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Allgemeine Zeitung, Nr. 11, 11. Januar 1872.

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sition in guten Zimmern, erhielten die beste Nahrung, empfiengen Besuche und
konnten Spaziergänge machen.
(Schluß folgt.)



Pirkheimer und Scheurl.

* Das von dem seitdem verstorbenen Frhrn. Franz v. Soden und Dr.
Knaacke zu Potsdam herausgegebene Briefbuch Dr. Christoph Scheurls ist mit
bescheidenen Ansprüchen vor das Publicum getreten, und hat demgemäß auch einen
durchweg freundlichen Empfang gefunden. Man kann dieß zum Theil auf Rech-
nung der Vorliebe für geschichtliche Mittheilungen setzen, besonders wenn sie als
bisher ungekannte Enthüllungen erscheinen; zum Theil mag es auch dem Namen
Nürnbergs zugeschrieben werden, da Scheurl gerade zur Zeit als Nürnberg in der
reformatorischen Frage eine bedeutende Stellung einnahm, daselbst sich befand und
sein Name mit dem Religionsgespräch von 1525 und dem Augsburger Reichstag
von 1530 eng verbunden ist. Gleichwohl gewähren seine Briefe in dieser Hinsicht
nur eine magere Ausbeute, denn es ist auch sonst wohl bekannt daß er sich zwar
anfangs mit großer Theilnahme der reformatorischen Bewegung zuwandte, später
aber davon zurückkam, ohne gerade äußerlich sich feindlich dagegen zu verhalten,
und daß auch selbst seine anfängliche Theilnahme ihn nicht abhielt frühere Ver-
bindungen und Freundschaften mit starren Anhängern der alten Lehre fort und
fort zu hegen, so daß ihm der sehr begreifliche Vorwurf der Doppelzüngigkeit
und Falschheit gemacht wurde. Ist nun aber das Briefbuch weniger aus-
giebig an Lösungen höherer kirchlicher oder politischer Fragen, so gibt es doch sehr
schätzenswerthe Beiträge zur Nürnberger Specialgeschichte, die allerdings nur von
Heimischen gewürdigt werden können. So die Briefe an Ulrich Pinder, später
Dr. juris, Sohn des gleichnamigen Arztes, an den spätern Rector der Lorenzer
Schule Johann Ketzmann, Bruder des Messerschmieds Michel Ketzmann, an den
Genueser Antonio Vento, der eine Nürnbergerin zur Frau hatte, hier Bürger und
ansässig war, und an andere; vor allem sind die Briefe interessant durch die Auf-
klärung die sie über das Mißverhältniß geben in welchem der Briefschreiber zu
Pirkheimer stand.

Woher die Unfreundlichkeit zwischen Pirkheimer und Scheurl gekommen ist,
wird schwer zu ermitteln und festzustellen sein. Am Ende geht es auf die innere
Grundverschiedenheit beider Naturen hinaus, denn die Bezeichnung die Pirk-
heimer den zwar nicht mit Worten Genannten, aber so Gezeichneten, daß er selbst,
Scheurl, nicht zweifelte daß er gemeint sei, zutheil werden läßt, ruhmredig, abge-
schmackt, hoffärtig, anmaßend (gloriosum, insulsum, supinum, arrogantem),
können doch nur das Resultat des Eindrucks sein den die Persönlichkeit und, seit-
dem (1512) Scheurl in Nürnberg war, sein Auftreten auf Pirkheimer gemacht
hatte. Indem nun Scheurl keinen Augenblick zweifelt daß er gemeint sei, war es
ihm zugleich gewiß daß kein anderer als Pirkheimer der Verfasser des Eckius de-
dolatus
sei -- dieser Satire, die allerdings sehr massiv und grob, aber nichtsdesto-
weniger oder vielmehr gerade deßhalb sehr treffend war. Die achselträgerische
Freundlichkeit womit Scheurl sich nach beiden Seiten verhielt, womit er für Luther
gleichsam schwärmte, und in Briefen (vom 2 Jan., 1 April, 30 Sept., 3 Nov.
1517, 20 Dec., 22 Dec. 1518, 9 Mai und 3 Aug. 1519) denselben von dem Fort-
schritt welchen die Theilnahme für seine Lehre mache unterrichtet, womit er aber
gleichzeitig mit fader Zärtlichkeit dem Eck schmeichelte, an demselben Tage, 22 Dec.
1518, an beide schrieb, diesen am 10 April 1519 über die vermuthete Hinneigung
zu Luther beruhigt, er sei beiden gleichmäßig zugethan, ihre Streitigkeiten giengen
ihn nichts an, er wolle nur die Freundschaft erhalten, und bitte ihn die gefaßte
ungünstige Meinung abzulegen u. s. w., mußte Pirkheimern anwidern. Auch er
hatte noch in der vom 30 Aug. 1517 (III Kal. Sept.) datirten Schutzschrift für
Reuchlin, der Vorrede zu seiner Uebersetzung von Lucians Piscator, unter den
Gelehrten seiner Zeit Johann Eck, freilich neben Martin Luther und andern, die
bald in das jenseitige Lager übertraten, mit Auszeichnung genannt, aber seitdem
war, nur wenige Wochen später, die große und unheilbare Trennung eingetreten.
Die 95 Theses Luthers gegen den Ablaß gaben die Losung zu der Spaltung, und
es galt jetzt Partei zu nehmen, und nicht zu wähnen die ungeheure plötzlich ent-
standene Kluft könne unbeachtet bleiben, wiewohl viele Wohlmeinende sich noch
lange mit der Hoffnung der Möglichkeit einer Ausgleichung und Vermittelung
schmeichelten. Daß Eck auf seiner Rückreise von der Leipziger Disputation, über
deren Erfolg er sich erbettelte und erkaufte günstige Zeugnisse verschaffte, wie seine
Gegner und Luthers Anhänger behaupteten, gerade zu Scheurls Hochzeit kam, die
am 29 Aug. 1519 begangen wurde, und -- wenn die Stelle im Eck. dedol.
nicht übertreibt -- lustig (non invita Venere) getanzt hatte, was an und für sich
trotz seines geistlichen Standes in der Ansicht der damaligen Zeit unverfänglich
und kein Verbrechen gewesen wäre, war, weil daraus Scheurls Intimität mit Eck
unläugbar hervorgieng, unter den vorliegenden Umständen für Scheurl eine Un-
annehmlichkeit, die ihm viele Verdrießlichkeiten machte.

