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Allgemeine Zeitung, Nr. 8, vom 9. Januar 1924.

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Mittwoch, den 9. Januar 1924 Allgemeine Zeitung. Nr. 8
[Spaltenumbruch]

So stellt sich die bayerische Regierung mit Nach-
druck in den Dienst des gesamtnationalen Gedan-
kens, dem ihrer Meinung nach eine kräftige Beto-
nung der Eigenstaatlichkeit der Länder am besten
frommt. Gleichwohl unterliegt auch sie in starkem
Maße der oben (unter II) bloßgelegten "staaten-
bündischen" Einstellung. Diese Gesinnung zieht sich
wie ein roter Faden durch den ganzen Text, wenn
es immer wieder heißt, diese und jene Einwirkung
des Reichs vertrage sich nicht mit dem staatlichen
Charakter der Länder, dieses und jenes Recht sei
ein unerläßliches Attribut derselben usw. Besonders
deutlich aber zeigt es sich an zwei Stellen. Einmal
(S. 6) in dem Zitat einer Äußerung des Kriegs-
ministers v. Pranckh, der, wie hervorgehoben wird,
später als Unterhändler an dem Zustandekommen
des Versailier Vertrages von 1870 mitwirkte, in
der Abgeordnetenkammer zu Beginn des 70er
Krieges: "Die Selbständigkeit Bayerns muß ge-
wahrt bleiben." Wie bekannt, hat sich die damalige
bayerische Regierung sozusagen mit Händen und
Füßen gegen den Eintritt Bayerns in das Reich
als Bundesstaat gesträubt und sich nur zu einem
staatenbündischen Verhältnis verstehen wollen. Noch
viel weniger hat sie bei Eintritt in den Krieg an
eine bundesstaattliche Eingliederung gedacht. Die
zweite markante Stelle ist auf S. 14 zu finden, wo
die Erhebung der Zölle und indirekten Steuern be-
kämpft wird: "weil die Tätigkeit fremder
Beamter auf dem Territorium eines
selbständigen Staates sich mit dessen
Souveränität nicht verträgt
."
Hier
wird geradezu der Grundgedanke des Bundes-
staates, die sich ergänzende Einheit von Reich
und Ländern, vollkommen verleugnet.

Der Termin der Reichstagswahlen.

Der "Demokratische
Zeitungsdienst" bezeichnet es als wahr-
scheinlich, daß die Reichstagswahlen im
Mai stattfinden. Immerhin sei es möglich,
daß eine vorzeitige Auflösung des
Reichstags erfolgt und daß die Neuwahlen
dann sehr rasch anberaumt werden, da durch
die Wahlgesetznovelle die Fristen we-
sentlich verkürzt
worden sind.



Vermischte Nachrichten.
Staatsprüfung für den höheren landwirtschaft-
lichen Staatsdienst.

In der Zeit vom 15. bis 23. Oktober 1923 hat
in München eine Staatsprüfung für den höheren
landwirtschaftlichen Staatsdienst einschließlich des
landwirtschaftlichen Lehramtes stattgefunden. Zur
Teilnahme an der Prüfung hatten sich 53 Be-
werber gemeldet. Hiervon traten 5 vor bzw.
während der Prüfung zurück. Von den übrigen 48
Kandidaten erhielt 1 die Hauptnote I, 26 die
Hauptnote II, 14 die Hauptnote III, 5 Kandidaten
haben die Prüfung in einzelnen Prüfungsab-
schnitten, 2 Kandidaten die ganze Prüfung nicht
bestanden.


Bis zum 1. Januar 1924 haben die
Separatisten in der Pfalz 51 Staatsbeamte
mit 98 Angehörigen und 3 Gemeindebeamte mit
9 Angehörigen, insgesamt 107 Personen, aus-
gewiesen
.


Gefährliche Einbrecher.

Beim Volksgericht Kempten fand die Verhandlung
statt gegen die Einbrecher, welche am 6. Ok-
tober hier im Kleidergeschäft Kugler eingebrochen
hatten. Das Urteil lautete: Johann Daiß wird
wegen 21 Verbrechen des schweren Diebstahls und
eines Vergehens der Meuterei unter Einschluß
einer schon früher vom Amtsgericht Buchloe zu-
erkannten Gefängnisstrafe von 8 Monaten zur
Gesamtzuchthausstrafe von 6 Jahren und 10
Jahren Ehrenverlust verurteilt; zwei Monate
Untersuchungshaft kommen in Anrechnung. Jo-
hann Linder erhält wegen 25 Verbrechen des
schweren Diebstahls und eines Vergehens der
[Spaltenumbruch] Meuterei eine Gefängnisstrafe von 6 Jahren und
5 Jahren Ehrenverlust; 2 Monate der Unter-
suchungshaft kommen in Anrechnung. Ernst Lott
wird wegen 5 Verbrechen des schweren Diebstahls
zu einem Jahr 6 Monaten Gefängnis und
Agathe Figel wegen eines Vergehens der Hehle-
rei zu zwei Monaten 15 Tagen Gefängnis --
letztere Strafe verbüßt durch die Untersuchungs-
haft -- verurteilt und der Haftbefehl gegen die
Figel aufgehoben. Daiß Genovova wird von der
Anklage eines Vergehens der Hehlerei freige-
sprochen.


Stadtpfarrer und Geistlicher Rat
Max Josef Beitelrock vollendete sein 94. Le-
bensjahr. Der Herr Geistl. Rat erfreut sich trotz
des hohen Alters einer seltenen geistigen Frische,
der körperlichen leider nicht mehr, da er einen
bedauerlichen Unfall durch Sturz erlitt, wobei der
greise Priester sich schwere Verletzungen zuzog.


Aus dem Krankenhause
entfernte sich nachts der 23jährige ledige Arbeiter
Karl Schmid aus Dischingen, bekleidet nur mit
Hemd und Unterhose. Der Vermißte ist 1,63 Me-
ter groß, ohne Bart und hat dunkelblonde Haare.


Ein seltenes Jagdglück
hatte Herr Martin Gutter von hier; er schoß im
Täuferbach auf ca. 150 Meter einen prachtvollen
männlichen Fischreiher mit einer Flügel-
spannweite von 1,65 Meter. Bemerkt sei noch, daß
der Reiher 4 Forellen von 10--20 Zentimeter
Länge im Schlund hatte.


Ein Gewohnheitsver-
brecher
, der nicht weniger als schon 40 mal
wegen der verschiedensten Reare bestraft und ins-
gesamt 181/2 Jahre Zuchthaus hinter sich hat,
wurde vor dem Amtsgericht Memmingen neuer-
dings abgeurteilt. Es handelt sich um den ver-
witweten Schlosser Joh. Miller von Dieten-
heim, der seit dem 7. September hier in Unter-
suchungshaft saß. Er hat in Memmingen und in
der Umgebung eine große Zahl Fahrraddiebstähle
begangen. Für seine Spezialität wurde er mit
2 Jahren Zuchthaus bestraft.

[Spaltenumbruch]

Während in den Städten viele
Hungers sterben, leben die Bettler auf dem
Lande
derart im Vollen, daß sie Brot und Käse
rucksackweise wegwerfen oder verschenken. In einem
Falle gab ein Bettler einem Hund Pressack, ein
anderes Stück warf er ins Wasser, ein Häusler
holte sich das ganz frische Stück wieder heraus.
Von dem Brot, das Bettler wegwarfen, konnte er
14 Tage lang die Hühner füttern. Ein anderer
Bettler verkaufte ihm 5 Pfund Mehl um billiges
Geld und schenkte ihm dazu einen ganzen Ruck-
sack voll Käse und Brot mit dem Bemerken, er
möge sich mit dem Zeug nicht abschleppen. Dabei
sind die Bettler ungemein frech, nehmen kein Geld
oder bestreuen die Straßen mit Milliardenscheinen
und erpressen durch das ständige Drohen mit dem
Hausanzünden alles.


Wiederholt kamen aus Deutsch-
land schon Klagen von dort beschäftigten
Oesterreichern, daß sie bei der Vertei-
lung der Liebesgaben
aus der Heimat
völlig übergangen werden. So entnehmen
wir einem Briefe aus Frankfurt a. M., daß die
dort lebenden Oesterreicher von den österreichischen
Sammlungen nichts bekommen. Selbstverständlich
werden auch sie von der allgemeinen Not schwer
betroffen, zumal sie der Abbau und die Arbeits-
losigkeit viel eher trifft als die Einheimischen. In
Frankfurt haben sich 600 Oesterreicher zu einem
Bunde zusammengeschlossen, um der Not zu
steuern. Es wäre sicher am Platze, wenn die Not-
hilfe, die für die Brüder im Reiche geleistet wird,
auch unseren eigenen Landsleuten gesichert würde.
Entweder soll dafür Sorge getragen werden, daß
man die Oesterreicher in diesem Falle nicht als
Ausländer behandelt, oder vielleicht noch besser
dadurch, daß sich die Bünde der Oesterreicher in
den deutschen Städten unmittelbar mit öster-
reichischen Hilfsstellen in Verbindung setzen, um
der ärgsten Not steuern zu können.


