Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 10. Januar 1924.Allgemeine Zeitung. Nr. 9 Donnerstag, den 10. Januar 1924. [Spaltenumbruch]
fassungswidrig ist. Die Verfassung Daß endlich die Finanzwirtschaft Zu den vielen unwahren Behauptungen, Die Verbrechen der Besatzungstruppen. Berlin, 9. Januar.In einer Nach- Die Denkschrift bezieht sich nur auf das Der französische Finanzminister über den Paris, 9. Januar.Frankensturz. Bei einem Presseemp- Wie man weiter hört, wird Finanzmini- Von der Verwirklichung dieser Maßnah- Die strategische Bedeutung der * Prag, 9. Januar.Tschechoslowakei In der "Slov. Poli- Die schleunige Errichtung einer Eisen- Die thüringische Frage. Berlin, 9. Januar.Das Reichskabinett Reichstagskandidat Ludendorff. Berlin, 9. Jan.Die Frage einer Reichstags- Die Tiroler wehren sich. Der führend am Kapp-Putsch beteiligte Haupt- 1. Wir dulden nicht, daß ein preußisch-prote- Bayerischer Landtag. Scharfer Protest der Demokraten. In der Fortsetzung der allgemeinen Aussprache Abg. Graf Pestalozza (B. Vp.) zu Wort. Abg. Dr. Hilpert (B. Mp.) erörterte tech- Vorsitzender Abg. Dr. Wohlmuth (B. Vp.) Abg. Endres (V. S. P.) wandte sich gegen Abg. Städele (B. Bbd.) bedauerte, daß die Abg. Dr. Müller (D. D. P.) hob hervor, daß Die diätenlose Zeit im Reichstag entbehrte Ein Hauptmangel des Wahlgesetzes ist, daß das [Spaltenumbruch] Sanskü offen. Geschichte der Staatsumwälzungen ent- Im alten Athen waren es, auch schon vor Pe- Ein anderes Phänomen, dem aber doch der- Die starke persönliche Herrschsucht und ihre Bei dem Worte sansculottes denken bei uns Das schöne Geschlecht hat es bekanntlich zu Hier soll nur von zweien die Rede sein. Die Diese beiden Damen taten sich vor anderen Und so war es denn bei einer der nächsten Sit- Das ist der Ursprung des später so mißver- Neuordnung. Eine Gemäldesammlung, die seit ihrem Bestehen In Dresden wurde in den unteren Sälen Allgemeine Zeitung. Nr. 9 Donnerstag, den 10. Januar 1924. [Spaltenumbruch]
faſſungswidrig iſt. Die Verfaſſung Daß endlich die Finanzwirtſchaft Zu den vielen unwahren Behauptungen, Die Verbrechen der Beſatzungstruppen. Berlin, 9. Januar.In einer Nach- Die Denkſchrift bezieht ſich nur auf das Der franzöſiſche Finanzminiſter über den Paris, 9. Januar.Frankenſturz. Bei einem Preſſeemp- Wie man weiter hört, wird Finanzmini- Von der Verwirklichung dieſer Maßnah- Die ſtrategiſche Bedeutung der * Prag, 9. Januar.Tſchechoſlowakei In der „Slov. Poli- Die ſchleunige Errichtung einer Eiſen- Die thüringiſche Frage. Berlin, 9. Januar.Das Reichskabinett Reichstagskandidat Ludendorff. Berlin, 9. Jan.Die Frage einer Reichstags- Die Tiroler wehren ſich. Der führend am Kapp-Putſch beteiligte Haupt- 1. Wir dulden nicht, daß ein preußiſch-prote- Bayeriſcher Landtag. Scharfer Proteſt der Demokraten. In der Fortſetzung der allgemeinen Ausſprache Abg. Graf Peſtalozza (B. Vp.) zu Wort. Abg. Dr. Hilpert (B. Mp.) erörterte tech- Vorſitzender Abg. Dr. Wohlmuth (B. Vp.) Abg. Endres (V. S. P.) wandte ſich gegen Abg. Städele (B. Bbd.) bedauerte, daß die Abg. Dr. Müller (D. D. P.) hob hervor, daß Die diätenloſe Zeit im Reichstag entbehrte Ein Hauptmangel des Wahlgeſetzes iſt, daß das [Spaltenumbruch] Sanskü offen. Geſchichte der Staatsumwälzungen ent- Im alten Athen waren es, auch ſchon vor Pe- Ein anderes Phänomen, dem aber doch der- Die ſtarke perſönliche Herrſchſucht und ihre Bei dem Worte sansculottes denken bei uns Das ſchöne Geſchlecht hat es bekanntlich zu Hier ſoll nur von zweien die Rede ſein. Die Dieſe beiden Damen taten ſich vor anderen Und ſo war es denn bei einer der nächſten Sit- Das iſt der Urſprung des ſpäter ſo mißver- Neuordnung. Eine Gemäldeſammlung, die ſeit ihrem Beſtehen In Dresden wurde in den unteren Sälen <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div xml:id="a01b" prev="#a01a" type="jComment" n="2"> <pb facs="#f0002" n="2"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Allgemeine Zeitung</hi>. Nr. 9 Donnerstag, den 10. Januar 1924.</hi> </fw><lb/> <cb/> <p><hi rendition="#g">faſſungswidrig</hi> iſt. Die Verfaſſung<lb/> Thüringens ſieht vor, daß die ehemaligen<lb/> ſelbſtändigen Gebiete in der Regierung ver-<lb/> treten ſind. Sie ſind es heute nicht, und<lb/> jede Ergänzungsmöglichkeit des Kabinetts<lb/> auf verfaſſungsmäßigem Wege iſt durch die<lb/> Sozialdemokraten verhindert.</p><lb/> <p>Daß endlich die <hi rendition="#g">Finanzwirtſchaft</hi><lb/> der gegenwärtigen Regierung nicht mehr<lb/> ertragen werden kann, muß auch noch her-<lb/> vorgehoben werden; man muß endlich zu<lb/> Verhältniſſen kommen, über die der Finanz-<lb/> miniſter nicht, wie er zugegeben hat, die<lb/> Ueberſicht völlig verloren hat. Gewiß kann<lb/> man ſagen, daß die Ruhe in Thüringen<lb/> zurzeit nicht geſtört iſt. Es liegt das ledig-<lb/> lich an der Anweſenheit der Reichswehr.<lb/> Die ſubverſiven Elemente, deren ſchamloſe<lb/> Tätigkeit durch das Eingreifen der Reichs-<lb/> wehr klargeſtellt iſt (<hi rendition="#g">Thüringen ſtand<lb/> vor dem Bürgerkrieg. Wer das<lb/> Gegenteil behauptet, hat keine<lb/> Ahnung von den Verhältniſſen<lb/> oder lügt</hi>), ſind weiter an der Arbeit,<lb/> und es iſt nicht zu leugnen, daß einzelne<lb/> der amtierenden Miniſter mit ihrem An-<lb/> hang mit dieſen Elementen in ſo enger<lb/> Verbindung ſtehen, daß ſie ſie, wenn auch<lb/> unbewußt, fördern.</p><lb/> <p>Zu den vielen unwahren Behauptungen,<lb/> die in den Verlautbarungen der Thüringi-<lb/> ſchen Regierung erhoben worden ſind, ge-<lb/> hört namentl die, daß die Politik der<lb/> nichtſozialiſtiſchen Parteien ſich <hi rendition="#g">gegen<lb/> die Arbeiterſchaft</hi> richte. <hi rendition="#g">Das iſt<lb/> unwahr</hi>. Die Frage der<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">Arbeiterfreundlichkeit</hi></hi><lb/> oder Arbeiterfeindlichkeit ſpielt in dem<lb/> ganzen Wahlkampf überhaupt keine Rolle,<lb/> und es mag ausdrücklich betont werden, daß<lb/> keine der nichtſozialiſtiſchen Parteien<lb/> irgendwie daran denkt, eine gegen die<lb/> Arbeiter gerichtete Politik zu betreiben.