An der Anwesenheit selbst ist nicht zu zweifeln, nicht nur sagt Eck selbst im
Dialog: er sei auf der Hochzeit gewesen, habe getanzt, und zwar nicht ohne Beifall
netter und witziger Frauen (nec sine glabellarum et argutularum feminarum
laude
), sondern Scheurl selbst sagt es im Briefe vom 1. April 1520 an Spalatin
mit den Worten: adfuit nuper meis hymenaeis, qui tantas tragoedias mihi
excitarunt.
An demselben Tage schrieb er auch an Melanchthon, offenbar um
seine Beziehungen zu Eck in ein möglichst unverfängliches Licht zu setzen:

"Ich
hoffe in meiner Stadt allen Ständen gleichmäßig theuer zu sein, niemand zeiht
mich der Falschheit, außer einem wahrhaft Gottlosen (scelestum), um seine eigene
Bezeichnung zu gebrauchen, denn das Bewußtsein ist mein Zeuge (conscientia
mille testes,
gibt keinen Sinn. Ich lese conscientia mihi testes). Aber, bei
Gott: um die übrigen Klagen zu übergehen, welche Geheimnisse von euch konnte
ich verrathen, oder was sollte Eck bei mir auskundschaften? Wenn die An-
wesenheit Ecks mir so viel Gehässigkeit zuziehen konnte, so höre. Lange
vorher ehe dieses Gewebe angesponnen wurde, gefiel es, nach brüderlicher Liebe,
dem Eck meiner Verheirathung vordem (olim, es war aber noch nicht so lange her)
beizuwohnen; zufällig traf es sich daß er am 4 Aug., von der Leipziger Disputation
heimreisend, auch bei der Verlobung (sponsalibus) zugegen hatte sein können. Wenn
nicht die Vermuthung der bevorstehenden Gesandtschaft die Hochzeit beschleunigt
hätte, so hätte ich sicherlich auch mehrere angenehme Gäste von Wittenberg erwartet
-- keiner der Anführer wird durch meinen Beitritt bereichert, keiner bewirbt sich
um mich, ja begehrt mich nicht einmal. Erasmus hält sich neutral, er haßt diese
Parteiungen, wie sie in Wahrheit zu hassen sind, weil wir alle Christi sind. Unsere
Vornehmen und so ziemlich auch die Plebejer, ja auch die Gelehrten alle, sind dem
Herrn Martin günstig. Die Klosterleute treten aus ihrem Orden, etliche schreiben
auch Bücher ohne vielen Werth, da nichts weniger ihre Aufgabe ist; wir zertheilen
uns, es entstehen innere Parteiungen. Wie möchte ich wünschen die reine Lehre
Christi würde zurückgeführt! Bringt auch gegenseitige Liebe herzu. Ich bin der
allerruhigste Mensch, Streit, Zank, Schmähung, Beleidigung, Verspottung sehe
ich den meisten mißfallen. Herrn Martin habe ich stets von Herzen geliebt, Eck als
alten und wohlverdienten Freund stoße ich nicht von mir. Ich höre viele Köpfe,
viele Stimmen und schwöre wenigstens auf keinen, zum Nachtheil des andern. Ich
möchte wir wären alle eins in Christo und begegneten einander recht brüderlich;
dadurch komme ich bei etlichen in Verdacht, werde zum Stadtgespräch und durch
seltsame Märlein verspottet. Gewiß, wenn mich bisher nicht die christliche Religion
abgehalten hätte, so wäre es mir gar nicht schwer gewesen den Ruchlosen (scelestum)
mit ruchlosen und gehässigen Farben ganz nach dem Leben zu malen und alle diese Lügen
zu verscheuchen; ich vertraue jedoch daß Herrn Martin und dir diese Gerüchte gar
nicht gefallen, so wie sie auch unserm Rath über die Maßen zu mißfallen anfangen.
Vielleicht wird einst meine Unbescholtenheit allen offenbar werden, da ich mir keines
Unrechts bewußt bin. Wenn du weitere Auskunft begehrst, bester Melanchthon,
so werde ich auf Benachrichtigung mich so bewähren wie du mich wünschest. Dem
Herrn Martin und Carlstadt bitte ich mich ganz besonders zu empfehlen."