Ueber die bewundernwerte Geistes-
gegenwart eines Lokomotivführers erfahren wir
auf dem Umwege über Wien folgendes: Der
D-Zug Berlin--Wien kam mit fünfstündiger Ver-
[Spaltenumbruch] spätung in Wien an. Die 800 Reisenden, die,
über die Verspätung schimpfend, dem Zuge ent-
stiegen, ahnten nicht, daß sie es nur dem Loko-
motivführer verdankten, wenn sie lebend ankamen.
Als der Zug um Mitternacht mit 70 Kilometer
Geschwindigkeit durch Plauen dampfen sollte, stand
das Signal auf: Fahrt! Strecke frei! Doch der
Mann auf der Maschine erkannte: Falsches Gleis!
Er sah, daß auf demselben Gleis, kaum 500 Meter
vor ihm, der fällige Güterzug herandampfte. Ein
Entschluß von Augenblicken -- die Bremsen des
D-Zuges arbeiten und noch während der letzten
Meter Fahrt schwingt sich der Führer von der
Lokomotive und eilt in rasendem Laufe mit ge-
schwungener Laterne dem Güterzug entgegen. Die
Güterzugmaschine stoppt. Auf wenige Meter Ent-
fernung stehen sich die Maschinen gegenüber.
Hätte der Lokomotivführer nicht erkannt, daß der
D-Zug auf das unrechte Gleis geglitten, so wäre
ein furchtbares Unheil entstanden. Doch die Rei-
senden ahnten nichts von der Gefahr.


(Künstliches Benzin.) Nach hie-
sigen Blättermeldungen trägt sich die österreichische
Regierung mit dem Gedanken, die Erfindung
eines deutschen Chemikers, synthetisches
Benzin
herzustellen, großzügig zu verwerten.


(Großfeuer.) In einer Mano-
meterfabrik in der alten Jakobstraße in Berlin
brach Samstag mittag Großfeuer aus. Ein Lehr-
junge war mit der Lötzunge einem Stapel Pack-
material zu nahe gekommen und in wenigen Mi-
nuten standen die gesamten Fabrikräume
in Flammen
. Die Arbeiter konnten das Fa-
brikgebäude wegen der starken Rauchentwicklung
nicht mehr verlassen. Vier Frauen und sechs
Männer wurden in ohnmächtigem Zustande aus
den Flammen gerettet. Einem Feuerwehrmann
wurde durch eine zerspringende Fensterscheibe die
Schlagader aufgeschnitten; er wurde in bedenk-
lichem Zustande in das Krankenhaus gebracht.


(Verurteilter Attentäter.)
Rajic, der vor einigen Monaten ein Atten-
tat gegen Pasic
verübte, hat durch seinen
Anwalt beim Kassationsgericht die Nichtigkeits-
beschwerde gegen das gefällte Urteil eingereicht.
Wie erinnerlich, wurde er zu 20 Jahren schweren
Kerkers verurteilt. Rajic wurde jetzt auf Grund
eines neueingeleiteten Verfahrens definitiv zu
18 Jahren Kerker verurteilt.



[irrelevantes Material]


Letzte Telegramme.
[Spaltenumbruch]
Eine Erklärung der amerikanischen Sach-
verständigen.

Die beiden in Paris
eingetroffenen amerikanischen Re-
parations-Sachverständigen
Da-
wes und Young haben dem "Matin" eine
Erklärung zur Verfügung gestellt, in der es
u. a. heißt: Wir werden an unsere Arbeit
mit dem brennenden Wunsche herangehen,
zuerst einmal alle Tatsachen klarzustellen,
um dann ein Resultat zu sehen.

England und das französisch-tschechische
Bündnis.

Zu dem bevorstehen-
den Abschluß des tschechisch-französischen
Bündnisses schreibt die "Morningpost", daß
die Türkei sicher sehr gerne auch mit
Großbritannien zu einem ähnlichen
Abkommen gelangen würde und daß
Frankreich sich einem solchen Plane keines-
wegs widersetzen würde.

"Westminster Gazette" meldet, daß die
Kleine Entente die Möglichkeit einer Aus-
dehnung des französisch-tschechischen Ver-
trages auf die gesamte Kleine Entente auf
ihrer Konferenz besprechen werde. Ein sol-
cher Vertrag hätte die Aufgabe, eine Ver-
bindung mit Rußland herzustellen, zumal da
in gewissen Kreisen Frankreichs die Nei-
[Spaltenumbruch] gung besteht, die Sowjetregierung anzuer-
kennen.

Der sinkende Franken.

Die Hoffnung auf einen
Umschwung in der Bewertung des französi-
schen Franken ist sehr gefallen. Der
Franken wurde heute früh mit 87,35, der
Dollar mit 20,35 notiert. Die öffentliche
Meinung Frankreichs wird durch diese Ent-
wicklung sehr beunruhigt. Im heutigen Mi-
nisterrat wird der französische Minister der
Finanzen Anträge einbringen, die auf eine
Unterbindung der Spekulation abzielen.

Die Einheitsliste in Thüringen.

(Tel.-Union.) Nach
längeren schwierigen Verhandlungen ist es
gelungen, die Beratungen über die ersten
zehn Sitze der Einheitsliste des Ord-
nungsbundes in den vier Wahlkreisen des
Landes Thüringen zum Abschluß zu bringen.

Kein Rücktritt des Frankfurter Ober-
bürgermeisters.

Die durch
die Presse gehende Nachricht von dem Rück-
tritt des Frankfurter Oberbürgermeisters
Vogl ist unrichtig. Es liegt eine Verwech-
slung mit dem gleichnamigen Bürgermeister
von Biebrich a. Rh. vor.



noch, in beträchtlicher Winterkälte, feststellen, daß
die abendlichen Spaziergänger sich nur sehr un-
gern vom Donaukorso trennen, von dem aus sie
durch die Dunkelheit nach Ofen hinüber zu blicken
pflegen, mit den Augen sich festklammernd an die
Umrisse von Bergen und Burg und an die Strah-
lenkette der jenseitigen Lichter. Solange es warm
war, bis tief in den November hinein, gab es da
auch einen Waldhornisten, der auf der Donau in
traditioneller Schwermut seine Weisen blies und
dem man eine Stunde lang ergriffen und kosten-
los zuhörte. Jetzt ist es ihm zu zugig geworden,
schade. Aber mit den ersten Lerchen wird er wieder
anschwirren, um das hübsche Abendmärchen zu
vervollständigen, und wird die Zahl der erfreu-
lichen Pester steigern, deren Lebensgenuß monate-
lang in nichts anderem bestand, als sich Abend
für Abend ruhig und beglückt dem Märchen des
anderen Ufers hinzugeben.

Rimband in Abessynien.

Im "Corriere Italiano" veröffentlicht Ardengo
Soffici, ein bekannter Schriftsteller und Maler,
ein interessantes Dokument, das in das Dunkel
jener Periode des Lebens Arthue Rimbauds, als
dieser den Musen untreu geworden, sich dem
prosaischen Waffenhandel von Dschibuti nach
Abessinien hingab, ein merkwürdiges Licht wirft.
Es ist nämlich Soffici gelungen, einen der Zeu-
gen jener phantastischen nächtlichen Unterhaltun-
gen in Harrar, welche Paterne Berschon in seiner
Biographie des Dichters so anschaulich beschreibt,
in dem italienischen Reisenden Ugo Ferrandi aus-
findig zu machen. Durch Vermittlung eines ge-
meinsamen Bekannten erhielt er nun folgenden
Brief des italienischen Afrikaforschers:

