Allgemeine Zeitung, Nr. 103, 13. April 1849.[Spaltenumbruch]
welche somit zwischen die gegebene Wirklichkeit und das hervorbringende Doch, ermüdet vielleicht von so ernsten Fragen, finden die Leser und, General v. Penckers Beiträge zur Beleuchtung einiger Grundlagen für die künftige Wehrverfassung Deutsch- lands. A. B. Deutschlands Erhebung für seine Einheit begann mit der Kriegsgefahr und Krieg klopft nun an alle Pforten des Vaterlandes. Die neuere Zeit hat die Berufung auf Frankreichs wie Rußlands Aus der Erschlaffung der Restaurationsepoche erhob Marschall Soults [Spaltenumbruch]
welche ſomit zwiſchen die gegebene Wirklichkeit und das hervorbringende Doch, ermüdet vielleicht von ſo ernſten Fragen, finden die Leſer und, General v. Penckers Beiträge zur Beleuchtung einiger Grundlagen für die künftige Wehrverfaſſung Deutſch- lands. A. B. Deutſchlands Erhebung für ſeine Einheit begann mit der Kriegsgefahr und Krieg klopft nun an alle Pforten des Vaterlandes. Die neuere Zeit hat die Berufung auf Frankreichs wie Rußlands Aus der Erſchlaffung der Reſtaurationsepoche erhob Marſchall Soults <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jFeuilleton" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0010" n="1582"/><cb/> welche ſomit zwiſchen die gegebene Wirklichkeit und das hervorbringende<lb/> Vermögen des Künſtlers gleichſam als eine zweite Natur in die Mitte<lb/> tritt; als Erzeugniß der Phantaſie bereits dem Künſtler entgegengebildet<lb/> und ein fügſamerer Stoff für ſeine Thätigkeit als die rauhe Wirklichkeit:<lb/> weßwegen von jeher die Bildner des Schönen, Dichter, Bildhauer und<lb/> Maler, ihre Stoffe vorzugsweiſe der religiöſen Vorſtellungswelt entnom-<lb/> men haben. Wenn ſich nun aber im Verlaufe der Zeit dieſe Welt der<lb/> religiöſen Phantaſie durch Kritik und Aufklärung immer mehr auflöst,<lb/> wenn eines ihrer Gebilde um das andere wie ſchwindendes Gewölk vom<lb/> reinen Aether des Geiſtes aufgeſogen wird, wie dann? Iſt es dann mit<lb/> der Kunſt zu Ende? Oder ſoll ſie, ſo viel an ihr iſt, die fliehenden Ge-<lb/> bilde noch feſthalten, ſich an ihren nebelhaften Saum vergeblich anzuklam-<lb/> mern ſuchen? Schwinden ſoll ſie laſſen was einmal Schatten geworden<lb/> iſt, meint Viſcher, und friſch ſofort aus der erſten Hand, aus Natur und<lb/> Geſchichte, wie bisher meiſt aus der zweiten, den Stoff für ihre Hervor-<lb/> bringungen nehmen.</p><lb/> <p>Doch, ermüdet vielleicht von ſo ernſten Fragen, finden die Leſer und,<lb/> wenn ſolche zu hoffen wären, auch die Leſerinnen in dieſem Abſchnitte zu-<lb/> gleich über menſchlichere Dinge, über Trachten und Moden, Haar- und<lb/> Bartdreſſur, Hutformen und Kleiderſchnitt, Spitzen und Stecknadeln ſo<lb/> treffende und meiſtens auch ſo luſtige Ausführungen, daß ſie gewiß mit<lb/> dem Verfaſſer dieſer Anzeige die Freude über die endlich zu Stande ge-<lb/> kommene deutſche Verfaſſung auch ſchon deßwegen theilen werden, weil nun<lb/> zu hoffen ſteht die Paulskirche werde demnächſt unſerm Aeſthetiker die<lb/> Muße gönnen durch Ausarbeitung des noch fehlenden dritten Theils ſeinem<lb/> Werk eine vollſtändigere Krone aufzuſetzen, als in Folge ſeiner und ſeiner<lb/> Freunde Bemühungen ſo eben dem König von Preußen eine geboten wer-<lb/> den konnte.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">General v. 