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Allgemeine Zeitung. Nr. 3. München, 4. Januar 1924.

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Allgemeine Zeitung
Süddeutsches Tagblatt Großdeutsche Rundschau
127. Jahrgang. Nr. 3
München, Freitag den 4. Januar 1924.
Einzelpreis 10 Pfennig.
Hauptschriftleitung und verantwortlich für Deutsche und Bayerische Politik:
Max Heilgemayr. -- Wirtschaftszeitung u. Auswärtige Politik: Josef Schrepfer.
-- Unpolitische Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. -- Kunst u. Musik: Albin v.
Prybram-Gladona. -- Feuilleton u. Theater Walter Foitzick. -- Anzeigenteil: Josef
Spiegel, sämtl. in München. -- Redaktion: München, Baaderstr. 1, Tel. 27940. -- Berliner
Schriftleitung: SW 68., Zimmerstr. 9, Tel. Zentrum 5498 u. 3967; Leiter: Alfred Gerigk.
[Abbildung]
Die Allgemeine Zeitung erscheint täglich. Bei Störung des Erscheinens infolge höherer
Gewalt oder Streiks besteht kein Anspruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be-
zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9 spaltige
Nonpareillezeile im Inseratenteil M. 0.25, im Reklameteil M. 0.80. Kleine Anzeigen M. 0.10.
Verlag der Allgemeinen Zeitung G.m.b.H. München. Postscheckkonto: München 8170.
Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderstraße 1 und 1a. Telefon 24287.
[Spaltenumbruch]
Millerands
Versöhnungsgeste.

Jul. Sauerwein ver-
öffentlicht im "Matin" eine offenbar aus
dem Elysee stammende Auslegung der opti-
mistischen Worte, die Millerand am
Neujahrstage beim Empfang des diplomati-
schen Korps ausgesprochen hatte. In dieser
Auslegung wird ausgeführt: Der Unter-
schied zwischen dem 1. Januar 1924 und dem
des vorigen Jahres sei bedeutend. Viel-
leicht wird es in Frankreich Leute geben,
die es übertrieben finden, daß der Präsident
der Republik von Versöhnung gespro-
chen hat. Dieses Wort sei seit 50 Jahren
nicht möglich gewesen, solange Deutschland
die Frankreich entrissenen Provinzen gegen
den Wunsch ihrer Bevölkerung mit Gewalt
festhielt. Heute aber hindere nichts mehr
Frankreich, sich mit Deutschland zu versöh-
nen; im Gegenteil, alles rücke eine derartige
Versöhnung näher. Die Auslegung des
"Matin" schließt, daß in diesem Jahr
Deutschland das Wort habe. Auf
jeden Fall sei es nützlich gewesen, daß
Frankreich nach dem Erfolg der Ruhraktion
angesichts der deutschen Kapitulation er-
klärte, daß es die Rückkehr norma-
ler Beziehungen
zwischen den beiden
Ländern als eine unerläßliche Bedingung
für einen allgemeinen wirtschaft-
lichen Wiederaufbau
betrachtet.
Frankreich sei durchaus bereit, diesen
Wunsch in Wirklichkeit umzusetzen.

Die französische Antwort im Entwurf fertig.

Der Entwurf der
französischen Antwort auf die deutschen
Rheinlandvorschläge ist gestern vom franzö-
sischen Außenministerium fertiggestellt und
wird heute Poincare vorgelegt werden, um
dann der belgischen Regierung überreicht zu
werden. Man hält es für wahrscheinlich,
daß die Verständigungsverhandlungen mit
Brüssel sich noch einige Zeit hinziehen wer-
den.

Ein Konflikt zwischen dem Vatikan
und Jerusalem.

Im Vatikan herrscht nicht ge-
ringe Aufregung über einen blutigen Zwischenfall,
der sich am 14. Dezember in Jerusalem ereignet
hat. Dort haben Kopten den päpstlichen Nuntius
überfallen und an der Ausübung seiner reli-
giösen Funktionen verhindert.

Eröffnung
der griechischen Generalversammlung

Havas meldet aus Athen
über die Eröffnungssitzung der griechischen
Nationalversammlung.
Oberst Plasti-
ras
habe die Arbeiten der Nationalversammlung
durch eine längere Rede über das Werk der Re-
volution eröffnet. Erst nach dem Wahlsiege hat
die Revolution es für richtig gehalten, dem König
anzuraten, sich vorläufig zu entfernen.

Unmittelbar nach Verlesung der Rede teilte die
Regierung mit, daß sie ihre Demission ein-
reiche und die Macht in die Hände der National-
versammlung zurücklege.

Nach dem Weggang der Obersten Plastiras
und Gonatas brach starker Lärm in der Ver-
sammlung aus. Die Venizelisten und die Libe-
ralen verlangten die Vertagung, während die
Republikaner die Fortsetzung der Sitzung ver-
langten. Der Präsident unterbrach die Sitzung
auf eine halbe Stunde. Nach Wiederaufnahme
schlugen die Repubkikaner vor, die Mandate der
Abgeordneten für provisorisch gültig zu erklären,
damit die Nationalversammlung ihre Arbeiten un-
mittelbar aufnehmen könne.

Die Kammer beschloß dann, sich auf Samstag
zu vertagen.

[Spaltenumbruch]
Mißtrauen gegen Frankreich.

Sonderdienst der Allgemeinen Zeitung.


Ueber die augenblickliche außenpolitische Lage wird uns von
unterrichteter Seite mitgeteilt: Die versöhnende Neujahrsbotschaft Mil-
lerands
mußte nach dem ganzen Verhalten der französischen Regierung während
des Ruhrkrieges sowohl, als während der Verhandlungen, die seinem Abbruch gefolgt
sind, einiges Erstaunen erregen. Man befürchtet, daß die Absicht des französischen
Staatspräsidenten um so weniger seinen versöhnlichen Worten entsprechen kann, als
sie gleichzeitig mit Aeußerungen der französischen Zeitungen über eine bevorstehende
Ablehnung der deutschen Ruhr- und Rheinvorschläge bekannt ge-
geben wurden. Die Erläuterungen der französischen Presse zeigen denn auch, daß
Staatspräsident Millerand tatsächlich nur an eine Versöhnung auf der Grundlage
der bisherigen französischen Zwangspolitik
denkt, der sich Deutsch-
land nach seiner Auffassung willenlos fügen soll. Die Reichsregierung wäre auch jetzt
ebenso wie an jedem früheren Zeitpunkt zu einer Verständigung und Versöhnung
auf einer den deutschen Notwendigkeiten Rechnung tragenden Basis, und unter
selbstverständlicher Beachtung ihrer Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag vereit.
Man muß aber befürchten, daß, sobald es sich um praktische Fragen handelt, von
französischer Seite wieder die üblichen Vorbehalte gemacht werden. Daß man den
privaten Plänen des Herrn Rechberg in Paris so besondere Aufmerksamkeit
zeigt, widerspricht nicht dieser Auffassung, denn die Unmöglichkeit dieser
Pläne für Deutschland
wurde von amtlichen Stellen mehrmals betont. Vor al-
lem muß gegenüber den Pariser Aeußerungen darauf hingewiesen werden, daß
Deutschland einer Gesamtheit von Gläubigern gegenübersteht und des-
halb den Verständigungsplänen einer einzelnen Macht gegenüber seine Verpflich-
tungen gegen die anderen Alliierten genaubeachten muß.