<lb/> Und ſollte von irgend einer Seite nach den<lb/> Wahlen ein derartiger Verſuch gemacht<lb/> werden, ſo kann man überzeugt ſein, daß<lb/> an ihm die Einheit der nichtſozialiſtiſchen<lb/> Parteien ſofort ſcheitern würde. <hi rendition="#g">Nichts<lb/> berechtigt zu der Annahme, daß<lb/> derartige Verſuche gemacht wer-<lb/> den</hi>. Die Thüringiſchen Verhältniſſe ſind<lb/> ſo klar, daß die politiſchen Probleme auch<lb/> durch Parteidemagogen nicht verdunkelt<lb/> werden können. Es handelt ſich nicht um<lb/> wirtſchaftliche Fragen, es handelt ſich ledig-<lb/> lich um die politiſche Frage, ob Thüringen<lb/> weiterhin eine einſeitige Parteidiktatur er-<lb/> tragen ſoll oder ob es wieder das wird, was<lb/> es früher war, ein <hi rendition="#g">freier</hi> Staat, als<lb/> welcher es überhaupt allein exiſtieren kann.<lb/> Denn darüber mag man ſich nicht täuſchen:<lb/> ſollte die Wahlſchlacht für die nichtſozialiſti-<lb/> ſchen Parteien verloren gehen — was<lb/> übrigens nicht im entfernteſten anzunehmen<lb/> iſt — ſo iſt die Frage der Exiſtenz Thürin-<lb/> gens aufgerollt, da die <hi rendition="#g">nicht ſozialiſti-<lb/> ſche Bevölkerung unter keinen<lb/> Umſtänden geſonnen iſt, die ein-<lb/> ſeitige Parteityrannis der So-<lb/> zialdemokraten länger zu er-<lb/> tragen</hi></p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Verbrechen der Beſatzungstruppen.</hi> </head><lb/> <dateline> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Berlin</hi>, 9. Januar.</hi> </dateline><lb/> <p> <hi rendition="#b">In einer Nach-<lb/> tragsdenkſchrift der Reichsregierung an<lb/> den Reichstag wurden neuerdings zahl-<lb/> reiche, im Jahre 1923 begangene <hi rendition="#g">Ver-<lb/> brechen der Beſatzungstruppen</hi><lb/> amtlich feſtgelegt. Darunter 1. 13 Morde,<lb/> davon 8 durch farbige Franzoſen; 2. 38 Not-<lb/> zuchtsverbrechen, davon 28 durch farbige<lb/> Franzoſen; 3. 23 Verbrechen farbiger Fran-<lb/> zoſen an deutſchen Knaben; 4. 11 Verbre-<lb/> chen des Straßenraubes, davon 7 von far-<lb/> bigen Franzoſen ausgeführt; 11 Fälle<lb/> furchtbarer Mißhandlungen, ſchuldig in<lb/> zwei Fällen farbige Franzoſen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#b">Die Denkſchrift bezieht ſich nur auf das<lb/> altbeſetzte Gebiet. Für das Ruhrgebiet<lb/> wird eine beſondere Denkſchrift veröffent-<lb/> licht werden</hi> </p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der franzöſiſche Finanzminiſter über den<lb/> Frankenſturz.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 9. Januar.</dateline><lb/> <p>Bei einem Preſſeemp-<lb/> fang führte der Finanzminiſter aus, daß<lb/> weder in der äußeren, noch in der inneren<lb/> Politik ein Grund für die Baiſſe des Fran-<lb/> ken zu entdecken ſei. Ausländiſche Speku-<lb/> lanten könnten ihren Frankenbeſitz ſehr<lb/> leicht als eine Waffe zur Bekämpfung der<lb/> franzöſiſchen Politik einſetzen. Die Deut-<lb/> ſchen ſeien Meiſter in dieſer Kunſt. (!) Sie<lb/> verſuchten, durch Finanzoperationen auf die<lb/> Außenpolitik Frankreichs einzuwirken, um<lb/> dadurch Poincaré zu einem Verzicht auf die<lb/> Ruhraktion zu zwingen. Die Maßnahmen,<lb/> die der Miniſter beſchloſſen hat, beſtehen in<lb/> der Verhinderung großer Verkäufe ins Aus-<lb/> land und der genauen Kontrolle der Börſen-<lb/> berichte, der Säuberung der Börſe von<lb/> zweifelhaften Elementen und einer genauen<lb/> Ueberwachung der telephoniſchen Verbin-<lb/> dungen mit dem Ausland. Im Innern emp-<lb/> fiehlt der Finanzminiſter Sparſamkeit. Er<lb/> werde der Kammer in dieſer Richtung noch<lb/> Vorſchläge machen.</p><lb/> <p>Wie man weiter hört, wird Finanzmini-<lb/> ſter de Laſteyrie dem Parlament einen Ent-<lb/> wurf zur <hi rendition="#g">Verminderung der öf-<lb/> fentlichen Ausgaben</hi> und zur Ab-<lb/> ſchaffung des Streichholzmonopols zugehen<lb/> laſſen.</p><lb/> <p>Von der Verwirklichung dieſer Maßnah-<lb/> men und deren Einwirkung auf den Stand<lb/> der franzöſiſchen Währung verſpricht ſich<lb/> der Finanzminiſter jedoch keinen ſofortigen<lb/> Erfolg.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die ſtrategiſche Bedeutung der<lb/> Tſchechoſlowakei</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">* Prag,</hi> 9. Januar.</dateline><lb/> <p>In der „Slov. Poli-<lb/> tika“ beſpricht Generalſtabschef General<lb/> Mittelhauſer die <hi rendition="#g">ſtrategiſche Bedeu-<lb/> tung der Slowakei</hi>. Für den takti-<lb/> ſche Körper der <hi rendition="#g">Kleinen Entente</hi> habe<lb/> die Slowakei als Weg nach Rumänien und<lb/> zur Donau, der Hauptverkehrsader der<lb/> Kleinen Entente große Wichtigkeit. Außer-<lb/> dem entſpreche die Lage des Landes den<lb/> Forderungen des Luftverkehrs mit Rumä-<lb/> nien und Jugoſlavien</p><lb/> <p>Die ſchleunige Errichtung einer Eiſen-<lb/> bahnverkehrslinie aus Mähren über die<lb/> Slowakei an die rumäniſche Grenze, die<lb/> Erweiterung von Flußhäfen von Preßburg<lb/> und Komorn, der Bau eines Flugplatzes der<lb/> Kleinen Entente nördlich von Preßburg;<lb/> dies ſeien die drei wichtigſten Programm-<lb/> punkte der nächſten Zukunft. Die trans-<lb/> kontinentale Luftverkehrsader werde von<lb/> Prag nach Wien führen und Preßburg bei-<lb/> ſeite laſſen. Aber für den Luftverkehr der<lb/> Kleinen Entente ſei <hi rendition="#g">Preßburg</hi> ein un-<lb/> erläßlicher Knotenpunkt. Der zu errich-<lb/> tende Lufthafen von Preßburg müſſe dem<lb/> Luftverkehr nach Prag, an die Adria, nach<lb/> Belgrad und Bukareſt gerecht werden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die thüringiſche Frage.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 9. Januar.