[Spaltenumbruch] "Novara, 7. August 1923.
Lieber Freund und Kollege!
Glauben Sie nicht, ich hätte vergessen, die von
Ihnen gewünschten Nachforschungen über Rim-
baud in Afrika anzustellen, aber die Aufgabe ist
schwieriger als ich dachte.
Ich finde die Notizen, die ich in Harrar machte,
zur Zeit, als ich mich dort zugleich mit dem gro-
ßen französischen Dichter befand, nicht mehr; sie
sind mit vielen anderen Aufzeichnungen meiner
Reisen durch den Schwarzen Erdteil verloren ge-
gangen. Ich lernte Rimbaud in Aden kennen ge-
gen Ende 1885 (wenn mein Gedächtnis mich nicht
täuscht), als er von der französischen Dankaliküste
dorthin kam, um den Ankauf einer Karawane nach
dem Seivalande (Abessinien) abzuschließen. Die
Karawane bestand aus einer Ladung Gewehre
und gehörte einem Franzosen, Labatut, der, weil
trank, in die Heimat verreiste.
Gegen Mitte 1886 fand ich Rimbaud in Ta-
dschura, da es ihm noch nicht möglich gewesen,
nach dem Innern abzureisen. In Tadschura be-
fand sich damals auch die Karawane von Paul
Soleillet, dem bekannten Erforscher der algerischen
Sahara, der krank nach Aden zurückkehrte, wo er
starb. Die Karawane Soleillet und jene von
Franzoj -- zu welcher ich gehörte -- hatten ihre
Zelte in dem Palmenhain vor dem Dankalidorf
aufgeschlagen, Rimbaud dagegen hatte in einer
Hütte des Dorfes seine Wohnung genommen. Er
stattete den verschiedenen Lagern häufige Besuche
ab, und bei allen herzlichen Beziehungen zu seinen
Landsleuten fand er ein besonderes Gefallen an
unserer Freundschaft. Franzoj, ein bekannter
Journalist, war ein Freund französischer und la-
teinischer Literatur (er las immer Horaz im Ori-
ginaltext) und hatte mit Rimbaud endlose Dis-
kussionen über Literatur von den Romantikern
bis zu den Dekadenten. Ich hingegen belästigte
Rimbaud mit Fragen geographischen und islami-
tischen Inhalts. Rimbaud hatte nämlich einige
Jahre früher (während der arabischen Besetzung
von Harrar) es mit den Ogader versucht. Ein
Kenner des Arabischen erster Güte, hielt er in
[Spaltenumbruch] einer Hütte den eingeborenen Notabeln wahre
Vorträge über den Koran.
Hochgewachsen, dürr, mit an den Schläfen be-
reits ergrauten Haaren, europäisch gekleidet, aber
auf eine sehr summarische Art: Weite Hosen, ein
Trikot, eine sehr bequeme Jacke von grauer Khaki-
farbe, trug er als Kopfbedeckung nur ein kleines
rundes, ebenfalls graues Käppchen, der Glutsonne
des Dankalilandes trotzend wie ein Eingeborener.
Trotzdem er ein Maultier besaß, ritt er es auf
den Märschen nie. Mit seiner Doppelbüchse ging
er stets zu Fuß der Karawane voran ... Nach
mehrmonatigem Aufenthalt in Tadschura mußte
ich das Dankaliland verlassen, und vernahm, daß
Rimbaud kurze Zeit darauf mit seiner Karawane
die Reise nach dem Schoalande fortsetzen konnte.
Das geschah gegen Oktober 1886. Rimbaud gab
mir klare, knappe Aufschlüsse über Tadschura, die
ich gerne mit einigen anderen Notizen hätte ver-
öffentlichen wollen -- aber der Zufall gestattete
es nicht. Ich habe noch einige Blätter der Notizen
von Rimbaud und, wenn Sie es wünschen, werde
ich sie Ihnen abschreiben und senden ..."
"Ehre".

Was hindert, uns des deus ex machina zu
erfreuen, auch wenn er nicht im geheimnisvollen
Symbolgewand moderner Problemdichtung, son-
dern im eleganten Pelzmantel eines lehrhaften
Grafen Trast auftritt und, statt die Fäden einer
leblosen oder ungestalteten Idee in blutlosen
Händen zu halten, als ein Mensch von beneidens-
wert gesunden Maximen in eine reale Welt hin-
eingezaubert wird, um hier begriffsverwirrte Men-
schen zur Vernunft zu bringen. Zumal, wenn
solch ein Graf so vollkommen modernisiert und
ganz ohne Vollbart erscheint, wie Herr Wüsten-
hagen
bei der Neueinstudierung von Suder-
mans "Ehre" im Schauspielhaus. Das
Gefühl achselzuckender Ueberlegenheit einem
Autor von so trefflichem, bühnenwirksamen Kön-
nen gegenüber ist nicht am Platz, solange die mo-
derne dramatische Dichtung nicht durch Taten von
[Spaltenumbruch] wirklicher Ueberlegenheit dies rechtfertigt. Graf
Trasts Beweisart seiner Relativitätstheorie
mag im Zusammenhang mit den heute "über-
wunden" erscheinenden "sozialen Gegensätzen"
veraltet sein, sie wirkt aber immer noch wie
in der guten alten Zeit -- das hat der stürmische
Beifall des Publikums erwiesen, der auch der zum
Teil guten Darstellung gegolten hat.

Leider waren Tempo und Zusammenspiel stel-
lenweise, besonders zu Anfang, mangelhaft, aber
es war wieder ein Genuß, Herrn Raabe in der
Rolle des Alten, die er vor fünfundzwan-
zig Jahren schon spielte, zu sehen. Auch Herr
Wüstenhagen als Trast und Fräulein
Tiedemann als Leonore begnügten sich nicht
mit Schablonisierung, wie es bei den meisten
übrigen Darstellern der Fall war. Fräulein
Borkmann als Berliner Pflanze war ganz
in ihrem Element, eine bedauerlich schwache Lei-
stung war der Robert des Herrn Rafael, der,
wenn er über sein ewig seufzendes Weh und Ach
hinauskam, in Toberei verfiel. Daß Herr Hoch
den Schwager und Herr Rühmann den
Stengel ganz auf Komik einstellten, war depla-
ziert. Man denkt dabei mit Wehmut an bessere
Zeiten zurück .....

Kleine Nachrichten.
Romantischer Abend.

Im 13. Volks-Symphonie-
Konzert, Freitag, 11. Januar 71/2 Uhr, in
der Tonhalle wird unter Leitung von Dr.
Friedrich Munter aufgeführt:

1. Schubert: Fantasie (f-moll) op. 103, in-
strumentiert von Felix Mottl. 2. Schumann:
Klavier-Konzert (n-moll) op. 56. Solistin: Mar-
garethe Weber (Klavier). 3. Mendelssohn:
Schottische Symphonie, op. 56.


Heute, Mittwoch, 9. Januar, Tonhalle
(71/2 Uhr): Violinkonzert Elisabeth Bischoff.
am Klavier Professor Heinrich Schwartz.
Bayerischer Hof
(71/2 Uhr): Heiterer Abend
Professor Marcell Salzer.

Mittwoch, den 9. Januar 1924 Allgemeine Zeitung. Nr. 8
[Spaltenumbruch]

So ſtellt ſich die bayeriſche Regierung mit Nach-
druck in den Dienſt des geſamtnationalen Gedan-
kens, dem ihrer Meinung nach eine kräftige Beto-
nung der Eigenſtaatlichkeit der Länder am beſten
frommt. Gleichwohl unterliegt auch ſie in ſtarkem
Maße der oben (unter II) bloßgelegten „ſtaaten-
bündiſchen“ Einſtellung. Dieſe Geſinnung zieht ſich
wie ein roter Faden durch den ganzen Text, wenn
es immer wieder heißt, dieſe und jene Einwirkung
des Reichs vertrage ſich nicht mit dem ſtaatlichen
Charakter der Länder, dieſes und jenes Recht ſei
ein unerläßliches Attribut derſelben uſw. Beſonders
deutlich aber zeigt es ſich an zwei Stellen. Einmal
(S. 6) in dem Zitat einer Äußerung des Kriegs-
miniſters v. Pranckh, der, wie hervorgehoben wird,
ſpäter als Unterhändler an dem Zuſtandekommen
des Verſailier Vertrages von 1870 mitwirkte, in
der Abgeordnetenkammer zu Beginn des 70er
Krieges: „Die Selbſtändigkeit Bayerns muß ge-
wahrt bleiben.“ Wie bekannt, hat ſich die damalige
bayeriſche Regierung ſozuſagen mit Händen und
Füßen gegen den Eintritt Bayerns in das Reich
als Bundesſtaat geſträubt und ſich nur zu einem
ſtaatenbündiſchen Verhältnis verſtehen wollen. Noch
viel weniger hat ſie bei Eintritt in den Krieg an
eine bundesſtaattliche Eingliederung gedacht. Die
zweite markante Stelle iſt auf S. 14 zu finden, wo
die Erhebung der Zölle und indirekten Steuern be-
kämpft wird: weil die Tätigkeit fremder
Beamter auf dem Territorium eines
ſelbſtändigen Staates ſich mit deſſen
Souveränität nicht verträgt
.“
Hier
wird geradezu der Grundgedanke des Bundes-
ſtaates, die ſich ergänzende Einheit von Reich
und Ländern, vollkommen verleugnet.

Der Termin der Reichstagswahlen.

Der „Demokratiſche
Zeitungsdienſt“ bezeichnet es als wahr-
ſcheinlich, daß die Reichstagswahlen im
Mai ſtattfinden. Immerhin ſei es möglich,
daß eine vorzeitige Auflöſung des
Reichstags erfolgt und daß die Neuwahlen
dann ſehr raſch anberaumt werden, da durch
die Wahlgeſetznovelle die Friſten we-
ſentlich verkürzt
worden ſind.



Vermiſchte Nachrichten.
Staatsprüfung für den höheren landwirtſchaft-
lichen Staatsdienſt.

In der Zeit vom 15. bis 23. Oktober 1923 hat
in München eine Staatsprüfung für den höheren
landwirtſchaftlichen Staatsdienſt einſchließlich des
landwirtſchaftlichen Lehramtes ſtattgefunden. Zur
Teilnahme an der Prüfung hatten ſich 53 Be-
werber gemeldet. Hiervon traten 5 vor bzw.
während der Prüfung zurück. Von den übrigen 48
Kandidaten erhielt 1 die Hauptnote I, 26 die
Hauptnote II, 14 die Hauptnote III, 5 Kandidaten
haben die Prüfung in einzelnen Prüfungsab-
ſchnitten, 2 Kandidaten die ganze Prüfung nicht
beſtanden.


Bis zum 1. Januar 1924 haben die
Separatiſten in der Pfalz 51 Staatsbeamte
mit 98 Angehörigen und 3 Gemeindebeamte mit
9 Angehörigen, insgeſamt 107 Perſonen, aus-
gewieſen
.


