Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872.[Spaltenumbruch]
Die Ausweise über die Staatseinnahmen im letzten Quartal des abgelaufe- Zur Rechtfertigung des Grafen Beust bezüglich der österreichischen Politik "Mein Herr! Die gestrige Nummer der "Pall Mall Gazette" wiederholte nach London, 28 Dec. Ich habe die Ehre etc. Fr. L. W." Officiöser Mittheilung zufolge hat der König von Siam, um "seine Freund- Frankreich. Paris, 1 Jan. * Gestern früh nach 11 Uhr begab sich der Präsident der Republik in Beglei- Die Candidatur Victor Hugo's wird in den Versammlungen der Rue d'Ar- Der General Cremer hat in folgendem burlesken Schreiben, welches gestern "An die Wähler welche mir die Candidatur angetragen haben. Paris,30 Dec. 1871. Euch allen, meine wackern und unglücklichen Landsleute, euch, den Die "Gazette de France" veröffentlicht folgende zwei Briefe: "Paris, 30 Dec. 1871. Mein Herr! Ich habe so eben beisolgenden Brief an Ihr ergebenster Diener "Paris, 30 Dec. 1871. Herr Director! Ich kann nicht mehr die Ehre haben der Zu diesem Brief bemerkt die "Republique Francaise" launig: "Der Hr. Aus Algerien hat das amtliche Blatt von dem Commandanten der Divi- "Oran, 29 Dec., 1 Uhr 12 Min. Nachmittags. Unsere Gums haben am Nach einem weitern Telegramm soll Si-Allah getödtet und Si-Kaddur ver- [Spaltenumbruch]
Die Ausweiſe über die Staatseinnahmen im letzten Quartal des abgelaufe- Zur Rechtfertigung des Grafen Beuſt bezüglich der öſterreichiſchen Politik „Mein Herr! Die geſtrige Nummer der „Pall Mall Gazette“ wiederholte nach London, 28 Dec. Ich habe die Ehre ꝛc. Fr. L. W.“ Officiöſer Mittheilung zufolge hat der König von Siam, um „ſeine Freund- Frankreich. Paris, 1 Jan. * Geſtern früh nach 11 Uhr begab ſich der Präſident der Republik in Beglei- Die Candidatur Victor Hugo’s wird in den Verſammlungen der Rue d’Ar- Der General Cremer hat in folgendem burlesken Schreiben, welches geſtern „An die Wähler welche mir die Candidatur angetragen haben. Paris,30 Dec. 1871. Euch allen, meine wackern und unglücklichen Landsleute, euch, den Die „Gazette de France“ veröffentlicht folgende zwei Briefe: „Paris, 30 Dec. 1871. Mein Herr! Ich habe ſo eben beiſolgenden Brief an Ihr ergebenſter Diener „Paris, 30 Dec. 1871. Herr Director! Ich kann nicht mehr die Ehre haben der Zu dieſem Brief bemerkt die „République Françaiſe“ launig: „Der Hr. Aus Algerien hat das amtliche Blatt von dem Commandanten der Divi- „Oran, 29 Dec., 1 Uhr 12 Min. Nachmittags. Unſere Gums haben am Nach einem weitern Telegramm ſoll Si-Allah getödtet und Si-Kaddur ver- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <pb facs="#f0005" n="45"/> <cb/> </div> <div type="jArticle" n="3"> <p>Die Ausweiſe über die Staatseinnahmen im letzten Quartal des abgelaufe-<lb/> nen Jahres liegen vor, und ſtellen ſich, im Vergleich zu den entſprechenden Ziffern<lb/> des vorigen Jahres, äußerſt günſtig. Unter allen Poſten findet man beträchtliche<lb/> Mehreinnahmen verzeichnet, mit alleiniger Ausnahme der Poſt, welche ein Minus<lb/> von 42,000 Pf. St. aufführt, was wahrſcheinlich auf die Verminderung im Zeitungs-<lb/> porto und auf Einführung der Poſtkarten zurückzuführen iſt. Im ganzen belaufen<lb/> ſich die Einnahmen für das Quartal auf 16,854,097 Pf. St., während in derſel-<lb/> ben Periode des vorigen Jahres 15,929,182 Pf. St. eingenommen wurden. Die<lb/> Einnahmen des ganzen Jahres 1871 ſtellen ſich auf 72,209,111 Pf. St., wogegen<lb/> 1870 nur 71,268,955 Pf. St. in die Staatscaſſe floſſen. Da übrigens das Finanz-<lb/> Jahr erſt mit Ablauf des erſten Quartals 1872 ſein Ende erreicht, ſo läßt ſich von<lb/> der Finanzlage nur eine klare Anſicht bilden wenn man die Einnahmen für die<lb/> letzten neun Monate des Jahres 1871 neben die des entſprechenden Zeitraumes<lb/> vom Jahre vorher ſtellt, und da ergibt ſich ein Netto-Zuwachs von 2,263,891<lb/> Pf. St., der die Ausſicht auf einen Ueberſchuß der Einnahmen über die Ausgaben<lb/> von ungefähr 3 Mill. Pf. St. für das laufende Finanzjahr eröffnet. Als ein<lb/> Beweis für die Zunahme und den Aufſchwung der commerciellen Thätigkeit ver-<lb/> dient hervorgehoben zu werden daß unter den Stempelgebühren allein ein Zuwachs<lb/> von 637,000 Pf. St. für die neun Monate erſichtlich wird, der größtentheils auf<lb/> den Handelsgeſchäften ruht.