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Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] liches Ziel erreicht. Die in Bayern verfassungsmäßig bestehende Gleichheit der
Staatsangehörigen in Rücksicht auf die Ernenn ung zu öffentlichen Aemtern war
endlich in Vezug auf die Israeliten in einem Falle Wahrheit geworden; Herz war
der erste Jude der an einer bayerischen Universität ordentlicher Professor wurde,
einer der wenigen seiner Glaubensgenossen welche diese Stellung an einer deut-
schen Universität erreicht haben. Es handelte sich in der That bei dieser so lange
verzögerten Anstellung von Herz um eine Principienfrage, und im Bewußtsein
dessen hat Herz lange Jahre in Verhältnissen ausgehacrt die einer minder pflicht-
treuen und minder willenskräftigen Natur unterträglich gewesen wären. Freilich
wurde ihm vieles zutheil was ihn über diese anfänglichen Mißerfolge trösten konnte.
Die ungetheilte Hochachtung seiner Collegen an der Universität, mit deren einigen
ihn innigste Freundschaft verband, die begeisterte Anhänglichkeit der studierenden
Jugend, die pietätvolle Dankbarkeit der unzähligen Kranken die er behandelte,
endlich ein maßgebender Einfluß im öffentlichen Leben, wie im Kreise der Erlan-
ger Bürger, so in dem der bayerischen Fortschrittspartei, der, eben weil ungesucht,
um so tiefergehend war.

Die sittlichen Eigenschaften die Herz im Laufe dieses reichgesegneten Lebens
offenbarte, sind durchaus außerordentliche zu nennen. Nicht leicht wird wieder
ein Mann erscheinen der in einem solchen Grade selbstlos war wie er. Er hat nie,
aber auch nie, äußere Ehre und materiellen Vortheil gesucht; die Uneigennützigkeit
die er als Arzt bewies, gränzte geradezu ans Unglaubliche. Sein ganzes Leben
war eine fortlaufende Aufopferung seiner Person im Dienste seiner Mitmenschen,
und diese Aufopferung hat er noch in den letzten Monaten seines Lebens bewährt.
Mit geschwächter Gesundheit, die stets zart war, hat er sich in gewissenhaftester
Weise der Pflege der Verwundeten des großen deutschen Krieges und den Wahlen
zum ersten Deutschen Reichstage gewidmet. Kein Zweifel daß diese letzten über-
mäßigen Anstrengungen seinen Tod beschleunigt haben. Riehl erzählt in einer
seiner anmuthigen culturgeschichtlichen Novelle von einem Fürsten der sich zum
Symbol eine brennende Kerze erwählte, mit der Umschrift: "Aliis inserviendo
consumor"
(andern dienend, verzehr' ich mich) -- ein Motto, wie es nicht geeigneter
gedacht werden kann um die Lebensthätigkeit von Herz in ihrem Grundzuge zu
charakterisiren. Eine andere bedeutsame Seite seines Wesens war die großartige
Treue gegen sich selbst und seine Ueberzeugungen. Es lag in seiner Art Menschen
und Dinge bedächtig zu prüfen, seine Entschlüsse in seinem Gemüthe still vorzu-
bereiten, allein dem einmal für recht Erkannten gehörte dann auch seine ganze
Person. Diese Ueberzeugungstreue, die aber nie in starre Consequenzmacherei
ausartete, bewährte er namentlich im Verhältniß zu seiner angestammten Religion.
Obwohl, seiner äußern Lage entsprechend, er sich bald von den öffentlichen Uebungen
derselben zurückgezogen hatte, konnte ihn doch keine Aussicht auf äußere Stellung,
ja selbst nicht die auf das Glück der Ehe, welches er, der mit der ganzen Innigkeit
seines Stammes an seiner Familie hieng, schwer entbehrte, dahin bringen sein Be-
kenntniß zu wechseln. Ein Uebertritt zum Christenthum nicht aus innerer Ueber-
zeugung, wie es bisher so oft vorgekommen ist, wäre bei ihm ganz undenkbar
gewesen.

Herz bietet das Bild eines streng sittlichen, unermüdlich thätigen, im wissen-
schaftlichen und praktischen Leben gleich bewährten Mannes, eines trefflichen Bür-
gers und stets opferwilligen Patrioten in so vollendeter Weise, daß es nur natürlich
ist daß man das Andenken an ihn durch eine Stiftung am Orte seiner Wirksamkeit
ehren will. Für die Herz-Stiftung sind Comites in Deutschland und Amerika zu-
sammengetreten, und reiche Geldmittel sind derselben theils zugeflossen, theils in
Aussicht gestellt. Mit diesen Mitteln soll ein Denkmal des Verstorbenen in der
Nähe des Anatomiegebäudes in Erlangen aufgestellt und ferner sollen Stipendien
für Medicin-Studierende ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses gegründet
werden. Den Zwecken dieser Stiftung soll auch der Reinertrag der Schrift dien en
welche den Anlaß zu den vorstehenden Ausführungen bot. Sie ist schön ausge-
stattet und mit einem guten photographischen Porträt von Herz geziert. Wir
wünschen ihr die weiteste Verbreitung.



Zu Friedrich Diez' fünfzigjährigem Jubiläum.

[] Die Blätter erzählen uns von hohen Orden und andern Ehren welche
dem hochbetagten und hochverdienten Altmeister der romanischen Sprachwissen-
schaft zu seinem Jubeltage, dem 29 December, geworden sind. Es ist schön und
erfreulich wenn solche Zeichen des Dankes und der Verehrung in den Lebensabend
eines greifen Forschers hineinleuchten. Vergessen wir aber darüber nicht die schönste
Auszeichnung, welche der Jubilar sich selbst bereitet hat durch die vor kurzem er-
schienene dritte Auflage seiner "Grammatik der Nomanischen Sprachen."
(Bonn, E. Weber. I. Theil 1870, II. Th. 1871. Die zweite Auflage fällt in die
Jahre 1856 bis 1860.)