Der Reichstag kritisiert die Ermächtigungsverordnungen

Sonderdienst der Allgemeinen Zeitung.


Der Fünfzehner-Ausschuß des Reichstages hat Einspruch erhoben
gegen die von der Reichsregierung vorgeschlagene Sondererhöhung der Umsatzsteuer
für das besetzte Gebiet.
Es war geplant, im besetzten Gebiet den Gemeinden das Recht der
Erhebung von Sonderzuschlägen auf die Reichssteuern zu gewähren. Diese Absicht ist nun dahin
geändert worden, daß die Reichsregierung eine Verordnung erlassen will, in der sie mit Geneh-
migung der Besatzungsbehörden die Umsatzsteuer für die besetzten Gebiete von 21/2 auf 3 Prozent
erhöht, wobei der Mehrertrag den Ländern zur Weitergabe an die Gemeinden zufallen soll. Der
Fünfzehner-Ausschuß hat sich nun auf den Standpunkt gestellt, daß eine solche Ausnahmebehand-
lung der besetzten Gebiete aus politischen Gründen unerwünscht sei, und er hat
der Regierung deshalb empfohlen, von dem Erlaß einer solchen Verordnung abzusehen.

Weiter lag dem Ausschuß eine Verordnung der Reichsregierung vor, wonach in Abänderung der
bestehenden Bestimmungen ein Anspruch auf Entschädigung gegen Schaden aus inneren
Unruhen
nur wirtschaftlich Schwachen zustehen und die Entschädigung 75 Prozent des Schadens
nicht überschreiten soll.

[Spaltenumbruch]
Der Reichsbankpräsident in London.

Reichsbankpräsident Dr.
Schacht hatte mit führenden Persönlich-
keiten der Bank von England und der
City
gestern über die Teilnahme engli-
scher Finanzkreise
an der von ihm vor-
geschlagenen Goldkreditbank und an der Nah-
rungsmittelanleihe für Deutschland Unterredun-
gen. Während in Citykreisen lebhaftes In-
teresse
für eine englische Beteiligung an der
Goldkreditbank besteht, wird angesichts der un-
klaren Haltung der Reparationskommission be-
züglich einer Beteiligung an der Anleihe große
Zurückhaltung geübt.

Der Beamtenabbau in Württemberg.

Die württembergische Re-
gierung hat auf Grund des Ermächtigungs-
gesetzes eine Beamtenabbauverordnung
erlassen, wonach Beamte, die das 67. Lebens-
jahr vollendet
haben, in den bleibenden
Ruhestand zu treten haben. Beamte, die das
58. Lebensjahr vollenden und eine ruhe-
gehaltsberechtigte Dienstzeit von wenigstens
10 Jahren zurückgelegt haben, können auf ihren
Antrag ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit in
den Ruhestand versetzt werden, soferne ihr Aus-
scheiden im Interesse des Abbaus des Beamten-
körpers ihrer Verwaltung liegt. Bei der Aus-
wahl der in den zeitlichen Ruhestand zu ver-
setzenden Beamten darf ihre politische, kon-
fessionelle oder gewerkschaftliche
Betätigung keinen Einfluß
ausüben.
Ueber die Entlassung von Angestellten
wird bestimmt, daß diese zu entlassen sind, soferne
nicht zwingende Dienstrücksichten der Entlassung
entgegenstehen. Von der Gesamtzahl der am
1. Oktober 1928 im Dienste gewesenen Beamten
des Staates haben bis zum 1. April 1924 min-
destens 15 Prozent auszuscheiden.
Feuill. Mus.

[Spaltenumbruch]
Große Koalition oder Landtagsauflösung in
Sachsen.

Eigener Drahtbericht.


Heute mittag sind zwi-
schen führenden Persönlichkeiten der bürgerli-
chen Parteien
des Landstags und der
sozialdemokratischen Partei neuer-
liche Verhandlungen
eingeleitet worden,
die auf die Bildung eines Koalitions-
kabinetts
unter Führung des früheren sächsi-
schen Ministerpräsidenten Buck hinzielen. Wie
wir erfahren, hat die Kandidatur Buck Aussicht
auf Erfolg, da der Deutschen Volkspartei die Per-
son des ehemaligen Ministerpräsidenten genehm
sein soll. Buck war Ministerpräsident bis zum
Jahre 1923. Sein Kabinett, dem auch der Rechts-
sozialist Lipinski als Innenminister angehörte,
wurde seinerzeit durch das Kabinett Zeigner ab-
gelöst. -- Der Rechtsausschuß des Landstags nahm
heute den Antrag auf Auflösung des Land-
tags
gegen die Stimmen der Sozialisten an.

Ein abgeschlagener Kulturkampfversuch.

Bekanntlich hatte die sächsi-
sche Regierung auf Grund des sächsischen Alters-
grenzengesetzes die Pensionierung des Präsidenten
und Vizepräsidenten des evangelisch-lutherischen
Konsistoriums verfügt. Nachdem das Reichsgericht
entschieden hat, daß die Anwendung des genann-
ten sächsischen Gesetzes auf die Mitglieder des
Landeskonsistoriums mit dem Art. 178 der Reichs-
verfassung nicht vereinbar ist, haben Präsident
Dr. Böhme und Vizepräsident Dr. Ihmel mit
Beginn des neuen Jahres ihre Amtsgeschäfte
wieder übernommen.

[Spaltenumbruch]
Staat und Kartelle.

Zur Demokratie im Wirtschaftsverkehr.

Die technische, kapitalistische und soziale
Bedeutung der Konzentrations-
bewegung
im Wirtschaftsleben (Kar-
telle, Syndikate, Konventionen usw.) zu
schildern, ist nicht Aufgabe dieser Zeilen.
Hier sei versucht, die Problemstellung in
politischer Richtung aufzurollen, wo-
bei wir die Verordnung gegen Miß-
brauch wirtschaftlicher Macht-
stellungen
vom 2. November 1923 als
den Markstein einer neuen politischen Ein-
stellung des Staates erachten.