</dateline><lb/> <p>Das Reichskabinett<lb/> hat in der <hi rendition="#g">thüringiſchen Frage</hi> eine<lb/> Reihe von Beſchlüſſen gefaßt, die den Ver-<lb/> tretern der thüringiſchen Staatsregierung<lb/> mitgeteilt worden ſind. Es beſteht die Hoff-<lb/> nung, daß die thüringiſche Frage <hi rendition="#g">rei-<lb/> bungslos erledigt</hi> wird.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Reichstagskandidat Ludendorff.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 9. Jan.</dateline><lb/> <p>Die Frage einer Reichstags-<lb/> kandidatur des Generals <hi rendition="#g">Ludendorff</hi> iſt noch<lb/> nicht völlig geklärt. Es haben in dieeſr Frage<lb/> wiederholt Beſprechungen zwiſchen leitenden völ-<lb/> kiſchen Perſönlichkeiten nicht nur Bayerns, ſon-<lb/> dern auch Norddeutſchlands mit Ludendorff ſtatt-<lb/> gefunden, in deren Verlauf ſich jedoch der General<lb/> noch nicht zur Uebernahme der Reichstagskandida-<lb/> tur entſchließen konnte. Aus verſchiedenen An-<lb/> zeichen läßt ſich ſchließen, daß eine Reichstags-<lb/> kandidatur Ludendorffs in völkiſchen Kreiſen eine<lb/> nicht ganz einheitliche Aufnahme finden würde.<lb/> Vor allen Dingen werden in Norddeutſchland ge-<lb/> genüber der Abſicht des Völkiſchen Blocks in<lb/> Bayern die Bedenken geltend gemacht, daß Luden-<lb/> dorff für die völkiſche Bewegung weniger als<lb/> Politiker denn als einſtiger Führer des Heeres in<lb/> Frage kommen müſſe, und daß er deshalb „in<lb/> militäriſcher Reſerve“ bleiben ſolle.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Tiroler wehren ſich.</hi> </head><lb/> <p>Der führend am Kapp-Putſch beteiligte Haupt-<lb/> mann <hi rendition="#g">Pabſt</hi> iſt ſeinerzeit vor dem gegen ihn<lb/> erlaſſenen Steckbrief nach Tirol geflüchtet und iſt<lb/> ſeitdem in dem dortigen „Bund der Heimat-<lb/> wehren“ tätig, einer ſchwarzgelben Organiſation<lb/> unter Führung der Chriſtlichſozialen. Im vorigen<lb/> Jahr hat Pabſt als deutſch-öſterreichiſcher Bürger<lb/> Tirols in Mieming (im Inntal) das Heimatrecht<lb/> auf den Namen Peters-Pabſt erworben. Dieſer<lb/> Tage fand nun in Wörgel eine Verſammlung der<lb/> Gruppenführer der Tiroler Heimatwehren ſtatt,<lb/> die unter Vorſitz eines Feldpaters einſtimmig<lb/> folgende Entſchließung annahm:</p><lb/> <floatingText> <body> <div n="1"> <p>1. Wir dulden nicht, daß ein preußiſch-prote-<lb/> ſtantiſcher Offizier ein Kommando über das<lb/> katholiſche Tiroler Volk zu führen ſich anmaßt;<lb/> 2. wir dulden nicht, daß ein preußiſcher Offizier,<lb/> der beim preußiſch alldeutſchen Kapp-Putſch Ge-<lb/> neralſtabschef des Putſchleiters war, ſich in füh-<lb/> render Stellung bei einer gänzlich unpolitiſchen<lb/> öſterreichiſch-tiroliſchen Selbſtſchutzorganiſation be-<lb/> findet; 3. wir dulden nicht, daß dieſer preußiſche<lb/> Revanchepolitiker in Tirol angeblich nur ſeinem<lb/> Broterwerb nachgeht, in der Tat aber alldeutſch-<lb/> preußiſch-proteſtantiſche Politik treibt und, wie<lb/> die Tatſachen beweiſen ſeinen einflußreichen<lb/> Poſten in der Tiroler Heimatwehr ausnutzt, ge-<lb/> gebenenfalls das Tiroler Volk und Land und<lb/> Oeſterreich ins Unglück zu bringen zugunſten<lb/> ſeines preußiſchen Vaterlandes; 4. wir dulden<lb/> nicht, daß Hauptmann Peters-Pabſt als politiſcher<lb/> Flüchtling noch weiter bei der Tiroler Heimat<lb/> feſtgebalten werde und fordern ſeine ſofortige<lb/> Entlaſſung von der Landesleitung</p> </div> </body> </floatingText> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Bayeriſcher Landtag.</hi> </head><lb/> <div xml:id="a02a" next="#a02b" type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Scharfer Proteſt der Demokraten.</hi> </head><lb/> <p>In der Fortſetzung der allgemeinen Ausſprache<lb/> zur Landeswahlgeſetznovelle am Mittwoch vormit-<lb/> tag im Verfaſſungsausſchuß kam als erſter<lb/> Redner</p><lb/> <p>Abg. Graf <hi rendition="#g">Peſtalozza</hi> (B. Vp.) zu Wort.<lb/> Mit der ſchematiſchen Abminderung der Mandats-<lb/> zahl allein iſt es nicht getan; andere Mittel müſ-<lb/> ſen dazu kommen. Doch darf z. B. im Falle der<lb/> Diätenneuregelung nicht die Hand dazu geboten<lb/> werden, geringer bemittelte Kreiſe vom Mandat<lb/> auszuſchließen. Die Heraufſetzung des Wahl-<lb/> alters, der beſſere Ausgleich zwiſchen Stadt und<lb/> Land müſſen einer gründlichen Reform vorbe-<lb/> halten bleiben. Das iſt erſt möglich nach Beſeiti-<lb/> gung des verſtimmenden Paragraphen 92 der Ver-<lb/> faſſung in einem neuen Landtag.</p><lb/> <p>Abg. Dr. <hi rendition="#g">Hilpert</hi> (B. Mp.) erörterte tech-<lb/> niſche Einzelfragen des Landeswahlgeſetzes. Die<lb/> in der Begründung angedeuteten Reformen, wie<lb/> die Heraufſetzung des Wahlalters, ſind auch uns<lb/> durchaus ſympathiſch. Mit der Verringerung der<lb/> Mandatszahl wird auch die Liſtenverbindung not-<lb/> wendig. Die Verringerung der Zahl der Stimm-<lb/> kreisabgeordneten ſtärkt den Einfluß des Proporz-<lb/> ſyſtems; man müßte eigentlich auch die Zahl der<lb/> Landtagsabgeordneten von 15 auf 10 verringern.</p><lb/> <p>Vorſitzender Abg. Dr. <hi rendition="#g">Wohlmuth</hi> (B. Vp.)<lb/> möchte die Diätenfrage als eine Angelegenheit<lb/> nicht der Abgeordneten, ſondern der Wähler be-<lb/> trachtet wiſſen. Den Beamtenabgeordneten an den<lb/> Diäten zu kürzen, wäre verfehlt. Soll gekürzt<lb/> werden, dann iſt das im Beamtengeſetz zu machen.</p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#g">Endres</hi> (V. S. P.) wandte ſich gegen<lb/> die Auffaſſung, als ob bisher das flache Land<lb/> zu kurz gekommen ſei. Der Landtag hat im Vor-<lb/> jahr im Gegenſatz zu anderen Parlamenten mit<lb/> den Diäten abgebaut. Die Beſeitigung der Diäten<lb/> würde zu einer Zuſammenſetzung des Parlamen-<lb/> tes aus ganz beſtimmten Kreiſen führen und na-<lb/> mentlich die Arbeiterklaſſe in ihrer Vertretung<lb/> ſchwer ſchädigen. Eine Herabſetzung der Mandats-<lb/> zahl iſt notwendig; über die Ziffer läßt ſich reden.