In innerstem Zusammenhange mit des Verfassers Grammatik steht sein
classisches "Etymologisches Wörterbuch der Romanischen Sprachen," und in der
That hat auch dieses vor zwei Jahren seine dritte Auflage gefeiert.

In solchen Erfolgen liegt noch etwas anderes als ein rein sprachliches, als
ein abstract wissenschaftliches Verdienst. Wenn Griechen und Römer alle Nicht-
griechen und Nichtrömer einfach als barbari von sich selbst unterschieden und ab-
stießen, d. h. als Andersredende, als "Wälsche," so hatten sie den Nagel auf den
Kopf getroffen; denn selten tritt ein tiefinnerer Unterschied zwischen zwei Objecten
auch äußerlich so klar und gewaltig zu Tage wie der Unterschied zweier Nationen
in dem Klang und Bau ihrer Sprachen. Mit der Thatsache und Erkenntniß dieses
Zwiespalts zufrieden blieben die Alten stehen; die Römer wandelten, in ihre Toga
und ihren Stolz gehüllt, durch das Völkergewirr und Sprachengeschwirr ihres
Weltreiches tauben Ohrs und gleichgültigen Sinnes, und der Sprachforscher des
heutigen Tages, der umsonst in den Schriften der Classiker um nähere Kunde fragt
über Zungen und Mundarten jener Zeiten, möchte manchmal, zornig auffahrend,
diese angeblichen Classiker des barbarischen Stumpfsinns zeihen. Es wäre ein un-
gerechter Vorwurf: wären Griechen und Römer nicht so ganz und gar sie selbst
und nur sie selbst gewesen, schwerlich könnten wir sie heute so kurzweg die classi-
[Spaltenumbruch] schen Völker nennen. Und noch in unserm Jahrhundert hat einer der berühmteften.
Grammatiker sein Lebetage nicht begriffen wie man sich für ein Idiom erwärmen
könne welches keinen geistigen Inhalt, keine bedeutende Literatur erzeugt und auf-
zuweisen habe. Als ob nicht jedes, auch das armseligste Idiom schon einfach als
solches, als Sprache, Organ und Ausdruck eines geistigen Inhalts wäre!

Dem in sich zufriedenen Selbstcultus des Alterthums folgt ein langes Mittel-
alter mit der vorherrschend schulgerechten und praktischen Vetreibung der lateini-
schen, später der griechischen Sprache. Von einer eigentlichen Philologie kann man
seit dem 16. Jahrhundert reden, von einer Sprachforschung im höhern und weitern
Sinne kaum seit hundert Jahren. Die Sprache an sich wurde jetzt der Gegenstand
der Betrachtung, die Sprachform ohne weitere Rücksicht auf den Inhalt, und in
Folge dieser Auffassung trat der fernste und unvollkommenste Dialekt in die gleiche
Rangstufe mit dem nächsten und höchst entwickelten. So hat für den Mineralogen
oder Chemiker der Kiesel den sein Fuß tritt den gleichen Werth mit dem Diamant
der in dem Kronreif eines Königes funkelt.

Aber auf dieser kalten Höhe gleichgültiger Unbefangenheit konnte man nicht
stehen bleiben. In neuester Zeit hat man erkannt, und in mannichfacher Behand-
lung ausgeführt, daß für Wesen, Entwicklung und Geschichte der Völker ihre
Sprachen eines der innersten und meistbestimmenden Elemente bilden. Die Sprache,
sagen wir, nicht die Literatur. Wenn ein flüchtiger Blick auf die beiderseitigen
Grundzüge z. B. des Indogermanischen und des Semitischen zwei seelische und
geistige Constitutionen von außerordentlicher Verschiedenheit zeigt, so wiederholen
sich solche Gegensätze auch innerhalb der Schranken einer bestimmten Sprachensippe.
So insbesondere zwischen den beiden Gruppen der germanischen und der romani-
schen Sprachen.

Als J. Grimm an seine Deutsche Grammatik gieng, da hatte er den hohen
Vortheil und Genuß ein Gebiet zu beschreiten auf welchem fast ein lauteres ur-
wüchsiges Leben waltete.

Ganz anders Friedrich Diez als er die Feder ansetzte zur Grammatik der
Romanischen Sprachen. Da waren lauter junge Gebilde, secundäre Formationen,
und eben darin lag der höchste Neiz. Hier hatte man es mit Sprachen zu thun
welche gleichsam unter unsern Augen entstanden waren, mit lautlichen Bildungen
und psychologischen Vorgängen welche fast durchaus innerhalb bestimmter histori-
scher Punkte lagen. Ein solches Schauspiel zu beobachten mußte Genuß, es den
Zeitgenossen zur Anschauung zu bringen Verdienst sein.

Unsere Weisen härmen sich ab und streiten sich müde über das ungeheure
Räthsel von der Entstehung der Sprache. Die Sprache nicht, aber Sprachen --
hier sehen wir sie entstehen, werden, wachsen, blühen und verblühen. Wären diese
romanischen Idiome nur das als was man sie gewöhnlich denkt, nur "Töchtersprachen"
des Lateinischen, alluviales Geröll und Geschwemm von den sieben Hügeln herab
-- dann wäre die Sache um vieles einfacher.

Aber dem ist nicht so. Zunächst schon aus dem natürlichen Grunde weil ja
in den Gebieten über welche das Romanische allmählich hinfluthete zum Theil
ältere Sprachen ureinheimisch wurzelten, z. B. iberische und keltische. Andere Ver-
hältnisse, Kämpfe und Processe entwickelten sich wenn umgekehrt fremde Idiome
in römisches oder romanisches Gebiet von außen her einbrachen, wie die verschie-
denen deutschen Mundarten und sogar, von den Arabern getragen, eine semitische.
Aus all diesen Verhältnissen entwickelt sich ein lang' andauerndes Wechselspiel der
mannichfachsten Elemente und Kräfte, ein Völker- und Seelendrama von außer-
ordentlicher Entfaltung. Darum ist auch gleich die Einleitung, in welcher Diez die
Bestandtheile und Gebiete der romanischen Sprachen darlegt, so außerordentlich an-
ziehend und belehrend; denn in ihr wird mit klaren festen Zügen der Grund und
Boden geschildert auf welchem jenes Drama spielen soll, werden die Elemente ent-
wickelt welche in dem Drama walten werden.