Die Reichsregierung stellt an die Spitze
der Begründung der Verordnung den ein-
leitenden Gedanken, daß diese V. O. mit
anderen zum Zwecke der Produktions-
steigerung und zur Befreiung der Wirt-
schaft von unproduktiven Hemmungen ge-
schaffen sei, insbesondere zur Beseitigung
ungesunder Hemmungen des freien
Wettbewerbs.
In zweifacher Rich-
tung eine Abkehr von bisheriger deutscher
Nachkriegswirtschaftspolitik. Aus dem
Banne der Zwangswirtschaft hatte sich eine
Preispolitik entwickelt, die eine Senkung
des Preisniveaus mittels Einengung kauf-
männischer Gewinne bzw. Scheingewinne
zu erzielen hoffte und ihr klägliches Fiasko
kaum mehr verhüllen konnte. Notwendige
Folge dieser eigentlich nur auf die Ver-
teilung
der Ware (Handel) eingestell-
ten Preispolitik war die Ohnmachtserklä-
rung gegenüber der Produktion und wei-
ter auch die Lähmung kaufmännischer
Unternehmungslust und natürlicher Wett-
bewerbsgesinnung.

Die Begründung der Verordnung weist
nun selbst darauf hin, daß die Erzeu-
gungs- und Preispolitik der
Kartelle und Konventionen
seit
vielen Monaten Gegenstand heftigster An-
griffe gewesen sei und sich tatsächlich
schwerste Mißstände bei den Organi-
sationen der Produzenten herausgebildet
haben. Diese Erkenntnis also richtet die
Preispolitik auf das neue Ziel der Pro-
duktionsüberwachung,
und auch
der zweite Zweckgedanke der Erwek-
kung des gesunden Wettbe-
werbs
ist konsequent durchgedacht im
Gegensatz zur bisherigen Wucherbekämp-
fungsmethode. Ein Wiedererwachen des
alten demokratischen Staats- und Wirt-
schaftsideals, wie es anfangs der 90er
Jahre des vorigen Jahrhunderts auch
zur amerikanischen Antitrustgesetz-
gebung
führte, die, inauguriert von den
Demokraten, jedem freie Betätigungs-
möglichkeit verschaffen sollte.

Daß mit der neuen Verordnung "eine
neue Aera der Geschichte des deutschen Or-
ganisationswesens" eingeleitet ist, nämlich
eine staatliche Aufsicht durch das
Reichswirtschaftsministerium und das neu-
geschaffene Kartellgericht, bedingt weiter
ganz neue, rechtspolitische Mo-
mente. Die Durchführung der neuen
staatlichen Kartellpolitik bringt
im Gegensatz zur bisherigen strafrichter-
lichen Bekämpfung unrichtiger Preisbil-
dung eine praeventive Staats-
aufsicht
und gleichzeitig eine neuartige
behördliche Vertrags- und
Rechtsgestaltung,
indem bei Ge-
fährdung der Gesamtwirtschaft oder des
Gemeinwohles einerseits der Reichswirt-
schaftsminister den Kartellbeteiligten das
fristlose Kündigungsrecht gewähren
kann, andererseits das Kartellgericht auf
Antrag des Reschswirtschaftsministers die
Nichtigkeitserklärung der Kar-
tellverträge, bzw. die Rücktritts-


Allgemeine Zeitung
Süddeutſches Tagblatt Großdeutſche Rundſchau
127. Jahrgang. Nr. 3
München, Freitag den 4. Januar 1924.
Einzelpreis 10 Pfennig.
Hauptſchriftleitung und verantwortlich für Deutſche und Bayeriſche Politik:
Max Heilgemayr. — Wirtſchaftszeitung u. Auswärtige Politik: Joſef Schrepfer.
Unpolitiſche Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. — Kunſt u. Muſik: Albin v.
Prybram-Gladona. — Feuilleton u. Theater Walter Foitzick. — Anzeigenteil: Joſef
Spiegel, ſämtl. in München. — Redaktion: München, Baaderſtr. 1, Tel. 27940. — Berliner
Schriftleitung: SW 68., Zimmerſtr. 9, Tel. Zentrum 5498 u. 3967; Leiter: Alfred Gerigk.
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Die Allgemeine Zeitung erſcheint täglich. Bei Störung des Erſcheinens infolge höherer
Gewalt oder Streiks beſteht kein Anſpruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be-
zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9 ſpaltige
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Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderſtraße 1 und 1a. Telefon 24287.
[Spaltenumbruch]
Millerands
Verſöhnungsgeſte.

Jul. Sauerwein ver-
öffentlicht im „Matin“ eine offenbar aus
dem Elyſée ſtammende Auslegung der opti-
miſtiſchen Worte, die Millerand am
Neujahrstage beim Empfang des diplomati-
ſchen Korps ausgeſprochen hatte. In dieſer
Auslegung wird ausgeführt: Der Unter-
ſchied zwiſchen dem 1. Januar 1924 und dem
des vorigen Jahres ſei bedeutend. Viel-
leicht wird es in Frankreich Leute geben,
die es übertrieben finden, daß der Präſident
der Republik von Verſöhnung geſpro-
chen hat. Dieſes Wort ſei ſeit 50 Jahren
nicht möglich geweſen, ſolange Deutſchland
die Frankreich entriſſenen Provinzen gegen
den Wunſch ihrer Bevölkerung mit Gewalt
feſthielt. Heute aber hindere nichts mehr
Frankreich, ſich mit Deutſchland zu verſöh-
nen; im Gegenteil, alles rücke eine derartige
Verſöhnung näher. Die Auslegung des
„Matin“ ſchließt, daß in dieſem Jahr
Deutſchland das Wort habe. Auf
jeden Fall ſei es nützlich geweſen, daß
Frankreich nach dem Erfolg der Ruhraktion
angeſichts der deutſchen Kapitulation er-
klärte, daß es die Rückkehr norma-
ler Beziehungen
zwiſchen den beiden
Ländern als eine unerläßliche Bedingung
für einen allgemeinen wirtſchaft-
lichen Wiederaufbau
betrachtet.
Frankreich ſei durchaus bereit, dieſen
Wunſch in Wirklichkeit umzuſetzen.

Die franzöſiſche Antwort im Entwurf fertig.