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So war denn auch das natür-<lb/> lichſte und erſte Bedürfniß des deutſchen Volkes die Einheit ſeiner Wehr-<lb/> verfaſſung — einer Wehrverfaſſung welche in der vollkommenen Gleich-<lb/> heit der Pflichten aller zunächſt die Bürgſchaft für die Erhaltung gleicher<lb/> Rechte aller darböte, vorzüglich auch mit der Vereinigung aller Bevölke-<lb/> rungsſchichten und Altersclaſſen im deutſchen Heere eine Gemeinſamkeit<lb/> der moraliſchen Gewalt und geiſtigen Bildung erzeugte, durch welche jede<lb/> materielle und geiſtige Kraft Deutſchlands zur vollen Geltung käme.</p><lb/> <p>Kriegsgefahr und Krieg klopft nun an alle Pforten des Vaterlandes.<lb/> Zwar nicht früher als wir erwarteten, aber doch früher als daß bereits<lb/> jene Wehrverfaſſung zu irgendeiner befriedigenden Geſtalt gelangt wäre.<lb/> Für eine ſofortige Radicalreform derſelben haben viele geſchrieben. Sie<lb/> vergaßen daß dieß heißt: im Augenblick des drohenden Sturmes das Haus<lb/> über dem Kopf abbrechen ohne noch ein neues Obdach gefunden zu haben.<lb/> Sehr richtig bemerkt in dieſer Beziehung Hr. v. Peucker in ſeinen Bei-<lb/> trägen: „Enthuſiaſten ſind für alle Lebensverhältniſſe ſchlechte Rathgeber;<lb/> je ernſter dieſe Verhältniſſe ſind, deſto weniger taugen ſie dazu... Ein<lb/> Staat welcher ſich mit neuer Jugendkraft erheben will, kann ſeine Waffen<lb/> nicht in Friedenswerkzeuge verwandeln, darf das Schwert der Landeswehr<lb/> nicht weiter von ſich weglegen als zuläſſig wird um es in jedem Augen-<lb/><cb/> blick mit feſter und männlicher Hand ergreifen zu können... Darum iſt<lb/> auch nicht die kleinſte Schwächung der vorhandenen deutſchen Kriegs-<lb/> macht ohne die höchſte Gefährdung der politiſchen Kraft Deutſchlands zu-<lb/> läſſig, ſondern im Gegentheil eine unverzügliche Verſtärkung derſelben<lb/> auf den bewährten Grundlagen der Erfahrung unerläßlich. Das alte be-<lb/> währte Landesſchwert dürfen wir nicht eher aus der Hand legen bis das<lb/> neue geſchliffen und eingeübt iſt.“ Damit iſt überhaupt der Grundgedanke<lb/> des inhaltreichen Büchleins gegeben. Unwiderleglich entwickelt ſich weiter<lb/> wie gerade die jetzige Geſtaltung der Kriege zu Volkskriegen, wie eben<lb/> die Neugeſtaltung der Kriegskunſt die Erhaltung der ſtehenden Heere<lb/> fordere. Die nationale Begeiſterung an ſich, ſo wichtig ſie auch im ein-<lb/> zelnen Kampfe, genügt nicht zur glücklichen Durchführung eines Krieges.<lb/> Darum nicht weil ſie, von einer Idee angeregt, auch von äußern Ein-<lb/> flüſſen raſch vernichtet werden kann. Freilich machen Formen nicht allein<lb/> den tüchtigen Krieger; aber „nicht weil Formen ganz entbehrlich, ſondern<lb/> weil in der taktiſchen Ausbildung der Heere in neuerer Zeit große Fort-<lb/> ſchritte gemacht worden ſind, iſt eine freiere Bewegung der Heere möglich<lb/> geworden; und unzweifelhaft wird noch eine weitere Entwicklung dieſer<lb/> Reform nicht nur ohne Gefährdung, ſondern ſelbſt mit wahrer Förderung<lb/> der Kriegstüchtigkeit der Heere möglich werden.“ Die moraliſche Kraft<lb/> und der ungebeugte Muth eines Volkes ſind nicht hoch genug anzuſchla-<lb/> gen, doch werden tüchtige Waffenübung, eine aus fortwährender Gewohn-<lb/> heit hervorgegangene Waffenfertigkeit, verbunden mit ſtrenger Disciplin,<lb/> Dienſtkenntniß und Dienſtgewohnheit der Truppen und ihrer Führer, nie-<lb/> mals durch jene moraliſchen Kräfte entbehrlich gemacht werden. Die<lb/> Fortſetzung der Opfer welche die Begeiſterung einer Nationalbewaffnung<lb/> anfänglich wie im Spiele brachte, iſt nach einigen unglücklichen Erfolgen<lb/> niemals zu erwarten. Beſonders wird ſie „einem kräftigen Feinde welcher<lb/> ſeine Vortheile mit Energie und Schnelligkeit verfolgt, in der freien Ebene<lb/> faſt immer unterliegen.