Hiemit hat die Correspondenz mit Melanchthon ebenso wie mit Luther ein
Ende. Daß dieser Brief eine Vertheidigung gegen die im Eck dedol. gegen ihn
gerichteten Vorwürfe sind, geht namentlich daraus hervor daß Eck in demselben
sagt: "Ich habe ihn in der Auskundschaftung der Luther'schen Händel zum Spion
gebraucht, denn er gab sich für Luthers Freund aus." Jedenfalls saß der Hieb
den Pirkheimer auf ihn geführt hatte fest, sonst würde Scheurl nicht so viele Worte
gemacht haben, um sich schön zu schauen. Pirkheimer wollte die Anonymität des
Verfassers aufs strengste bewahren und hatte sich deßhalb in dem Munde Ecks
ebenfalls nicht geschont. Eck sagt: "Ich traue dem Wilibald auch nicht, denn er
ist auch ein Lutheraner." Als dann die Freunde sagen: "Wir hielten ihn aber für
deinen besten Freund," so antwortet Eck: "So stellte sich der Ruchlose (scelestus),
und ich glaubte festiglich daran, aber noch nicht lang wurde mir heimlich ein Brief
von ihm hinterbracht, worin er mich einen ruhmredigen Sophisten und einen im
Griechischen Unwissenden nannte." Indem nämlich die Freunde die zu des kranken
Eck Lager gerufen worden sind, vorschlagen von anderen Orten Hülfe kommen zu
lassen, erst von Salzburg, dann von Augsburg, gegen welche beide Orte Eck aber
Einwendungen macht, hierauf von Nürnberg, wo Wilibald sei und der andere, die
Halbscheid seiner Seele, so weist er auch diese, wie man sieht, zurück, und läßt sich
endlich Leipzig gefallen, von wo ärztlicher Beistand in der Person eines Scharf-
richters gebracht wird, der ihn auf Tod und Leben zu curiren übernimmt, weßhalb
Eck zuerst zur Beichte veranlaßt und hierauf erst gehobelt wird, so daß die
Ecken von ihm abfallen, dann aber geschoren, und zuletzt, nachdem er einen Schlaf-
trunk bekommen hat, geschunden wird, um seine inneren Unreinigkeiten, Lügenhaf-
tigkeit, Selbstsucht u. s. w. aus ihm heraus zu schaffen. Hierauf erwacht er voll-
ständig geheilt zu einem neuen Leben. Der ganze Act gemahnt an das Narren-
schneiden des Hanns Sachs. Scheurl kommt also in der ganzen Satire nur
nebenher vor, fand sich aber doch so getroffen, daß er seine Unschuld an die große
Glocke zu hängen für nöthig fand. Um so mehr war er über diesen Angriff alte-
rirt, als er, kaum 14 Tage nach der Hochzeit (13 Sept. 1519), als Gesandter nach
Spanien abgegangen, jetzt, als er am 2 Febr. 1520, nicht ohne großes Selbstgefühl
heimgekehrt war, diesen garstigen Willkommen fand.

Die Gegenwart steht jenen Zeiten zu fern, um mit Gewißheit zu entscheiden
ob Pirkheimer ihm zu viel gethan habe, oder nicht. Anlässe dazu waren jedenfalls vor-
handen. Die Vorwürfe des gloriosus, insulsus, supinus, arrogans können nicht aus
der Luft gegriffen gewesen sein. Auf seinen Aufenthalt in Italien und seine Pro-
fessur in Wittenberg mag er sich gelegentlich etwas zu gute gethan haben. Ob ihn
aber Eck bloß als Spion gebraucht habe, darin mag Pirkheimer vielleicht zu weit
gegangen sein. Scheurl darf wohl auch von absichtlicher Perfidie freigesprochen
werden, es bedurfte derselben gar nicht, da er vermöge einer gewissen Wichtigthuerei
es liebte dahin und dorthin zu schreiben und Briefwechsel anzuknüpfen, ohne daß
es begehrt wurde, so mit Luther und mit Melanchthon. Um diese Briefe nicht ganz
leer und bloß mit Redensarten angefüllt zu lassen, schrieb er alle Neuigkeiten die
er eben erfuhr. Weit über den gewöhnlichen Bereich der Tagesgeschichte gieng das
was er schrieb doch nicht hinaus, denn er saß nicht im Rath, und konnte also nur
wissen was in den Familien mit denen er in Verbindung stand, den Ebnern, allen-
falls auch Nützeln, besprochen wurde. Mit Pirkheimer kam er offenbar weder
vorher noch nachher viel in Berührung, beide Naturen waren einander zu anti-
pathisch. Man sehe nur ihre Porträte. Dabei ist es auffallend wie oft er Albrecht
Dürers, meist mit einem ehrenden Beisatz, als Apelles Germanicus gedenkt, der doch
in innigster Freundschaft mit Pirkheimer war. Ueber die Autorschaft des Eck.
dedol.
ist, schon seit ihn Riederer 1762 in dem Beitrag zu den Reformationsurkun-
den hat wieder abdrucken lassen und mit Einleitung und Anmerkungen versehen
hat, kein Zweifel mehr. Luther sagte: Dialogus ingenium olet Bilibaldi, meo
judicio. Offensus est enim D. Scheurlo etc.
(Rieder. S. 146). Ihm war also
die Stimmung Pirkheimers gegen Scheurl nicht unbekannt. Ebenso sagte Pirk-
heimer (ebend. S. 152): dolor ille S. seu mavis doctor S. in quem multa
contuli beneficia, primus me huius rei insimulavit etc.
Riederer selbst war
ebenfalls über den Gemeinten nicht im Zweifel, aber er getraut sich nicht seinen
Namen auszusprechen, sondern sagt nur: "dem rechtschaffenen und wohlverdienten
Manne, der hier gemeint ist, schaden diese beißenden Worte so wenig an seinem
gegründeten Ruhm, als es Pirkheimer und Hutten schadet daß sie, dieser scelestus,

ſition in guten Zimmern, erhielten die beſte Nahrung, empfiengen Beſuche und
konnten Spaziergänge machen.
(Schluß folgt.)



Pirkheimer und Scheurl.

