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Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] wundet worden sein, letzterer werde von den Gums in südöstlicher Richtung ver-
folgt, die feindlichen Stämme seien mit ihrem Marabut eingeschlossen.

Eine Frühlingssonne der Hoffnung scheint heute den
Parisern alle düstern Schatten der Erinnerung verscheuchen, ihnen die Gegenwart
und die Zukunft vergolden zu wollen. Dem optimistischen Zauber dieses Früh-
lingswetters vermag niemand zu widerstehen. Kein Mensch vermerkt die Vernich
tung der Tuilerien, die Abwesenheit eines Hofes, der Regierung, der National-
versammlung. Paris emancipirt sich mehr und mehr von solchem Residenzluxus
und lebt sich in die selbständigen Gewohnheiten einer Freistadt hinein, was vom
Krautjunkerthum in Versailles zu spät begriffen wird. Seit weniger als zwei
Wochen hat Paris für mehr als 3 Millionen Franken Orangen verbraucht, und
der specifische Pariser Luxushandel, die Juweliere seit acht Tagen inbegriffen,
bringt ein verlornes Jahr reichlich herein. Die Vertreter des Großhandels und
des Bankgeschäftes überbrachten Hrn. Thiers mit den authentischen Insormatio-
nen über den Geschäftsaufschwung den Dank für die Energie womit er in der
Bankfrage das orleanistische Complott vereitelt und die Neujahrsliquidation ge-
rettet hat. Die Orleans verkannten nicht die vernichtende Tragweite dieser De-
monstration. Die Abgeordneten Joinville und Aumale erwiesen dem Präsidenten
der Republik nicht die Ehre ihres Neujahrsbesuchs; aber sie beauftragten ihr par-
kamentarisches Gefolge dem Präsidenten der Republik die Zusicherung ihrer Hin-
gebung und die Entschuldigung zu hinterbringen daß sie in der Bankfrage ohne
einen tückischen Hintergedanken manövrirt haben. Nach vierzehn Tagen beginnen
die Ratenzahlungen der 650 Millionen an Deutschland. Finanzminister und
Bank sind flott. Das Goldagio verschwindet bis auf 8 per Mille und der Lon-
doner Wechselcurs nähert sich wieder seinem normalen Stande. Der Finanzmini-
ster hat 300 Millionen Fr. mittelst Schatzscheinen bei Rothschild realisirt, und die
Banknotenpresse stellt ihm 400 Millionen zur Verfügung. Mit einer Reserve von
700 bis 800 Millionen wird er bequem die von Hrn. Thiers vorausgesehene und
bereits mit der Zahlung der letzten drei Milliarden zusammenhängende Nothwendig-
keit einer größeren Creditoperation im Laufe des Jahres abwarten können. Zunächst
ist er reich genug um mit seinem Ueberfluß der Börse zu Hülfe zu kommen und den
Sturz des öffentlichen Credits zu heben, während die Bank höchst wahrscheinlich
den Disconto auf 5 herabsetzt. Das Anlagecapital war in den letzten Tagen be-
reits vorangegangen. Nicht 300 Millionen, wie irrthümlich gesagt worden, sondern
bei 800 Millionen betragen die Capitalien welche aus den Januarcoupons flüssig
werden, und es befinden sich darunter mindestens 150 Millionen Francs aus-
ländischer Metallcoupons. -- Die Neujahrsvorstellungen und Conversationen in
Versailles vermögen keine Neugierde zu erregen. An die Stelle der Neujahrskomödie
Bonaparte's in den Tuilerien treten heute Littre und die Academie Francaise.
Seit 1864 wurde die Candidatur des in jeder Beziehung höchst ehrenwerthen Ver-
treters der positiven Philosophie betrieben. Thiers drang seine Erwählung dem
theologischen Guizot als Preis und Compensation für die Erwählung des Herzogs
von Aumale auf. Unter dieser Bedingung findet auch die öffentliche Meinung
den dynastisch-literarischen Humbug mit Aumale, für welchen J. Favre stimmen zu
müssen glaubte, minder unannehmbar, und die von einem kritischen Autodafe be-
gleitete Dimission des Bischofs Dupanloup verschafft der Akademie eine unerwartete
Popularität. Guizot rächte sich an Thiers für die ihm angethane Chantage, indem
er E. About, den Candidaten des Präsidenten der Republik, durchfallen ließ. Er
setzte den obscuren Professor Lomenie durch, welcher seinen Sohn als Supplenten
seiner Lehrkanzel der Literatur angenommen hat. Ohne die Gicht des ab-
wesenden Jules Janin wäre nichtsdestoweniger About gewählt worden,
dem diese einzige Stimme mangelte. Thiers steht dermalen mit den orlea-
nistischen Akademikern kaum auf besserem Fuß als Victor Hugo, welcher sich
längst nicht mehr unter die Unsterblichen zu mengen pflegt. Man erwartet: der
jesuitische Falloux werde in einer von Dupanloup verdammten Gesellschaft eben-
falls nicht länger verweilen wollen. Es scheint jedoch daß die Erwählung in die
Akademie ein unauslöschliches Merkmal aufdrückt, das dem Bischof, trotz seiner
unannehmbaren Dimission, anhaften wird. Was die Orleans in Paris vermögen,
erhellt aus dem Eingeständniß des "Journal des Debats:" daß sie nicht einmal
einen möglichen Candidaten für die Abgeordnetenwahl auftreiben können, und daß
ihre Partei sich darauf beschränken muß die Erwählung Victor Hugo's zu hinter-
treiben, indem sie für den Präsidenten des Gemeinderaths, Dr. Vautrain, stimmt.
Im letzten Augenblick wollen die Bonapartisten sich mittelst der Candidatur des
Barons Haußmann zählen und lächerlich machen. Hr. Cremer, immer noch General
in der öffentlichen Meinung, bekanntlich aus Metz, hat sich einen großen Einfluß
bei der Masse von Elsäßern und Lothringern erworben, welche in Paris fest zu-
sammenhalten. Alle zusammen machen sie eine eifrige Propaganda für Victor
Hugo, und General Cremer, vor dem Dichter zurücktretend, führt sie zu den Urnen.
Edmond About, in der Nähe von Zabern begütert, kann bei jener Masse gerin-
gen Einfluß beanspruchen, obschon er im "Soir" ultrapatriotische Feuilletons aus
dem Elsaß, richtiger gegen die Deutschen, veröffentlicht. In demselben Blatt und
in derselben Richtung veröffentlichen Erkmann-Chatrian einen insbesondere den
Bonapartismus vernichtenden Elsäßer Bauern- und Kriegsroman: "Geschichte
des Plebiscits." Die Verfasser bleiben jedoch den politischen Agitationen persön-
lich fremd. Um so radicaler betheiligt sich daran Hr. Siebecker, der in der "Con-
stitution" elsäßische Balladen veröffentlicht. Er erzielt eine große Wirkung durch
die tragischen Gegensätze zwischen seinen Gestalten aus dem Elsaß, z. B. "Die ver-
rückte Barbara," und den dynastischen Umtrieben in der Nationalversammlung
oder der eleganten Pariser Corruption. Was den General Cremer anbelangt, so
scheint er mir auf dem besten Wege zu sein sich allgemein verdächtig zu machen, in-
dem er die Farben zu stark aufträgt.