"Die germanische Race steigt, die romanische neigt sich zum Niedergang,"
hörten wir im Sommer 1870 rufen. Wir glauben das nicht, und wir würden es,
im germanischen Interesse, beklagen, wenn wir es glauben müßten. Allerdings
kann eine Race sinken und versinken, kann von einer andern Race in den Boden
gestampft werden. Unseres Erachtens aber haben Germanen und Romanen sich
längst aus dem rohen anthropologischen Element und Begriff der Race befreit und
sich erhoben in das edlere Gebiet von Völker- und Staatengruppen. Wer andert-
halb Jahrtausende lang Weltgeschichte gemacht hat in dem Style der Germanen
und Nomanen, der ist keine Race mehr. Nacen machen keine Geschichte. Das
Gegentheil mögen tschechische Staatsweise und mösische Bojaren verfechten.

Und eben das Studium von Werken wie die Diez'sche Grammatik und ihre
herrliche Ergänzung, das Diezische Wörterbuch, möchte auch andere als Sprach-
forscher zu einer ruhigeren und tieferen Vetrachtung, zu höherer und milderer Auf-
fassung der heute bestehenden geschichtlichen Völkerkräfte führen, wäre es auch nur
in Folge der Erkenntniß ein wie gewaltiges Theil germanischen Wesens in dem
romanischen Blute fließt. Möge dem greisen Meister noch eine gute Summe
Kraft und eine wohlgemessene Spanne irdischer Zeit vergönnt sein, auf daß er das
lang' gehegte Werk seines Lebens zu Ende führe, zum Segen der Wissenschaft, zu
seiner und seines Volkes Ehre!



Ohne Gewissen. Roman von Karl Heigel.*)

[&#xfffc;] In diesem vor kurzem erschienenen Roman entrollt der bekannte Verfasser
ein ebenso düsteres als wahres Bild gewissenlosen Strebens nach materiellen
Erfolgen.

Mit Meisterschaft ist der Charakter eines Mannes entwickelt welchem es ge-
lingt, unter Verdeckung einer ehrlosen Vergangenheit, die Hand der Tochter eines
reichen Vaters und mit ihrem Vermögen die Grundlage einer Thätigkeit zu ge-
winnen welche ausschließlich dem kalten Mammon gewidmet ist. Es wohnt eine
"entgötterte" Seele in der Brust dieses Mannes, nicht die Spur einer idealen An-
schauung ist in ihr zurückgeblieben, kein Funken von dem Feuer welches den Men-
schen warm macht; der überlegene Verstand und die Negation des Besseren im
Menschen sind Herrscher in ihr.

*) Berlin. Gebrüder Pantel.

[Spaltenumbruch] liches Ziel erreicht. Die in Bayern verfaſſungsmäßig beſtehende Gleichheit der
Staatsangehörigen in Rückſicht auf die Ernenn ung zu öffentlichen Aemtern war
endlich in Vezug auf die Iſraeliten in einem Falle Wahrheit geworden; Herz war
der erſte Jude der an einer bayeriſchen Univerſität ordentlicher Profeſſor wurde,
einer der wenigen ſeiner Glaubensgenoſſen welche dieſe Stellung an einer deut-
ſchen Univerſität erreicht haben. Es handelte ſich in der That bei dieſer ſo lange
verzögerten Anſtellung von Herz um eine Principienfrage, und im Bewußtſein
deſſen hat Herz lange Jahre in Verhältniſſen ausgehacrt die einer minder pflicht-
treuen und minder willenskräftigen Natur unterträglich geweſen wären. Freilich
wurde ihm vieles zutheil was ihn über dieſe anfänglichen Mißerfolge tröſten konnte.
Die ungetheilte Hochachtung ſeiner Collegen an der Univerſität, mit deren einigen
ihn innigſte Freundſchaft verband, die begeiſterte Anhänglichkeit der ſtudierenden
Jugend, die pietätvolle Dankbarkeit der unzähligen Kranken die er behandelte,
endlich ein maßgebender Einfluß im öffentlichen Leben, wie im Kreiſe der Erlan-
ger Bürger, ſo in dem der bayeriſchen Fortſchrittspartei, der, eben weil ungeſucht,
um ſo tiefergehend war.