Der Entwurf der
franzöſiſchen Antwort auf die deutſchen
Rheinlandvorſchläge iſt geſtern vom franzö-
ſiſchen Außenminiſterium fertiggeſtellt und
wird heute Poincaré vorgelegt werden, um
dann der belgiſchen Regierung überreicht zu
werden. Man hält es für wahrſcheinlich,
daß die Verſtändigungsverhandlungen mit
Brüſſel ſich noch einige Zeit hinziehen wer-
den.

Ein Konflikt zwiſchen dem Vatikan
und Jeruſalem.

Im Vatikan herrſcht nicht ge-
ringe Aufregung über einen blutigen Zwiſchenfall,
der ſich am 14. Dezember in Jeruſalem ereignet
hat. Dort haben Kopten den päpſtlichen Nuntius
überfallen und an der Ausübung ſeiner reli-
giöſen Funktionen verhindert.

Eröffnung
der griechiſchen Generalverſammlung

Havas meldet aus Athen
über die Eröffnungsſitzung der griechiſchen
Nationalverſammlung.
Oberſt Plaſti-
ras
habe die Arbeiten der Nationalverſammlung
durch eine längere Rede über das Werk der Re-
volution eröffnet. Erſt nach dem Wahlſiege hat
die Revolution es für richtig gehalten, dem König
anzuraten, ſich vorläufig zu entfernen.

Unmittelbar nach Verleſung der Rede teilte die
Regierung mit, daß ſie ihre Demiſſion ein-
reiche und die Macht in die Hände der National-
verſammlung zurücklege.

Nach dem Weggang der Oberſten Plaſtiras
und Gonatas brach ſtarker Lärm in der Ver-
ſammlung aus. Die Venizeliſten und die Libe-
ralen verlangten die Vertagung, während die
Republikaner die Fortſetzung der Sitzung ver-
langten. Der Präſident unterbrach die Sitzung
auf eine halbe Stunde. Nach Wiederaufnahme
ſchlugen die Repubkikaner vor, die Mandate der
Abgeordneten für proviſoriſch gültig zu erklären,
damit die Nationalverſammlung ihre Arbeiten un-
mittelbar aufnehmen könne.

Die Kammer beſchloß dann, ſich auf Samstag
zu vertagen.

[Spaltenumbruch]
Mißtrauen gegen Frankreich.

Sonderdienſt der Allgemeinen Zeitung.


Ueber die augenblickliche außenpolitiſche Lage wird uns von
unterrichteter Seite mitgeteilt: Die verſöhnende Neujahrsbotſchaft Mil-
lerands
mußte nach dem ganzen Verhalten der franzöſiſchen Regierung während
des Ruhrkrieges ſowohl, als während der Verhandlungen, die ſeinem Abbruch gefolgt
ſind, einiges Erſtaunen erregen. Man befürchtet, daß die Abſicht des franzöſiſchen
Staatspräſidenten um ſo weniger ſeinen verſöhnlichen Worten entſprechen kann, als
ſie gleichzeitig mit Aeußerungen der franzöſiſchen Zeitungen über eine bevorſtehende
Ablehnung der deutſchen Ruhr- und Rheinvorſchläge bekannt ge-
geben wurden. Die Erläuterungen der franzöſiſchen Preſſe zeigen denn auch, daß
Staatspräſident Millerand tatſächlich nur an eine Verſöhnung auf der Grundlage
der bisherigen franzöſiſchen Zwangspolitik
denkt, der ſich Deutſch-
land nach ſeiner Auffaſſung willenlos fügen ſoll. Die Reichsregierung wäre auch jetzt
ebenſo wie an jedem früheren Zeitpunkt zu einer Verſtändigung und Verſöhnung
auf einer den deutſchen Notwendigkeiten Rechnung tragenden Baſis, und unter
ſelbſtverſtändlicher Beachtung ihrer Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag vereit.
Man muß aber befürchten, daß, ſobald es ſich um praktiſche Fragen handelt, von
franzöſiſcher Seite wieder die üblichen Vorbehalte gemacht werden. Daß man den
privaten Plänen des Herrn Rechberg in Paris ſo beſondere Aufmerkſamkeit
zeigt, widerſpricht nicht dieſer Auffaſſung, denn die Unmöglichkeit dieſer
Pläne für Deutſchland
wurde von amtlichen Stellen mehrmals betont. Vor al-
lem muß gegenüber den Pariſer Aeußerungen darauf hingewieſen werden, daß
Deutſchland einer Geſamtheit von Gläubigern gegenüberſteht und des-
halb den Verſtändigungsplänen einer einzelnen Macht gegenüber ſeine Verpflich-
tungen gegen die anderen Alliierten genaubeachten muß.



Der Reichstag kritiſiert die Ermächtigungsverordnungen

Sonderdienſt der Allgemeinen Zeitung.


Der Fünfzehner-Ausſchuß des Reichstages hat Einſpruch erhoben
gegen die von der Reichsregierung vorgeſchlagene Sondererhöhung der Umſatzſteuer
für das beſetzte Gebiet.
Es war geplant, im beſetzten Gebiet den Gemeinden das Recht der
Erhebung von Sonderzuſchlägen auf die Reichsſteuern zu gewähren. Dieſe Abſicht iſt nun dahin
geändert worden, daß die Reichsregierung eine Verordnung erlaſſen will, in der ſie mit Geneh-
migung der Beſatzungsbehörden die Umſatzſteuer für die beſetzten Gebiete von 2½ auf 3 Prozent
erhöht, wobei der Mehrertrag den Ländern zur Weitergabe an die Gemeinden zufallen ſoll. Der
Fünfzehner-Ausſchuß hat ſich nun auf den Standpunkt geſtellt, daß eine ſolche Ausnahmebehand-
lung der beſetzten Gebiete aus politiſchen Gründen unerwünſcht ſei, und er hat
der Regierung deshalb empfohlen, von dem Erlaß einer ſolchen Verordnung abzuſehen.

Weiter lag dem Ausſchuß eine Verordnung der Reichsregierung vor, wonach in Abänderung der
beſtehenden Beſtimmungen ein Anſpruch auf Entſchädigung gegen Schaden aus inneren
Unruhen
nur wirtſchaftlich Schwachen zuſtehen und die Entſchädigung 75 Prozent des Schadens
nicht überſchreiten ſoll.

[Spaltenumbruch]
Der Reichsbankpräſident in London.