Gefährliche Einbrecher.

Beim Volksgericht Kempten fand die Verhandlung
ſtatt gegen die Einbrecher, welche am 6. Ok-
tober hier im Kleidergeſchäft Kugler eingebrochen
hatten. Das Urteil lautete: Johann Daiß wird
wegen 21 Verbrechen des ſchweren Diebſtahls und
eines Vergehens der Meuterei unter Einſchluß
einer ſchon früher vom Amtsgericht Buchloe zu-
erkannten Gefängnisſtrafe von 8 Monaten zur
Geſamtzuchthausſtrafe von 6 Jahren und 10
Jahren Ehrenverluſt verurteilt; zwei Monate
Unterſuchungshaft kommen in Anrechnung. Jo-
hann Linder erhält wegen 25 Verbrechen des
ſchweren Diebſtahls und eines Vergehens der
[Spaltenumbruch] Meuterei eine Gefängnisſtrafe von 6 Jahren und
5 Jahren Ehrenverluſt; 2 Monate der Unter-
ſuchungshaft kommen in Anrechnung. Ernſt Lott
wird wegen 5 Verbrechen des ſchweren Diebſtahls
zu einem Jahr 6 Monaten Gefängnis und
Agathe Figel wegen eines Vergehens der Hehle-
rei zu zwei Monaten 15 Tagen Gefängnis —
letztere Strafe verbüßt durch die Unterſuchungs-
haft — verurteilt und der Haftbefehl gegen die
Figel aufgehoben. Daiß Genovova wird von der
Anklage eines Vergehens der Hehlerei freige-
ſprochen.


Stadtpfarrer und Geiſtlicher Rat
Max Joſef Beitelrock vollendete ſein 94. Le-
bensjahr. Der Herr Geiſtl. Rat erfreut ſich trotz
des hohen Alters einer ſeltenen geiſtigen Friſche,
der körperlichen leider nicht mehr, da er einen
bedauerlichen Unfall durch Sturz erlitt, wobei der
greiſe Prieſter ſich ſchwere Verletzungen zuzog.


Aus dem Krankenhauſe
entfernte ſich nachts der 23jährige ledige Arbeiter
Karl Schmid aus Diſchingen, bekleidet nur mit
Hemd und Unterhoſe. Der Vermißte iſt 1,63 Me-
ter groß, ohne Bart und hat dunkelblonde Haare.


Ein ſeltenes Jagdglück
hatte Herr Martin Gutter von hier; er ſchoß im
Täuferbach auf ca. 150 Meter einen prachtvollen
männlichen Fiſchreiher mit einer Flügel-
ſpannweite von 1,65 Meter. Bemerkt ſei noch, daß
der Reiher 4 Forellen von 10—20 Zentimeter
Länge im Schlund hatte.


Ein Gewohnheitsver-
brecher
, der nicht weniger als ſchon 40 mal
wegen der verſchiedenſten Reare beſtraft und ins-
geſamt 18½ Jahre Zuchthaus hinter ſich hat,
wurde vor dem Amtsgericht Memmingen neuer-
dings abgeurteilt. Es handelt ſich um den ver-
witweten Schloſſer Joh. Miller von Dieten-
heim, der ſeit dem 7. September hier in Unter-
ſuchungshaft ſaß. Er hat in Memmingen und in
der Umgebung eine große Zahl Fahrraddiebſtähle
begangen. Für ſeine Spezialität wurde er mit
2 Jahren Zuchthaus beſtraft.

[Spaltenumbruch]

Während in den Städten viele
Hungers ſterben, leben die Bettler auf dem
Lande
derart im Vollen, daß ſie Brot und Käſe
ruckſackweiſe wegwerfen oder verſchenken. In einem
Falle gab ein Bettler einem Hund Preſſack, ein
anderes Stück warf er ins Waſſer, ein Häusler
holte ſich das ganz friſche Stück wieder heraus.
Von dem Brot, das Bettler wegwarfen, konnte er
14 Tage lang die Hühner füttern. Ein anderer
Bettler verkaufte ihm 5 Pfund Mehl um billiges
Geld und ſchenkte ihm dazu einen ganzen Ruck-
ſack voll Käſe und Brot mit dem Bemerken, er
möge ſich mit dem Zeug nicht abſchleppen. Dabei
ſind die Bettler ungemein frech, nehmen kein Geld
oder beſtreuen die Straßen mit Milliardenſcheinen
und erpreſſen durch das ſtändige Drohen mit dem
Hausanzünden alles.


Wiederholt kamen aus Deutſch-
land ſchon Klagen von dort beſchäftigten
Oeſterreichern, daß ſie bei der Vertei-
lung der Liebesgaben
aus der Heimat
völlig übergangen werden. So entnehmen
wir einem Briefe aus Frankfurt a. M., daß die
dort lebenden Oeſterreicher von den öſterreichiſchen
Sammlungen nichts bekommen. Selbſtverſtändlich
werden auch ſie von der allgemeinen Not ſchwer
betroffen, zumal ſie der Abbau und die Arbeits-
loſigkeit viel eher trifft als die Einheimiſchen. In
Frankfurt haben ſich 600 Oeſterreicher zu einem
Bunde zuſammengeſchloſſen, um der Not zu
ſteuern. Es wäre ſicher am Platze, wenn die Not-
hilfe, die für die Brüder im Reiche geleiſtet wird,
auch unſeren eigenen Landsleuten geſichert würde.
Entweder ſoll dafür Sorge getragen werden, daß
man die Oeſterreicher in dieſem Falle nicht als
Ausländer behandelt, oder vielleicht noch beſſer
dadurch, daß ſich die Bünde der Oeſterreicher in
den deutſchen Städten unmittelbar mit öſter-
reichiſchen Hilfsſtellen in Verbindung ſetzen, um
der ärgſten Not ſteuern zu können.


Ueber die bewundernwerte Geiſtes-
gegenwart eines Lokomotivführers erfahren wir
auf dem Umwege über Wien folgendes: Der
D-Zug Berlin—Wien kam mit fünfſtündiger Ver-
[Spaltenumbruch] ſpätung in Wien an. Die 800 Reiſenden, die,
über die Verſpätung ſchimpfend, dem Zuge ent-
ſtiegen, ahnten nicht, daß ſie es nur dem Loko-
motivführer verdankten, wenn ſie lebend ankamen.
Als der Zug um Mitternacht mit 70 Kilometer
Geſchwindigkeit durch Plauen dampfen ſollte, ſtand
das Signal auf: Fahrt! Strecke frei! Doch der
Mann auf der Maſchine erkannte: Falſches Gleis!
Er ſah, daß auf demſelben Gleis, kaum 500 Meter
vor ihm, der fällige Güterzug herandampfte. Ein
Entſchluß von Augenblicken — die Bremſen des
D-Zuges arbeiten und noch während der letzten
Meter Fahrt ſchwingt ſich der Führer von der
Lokomotive und eilt in raſendem Laufe mit ge-
ſchwungener Laterne dem Güterzug entgegen. Die
Güterzugmaſchine ſtoppt. Auf wenige Meter Ent-
fernung ſtehen ſich die Maſchinen gegenüber.
Hätte der Lokomotivführer nicht erkannt, daß der
D-Zug auf das unrechte Gleis geglitten, ſo wäre
ein furchtbares Unheil entſtanden. Doch die Rei-
ſenden ahnten nichts von der Gefahr.


(Künſtliches Benzin.) Nach hie-
ſigen Blättermeldungen trägt ſich die öſterreichiſche
Regierung mit dem Gedanken, die Erfindung
eines deutſchen Chemikers, ſynthetiſches
Benzin
herzuſtellen, großzügig zu verwerten.


(Großfeuer.) In einer Mano-
meterfabrik in der alten Jakobſtraße in Berlin
brach Samstag mittag Großfeuer aus. Ein Lehr-
junge war mit der Lötzunge einem Stapel Pack-
material zu nahe gekommen und in wenigen Mi-
nuten ſtanden die geſamten Fabrikräume
in Flammen
. Die Arbeiter konnten das Fa-
brikgebäude wegen der ſtarken Rauchentwicklung
nicht mehr verlaſſen. Vier Frauen und ſechs
Männer wurden in ohnmächtigem Zuſtande aus
den Flammen gerettet. Einem Feuerwehrmann
wurde durch eine zerſpringende Fenſterſcheibe die
Schlagader aufgeſchnitten; er wurde in bedenk-
lichem Zuſtande in das Krankenhaus gebracht.


(Verurteilter Attentäter.)
Rajic, der vor einigen Monaten ein Atten-
tat gegen Paſic
verübte, hat durch ſeinen
Anwalt beim Kaſſationsgericht die Nichtigkeits-
beſchwerde gegen das gefällte Urteil eingereicht.
Wie erinnerlich, wurde er zu 20 Jahren ſchweren
Kerkers verurteilt. Rajic wurde jetzt auf Grund
eines neueingeleiteten Verfahrens definitiv zu
18 Jahren Kerker verurteilt.



[irrelevantes Material]


Letzte Telegramme.
[Spaltenumbruch]
Eine Erklärung der amerikaniſchen Sach-
verſtändigen.