Die ſittlichen Eigenſchaften die Herz im Laufe dieſes reichgeſegneten Lebens
offenbarte, ſind durchaus außerordentliche zu nennen. Nicht leicht wird wieder
ein Mann erſcheinen der in einem ſolchen Grade ſelbſtlos war wie er. Er hat nie,
aber auch nie, äußere Ehre und materiellen Vortheil geſucht; die Uneigennützigkeit
die er als Arzt bewies, gränzte geradezu ans Unglaubliche. Sein ganzes Leben
war eine fortlaufende Aufopferung ſeiner Perſon im Dienſte ſeiner Mitmenſchen,
und dieſe Aufopferung hat er noch in den letzten Monaten ſeines Lebens bewährt.
Mit geſchwächter Geſundheit, die ſtets zart war, hat er ſich in gewiſſenhafteſter
Weiſe der Pflege der Verwundeten des großen deutſchen Krieges und den Wahlen
zum erſten Deutſchen Reichstage gewidmet. Kein Zweifel daß dieſe letzten über-
mäßigen Anſtrengungen ſeinen Tod beſchleunigt haben. Riehl erzählt in einer
ſeiner anmuthigen culturgeſchichtlichen Novelle von einem Fürſten der ſich zum
Symbol eine brennende Kerze erwählte, mit der Umſchrift: „Aliis inserviendo
consumor“
(andern dienend, verzehr’ ich mich) — ein Motto, wie es nicht geeigneter
gedacht werden kann um die Lebensthätigkeit von Herz in ihrem Grundzuge zu
charakteriſiren. Eine andere bedeutſame Seite ſeines Weſens war die großartige
Treue gegen ſich ſelbſt und ſeine Ueberzeugungen. Es lag in ſeiner Art Menſchen
und Dinge bedächtig zu prüfen, ſeine Entſchlüſſe in ſeinem Gemüthe ſtill vorzu-
bereiten, allein dem einmal für recht Erkannten gehörte dann auch ſeine ganze
Perſon. Dieſe Ueberzeugungstreue, die aber nie in ſtarre Conſequenzmacherei
ausartete, bewährte er namentlich im Verhältniß zu ſeiner angeſtammten Religion.
Obwohl, ſeiner äußern Lage entſprechend, er ſich bald von den öffentlichen Uebungen
derſelben zurückgezogen hatte, konnte ihn doch keine Ausſicht auf äußere Stellung,
ja ſelbſt nicht die auf das Glück der Ehe, welches er, der mit der ganzen Innigkeit
ſeines Stammes an ſeiner Familie hieng, ſchwer entbehrte, dahin bringen ſein Be-
kenntniß zu wechſeln. Ein Uebertritt zum Chriſtenthum nicht aus innerer Ueber-
zeugung, wie es bisher ſo oft vorgekommen iſt, wäre bei ihm ganz undenkbar
geweſen.

Herz bietet das Bild eines ſtreng ſittlichen, unermüdlich thätigen, im wiſſen-
ſchaftlichen und praktiſchen Leben gleich bewährten Mannes, eines trefflichen Bür-
gers und ſtets opferwilligen Patrioten in ſo vollendeter Weiſe, daß es nur natürlich
iſt daß man das Andenken an ihn durch eine Stiftung am Orte ſeiner Wirkſamkeit
ehren will. Für die Herz-Stiftung ſind Comités in Deutſchland und Amerika zu-
ſammengetreten, und reiche Geldmittel ſind derſelben theils zugefloſſen, theils in
Ausſicht geſtellt. Mit dieſen Mitteln ſoll ein Denkmal des Verſtorbenen in der
Nähe des Anatomiegebäudes in Erlangen aufgeſtellt und ferner ſollen Stipendien
für Medicin-Studierende ohne Unterſchied des Glaubensbekenntniſſes gegründet
werden. Den Zwecken dieſer Stiftung ſoll auch der Reinertrag der Schrift dien en
welche den Anlaß zu den vorſtehenden Ausführungen bot. Sie iſt ſchön ausge-
ſtattet und mit einem guten photographiſchen Porträt von Herz geziert. Wir
wünſchen ihr die weiteſte Verbreitung.



Zu Friedrich Diez’ fünfzigjährigem Jubiläum.

[☿] Die Blätter erzählen uns von hohen Orden und andern Ehren welche
dem hochbetagten und hochverdienten Altmeiſter der romaniſchen Sprachwiſſen-
ſchaft zu ſeinem Jubeltage, dem 29 December, geworden ſind. Es iſt ſchön und
erfreulich wenn ſolche Zeichen des Dankes und der Verehrung in den Lebensabend
eines greifen Forſchers hineinleuchten. Vergeſſen wir aber darüber nicht die ſchönſte
Auszeichnung, welche der Jubilar ſich ſelbſt bereitet hat durch die vor kurzem er-
ſchienene dritte Auflage ſeiner „Grammatik der Nomaniſchen Sprachen.“
(Bonn, E. Weber. I. Theil 1870, II. Th. 1871. Die zweite Auflage fällt in die
Jahre 1856 bis 1860.)

In innerſtem Zuſammenhange mit des Verfaſſers Grammatik ſteht ſein
claſſiſches „Etymologiſches Wörterbuch der Romaniſchen Sprachen,“ und in der
That hat auch dieſes vor zwei Jahren ſeine dritte Auflage gefeiert.

In ſolchen Erfolgen liegt noch etwas anderes als ein rein ſprachliches, als
ein abſtract wiſſenſchaftliches Verdienſt. Wenn Griechen und Römer alle Nicht-
griechen und Nichtrömer einfach als barbari von ſich ſelbſt unterſchieden und ab-
ſtießen, d. h. als Andersredende, als „Wälſche,“ ſo hatten ſie den Nagel auf den
Kopf getroffen; denn ſelten tritt ein tiefinnerer Unterſchied zwiſchen zwei Objecten
auch äußerlich ſo klar und gewaltig zu Tage wie der Unterſchied zweier Nationen
in dem Klang und Bau ihrer Sprachen. Mit der Thatſache und Erkenntniß dieſes
Zwieſpalts zufrieden blieben die Alten ſtehen; die Römer wandelten, in ihre Toga
und ihren Stolz gehüllt, durch das Völkergewirr und Sprachengeſchwirr ihres
Weltreiches tauben Ohrs und gleichgültigen Sinnes, und der Sprachforſcher des
heutigen Tages, der umſonſt in den Schriften der Claſſiker um nähere Kunde fragt
über Zungen und Mundarten jener Zeiten, möchte manchmal, zornig auffahrend,
dieſe angeblichen Claſſiker des barbariſchen Stumpfſinns zeihen. Es wäre ein un-
gerechter Vorwurf: wären Griechen und Römer nicht ſo ganz und gar ſie ſelbſt
und nur ſie ſelbſt geweſen, ſchwerlich könnten wir ſie heute ſo kurzweg die claſſi-
[Spaltenumbruch] ſchen Völker nennen. Und noch in unſerm Jahrhundert hat einer der berühmteften.
Grammatiker ſein Lebetage nicht begriffen wie man ſich für ein Idiom erwärmen
könne welches keinen geiſtigen Inhalt, keine bedeutende Literatur erzeugt und auf-
zuweiſen habe. Als ob nicht jedes, auch das armſeligſte Idiom ſchon einfach als
ſolches, als Sprache, Organ und Ausdruck eines geiſtigen Inhalts wäre!