<lb/> Die Wertung eines Parlamentes hängt ſchließlich<lb/> doch nicht von der Zahl, ſondern von der geleiſte-<lb/> ten Arbeit ab. Zu hoffen iſt, daß ein Abkommen<lb/> über die Einzelfragen des Entwurfes zuſtande<lb/> kommt, das allen Parteien die Zuſtimmung er-<lb/> möglicht und eine raſche Auflöſung des Landtags<lb/> herbeiführt.</p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#g">Städele</hi> (B. Bbd.) bedauerte, daß die<lb/> Reichsverfaſſung eine Reihe von Aenderungen,<lb/> die zum Teil der früheren Regelung entſprechen<lb/> würden, unmöglich macht. Der Bauernbund wäre<lb/> z. B. für Heraufſetzung des Wahlalters zu haben;<lb/> auch das Frauenſtimmrecht könnte ruhig wieder<lb/> verſchwinden. Ob der neue Landtag beſſer ſein<lb/> wird als der alte, muß ſich erſt zeigen.</p><lb/> <p>Abg. Dr. <hi rendition="#g">Müller</hi> (D. D. P.) hob hervor, daß<lb/> die Andeutungen über die Aenderungen der Zu-<lb/> kunft doch recht vorſichtig machen müſſen. In un-<lb/> ſerem jetzigen Wahlſyſtem liegt allerdings ein ge-<lb/> wiſſes Lotterieſpiel. Ein unzweifelhafter Nach-<lb/> teil des Proporzes iſt, daß die Verbindung zwi-<lb/> ſchen Wähler und Abgeordneten zerriſſen wird,<lb/> wenn man ſich auch bemüht, die Verbindung durch<lb/> die Stimmkreiſe wieder herzuſtellen. Die Beſeiti-<lb/> gung dieſes unſicheren Faktors würde das ganze<lb/> Syſtem beliebter machen.</p><lb/> <p>Die diätenloſe Zeit im Reichstag entbehrte<lb/> nicht eines ſtarken Idealismus, ſo ſchwer die<lb/> Opfer zu tragen waren. Im übrigen iſt die Diä-<lb/> tenfrage von der Hetze gegen den Parlamentaris-<lb/> mus beeinflußt. Es ſollte einmal öffentlich durch<lb/> das Landtagsamt feſtgeſtellt werden, wie kläglich<lb/> die Diäten ſind; das würde wenigſtens auf die<lb/> Anſtändigeren Eindruck machen. Die freien Berufe<lb/> und erwerbstätigen Kreiſe dürfen vom Mandat<lb/> nicht ausgeſchloſſen werden.</p><lb/> <p>Ein Hauptmangel des Wahlgeſetzes iſt, daß das<lb/> ganze Wablrecht auf die Einwohner, ſtatt auf die<lb/> Wahlberechtigten abgeſtellt iſt. Wir ſind mit acht<lb/> Wahlkreiſen einverſtanden; die Herausnahme von<lb/> München und Nürnberg — alſo zehn Wahlkreiſe<lb/> — wäre zu erwägen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> </div> </div> </div> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Sanskü offen.</hi> </head><lb/> <byline>Von<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Bruno Rüttenauer</hi>.</hi></byline><lb/> <p>Geſchichte der Staatsumwälzungen ent-<lb/> hält eine Tatſache, die oft überſehen wird. Die<lb/> nämlich: daß endgültig geglückte Revolutionen<lb/> ſelten oder von der breiteren Maſſe des nie-<lb/> deren Volkes ohne einen ſozuſagen höheren Bei-<lb/> ſtand bewirkt wurden. Meiſt war die breite Maſſe<lb/> ſogar nur das grobe Werkzeug des revolutionä-<lb/> ren Geiſtes, der von ganz anderen Regionen her-<lb/> wirkte.</p><lb/> <p>Im alten Athen waren es, auch ſchon vor Pe-<lb/> rikles, wiederholt einzelne Ariſtokraten, die, ihre<lb/> eigenen perſönlichen Intereſſen höher ſtellend als<lb/> die ihres Standes und des Staates, mit dem<lb/> Plebs gemeinſame Sache machten und die, unter<lb/> der Maske der Volksfreundſchaft, nichts weniger<lb/> als die Herrſchaft der Maſſe erſtrebten — die<lb/> überhaupt eine Unmöglichkeit iſt — als vielmehr<lb/> ihre höchſt eigene Herrſchbegierde zu befriedigen<lb/> ſuchten.</p><lb/> <p>Ein anderes Phänomen, dem aber doch der-<lb/> ſelbe Sinn zugrunde liegt, zeigt die große fran-<lb/> zöſiſche Revolution, die vielleicht ohne die Mit-<lb/> wirkung katilinariſcher Ariſtokraten überhaupt<lb/> niemals gelungen wäre. Die hervorragendſten<lb/> derſelben, ein Mirabeau und ein Herzog Egalite,<lb/> ſind bekannt genug. Die beiden hatten aber<lb/> mehr Geſinnungsgenoſſen innerhalb ihres Stan-<lb/> des, als man gemeinhin ahnt. Die Motive wa-<lb/> ren aber, wenigſtens zum Teil, andere als im<lb/> alten Athen.</p><lb/> <p>Die ſtarke perſönliche Herrſchſucht und ihre<lb/><cb/> Zwecke ſpielten wohl auch eine Rolle dabei und<lb/> nicht zum wenigſten in den beiden Genannten;<lb/> in der Mehrheit dieſer Leute war es jedoch etwas<lb/> davon Verſchiedenes. War es eigentlich das Ge-<lb/> genteil davon, nämlich, ich finde kein anderes<lb/> Wort, eine gewiſſe Selbſtaufgabe, entſprungen<lb/> einerſeits aus Ueberſättigung und Langeweile,<lb/> anderſeits aus dem durch unerhörten Lebens-<lb/> leichtſinn herbeigeführten wirtſchaftlichen Ruin<lb/> zum Teil der Allerreichſten unter ihnen. Ich er-<lb/> inere mich nur an einen Fall, an den Bankerott<lb/> des Fürſten Rohan-Gnemene, durch den der eine<lb/> Herzog von Lauzun eine Lebensrente von 80 000<lb/> Livres und ungezählte andre ihre ganze Habe<lb/> verloren, bei welcher Gelegenheit man die be-<lb/> kannte Rohanſche Deviſe traveſtiert hat in. <hi rendition="#aq">Roy<lb/> ne puys, duc ne daigue — fripon suys</hi> Der<lb/> viel zitierte <hi rendition="#aq">après nous le deluge</hi> bezeichnet gut<lb/> die Stimmung der gedachten Kreiſe.</p><lb/> <p>Bei dem Worte <hi rendition="#aq">sansculottes</hi> denken bei uns<lb/> die meiſten an zerlumpte Volkshaufen und ähn-<lb/> liches; ſein Urſprung iſt dennoch ein ganz an-<lb/> derer. Auf die er zuerſt angewendet wurde, waren<lb/> ſogar ſehr ſtolze Damen, an deren Toilette ſicher-<lb/> lich nichts gefehlt hat, wenigſtens nichts, was die<lb/> eleganteſte Mode der Zeit daran vermißt hätte.</p><lb/> <p>Das ſchöne Geſchlecht hat es bekanntlich zu<lb/> aller Zeit geliebt, nicht nur in Kleider, ſondern<lb/> auch in anderen Fragen begeiſtert hinter den<lb/> neuen Moden her zu ſein — mögen dieſelben<lb/> Theo- und Anthropoſophie heißen — und noch<lb/> nie iſt ein Prophet aufgetreten, wahrer oder<lb/> falſcher, der nicht von dem Geſchlecht in Unter-<lb/> röcken, beſonders in ſeidenen, am lebhafteſten<lb/> umſchwärmt wurde. Die Jakobiner machten da-<lb/><cb/> von keine Ausnahme, und wenn, wie oben ange-<lb/> deutet, namhafte Ariſtokraten, Katilinarier im<lb/> Grund, ihnen vielfach in der Stille anhingen, ſo<lb/> muß man von einigen ihrer Frauen ſagen, daß<lb/> ſie dieſe Anhängerſchaft ſo geräuſchvoll als mög-<lb/> lich in Szene geſetzt haben.