Belgien.

Der "Moniteur Belge" meldet daß der letzte Vertrag
über die Ablösung des Scheldezolls ratificirt worden, und daß fernerhin die Frei-
heit der Schifffahrt auf der Schelde unbeschränkt zu Recht besteht. Die Verträge
über die Ablösung des Scheldezolles wurden mit den verschiedenen seefahrenden
Mächten zu verschiedenen Zeiten abgeschlossen, und der erste derselben datirt vom
14 März 1857. Es war die Convention mit Dänemark über den Abkauf des See-
[Spaltenumbruch] zolles im Sund und in den Belten, worin die Ablösung des Scheldezolles im Princip
aufgestellt wurde. Dann folgte am 8 Februar 1861 ein Vertrag mit Hannover,
welcher gegenseitig den Stader Zoll aufgab. Am 12 Mai 1863 ward ein Vertrag
zwischen Belgien und Holland abgeschlossen, wodurch letztere Macht der Ab-
lösung des Scheldezolles beistimmte und der Loskaufpreis festgestellt wurde. Am
20 Mai hatten die Vereinigten Staaten von Nordamerika ihre Zustimmung erklärt,
und am 16 Juli 1863 ward dann ein allgemeiner Vertrag geschlossen, an welchem
Oesterreich, Brasilien, Chile, Dänemark, Spanien, Frankreich, England, Hannover,
Italien, Oldenburg, Peru, Portugal, Preußen, Rußland, Schweden, die Türkei
und die drei Hansestädte theilnahmen. Später traten dann noch Griechenland am
20 Sept. 1864, die päpstlichen Staaten am 30 Jan. 1866, die argentinische Re-
publik am 2 Oct. 1868, Mecklenburg-Schwerin am 18 März 1870 und die Repu-
blik Ecuador am 14 Juni 1870 bei. Alle contrahirenden Mächte haben ihre Ab-
kaufsumme gezahlt, mit Ausnahme einiger in Jahresrenten stipulirten Zahlungen,
welche noch nicht verfallen sind.

Spanien.

Während die Abberufung des Generals Crespo, Unter-
befehlshabers der spanischen Truppen auf Cuba, und des Generals Ellora, Com-
mandanten des Westdepartements der Insel, sowie deren vorläufige Ersetzung durch
die Generale Ferrer und Morales bereits als vollzogene Thatsachen vom Amts-
blatte mitgetheilt werden, steht auch die Verabschiedung des Generalcapitäns Bal-
maseda unmittelbar bevor. Diese Maßregeln stehen offenbar im Zusammenhange
mit der verwerflichen Schwäche welche die Truppen-Commandanten gegen die
fanatischen Freiwilligenbanden zeigten, die das scheußliche Todesurtheil gegen die
Studenten in der Habana erzwangen. Die Absetzung Balmaseda's wird ausgesprochen
werden sobald man sich über einen Nachfolger geeinigt hat. Einige Tage hindurch
hieß es: der General Jose de la Concha, welcher von seiner cubanischen Laufbahn
her den Titel eines Marques de la Habana trägt, sei zum Generalcapitän bestimmt;
doch mag seine jüngste Vergangenheit -- er kämpfte bis zum letzten Augenblick
für die Königin Isabella gegen die September-Revolution -- die Klippe gewesen
sein an welcher der Vorschlag scheiterte. Im Schoße der Regierung soll der Streit
über seine Ernennung zu sehr heftigen Auftritten geführt haben. -- Der Marschall
Serrano will beim Zusammentritt der Cortes als Candidat für den Vorsitz im
Congreß auftreten, wobei er, falls die ausgebliebenen carlistischen Abgeordneten
nicht zurückkehren, eine Mehrheit von vier Stimmen erwartet. -- Der "Correspon-
dencia" zufolge werden die Friedensverträge zwischen Spanien und den Republiken
Chile, Bolivia, Peru und Ecuador in kurzem zu Washington unterzeichnet werden.
Die Regierungen der drei letztgenannten Freistaaten haben sich schon über diesen
Punkt geeinigt, während auch der chilenische Congreß den Vertrag genehmigt
hat. (K. Z.)

Italien.