Dem in ſich zufriedenen Selbſtcultus des Alterthums folgt ein langes Mittel-
alter mit der vorherrſchend ſchulgerechten und praktiſchen Vetreibung der lateini-
ſchen, ſpäter der griechiſchen Sprache. Von einer eigentlichen Philologie kann man
ſeit dem 16. Jahrhundert reden, von einer Sprachforſchung im höhern und weitern
Sinne kaum ſeit hundert Jahren. Die Sprache an ſich wurde jetzt der Gegenſtand
der Betrachtung, die Sprachform ohne weitere Rückſicht auf den Inhalt, und in
Folge dieſer Auffaſſung trat der fernſte und unvollkommenſte Dialekt in die gleiche
Rangſtufe mit dem nächſten und höchſt entwickelten. So hat für den Mineralogen
oder Chemiker der Kieſel den ſein Fuß tritt den gleichen Werth mit dem Diamant
der in dem Kronreif eines Königes funkelt.

Aber auf dieſer kalten Höhe gleichgültiger Unbefangenheit konnte man nicht
ſtehen bleiben. In neueſter Zeit hat man erkannt, und in mannichfacher Behand-
lung ausgeführt, daß für Weſen, Entwicklung und Geſchichte der Völker ihre
Sprachen eines der innerſten und meiſtbeſtimmenden Elemente bilden. Die Sprache,
ſagen wir, nicht die Literatur. Wenn ein flüchtiger Blick auf die beiderſeitigen
Grundzüge z. B. des Indogermaniſchen und des Semitiſchen zwei ſeeliſche und
geiſtige Conſtitutionen von außerordentlicher Verſchiedenheit zeigt, ſo wiederholen
ſich ſolche Gegenſätze auch innerhalb der Schranken einer beſtimmten Sprachenſippe.
So insbeſondere zwiſchen den beiden Gruppen der germaniſchen und der romani-
ſchen Sprachen.

Als J. Grimm an ſeine Deutſche Grammatik gieng, da hatte er den hohen
Vortheil und Genuß ein Gebiet zu beſchreiten auf welchem faſt ein lauteres ur-
wüchſiges Leben waltete.

Ganz anders Friedrich Diez als er die Feder anſetzte zur Grammatik der
Romaniſchen Sprachen. Da waren lauter junge Gebilde, ſecundäre Formationen,
und eben darin lag der höchſte Neiz. Hier hatte man es mit Sprachen zu thun
welche gleichſam unter unſern Augen entſtanden waren, mit lautlichen Bildungen
und pſychologiſchen Vorgängen welche faſt durchaus innerhalb beſtimmter hiſtori-
ſcher Punkte lagen. Ein ſolches Schauſpiel zu beobachten mußte Genuß, es den
Zeitgenoſſen zur Anſchauung zu bringen Verdienſt ſein.

Unſere Weiſen härmen ſich ab und ſtreiten ſich müde über das ungeheure
Räthſel von der Entſtehung der Sprache. Die Sprache nicht, aber Sprachen —
hier ſehen wir ſie entſtehen, werden, wachſen, blühen und verblühen. Wären dieſe
romaniſchen Idiome nur das als was man ſie gewöhnlich denkt, nur „Töchterſprachen“
des Lateiniſchen, alluviales Geröll und Geſchwemm von den ſieben Hügeln herab
— dann wäre die Sache um vieles einfacher.

Aber dem iſt nicht ſo. Zunächſt ſchon aus dem natürlichen Grunde weil ja
in den Gebieten über welche das Romaniſche allmählich hinfluthete zum Theil
ältere Sprachen ureinheimiſch wurzelten, z. B. iberiſche und keltiſche. Andere Ver-
hältniſſe, Kämpfe und Proceſſe entwickelten ſich wenn umgekehrt fremde Idiome
in römiſches oder romaniſches Gebiet von außen her einbrachen, wie die verſchie-
denen deutſchen Mundarten und ſogar, von den Arabern getragen, eine ſemitiſche.
Aus all dieſen Verhältniſſen entwickelt ſich ein lang’ andauerndes Wechſelſpiel der
mannichfachſten Elemente und Kräfte, ein Völker- und Seelendrama von außer-
ordentlicher Entfaltung. Darum iſt auch gleich die Einleitung, in welcher Diez die
Beſtandtheile und Gebiete der romaniſchen Sprachen darlegt, ſo außerordentlich an-
ziehend und belehrend; denn in ihr wird mit klaren feſten Zügen der Grund und
Boden geſchildert auf welchem jenes Drama ſpielen ſoll, werden die Elemente ent-
wickelt welche in dem Drama walten werden.

„Die germaniſche Race ſteigt, die romaniſche neigt ſich zum Niedergang,“
hörten wir im Sommer 1870 rufen. Wir glauben das nicht, und wir würden es,
im germaniſchen Intereſſe, beklagen, wenn wir es glauben müßten. Allerdings
kann eine Race ſinken und verſinken, kann von einer andern Race in den Boden
geſtampft werden. Unſeres Erachtens aber haben Germanen und Romanen ſich
längſt aus dem rohen anthropologiſchen Element und Begriff der Race befreit und
ſich erhoben in das edlere Gebiet von Völker- und Staatengruppen. Wer andert-
halb Jahrtauſende lang Weltgeſchichte gemacht hat in dem Style der Germanen
und Nomanen, der iſt keine Race mehr. Nacen machen keine Geſchichte. Das
Gegentheil mögen tſchechiſche Staatsweiſe und möſiſche Bojaren verfechten.