Die beiden in Paris
eingetroffenen amerikaniſchen Re-
parations-Sachverſtändigen
Da-
wes und Young haben dem „Matin“ eine
Erklärung zur Verfügung geſtellt, in der es
u. a. heißt: Wir werden an unſere Arbeit
mit dem brennenden Wunſche herangehen,
zuerſt einmal alle Tatſachen klarzuſtellen,
um dann ein Reſultat zu ſehen.

England und das franzöſiſch-tſchechiſche
Bündnis.

Zu dem bevorſtehen-
den Abſchluß des tſchechiſch-franzöſiſchen
Bündniſſes ſchreibt die „Morningpoſt“, daß
die Türkei ſicher ſehr gerne auch mit
Großbritannien zu einem ähnlichen
Abkommen gelangen würde und daß
Frankreich ſich einem ſolchen Plane keines-
wegs widerſetzen würde.

„Weſtminſter Gazette“ meldet, daß die
Kleine Entente die Möglichkeit einer Aus-
dehnung des franzöſiſch-tſchechiſchen Ver-
trages auf die geſamte Kleine Entente auf
ihrer Konferenz beſprechen werde. Ein ſol-
cher Vertrag hätte die Aufgabe, eine Ver-
bindung mit Rußland herzuſtellen, zumal da
in gewiſſen Kreiſen Frankreichs die Nei-
[Spaltenumbruch] gung beſteht, die Sowjetregierung anzuer-
kennen.

Der ſinkende Franken.

Die Hoffnung auf einen
Umſchwung in der Bewertung des franzöſi-
ſchen Franken iſt ſehr gefallen. Der
Franken wurde heute früh mit 87,35, der
Dollar mit 20,35 notiert. Die öffentliche
Meinung Frankreichs wird durch dieſe Ent-
wicklung ſehr beunruhigt. Im heutigen Mi-
niſterrat wird der franzöſiſche Miniſter der
Finanzen Anträge einbringen, die auf eine
Unterbindung der Spekulation abzielen.

Die Einheitsliſte in Thüringen.

(Tel.-Union.) Nach
längeren ſchwierigen Verhandlungen iſt es
gelungen, die Beratungen über die erſten
zehn Sitze der Einheitsliſte des Ord-
nungsbundes in den vier Wahlkreiſen des
Landes Thüringen zum Abſchluß zu bringen.

Kein Rücktritt des Frankfurter Ober-
bürgermeiſters.

Die durch
die Preſſe gehende Nachricht von dem Rück-
tritt des Frankfurter Oberbürgermeiſters
Vogl iſt unrichtig. Es liegt eine Verwech-
ſlung mit dem gleichnamigen Bürgermeiſter
von Biebrich a. Rh. vor.



noch, in beträchtlicher Winterkälte, feſtſtellen, daß
die abendlichen Spaziergänger ſich nur ſehr un-
gern vom Donaukorſo trennen, von dem aus ſie
durch die Dunkelheit nach Ofen hinüber zu blicken
pflegen, mit den Augen ſich feſtklammernd an die
Umriſſe von Bergen und Burg und an die Strah-
lenkette der jenſeitigen Lichter. Solange es warm
war, bis tief in den November hinein, gab es da
auch einen Waldhorniſten, der auf der Donau in
traditioneller Schwermut ſeine Weiſen blies und
dem man eine Stunde lang ergriffen und koſten-
los zuhörte. Jetzt iſt es ihm zu zugig geworden,
ſchade. Aber mit den erſten Lerchen wird er wieder
anſchwirren, um das hübſche Abendmärchen zu
vervollſtändigen, und wird die Zahl der erfreu-
lichen Peſter ſteigern, deren Lebensgenuß monate-
lang in nichts anderem beſtand, als ſich Abend
für Abend ruhig und beglückt dem Märchen des
anderen Ufers hinzugeben.

Rimband in Abeſſynien.

Im „Corriere Italiano“ veröffentlicht Ardengo
Soffici, ein bekannter Schriftſteller und Maler,
ein intereſſantes Dokument, das in das Dunkel
jener Periode des Lebens Arthue Rimbauds, als
dieſer den Muſen untreu geworden, ſich dem
proſaiſchen Waffenhandel von Dſchibuti nach
Abeſſinien hingab, ein merkwürdiges Licht wirft.
Es iſt nämlich Soffici gelungen, einen der Zeu-
gen jener phantaſtiſchen nächtlichen Unterhaltun-
gen in Harrar, welche Paterne Berſchon in ſeiner
Biographie des Dichters ſo anſchaulich beſchreibt,
in dem italieniſchen Reiſenden Ugo Ferrandi aus-
findig zu machen. Durch Vermittlung eines ge-
meinſamen Bekannten erhielt er nun folgenden
Brief des italieniſchen Afrikaforſchers:

[Spaltenumbruch] „Novara, 7. Auguſt 1923.
Lieber Freund und Kollege!
Glauben Sie nicht, ich hätte vergeſſen, die von
Ihnen gewünſchten Nachforſchungen über Rim-
baud in Afrika anzuſtellen, aber die Aufgabe iſt
ſchwieriger als ich dachte.
Ich finde die Notizen, die ich in Harrar machte,
zur Zeit, als ich mich dort zugleich mit dem gro-
ßen franzöſiſchen Dichter befand, nicht mehr; ſie
ſind mit vielen anderen Aufzeichnungen meiner
Reiſen durch den Schwarzen Erdteil verloren ge-
gangen. Ich lernte Rimbaud in Aden kennen ge-
gen Ende 1885 (wenn mein Gedächtnis mich nicht
täuſcht), als er von der franzöſiſchen Dankaliküſte
dorthin kam, um den Ankauf einer Karawane nach
dem Seivalande (Abeſſinien) abzuſchließen. Die
Karawane beſtand aus einer Ladung Gewehre
und gehörte einem Franzoſen, Labatut, der, weil
trank, in die Heimat verreiſte.
Gegen Mitte 1886 fand ich Rimbaud in Ta-
dſchura, da es ihm noch nicht möglich geweſen,
nach dem Innern abzureiſen. In Tadſchura be-
fand ſich damals auch die Karawane von Paul
Soleillet, dem bekannten Erforſcher der algeriſchen
Sahara, der krank nach Aden zurückkehrte, wo er
ſtarb. Die Karawane Soleillet und jene von
Franzoj — zu welcher ich gehörte — hatten ihre
Zelte in dem Palmenhain vor dem Dankalidorf
aufgeſchlagen, Rimbaud dagegen hatte in einer
Hütte des Dorfes ſeine Wohnung genommen. Er
ſtattete den verſchiedenen Lagern häufige Beſuche
ab, und bei allen herzlichen Beziehungen zu ſeinen
Landsleuten fand er ein beſonderes Gefallen an
unſerer Freundſchaft. Franzoj, ein bekannter
Journaliſt, war ein Freund franzöſiſcher und la-
teiniſcher Literatur (er las immer Horaz im Ori-
ginaltext) und hatte mit Rimbaud endloſe Dis-
kuſſionen über Literatur von den Romantikern
bis zu den Dekadenten. Ich hingegen beläſtigte
Rimbaud mit Fragen geographiſchen und iſlami-
tiſchen Inhalts. Rimbaud hatte nämlich einige
Jahre früher (während der arabiſchen Beſetzung
von Harrar) es mit den Ogader verſucht. Ein
Kenner des Arabiſchen erſter Güte, hielt er in
[Spaltenumbruch] einer Hütte den eingeborenen Notabeln wahre
Vorträge über den Koran.
Hochgewachſen, dürr, mit an den Schläfen be-
reits ergrauten Haaren, europäiſch gekleidet, aber
auf eine ſehr ſummariſche Art: Weite Hoſen, ein
Trikot, eine ſehr bequeme Jacke von grauer Khaki-
farbe, trug er als Kopfbedeckung nur ein kleines
rundes, ebenfalls graues Käppchen, der Glutſonne
des Dankalilandes trotzend wie ein Eingeborener.
Trotzdem er ein Maultier beſaß, ritt er es auf
den Märſchen nie. Mit ſeiner Doppelbüchſe ging
er ſtets zu Fuß der Karawane voran ... Nach
mehrmonatigem Aufenthalt in Tadſchura mußte
ich das Dankaliland verlaſſen, und vernahm, daß
Rimbaud kurze Zeit darauf mit ſeiner Karawane
die Reiſe nach dem Schoalande fortſetzen konnte.
Das geſchah gegen Oktober 1886. Rimbaud gab
mir klare, knappe Aufſchlüſſe über Tadſchura, die
ich gerne mit einigen anderen Notizen hätte ver-
öffentlichen wollen — aber der Zufall geſtattete
es nicht. Ich habe noch einige Blätter der Notizen
von Rimbaud und, wenn Sie es wünſchen, werde
ich ſie Ihnen abſchreiben und ſenden ...“
„Ehre“.