Reichsbankpräſident Dr.
Schacht hatte mit führenden Perſönlich-
keiten der Bank von England und der
City
geſtern über die Teilnahme engli-
ſcher Finanzkreiſe
an der von ihm vor-
geſchlagenen Goldkreditbank und an der Nah-
rungsmittelanleihe für Deutſchland Unterredun-
gen. Während in Citykreiſen lebhaftes In-
tereſſe
für eine engliſche Beteiligung an der
Goldkreditbank beſteht, wird angeſichts der un-
klaren Haltung der Reparationskommiſſion be-
züglich einer Beteiligung an der Anleihe große
Zurückhaltung geübt.

Der Beamtenabbau in Württemberg.

Die württembergiſche Re-
gierung hat auf Grund des Ermächtigungs-
geſetzes eine Beamtenabbauverordnung
erlaſſen, wonach Beamte, die das 67. Lebens-
jahr vollendet
haben, in den bleibenden
Ruheſtand zu treten haben. Beamte, die das
58. Lebensjahr vollenden und eine ruhe-
gehaltsberechtigte Dienſtzeit von wenigſtens
10 Jahren zurückgelegt haben, können auf ihren
Antrag ohne Nachweis der Dienſtunfähigkeit in
den Ruheſtand verſetzt werden, ſoferne ihr Aus-
ſcheiden im Intereſſe des Abbaus des Beamten-
körpers ihrer Verwaltung liegt. Bei der Aus-
wahl der in den zeitlichen Ruheſtand zu ver-
ſetzenden Beamten darf ihre politiſche, kon-
feſſionelle oder gewerkſchaftliche
Betätigung keinen Einfluß
ausüben.
Ueber die Entlaſſung von Angeſtellten
wird beſtimmt, daß dieſe zu entlaſſen ſind, ſoferne
nicht zwingende Dienſtrückſichten der Entlaſſung
entgegenſtehen. Von der Geſamtzahl der am
1. Oktober 1928 im Dienſte geweſenen Beamten
des Staates haben bis zum 1. April 1924 min-
deſtens 15 Prozent auszuſcheiden.
Feuill. Muſ.

[Spaltenumbruch]
Große Koalition oder Landtagsauflöſung in
Sachſen.

Eigener Drahtbericht.


Heute mittag ſind zwi-
ſchen führenden Perſönlichkeiten der bürgerli-
chen Parteien
des Landstags und der
ſozialdemokratiſchen Partei neuer-
liche Verhandlungen
eingeleitet worden,
die auf die Bildung eines Koalitions-
kabinetts
unter Führung des früheren ſächſi-
ſchen Miniſterpräſidenten Buck hinzielen. Wie
wir erfahren, hat die Kandidatur Buck Ausſicht
auf Erfolg, da der Deutſchen Volkspartei die Per-
ſon des ehemaligen Miniſterpräſidenten genehm
ſein ſoll. Buck war Miniſterpräſident bis zum
Jahre 1923. Sein Kabinett, dem auch der Rechts-
ſozialiſt Lipinski als Innenminiſter angehörte,
wurde ſeinerzeit durch das Kabinett Zeigner ab-
gelöſt. — Der Rechtsausſchuß des Landstags nahm
heute den Antrag auf Auflöſung des Land-
tags
gegen die Stimmen der Sozialiſten an.

Ein abgeſchlagener Kulturkampfverſuch.

Bekanntlich hatte die ſächſi-
ſche Regierung auf Grund des ſächſiſchen Alters-
grenzengeſetzes die Penſionierung des Präſidenten
und Vizepräſidenten des evangeliſch-lutheriſchen
Konſiſtoriums verfügt. Nachdem das Reichsgericht
entſchieden hat, daß die Anwendung des genann-
ten ſächſiſchen Geſetzes auf die Mitglieder des
Landeskonſiſtoriums mit dem Art. 178 der Reichs-
verfaſſung nicht vereinbar iſt, haben Präſident
Dr. Böhme und Vizepräſident Dr. Ihmel mit
Beginn des neuen Jahres ihre Amtsgeſchäfte
wieder übernommen.

[Spaltenumbruch]
Staat und Kartelle.

Zur Demokratie im Wirtſchaftsverkehr.

Die techniſche, kapitaliſtiſche und ſoziale
Bedeutung der Konzentrations-
bewegung
im Wirtſchaftsleben (Kar-
telle, Syndikate, Konventionen uſw.) zu
ſchildern, iſt nicht Aufgabe dieſer Zeilen.
Hier ſei verſucht, die Problemſtellung in
politiſcher Richtung aufzurollen, wo-
bei wir die Verordnung gegen Miß-
brauch wirtſchaftlicher Macht-
ſtellungen
vom 2. November 1923 als
den Markſtein einer neuen politiſchen Ein-
ſtellung des Staates erachten.

Die Reichsregierung ſtellt an die Spitze
der Begründung der Verordnung den ein-
leitenden Gedanken, daß dieſe V. O. mit
anderen zum Zwecke der Produktions-
ſteigerung und zur Befreiung der Wirt-
ſchaft von unproduktiven Hemmungen ge-
ſchaffen ſei, insbeſondere zur Beſeitigung
ungeſunder Hemmungen des freien
Wettbewerbs.
In zweifacher Rich-
tung eine Abkehr von bisheriger deutſcher
Nachkriegswirtſchaftspolitik. Aus dem
Banne der Zwangswirtſchaft hatte ſich eine
Preispolitik entwickelt, die eine Senkung
des Preisniveaus mittels Einengung kauf-
männiſcher Gewinne bzw. Scheingewinne
zu erzielen hoffte und ihr klägliches Fiasko
kaum mehr verhüllen konnte. Notwendige
Folge dieſer eigentlich nur auf die Ver-
teilung
der Ware (Handel) eingeſtell-
ten Preispolitik war die Ohnmachtserklä-
rung gegenüber der Produktion und wei-
ter auch die Lähmung kaufmänniſcher
Unternehmungsluſt und natürlicher Wett-
bewerbsgeſinnung.

Die Begründung der Verordnung weiſt
nun ſelbſt darauf hin, daß die Erzeu-
gungs- und Preispolitik der
Kartelle und Konventionen
ſeit
vielen Monaten Gegenſtand heftigſter An-
griffe geweſen ſei und ſich tatſächlich
ſchwerſte Mißſtände bei den Organi-
ſationen der Produzenten herausgebildet
haben. Dieſe Erkenntnis alſo richtet die
Preispolitik auf das neue Ziel der Pro-
duktionsüberwachung,
und auch
der zweite Zweckgedanke der Erwek-
kung des geſunden Wettbe-
werbs
iſt konſequent durchgedacht im
Gegenſatz zur bisherigen Wucherbekämp-
fungsmethode. Ein Wiedererwachen des
alten demokratiſchen Staats- und Wirt-
ſchaftsideals, wie es anfangs der 90er
Jahre des vorigen Jahrhunderts auch
zur amerikaniſchen Antitruſtgeſetz-
gebung
führte, die, inauguriert von den
Demokraten, jedem freie Betätigungs-
möglichkeit verſchaffen ſollte.