“ Die Bildungsſchule eines ſtehenden Heeres<lb/> bleibt unerläßlich. Dem Vaterlande muß jeder Tropfen Blutes ſeiner<lb/> Söhne viel zu heilig ſeyn um „damit Improviſationen zu Lehrcurſen in<lb/> der Kriegskenntniß niederzuſchreiben.“ Ein ſolcher Irrthum, in einem<lb/> gefährlichen Augenblick begangen, wird oft von Jahrhunderten nicht wie-<lb/> der gut gemacht. Waſhington, Amerika’s Befreier, erklärte dem Congreß<lb/> während des Freiheitskampfes: die Herſtellung einer Disciplin wie ſie<lb/> für die Kriegführung unerläßlich, ſey nicht das Werk eines Tages, nicht<lb/> eines Monats, nicht eines Jahres: der Mangel eines ſtehenden Heeres<lb/> führe zum unvermeidlichen Ruin des jungen Staates. Dieſe Worte<lb/> Waſhingtons, des erfahrenen und gediegenen Feldherrn, hatten bereits<lb/> Englands ſchwachem, durch das Weltmeer von ſeinen Unterſtützungen<lb/> getrenntem Heere gegenüber ihre volle Geltung. Wir dagegen ſtehen zwei<lb/> Großmächten Stirn an Stirn entgegen, welche ihre Sicherheit dem Schutze<lb/> gewaltiger Heeresmaſſen anvertrauen!</p><lb/> <p>Die neuere Zeit hat die Berufung auf Frankreichs wie Rußlands<lb/> Kriegsmacht oftmals beinahe wie ein Zeichen deutſchen Kleinmuthes mit<lb/> Spottlächeln zurückgewieſen. Wir finden dagegen einen Beweis ächten<lb/> Muthes nicht darin ſich ſelbſt die möglichen Gefahren wegzuläugnen, wohl<lb/> aber darin dieſelben feſt und ſcharf ins Auge zu faſſen, um darnach ab-<lb/> zuwägen was bei unſern geringeren Mitteln zunächſt noththut zu ihrer<lb/> Begegnung. Die Peucker’ſche Schrift thut dieß in den wichtigſten Be-<lb/> ziehungen. Sie entwickelt bei der Frage nach der numeriſchen Stärke<lb/> eines deutſchen Heeres ſowohl die Rückſichten auf Frankreichs und auf<lb/> Rußlands Kriegsmacht als auch die auf unſere deutſchen Nord- und<lb/> Oſtſeeküſten, ſowie auf die Landesfeſtungen. Wir folgen ihr in dieſen<lb/> Richtungen.</p><lb/> <p>Aus der Erſchlaffung der Reſtaurationsepoche erhob Marſchall Soults<lb/> kriegserfahrene Hand das franzöſiſche Heer während der letzten zwei Jahr-<lb/> zehnte wieder auf einen hohen Standpunkt techniſcher Ausbildung und<lb/> innerer Tüchtigkeit. Der afrikaniſche Krieg übte dasſelbe in den Stra-<lb/> pazen und Tugenden des Kriegers, und erzog eine große Anzahl jüngerer<lb/> Officiere in allen Erforderniſſen guter Heerführer. Bereits im Jahr<lb/> 1844 beſtand die franzöſiſche Armee aus 336 Bataillonen Fußvolk, 308<lb/> Schwadronen Reiterei, 14 Regimentern Artillerie mit 206 Batterien, zu<lb/> denen noch zahlreiche Abtheilungen von Genietruppen, Veteranen- und<lb/> Straf-(Arbeits-) Compagnien treten. Eine Geſammtſtärke von 5 bis<lb/> 600,000 Mann. Jährlich werden 80,000 Mann (aus 300,000 Con-<lb/> ſcriptionspflichtigen) zu ſiebenjährigem Dienſt durch das Loos ausgehoben.<lb/> Unabhängig von dieſer Kriegsmacht verſehen noch 120 Gendarmerie-<lb/> Compagnien und eine halbe Million Nationalgarden den Sicherheitsdienſt<lb/> im Landesinnern. Selbſt nachdem durch die Februar-Revolution die<lb/> Armee in ſeinem Innern mächtige Erſchütterungen erlitten hatte, konnte<lb/> doch die Regierung durch Lamartine am 23 Mai 1848 erklären daß Frank-<lb/> reich wieder über ein Heer von 500,000 Mann mit 80,000 Pferden ge-<lb/> biete. Dieſe Landmacht Frankreichs kann aber in ihren Operationen<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1582/0010]