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Zur Rechtfertigung des Grafen Beuſt bezüglich der öſterreichiſchen Politik<lb/> während des deutſch-franzöſiſchen Krieges veröffentlicht die „Pall Mall Gazette“<lb/> ein Schreiben, das der Wichtigkeit dieſer noch keineswegs vollſtändig klar geſtellten<lb/> Sache wegen dem Wortlaute noch mitgetheilt zu werden verdient. Dasſelbe<lb/> lautet:</p><lb/> <floatingText> <body> <div type="letter" n="1"> <opener> <salute>„Mein Herr! </salute> </opener> <p>Die geſtrige Nummer der „Pall Mall Gazette“ wiederholte nach<lb/> der „Kölniſchen Zeitung“ die Behauptung welche ein Peſter Correſpondent des letztge-<lb/> nannten Blattes gemacht hatte und welche darauf hinauslief daß im Monat Auguſt 1870<lb/> in Wien beſchloſſen worden ſei Frankreich mit den Waffen zu unterſtützen, und daß eine<lb/> telegraphiſche Depeſche hierüber an den Grafen Andraſſy abgieng, welcher alsbald nach<lb/> Wien eilte und dem Kaiſer ſeine Entlaſſung einreichte. Dieſer Schritt allein — heißt es<lb/> weiter — verhinderte die Ausbreitung des Krieges, da Graf Beuſt nicht ſeine Entlaſſung<lb/> einreichte. Dieſe Behauptung iſt nicht neu. Sie kam während der ereignißreichen<lb/> Tage in der Mitte vorigen Jahres in Umlauf, und wurde ohne Zögern amtlich in Ab-<lb/> rede geſtellt. Es iſt daher ſehr zu bedauern daß die alte Geſchichte aufs neue, in einem<lb/> Gewande das darauf berechnet iſt irrezuleiten, den Ungeweihten vorgeführt wird. Es<lb/> iſt nicht ſchwer den Zweck dieſes Manövers zu ergründen, allein im Intereſſe der hiſto-<lb/> riſchen Wahrheit ſowohl als der betheiligten Staatsmänner wird man wohlthun ſich<lb/> einige Thatſachen ins Gedächtniß zurückzurufen. Es iſt denjenigen welche die Haltung<lb/> Oeſterreich-Ungarns und ſeiner Staatsmänner vorher ſowohl als im Laufe der erſten<lb/> Stadien des franzöſiſch-deutſchen Krieges beobachtet haben, wohl bekannt auf welcher<lb/> Seite die Sympathien für Frankreich und das Verlangen ihm bewaffneten Veiſtand zu<lb/> leiſten am ſtärkſten waren. Trotz der friedlichen Verſicherungen welche im ungariſchen<lb/> Reichstage ſchon am 13 Juli ertheilt wurden, agitirten die meiſten Peſter Blätter, welche<lb/> bekannte miniſterielle Organe waren, heftig gegen Preußen und die deutſche Sache und<lb/> für eine Allianz mit dem napoleoniſchen Frankreich — eine Thatſache welche Graf Bela<lb/> Keglevich am 30 Juli in der Sitzung des Reichstages zur Sprache brachte. Dem Grafen<lb/> Andraſſy wurde eine ſtarke Hinneigung nach Frankreich hin und beſonders zu der<lb/> Napoleoniſchen Dynaſtie, an welche er ſeit den Tagen ſeines Exils durch Bande der<lb/> Freundſchaft wie der Dankbarkeit gefeſſelt war, zugeſchrieben, und es iſt kein Geheimniß<lb/> daß im Monat Juli und in den erſten Tagen im Auguſt die kriegeriſche Militärpartei<lb/> und die Camarilla am kaiſerlichen Hofe ſich eifrig um ſeine mächtige und ſympathiſche<lb/> Unterſtützung bemühte. Graf Beuſt war der einzige Miniſter welcher zu allen Zeiten,<lb/> von dem erſten Tag an wo der Krieg auszubrechen drohte bis zu der ſchließlichen Kata-<lb/> ſtrophe, ſtandhaft und energiſch ſich jeder Betheiligung Oeſterreichs am Kriege wider-<lb/> ſetzte, und ſelbſt alle Rüſtungen als vollkommen nutzloſe Maßregeln bezeichnete, welche<lb/> nur dazu dienen könnten das Mißtrauen Rußlands und beider Kriegführenden rege zu<lb/> machen. Er vertheidigte erfolgreich dieſe Politik gegen die Kriegspartei am Hofe und<lb/> gegen die Ultramontanen und die Feudalen, und nicht minder gegen einige ſeiner eislei-<lb/> thaniſchen und transleithaniſchen Collegen. Allerdings wurde er im Cabinet zweimal im<lb/> Punkte der für nothwendig erachteten Kriegsvorbereitungen überſtimmt, allein hätte man<lb/> nach ſeinen Anſichten verfahren, ſo hätte das Volk der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie<lb/> einige 30 Mill. Gulden geſpart. Während Graf Taaffe und ſelbſt der frühere Reichsfinanz-<lb/> miniſter ſchwankten, während die Miniſter v. Petrino und General Kuhn unbedenklich<lb/> ſich in den Krieg hineinſtürzen wollten, genoß der Reichskanzler die unbedingte Unter-<lb/> ſtützung der Miniſter Potozki, Stremayr, de Pretis, Tſchabuſchnigg und Holzgethan.<lb/> Erſt während der Tage vor Metz und kurz vor der Kataſtrophe von Sedan verloren die<lb/> zum Kriege geneigten Rathgeber die Unterſtützung des ungariſchen Premier, dem ſich<lb/> darauf auch andere Factoren in der Oppoſition gegen die Fortſetzung der erzwungenen<lb/> toſtſpieligen Kriegsvorbereitungen anſchloſſen, welche man gegen den Rath des Grafen<lb/> Beuſt unternommen hatte. Da ich im Laufe der letzten Tage beſondere Gelegenheit gehabt<lb/> habe im einzelnen über dieſen Gegenſtand glaubwürdige Nachrichten zu erlangen, ſo kann ich<lb/> unbedenklich die Behauptung des Verichterſtatters der „Köln. Ztg.