Daß mit der neuen Verordnung „eine
neue Aera der Geſchichte des deutſchen Or-
ganiſationsweſens“ eingeleitet iſt, nämlich
eine ſtaatliche Aufſicht durch das
Reichswirtſchaftsminiſterium und das neu-
geſchaffene Kartellgericht, bedingt weiter
ganz neue, rechtspolitiſche Mo-
mente. Die Durchführung der neuen
ſtaatlichen Kartellpolitik bringt
im Gegenſatz zur bisherigen ſtrafrichter-
lichen Bekämpfung unrichtiger Preisbil-
dung eine praeventive Staats-
aufſicht
und gleichzeitig eine neuartige
behördliche Vertrags- und
Rechtsgeſtaltung,
indem bei Ge-
fährdung der Geſamtwirtſchaft oder des
Gemeinwohles einerſeits der Reichswirt-
ſchaftsminiſter den Kartellbeteiligten das
friſtloſe Kündigungsrecht gewähren
kann, andererſeits das Kartellgericht auf
Antrag des Reſchswirtſchaftsminiſters die
Nichtigkeitserklärung der Kar-
tellverträge, bzw. die Rücktritts-

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Max Heilgemayr. &#x2014; <hi rendition="#g">Wirt&#x017F;chaftszeitung u. Auswärtige Politik:</hi> Jo&#x017F;ef Schrepfer.<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#g">Unpoliti&#x017F;che Stadtzeitung u. Sport:</hi> Richard Rieß. &#x2014; <hi rendition="#g">Kun&#x017F;t u. Mu&#x017F;ik:</hi> Albin v.<lb/>
Prybram-Gladona. &#x2014; <hi rendition="#g">Feuilleton u. Theater</hi> Walter Foitzick. &#x2014; <hi rendition="#g">Anzeigenteil:</hi> Jo&#x017F;ef<lb/>
Spiegel, &#x017F;ämtl. in München. &#x2014; <hi rendition="#g">Redaktion:</hi> München, Baader&#x017F;tr. 1, Tel. 27940. &#x2014; Berliner<lb/>
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[0001] Allgemeine Zeitung Süddeutſches Tagblatt Großdeutſche Rundſchau127. Jahrgang. Nr. 3 München, Freitag den 4. Januar 1924. Einzelpreis 10 Pfennig. Hauptſchriftleitung und verantwortlich für Deutſche und Bayeriſche Politik: Max Heilgemayr. — Wirtſchaftszeitung u. Auswärtige Politik: Joſef Schrepfer. — Unpolitiſche Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. — Kunſt u. Muſik: Albin v. Prybram-Gladona. — Feuilleton u. Theater Walter Foitzick. — Anzeigenteil: Joſef Spiegel, ſämtl. in München. — Redaktion: München, Baaderſtr. 1, Tel. 27940. — Berliner Schriftleitung: SW 68., Zimmerſtr. 9, Tel. Zentrum 5498 u. 3967; Leiter: Alfred Gerigk. [Abbildung] Die Allgemeine Zeitung erſcheint täglich. Bei Störung des Erſcheinens infolge höherer Gewalt oder Streiks beſteht kein Anſpruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be- zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9 ſpaltige Nonpareillezeile im Inſeratenteil M. 0.25, im Reklameteil M. 0.80. Kleine Anzeigen M. 0.10. Verlag der Allgemeinen Zeitung G.m.b.H. München. Poſtſcheckkonto: München 8170. Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderſtraße 1 und 1a. Telefon 24287. Millerands Verſöhnungsgeſte. * Paris, 3. Jan. Jul. Sauerwein ver- öffentlicht im „Matin“ eine offenbar aus dem Elyſée ſtammende Auslegung der opti- miſtiſchen Worte, die Millerand am Neujahrstage beim Empfang des diplomati- ſchen Korps ausgeſprochen hatte. In dieſer Auslegung wird ausgeführt: Der Unter- ſchied zwiſchen dem 1. Januar 1924 und dem des vorigen Jahres ſei bedeutend. Viel- leicht wird es in Frankreich Leute geben, die es übertrieben finden, daß der Präſident der Republik von Verſöhnung geſpro- chen hat. Dieſes Wort ſei ſeit 50 Jahren nicht möglich geweſen, ſolange Deutſchland die Frankreich entriſſenen Provinzen gegen den Wunſch ihrer Bevölkerung mit Gewalt feſthielt. Heute aber hindere nichts mehr Frankreich, ſich mit Deutſchland zu verſöh- nen; im Gegenteil, alles rücke eine derartige Verſöhnung näher. Die Auslegung des „Matin“ ſchließt, daß in dieſem Jahr Deutſchland das Wort habe. Auf jeden Fall ſei es nützlich geweſen, daß Frankreich nach dem Erfolg der Ruhraktion angeſichts der deutſchen Kapitulation er- klärte, daß es die Rückkehr norma- ler Beziehungen zwiſchen den beiden Ländern als eine unerläßliche Bedingung für einen allgemeinen wirtſchaft- lichen Wiederaufbau betrachtet. Frankreich ſei durchaus bereit, dieſen Wunſch in Wirklichkeit umzuſetzen. Die franzöſiſche Antwort im Entwurf fertig. ++ Paris, 3. Jan. Der Entwurf der franzöſiſchen Antwort auf die deutſchen Rheinlandvorſchläge iſt geſtern vom franzö- ſiſchen Außenminiſterium fertiggeſtellt und wird heute Poincaré vorgelegt werden, um dann der belgiſchen Regierung überreicht zu werden. Man hält es für wahrſcheinlich, daß die Verſtändigungsverhandlungen mit Brüſſel ſich noch einige Zeit hinziehen wer- den. Ein Konflikt zwiſchen dem Vatikan und Jeruſalem. Rom, 3. Jan. Im Vatikan herrſcht nicht ge- ringe Aufregung über einen blutigen Zwiſchenfall, der ſich am 14. Dezember in Jeruſalem ereignet hat. Dort haben Kopten den päpſtlichen Nuntius überfallen und an der Ausübung ſeiner reli- giöſen Funktionen verhindert. Eröffnung der griechiſchen Generalverſammlung Paris, 3. Jan. Havas meldet aus Athen über die Eröffnungsſitzung der griechiſchen Nationalverſammlung. Oberſt Plaſti- ras habe die Arbeiten der Nationalverſammlung durch eine längere Rede über das Werk der Re- volution eröffnet. Erſt nach dem Wahlſiege hat die Revolution es für richtig gehalten, dem König anzuraten, ſich