Und eben das Studium von Werken wie die Diez’ſche Grammatik und ihre
herrliche Ergänzung, das Dieziſche Wörterbuch, möchte auch andere als Sprach-
forſcher zu einer ruhigeren und tieferen Vetrachtung, zu höherer und milderer Auf-
faſſung der heute beſtehenden geſchichtlichen Völkerkräfte führen, wäre es auch nur
in Folge der Erkenntniß ein wie gewaltiges Theil germaniſchen Weſens in dem
romaniſchen Blute fließt. Möge dem greiſen Meiſter noch eine gute Summe
Kraft und eine wohlgemeſſene Spanne irdiſcher Zeit vergönnt ſein, auf daß er das
lang’ gehegte Werk ſeines Lebens zu Ende führe, zum Segen der Wiſſenſchaft, zu
ſeiner und ſeines Volkes Ehre!



Ohne Gewiſſen. Roman von Karl Heigel.*)

[&#xfffc;] In dieſem vor kurzem erſchienenen Roman entrollt der bekannte Verfaſſer
ein ebenſo düſteres als wahres Bild gewiſſenloſen Strebens nach materiellen
Erfolgen.

Mit Meiſterſchaft iſt der Charakter eines Mannes entwickelt welchem es ge-
lingt, unter Verdeckung einer ehrloſen Vergangenheit, die Hand der Tochter eines
reichen Vaters und mit ihrem Vermögen die Grundlage einer Thätigkeit zu ge-
winnen welche ausſchließlich dem kalten Mammon gewidmet iſt. Es wohnt eine
„entgötterte“ Seele in der Bruſt dieſes Mannes, nicht die Spur einer idealen An-
ſchauung iſt in ihr zurückgeblieben, kein Funken von dem Feuer welches den Men-
ſchen warm macht; der überlegene Verſtand und die Negation des Beſſeren im
Menſchen ſind Herrſcher in ihr.