“ unbedingt in Abrede<lb/> ſtellen, da ſie ſich durchaus im Widerſpruche mit den wohlbekannten hiſtoriſchen Thatſachen<lb/> jener Periode befindet. Ein gleiches gilt von der Behauptung des „Peſti Naplo,“ welche nur<lb/> noch umſtändlicher den Grafen Beuſt ausdrücklich anſchuldigt: er ſei die Perſon geweſen<lb/> welche den Kaiſer Franz Joſeph zu überzeugen verſuchte daß eine Intervention zu Gunſten<lb/> Frankreichs nothwendig ſei. Graf Beuſt hat nie weder amtlich noch außeramtlich irgend-<lb/> welchen Einfluß in der angegebenen Richtung auszuüben geſucht, noch rieth er je zu<lb/> einem Schritte ſolcher Art, und noch viel weniger aber iſt es wahr daß man es<lb/> allein der Feſtigkeit des Grafen Andraſſy zu danken hatte wenn Oeſterreich ſeine<lb/> Neutralität aufrecht erhielt. Beide Miniſter handelten während jener kritiſchen<lb/> Periode in vollkommener Eintracht miteinander, wofür ſich ausgiehige Belege in<lb/> der diplomatiſchen Correſpondenz des öſterreichiſch-ungariſchen auswärtigen Amtes,<lb/> wie ſolche in dem Rothbuche des letzten Jahrs veröffentlicht wurde, und in den vom<lb/> Grafen Andraſſy am 13 und 30 Juli vor. Jahres im ungariſchen Reichstage gegebenen<lb/> Erklärungen vorfinden. Dieſe Correſpondenz beweist außerdem daß der ehemalige<lb/> Kanzler, weit entfernt Hoffnungen auf Unterſtützung zu nähren, nicht ermangelte die<lb/> franzöſiſche Regierung zu warnen, und daß er mit der größten Offenheit alle unberech-<lb/> tigten Illuſionen welchen man ſich in dieſer Hinſicht in Paris hingab zerſtörte. Graf<lb/> Andraſſy hat ſich ſtets mit der höchſten Rückſicht bezüglich ſeiner Beziehungen zu ſeinem<lb/> Amtsvorgänger geäußert, und ſeiner Politit volle Gerechtigkeit widerfahren laſſen, in-<lb/> dem er ſie in ſeinem Circular vom 23 v. M. beſtätigte.</p> <closer> <dateline>London, 28 Dec.</dateline> <salute>Ich habe<lb/> die Ehre ꝛc. Fr. L. W.“</salute> </closer> </div> </body> </floatingText> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Officiöſer Mittheilung zufolge hat der König von Siam, um „ſeine Freund-<lb/> ſchaftsbeziehungen zu Großbritannien noch inniger zu machen,“ beſchloſſen dem<lb/> Vicekönig von Indien einen Staatsbeſuch abzuſtatten und einige der brittiſchen<lb/> Beſitzungen in Hindoſtan in Augenſchein zu nehmen. Zu dieſem Zweck iſt der<lb/> König am 24 Nov. von Singapur abgereist.</p><lb/> <cb/> </div> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 1 Jan.</dateline><lb/> <p>* Geſtern früh nach 11 Uhr begab ſich der Präſident der Republik in Beglei-<lb/> tung ſämmtlicher Miniſter und ſeines Cabinetschefs, Hrn. Barth<hi rendition="#aq">é</hi>lemy Saint Hilaire,<lb/> nach dem Schloſſe von Verſailles, wo ſich die Gemächer des Präſidenten der Natio-<lb/> nalverſammlung befinden. Eine Abtheilung Cüraſſiere und eine Abtheilung Gen-<lb/> darmen ritten dem officiellen Zuge voran, und die letzteren nahmen vor der Thür<lb/> des Kammerpräſidenten Stellung. Hr Gr<hi rendition="#aq">é</hi>vy und die Mitglieder des Bureau’s<lb/> erwarteten Hrn. Thiers an der Thür des Salons; die Begegnung war eine ſehr<lb/> herzliche, doch wurden keine Reden gehalten. Um 11¾ Uhr war Hr. Thiers nach<lb/> der Präfectur zurückgekehrt, und zehn Minuten ſpäter erwiederten ihm Hr. Gr<hi rendition="#aq">é</hi>vy und<lb/> ſeine Collegen vom Bureau den Beſuch; auch dießmal wurden keine officiellen An-<lb/> ſprachen gehalten. Dann folgten in den Salons des Präſidenten der Republik die<lb/> Abgeordneten in großer Zahl—wobei man das Ausbleiben des Herzogs von Aumale<lb/> und des Prinzen von Joinville bemerkte, deren politiſche Freunde gleichwohl faſt<lb/> vollzählig erſchienen waren — Marſchall Mac-Mahon mit ſeinem Generalſtabe, der<lb/> Biſchof von Verſailles mit ſeiner Geiſtlichkeit, der Präfect des Departements und<lb/> der Maire der Stadt, die Vertreter der Conſiſkorien, Gerichte und ſonſtigen Amts-<lb/> körper, endlich die höhern Officiere der Armee. Heute wird das diplomatiſche<lb/> Corps nebſt den Deputationen der verſchiedenen Pariſer Körperſchaften von dem<lb/> Präſidenten der Republik empfangen werden. Die Diplomaten werden ſämmtlich<lb/> in Civil erſcheinen. Es wurde dem päpſtlichen Nuntius