* Das von dem ſeitdem verſtorbenen Frhrn. Franz v. Soden und Dr.
Knaacke zu Potsdam herausgegebene Briefbuch Dr. Chriſtoph Scheurls iſt mit
beſcheidenen Anſprüchen vor das Publicum getreten, und hat demgemäß auch einen
durchweg freundlichen Empfang gefunden. Man kann dieß zum Theil auf Rech-
nung der Vorliebe für geſchichtliche Mittheilungen ſetzen, beſonders wenn ſie als
bisher ungekannte Enthüllungen erſcheinen; zum Theil mag es auch dem Namen
Nürnbergs zugeſchrieben werden, da Scheurl gerade zur Zeit als Nürnberg in der
reformatoriſchen Frage eine bedeutende Stellung einnahm, daſelbſt ſich befand und
ſein Name mit dem Religionsgeſpräch von 1525 und dem Augsburger Reichstag
von 1530 eng verbunden iſt. Gleichwohl gewähren ſeine Briefe in dieſer Hinſicht
nur eine magere Ausbeute, denn es iſt auch ſonſt wohl bekannt daß er ſich zwar
anfangs mit großer Theilnahme der reformatoriſchen Bewegung zuwandte, ſpäter
aber davon zurückkam, ohne gerade äußerlich ſich feindlich dagegen zu verhalten,
und daß auch ſelbſt ſeine anfängliche Theilnahme ihn nicht abhielt frühere Ver-
bindungen und Freundſchaften mit ſtarren Anhängern der alten Lehre fort und
fort zu hegen, ſo daß ihm der ſehr begreifliche Vorwurf der Doppelzüngigkeit
und Falſchheit gemacht wurde. Iſt nun aber das Briefbuch weniger aus-
giebig an Löſungen höherer kirchlicher oder politiſcher Fragen, ſo gibt es doch ſehr
ſchätzenswerthe Beiträge zur Nürnberger Specialgeſchichte, die allerdings nur von
Heimiſchen gewürdigt werden können. So die Briefe an Ulrich Pinder, ſpäter
Dr. juris, Sohn des gleichnamigen Arztes, an den ſpätern Rector der Lorenzer
Schule Johann Ketzmann, Bruder des Meſſerſchmieds Michel Ketzmann, an den
Genueſer Antonio Vento, der eine Nürnbergerin zur Frau hatte, hier Bürger und
anſäſſig war, und an andere; vor allem ſind die Briefe intereſſant durch die Auf-
klärung die ſie über das Mißverhältniß geben in welchem der Briefſchreiber zu
Pirkheimer ſtand.

Woher die Unfreundlichkeit zwiſchen Pirkheimer und Scheurl gekommen iſt,
wird ſchwer zu ermitteln und feſtzuſtellen ſein. Am Ende geht es auf die innere
Grundverſchiedenheit beider Naturen hinaus, denn die Bezeichnung die Pirk-
heimer den zwar nicht mit Worten Genannten, aber ſo Gezeichneten, daß er ſelbſt,
Scheurl, nicht zweifelte daß er gemeint ſei, zutheil werden läßt, ruhmredig, abge-
ſchmackt, hoffärtig, anmaßend (gloriosum, insulsum, supinum, arrogantem),
können doch nur das Reſultat des Eindrucks ſein den die Perſönlichkeit und, ſeit-
dem (1512) Scheurl in Nürnberg war, ſein Auftreten auf Pirkheimer gemacht
hatte. Indem nun Scheurl keinen Augenblick zweifelt daß er gemeint ſei, war es
ihm zugleich gewiß daß kein anderer als Pirkheimer der Verfaſſer des Eckius de-
dolatus
ſei — dieſer Satire, die allerdings ſehr maſſiv und grob, aber nichtsdeſto-
weniger oder vielmehr gerade deßhalb ſehr treffend war. Die achſelträgeriſche
Freundlichkeit womit Scheurl ſich nach beiden Seiten verhielt, womit er für Luther
gleichſam ſchwärmte, und in Briefen (vom 2 Jan., 1 April, 30 Sept., 3 Nov.
1517, 20 Dec., 22 Dec. 1518, 9 Mai und 3 Aug. 1519) denſelben von dem Fort-
ſchritt welchen die Theilnahme für ſeine Lehre mache unterrichtet, womit er aber
gleichzeitig mit fader Zärtlichkeit dem Eck ſchmeichelte, an demſelben Tage, 22 Dec.
1518, an beide ſchrieb, dieſen am 10 April 1519 über die vermuthete Hinneigung
zu Luther beruhigt, er ſei beiden gleichmäßig zugethan, ihre Streitigkeiten giengen
ihn nichts an, er wolle nur die Freundſchaft erhalten, und bitte ihn die gefaßte
ungünſtige Meinung abzulegen u. ſ. w., mußte Pirkheimern anwidern. Auch er
hatte noch in der vom 30 Aug. 1517 (III Kal. Sept.) datirten Schutzſchrift für
Reuchlin, der Vorrede zu ſeiner Ueberſetzung von Lucians Piſcator, unter den
Gelehrten ſeiner Zeit Johann Eck, freilich neben Martin Luther und andern, die
bald in das jenſeitige Lager übertraten, mit Auszeichnung genannt, aber ſeitdem
war, nur wenige Wochen ſpäter, die große und unheilbare Trennung eingetreten.
Die 95 Theſes Luthers gegen den Ablaß gaben die Loſung zu der Spaltung, und
es galt jetzt Partei zu nehmen, und nicht zu wähnen die ungeheure plötzlich ent-
ſtandene Kluft könne unbeachtet bleiben, wiewohl viele Wohlmeinende ſich noch
lange mit der Hoffnung der Möglichkeit einer Ausgleichung und Vermittelung
ſchmeichelten. Daß Eck auf ſeiner Rückreiſe von der Leipziger Disputation, über
deren Erfolg er ſich erbettelte und erkaufte günſtige Zeugniſſe verſchaffte, wie ſeine
Gegner und Luthers Anhänger behaupteten, gerade zu Scheurls Hochzeit kam, die
am 29 Aug. 1519 begangen wurde, und — wenn die Stelle im Eck. dedol.
nicht übertreibt — luſtig (non invita Venere) getanzt hatte, was an und für ſich
trotz ſeines geiſtlichen Standes in der Anſicht der damaligen Zeit unverfänglich
und kein Verbrechen geweſen wäre, war, weil daraus Scheurls Intimität mit Eck
unläugbar hervorgieng, unter den vorliegenden Umſtänden für Scheurl eine Un-
annehmlichkeit, die ihm viele Verdrießlichkeiten machte.