welche ſomit zwiſchen die gegebene Wirklichkeit und das hervorbringende
Vermögen des Künſtlers gleichſam als eine zweite Natur in die Mitte
tritt; als Erzeugniß der Phantaſie bereits dem Künſtler entgegengebildet
und ein fügſamerer Stoff für ſeine Thätigkeit als die rauhe Wirklichkeit:
weßwegen von jeher die Bildner des Schönen, Dichter, Bildhauer und
Maler, ihre Stoffe vorzugsweiſe der religiöſen Vorſtellungswelt entnom-
men haben. Wenn ſich nun aber im Verlaufe der Zeit dieſe Welt der
religiöſen Phantaſie durch Kritik und Aufklärung immer mehr auflöst,
wenn eines ihrer Gebilde um das andere wie ſchwindendes Gewölk vom
reinen Aether des Geiſtes aufgeſogen wird, wie dann? Iſt es dann mit
der Kunſt zu Ende? Oder ſoll ſie, ſo viel an ihr iſt, die fliehenden Ge-
bilde noch feſthalten, ſich an ihren nebelhaften Saum vergeblich anzuklam-
mern ſuchen? Schwinden ſoll ſie laſſen was einmal Schatten geworden
iſt, meint Viſcher, und friſch ſofort aus der erſten Hand, aus Natur und
Geſchichte, wie bisher meiſt aus der zweiten, den Stoff für ihre Hervor-
bringungen nehmen.
Doch, ermüdet vielleicht von ſo ernſten Fragen, finden die Leſer und,
wenn ſolche zu hoffen wären, auch die Leſerinnen in dieſem Abſchnitte zu-
gleich über menſchlichere Dinge, über Trachten und Moden, Haar- und
Bartdreſſur, Hutformen und Kleiderſchnitt, Spitzen und Stecknadeln ſo
treffende und meiſtens auch ſo luſtige Ausführungen, daß ſie gewiß mit
dem Verfaſſer dieſer Anzeige die Freude über die endlich zu Stande ge-
kommene deutſche Verfaſſung auch ſchon deßwegen theilen werden, weil nun
zu hoffen ſteht die Paulskirche werde demnächſt unſerm Aeſthetiker die
Muße gönnen durch Ausarbeitung des noch fehlenden dritten Theils ſeinem
Werk eine vollſtändigere Krone aufzuſetzen, als in Folge ſeiner und ſeiner
Freunde Bemühungen ſo eben dem König von Preußen eine geboten wer-
den konnte.
General v. Penckers Beiträge zur Beleuchtung einiger
Grundlagen für die künftige Wehrverfaſſung Deutſch-
lands.
A. B. Deutſchlands Erhebung für ſeine Einheit begann mit der
Ueberzeugung daß dieſes Nationalwerk nicht ohne heftigen Widerſtand
der europäiſchen Großmächte vollendet werden könne. Darüber vermochten
uns weder die Friedensverſicherungen der franzöſiſchen Republik, noch die
Neutralitätserklärungen des Czaren zu täuſchen. Gegen den ſkandinavi-
ſchen Norden mußte ſogar der Krieg gleichzeitig mit der deutſchen Erhe-
bung beginnen; und gegen Süden, wo er vorderhand durch die öſterrei-
chiſchen Waffen ſiegreich geendet ſcheint, muß er über lang oder kurz eben-
falls zum deutſchen werden. Freilich ſind die Gründe des unmittelbaren
Ausbruches ſehr verſchieden, und ſie werden auch in der Zukunft die ver-
ſchiedenſten Namen tragen. Denn Einſprache zu erheben gegen die in-
nere Neugeſtaltung Deutſchlands hat keine Großmacht ein wahrhaftes
Recht, ſelbſt die Beruſung auf die von ihnen einſeitig längſt verletzten
Verträge von 1815 iſt nur ein diplomatiſches Gaukelſpiel. Aber freilich
iſt ſämmtlichen nichtdeutſchen Großmächten durch eine ſtarke Einheit
Deutſchlands ihr bisheriges Uebergewicht im europäiſchen Syſtem bedroht,
ihr bisheriger Einfluß auf die Weltpolitik in den Grundfeſten erſchüttert.