*) Berlin. Gebrüder Pantel.
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[123/0011] liches Ziel erreicht. Die in Bayern verfaſſungsmäßig beſtehende Gleichheit der Staatsangehörigen in Rückſicht auf die Ernenn ung zu öffentlichen Aemtern war endlich in Vezug auf die Iſraeliten in einem Falle Wahrheit geworden; Herz war der erſte Jude der an einer bayeriſchen Univerſität ordentlicher Profeſſor wurde, einer der wenigen ſeiner Glaubensgenoſſen welche dieſe Stellung an einer deut- ſchen Univerſität erreicht haben. Es handelte ſich in der That bei dieſer ſo lange verzögerten Anſtellung von Herz um eine Principienfrage, und im Bewußtſein deſſen hat Herz lange Jahre in Verhältniſſen ausgehacrt die einer minder pflicht- treuen und minder willenskräftigen Natur unterträglich geweſen wären. Freilich wurde ihm vieles zutheil was ihn über dieſe anfänglichen Mißerfolge tröſten konnte. Die ungetheilte Hochachtung ſeiner Collegen an der Univerſität, mit deren einigen ihn innigſte Freundſchaft verband, die begeiſterte Anhänglichkeit der ſtudierenden Jugend, die pietätvolle Dankbarkeit der unzähligen Kranken die er behandelte, endlich ein maßgebender Einfluß im öffentlichen Leben, wie im Kreiſe der Erlan- ger Bürger, ſo in dem der bayeriſchen Fortſchrittspartei, der, eben weil ungeſucht, um ſo tiefergehend war. Die ſittlichen Eigenſchaften die Herz im Laufe dieſes reichgeſegneten Lebens offenbarte, ſind durchaus außerordentliche zu nennen. Nicht leicht wird wieder ein Mann erſcheinen der in einem ſolchen Grade ſelbſtlos war wie er. Er hat nie, aber auch nie, äußere Ehre und materiellen Vortheil geſucht; die Uneigennützigkeit die er als Arzt bewies, gränzte geradezu ans Unglaubliche. Sein ganzes Leben war eine fortlaufende Aufopferung ſeiner Perſon im Dienſte ſeiner Mitmenſchen, und dieſe Aufopferung hat er noch in den letzten Monaten ſeines Lebens bewährt. Mit geſchwächter Geſundheit, die ſtets zart war, hat er ſich in gewiſſenhafteſter Weiſe der Pflege der Verwundeten des großen deutſchen Krieges und den Wahlen zum erſten Deutſchen Reichstage gewidmet. Kein Zweifel daß dieſe letzten über- mäßigen Anſtrengungen ſeinen Tod beſchleunigt haben. Riehl erzählt in einer ſeiner anmuthigen culturgeſchichtlichen Novelle von einem Fürſten der ſich zum Symbol eine brennende Kerze erwählte, mit der Umſchrift: „Aliis inserviendo consumor“ (andern dienend, verzehr’ ich mich) — ein Motto, wie es nicht geeigneter gedacht werden kann um die Lebensthätigkeit von Herz in ihrem Grundzuge zu charakteriſiren. Eine andere bedeutſame Seite ſeines Weſens war die großartige Treue gegen ſich ſelbſt und ſeine Ueberzeugungen. Es lag in ſeiner Art Menſchen und Dinge bedächtig zu prüfen, ſeine Entſchlüſſe in ſeinem Gemüthe ſtill vorzu- bereiten, allein dem einmal für recht Erkannten gehörte dann auch ſeine ganze Perſon. Dieſe Ueberzeugungstreue, die aber nie in ſtarre Conſequenzmacherei ausartete, bewährte er namentlich im Verhältniß zu ſeiner angeſtammten Religion. Obwohl, ſeiner äußern Lage entſprechend, er ſich bald von den öffentlichen Uebungen derſelben zurückgezogen hatte, konnte ihn doch keine Ausſicht auf äußere Stellung, ja ſelbſt nicht die auf das Glück der Ehe, welches er, der mit der ganzen Innigkeit ſeines Stammes an ſeiner Familie hieng, ſchwer entbehrte, dahin bringen ſein Be- kenntniß zu wechſeln. Ein Uebertritt zum Chriſtenthum nicht aus innerer Ueber- zeugung, wie es bisher ſo oft vorgekommen iſt, wäre bei ihm ganz undenkbar geweſen. Herz bietet das Bild eines ſtreng ſittlichen, unermüdlich thätigen, im wiſſen- ſchaftlichen und praktiſchen Leben gleich bewährten Mannes, eines trefflichen Bür- gers und ſtets opferwilligen Patrioten in ſo vollendeter Weiſe, daß es nur natürlich iſt daß man das Andenken an ihn durch eine Stiftung am Orte ſeiner Wirkſamkeit ehren will. Für die Herz-Stiftung ſind Comités in Deutſchland und Amerika zu- ſammengetreten, und reiche Geldmittel ſind derſelben theils zugefloſſen, theils in Ausſicht geſtellt. Mit dieſen Mitteln ſoll ein Denkmal des Verſtorbenen in der Nähe des Anatomiegebäudes in Erlangen aufgeſtellt und ferner ſollen Stipendien für Medicin-Studierende ohne Unterſchied des Glaubensbekenntniſſes gegründet werden. Den Zwecken dieſer Stiftung ſoll auch der Reinertrag der Schrift dien en welche den Anlaß zu den vorſtehenden Ausführungen bot. Sie iſt ſchön ausge- ſtattet und mit einem guten photographiſchen Porträt von Herz geziert. Wir wünſchen ihr die weiteſte Verbreitung. Zu Friedrich Diez’ fünfzigjährigem Jubiläum. ☿ Die Blätter erzählen uns von hohen Orden und andern Ehren welche dem hochbetagten und hochverdienten Altmeiſter der romaniſchen Sprachwiſſen- ſchaft zu ſeinem Jubeltage, dem 29 December, geworden ſind. Es iſt ſchön und erfreulich wenn ſolche Zeichen des Dankes und der Verehrung in den Lebensabend eines greifen Forſchers hineinleuchten. Vergeſſen wir aber darüber nicht die ſchönſte Auszeichnung, welche der Jubilar ſich ſelbſt bereitet hat durch die vor kurzem er- ſchienene dritte Auflage ſeiner „Grammatik der Nomaniſchen Sprachen.“ (Bonn, E. Weber. I. Theil 1870, II. Th. 1871. Die zweite Auflage fällt in die Jahre 1856 bis 1860.) In innerſtem Zuſammenhange mit des Verfaſſers Grammatik ſteht ſein claſſiſches „Etymologiſches Wörterbuch der Romaniſchen Sprachen,“ und in der That hat auch dieſes vor zwei Jahren ſeine dritte Auflage gefeiert. In ſolchen Erfolgen liegt noch etwas anderes als ein rein ſprachliches, als ein abſtract wiſſenſchaftliches Verdienſt. Wenn Griechen und Römer alle Nicht- griechen und Nichtrömer einfach als barbari von ſich ſelbſt unterſchieden und ab- ſtießen, d. h. als Andersredende, als „Wälſche,“ ſo hatten ſie den Nagel auf den Kopf getroffen; denn ſelten tritt ein tiefinnerer Unterſchied zwiſchen zwei Objecten auch äußerlich ſo klar und gewaltig zu Tage wie der Unterſchied zweier Nationen in dem Klang und Bau ihrer Sprachen. Mit der Thatſache und Erkenntniß dieſes Zwieſpalts zufrieden blieben die Alten ſtehen; die Römer wandelten, in ihre Toga und ihren Stolz gehüllt, durch das Völkergewirr und Sprachengeſchwirr ihres Weltreiches tauben Ohrs und gleichgültigen Sinnes, und der Sprachforſcher des heutigen Tages, der umſonſt in den Schriften der Claſſiker um nähere Kunde fragt über Zungen und Mundarten jener Zeiten, möchte manchmal, zornig auffahrend, dieſe angeblichen Claſſiker des barbariſchen Stumpfſinns zeihen. Es wäre ein un- gerechter Vorwurf: wären Griechen und Römer nicht ſo ganz und gar ſie ſelbſt und nur ſie ſelbſt