zu verſtehen gegeben daß<lb/> eine Anſprache nicht gewünſcht werde, woraus man ſchließen darf daß auch der<lb/> Präſident der Republik keine Rede zu halten gedenkt. Graf Arnim und Fürſt<lb/> Metternich werden dieſem Empfang nicht beiwohnen, der erſtere weil er, ſolange er<lb/> nicht von Rom officiell abberufen worden, was erſt in einigen Tagen geſchehen ſoll,<lb/> dem hieſigen diplomatiſchen Corps nicht angehört, der letztere weil er noch geſtern<lb/> vor Jahresſchluß dem Präſidenten der Republik ſeine Abberufungsſchreiben über-<lb/> reicht hat. Oeſterreich wird demnach in der heutigen Feierlichkeit durch den Gra-<lb/> fen Hoyos und Deutſchland gar nicht vertreten ſein. Für Rußland wird Graf<lb/> Okunieff erſcheinen; der Fürſt Orloff, welcher allerdings zum Botſchafter des Czaren<lb/> bei der Republik ernannt iſt und deſſen Eintreffen die geſammte Pariſer Preſſe mit<lb/> zahlreichen Details gemeldet hat, wird in Wahrheit erſt nächſte Woche in der ruſſi-<lb/> ſchen Botſchaft erwartet. Der neue Geſandte Frankreichs am Deutſchen Kaiſerhofe,<lb/> Hr. v. Gontaut-Biron, ſoll ſich morgen auf ſeinen Poſten nach Berlin begeben.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Die Candidatur Victor Hugo’s wird in den Verſammlungen der Rue d’Ar-<lb/> ras noch täglich angegriffen, und ſchon iſt man dort ſo weit zur Vernunft gekom-<lb/> men daß geſtern zwei Redner, ohne allzuſehr geſtört zu werden, die Candidatur des<lb/> gemäßigten Republicaners Vautrain, des Präſidenten des Pariſer Gemeinderaths,<lb/> zur Sprache bringen konnten. Es iſt dieß immerhin ein Symptom. In der Preſſe<lb/> wird die Candidatur des Hrn. Vautrain von unverdächtig republicaniſchen Blät-<lb/> tern, wie dem „Si<hi rendition="#aq">è</hi>cle,“ dem „Temps,“ dann dem „Bien public,“ dem „Soir“ und<lb/> der „Opinion nationale,“ endlich allerdings auch von dem „Journal des Debats“<lb/> unterſtützt. Die Ernennung Vautrain’s, auf die man freilich noch lange nicht<lb/> hoffen darf; wäre für eine ganze Reihe von Fragen (Rückkehr der Regierung nach<lb/> Paris, Amneſtie, Aufhebung des Belagerungsſtandes u. ſ. w.) von der ſegensreich-<lb/> ſten Wirkung.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Der General Cremer hat in folgendem burlesken Schreiben, welches geſtern<lb/> in der Wählerverſammlung der Rue d’Arras verleſen wurde, ſeine Candidatur<lb/> zurückgezogen:</p><lb/> <floatingText> <body> <div type="letter" n="1"> <opener> <salute>„An die Wähler welche mir die Candidatur angetragen haben.</salute> <dateline><hi rendition="#g">Paris,</hi><lb/> 30 Dec. 1871.</dateline> </opener> <p> Euch allen, meine wackern und unglücklichen Landsleute, euch, den<lb/> wackern Reſten der elſäßiſch-lothringiſchen ſogenannten Befreiungs-Bataillone, die ihr<lb/> in die große und edle Stadt Paris geflüchtet ſeid, und euch, die ihr, durch langen Auf-<lb/> enthalt zu Pariſern geworden, euren unglücklichen Brüdern ſo großmüthig zu Hülfe<lb/> kamet, endlich euch, ihr Arbeiter von Paris, die ihr die Trümmer meines Degens<lb/> aufrafftet um daraus ein Werkzeug des Proteſtes zu machen, indem ihr mir antruget,<lb/> euer Vertreter zu ſein, thue ich hiermit zu wiſſen: Die Reaction iſt mächtig, und es iſt<lb/> nicht zu viel wenn wir alle unſere Kräfte vereinigen um ihren Intriguen, ihren Verräthe-<lb/> reien zu widerſtehen. Eure Geſinnung muß auf die entſchiedenſte und zermalmendſte<lb/> Weiſe bekräftigt werden. Es darf kein Zweifel über euern Willen bleiben. Ihr habt<lb/> eure Blicke auf mich geworfen. Ich danke. Aber wie ſehr wäre ich euch zu Danke ver-<lb/> bunden wenn ihr am 7 Jan., compact wie eine Angriffscolonne, in eurem Herzen den<lb/> Degen eures Candidaten mit der tapfern Feder des großen Mannes vereinigend, mei-<lb/> nem Beiſpiele folgtet und den Namen Victor Hugo in die Wahlurne legtet. <hi rendition="#g">Cremer,</hi><lb/> Er-General.“</p> </div> </body> </floatingText> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Die „Gazette de France“ veröffentlicht folgende zwei Briefe:</p><lb/> <floatingText> <body> <div type="letter" n="1"> <opener> <dateline>„Paris, 30 Dec. 1871.</dateline> <salute>Mein Herr!</salute> </opener> <p> Ich habe ſo eben beiſolgenden Brief an<lb/> Hrn. Legonv<hi rendition="#aq">é</hi>, den Director der Acad<hi rendition="#aq">é</hi>mie Fran<hi rendition="#aq">ç</hi>aiſe, gerichtet. Wollen Sie denſelben<lb/> morgen in der „Gazette“ veröffentlichen. </p> <closer> <salute>Ihr ergebenſter Diener</salute> </closer> <byline>† <hi rendition="#g">Felir,</hi> Biſchof<lb/> von Orleans.