An der Anweſenheit ſelbſt iſt nicht zu zweifeln, nicht nur ſagt Eck ſelbſt im
Dialog: er ſei auf der Hochzeit geweſen, habe getanzt, und zwar nicht ohne Beifall
netter und witziger Frauen (nec sine glabellarum et argutularum feminarum
laude
), ſondern Scheurl ſelbſt ſagt es im Briefe vom 1. April 1520 an Spalatin
mit den Worten: adfuit nuper meis hymenaeis, qui tantas tragœdias mihi
excitarunt.
An demſelben Tage ſchrieb er auch an Melanchthon, offenbar um
ſeine Beziehungen zu Eck in ein möglichſt unverfängliches Licht zu ſetzen:

„Ich
hoffe in meiner Stadt allen Ständen gleichmäßig theuer zu ſein, niemand zeiht
mich der Falſchheit, außer einem wahrhaft Gottloſen (scelestum), um ſeine eigene
Bezeichnung zu gebrauchen, denn das Bewußtſein iſt mein Zeuge (conscientia
mille testes,
gibt keinen Sinn. Ich leſe conscientia mihi testes). Aber, bei
Gott: um die übrigen Klagen zu übergehen, welche Geheimniſſe von euch konnte
ich verrathen, oder was ſollte Eck bei mir auskundſchaften? Wenn die An-
weſenheit Ecks mir ſo viel Gehäſſigkeit zuziehen konnte, ſo höre. Lange
vorher ehe dieſes Gewebe angeſponnen wurde, gefiel es, nach brüderlicher Liebe,
dem Eck meiner Verheirathung vordem (olim, es war aber noch nicht ſo lange her)
beizuwohnen; zufällig traf es ſich daß er am 4 Aug., von der Leipziger Disputation
heimreiſend, auch bei der Verlobung (sponsalibus) zugegen hatte ſein können. Wenn
nicht die Vermuthung der bevorſtehenden Geſandtſchaft die Hochzeit beſchleunigt
hätte, ſo hätte ich ſicherlich auch mehrere angenehme Gäſte von Wittenberg erwartet
— keiner der Anführer wird durch meinen Beitritt bereichert, keiner bewirbt ſich
um mich, ja begehrt mich nicht einmal. Erasmus hält ſich neutral, er haßt dieſe
Parteiungen, wie ſie in Wahrheit zu haſſen ſind, weil wir alle Chriſti ſind. Unſere
Vornehmen und ſo ziemlich auch die Plebejer, ja auch die Gelehrten alle, ſind dem
Herrn Martin günſtig. Die Kloſterleute treten aus ihrem Orden, etliche ſchreiben
auch Bücher ohne vielen Werth, da nichts weniger ihre Aufgabe iſt; wir zertheilen
uns, es entſtehen innere Parteiungen. Wie möchte ich wünſchen die reine Lehre
Chriſti würde zurückgeführt! Bringt auch gegenſeitige Liebe herzu. Ich bin der
allerruhigſte Menſch, Streit, Zank, Schmähung, Beleidigung, Verſpottung ſehe
ich den meiſten mißfallen. Herrn Martin habe ich ſtets von Herzen geliebt, Eck als
alten und wohlverdienten Freund ſtoße ich nicht von mir. Ich höre viele Köpfe,
viele Stimmen und ſchwöre wenigſtens auf keinen, zum Nachtheil des andern. Ich
möchte wir wären alle eins in Chriſto und begegneten einander recht brüderlich;
dadurch komme ich bei etlichen in Verdacht, werde zum Stadtgeſpräch und durch
ſeltſame Märlein verſpottet. Gewiß, wenn mich bisher nicht die chriſtliche Religion
abgehalten hätte, ſo wäre es mir gar nicht ſchwer geweſen den Ruchloſen (scelestum)
mit ruchloſen und gehäſſigen Farben ganz nach dem Leben zu malen und alle dieſe Lügen
zu verſcheuchen; ich vertraue jedoch daß Herrn Martin und dir dieſe Gerüchte gar
nicht gefallen, ſo wie ſie auch unſerm Rath über die Maßen zu mißfallen anfangen.
Vielleicht wird einſt meine Unbeſcholtenheit allen offenbar werden, da ich mir keines
Unrechts bewußt bin. Wenn du weitere Auskunft begehrſt, beſter Melanchthon,
ſo werde ich auf Benachrichtigung mich ſo bewähren wie du mich wünſcheſt. Dem
Herrn Martin und Carlſtadt bitte ich mich ganz beſonders zu empfehlen.“

Hiemit hat die Correſpondenz mit Melanchthon ebenſo wie mit Luther ein
Ende. Daß dieſer Brief eine Vertheidigung gegen die im Eck dedol. gegen ihn
gerichteten Vorwürfe ſind, geht namentlich daraus hervor daß Eck in demſelben
ſagt: „Ich habe ihn in der Auskundſchaftung der Luther’ſchen Händel zum Spion
gebraucht, denn er gab ſich für Luthers Freund aus.“ Jedenfalls ſaß der Hieb
den Pirkheimer auf ihn geführt hatte feſt, ſonſt würde Scheurl nicht ſo viele Worte
gemacht haben, um ſich ſchön zu ſchauen. Pirkheimer wollte die Anonymität des
Verfaſſers aufs ſtrengſte bewahren und hatte ſich deßhalb in dem Munde Ecks
ebenfalls nicht geſchont. Eck ſagt: „Ich traue dem Wilibald auch nicht, denn er
iſt auch ein Lutheraner.“ Als dann die Freunde ſagen: „Wir hielten ihn aber für
deinen beſten Freund,“ ſo antwortet Eck: „So ſtellte ſich der Ruchloſe (scelestus),
und ich glaubte feſtiglich daran, aber noch nicht lang wurde mir heimlich ein Brief
von ihm hinterbracht, worin er mich einen ruhmredigen Sophiſten und einen im
Griechiſchen Unwiſſenden nannte.“ Indem nämlich die Freunde die zu des kranken
Eck Lager gerufen worden ſind, vorſchlagen von anderen Orten Hülfe kommen zu
laſſen, erſt von Salzburg, dann von Augsburg, gegen welche beide Orte Eck aber
Einwendungen macht, hierauf von Nürnberg, wo Wilibald ſei und der andere, die
Halbſcheid ſeiner Seele, ſo weist er auch dieſe, wie man ſieht, zurück, und läßt ſich
endlich Leipzig gefallen, von wo ärztlicher Beiſtand in der Perſon eines Scharf-
richters gebracht wird, der ihn auf Tod und Leben zu curiren übernimmt, weßhalb
Eck zuerſt zur Beichte veranlaßt und hierauf erſt gehobelt wird, ſo daß die
Ecken von ihm abfallen, dann aber geſchoren, und zuletzt, nachdem er einen Schlaf-
trunk bekommen hat, geſchunden wird, um ſeine inneren Unreinigkeiten, Lügenhaf-
tigkeit, Selbſtſucht u. ſ. w. aus ihm heraus zu ſchaffen. Hierauf erwacht er voll-
ſtändig geheilt zu einem neuen Leben. Der ganze Act gemahnt an das Narren-
ſchneiden des Hanns Sachs. Scheurl kommt alſo in der ganzen Satire nur
nebenher vor, fand ſich aber doch ſo getroffen, daß er ſeine Unſchuld an die große
Glocke zu hängen für nöthig fand. Um ſo mehr war er über dieſen Angriff alte-
rirt, als er, kaum 14 Tage nach der Hochzeit (13 Sept. 1519), als Geſandter nach
Spanien abgegangen, jetzt, als er am 2 Febr. 1520, nicht ohne großes Selbſtgefühl
heimgekehrt war, dieſen garſtigen Willkommen fand.