Es gilt eine Verlegung des Schwerpunktes des europäiſchen Gleichge-
wichts auf Europa’s natürlichen Mittelpunkt, und damit eine Zerſtörung
jenes künſtlichen Schwebewerkes wodurch bisher „das europäiſche Gleich-
gewicht“ mit tauſend feinen und groben Fäden erhalten ward. National-
kriege müſſen die erſten Folgen dieſer Revolution werden, welche die na-
tionale Großmacht Deutſchland erſchafft. So war denn auch das natür-
lichſte und erſte Bedürfniß des deutſchen Volkes die Einheit ſeiner Wehr-
verfaſſung — einer Wehrverfaſſung welche in der vollkommenen Gleich-
heit der Pflichten aller zunächſt die Bürgſchaft für die Erhaltung gleicher
Rechte aller darböte, vorzüglich auch mit der Vereinigung aller Bevölke-
rungsſchichten und Altersclaſſen im deutſchen Heere eine Gemeinſamkeit
der moraliſchen Gewalt und geiſtigen Bildung erzeugte, durch welche jede
materielle und geiſtige Kraft Deutſchlands zur vollen Geltung käme.
Kriegsgefahr und Krieg klopft nun an alle Pforten des Vaterlandes.
Zwar nicht früher als wir erwarteten, aber doch früher als daß bereits
jene Wehrverfaſſung zu irgendeiner befriedigenden Geſtalt gelangt wäre.
Für eine ſofortige Radicalreform derſelben haben viele geſchrieben. Sie
vergaßen daß dieß heißt: im Augenblick des drohenden Sturmes das Haus
über dem Kopf abbrechen ohne noch ein neues Obdach gefunden zu haben.
Sehr richtig bemerkt in dieſer Beziehung Hr. v. Peucker in ſeinen Bei-
trägen: „Enthuſiaſten ſind für alle Lebensverhältniſſe ſchlechte Rathgeber;
je ernſter dieſe Verhältniſſe ſind, deſto weniger taugen ſie dazu... Ein
Staat welcher ſich mit neuer Jugendkraft erheben will, kann ſeine Waffen
nicht in Friedenswerkzeuge verwandeln, darf das Schwert der Landeswehr
nicht weiter von ſich weglegen als zuläſſig wird um es in jedem Augen-
blick mit feſter und männlicher Hand ergreifen zu können... Darum iſt
auch nicht die kleinſte Schwächung der vorhandenen deutſchen Kriegs-
macht ohne die höchſte Gefährdung der politiſchen Kraft Deutſchlands zu-
läſſig, ſondern im Gegentheil eine unverzügliche Verſtärkung derſelben
auf den bewährten Grundlagen der Erfahrung unerläßlich. Das alte be-
währte Landesſchwert dürfen wir nicht eher aus der Hand legen bis das
neue geſchliffen und eingeübt iſt.“ Damit iſt überhaupt der Grundgedanke
des inhaltreichen Büchleins gegeben. Unwiderleglich entwickelt ſich weiter
wie gerade die jetzige Geſtaltung der Kriege zu Volkskriegen, wie eben
die Neugeſtaltung der Kriegskunſt die Erhaltung der ſtehenden Heere
fordere. Die nationale Begeiſterung an ſich, ſo wichtig ſie auch im ein-
zelnen Kampfe, genügt nicht zur glücklichen Durchführung eines Krieges.