vorläufig zu entfernen. Unmittelbar nach Verleſung der Rede teilte die Regierung mit, daß ſie ihre Demiſſion ein- reiche und die Macht in die Hände der National- verſammlung zurücklege. Nach dem Weggang der Oberſten Plaſtiras und Gonatas brach ſtarker Lärm in der Ver- ſammlung aus. Die Venizeliſten und die Libe- ralen verlangten die Vertagung, während die Republikaner die Fortſetzung der Sitzung ver- langten. Der Präſident unterbrach die Sitzung auf eine halbe Stunde. Nach Wiederaufnahme ſchlugen die Repubkikaner vor, die Mandate der Abgeordneten für proviſoriſch gültig zu erklären, damit die Nationalverſammlung ihre Arbeiten un- mittelbar aufnehmen könne. Die Kammer beſchloß dann, ſich auf Samstag zu vertagen. Mißtrauen gegen Frankreich. Sonderdienſt der Allgemeinen Zeitung. ++ Berlin, 3. Jan. Ueber die augenblickliche außenpolitiſche Lage wird uns von unterrichteter Seite mitgeteilt: Die verſöhnende Neujahrsbotſchaft Mil- lerands mußte nach dem ganzen Verhalten der franzöſiſchen Regierung während des Ruhrkrieges ſowohl, als während der Verhandlungen, die ſeinem Abbruch gefolgt ſind, einiges Erſtaunen erregen. Man befürchtet, daß die Abſicht des franzöſiſchen Staatspräſidenten um ſo weniger ſeinen verſöhnlichen Worten entſprechen kann, als ſie gleichzeitig mit Aeußerungen der franzöſiſchen Zeitungen über eine bevorſtehende Ablehnung der deutſchen Ruhr- und Rheinvorſchläge bekannt ge- geben wurden. Die Erläuterungen der franzöſiſchen Preſſe zeigen denn auch, daß Staatspräſident Millerand tatſächlich nur an eine Verſöhnung auf der Grundlage der bisherigen franzöſiſchen Zwangspolitik denkt, der ſich Deutſch- land nach ſeiner Auffaſſung willenlos fügen ſoll. Die Reichsregierung wäre auch jetzt ebenſo wie an jedem früheren Zeitpunkt zu einer Verſtändigung und Verſöhnung auf einer den deutſchen Notwendigkeiten Rechnung tragenden Baſis, und unter ſelbſtverſtändlicher Beachtung ihrer Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag vereit. Man muß aber befürchten, daß, ſobald es ſich um praktiſche Fragen handelt, von franzöſiſcher Seite wieder die üblichen Vorbehalte gemacht werden. Daß man den privaten Plänen des Herrn Rechberg in Paris ſo beſondere Aufmerkſamkeit zeigt, widerſpricht nicht dieſer Auffaſſung, denn die Unmöglichkeit dieſer Pläne für Deutſchland wurde von amtlichen Stellen mehrmals betont. Vor al- lem muß gegenüber den Pariſer Aeußerungen darauf hingewieſen werden, daß Deutſchland einer Geſamtheit von Gläubigern gegenüberſteht und des- halb den Verſtändigungsplänen einer einzelnen Macht gegenüber ſeine Verpflich- tungen gegen die anderen Alliierten genaubeachten muß. Der Reichstag kritiſiert die Ermächtigungsverordnungen Sonderdienſt der Allgemeinen Zeitung. ++ Berlin, 3. Jan. Der Fünfzehner-Ausſchuß des Reichstages hat Einſpruch erhoben gegen die von der Reichsregierung vorgeſchlagene Sondererhöhung der Umſatzſteuer für das beſetzte Gebiet. Es war geplant, im beſetzten Gebiet den Gemeinden das Recht der Erhebung von Sonderzuſchlägen auf die Reichsſteuern zu gewähren. Dieſe Abſicht iſt nun dahin geändert worden, daß die Reichsregierung eine Verordnung erlaſſen will, in der ſie mit Geneh- migung der Beſatzungsbehörden die Umſatzſteuer für die beſetzten Gebiete von 2½ auf 3 Prozent erhöht, wobei der Mehrertrag den Ländern zur Weitergabe an die Gemeinden zufallen ſoll. Der Fünfzehner-Ausſchuß hat ſich nun auf den Standpunkt geſtellt, daß eine ſolche Ausnahmebehand- lung der beſetzten Gebiete aus politiſchen Gründen unerwünſcht ſei, und er hat der Regierung deshalb empfohlen, von dem Erlaß einer ſolchen Verordnung abzuſehen. Weiter lag dem Ausſchuß eine Verordnung der Reichsregierung vor, wonach in Abänderung der beſtehenden Beſtimmungen ein Anſpruch auf Entſchädigung gegen Schaden aus inneren Unruhen nur wirtſchaftlich Schwachen zuſtehen und die Entſchädigung 75 Prozent des Schadens nicht überſchreiten ſoll. Der Reichsbankpräſident in London. London, 3. Jan. Reichsbankpräſident Dr. Schacht hatte mit führenden Perſönlich- keiten der Bank von England und der City geſtern über die Teilnahme engli- ſcher Finanzkreiſe an der von ihm vor- geſchlagenen Goldkreditbank und an der Nah- rungsmittelanleihe für Deutſchland Unterredun- gen. Während in Citykreiſen lebhaftes In- tereſſe für eine engliſche Beteiligung an der Goldkreditbank beſteht, wird angeſichts der un- klaren Haltung der Reparationskommiſſion be- züglich einer Beteiligung an der Anleihe große Zurückhaltung geübt. Der Beamtenabbau in Württemberg. * Stuttgart, 3. Jan. Die württembergiſche Re- gierung hat auf Grund des Ermächtigungs- geſetzes eine Beamtenabbauverordnung erlaſſen, wonach Beamte, die das 67. Lebens- jahr vollendet haben, in den bleibenden Ruheſtand zu treten haben. Beamte, die das 58. Lebensjahr vollenden und eine ruhe- gehaltsberechtigte Dienſtzeit von wenigſtens 10 Jahren zurückgelegt haben, können auf ihren Antrag ohne Nachweis der Dienſtunfähigkeit in den Ruheſtand verſetzt werden, ſoferne ihr Aus- ſcheiden im Intereſſe des Abbaus des Beamten- körpers ihrer Verwaltung liegt. Bei der Aus- wahl der in den zeitlichen Ruheſtand zu ver- ſetzenden Beamten darf ihre politiſche, kon- feſſionelle