Belege aus des Dichters Werken zu erhärten ſein; in der Ein-
gangs erwähnten Abhandlung iſt das auch geſchehen; einer deutſchen können wir
nicht zumuthen uns ſo viel Raum für engliſche Citate zu vergönnen. Ueberdieß
*) Einem künftigen engliſchen Gervinus dürfte es übrigens nicht ſchwer fallen nachzu-
weiſen, weßhalb gerade der nüchterne, die häuslichen Tugenden feiernde Tennyſon
zum Modedichter der Engländer in den erſten dreißig Jahren der Regierung der
Königm Victoria wurde. Er iſt nämlich ebenſo der Reflex des Geiſtes dieſer Zeit
und der dieſer Periode angemeſſene Dichter, wie es Shakeſpeare der der Königin
Elifabeth, Milton der Eromwells war, wie die Dramatiker der Reſtauration der
Zügelloſigkeit jener Zeit entſprechen und Byron und Shelley theils der Ausdruck
des Revolutionsgeiſtes ihres Zeitalters und der darauf folgenden Weltſchmerz-
periode waren. D. E.
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(2022-03-29T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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