Die Gegenwart ſteht jenen Zeiten zu fern, um mit Gewißheit zu entſcheiden
ob Pirkheimer ihm zu viel gethan habe, oder nicht. Anläſſe dazu waren jedenfalls vor-
handen. Die Vorwürfe des gloriosus, insulsus, supinus, arrogans können nicht aus
der Luft gegriffen geweſen ſein. Auf ſeinen Aufenthalt in Italien und ſeine Pro-
feſſur in Wittenberg mag er ſich gelegentlich etwas zu gute gethan haben. Ob ihn
aber Eck bloß als Spion gebraucht habe, darin mag Pirkheimer vielleicht zu weit
gegangen ſein. Scheurl darf wohl auch von abſichtlicher Perfidie freigeſprochen
werden, es bedurfte derſelben gar nicht, da er vermöge einer gewiſſen Wichtigthuerei
es liebte dahin und dorthin zu ſchreiben und Briefwechſel anzuknüpfen, ohne daß
es begehrt wurde, ſo mit Luther und mit Melanchthon. Um dieſe Briefe nicht ganz
leer und bloß mit Redensarten angefüllt zu laſſen, ſchrieb er alle Neuigkeiten die
er eben erfuhr. Weit über den gewöhnlichen Bereich der Tagesgeſchichte gieng das
was er ſchrieb doch nicht hinaus, denn er ſaß nicht im Rath, und konnte alſo nur
wiſſen was in den Familien mit denen er in Verbindung ſtand, den Ebnern, allen-
falls auch Nützeln, beſprochen wurde. Mit Pirkheimer kam er offenbar weder
vorher noch nachher viel in Berührung, beide Naturen waren einander zu anti-
pathiſch. Man ſehe nur ihre Porträte. Dabei iſt es auffallend wie oft er Albrecht
Dürers, meiſt mit einem ehrenden Beiſatz, als Apelles Germanicus gedenkt, der doch
in innigſter Freundſchaft mit Pirkheimer war. Ueber die Autorſchaft des Eck.
dedol.
iſt, ſchon ſeit ihn Riederer 1762 in dem Beitrag zu den Reformationsurkun-
den hat wieder abdrucken laſſen und mit Einleitung und Anmerkungen verſehen
hat, kein Zweifel mehr. Luther ſagte: Dialogus ingenium olet Bilibaldi, meo
judicio. Offensus est enim D. Scheurlo etc.
(Rieder. S. 146). Ihm war alſo
die Stimmung Pirkheimers gegen Scheurl nicht unbekannt. Ebenſo ſagte Pirk-
heimer (ebend. S. 152): dolor ille S. seu mavis doctor S. in quem multa
contuli beneficia, primus me huius rei insimulavit etc.
Riederer ſelbſt war
ebenfalls über den Gemeinten nicht im Zweifel, aber er getraut ſich nicht ſeinen
Namen auszuſprechen, ſondern ſagt nur: „dem rechtſchaffenen und wohlverdienten
Manne, der hier gemeint iſt, ſchaden dieſe beißenden Worte ſo wenig an ſeinem
gegründeten Ruhm, als es Pirkheimer und Hutten ſchadet daß ſie, dieſer scelestus,