“</byline> </div> </body> </floatingText><lb/> <floatingText> <body> <div type="letter" n="1"> <opener> <dateline>„Paris, 30 Dec. 1871.</dateline> <salute>Herr Director!</salute> </opener> <p> Ich kann nicht mehr die Ehre haben der<lb/> Acad<hi rendition="#aq">é</hi>mie Fran<hi rendition="#aq">ç</hi>aiſe anzugehören. Wollen Sie dieſelbe gefälligſt meine Dimiſſion ge-<lb/> nehmigen laſſen, und genehmigen Sie ſelbſt die Verſicherung meiner Hochachtung.</p><lb/> <byline>† <hi rendition="#g">Felix,</hi> Biſchof von Orleans.“</byline> </div> </body> </floatingText><lb/> <p>Zu dieſem Brief bemerkt die „R<hi rendition="#aq">é</hi>publique Fran<hi rendition="#aq">ç</hi>aiſe“ launig: „Der Hr.<lb/> Biſchof von Orleans gehört zu denen welche keinen Mittelweg kennen. Die Ernen-<lb/> nung des Herzogs v. Aumale kann ihn nicht für die des Hrn. Littr<hi rendition="#aq">é</hi> tröſten. Der<lb/> von den HH. Guizot und Thiers ausgeſonnene und verabredete Ausgleich ſtellt<lb/> ihn nicht zufrieden. Er verläßt eine Akademie die ihm befleckt ſcheint, indem er den<lb/> Staub von ſeinen Füßen ſchüttelt. Aber in dieſer Anwandlung ſeiner üblen Laune<lb/> hat Hr. Dupanloup vergeſſen daß die Eigenſchaft eines Akademikers ihrer Natur<lb/> nach einen unzerſtörbaren Charakter trägt. Wer einmal unſterblich iſt, hat nicht<lb/> mehr das Recht auf die Unſterblichkeit zu verzichten. Man kann ebenſo wenig ſeine<lb/> Dimiſſion als Akademiker geben wie als Prieſter oder Freimaurer. Hr. Dupanloup<lb/> wird alſo der College des Hrn. Littr<hi rendition="#aq">é</hi> bleiben.“</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Aus <hi rendition="#g">Algerien</hi> hat das amtliche Blatt von dem Commandanten der Divi-<lb/> ſion von <hi rendition="#g">Oran</hi>, General Osmon, folgendes Telegramm erhalten:</p><lb/> <floatingText> <body> <div n="1"> <p>„<hi rendition="#g">Oran</hi>, 29 Dec., 1 Uhr 12 Min. Nachmittags. Unſere Gums haben am<lb/> 23 Dec. einige Lieues ſüdöſtlich von Megub einen prächtigen Erfolg gegen Si-Kaddur-<lb/> uld-Hainza davongetragen. Sie haben ihn erreicht, angegriffen und nach einſtündigem<lb/> Kampf, in welchem ſie ihm ungefähr 150 Mann Cavallerie tödteten, vollſtändig in die<lb/> Flucht geſchlagen. Sie eroberten eine anſehnliche Beute, zwei Fahnen und das Siegel<lb/> Si-Kaddurs. Dieſer ſelbſt iſt beinahe ohne Begleitung in öſtlicher Richtung entflohen.<lb/> Viele Stämme welche mit Si-Kaddur giengen haben ſich uns genähert, und ergeben<lb/> ſich. Oberſtlieutenant Gaine, der unſere Gums unterſtützt, ſollte am 25 in Megub<lb/> eintreffen um dort die Unterwürfigkeitserklärungen entgegenzunehmen.</p> </div> </body> </floatingText><lb/> <p>Nach einem weitern Telegramm ſoll Si-Allah getödtet und Si-Kaddur ver-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [45/0005]
Die Ausweiſe über die Staatseinnahmen im letzten Quartal des abgelaufe-
nen Jahres liegen vor, und ſtellen ſich, im Vergleich zu den entſprechenden Ziffern
des vorigen Jahres, äußerſt günſtig. Unter allen Poſten findet man beträchtliche
Mehreinnahmen verzeichnet, mit alleiniger Ausnahme der Poſt, welche ein Minus
von 42,000 Pf. St. aufführt, was wahrſcheinlich auf die Verminderung im Zeitungs-
porto und auf Einführung der Poſtkarten zurückzuführen iſt. Im ganzen belaufen
ſich die Einnahmen für das Quartal auf 16,854,097 Pf. St., während in derſel-
ben Periode des vorigen Jahres 15,929,182 Pf. St. eingenommen wurden. Die
Einnahmen des ganzen Jahres 1871 ſtellen ſich auf 72,209,111 Pf. St., wogegen
1870 nur 71,268,955 Pf. St. in die Staatscaſſe floſſen. Da übrigens das Finanz-
Jahr erſt mit Ablauf des erſten Quartals 1872 ſein Ende erreicht, ſo läßt ſich von
der Finanzlage nur eine klare Anſicht bilden wenn man die Einnahmen für die
letzten neun Monate des Jahres 1871 neben die des entſprechenden Zeitraumes
vom Jahre vorher ſtellt, und da ergibt ſich ein Netto-Zuwachs von 2,263,891
Pf. St., der die Ausſicht auf einen Ueberſchuß der Einnahmen über die Ausgaben
von ungefähr 3 Mill. Pf. St. für das laufende Finanzjahr eröffnet. Als ein
Beweis für die Zunahme und den Aufſchwung der commerciellen Thätigkeit ver-
dient hervorgehoben zu werden daß unter den Stempelgebühren allein ein Zuwachs
von 637,000 Pf. St. für die neun Monate erſichtlich wird, der größtentheils auf
den Handelsgeſchäften ruht.