</p><lb/> <p>Hier ſoll nur von zweien die Rede ſein. Die<lb/> eine war die Herzogin Diana von Polignac (üb-<lb/> rigens nicht zu verwechſeln mit Jolanthe von<lb/> Polignac, der Vertrauten und Freundin der<lb/> Marie Antoinette), die andere aber war gar eine,<lb/> wie man hier in München ſo ſchön ſagt, Mi-<lb/> niſtersgattin, nämlich die ebenſo durch ihren<lb/> Geiſt wie ihre Schönheit viel beſchriene Herzogin<lb/> von Coigny, von der Maria Antoinette geſagt<lb/> hat: <hi rendition="#aq">Je suis la reine de Versailles, mais Ma-<lb/> dame de Coigny est la reine de Paris.</hi></p><lb/> <p>Dieſe beiden Damen taten ſich vor anderen<lb/> ihresgleichen ganz beſonders hervor durch ihr<lb/> turbulentes Auftreten in den Sitzungen der Na-<lb/> tionalverſammlung und ſie hätten, wenn ſie ſich<lb/> dort eine Gaudi verſprachen, lieber die Meſſe ver-<lb/> ſäumt, als den neumodiſchen Spektakel; das „<hi rendition="#aq">la<lb/> seance vaut bien unemesse</hi>“ hatte bei ihnen alſo<lb/> einen etwas anderen Sinn, als bei Heinrich <hi rendition="#aq">IV.</hi></p><lb/> <p>Und ſo war es denn bei einer der nächſten Sit-<lb/> zungen nach dem 4. Auguſt, der (bürgerliche)<lb/> Abbe Maury (ſpäter Kardinal) hielt eine ſeiner<lb/> begeiſterten legitimiſtiſchen Reden, und die beiden<lb/> genannten Damen nebſt Freundinnen konnten<lb/> ſich nicht enthalten, dem unmodernen oder un-<lb/> modiſchen Redner ihr Mißfallen zu bezeichnen.<lb/> Durch Zwiſchenrufe, durch Strampeln mit den<lb/> Beinen und andere ſtörende Aeußerungen unter-<lb/> brachen ſie fortgeſetzt den treuen Royaliſten, der<lb/><cb/> endlich die Geduld verlor und dem Präſidenten<lb/> zurief, er möge doch endlich dieſe Unterröcke zur<lb/> Ruhe verweiſen: „<hi rendition="#aq">Monsieurle president</hi>“, ſo rief<lb/> er, „<hi rendition="#aq">faites enfin taire ces deux sansculottes!</hi>“</p><lb/> <p>Das iſt der Urſprung des ſpäter ſo mißver-<lb/> ſtandenen Namens</p> </div><lb/> <div xml:id="a03a" next="#a03b" type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Neuordnung.</hi> </head><lb/> <p>Eine Gemäldeſammlung, die ſeit ihrem Beſtehen<lb/> zu den erſten der Welt zählt, und ein Muſeum,<lb/> das durch bedeutende Schenkungen und Erwer-<lb/> bungen erſt in der letzten Zeit gewaltigen Auf-<lb/> ſchwung genommen hat, ſind neu geordnet wor-<lb/> den und bieten nunmehr ihre Schätze überſichtlich<lb/> und geklärt, wie es verwöhnte Augen heute for-<lb/> dern: die <hi rendition="#g">Dresdener Gemäldegalerie</hi><lb/> und das <hi rendition="#g">Schnütgen-Muſeum</hi> in <hi rendition="#g">Köln</hi>.</p><lb/> <p>In <hi rendition="#g">Dresden</hi> wurde in den unteren Sälen<lb/> der Galerie Luft gemacht. Bisher hing Bild an<lb/> Bild; es war kaum möglich, zum Eindruck des<lb/> einzelnen zu gelangen. Nun hat man die ganze<lb/> Sammlung geſiebt und die ſchwächeren Stücke aus-<lb/> geſchieden. Dieſe ſollen zu einer „Studien-<lb/> galerie“ vereinigt und geſondert untergebracht<lb/> werden. Hierdurch ward Platz in den oberen<lb/> Sälen, in denen jetzt die Italiener und die Deut-<lb/> ſchen des 18. Jahrhunderts gehängt ſind, die zum<lb/> großen Teil die Wände des unteren Stockwerkes<lb/> verſtopften. Dieſes hat nun <hi rendition="#g">Luft</hi>, die Bilder<lb/> konnten locker placiert werden — über die Hälfte<lb/> des bisherigen Beſtandes iſt hinausgekommen! —,<lb/> ſo daß man endlich in Ruhe ſehen und genießen<lb/> kann. Im zweiten Stock wird man von den<lb/> prachtvollen Canaletti empfangen, nach ihnen<lb/> eine Auswahl der Paſtelle, auf gelber Wand.<lb/> Dann kommen die Italiener und Spanier links,<lb/> die Deutſchen rechts. Nun wirken ſie, die italieni-<lb/> ſchen Meiſter des Barock und Rokoko — unter<lb/> denen manches Stück, das erſt aus den Depots<lb/> herausgeholt wurde, beſonderer Beachtung wert<lb/> iſt es, nun wirken auch die Spanier, die Velas-<lb/> quez und Ribera, in ihrem roten Saal.</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [2/0002]
Allgemeine Zeitung. Nr. 9 Donnerstag, den 10. Januar 1924.
faſſungswidrig iſt. Die Verfaſſung
Thüringens ſieht vor, daß die ehemaligen
ſelbſtändigen Gebiete in der Regierung ver-
treten ſind. Sie ſind es heute nicht, und
jede Ergänzungsmöglichkeit des Kabinetts
auf verfaſſungsmäßigem Wege iſt durch die
Sozialdemokraten verhindert.
Daß endlich die Finanzwirtſchaft
der gegenwärtigen Regierung nicht mehr
ertragen werden kann, muß auch noch her-
vorgehoben werden; man muß endlich zu
Verhältniſſen kommen, über die der Finanz-
miniſter nicht, wie er zugegeben hat, die
Ueberſicht völlig verloren hat. Gewiß kann
man ſagen, daß die Ruhe in Thüringen
zurzeit nicht geſtört iſt. Es liegt das ledig-
lich an der Anweſenheit der Reichswehr.
Die ſubverſiven Elemente, deren ſchamloſe
Tätigkeit durch das Eingreifen der Reichs-
wehr klargeſtellt iſt (Thüringen ſtand
vor dem Bürgerkrieg. Wer das
Gegenteil behauptet, hat keine
Ahnung von den Verhältniſſen
oder lügt), ſind weiter an der Arbeit,
und es iſt nicht zu leugnen, daß einzelne
der amtierenden Miniſter mit ihrem An-
hang mit dieſen Elementen in ſo enger
Verbindung ſtehen, daß ſie ſie, wenn auch
unbewußt, fördern.
Zu den vielen unwahren Behauptungen,
die in den Verlautbarungen der Thüringi-
ſchen Regierung erhoben worden ſind, ge-
hört namentl die, daß die Politik der
nichtſozialiſtiſchen Parteien ſich gegen
die Arbeiterſchaft richte. Das iſt
unwahr. Die Frage der
Arbeiterfreundlichkeit
oder Arbeiterfeindlichkeit ſpielt in dem
ganzen Wahlkampf überhaupt keine Rolle,
und es mag ausdrücklich betont werden, daß
keine der nichtſozialiſtiſchen Parteien
irgendwie daran denkt, eine gegen die
Arbeiter gerichtete Politik zu betreiben.