geweſen, ſchwerlich könnten wir ſie heute ſo kurzweg die claſſi- ſchen Völker nennen. Und noch in unſerm Jahrhundert hat einer der berühmteften. Grammatiker ſein Lebetage nicht begriffen wie man ſich für ein Idiom erwärmen könne welches keinen geiſtigen Inhalt, keine bedeutende Literatur erzeugt und auf- zuweiſen habe. Als ob nicht jedes, auch das armſeligſte Idiom ſchon einfach als ſolches, als Sprache, Organ und Ausdruck eines geiſtigen Inhalts wäre! Dem in ſich zufriedenen Selbſtcultus des Alterthums folgt ein langes Mittel- alter mit der vorherrſchend ſchulgerechten und praktiſchen Vetreibung der lateini- ſchen, ſpäter der griechiſchen Sprache. Von einer eigentlichen Philologie kann man ſeit dem 16. Jahrhundert reden, von einer Sprachforſchung im höhern und weitern Sinne kaum ſeit hundert Jahren. Die Sprache an ſich wurde jetzt der Gegenſtand der Betrachtung, die Sprachform ohne weitere Rückſicht auf den Inhalt, und in Folge dieſer Auffaſſung trat der fernſte und unvollkommenſte Dialekt in die gleiche Rangſtufe mit dem nächſten und höchſt entwickelten. So hat für den Mineralogen oder Chemiker der Kieſel den ſein Fuß tritt den gleichen Werth mit dem Diamant der in dem Kronreif eines Königes funkelt. Aber auf dieſer kalten Höhe gleichgültiger Unbefangenheit konnte man nicht ſtehen bleiben. In neueſter Zeit hat man erkannt, und in mannichfacher Behand- lung ausgeführt, daß für Weſen, Entwicklung und Geſchichte der Völker ihre Sprachen eines der innerſten und meiſtbeſtimmenden Elemente bilden. Die Sprache, ſagen wir, nicht die Literatur. Wenn ein flüchtiger Blick auf die beiderſeitigen Grundzüge z. B. des Indogermaniſchen und des Semitiſchen zwei ſeeliſche und geiſtige Conſtitutionen von außerordentlicher Verſchiedenheit zeigt, ſo wiederholen ſich ſolche Gegenſätze auch innerhalb der Schranken einer beſtimmten Sprachenſippe. So insbeſondere zwiſchen den beiden Gruppen der germaniſchen und der romani- ſchen Sprachen. Als J. Grimm an ſeine Deutſche Grammatik gieng, da hatte er den hohen Vortheil und Genuß ein Gebiet zu beſchreiten auf welchem faſt ein lauteres ur- wüchſiges Leben waltete. Ganz anders Friedrich Diez als er die Feder anſetzte zur Grammatik der Romaniſchen Sprachen. Da waren lauter junge Gebilde, ſecundäre Formationen, und eben darin lag der höchſte Neiz. Hier hatte man es mit Sprachen zu thun welche gleichſam unter unſern Augen entſtanden waren, mit lautlichen Bildungen und pſychologiſchen Vorgängen welche faſt durchaus innerhalb beſtimmter hiſtori- ſcher Punkte lagen. Ein ſolches Schauſpiel zu beobachten mußte Genuß, es den Zeitgenoſſen zur Anſchauung zu bringen Verdienſt ſein. Unſere Weiſen härmen ſich ab und ſtreiten ſich müde über das ungeheure Räthſel von der Entſtehung der Sprache. Die Sprache nicht, aber Sprachen — hier ſehen wir ſie entſtehen, werden, wachſen, blühen und verblühen. Wären dieſe romaniſchen Idiome nur das als was man ſie gewöhnlich denkt, nur „Töchterſprachen“ des Lateiniſchen, alluviales Geröll und Geſchwemm von den ſieben Hügeln herab — dann wäre die Sache um vieles einfacher. Aber dem iſt nicht ſo. Zunächſt ſchon aus dem natürlichen Grunde weil ja in den Gebieten über welche das Romaniſche allmählich hinfluthete zum Theil ältere Sprachen ureinheimiſch wurzelten, z. B. iberiſche und keltiſche. Andere Ver- hältniſſe, Kämpfe und Proceſſe entwickelten ſich wenn umgekehrt fremde Idiome in römiſches oder romaniſches Gebiet von außen her einbrachen, wie die verſchie- denen deutſchen Mundarten und ſogar, von den Arabern getragen, eine ſemitiſche. Aus all dieſen Verhältniſſen entwickelt ſich ein lang’ andauerndes Wechſelſpiel der mannichfachſten Elemente und Kräfte, ein Völker- und Seelendrama von außer- ordentlicher Entfaltung. Darum iſt auch gleich die Einleitung, in welcher Diez die Beſtandtheile und Gebiete der romaniſchen Sprachen darlegt, ſo außerordentlich an- ziehend und belehrend; denn in ihr wird mit klaren feſten Zügen der Grund und Boden geſchildert auf welchem jenes Drama ſpielen ſoll, werden die Elemente ent- wickelt welche in dem Drama walten werden. „Die germaniſche Race ſteigt, die romaniſche neigt ſich zum Niedergang,“ hörten wir im Sommer 1870 rufen. Wir glauben das nicht, und wir würden es, im germaniſchen Intereſſe, beklagen, wenn wir es glauben müßten. Allerdings kann eine Race ſinken und verſinken, kann von einer andern Race in den Boden geſtampft werden. Unſeres Erachtens aber haben Germanen und Romanen ſich längſt aus dem rohen anthropologiſchen Element und Begriff der Race befreit und ſich erhoben in das edlere Gebiet von Völker- und Staatengruppen. Wer andert- halb Jahrtauſende lang Weltgeſchichte gemacht hat in dem Style der Germanen und Nomanen, der iſt keine Race mehr. Nacen machen keine Geſchichte. Das Gegentheil mögen tſchechiſche Staatsweiſe und möſiſche Bojaren verfechten. Und eben das Studium von Werken wie die Diez’ſche Grammatik und ihre herrliche Ergänzung, das Dieziſche Wörterbuch, möchte auch andere als Sprach- forſcher zu einer ruhigeren und tieferen Vetrachtung, zu höherer und milderer Auf- faſſung der heute beſtehenden geſchichtlichen Völkerkräfte führen, wäre es auch nur in Folge der Erkenntniß ein wie gewaltiges Theil germaniſchen Weſens in dem romaniſchen Blute fließt. Möge dem greiſen Meiſter noch eine gute Summe Kraft und eine wohlgemeſſene Spanne irdiſcher Zeit vergönnt ſein, auf daß er das lang’ gehegte Werk ſeines Lebens zu Ende führe, zum Segen der Wiſſenſchaft, zu ſeiner und ſeines Volkes Ehre! Ohne Gewiſſen. Roman von Karl Heigel. *) &#xfffc; In dieſem vor kurzem erſchienenen Roman entrollt der bekannte Verfaſſer ein ebenſo düſteres als wahres Bild gewiſſenloſen Strebens nach materiellen Erfolgen. Mit Meiſterſchaft iſt der Charakter eines Mannes entwickelt welchem es ge- lingt, unter Verdeckung einer ehrloſen Vergangenheit, die Hand der Tochter eines reichen Vaters und mit ihrem Vermögen die Grundlage einer Thätigkeit zu ge- winnen welche ausſchließlich dem kalten Mammon gewidmet iſt. Es wohnt eine „entgötterte“ Seele in der Bruſt dieſes Mannes, nicht die Spur einer idealen An- ſchauung iſt in ihr zurückgeblieben, kein Funken von dem Feuer welches den Men- ſchen warm macht; der überlegene Verſtand und die Negation des Beſſeren im Menſchen ſind Herrſcher in ihr. *) Berlin. Gebrüder Pantel.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-02-11T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1872, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine09_1872/11>, abgerufen am 21.11.2024.