Was hindert, uns des deus ex machina zu
erfreuen, auch wenn er nicht im geheimnisvollen
Symbolgewand moderner Problemdichtung, ſon-
dern im eleganten Pelzmantel eines lehrhaften
Grafen Traſt auftritt und, ſtatt die Fäden einer
lebloſen oder ungeſtalteten Idee in blutloſen
Händen zu halten, als ein Menſch von beneidens-
wert geſunden Maximen in eine reale Welt hin-
eingezaubert wird, um hier begriffsverwirrte Men-
ſchen zur Vernunft zu bringen. Zumal, wenn
ſolch ein Graf ſo vollkommen moderniſiert und
ganz ohne Vollbart erſcheint, wie Herr Wüſten-
hagen
bei der Neueinſtudierung von Suder-
mans „Ehre“ im Schauſpielhaus. Das
Gefühl achſelzuckender Ueberlegenheit einem
Autor von ſo trefflichem, bühnenwirkſamen Kön-
nen gegenüber iſt nicht am Platz, ſolange die mo-
derne dramatiſche Dichtung nicht durch Taten von
[Spaltenumbruch] wirklicher Ueberlegenheit dies rechtfertigt. Graf
Traſts Beweisart ſeiner Relativitätstheorie
mag im Zuſammenhang mit den heute „über-
wunden“ erſcheinenden „ſozialen Gegenſätzen“
veraltet ſein, ſie wirkt aber immer noch wie
in der guten alten Zeit — das hat der ſtürmiſche
Beifall des Publikums erwieſen, der auch der zum
Teil guten Darſtellung gegolten hat.

Leider waren Tempo und Zuſammenſpiel ſtel-
lenweiſe, beſonders zu Anfang, mangelhaft, aber
es war wieder ein Genuß, Herrn Raabe in der
Rolle des Alten, die er vor fünfundzwan-
zig Jahren ſchon ſpielte, zu ſehen. Auch Herr
Wüſtenhagen als Traſt und Fräulein
Tiedemann als Leonore begnügten ſich nicht
mit Schabloniſierung, wie es bei den meiſten
übrigen Darſtellern der Fall war. Fräulein
Borkmann als Berliner Pflanze war ganz
in ihrem Element, eine bedauerlich ſchwache Lei-
ſtung war der Robert des Herrn Rafael, der,
wenn er über ſein ewig ſeufzendes Weh und Ach
hinauskam, in Toberei verfiel. Daß Herr Hoch
den Schwager und Herr Rühmann den
Stengel ganz auf Komik einſtellten, war depla-
ziert. Man denkt dabei mit Wehmut an beſſere
Zeiten zurück .....

Kleine Nachrichten.
Romantiſcher Abend.

Im 13. Volks-Symphonie-
Konzert, Freitag, 11. Januar 7½ Uhr, in
der Tonhalle wird unter Leitung von Dr.
Friedrich Munter aufgeführt:

1. Schubert: Fantaſie (f-moll) op. 103, in-
ſtrumentiert von Felix Mottl. 2. Schumann:
Klavier-Konzert (n-moll) op. 56. Soliſtin: Mar-
garethe Weber (Klavier). 3. Mendelsſohn:
Schottiſche Symphonie, op. 56.


Heute, Mittwoch, 9. Januar, Tonhalle
(7½ Uhr): Violinkonzert Eliſabeth Biſchoff.
am Klavier Profeſſor Heinrich Schwartz.
Bayeriſcher Hof
(7½ Uhr): Heiterer Abend
Profeſſor Marcell Salzer.