Und ſollte von irgend einer Seite nach den
Wahlen ein derartiger Verſuch gemacht
werden, ſo kann man überzeugt ſein, daß
an ihm die Einheit der nichtſozialiſtiſchen
Parteien ſofort ſcheitern würde. Nichts
berechtigt zu der Annahme, daß
derartige Verſuche gemacht wer-
den. Die Thüringiſchen Verhältniſſe ſind
ſo klar, daß die politiſchen Probleme auch
durch Parteidemagogen nicht verdunkelt
werden können. Es handelt ſich nicht um
wirtſchaftliche Fragen, es handelt ſich ledig-
lich um die politiſche Frage, ob Thüringen
weiterhin eine einſeitige Parteidiktatur er-
tragen ſoll oder ob es wieder das wird, was
es früher war, ein freier Staat, als
welcher es überhaupt allein exiſtieren kann.
Denn darüber mag man ſich nicht täuſchen:
ſollte die Wahlſchlacht für die nichtſozialiſti-
ſchen Parteien verloren gehen — was
übrigens nicht im entfernteſten anzunehmen
iſt — ſo iſt die Frage der Exiſtenz Thürin-
gens aufgerollt, da die nicht ſozialiſti-
ſche Bevölkerung unter keinen
Umſtänden geſonnen iſt, die ein-
ſeitige Parteityrannis der So-
zialdemokraten länger zu er-
tragen
Die Verbrechen der Beſatzungstruppen.
Berlin, 9. Januar.
In einer Nach-
tragsdenkſchrift der Reichsregierung an
den Reichstag wurden neuerdings zahl-
reiche, im Jahre 1923 begangene Ver-
brechen der Beſatzungstruppen
amtlich feſtgelegt. Darunter 1. 13 Morde,
davon 8 durch farbige Franzoſen; 2. 38 Not-
zuchtsverbrechen, davon 28 durch farbige
Franzoſen; 3. 23 Verbrechen farbiger Fran-
zoſen an deutſchen Knaben; 4. 11 Verbre-
chen des Straßenraubes, davon 7 von far-
bigen Franzoſen ausgeführt; 11 Fälle
furchtbarer Mißhandlungen, ſchuldig in
zwei Fällen farbige Franzoſen.
Die Denkſchrift bezieht ſich nur auf das
altbeſetzte Gebiet. Für das Ruhrgebiet
wird eine beſondere Denkſchrift veröffent-
licht werden
Der franzöſiſche Finanzminiſter über den
Frankenſturz.
Paris, 9. Januar.
Bei einem Preſſeemp-
fang führte der Finanzminiſter aus, daß
weder in der äußeren, noch in der inneren
Politik ein Grund für die Baiſſe des Fran-
ken zu entdecken ſei. Ausländiſche Speku-
lanten könnten ihren Frankenbeſitz ſehr
leicht als eine Waffe zur Bekämpfung der
franzöſiſchen Politik einſetzen. Die Deut-
ſchen ſeien Meiſter in dieſer Kunſt. (!) Sie
verſuchten, durch Finanzoperationen auf die
Außenpolitik Frankreichs einzuwirken, um
dadurch Poincaré zu einem Verzicht auf die
Ruhraktion zu zwingen. Die Maßnahmen,
die der Miniſter beſchloſſen hat, beſtehen in
der Verhinderung großer Verkäufe ins Aus-
land und der genauen Kontrolle der Börſen-
berichte, der Säuberung der Börſe von
zweifelhaften Elementen und einer genauen
Ueberwachung der telephoniſchen Verbin-
dungen mit dem Ausland. Im Innern emp-
fiehlt der Finanzminiſter Sparſamkeit. Er
werde der Kammer in dieſer Richtung noch
Vorſchläge machen.
Wie man weiter hört, wird Finanzmini-
ſter de Laſteyrie dem Parlament einen Ent-
wurf zur Verminderung der öf-
fentlichen Ausgaben und zur Ab-
ſchaffung des Streichholzmonopols zugehen
laſſen.
Von der Verwirklichung dieſer Maßnah-
men und deren Einwirkung auf den Stand
der franzöſiſchen Währung verſpricht ſich
der Finanzminiſter jedoch keinen ſofortigen
Erfolg.
Die ſtrategiſche Bedeutung der
Tſchechoſlowakei
* Prag, 9. Januar.
In der „Slov. Poli-
tika“ beſpricht Generalſtabschef General
Mittelhauſer die ſtrategiſche Bedeu-
tung der Slowakei. Für den takti-
ſche Körper der Kleinen Entente habe
die Slowakei als Weg nach Rumänien und
zur Donau, der Hauptverkehrsader der
Kleinen Entente große Wichtigkeit. Außer-
dem entſpreche die Lage des Landes den
Forderungen des Luftverkehrs mit Rumä-
nien und Jugoſlavien
Die ſchleunige Errichtung einer Eiſen-
bahnverkehrslinie aus Mähren über die
Slowakei an die rumäniſche Grenze, die
Erweiterung von Flußhäfen von Preßburg
und Komorn, der Bau eines Flugplatzes der
Kleinen Entente nördlich von Preßburg;
dies ſeien die drei wichtigſten Programm-
punkte der nächſten Zukunft. Die trans-
kontinentale Luftverkehrsader werde von
Prag nach Wien führen und Preßburg bei-
ſeite laſſen. Aber für den Luftverkehr der
Kleinen Entente ſei Preßburg ein un-
erläßlicher Knotenpunkt. Der zu errich-
tende Lufthafen von Preßburg müſſe dem
Luftverkehr nach Prag, an die Adria, nach
Belgrad und Bukareſt gerecht werden.
Die thüringiſche Frage.
Berlin, 9. Januar.
Das Reichskabinett
hat in der thüringiſchen Frage eine
Reihe von Beſchlüſſen gefaßt, die den Ver-
tretern der thüringiſchen Staatsregierung
mitgeteilt worden ſind. Es beſteht die Hoff-
nung, daß die thüringiſche Frage rei-
bungslos erledigt wird.
Reichstagskandidat Ludendorff.
Berlin, 9. Jan.
Die Frage einer Reichstags-
kandidatur des Generals Ludendorff iſt noch
nicht völlig geklärt. Es haben in dieeſr Frage
wiederholt Beſprechungen zwiſchen leitenden völ-
kiſchen Perſönlichkeiten nicht nur Bayerns, ſon-
dern auch Norddeutſchlands mit Ludendorff ſtatt-
gefunden, in deren Verlauf ſich jedoch der General
noch nicht zur Uebernahme der Reichstagskandida-
tur entſchließen konnte. Aus verſchiedenen An-
zeichen läßt ſich ſchließen, daß eine Reichstags-
kandidatur Ludendorffs in völkiſchen Kreiſen eine
nicht ganz einheitliche Aufnahme finden würde.
Vor allen Dingen werden in Norddeutſchland ge-
genüber der Abſicht des Völkiſchen Blocks in
Bayern die Bedenken geltend gemacht, daß Luden-
dorff für die völkiſche Bewegung weniger als
Politiker denn als einſtiger Führer des Heeres in
Frage kommen müſſe, und daß er deshalb „in
militäriſcher Reſerve“ bleiben ſolle.
Die Tiroler wehren ſich.