Das große Dank-Tedeum beim Jahresschlusse, durch die
Verwendung aller verfügbaren liturgischen Mittel sonst das feierlichste im Kirchen-
jahr, ist auch heut im Gesu still vorübergegangen, da der Papst der Theilnahme
daran sich enthielt. Wie lange noch? fragt mancher dem es lieber wäre Pius ver-
ließe sein Klosterschloß, aber sich doch wieder nicht verhehlen kann welche peinliche
Haltung sein Wiedererscheinen ihm selber auferlegen müßte, nachdem er vielen ein
Fremder geworden. Die Lage ist wie zu Anfang des Jahres ohne Aussicht, aber
drückender, weil man auf Frankreich gehofft, gebaut hatte, und sich nun der eigenen
Täuschung klar bewußt wird. Man ist im Vatican nicht gewohnt ohne einen
Grund zu hoffen, wäre dieser auch nur der Glaube an die Spontaneität des katho-
lischen Elements in der französischen Nation; allein dießmal war es mehr, es waren
die Erwartungen die der Papst von der einen und der andern Persönlichkeit des Mini-
steriums, voraus von Thiers, hegte. Nun ist auch diese Enttäuschung völlig geworden,
und schon deßhalb wird es dem Präsidenten keinen Dank eintragen wenn er fortfährt
den Grafen d'Harcourt auf eine glänzende Repräsentation anzuweisen und den
"Orenoque" vor Civitavecchia zur Verfügung des Papstes und des hl. Collegiums
liegen zu lassen. Für die Klerikalen ist es gewiß daß, wie heute die Dinge in Frankreich
weitergehen, die Politik seiner Lenker die italienischen Nationalliberalen ermuthigen
und die Fortdauer eines Systems wünschen lassen muß, das sich von dem vorange-
gangenen wenig oder gar nicht entferne. Eine Prüfung dessen was von Hrn. Thiers
und seinen Ministern für die ernsten religiös-politischen Fragen Italiens geschah, er-
gibt ihnen durchaus nicht daß dem traurigen napoleonischen System widersprochen
oder ein Ende gemacht sei; es scheine vielmehr der gegenwärtige Präsident der Re-
publik sei auf die Nachfolgerschaft eifersüchtig gewesen. Er hätte am 22 Juli
wider die eigene Ueberzeugung in der Nationalversammlung nicht von Italiens
Stärke sprechen, Hrn. v. Remusat am Mont-Cenis nicht in Frankreichs Namen
denen die Hand drücken sollen welche Rom bombardirten. Die Wiederbeschickung
des französischen Gesandtschaftspostens durch Hrn. v. Goulard wird das Maß des
klerikalen Unwillens voll machen. Diese Haltung der Leiter des öffentlichen Wesens,
wie sie nach diesseitiger Anschauung den religiösen Interessen, Traditionen und
Wünschen der Nation den Rücken kehren, gilt im Vatican für das sicherste Unter-
pfand der kurzen Dauer eines Regiments, dessen Vertreter hier für die Schüler
oder treuen Diener eines Mannes gelten den der "Osservatore romano" so oft
nachträglich einen Emissär der Revolution, einen Mitschuldigen des Glücks
und der Sünden der italienischen Unitarier hieß, und zum Schlusse des Jah-
res 1871 für alle Demüthigungen und alles Unglück Frankreichs und damit
des heil. Stuhls verantwortlich macht. -- Die Neuordnung der ersten unserer
höhern Lehranstalten wird von Freund wie Feind as eine verfehlte bedanert.
Der Unterrichtsminister Correnti oder seine Räthe verkannten die an der
Sapienza vorgefundenen Lehrkräfte; nicht von ihrem Werthe, nur von ihrem Un-
werthe wollte man Kunde haben, und das genügte die zahlreichen Berufungen von
andern Universitäten in officiellen Kreisen zu rechtfertigen. Wer von den alten
Professoren nicht ohne Zaudern zu der neuen Ordnung übertrat, ward des Krypto-
papismus verdächtigt -- man mochte ihn nicht trotz anerkannter Vorzüge. Später
soll bei der Gehaltsfixirung das Privilegium der Gunst durch das Verdienst nur sel-
ten aufgewogen worden sein. Inzwischen ist eine zweite und zwar eine sogenannte
katholische Universität entstanden und bereits in voller Thätigkeit (vergl. Allg. Ztg.
Nr. 308. Beil.). Freilich zählt sie nur drei Facultäten, der medicinischen fehlt
noch die Klinik des Hospitals, doch scheint es man wird sich arrangiren. Als Lehrer
fungiren die von der Sapienza ausgeschiedenen Professoren, die aus der Casse des

[Spaltenumbruch] wundet worden ſein, letzterer werde von den Gums in ſüdöſtlicher Richtung ver-
folgt, die feindlichen Stämme ſeien mit ihrem Marabut eingeſchloſſen.