Zur Rechtfertigung des Grafen Beuſt bezüglich der öſterreichiſchen Politik
während des deutſch-franzöſiſchen Krieges veröffentlicht die „Pall Mall Gazette“
ein Schreiben, das der Wichtigkeit dieſer noch keineswegs vollſtändig klar geſtellten
Sache wegen dem Wortlaute noch mitgetheilt zu werden verdient. Dasſelbe
lautet:
„Mein Herr! Die geſtrige Nummer der „Pall Mall Gazette“ wiederholte nach
der „Kölniſchen Zeitung“ die Behauptung welche ein Peſter Correſpondent des letztge-
nannten Blattes gemacht hatte und welche darauf hinauslief daß im Monat Auguſt 1870
in Wien beſchloſſen worden ſei Frankreich mit den Waffen zu unterſtützen, und daß eine
telegraphiſche Depeſche hierüber an den Grafen Andraſſy abgieng, welcher alsbald nach
Wien eilte und dem Kaiſer ſeine Entlaſſung einreichte. Dieſer Schritt allein — heißt es
weiter — verhinderte die Ausbreitung des Krieges, da Graf Beuſt nicht ſeine Entlaſſung
einreichte. Dieſe Behauptung iſt nicht neu. Sie kam während der ereignißreichen
Tage in der Mitte vorigen Jahres in Umlauf, und wurde ohne Zögern amtlich in Ab-
rede geſtellt. Es iſt daher ſehr zu bedauern daß die alte Geſchichte aufs neue, in einem
Gewande das darauf berechnet iſt irrezuleiten, den Ungeweihten vorgeführt wird. Es
iſt nicht ſchwer den Zweck dieſes Manövers zu ergründen, allein im Intereſſe der hiſto-
riſchen Wahrheit ſowohl als der betheiligten Staatsmänner wird man wohlthun ſich
einige Thatſachen ins Gedächtniß zurückzurufen. Es iſt denjenigen welche die Haltung
Oeſterreich-Ungarns und ſeiner Staatsmänner vorher ſowohl als im Laufe der erſten
Stadien des franzöſiſch-deutſchen Krieges beobachtet haben, wohl bekannt auf welcher
Seite die Sympathien für Frankreich und das Verlangen ihm bewaffneten Veiſtand zu
leiſten am ſtärkſten waren. Trotz der friedlichen Verſicherungen welche im ungariſchen
Reichstage ſchon am 13 Juli ertheilt wurden, agitirten die meiſten Peſter Blätter, welche
bekannte miniſterielle Organe waren, heftig gegen Preußen und die deutſche Sache und
für eine Allianz mit dem napoleoniſchen Frankreich — eine Thatſache welche Graf Bela
Keglevich am 30 Juli in der Sitzung des Reichstages zur Sprache brachte. Dem Grafen
Andraſſy wurde eine ſtarke Hinneigung nach Frankreich hin und beſonders zu der
Napoleoniſchen Dynaſtie, an welche er ſeit den Tagen ſeines Exils durch Bande der
Freundſchaft wie der Dankbarkeit gefeſſelt war, zugeſchrieben, und es iſt kein Geheimniß
daß im Monat Juli und in den erſten Tagen im Auguſt die kriegeriſche Militärpartei
und die Camarilla am kaiſerlichen Hofe ſich eifrig um ſeine mächtige und ſympathiſche
Unterſtützung bemühte. Graf Beuſt war der einzige Miniſter welcher zu allen Zeiten,
von dem erſten Tag an wo der Krieg auszubrechen drohte bis zu der ſchließlichen Kata-
ſtrophe, ſtandhaft und energiſch ſich jeder Betheiligung Oeſterreichs am Kriege wider-
ſetzte, und ſelbſt alle Rüſtungen als vollkommen nutzloſe Maßregeln bezeichnete, welche
nur dazu dienen könnten das Mißtrauen Rußlands und beider Kriegführenden rege zu
machen. Er vertheidigte erfolgreich dieſe Politik gegen die Kriegspartei am Hofe und
gegen die Ultramontanen und die Feudalen, und nicht minder gegen einige ſeiner eislei-
thaniſchen und transleithaniſchen Collegen. Allerdings wurde er im Cabinet zweimal im
Punkte der für nothwendig erachteten Kriegsvorbereitungen überſtimmt, allein hätte man
nach ſeinen Anſichten verfahren, ſo hätte das Volk der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie
einige 30 Mill. Gulden geſpart. Während Graf Taaffe und ſelbſt der frühere Reichsfinanz-
miniſter ſchwankten, während die Miniſter v. Petrino und General Kuhn unbedenklich
ſich in den Krieg hineinſtürzen wollten, genoß der Reichskanzler die unbedingte Unter-
ſtützung der Miniſter Potozki, Stremayr, de Pretis, Tſchabuſchnigg und Holzgethan.