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&#x2014; keiner der Anführer wird durch meinen Beitritt bereichert, keiner bewirbt &#x017F;ich<lb/>
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Parteiungen, wie &#x017F;ie in Wahrheit zu ha&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind, weil wir alle Chri&#x017F;ti &#x017F;ind. Un&#x017F;ere<lb/>
Vornehmen und &#x017F;o ziemlich auch die Plebejer, ja auch die Gelehrten alle, &#x017F;ind dem<lb/>
Herrn Martin gün&#x017F;tig. Die Klo&#x017F;terleute treten aus ihrem Orden, etliche &#x017F;chreiben<lb/>
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Chri&#x017F;ti würde zurückgeführt! Bringt auch gegen&#x017F;eitige Liebe herzu. Ich bin der<lb/>
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zu ver&#x017F;cheuchen; ich vertraue jedoch daß Herrn Martin und dir die&#x017F;e Gerüchte gar<lb/>
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Eck zuer&#x017F;t zur Beichte veranlaßt und hierauf er&#x017F;t gehobelt wird, &#x017F;o daß die<lb/>
Ecken von ihm abfallen, dann aber ge&#x017F;choren, und zuletzt, nachdem er einen Schlaf-<lb/>
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[155/0011] ſition in guten Zimmern, erhielten die beſte Nahrung, empfiengen Beſuche und konnten Spaziergänge machen. (Schluß folgt.) Pirkheimer und Scheurl. * Das von dem ſeitdem verſtorbenen Frhrn. Franz v. Soden und Dr. Knaacke zu Potsdam herausgegebene Briefbuch Dr. Chriſtoph Scheurls iſt mit beſcheidenen Anſprüchen vor das Publicum getreten, und hat demgemäß auch einen durchweg freundlichen Empfang gefunden. Man kann dieß zum Theil auf Rech- nung der Vorliebe für geſchichtliche Mittheilungen ſetzen, beſonders wenn ſie als bisher ungekannte Enthüllungen erſcheinen; zum Theil mag es auch dem Namen Nürnbergs zugeſchrieben werden, da Scheurl gerade zur Zeit als Nürnberg in der reformatoriſchen Frage eine bedeutende Stellung einnahm, daſelbſt ſich befand und ſein Name mit dem Religionsgeſpräch von 1525 und dem Augsburger Reichstag von 1530 eng verbunden iſt. Gleichwohl gewähren ſeine Briefe in dieſer Hinſicht nur eine magere Ausbeute, denn es iſt auch ſonſt wohl bekannt daß er ſich zwar anfangs mit großer Theilnahme der reformatoriſchen Bewegung zuwandte, ſpäter aber davon zurückkam, ohne gerade äußerlich ſich feindlich dagegen zu verhalten, und daß auch ſelbſt ſeine anfängliche Theilnahme ihn nicht abhielt frühere Ver- bindungen und Freundſchaften mit ſtarren Anhängern der alten Lehre fort und fort zu hegen, ſo daß ihm der ſehr begreifliche Vorwurf der Doppelzüngigkeit und Falſchheit gemacht wurde. Iſt nun aber das Briefbuch weniger aus- giebig an Löſungen höherer kirchlicher oder politiſcher Fragen, ſo gibt es doch ſehr ſchätzenswerthe Beiträge zur Nürnberger Specialgeſchichte, die allerdings nur von Heimiſchen gewürdigt werden können. So die Briefe an Ulrich Pinder, ſpäter Dr. juris, Sohn des gleichnamigen Arztes, an den ſpätern Rector der Lorenzer Schule Johann Ketzmann, Bruder des Meſſerſchmieds Michel Ketzmann, an den Genueſer Antonio Vento, der eine Nürnbergerin zur Frau hatte, hier Bürger und anſäſſig war, und an andere; vor allem ſind die Briefe intereſſant durch die Auf- klärung die ſie über das Mißverhältniß geben in welchem der Briefſchreiber zu Pirkheimer ſtand. Woher die Unfreundlichkeit zwiſchen Pirkheimer und Scheurl gekommen iſt, wird ſchwer zu ermitteln und feſtzuſtellen ſein. Am Ende geht es auf die innere Grundverſchiedenheit beider Naturen hinaus, denn die Bezeichnung die Pirk- heimer den zwar nicht mit Worten Genannten, aber ſo Gezeichneten, daß er ſelbſt, Scheurl, nicht zweifelte daß er gemeint ſei, zutheil werden läßt, ruhmredig, abge- ſchmackt, hoffärtig, anmaßend (gloriosum, insulsum, supinum, arrogantem), können doch nur das Reſultat des Eindrucks ſein den die Perſönlichkeit und, ſeit- dem (1512) Scheurl in Nürnberg war, ſein Auftreten auf Pirkheimer gemacht hatte. Indem nun Scheurl keinen Augenblick zweifelt daß er gemeint ſei, war es ihm zugleich gewiß daß kein anderer als Pirkheimer der Verfaſſer des Eckius de- dolatus ſei — dieſer Satire, die allerdings ſehr maſſiv und grob, aber nichtsdeſto- weniger oder vielmehr gerade deßhalb ſehr treffend war. Die achſelträgeriſche Freundlichkeit womit Scheurl ſich nach beiden Seiten verhielt, womit er für Luther gleichſam ſchwärmte, und in Briefen (vom 2 Jan., 1 April, 30 Sept., 3 Nov. 1517, 20 Dec., 22 Dec. 1518, 9 Mai und 3 Aug. 1519) denſelben von dem Fort- ſchritt welchen die Theilnahme für ſeine Lehre mache unterrichtet, womit er aber gleichzeitig mit fader Zärtlichkeit dem Eck ſchmeichelte, an demſelben Tage, 22 Dec. 1518, an beide ſchrieb, dieſen am 10 April 1519 über die vermuthete Hinneigung zu Luther beruhigt, er ſei beiden gleichmäßig zugethan, ihre Streitigkeiten giengen ihn nichts an, er wolle nur die Freundſchaft erhalten, und bitte ihn die gefaßte ungünſtige Meinung abzulegen u. ſ. w., mußte Pirkheimern anwidern. Auch er hatte noch in der vom 30 Aug. 1517 (III Kal. Sept.) datirten Schutzſchrift für Reuchlin, der Vorrede zu ſeiner Ueberſetzung von Lucians Piſcator, unter den Gelehrten ſeiner Zeit Johann Eck, freilich neben Martin Luther und andern, die bald in das jenſeitige Lager übertraten, mit Auszeichnung genannt, aber ſeitdem war, nur wenige Wochen ſpäter, die große und unheilbare Trennung eingetreten. Die 95 Theſes Luthers gegen den Ablaß gaben die Loſung zu der Spaltung, und es galt jetzt Partei zu