Eine Frühlingsſonne der Hoffnung ſcheint heute den
Pariſern alle düſtern Schatten der Erinnerung verſcheuchen, ihnen die Gegenwart
und die Zukunft vergolden zu wollen. Dem optimiſtiſchen Zauber dieſes Früh-
lingswetters vermag niemand zu widerſtehen. Kein Menſch vermerkt die Vernich
tung der Tuilerien, die Abweſenheit eines Hofes, der Regierung, der National-
verſammlung. Paris emancipirt ſich mehr und mehr von ſolchem Reſidenzluxus
und lebt ſich in die ſelbſtändigen Gewohnheiten einer Freiſtadt hinein, was vom
Krautjunkerthum in Verſailles zu ſpät begriffen wird. Seit weniger als zwei
Wochen hat Paris für mehr als 3 Millionen Franken Orangen verbraucht, und
der ſpecifiſche Pariſer Luxushandel, die Juweliere ſeit acht Tagen inbegriffen,
bringt ein verlornes Jahr reichlich herein. Die Vertreter des Großhandels und
des Bankgeſchäftes überbrachten Hrn. Thiers mit den authentiſchen Inſormatio-
nen über den Geſchäftsaufſchwung den Dank für die Energie womit er in der
Bankfrage das orleaniſtiſche Complott vereitelt und die Neujahrsliquidation ge-
rettet hat. Die Orleans verkannten nicht die vernichtende Tragweite dieſer De-
monſtration. Die Abgeordneten Joinville und Aumale erwieſen dem Präſidenten
der Republik nicht die Ehre ihres Neujahrsbeſuchs; aber ſie beauftragten ihr par-
kamentariſches Gefolge dem Präſidenten der Republik die Zuſicherung ihrer Hin-
gebung und die Entſchuldigung zu hinterbringen daß ſie in der Bankfrage ohne
einen tückiſchen Hintergedanken manövrirt haben. Nach vierzehn Tagen beginnen
die Ratenzahlungen der 650 Millionen an Deutſchland. Finanzminiſter und
Bank ſind flott. Das Goldagio verſchwindet bis auf 8 per Mille und der Lon-
doner Wechſelcurs nähert ſich wieder ſeinem normalen Stande. Der Finanzmini-
ſter hat 300 Millionen Fr. mittelſt Schatzſcheinen bei Rothſchild realiſirt, und die
Banknotenpreſſe ſtellt ihm 400 Millionen zur Verfügung. Mit einer Reſerve von
700 bis 800 Millionen wird er bequem die von Hrn. Thiers vorausgeſehene und
bereits mit der Zahlung der letzten drei Milliarden zuſammenhängende Nothwendig-
keit einer größeren Creditoperation im Laufe des Jahres abwarten können. Zunächſt
iſt er reich genug um mit ſeinem Ueberfluß der Börſe zu Hülfe zu kommen und den
Sturz des öffentlichen Credits zu heben, während die Bank höchſt wahrſcheinlich
den Disconto auf 5 herabſetzt. Das Anlagecapital war in den letzten Tagen be-
reits vorangegangen. Nicht 300 Millionen, wie irrthümlich geſagt worden, ſondern
bei 800 Millionen betragen die Capitalien welche aus den Januarcoupons flüſſig
werden, und es befinden ſich darunter mindeſtens 150 Millionen Francs aus-
ländiſcher Metallcoupons. — Die Neujahrsvorſtellungen und Converſationen in
Verſailles vermögen keine Neugierde zu erregen. An die Stelle der Neujahrskomödie
Bonaparte’s in den Tuilerien treten heute Littré und die Académie Françaiſe.
Seit 1864 wurde die Candidatur des in jeder Beziehung höchſt ehrenwerthen Ver-
treters der poſitiven Philoſophie betrieben. Thiers drang ſeine Erwählung dem
theologiſchen Guizot als Preis und Compenſation für die Erwählung des Herzogs
von Aumale auf. Unter dieſer Bedingung findet auch die öffentliche Meinung
den dynaſtiſch-literariſchen Humbug mit Aumale, für welchen J. Favre ſtimmen zu
müſſen glaubte, minder unannehmbar, und die von einem kritiſchen Autodafé be-
gleitete Dimiſſion des Biſchofs Dupanloup verſchafft der Akademie eine unerwartete
Popularität. Guizot rächte ſich an Thiers für die ihm angethane Chantage, indem
er E. About, den Candidaten des Präſidenten der Republik, durchfallen ließ. Er
ſetzte den obſcuren Profeſſor Loménie durch, welcher ſeinen Sohn als Supplenten
ſeiner Lehrkanzel der Literatur angenommen hat. Ohne die Gicht des ab-
weſenden Jules Janin wäre nichtsdeſtoweniger About gewählt worden,
dem dieſe einzige Stimme mangelte. Thiers ſteht dermalen mit den orlea-
niſtiſchen Akademikern kaum auf beſſerem Fuß als Victor Hugo, welcher ſich
längſt nicht mehr unter die Unſterblichen zu mengen pflegt. Man erwartet: der
jeſuitiſche Falloux werde in einer von Dupanloup verdammten Geſellſchaft eben-
falls nicht länger verweilen wollen. Es ſcheint jedoch daß die Erwählung in die
Akademie ein unauslöſchliches Merkmal aufdrückt, das dem Biſchof, trotz ſeiner
unannehmbaren Dimiſſion, anhaften wird. Was die Orleans in Paris vermögen,
erhellt aus dem Eingeſtändniß des „Journal des Débats:“ daß ſie nicht einmal
einen möglichen Candidaten für die Abgeordnetenwahl auftreiben können, und daß
ihre Partei ſich darauf beſchränken muß die Erwählung Victor Hugo’s zu hinter-
treiben, indem ſie für den Präſidenten des Gemeinderaths, Dr. Vautrain, ſtimmt.
Im letzten Augenblick wollen die Bonapartiſten ſich mittelſt der Candidatur des
Barons Haußmann zählen und lächerlich machen. Hr. Cremer, immer noch General
in der öffentlichen Meinung, bekanntlich aus Metz, hat ſich einen großen Einfluß
bei der Maſſe von Elſäßern und Lothringern erworben, welche in Paris feſt zu-
ſammenhalten. Alle zuſammen machen ſie eine eifrige Propaganda für Victor
Hugo, und General Cremer, vor dem Dichter zurücktretend, führt ſie zu den Urnen.
Edmond About, in der Nähe von Zabern begütert, kann bei jener Maſſe gerin-
gen Einfluß beanſpruchen, obſchon er im „Soir“ ultrapatriotiſche Feuilletons aus
dem Elſaß, richtiger gegen die Deutſchen, veröffentlicht. In demſelben Blatt und
in derſelben Richtung veröffentlichen Erkmann-Chatrian einen insbeſondere den
Bonapartismus vernichtenden Elſäßer Bauern- und Kriegsroman: „Geſchichte
des Plebiſcits.“ Die Verfaſſer bleiben jedoch den politiſchen Agitationen perſön-
lich fremd. Um ſo radicaler betheiligt ſich daran Hr. Siebecker, der in der „Con-
ſtitution“ elſäßiſche Balladen veröffentlicht. Er erzielt eine große Wirkung durch
die tragiſchen Gegenſätze zwiſchen ſeinen Geſtalten aus dem Elſaß, z. B. „Die ver-
rückte Barbara,“ und den dynaſtiſchen Umtrieben in der Nationalverſammlung
oder der eleganten Pariſer Corruption. Was den General Cremer anbelangt, ſo
ſcheint er mir auf dem beſten Wege zu ſein ſich allgemein verdächtig zu machen, in-
dem er die Farben zu ſtark aufträgt.

Belgien.

Der „Moniteur Belge“ meldet daß der letzte Vertrag
über die Ablöſung des Scheldezolls ratificirt worden, und daß fernerhin die Frei-
heit der Schifffahrt auf der Schelde unbeſchränkt zu Recht beſteht. Die Verträge
über die Ablöſung des Scheldezolles wurden mit den verſchiedenen ſeefahrenden
Mächten zu verſchiedenen Zeiten abgeſchloſſen, und der erſte derſelben datirt vom
14 März 1857. Es war die Convention mit Dänemark über den Abkauf des See-
[Spaltenumbruch] zolles im Sund und in den Belten, worin die Ablöſung des Scheldezolles im Princip
aufgeſtellt wurde. Dann folgte am 8 Februar 1861 ein Vertrag mit Hannover,
welcher gegenſeitig den Stader Zoll aufgab. Am 12 Mai 1863 ward ein Vertrag
zwiſchen Belgien und Holland abgeſchloſſen, wodurch letztere Macht der Ab-
löſung des Scheldezolles beiſtimmte und der Loskaufpreis feſtgeſtellt wurde. Am
20 Mai hatten die Vereinigten Staaten von Nordamerika ihre Zuſtimmung erklärt,
und am 16 Juli 1863 ward dann ein allgemeiner Vertrag geſchloſſen, an welchem
Oeſterreich, Braſilien, Chile, Dänemark, Spanien, Frankreich, England, Hannover,
Italien, Oldenburg, Peru, Portugal, Preußen, Rußland, Schweden, die Türkei
und die drei Hanſeſtädte theilnahmen. Später traten dann noch Griechenland am
20 Sept. 1864, die päpſtlichen Staaten am 30 Jan. 1866, die argentiniſche Re-
publik am 2 Oct. 1868, Mecklenburg-Schwerin am 18 März 1870 und die Repu-
blik Ecuador am 14 Juni 1870 bei. Alle contrahirenden Mächte haben ihre Ab-
kaufſumme gezahlt, mit Ausnahme einiger in Jahresrenten ſtipulirten Zahlungen,
welche noch nicht verfallen ſind.