Der führend am Kapp-Putſch beteiligte Haupt-
mann Pabſt iſt ſeinerzeit vor dem gegen ihn
erlaſſenen Steckbrief nach Tirol geflüchtet und iſt
ſeitdem in dem dortigen „Bund der Heimat-
wehren“ tätig, einer ſchwarzgelben Organiſation
unter Führung der Chriſtlichſozialen. Im vorigen
Jahr hat Pabſt als deutſch-öſterreichiſcher Bürger
Tirols in Mieming (im Inntal) das Heimatrecht
auf den Namen Peters-Pabſt erworben. Dieſer
Tage fand nun in Wörgel eine Verſammlung der
Gruppenführer der Tiroler Heimatwehren ſtatt,
die unter Vorſitz eines Feldpaters einſtimmig
folgende Entſchließung annahm:
1. Wir dulden nicht, daß ein preußiſch-prote-
ſtantiſcher Offizier ein Kommando über das
katholiſche Tiroler Volk zu führen ſich anmaßt;
2. wir dulden nicht, daß ein preußiſcher Offizier,
der beim preußiſch alldeutſchen Kapp-Putſch Ge-
neralſtabschef des Putſchleiters war, ſich in füh-
render Stellung bei einer gänzlich unpolitiſchen
öſterreichiſch-tiroliſchen Selbſtſchutzorganiſation be-
findet; 3. wir dulden nicht, daß dieſer preußiſche
Revanchepolitiker in Tirol angeblich nur ſeinem
Broterwerb nachgeht, in der Tat aber alldeutſch-
preußiſch-proteſtantiſche Politik treibt und, wie
die Tatſachen beweiſen ſeinen einflußreichen
Poſten in der Tiroler Heimatwehr ausnutzt, ge-
gebenenfalls das Tiroler Volk und Land und
Oeſterreich ins Unglück zu bringen zugunſten
ſeines preußiſchen Vaterlandes; 4. wir dulden
nicht, daß Hauptmann Peters-Pabſt als politiſcher
Flüchtling noch weiter bei der Tiroler Heimat
feſtgebalten werde und fordern ſeine ſofortige
Entlaſſung von der Landesleitung
Bayeriſcher Landtag.
Scharfer Proteſt der Demokraten.
In der Fortſetzung der allgemeinen Ausſprache
zur Landeswahlgeſetznovelle am Mittwoch vormit-
tag im Verfaſſungsausſchuß kam als erſter
Redner
Abg. Graf Peſtalozza (B. Vp.) zu Wort.
Mit der ſchematiſchen Abminderung der Mandats-
zahl allein iſt es nicht getan; andere Mittel müſ-
ſen dazu kommen. Doch darf z. B. im Falle der
Diätenneuregelung nicht die Hand dazu geboten
werden, geringer bemittelte Kreiſe vom Mandat
auszuſchließen. Die Heraufſetzung des Wahl-
alters, der beſſere Ausgleich zwiſchen Stadt und
Land müſſen einer gründlichen Reform vorbe-
halten bleiben. Das iſt erſt möglich nach Beſeiti-
gung des verſtimmenden Paragraphen 92 der Ver-
faſſung in einem neuen Landtag.
Abg. Dr. Hilpert (B. Mp.) erörterte tech-
niſche Einzelfragen des Landeswahlgeſetzes. Die
in der Begründung angedeuteten Reformen, wie
die Heraufſetzung des Wahlalters, ſind auch uns
durchaus ſympathiſch. Mit der Verringerung der
Mandatszahl wird auch die Liſtenverbindung not-
wendig. Die Verringerung der Zahl der Stimm-
kreisabgeordneten ſtärkt den Einfluß des Proporz-
ſyſtems; man müßte eigentlich auch die Zahl der
Landtagsabgeordneten von 15 auf 10 verringern.
Vorſitzender Abg. Dr. Wohlmuth (B. Vp.)
möchte die Diätenfrage als eine Angelegenheit
nicht der Abgeordneten, ſondern der Wähler be-
trachtet wiſſen. Den Beamtenabgeordneten an den
Diäten zu kürzen, wäre verfehlt. Soll gekürzt
werden, dann iſt das im Beamtengeſetz zu machen.
Abg. Endres (V. S. P.) wandte ſich gegen
die Auffaſſung, als ob bisher das flache Land
zu kurz gekommen ſei. Der Landtag hat im Vor-
jahr im Gegenſatz zu anderen Parlamenten mit
den Diäten abgebaut. Die Beſeitigung der Diäten
würde zu einer Zuſammenſetzung des Parlamen-
tes aus ganz beſtimmten Kreiſen führen und na-
mentlich die Arbeiterklaſſe in ihrer Vertretung
ſchwer ſchädigen. Eine Herabſetzung der Mandats-
zahl iſt notwendig; über die Ziffer läßt ſich reden.
Die Wertung eines Parlamentes hängt ſchließlich
doch nicht von der Zahl, ſondern von der geleiſte-
ten Arbeit ab. Zu hoffen iſt, daß ein Abkommen
über die Einzelfragen des Entwurfes zuſtande
kommt, das allen Parteien die Zuſtimmung er-
möglicht und eine raſche Auflöſung des Landtags
herbeiführt.
Abg. Städele (B. Bbd.) bedauerte, daß die
Reichsverfaſſung eine Reihe von Aenderungen,
die zum Teil der früheren Regelung entſprechen
würden, unmöglich macht. Der Bauernbund wäre
z. B. für Heraufſetzung des Wahlalters zu haben;
auch das Frauenſtimmrecht könnte ruhig wieder
verſchwinden. Ob der neue Landtag beſſer ſein
wird als der alte, muß ſich erſt zeigen.
Abg. Dr. Müller (D. D. P.) hob hervor, daß
die Andeutungen über die Aenderungen der Zu-
kunft doch recht vorſichtig machen müſſen. In un-
ſerem jetzigen Wahlſyſtem liegt allerdings ein ge-
wiſſes Lotterieſpiel. Ein unzweifelhafter Nach-
teil des Proporzes iſt, daß die Verbindung zwi-
ſchen Wähler und Abgeordneten zerriſſen wird,
wenn man ſich auch bemüht, die Verbindung durch
die Stimmkreiſe wieder herzuſtellen. Die Beſeiti-
gung dieſes unſicheren Faktors würde das ganze
Syſtem beliebter machen.
Die diätenloſe Zeit im Reichstag entbehrte
nicht eines ſtarken Idealismus, ſo ſchwer die
Opfer zu tragen waren. Im übrigen iſt die Diä-
tenfrage von der Hetze gegen den Parlamentaris-
mus beeinflußt. Es ſollte einmal öffentlich durch
das Landtagsamt feſtgeſtellt werden, wie kläglich
die Diäten ſind; das würde wenigſtens auf die
Anſtändigeren Eindruck machen. Die freien Berufe
und erwerbstätigen Kreiſe dürfen vom Mandat
nicht ausgeſchloſſen werden.
Ein Hauptmangel des Wahlgeſetzes iſt, daß das
ganze Wablrecht auf die Einwohner, ſtatt auf die
Wahlberechtigten abgeſtellt iſt. Wir ſind mit acht
Wahlkreiſen einverſtanden; die Herausnahme von
München und Nürnberg — alſo zehn Wahlkreiſe
— wäre zu erwägen.
Sanskü offen.
Von
Bruno Rüttenauer.
Geſchichte der Staatsumwälzungen ent-
hält eine Tatſache, die oft überſehen wird. Die
nämlich: daß endgültig geglückte Revolutionen
ſelten oder von der breiteren Maſſe des nie-
deren Volkes ohne einen ſozuſagen höheren Bei-
ſtand bewirkt wurden. Meiſt war die breite Maſſe
ſogar nur das grobe Werkzeug des revolutionä-
ren Geiſtes, der von ganz anderen Regionen her-
wirkte.