oder gewerkſchaftliche Betätigung keinen Einfluß ausüben. Ueber die Entlaſſung von Angeſtellten wird beſtimmt, daß dieſe zu entlaſſen ſind, ſoferne nicht zwingende Dienſtrückſichten der Entlaſſung entgegenſtehen. Von der Geſamtzahl der am 1. Oktober 1928 im Dienſte geweſenen Beamten des Staates haben bis zum 1. April 1924 min- deſtens 15 Prozent auszuſcheiden. Feuill. Muſ. Große Koalition oder Landtagsauflöſung in Sachſen. Eigener Drahtbericht. ++ Dresden, 3. Jan. Heute mittag ſind zwi- ſchen führenden Perſönlichkeiten der bürgerli- chen Parteien des Landstags und der ſozialdemokratiſchen Partei neuer- liche Verhandlungen eingeleitet worden, die auf die Bildung eines Koalitions- kabinetts unter Führung des früheren ſächſi- ſchen Miniſterpräſidenten Buck hinzielen. Wie wir erfahren, hat die Kandidatur Buck Ausſicht auf Erfolg, da der Deutſchen Volkspartei die Per- ſon des ehemaligen Miniſterpräſidenten genehm ſein ſoll. Buck war Miniſterpräſident bis zum Jahre 1923. Sein Kabinett, dem auch der Rechts- ſozialiſt Lipinski als Innenminiſter angehörte, wurde ſeinerzeit durch das Kabinett Zeigner ab- gelöſt. — Der Rechtsausſchuß des Landstags nahm heute den Antrag auf Auflöſung des Land- tags gegen die Stimmen der Sozialiſten an. Ein abgeſchlagener Kulturkampfverſuch. + Dresden, 3. Jan. Bekanntlich hatte die ſächſi- ſche Regierung auf Grund des ſächſiſchen Alters- grenzengeſetzes die Penſionierung des Präſidenten und Vizepräſidenten des evangeliſch-lutheriſchen Konſiſtoriums verfügt. Nachdem das Reichsgericht entſchieden hat, daß die Anwendung des genann- ten ſächſiſchen Geſetzes auf die Mitglieder des Landeskonſiſtoriums mit dem Art. 178 der Reichs- verfaſſung nicht vereinbar iſt, haben Präſident Dr. Böhme und Vizepräſident Dr. Ihmel mit Beginn des neuen Jahres ihre Amtsgeſchäfte wieder übernommen. Staat und Kartelle. Zur Demokratie im Wirtſchaftsverkehr. Die techniſche, kapitaliſtiſche und ſoziale Bedeutung der Konzentrations- bewegung im Wirtſchaftsleben (Kar- telle, Syndikate, Konventionen uſw.) zu ſchildern, iſt nicht Aufgabe dieſer Zeilen. Hier ſei verſucht, die Problemſtellung in politiſcher Richtung aufzurollen, wo- bei wir die Verordnung gegen Miß- brauch wirtſchaftlicher Macht- ſtellungen vom 2. November 1923 als den Markſtein einer neuen politiſchen Ein- ſtellung des Staates erachten. Die Reichsregierung ſtellt an die Spitze der Begründung der Verordnung den ein- leitenden Gedanken, daß dieſe V. O. mit anderen zum Zwecke der Produktions- ſteigerung und zur Befreiung der Wirt- ſchaft von unproduktiven Hemmungen ge- ſchaffen ſei, insbeſondere zur Beſeitigung ungeſunder Hemmungen des freien Wettbewerbs. In zweifacher Rich- tung eine Abkehr von bisheriger deutſcher Nachkriegswirtſchaftspolitik. Aus dem Banne der Zwangswirtſchaft hatte ſich eine Preispolitik entwickelt, die eine Senkung des Preisniveaus mittels Einengung kauf- männiſcher Gewinne bzw. Scheingewinne zu erzielen hoffte und ihr klägliches Fiasko kaum mehr verhüllen konnte. Notwendige Folge dieſer eigentlich nur auf die Ver- teilung der Ware (Handel) eingeſtell- ten Preispolitik war die Ohnmachtserklä- rung gegenüber der Produktion und wei- ter auch die Lähmung kaufmänniſcher Unternehmungsluſt und natürlicher Wett- bewerbsgeſinnung. Die Begründung der Verordnung weiſt nun ſelbſt darauf hin, daß die Erzeu- gungs- und Preispolitik der Kartelle und Konventionen ſeit vielen Monaten Gegenſtand heftigſter An- griffe geweſen ſei und ſich tatſächlich ſchwerſte Mißſtände bei den Organi- ſationen der Produzenten herausgebildet haben. Dieſe Erkenntnis alſo richtet die Preispolitik auf das neue Ziel der Pro- duktionsüberwachung, und auch der zweite Zweckgedanke der Erwek- kung des geſunden Wettbe- werbs iſt konſequent durchgedacht im Gegenſatz zur bisherigen Wucherbekämp- fungsmethode. Ein Wiedererwachen des alten demokratiſchen Staats- und Wirt- ſchaftsideals, wie es anfangs der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts auch zur amerikaniſchen Antitruſtgeſetz- gebung führte, die, inauguriert von den Demokraten, jedem freie Betätigungs- möglichkeit verſchaffen ſollte. Daß mit der neuen Verordnung „eine neue Aera der Geſchichte des deutſchen Or- ganiſationsweſens“ eingeleitet iſt, nämlich eine ſtaatliche Aufſicht durch das Reichswirtſchaftsminiſterium und das neu- geſchaffene Kartellgericht, bedingt weiter ganz neue, rechtspolitiſche Mo- mente. Die Durchführung der neuen ſtaatlichen Kartellpolitik bringt im Gegenſatz zur bisherigen ſtrafrichter- lichen Bekämpfung unrichtiger Preisbil- dung eine praeventive Staats- aufſicht und gleichzeitig eine neuartige behördliche Vertrags- und Rechtsgeſtaltung, indem bei Ge- fährdung der Geſamtwirtſchaft oder des Gemeinwohles einerſeits der Reichswirt- ſchaftsminiſter den Kartellbeteiligten das friſtloſe Kündigungsrecht gewähren kann, andererſeits das Kartellgericht auf Antrag des Reſchswirtſchaftsminiſters die Nichtigkeitserklärung der Kar- tellverträge, bzw. die Rücktritts-

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 3. München, 4. Januar 1924, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine03_1924/1>, abgerufen am 21.11.2024.