Spanien.

Während die Abberufung des Generals Creſpo, Unter-
befehlshabers der ſpaniſchen Truppen auf Cuba, und des Generals Ellora, Com-
mandanten des Weſtdepartements der Inſel, ſowie deren vorläufige Erſetzung durch
die Generale Ferrer und Morales bereits als vollzogene Thatſachen vom Amts-
blatte mitgetheilt werden, ſteht auch die Verabſchiedung des Generalcapitäns Bal-
maſeda unmittelbar bevor. Dieſe Maßregeln ſtehen offenbar im Zuſammenhange
mit der verwerflichen Schwäche welche die Truppen-Commandanten gegen die
fanatiſchen Freiwilligenbanden zeigten, die das ſcheußliche Todesurtheil gegen die
Studenten in der Habana erzwangen. Die Abſetzung Balmaſeda’s wird ausgeſprochen
werden ſobald man ſich über einen Nachfolger geeinigt hat. Einige Tage hindurch
hieß es: der General Joſe de la Concha, welcher von ſeiner cubaniſchen Laufbahn
her den Titel eines Marques de la Habana trägt, ſei zum Generalcapitän beſtimmt;
doch mag ſeine jüngſte Vergangenheit — er kämpfte bis zum letzten Augenblick
für die Königin Iſabella gegen die September-Revolution — die Klippe geweſen
ſein an welcher der Vorſchlag ſcheiterte. Im Schoße der Regierung ſoll der Streit
über ſeine Ernennung zu ſehr heftigen Auftritten geführt haben. — Der Marſchall
Serrano will beim Zuſammentritt der Cortes als Candidat für den Vorſitz im
Congreß auftreten, wobei er, falls die ausgebliebenen carliſtiſchen Abgeordneten
nicht zurückkehren, eine Mehrheit von vier Stimmen erwartet. — Der „Correſpon-
dencia“ zufolge werden die Friedensverträge zwiſchen Spanien und den Republiken
Chile, Bolivia, Peru und Ecuador in kurzem zu Waſhington unterzeichnet werden.
Die Regierungen der drei letztgenannten Freiſtaaten haben ſich ſchon über dieſen
Punkt geeinigt, während auch der chileniſche Congreß den Vertrag genehmigt
hat. (K. Z.)

Italien.

Das große Dank-Tedeum beim Jahresſchluſſe, durch die
Verwendung aller verfügbaren liturgiſchen Mittel ſonſt das feierlichſte im Kirchen-
jahr, iſt auch heut im Geſú ſtill vorübergegangen, da der Papſt der Theilnahme
daran ſich enthielt. Wie lange noch? fragt mancher dem es lieber wäre Pius ver-
ließe ſein Kloſterſchloß, aber ſich doch wieder nicht verhehlen kann welche peinliche
Haltung ſein Wiedererſcheinen ihm ſelber auferlegen müßte, nachdem er vielen ein
Fremder geworden. Die Lage iſt wie zu Anfang des Jahres ohne Ausſicht, aber
drückender, weil man auf Frankreich gehofft, gebaut hatte, und ſich nun der eigenen
Täuſchung klar bewußt wird. Man iſt im Vatican nicht gewohnt ohne einen
Grund zu hoffen, wäre dieſer auch nur der Glaube an die Spontaneität des katho-
liſchen Elements in der franzöſiſchen Nation; allein dießmal war es mehr, es waren
die Erwartungen die der Papſt von der einen und der andern Perſönlichkeit des Mini-
ſteriums, voraus von Thiers, hegte. Nun iſt auch dieſe Enttäuſchung völlig geworden,
und ſchon deßhalb wird es dem Präſidenten keinen Dank eintragen wenn er fortfährt
den Grafen d’Harcourt auf eine glänzende Repräſentation anzuweiſen und den
„Orénoque“ vor Civitavecchia zur Verfügung des Papſtes und des hl. Collegiums
liegen zu laſſen. Für die Klerikalen iſt es gewiß daß, wie heute die Dinge in Frankreich
weitergehen, die Politik ſeiner Lenker die italieniſchen Nationalliberalen ermuthigen
und die Fortdauer eines Syſtems wünſchen laſſen muß, das ſich von dem vorange-
gangenen wenig oder gar nicht entferne. Eine Prüfung deſſen was von Hrn. Thiers
und ſeinen Miniſtern für die ernſten religiös-politiſchen Fragen Italiens geſchah, er-
gibt ihnen durchaus nicht daß dem traurigen napoleoniſchen Syſtem widerſprochen
oder ein Ende gemacht ſei; es ſcheine vielmehr der gegenwärtige Präſident der Re-
publik ſei auf die Nachfolgerſchaft eiferſüchtig geweſen. Er hätte am 22 Juli
wider die eigene Ueberzeugung in der Nationalverſammlung nicht von Italiens
Stärke ſprechen, Hrn. v. Rémuſat am Mont-Cenis nicht in Frankreichs Namen
denen die Hand drücken ſollen welche Rom bombardirten. Die Wiederbeſchickung
des franzöſiſchen Geſandtſchaftspoſtens durch Hrn. v. Goulard wird das Maß des
klerikalen Unwillens voll machen. Dieſe Haltung der Leiter des öffentlichen Weſens,
wie ſie nach dieſſeitiger Anſchauung den religiöſen Intereſſen, Traditionen und
Wünſchen der Nation den Rücken kehren, gilt im Vatican für das ſicherſte Unter-
pfand der kurzen Dauer eines Regiments, deſſen Vertreter hier für die Schüler
oder treuen Diener eines Mannes gelten den der „Oſſervatore romano“ ſo oft
nachträglich einen Emiſſär der Revolution, einen Mitſchuldigen des Glücks
und der Sünden der italieniſchen Unitarier hieß, und zum Schluſſe des Jah-
res 1871 für alle Demüthigungen und alles Unglück Frankreichs und damit
des heil. Stuhls verantwortlich macht. — Die Neuordnung der erſten unſerer
höhern Lehranſtalten wird von Freund wie Feind as eine verfehlte bedanert.
Der Unterrichtsminiſter Correnti oder ſeine Räthe verkannten die an der
Sapienza vorgefundenen Lehrkräfte; nicht von ihrem Werthe, nur von ihrem Un-
werthe wollte man Kunde haben, und das genügte die zahlreichen Berufungen von
andern Univerſitäten in officiellen Kreiſen zu rechtfertigen. Wer von den alten
Profeſſoren nicht ohne Zaudern zu der neuen Ordnung übertrat, ward des Krypto-
papismus verdächtigt — man mochte ihn nicht trotz anerkannter Vorzüge. Später
ſoll bei der Gehaltsfixirung das Privilegium der Gunſt durch das Verdienſt nur ſel-
ten aufgewogen worden ſein. Inzwiſchen iſt eine zweite und zwar eine ſogenannte
katholiſche Univerſität entſtanden und bereits in voller Thätigkeit (vergl. Allg. Ztg.
Nr. 308. Beil.). Freilich zählt ſie nur drei Facultäten, der mediciniſchen fehlt
noch die Klinik des Hoſpitals, doch ſcheint es man wird ſich arrangiren. Als Lehrer
fungiren die von der Sapienza ausgeſchiedenen Profeſſoren, die aus der Caſſe des