Im alten Athen waren es, auch ſchon vor Pe-
rikles, wiederholt einzelne Ariſtokraten, die, ihre
eigenen perſönlichen Intereſſen höher ſtellend als
die ihres Standes und des Staates, mit dem
Plebs gemeinſame Sache machten und die, unter
der Maske der Volksfreundſchaft, nichts weniger
als die Herrſchaft der Maſſe erſtrebten — die
überhaupt eine Unmöglichkeit iſt — als vielmehr
ihre höchſt eigene Herrſchbegierde zu befriedigen
ſuchten.
Ein anderes Phänomen, dem aber doch der-
ſelbe Sinn zugrunde liegt, zeigt die große fran-
zöſiſche Revolution, die vielleicht ohne die Mit-
wirkung katilinariſcher Ariſtokraten überhaupt
niemals gelungen wäre. Die hervorragendſten
derſelben, ein Mirabeau und ein Herzog Egalite,
ſind bekannt genug. Die beiden hatten aber
mehr Geſinnungsgenoſſen innerhalb ihres Stan-
des, als man gemeinhin ahnt. Die Motive wa-
ren aber, wenigſtens zum Teil, andere als im
alten Athen.
Die ſtarke perſönliche Herrſchſucht und ihre
Zwecke ſpielten wohl auch eine Rolle dabei und
nicht zum wenigſten in den beiden Genannten;
in der Mehrheit dieſer Leute war es jedoch etwas
davon Verſchiedenes. War es eigentlich das Ge-
genteil davon, nämlich, ich finde kein anderes
Wort, eine gewiſſe Selbſtaufgabe, entſprungen
einerſeits aus Ueberſättigung und Langeweile,
anderſeits aus dem durch unerhörten Lebens-
leichtſinn herbeigeführten wirtſchaftlichen Ruin
zum Teil der Allerreichſten unter ihnen. Ich er-
inere mich nur an einen Fall, an den Bankerott
des Fürſten Rohan-Gnemene, durch den der eine
Herzog von Lauzun eine Lebensrente von 80 000
Livres und ungezählte andre ihre ganze Habe
verloren, bei welcher Gelegenheit man die be-
kannte Rohanſche Deviſe traveſtiert hat in. Roy
ne puys, duc ne daigue — fripon suys Der
viel zitierte après nous le deluge bezeichnet gut
die Stimmung der gedachten Kreiſe.
Bei dem Worte sansculottes denken bei uns
die meiſten an zerlumpte Volkshaufen und ähn-
liches; ſein Urſprung iſt dennoch ein ganz an-
derer. Auf die er zuerſt angewendet wurde, waren
ſogar ſehr ſtolze Damen, an deren Toilette ſicher-
lich nichts gefehlt hat, wenigſtens nichts, was die
eleganteſte Mode der Zeit daran vermißt hätte.
Das ſchöne Geſchlecht hat es bekanntlich zu
aller Zeit geliebt, nicht nur in Kleider, ſondern
auch in anderen Fragen begeiſtert hinter den
neuen Moden her zu ſein — mögen dieſelben
Theo- und Anthropoſophie heißen — und noch
nie iſt ein Prophet aufgetreten, wahrer oder
falſcher, der nicht von dem Geſchlecht in Unter-
röcken, beſonders in ſeidenen, am lebhafteſten
umſchwärmt wurde. Die Jakobiner machten da-
von keine Ausnahme, und wenn, wie oben ange-
deutet, namhafte Ariſtokraten, Katilinarier im
Grund, ihnen vielfach in der Stille anhingen, ſo
muß man von einigen ihrer Frauen ſagen, daß
ſie dieſe Anhängerſchaft ſo geräuſchvoll als mög-
lich in Szene geſetzt haben.
Hier ſoll nur von zweien die Rede ſein. Die
eine war die Herzogin Diana von Polignac (üb-
rigens nicht zu verwechſeln mit Jolanthe von
Polignac, der Vertrauten und Freundin der
Marie Antoinette), die andere aber war gar eine,
wie man hier in München ſo ſchön ſagt, Mi-
niſtersgattin, nämlich die ebenſo durch ihren
Geiſt wie ihre Schönheit viel beſchriene Herzogin
von Coigny, von der Maria Antoinette geſagt
hat: Je suis la reine de Versailles, mais Ma-
dame de Coigny est la reine de Paris.
Dieſe beiden Damen taten ſich vor anderen
ihresgleichen ganz beſonders hervor durch ihr
turbulentes Auftreten in den Sitzungen der Na-
tionalverſammlung und ſie hätten, wenn ſie ſich
dort eine Gaudi verſprachen, lieber die Meſſe ver-
ſäumt, als den neumodiſchen Spektakel; das „la
seance vaut bien unemesse“ hatte bei ihnen alſo
einen etwas anderen Sinn, als bei Heinrich IV.
Und ſo war es denn bei einer der nächſten Sit-
zungen nach dem 4. Auguſt, der (bürgerliche)
Abbe Maury (ſpäter Kardinal) hielt eine ſeiner
begeiſterten legitimiſtiſchen Reden, und die beiden
genannten Damen nebſt Freundinnen konnten
ſich nicht enthalten, dem unmodernen oder un-
modiſchen Redner ihr Mißfallen zu bezeichnen.
Durch Zwiſchenrufe, durch Strampeln mit den
Beinen und andere ſtörende Aeußerungen unter-
brachen ſie fortgeſetzt den treuen Royaliſten, der
endlich die Geduld verlor und dem Präſidenten
zurief, er möge doch endlich dieſe Unterröcke zur
Ruhe verweiſen: „Monsieurle president“, ſo rief
er, „faites enfin taire ces deux sansculottes!“
Das iſt der Urſprung des ſpäter ſo mißver-
ſtandenen Namens
Neuordnung.
Eine Gemäldeſammlung, die ſeit ihrem Beſtehen
zu den erſten der Welt zählt, und ein Muſeum,
das durch bedeutende Schenkungen und Erwer-
bungen erſt in der letzten Zeit gewaltigen Auf-
ſchwung genommen hat, ſind neu geordnet wor-
den und bieten nunmehr ihre Schätze überſichtlich
und geklärt, wie es verwöhnte Augen heute for-
dern: die Dresdener Gemäldegalerie
und das Schnütgen-Muſeum in Köln.
In Dresden wurde in den unteren Sälen
der Galerie Luft gemacht. Bisher hing Bild an
Bild; es war kaum möglich, zum Eindruck des
einzelnen zu gelangen. Nun hat man die ganze
Sammlung geſiebt und die ſchwächeren Stücke aus-
geſchieden. Dieſe ſollen zu einer „Studien-
galerie“ vereinigt und geſondert untergebracht
werden. Hierdurch ward Platz in den oberen
Sälen, in denen jetzt die Italiener und die Deut-
ſchen des 18. Jahrhunderts gehängt ſind, die zum
großen Teil die Wände des unteren Stockwerkes
verſtopften. Dieſes hat nun Luft, die Bilder
konnten locker placiert werden — über die Hälfte
des bisherigen Beſtandes iſt hinausgekommen! —,
ſo daß man endlich in Ruhe ſehen und genießen
kann. Im zweiten Stock wird man von den
prachtvollen Canaletti empfangen, nach ihnen
eine Auswahl der Paſtelle, auf gelber Wand.
Dann kommen die Italiener und Spanier links,
die Deutſchen rechts. Nun wirken ſie, die italieni-
ſchen Meiſter des Barock und Rokoko — unter
denen manches Stück, das erſt aus den Depots
herausgeholt wurde, beſonderer Beachtung wert
iſt es, nun wirken auch die Spanier, die Velas-
quez und Ribera, in ihrem roten Saal.
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(2022-03-29T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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