Darum nicht weil ſie, von einer Idee angeregt, auch von äußern Ein-
flüſſen raſch vernichtet werden kann. Freilich machen Formen nicht allein
den tüchtigen Krieger; aber „nicht weil Formen ganz entbehrlich, ſondern
weil in der taktiſchen Ausbildung der Heere in neuerer Zeit große Fort-
ſchritte gemacht worden ſind, iſt eine freiere Bewegung der Heere möglich
geworden; und unzweifelhaft wird noch eine weitere Entwicklung dieſer
Reform nicht nur ohne Gefährdung, ſondern ſelbſt mit wahrer Förderung
der Kriegstüchtigkeit der Heere möglich werden.“ Die moraliſche Kraft
und der ungebeugte Muth eines Volkes ſind nicht hoch genug anzuſchla-
gen, doch werden tüchtige Waffenübung, eine aus fortwährender Gewohn-
heit hervorgegangene Waffenfertigkeit, verbunden mit ſtrenger Disciplin,
Dienſtkenntniß und Dienſtgewohnheit der Truppen und ihrer Führer, nie-
mals durch jene moraliſchen Kräfte entbehrlich gemacht werden. Die
Fortſetzung der Opfer welche die Begeiſterung einer Nationalbewaffnung
anfänglich wie im Spiele brachte, iſt nach einigen unglücklichen Erfolgen
niemals zu erwarten. Beſonders wird ſie „einem kräftigen Feinde welcher
ſeine Vortheile mit Energie und Schnelligkeit verfolgt, in der freien Ebene
faſt immer unterliegen.“ Die Bildungsſchule eines ſtehenden Heeres
bleibt unerläßlich. Dem Vaterlande muß jeder Tropfen Blutes ſeiner
Söhne viel zu heilig ſeyn um „damit Improviſationen zu Lehrcurſen in
der Kriegskenntniß niederzuſchreiben.“ Ein ſolcher Irrthum, in einem
gefährlichen Augenblick begangen, wird oft von Jahrhunderten nicht wie-
der gut gemacht. Waſhington, Amerika’s Befreier, erklärte dem Congreß
während des Freiheitskampfes: die Herſtellung einer Disciplin wie ſie
für die Kriegführung unerläßlich, ſey nicht das Werk eines Tages, nicht
eines Monats, nicht eines Jahres: der Mangel eines ſtehenden Heeres
führe zum unvermeidlichen Ruin des jungen Staates. Dieſe Worte
Waſhingtons, des erfahrenen und gediegenen Feldherrn, hatten bereits
Englands ſchwachem, durch das Weltmeer von ſeinen Unterſtützungen
getrenntem Heere gegenüber ihre volle Geltung. Wir dagegen ſtehen zwei
Großmächten Stirn an Stirn entgegen, welche ihre Sicherheit dem Schutze
gewaltiger Heeresmaſſen anvertrauen!
Die neuere Zeit hat die Berufung auf Frankreichs wie Rußlands
Kriegsmacht oftmals beinahe wie ein Zeichen deutſchen Kleinmuthes mit
Spottlächeln zurückgewieſen. Wir finden dagegen einen Beweis ächten
Muthes nicht darin ſich ſelbſt die möglichen Gefahren wegzuläugnen, wohl
aber darin dieſelben feſt und ſcharf ins Auge zu faſſen, um darnach ab-
zuwägen was bei unſern geringeren Mitteln zunächſt noththut zu ihrer
Begegnung. Die Peucker’ſche Schrift thut dieß in den wichtigſten Be-
ziehungen. Sie entwickelt bei der Frage nach der numeriſchen Stärke
eines deutſchen Heeres ſowohl die Rückſichten auf Frankreichs und auf
Rußlands Kriegsmacht als auch die auf unſere deutſchen Nord- und
Oſtſeeküſten, ſowie auf die Landesfeſtungen. Wir folgen ihr in dieſen
Richtungen.
Aus der Erſchlaffung der Reſtaurationsepoche erhob Marſchall Soults
kriegserfahrene Hand das franzöſiſche Heer während der letzten zwei Jahr-
zehnte wieder auf einen hohen Standpunkt techniſcher Ausbildung und
innerer Tüchtigkeit. Der afrikaniſche Krieg übte dasſelbe in den Stra-
pazen und Tugenden des Kriegers, und erzog eine große Anzahl jüngerer
Officiere in allen Erforderniſſen guter Heerführer. Bereits im Jahr
1844 beſtand die franzöſiſche Armee aus 336 Bataillonen Fußvolk, 308
Schwadronen Reiterei, 14 Regimentern Artillerie mit 206 Batterien, zu
denen noch zahlreiche Abtheilungen von Genietruppen, Veteranen- und
Straf-(Arbeits-) Compagnien treten. Eine Geſammtſtärke von 5 bis
600,000 Mann. Jährlich werden 80,000 Mann (aus 300,000 Con-
ſcriptionspflichtigen) zu ſiebenjährigem Dienſt durch das Loos ausgehoben.
Unabhängig von dieſer Kriegsmacht verſehen noch 120 Gendarmerie-
Compagnien und eine halbe Million Nationalgarden den Sicherheitsdienſt
im Landesinnern. Selbſt nachdem durch die Februar-Revolution die
Armee in ſeinem Innern mächtige Erſchütterungen erlitten hatte, konnte
doch die Regierung durch Lamartine am 23 Mai 1848 erklären daß Frank-
reich wieder über ein Heer von 500,000 Mann mit 80,000 Pferden ge-
biete. Dieſe Landmacht Frankreichs kann aber in ihren Operationen
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(2022-09-16T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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