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[46/0006] wundet worden ſein, letzterer werde von den Gums in ſüdöſtlicher Richtung ver- folgt, die feindlichen Stämme ſeien mit ihrem Marabut eingeſchloſſen. * Paris, 1 Jan.Eine Frühlingsſonne der Hoffnung ſcheint heute den Pariſern alle düſtern Schatten der Erinnerung verſcheuchen, ihnen die Gegenwart und die Zukunft vergolden zu wollen. Dem optimiſtiſchen Zauber dieſes Früh- lingswetters vermag niemand zu widerſtehen. Kein Menſch vermerkt die Vernich tung der Tuilerien, die Abweſenheit eines Hofes, der Regierung, der National- verſammlung. Paris emancipirt ſich mehr und mehr von ſolchem Reſidenzluxus und lebt ſich in die ſelbſtändigen Gewohnheiten einer Freiſtadt hinein, was vom Krautjunkerthum in Verſailles zu ſpät begriffen wird. Seit weniger als zwei Wochen hat Paris für mehr als 3 Millionen Franken Orangen verbraucht, und der ſpecifiſche Pariſer Luxushandel, die Juweliere ſeit acht Tagen inbegriffen, bringt ein verlornes Jahr reichlich herein. Die Vertreter des Großhandels und des Bankgeſchäftes überbrachten Hrn. Thiers mit den authentiſchen Inſormatio- nen über den Geſchäftsaufſchwung den Dank für die Energie womit er in der Bankfrage das orleaniſtiſche Complott vereitelt und die Neujahrsliquidation ge- rettet hat. Die Orleans verkannten nicht die vernichtende Tragweite dieſer De- monſtration. Die Abgeordneten Joinville und Aumale erwieſen dem Präſidenten der Republik nicht die Ehre ihres Neujahrsbeſuchs; aber ſie beauftragten ihr par- kamentariſches Gefolge dem Präſidenten der Republik die Zuſicherung ihrer Hin- gebung und die Entſchuldigung zu hinterbringen daß ſie in der Bankfrage ohne einen tückiſchen Hintergedanken manövrirt haben. Nach vierzehn Tagen beginnen die Ratenzahlungen der 650 Millionen an Deutſchland. Finanzminiſter und Bank ſind flott. Das Goldagio verſchwindet bis auf 8 per Mille und der Lon- doner Wechſelcurs nähert ſich wieder ſeinem normalen Stande. Der Finanzmini- ſter hat 300 Millionen Fr. mittelſt Schatzſcheinen bei Rothſchild realiſirt, und die Banknotenpreſſe ſtellt ihm 400 Millionen zur Verfügung. Mit einer Reſerve von 700 bis 800 Millionen wird er bequem die von Hrn. Thiers vorausgeſehene und bereits mit der Zahlung der letzten drei Milliarden zuſammenhängende Nothwendig- keit einer größeren Creditoperation im Laufe des Jahres abwarten können. Zunächſt iſt er reich genug um mit ſeinem Ueberfluß der Börſe zu Hülfe zu kommen und den Sturz des öffentlichen Credits zu heben, während die Bank höchſt wahrſcheinlich den Disconto auf 5 herabſetzt. Das Anlagecapital war in den letzten Tagen be- reits vorangegangen. Nicht 300 Millionen, wie irrthümlich geſagt worden, ſondern bei 800 Millionen betragen die Capitalien welche aus den Januarcoupons flüſſig werden, und es befinden ſich darunter mindeſtens 150 Millionen Francs aus- ländiſcher Metallcoupons. — Die Neujahrsvorſtellungen und Converſationen in Verſailles vermögen keine Neugierde zu erregen. An die Stelle der Neujahrskomödie Bonaparte’s in den Tuilerien treten heute Littré und die Académie Françaiſe. Seit 1864 wurde die Candidatur des in jeder Beziehung höchſt ehrenwerthen Ver- treters der poſitiven Philoſophie betrieben. Thiers drang ſeine Erwählung dem theologiſchen Guizot als Preis und Compenſation für die Erwählung des Herzogs von Aumale auf. Unter dieſer Bedingung findet auch die öffentliche Meinung den dynaſtiſch-literariſchen Humbug mit Aumale, für welchen J. Favre ſtimmen zu müſſen glaubte, minder unannehmbar, und die von einem kritiſchen Autodafé be- gleitete Dimiſſion des Biſchofs Dupanloup verſchafft der Akademie eine unerwartete Popularität. Guizot rächte ſich an Thiers für die ihm angethane Chantage, indem er E. About, den Candidaten des Präſidenten der Republik, durchfallen ließ. Er ſetzte den obſcuren Profeſſor Loménie durch, welcher ſeinen Sohn als Supplenten ſeiner Lehrkanzel der Literatur angenommen hat. Ohne die Gicht des ab- weſenden Jules Janin wäre nichtsdeſtoweniger About gewählt worden, dem dieſe einzige Stimme mangelte. Thiers ſteht dermalen mit den orlea- niſtiſchen Akademikern kaum auf beſſerem Fuß als Victor Hugo, welcher ſich längſt nicht mehr unter die Unſterblichen zu mengen pflegt. Man erwartet: der jeſuitiſche Falloux werde in einer von Dupanloup verdammten Geſellſchaft eben- falls nicht länger verweilen wollen. Es ſcheint jedoch daß die Erwählung in die Akademie ein unauslöſchliches Merkmal aufdrückt, das dem Biſchof, trotz ſeiner unannehmbaren Dimiſſion, anhaften wird. Was die Orleans in Paris vermögen, erhellt aus dem Eingeſtändniß des „Journal des