Erſt während der Tage vor Metz und kurz vor der Kataſtrophe von Sedan verloren die
zum Kriege geneigten Rathgeber die Unterſtützung des ungariſchen Premier, dem ſich
darauf auch andere Factoren in der Oppoſition gegen die Fortſetzung der erzwungenen
toſtſpieligen Kriegsvorbereitungen anſchloſſen, welche man gegen den Rath des Grafen
Beuſt unternommen hatte. Da ich im Laufe der letzten Tage beſondere Gelegenheit gehabt
habe im einzelnen über dieſen Gegenſtand glaubwürdige Nachrichten zu erlangen, ſo kann ich
unbedenklich die Behauptung des Verichterſtatters der „Köln. Ztg.“ unbedingt in Abrede
ſtellen, da ſie ſich durchaus im Widerſpruche mit den wohlbekannten hiſtoriſchen Thatſachen
jener Periode befindet. Ein gleiches gilt von der Behauptung des „Peſti Naplo,“ welche nur
noch umſtändlicher den Grafen Beuſt ausdrücklich anſchuldigt: er ſei die Perſon geweſen
welche den Kaiſer Franz Joſeph zu überzeugen verſuchte daß eine Intervention zu Gunſten
Frankreichs nothwendig ſei. Graf Beuſt hat nie weder amtlich noch außeramtlich irgend-
welchen Einfluß in der angegebenen Richtung auszuüben geſucht, noch rieth er je zu
einem Schritte ſolcher Art, und noch viel weniger aber iſt es wahr daß man es
allein der Feſtigkeit des Grafen Andraſſy zu danken hatte wenn Oeſterreich ſeine
Neutralität aufrecht erhielt. Beide Miniſter handelten während jener kritiſchen
Periode in vollkommener Eintracht miteinander, wofür ſich ausgiehige Belege in
der diplomatiſchen Correſpondenz des öſterreichiſch-ungariſchen auswärtigen Amtes,
wie ſolche in dem Rothbuche des letzten Jahrs veröffentlicht wurde, und in den vom
Grafen Andraſſy am 13 und 30 Juli vor. Jahres im ungariſchen Reichstage gegebenen
Erklärungen vorfinden. Dieſe Correſpondenz beweist außerdem daß der ehemalige
Kanzler, weit entfernt Hoffnungen auf Unterſtützung zu nähren, nicht ermangelte die
franzöſiſche Regierung zu warnen, und daß er mit der größten Offenheit alle unberech-
tigten Illuſionen welchen man ſich in dieſer Hinſicht in Paris hingab zerſtörte. Graf
Andraſſy hat ſich ſtets mit der höchſten Rückſicht bezüglich ſeiner Beziehungen zu ſeinem
Amtsvorgänger geäußert, und ſeiner Politit volle Gerechtigkeit widerfahren laſſen, in-
dem er ſie in ſeinem Circular vom 23 v. M. beſtätigte.
London, 28 Dec.Ich habe
die Ehre ꝛc. Fr. L. W.“
Officiöſer Mittheilung zufolge hat der König von Siam, um „ſeine Freund-
ſchaftsbeziehungen zu Großbritannien noch inniger zu machen,“ beſchloſſen dem
Vicekönig von Indien einen Staatsbeſuch abzuſtatten und einige der brittiſchen
Beſitzungen in Hindoſtan in Augenſchein zu nehmen. Zu dieſem Zweck iſt der
König am 24 Nov. von Singapur abgereist.
Frankreich.
Paris, 1 Jan.
* Geſtern früh nach 11 Uhr begab ſich der Präſident der Republik in Beglei-
tung ſämmtlicher Miniſter und ſeines Cabinetschefs, Hrn. Barthélemy Saint Hilaire,
nach dem Schloſſe von Verſailles, wo ſich die Gemächer des Präſidenten der Natio-
nalverſammlung befinden. Eine Abtheilung Cüraſſiere und eine Abtheilung Gen-
darmen ritten dem officiellen Zuge voran, und die letzteren nahmen vor der Thür
des Kammerpräſidenten Stellung. Hr Grévy und die Mitglieder des Bureau’s
erwarteten Hrn. Thiers an der Thür des Salons; die Begegnung war eine ſehr
herzliche, doch wurden keine Reden gehalten. Um 11¾ Uhr war Hr. Thiers nach
der Präfectur zurückgekehrt, und zehn Minuten ſpäter erwiederten ihm Hr. Grévy und
ſeine Collegen vom Bureau den Beſuch; auch dießmal wurden keine officiellen An-
ſprachen gehalten. Dann folgten in den Salons des Präſidenten der Republik die
Abgeordneten in großer Zahl—wobei man das Ausbleiben des Herzogs von Aumale
und des Prinzen von Joinville bemerkte, deren politiſche Freunde gleichwohl faſt
vollzählig erſchienen waren — Marſchall Mac-Mahon mit ſeinem Generalſtabe, der
Biſchof von Verſailles mit ſeiner Geiſtlichkeit, der Präfect des Departements und
der Maire der Stadt, die Vertreter der Conſiſkorien, Gerichte und ſonſtigen Amts-
körper, endlich die höhern Officiere der Armee. Heute wird das diplomatiſche
Corps nebſt den Deputationen der verſchiedenen Pariſer Körperſchaften von dem
Präſidenten der Republik empfangen werden. Die Diplomaten werden ſämmtlich
in Civil erſcheinen. Es wurde dem päpſtlichen Nuntius zu verſtehen gegeben daß
eine Anſprache nicht gewünſcht werde, woraus man ſchließen darf daß auch der
Präſident der Republik keine Rede zu halten gedenkt. Graf Arnim und Fürſt
Metternich werden dieſem Empfang nicht beiwohnen, der erſtere weil er, ſolange er
nicht von Rom officiell abberufen worden, was erſt in einigen Tagen geſchehen ſoll,
dem hieſigen diplomatiſchen Corps nicht angehört, der letztere weil er noch geſtern
vor Jahresſchluß dem Präſidenten der Republik ſeine Abberufungsſchreiben über-
reicht hat. Oeſterreich wird demnach in der heutigen Feierlichkeit durch den Gra-
fen Hoyos und Deutſchland gar nicht vertreten ſein. Für Rußland wird Graf
Okunieff erſcheinen; der Fürſt Orloff, welcher allerdings zum Botſchafter des Czaren
bei der Republik ernannt iſt und deſſen Eintreffen die geſammte Pariſer Preſſe mit
zahlreichen Details gemeldet hat, wird in Wahrheit erſt nächſte Woche in der ruſſi-
ſchen Botſchaft erwartet. Der neue Geſandte Frankreichs am Deutſchen Kaiſerhofe,
Hr. v. Gontaut-Biron, ſoll ſich morgen auf ſeinen Poſten nach Berlin begeben.