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[3/0003] Mittwoch, den 9. Januar 1924 Allgemeine Zeitung. Nr. 8 So ſtellt ſich die bayeriſche Regierung mit Nach- druck in den Dienſt des geſamtnationalen Gedan- kens, dem ihrer Meinung nach eine kräftige Beto- nung der Eigenſtaatlichkeit der Länder am beſten frommt. Gleichwohl unterliegt auch ſie in ſtarkem Maße der oben (unter II) bloßgelegten „ſtaaten- bündiſchen“ Einſtellung. Dieſe Geſinnung zieht ſich wie ein roter Faden durch den ganzen Text, wenn es immer wieder heißt, dieſe und jene Einwirkung des Reichs vertrage ſich nicht mit dem ſtaatlichen Charakter der Länder, dieſes und jenes Recht ſei ein unerläßliches Attribut derſelben uſw. Beſonders deutlich aber zeigt es ſich an zwei Stellen. Einmal (S. 6) in dem Zitat einer Äußerung des Kriegs- miniſters v. Pranckh, der, wie hervorgehoben wird, ſpäter als Unterhändler an dem Zuſtandekommen des Verſailier Vertrages von 1870 mitwirkte, in der Abgeordnetenkammer zu Beginn des 70er Krieges: „Die Selbſtändigkeit Bayerns muß ge- wahrt bleiben.“ Wie bekannt, hat ſich die damalige bayeriſche Regierung ſozuſagen mit Händen und Füßen gegen den Eintritt Bayerns in das Reich als Bundesſtaat geſträubt und ſich nur zu einem ſtaatenbündiſchen Verhältnis verſtehen wollen. Noch viel weniger hat ſie bei Eintritt in den Krieg an eine bundesſtaattliche Eingliederung gedacht. Die zweite markante Stelle iſt auf S. 14 zu finden, wo die Erhebung der Zölle und indirekten Steuern be- kämpft wird: „weil die Tätigkeit fremder Beamter auf dem Territorium eines ſelbſtändigen Staates ſich mit deſſen Souveränität nicht verträgt.“ Hier wird geradezu der Grundgedanke des Bundes- ſtaates, die ſich ergänzende Einheit von Reich und Ländern, vollkommen verleugnet. Der Termin der Reichstagswahlen. * Berlin, 6. Januar. Der „Demokratiſche Zeitungsdienſt“ bezeichnet es als wahr- ſcheinlich, daß die Reichstagswahlen im Mai ſtattfinden. Immerhin ſei es möglich, daß eine vorzeitige Auflöſung des Reichstags erfolgt und daß die Neuwahlen dann ſehr raſch anberaumt werden, da durch die Wahlgeſetznovelle die Friſten we- ſentlich verkürzt worden ſind. Vermiſchte Nachrichten. Staatsprüfung für den höheren landwirtſchaft- lichen Staatsdienſt. In der Zeit vom 15. bis 23. Oktober 1923 hat in München eine Staatsprüfung für den höheren landwirtſchaftlichen Staatsdienſt einſchließlich des landwirtſchaftlichen Lehramtes ſtattgefunden. Zur Teilnahme an der Prüfung hatten ſich 53 Be- werber gemeldet. Hiervon traten 5 vor bzw. während der Prüfung zurück. Von den übrigen 48 Kandidaten erhielt 1 die Hauptnote I, 26 die Hauptnote II, 14 die Hauptnote III, 5 Kandidaten haben die Prüfung in einzelnen Prüfungsab- ſchnitten, 2 Kandidaten die ganze Prüfung nicht beſtanden. München. Bis zum 1. Januar 1924 haben die Separatiſten in der Pfalz 51 Staatsbeamte mit 98 Angehörigen und 3 Gemeindebeamte mit 9 Angehörigen, insgeſamt 107 Perſonen, aus- gewieſen. Schongau, 7. Januar. Gefährliche Einbrecher. Beim Volksgericht Kempten fand die Verhandlung ſtatt gegen die Einbrecher, welche am 6. Ok- tober hier im Kleidergeſchäft Kugler eingebrochen hatten. Das Urteil lautete: Johann Daiß wird wegen 21 Verbrechen des ſchweren Diebſtahls und eines Vergehens der Meuterei unter Einſchluß einer ſchon früher vom Amtsgericht Buchloe zu- erkannten Gefängnisſtrafe von 8 Monaten zur Geſamtzuchthausſtrafe von 6 Jahren und 10 Jahren Ehrenverluſt verurteilt; zwei Monate Unterſuchungshaft kommen in Anrechnung. Jo- hann Linder erhält wegen 25 Verbrechen des ſchweren Diebſtahls und eines Vergehens der Meuterei eine Gefängnisſtrafe von 6 Jahren und 5 Jahren Ehrenverluſt; 2 Monate der Unter- ſuchungshaft kommen in Anrechnung. Ernſt Lott wird wegen 5 Verbrechen des ſchweren Diebſtahls zu einem Jahr 6 Monaten Gefängnis und Agathe Figel wegen eines Vergehens der Hehle- rei zu zwei Monaten 15 Tagen Gefängnis — letztere Strafe verbüßt durch die Unterſuchungs- haft — verurteilt und der Haftbefehl gegen die Figel aufgehoben. Daiß Genovova wird von der Anklage eines Vergehens der Hehlerei freige- ſprochen. Donauwörth. Stadtpfarrer und Geiſtlicher Rat Max Joſef Beitelrock vollendete ſein 94. Le- bensjahr. Der Herr Geiſtl. Rat erfreut ſich trotz des hohen Alters einer ſeltenen geiſtigen Friſche, der körperlichen leider nicht mehr, da er einen bedauerlichen Unfall durch Sturz erlitt, wobei der greiſe Prieſter ſich ſchwere Verletzungen zuzog. = Donauwörth. Aus dem Krankenhauſe entfernte ſich nachts der 23jährige ledige Arbeiter Karl Schmid aus Diſchingen, bekleidet nur mit Hemd und Unterhoſe. Der Vermißte iſt 1,63 Me- ter groß, ohne Bart und hat dunkelblonde Haare. = Babenhauſen. Ein ſeltenes Jagdglück hatte Herr Martin Gutter von hier; er ſchoß im Täuferbach auf ca. 150 Meter einen prachtvollen männlichen Fiſchreiher mit einer Flügel- ſpannweite von 1,65 Meter. Bemerkt ſei noch, daß der Reiher 4 Forellen von 10—20 Zentimeter Länge im Schlund hatte. = Memmingen. Ein Gewohnheitsver- brecher, der nicht weniger als ſchon 40 mal wegen der verſchiedenſten Reare beſtraft und ins- geſamt 18½ Jahre Zuchthaus hinter ſich hat, wurde vor dem Amtsgericht Memmingen neuer- dings abgeurteilt. Es handelt ſich um den ver- witweten Schloſſer Joh. Miller von Dieten- heim, der ſeit dem 7. September hier in Unter- ſuchungshaft ſaß. Er hat in Memmingen und in der Umgebung eine große Zahl Fahrraddiebſtähle begangen. Für ſeine Spezialität wurde er mit 2 Jahren Zuchthaus beſtraft. n. Kempten. Während in den Städten viele Hungers ſterben, leben die Bettler auf dem Lande derart im Vollen, daß ſie Brot und Käſe ruckſackweiſe wegwerfen oder verſchenken. In einem Falle gab ein Bettler einem Hund Preſſack, ein anderes Stück warf er ins Waſſer, ein Häusler holte ſich das ganz friſche Stück wieder heraus. Von dem Brot, das Bettler wegwarfen, konnte er 14 Tage lang die Hühner füttern. Ein anderer Bettler verkaufte ihm 5 Pfund Mehl um billiges Geld und ſchenkte ihm dazu einen ganzen Ruck- ſack voll Käſe und Brot mit dem Bemerken, er möge ſich mit dem Zeug nicht abſchleppen. Dabei ſind die Bettler ungemein frech, nehmen kein Geld oder beſtreuen die Straßen mit Milliardenſcheinen und erpreſſen durch das ſtändige Drohen mit dem Hausanzünden alles. = Salzburg. Wiederholt kamen aus Deutſch- land ſchon Klagen von dort beſchäftigten Oeſterreichern, daß ſie bei der Vertei- lung der Liebesgaben aus der Heimat völlig übergangen werden. So entnehmen wir einem Briefe aus Frankfurt a. M., daß die dort lebenden Oeſterreicher von den öſterreichiſchen Sammlungen nichts bekommen. Selbſtverſtändlich werden auch ſie von der allgemeinen Not ſchwer betroffen, zumal ſie der Abbau und die Arbeits- loſigkeit viel eher trifft als die Einheimiſchen. In Frankfurt haben ſich 600 Oeſterreicher zu einem Bunde zuſammengeſchloſſen, um der Not zu ſteuern. Es wäre ſicher am Platze, wenn die Not- hilfe, die für die Brüder im Reiche geleiſtet wird, auch unſeren eigenen Landsleuten geſichert würde. Entweder ſoll dafür Sorge getragen werden, daß man die Oeſterreicher in dieſem Falle nicht als Ausländer behandelt, oder vielleicht noch beſſer dadurch, daß ſich die Bünde der Oeſterreicher in den deutſchen Städten unmittelbar mit öſter- reichiſchen Hilfsſtellen in Verbindung ſetzen, um der ärgſten Not ſteuern zu können. = Wien. Ueber die bewundernwerte Geiſtes- gegenwart eines Lokomotivführers erfahren wir auf dem Umwege über Wien folgendes: Der D-Zug Berlin—Wien kam mit fünfſtündiger Ver- ſpätung in Wien an. Die 800 Reiſenden, die, über die Verſpätung ſchimpfend, dem Zuge ent- ſtiegen, ahnten nicht, daß ſie es nur dem Loko- motivführer verdankten, wenn ſie lebend ankamen. Als der Zug um Mitternacht mit 70 Kilometer Geſchwindigkeit durch Plauen dampfen ſollte, ſtand das Signal auf: Fahrt! Strecke frei! Doch der Mann auf der Maſchine erkannte: Falſches Gleis! Er ſah, daß auf demſelben Gleis, kaum 500 Meter vor ihm, der fällige Güterzug herandampfte. Ein Entſchluß von Augenblicken — die Bremſen des D-Zuges arbeiten und noch während der letzten Meter Fahrt ſchwingt ſich der Führer von der Lokomotive und eilt in raſendem Laufe mit ge- ſchwungener Laterne dem Güterzug entgegen. Die Güterzugmaſchine ſtoppt. Auf wenige Meter Ent- fernung ſtehen ſich die Maſchinen gegenüber. Hätte der Lokomotivführer nicht erkannt, daß der D-Zug auf das unrechte Gleis geglitten, ſo wäre ein furchtbares Unheil entſtanden. Doch die Rei- ſenden ahnten nichts von der Gefahr. Wien. (Künſtliches Benzin.) Nach hie- ſigen Blättermeldungen trägt ſich die öſterreichiſche Regierung mit dem Gedanken, die Erfindung eines deutſchen Chemikers, ſynthetiſches Benzin herzuſtellen, großzügig zu verwerten. Berlin. (Großfeuer.) In einer Mano- meterfabrik in der alten Jakobſtraße in Berlin brach Samstag mittag Großfeuer aus. Ein Lehr- junge war mit der Lötzunge einem Stapel Pack- material zu nahe gekommen und in wenigen Mi- nuten ſtanden die geſamten Fabrikräume in Flammen. Die Arbeiter konnten das Fa- brikgebäude wegen der ſtarken Rauchentwicklung nicht mehr verlaſſen. Vier Frauen und ſechs Männer wurden in ohnmächtigem Zuſtande aus den Flammen gerettet. Einem Feuerwehrmann wurde durch eine zerſpringende Fenſterſcheibe die Schlagader aufgeſchnitten; er wurde in bedenk- lichem Zuſtande in das Krankenhaus gebracht. Agram. (Verurteilter Attentäter.) Rajic, der vor einigen Monaten ein Atten- tat gegen Paſic verübte, hat durch ſeinen Anwalt beim Kaſſationsgericht die Nichtigkeits- beſchwerde gegen das gefällte Urteil eingereicht. Wie erinnerlich, wurde er zu 20 Jahren ſchweren Kerkers verurteilt. Rajic wurde jetzt auf Grund eines neueingeleiteten