Débats:“ daß ſie nicht einmal einen möglichen Candidaten für die Abgeordnetenwahl auftreiben können, und daß ihre Partei ſich darauf beſchränken muß die Erwählung Victor Hugo’s zu hinter- treiben, indem ſie für den Präſidenten des Gemeinderaths, Dr. Vautrain, ſtimmt. Im letzten Augenblick wollen die Bonapartiſten ſich mittelſt der Candidatur des Barons Haußmann zählen und lächerlich machen. Hr. Cremer, immer noch General in der öffentlichen Meinung, bekanntlich aus Metz, hat ſich einen großen Einfluß bei der Maſſe von Elſäßern und Lothringern erworben, welche in Paris feſt zu- ſammenhalten. Alle zuſammen machen ſie eine eifrige Propaganda für Victor Hugo, und General Cremer, vor dem Dichter zurücktretend, führt ſie zu den Urnen. Edmond About, in der Nähe von Zabern begütert, kann bei jener Maſſe gerin- gen Einfluß beanſpruchen, obſchon er im „Soir“ ultrapatriotiſche Feuilletons aus dem Elſaß, richtiger gegen die Deutſchen, veröffentlicht. In demſelben Blatt und in derſelben Richtung veröffentlichen Erkmann-Chatrian einen insbeſondere den Bonapartismus vernichtenden Elſäßer Bauern- und Kriegsroman: „Geſchichte des Plebiſcits.“ Die Verfaſſer bleiben jedoch den politiſchen Agitationen perſön- lich fremd. Um ſo radicaler betheiligt ſich daran Hr. Siebecker, der in der „Con- ſtitution“ elſäßiſche Balladen veröffentlicht. Er erzielt eine große Wirkung durch die tragiſchen Gegenſätze zwiſchen ſeinen Geſtalten aus dem Elſaß, z. B. „Die ver- rückte Barbara,“ und den dynaſtiſchen Umtrieben in der Nationalverſammlung oder der eleganten Pariſer Corruption. Was den General Cremer anbelangt, ſo ſcheint er mir auf dem beſten Wege zu ſein ſich allgemein verdächtig zu machen, in- dem er die Farben zu ſtark aufträgt. Belgien. Brüſſel, 30 Dec.Der „Moniteur Belge“ meldet daß der letzte Vertrag über die Ablöſung des Scheldezolls ratificirt worden, und daß fernerhin die Frei- heit der Schifffahrt auf der Schelde unbeſchränkt zu Recht beſteht. Die Verträge über die Ablöſung des Scheldezolles wurden mit den verſchiedenen ſeefahrenden Mächten zu verſchiedenen Zeiten abgeſchloſſen, und der erſte derſelben datirt vom 14 März 1857. Es war die Convention mit Dänemark über den Abkauf des See- zolles im Sund und in den Belten, worin die Ablöſung des Scheldezolles im Princip aufgeſtellt wurde. Dann folgte am 8 Februar 1861 ein Vertrag mit Hannover, welcher gegenſeitig den Stader Zoll aufgab. Am 12 Mai 1863 ward ein Vertrag zwiſchen Belgien und Holland abgeſchloſſen, wodurch letztere Macht der Ab- löſung des Scheldezolles beiſtimmte und der Loskaufpreis feſtgeſtellt wurde. Am 20 Mai hatten die Vereinigten Staaten von Nordamerika ihre Zuſtimmung erklärt, und am 16 Juli 1863 ward dann ein allgemeiner Vertrag geſchloſſen, an welchem Oeſterreich, Braſilien, Chile, Dänemark, Spanien, Frankreich, England, Hannover, Italien, Oldenburg, Peru, Portugal, Preußen, Rußland, Schweden, die Türkei und die drei Hanſeſtädte theilnahmen. Später traten dann noch Griechenland am 20 Sept. 1864, die päpſtlichen Staaten am 30 Jan. 1866, die argentiniſche Re- publik am 2 Oct. 1868, Mecklenburg-Schwerin am 18 März 1870 und die Repu- blik Ecuador am 14 Juni 1870 bei. Alle contrahirenden Mächte haben ihre Ab- kaufſumme gezahlt, mit Ausnahme einiger in Jahresrenten ſtipulirten Zahlungen, welche noch nicht verfallen ſind. Spanien. Madrid, 30 Dec.Während die Abberufung des Generals Creſpo, Unter- befehlshabers der ſpaniſchen Truppen auf Cuba, und des Generals Ellora, Com- mandanten des Weſtdepartements der Inſel, ſowie deren vorläufige Erſetzung durch die Generale Ferrer und Morales bereits als vollzogene Thatſachen vom Amts- blatte mitgetheilt werden, ſteht auch die Verabſchiedung des Generalcapitäns Bal- maſeda unmittelbar bevor. Dieſe Maßregeln ſtehen offenbar im Zuſammenhange mit der verwerflichen Schwäche welche die Truppen-Commandanten gegen die fanatiſchen Freiwilligenbanden zeigten, die das ſcheußliche Todesurtheil gegen die Studenten in der Habana erzwangen. Die Abſetzung Balmaſeda’s wird ausgeſprochen werden ſobald man ſich über einen Nachfolger geeinigt hat. Einige Tage hindurch hieß es: der General Joſe de la Concha, welcher von ſeiner cubaniſchen Laufbahn her den Titel eines Marques de la Habana trägt, ſei zum Generalcapitän beſtimmt; doch mag ſeine jüngſte Vergangenheit — er kämpfte bis zum letzten Augenblick für die Königin Iſabella gegen die September-Revolution — die Klippe geweſen ſein an welcher der Vorſchlag ſcheiterte. Im Schoße der Regierung ſoll der Streit über ſeine Ernennung zu ſehr heftigen Auftritten geführt haben. — Der Marſchall Serrano will beim Zuſammentritt