Die Candidatur Victor Hugo’s wird in den Verſammlungen der Rue d’Ar-
ras noch täglich angegriffen, und ſchon iſt man dort ſo weit zur Vernunft gekom-
men daß geſtern zwei Redner, ohne allzuſehr geſtört zu werden, die Candidatur des
gemäßigten Republicaners Vautrain, des Präſidenten des Pariſer Gemeinderaths,
zur Sprache bringen konnten. Es iſt dieß immerhin ein Symptom. In der Preſſe
wird die Candidatur des Hrn. Vautrain von unverdächtig republicaniſchen Blät-
tern, wie dem „Siècle,“ dem „Temps,“ dann dem „Bien public,“ dem „Soir“ und
der „Opinion nationale,“ endlich allerdings auch von dem „Journal des Debats“
unterſtützt. Die Ernennung Vautrain’s, auf die man freilich noch lange nicht
hoffen darf; wäre für eine ganze Reihe von Fragen (Rückkehr der Regierung nach
Paris, Amneſtie, Aufhebung des Belagerungsſtandes u. ſ. w.) von der ſegensreich-
ſten Wirkung.
Der General Cremer hat in folgendem burlesken Schreiben, welches geſtern
in der Wählerverſammlung der Rue d’Arras verleſen wurde, ſeine Candidatur
zurückgezogen:
„An die Wähler welche mir die Candidatur angetragen haben.Paris,
30 Dec. 1871. Euch allen, meine wackern und unglücklichen Landsleute, euch, den
wackern Reſten der elſäßiſch-lothringiſchen ſogenannten Befreiungs-Bataillone, die ihr
in die große und edle Stadt Paris geflüchtet ſeid, und euch, die ihr, durch langen Auf-
enthalt zu Pariſern geworden, euren unglücklichen Brüdern ſo großmüthig zu Hülfe
kamet, endlich euch, ihr Arbeiter von Paris, die ihr die Trümmer meines Degens
aufrafftet um daraus ein Werkzeug des Proteſtes zu machen, indem ihr mir antruget,
euer Vertreter zu ſein, thue ich hiermit zu wiſſen: Die Reaction iſt mächtig, und es iſt
nicht zu viel wenn wir alle unſere Kräfte vereinigen um ihren Intriguen, ihren Verräthe-
reien zu widerſtehen. Eure Geſinnung muß auf die entſchiedenſte und zermalmendſte
Weiſe bekräftigt werden. Es darf kein Zweifel über euern Willen bleiben. Ihr habt
eure Blicke auf mich geworfen. Ich danke. Aber wie ſehr wäre ich euch zu Danke ver-
bunden wenn ihr am 7 Jan., compact wie eine Angriffscolonne, in eurem Herzen den
Degen eures Candidaten mit der tapfern Feder des großen Mannes vereinigend, mei-
nem Beiſpiele folgtet und den Namen Victor Hugo in die Wahlurne legtet. Cremer,
Er-General.“
Die „Gazette de France“ veröffentlicht folgende zwei Briefe:
„Paris, 30 Dec. 1871.Mein Herr! Ich habe ſo eben beiſolgenden Brief an
Hrn. Legonvé, den Director der Académie Françaiſe, gerichtet. Wollen Sie denſelben
morgen in der „Gazette“ veröffentlichen.
Ihr ergebenſter Diener† Felir, Biſchof
von Orleans.“
„Paris, 30 Dec. 1871.Herr Director! Ich kann nicht mehr die Ehre haben der
Académie Françaiſe anzugehören. Wollen Sie dieſelbe gefälligſt meine Dimiſſion ge-
nehmigen laſſen, und genehmigen Sie ſelbſt die Verſicherung meiner Hochachtung.
† Felix, Biſchof von Orleans.“
Zu dieſem Brief bemerkt die „République Françaiſe“ launig: „Der Hr.
Biſchof von Orleans gehört zu denen welche keinen Mittelweg kennen. Die Ernen-
nung des Herzogs v. Aumale kann ihn nicht für die des Hrn. Littré tröſten. Der
von den HH. Guizot und Thiers ausgeſonnene und verabredete Ausgleich ſtellt
ihn nicht zufrieden. Er verläßt eine Akademie die ihm befleckt ſcheint, indem er den
Staub von ſeinen Füßen ſchüttelt. Aber in dieſer Anwandlung ſeiner üblen Laune
hat Hr. Dupanloup vergeſſen daß die Eigenſchaft eines Akademikers ihrer Natur
nach einen unzerſtörbaren Charakter trägt. Wer einmal unſterblich iſt, hat nicht
mehr das Recht auf die Unſterblichkeit zu verzichten. Man kann ebenſo wenig ſeine
Dimiſſion als Akademiker geben wie als Prieſter oder Freimaurer. Hr. Dupanloup
wird alſo der College des Hrn. Littré bleiben.“
Aus Algerien hat das amtliche Blatt von dem Commandanten der Divi-
ſion von Oran, General Osmon, folgendes Telegramm erhalten:
„Oran, 29 Dec., 1 Uhr 12 Min. Nachmittags. Unſere Gums haben am
23 Dec. einige Lieues ſüdöſtlich von Megub einen prächtigen Erfolg gegen Si-Kaddur-
uld-Hainza davongetragen. Sie haben ihn erreicht, angegriffen und nach einſtündigem
Kampf, in welchem ſie ihm ungefähr 150 Mann Cavallerie tödteten, vollſtändig in die
Flucht geſchlagen. Sie eroberten eine anſehnliche Beute, zwei Fahnen und das Siegel
Si-Kaddurs. Dieſer ſelbſt iſt beinahe ohne Begleitung in öſtlicher Richtung entflohen.
Viele Stämme welche mit Si-Kaddur giengen haben ſich uns genähert, und ergeben
ſich. Oberſtlieutenant Gaine, der unſere Gums unterſtützt, ſollte am 25 in Megub
eintreffen um dort die Unterwürfigkeitserklärungen entgegenzunehmen.
Nach einem weitern Telegramm ſoll Si-Allah getödtet und Si-Kaddur ver-
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(2022-02-11T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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