Verfahrens definitiv zu 18 Jahren Kerker verurteilt. _ Letzte Telegramme. Eine Erklärung der amerikaniſchen Sach- verſtändigen. Paris, 8. Januar. Die beiden in Paris eingetroffenen amerikaniſchen Re- parations-Sachverſtändigen Da- wes und Young haben dem „Matin“ eine Erklärung zur Verfügung geſtellt, in der es u. a. heißt: Wir werden an unſere Arbeit mit dem brennenden Wunſche herangehen, zuerſt einmal alle Tatſachen klarzuſtellen, um dann ein Reſultat zu ſehen. England und das franzöſiſch-tſchechiſche Bündnis. London, 8. Januar. Zu dem bevorſtehen- den Abſchluß des tſchechiſch-franzöſiſchen Bündniſſes ſchreibt die „Morningpoſt“, daß die Türkei ſicher ſehr gerne auch mit Großbritannien zu einem ähnlichen Abkommen gelangen würde und daß Frankreich ſich einem ſolchen Plane keines- wegs widerſetzen würde. „Weſtminſter Gazette“ meldet, daß die Kleine Entente die Möglichkeit einer Aus- dehnung des franzöſiſch-tſchechiſchen Ver- trages auf die geſamte Kleine Entente auf ihrer Konferenz beſprechen werde. Ein ſol- cher Vertrag hätte die Aufgabe, eine Ver- bindung mit Rußland herzuſtellen, zumal da in gewiſſen Kreiſen Frankreichs die Nei- gung beſteht, die Sowjetregierung anzuer- kennen. Der ſinkende Franken. Paris, 8. Januar. Die Hoffnung auf einen Umſchwung in der Bewertung des franzöſi- ſchen Franken iſt ſehr gefallen. Der Franken wurde heute früh mit 87,35, der Dollar mit 20,35 notiert. Die öffentliche Meinung Frankreichs wird durch dieſe Ent- wicklung ſehr beunruhigt. Im heutigen Mi- niſterrat wird der franzöſiſche Miniſter der Finanzen Anträge einbringen, die auf eine Unterbindung der Spekulation abzielen. Die Einheitsliſte in Thüringen. Weimar, 8. Januar. (Tel.-Union.) Nach längeren ſchwierigen Verhandlungen iſt es gelungen, die Beratungen über die erſten zehn Sitze der Einheitsliſte des Ord- nungsbundes in den vier Wahlkreiſen des Landes Thüringen zum Abſchluß zu bringen. Kein Rücktritt des Frankfurter Ober- bürgermeiſters. * Frankfurt a. M., 8. Januar. Die durch die Preſſe gehende Nachricht von dem Rück- tritt des Frankfurter Oberbürgermeiſters Vogl iſt unrichtig. Es liegt eine Verwech- ſlung mit dem gleichnamigen Bürgermeiſter von Biebrich a. Rh. vor. noch, in beträchtlicher Winterkälte, feſtſtellen, daß die abendlichen Spaziergänger ſich nur ſehr un- gern vom Donaukorſo trennen, von dem aus ſie durch die Dunkelheit nach Ofen hinüber zu blicken pflegen, mit den Augen ſich feſtklammernd an die Umriſſe von Bergen und Burg und an die Strah- lenkette der jenſeitigen Lichter. Solange es warm war, bis tief in den November hinein, gab es da auch einen Waldhorniſten, der auf der Donau in traditioneller Schwermut ſeine Weiſen blies und dem man eine Stunde lang ergriffen und koſten- los zuhörte. Jetzt iſt es ihm zu zugig geworden, ſchade. Aber mit den erſten Lerchen wird er wieder anſchwirren, um das hübſche Abendmärchen zu vervollſtändigen, und wird die Zahl der erfreu- lichen Peſter ſteigern, deren Lebensgenuß monate- lang in nichts anderem beſtand, als ſich Abend für Abend ruhig und beglückt dem Märchen des anderen Ufers hinzugeben. Rimband in Abeſſynien. Im „Corriere Italiano“ veröffentlicht Ardengo Soffici, ein bekannter Schriftſteller und Maler, ein intereſſantes Dokument, das in das Dunkel jener Periode des Lebens Arthue Rimbauds, als dieſer den Muſen untreu geworden, ſich dem proſaiſchen Waffenhandel von Dſchibuti nach Abeſſinien hingab, ein merkwürdiges Licht wirft. Es iſt nämlich Soffici gelungen, einen der Zeu- gen jener phantaſtiſchen nächtlichen Unterhaltun- gen in Harrar, welche Paterne Berſchon in ſeiner Biographie des Dichters ſo anſchaulich beſchreibt, in dem italieniſchen Reiſenden Ugo Ferrandi aus- findig zu machen. Durch Vermittlung eines ge- meinſamen Bekannten erhielt er nun folgenden Brief des italieniſchen Afrikaforſchers: „Novara, 7. Auguſt 1923. Lieber Freund und Kollege! Glauben Sie nicht, ich hätte vergeſſen, die von Ihnen gewünſchten Nachforſchungen über Rim- baud in Afrika anzuſtellen, aber die Aufgabe iſt ſchwieriger als ich dachte. Ich finde die Notizen, die ich in Harrar machte, zur Zeit, als ich mich dort zugleich mit dem gro- ßen franzöſiſchen Dichter befand, nicht mehr; ſie ſind mit vielen anderen Aufzeichnungen meiner Reiſen durch den Schwarzen Erdteil verloren ge- gangen. Ich lernte Rimbaud in Aden kennen ge- gen Ende 1885 (wenn mein Gedächtnis mich nicht täuſcht), als er von der franzöſiſchen Dankaliküſte dorthin kam, um den Ankauf einer Karawane nach dem Seivalande (Abeſſinien) abzuſchließen. Die Karawane beſtand aus einer Ladung Gewehre und gehörte einem Franzoſen, Labatut, der, weil trank, in die Heimat verreiſte. Gegen Mitte 1886 fand ich Rimbaud in Ta- dſchura, da es ihm noch nicht möglich geweſen, nach dem Innern abzureiſen. In Tadſchura be- fand ſich damals auch die Karawane von Paul Soleillet, dem bekannten Erforſcher der algeriſchen Sahara, der krank nach Aden zurückkehrte, wo er ſtarb. Die Karawane Soleillet und jene von Franzoj — zu welcher ich gehörte — hatten ihre Zelte in dem Palmenhain vor dem Dankalidorf aufgeſchlagen, Rimbaud dagegen hatte in einer Hütte des Dorfes ſeine Wohnung genommen. Er ſtattete den verſchiedenen Lagern häufige Beſuche ab, und bei allen herzlichen Beziehungen zu ſeinen Landsleuten fand er ein beſonderes Gefallen an unſerer Freundſchaft. Franzoj, ein bekannter Journaliſt, war ein Freund franzöſiſcher und la- teiniſcher Literatur (er las immer Horaz im Ori- ginaltext) und hatte mit Rimbaud endloſe Dis- kuſſionen über Literatur von den Romantikern bis zu den Dekadenten. Ich hingegen beläſtigte Rimbaud mit Fragen geographiſchen und iſlami- tiſchen Inhalts. Rimbaud hatte nämlich einige Jahre früher (während der arabiſchen Beſetzung von Harrar) es mit den Ogader verſucht. Ein Kenner des Arabiſchen erſter Güte, hielt er in einer Hütte den eingeborenen Notabeln wahre Vorträge über den Koran. Hochgewachſen, dürr, mit an den Schläfen be- reits ergrauten Haaren, europäiſch gekleidet, aber auf eine ſehr ſummariſche Art: Weite Hoſen, ein Trikot, eine ſehr bequeme Jacke von grauer Khaki- farbe, trug er als Kopfbedeckung nur ein kleines rundes, ebenfalls graues Käppchen, der Glutſonne des Dankalilandes trotzend wie ein Eingeborener. Trotzdem er ein Maultier beſaß, ritt er es auf den Märſchen nie. Mit ſeiner Doppelbüchſe ging er ſtets zu Fuß der Karawane voran ... Nach mehrmonatigem Aufenthalt in Tadſchura mußte ich das Dankaliland verlaſſen, und vernahm, daß Rimbaud kurze Zeit darauf mit ſeiner Karawane die Reiſe nach dem Schoalande fortſetzen konnte. Das geſchah gegen Oktober 1886. Rimbaud gab mir klare, knappe Aufſchlüſſe über Tadſchura, die ich gerne mit einigen anderen Notizen hätte ver- öffentlichen wollen — aber der Zufall geſtattete es nicht. Ich habe noch einige Blätter der Notizen von Rimbaud und, wenn Sie es wünſchen, werde ich ſie Ihnen abſchreiben und ſenden ...“ „Ehre“. Was hindert, uns des deus ex machina zu erfreuen, auch wenn er nicht im geheimnisvollen Symbolgewand moderner Problemdichtung, ſon- dern im eleganten Pelzmantel eines lehrhaften Grafen Traſt auftritt und, ſtatt die Fäden einer lebloſen oder ungeſtalteten Idee in blutloſen Händen zu halten, als ein Menſch von beneidens- wert geſunden Maximen in eine reale Welt hin- eingezaubert wird, um hier begriffsverwirrte Men- ſchen zur Vernunft zu bringen. Zumal, wenn ſolch ein Graf ſo vollkommen moderniſiert und ganz ohne Vollbart erſcheint, wie Herr Wüſten- hagen bei der Neueinſtudierung von Suder- mans „Ehre“ im Schauſpielhaus. Das Gefühl achſelzuckender Ueberlegenheit einem Autor von ſo trefflichem, bühnenwirkſamen Kön- nen gegenüber iſt nicht am Platz, ſolange die mo- derne dramatiſche Dichtung nicht durch Taten von wirklicher Ueberlegenheit dies rechtfertigt. Graf Traſts Beweisart ſeiner Relativitätstheorie mag im Zuſammenhang mit den heute „über- wunden“ erſcheinenden „ſozialen Gegenſätzen“ veraltet ſein, ſie wirkt aber immer noch wie in der guten alten Zeit — das hat der ſtürmiſche Beifall des Publikums erwieſen, der auch der zum Teil guten Darſtellung gegolten hat. Leider waren Tempo und Zuſammenſpiel ſtel- lenweiſe, beſonders zu Anfang, mangelhaft, aber es war wieder ein Genuß, Herrn Raabe in der Rolle des Alten, die er vor fünfundzwan- zig Jahren ſchon ſpielte, zu ſehen. Auch Herr Wüſtenhagen als Traſt und Fräulein Tiedemann als Leonore begnügten ſich nicht mit Schabloniſierung, wie es bei den meiſten übrigen Darſtellern der Fall war. Fräulein Borkmann als Berliner Pflanze war ganz in ihrem Element, eine bedauerlich ſchwache Lei- ſtung war der Robert des Herrn Rafael, der, wenn er über ſein ewig ſeufzendes Weh und Ach hinauskam, in Toberei verfiel. Daß Herr Hoch den Schwager und Herr Rühmann den Stengel ganz auf Komik einſtellten, war depla- ziert. Man denkt dabei mit Wehmut an beſſere Zeiten zurück ..... E. I. Kleine Nachrichten. Romantiſcher Abend. Im 13. Volks-Symphonie- Konzert, Freitag, 11. Januar 7½ Uhr, in der Tonhalle wird unter Leitung von Dr. Friedrich Munter aufgeführt: 1. Schubert: Fantaſie (f-moll) op. 103, in- ſtrumentiert von Felix Mottl. 2. Schumann: Klavier-Konzert (n-moll) op. 56. Soliſtin: Mar- garethe Weber (Klavier). 3. Mendelsſohn: Schottiſche Symphonie, op. 56. Heute, Mittwoch, 9. Januar, Tonhalle (7½ Uhr): Violinkonzert Eliſabeth Biſchoff. am Klavier Profeſſor Heinrich Schwartz. Bayeriſcher Hof (7½ Uhr): Heiterer Abend Profeſſor Marcell Salzer.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-03-29T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 8, vom 9. Januar 1924, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine08_1924/3>, abgerufen am 03.12.2024.