der Cortes als Candidat für den Vorſitz im Congreß auftreten, wobei er, falls die ausgebliebenen carliſtiſchen Abgeordneten nicht zurückkehren, eine Mehrheit von vier Stimmen erwartet. — Der „Correſpon- dencia“ zufolge werden die Friedensverträge zwiſchen Spanien und den Republiken Chile, Bolivia, Peru und Ecuador in kurzem zu Waſhington unterzeichnet werden. Die Regierungen der drei letztgenannten Freiſtaaten haben ſich ſchon über dieſen Punkt geeinigt, während auch der chileniſche Congreß den Vertrag genehmigt hat. (K. Z.) Italien. = Rom, 31 Dec.Das große Dank-Tedeum beim Jahresſchluſſe, durch die Verwendung aller verfügbaren liturgiſchen Mittel ſonſt das feierlichſte im Kirchen- jahr, iſt auch heut im Geſú ſtill vorübergegangen, da der Papſt der Theilnahme daran ſich enthielt. Wie lange noch? fragt mancher dem es lieber wäre Pius ver- ließe ſein Kloſterſchloß, aber ſich doch wieder nicht verhehlen kann welche peinliche Haltung ſein Wiedererſcheinen ihm ſelber auferlegen müßte, nachdem er vielen ein Fremder geworden. Die Lage iſt wie zu Anfang des Jahres ohne Ausſicht, aber drückender, weil man auf Frankreich gehofft, gebaut hatte, und ſich nun der eigenen Täuſchung klar bewußt wird. Man iſt im Vatican nicht gewohnt ohne einen Grund zu hoffen, wäre dieſer auch nur der Glaube an die Spontaneität des katho- liſchen Elements in der franzöſiſchen Nation; allein dießmal war es mehr, es waren die Erwartungen die der Papſt von der einen und der andern Perſönlichkeit des Mini- ſteriums, voraus von Thiers, hegte. Nun iſt auch dieſe Enttäuſchung völlig geworden, und ſchon deßhalb wird es dem Präſidenten keinen Dank eintragen wenn er fortfährt den Grafen d’Harcourt auf eine glänzende Repräſentation anzuweiſen und den „Orénoque“ vor Civitavecchia zur Verfügung des Papſtes und des hl. Collegiums liegen zu laſſen. Für die Klerikalen iſt es gewiß daß, wie heute die Dinge in Frankreich weitergehen, die Politik ſeiner Lenker die italieniſchen Nationalliberalen ermuthigen und die Fortdauer eines Syſtems wünſchen laſſen muß, das ſich von dem vorange- gangenen wenig oder gar nicht entferne. Eine Prüfung deſſen was von Hrn. Thiers und ſeinen Miniſtern für die ernſten religiös-politiſchen Fragen Italiens geſchah, er- gibt ihnen durchaus nicht daß dem traurigen napoleoniſchen Syſtem widerſprochen oder ein Ende gemacht ſei; es ſcheine vielmehr der gegenwärtige Präſident der Re- publik ſei auf die Nachfolgerſchaft eiferſüchtig geweſen. Er hätte am 22 Juli wider die eigene Ueberzeugung in der Nationalverſammlung nicht von Italiens Stärke ſprechen, Hrn. v. Rémuſat am Mont-Cenis nicht in Frankreichs Namen denen die Hand drücken ſollen welche Rom bombardirten. Die Wiederbeſchickung des franzöſiſchen Geſandtſchaftspoſtens durch Hrn. v. Goulard wird das Maß des klerikalen Unwillens voll machen. Dieſe Haltung der Leiter des öffentlichen Weſens, wie ſie nach dieſſeitiger Anſchauung den religiöſen Intereſſen, Traditionen und Wünſchen der Nation den Rücken kehren, gilt im Vatican für das ſicherſte Unter- pfand der kurzen Dauer eines Regiments, deſſen Vertreter hier für die Schüler oder treuen Diener eines Mannes gelten den der „Oſſervatore romano“ ſo oft nachträglich einen Emiſſär der Revolution, einen Mitſchuldigen des Glücks und der Sünden der italieniſchen Unitarier hieß, und zum Schluſſe des Jah- res 1871 für alle Demüthigungen und alles Unglück Frankreichs und damit des heil. Stuhls verantwortlich macht. — Die Neuordnung der erſten unſerer höhern Lehranſtalten wird von Freund wie Feind as eine verfehlte bedanert. Der Unterrichtsminiſter Correnti oder ſeine Räthe verkannten die an der Sapienza vorgefundenen Lehrkräfte; nicht von ihrem Werthe, nur von ihrem Un- werthe wollte man Kunde haben, und das genügte die zahlreichen Berufungen von andern Univerſitäten in officiellen Kreiſen zu rechtfertigen. Wer von den alten Profeſſoren nicht ohne Zaudern zu der neuen Ordnung übertrat, ward des Krypto- papismus verdächtigt — man mochte ihn nicht trotz anerkannter Vorzüge. Später ſoll bei der Gehaltsfixirung das Privilegium der Gunſt durch das Verdienſt nur ſel- ten aufgewogen worden ſein. Inzwiſchen iſt eine zweite und zwar eine ſogenannte katholiſche Univerſität entſtanden und bereits in voller Thätigkeit (vergl. Allg. Ztg. Nr. 308. Beil.). Freilich zählt ſie nur drei Facultäten, der mediciniſchen fehlt noch die Klinik des Hoſpitals, doch ſcheint es man wird ſich arrangiren. Als Lehrer fungiren die von der Sapienza ausgeſchiedenen Profeſſoren, die aus der Caſſe des

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine04_1872/6>, abgerufen am 21.11.2024.