nehmen, und nicht zu wähnen die ungeheure plötzlich ent- ſtandene Kluft könne unbeachtet bleiben, wiewohl viele Wohlmeinende ſich noch lange mit der Hoffnung der Möglichkeit einer Ausgleichung und Vermittelung ſchmeichelten. Daß Eck auf ſeiner Rückreiſe von der Leipziger Disputation, über deren Erfolg er ſich erbettelte und erkaufte günſtige Zeugniſſe verſchaffte, wie ſeine Gegner und Luthers Anhänger behaupteten, gerade zu Scheurls Hochzeit kam, die am 29 Aug. 1519 begangen wurde, und — wenn die Stelle im Eck. dedol. nicht übertreibt — luſtig (non invita Venere) getanzt hatte, was an und für ſich trotz ſeines geiſtlichen Standes in der Anſicht der damaligen Zeit unverfänglich und kein Verbrechen geweſen wäre, war, weil daraus Scheurls Intimität mit Eck unläugbar hervorgieng, unter den vorliegenden Umſtänden für Scheurl eine Un- annehmlichkeit, die ihm viele Verdrießlichkeiten machte. An der Anweſenheit ſelbſt iſt nicht zu zweifeln, nicht nur ſagt Eck ſelbſt im Dialog: er ſei auf der Hochzeit geweſen, habe getanzt, und zwar nicht ohne Beifall netter und witziger Frauen (nec sine glabellarum et argutularum feminarum laude), ſondern Scheurl ſelbſt ſagt es im Briefe vom 1. April 1520 an Spalatin mit den Worten: adfuit nuper meis hymenaeis, qui tantas tragœdias mihi excitarunt. An demſelben Tage ſchrieb er auch an Melanchthon, offenbar um ſeine Beziehungen zu Eck in ein möglichſt unverfängliches Licht zu ſetzen: „Ich hoffe in meiner Stadt allen Ständen gleichmäßig theuer zu ſein, niemand zeiht mich der Falſchheit, außer einem wahrhaft Gottloſen (scelestum), um ſeine eigene Bezeichnung zu gebrauchen, denn das Bewußtſein iſt mein Zeuge (conscientia mille testes, gibt keinen Sinn. Ich leſe conscientia mihi testes). Aber, bei Gott: um die übrigen Klagen zu übergehen, welche Geheimniſſe von euch konnte ich verrathen, oder was ſollte Eck bei mir auskundſchaften? Wenn die An- weſenheit Ecks mir ſo viel Gehäſſigkeit zuziehen konnte, ſo höre. Lange vorher ehe dieſes Gewebe angeſponnen wurde, gefiel es, nach brüderlicher Liebe, dem Eck meiner Verheirathung vordem (olim, es war aber noch nicht ſo lange her) beizuwohnen; zufällig traf es ſich daß er am 4 Aug., von der Leipziger Disputation heimreiſend, auch bei der Verlobung (sponsalibus) zugegen hatte ſein können. Wenn nicht die Vermuthung der bevorſtehenden Geſandtſchaft die Hochzeit beſchleunigt hätte, ſo hätte ich ſicherlich auch mehrere angenehme Gäſte von Wittenberg erwartet — keiner der Anführer wird durch meinen Beitritt bereichert, keiner bewirbt ſich um mich, ja begehrt mich nicht einmal. Erasmus hält ſich neutral, er haßt dieſe Parteiungen, wie ſie in Wahrheit zu haſſen ſind, weil wir alle Chriſti ſind. Unſere Vornehmen und ſo ziemlich auch die Plebejer, ja auch die Gelehrten alle, ſind dem Herrn Martin günſtig. Die Kloſterleute treten aus ihrem Orden, etliche ſchreiben auch Bücher ohne vielen Werth, da nichts weniger ihre Aufgabe iſt; wir zertheilen uns, es entſtehen innere Parteiungen. Wie möchte ich wünſchen die reine Lehre Chriſti würde zurückgeführt! Bringt auch gegenſeitige Liebe herzu. Ich bin der allerruhigſte Menſch, Streit, Zank, Schmähung, Beleidigung, Verſpottung ſehe ich den meiſten mißfallen. Herrn Martin habe ich ſtets von Herzen geliebt, Eck als alten und wohlverdienten Freund ſtoße ich nicht von mir. Ich höre viele Köpfe, viele Stimmen und ſchwöre wenigſtens auf keinen, zum Nachtheil des andern. Ich möchte wir wären alle eins in Chriſto und begegneten einander recht brüderlich; dadurch komme ich bei etlichen in Verdacht, werde zum Stadtgeſpräch und durch ſeltſame Märlein verſpottet. Gewiß, wenn mich bisher nicht die chriſtliche Religion abgehalten hätte, ſo wäre es mir gar nicht ſchwer geweſen den Ruchloſen (scelestum) mit ruchloſen und gehäſſigen Farben ganz nach dem Leben zu malen und alle dieſe Lügen zu verſcheuchen; ich vertraue jedoch daß Herrn Martin und dir dieſe Gerüchte gar nicht gefallen, ſo wie ſie auch unſerm Rath über die Maßen zu mißfallen anfangen. Vielleicht wird einſt meine Unbeſcholtenheit allen offenbar werden, da ich mir keines Unrechts bewußt bin. Wenn du weitere Auskunft begehrſt, beſter Melanchthon, ſo werde ich auf Benachrichtigung mich ſo bewähren wie du mich wünſcheſt. Dem Herrn Martin und Carlſtadt bitte ich mich ganz beſonders zu empfehlen.“ Hiemit hat die Correſpondenz mit Melanchthon ebenſo wie mit Luther ein Ende. Daß dieſer Brief eine Vertheidigung gegen die im Eck dedol. gegen ihn gerichteten Vorwürfe ſind, geht namentlich daraus hervor daß Eck in demſelben ſagt: „Ich habe ihn in der Auskundſchaftung der Luther’ſchen Händel zum Spion gebraucht, denn er gab ſich für Luthers Freund aus.“ Jedenfalls ſaß der Hieb den Pirkheimer auf ihn geführt hatte feſt, ſonſt würde Scheurl nicht ſo viele Worte gemacht haben, um ſich ſchön zu ſchauen. Pirkheimer wollte die Anonymität des Verfaſſers aufs ſtrengſte bewahren und hatte ſich deßhalb in dem Munde Ecks ebenfalls nicht geſchont. Eck ſagt: „Ich traue dem Wilibald auch nicht, denn er iſt auch ein Lutheraner.“ Als dann die Freunde ſagen: „Wir hielten ihn aber für deinen beſten Freund,“ ſo antwortet Eck: „So ſtellte ſich der Ruchloſe (scelestus), und ich glaubte feſtiglich daran, aber noch nicht lang wurde mir heimlich ein Brief von ihm hinterbracht, worin er mich einen ruhmredigen Sophiſten und einen im Griechiſchen Unwiſſenden nannte.“ Indem nämlich die Freunde die zu des kranken Eck Lager gerufen worden ſind, vorſchlagen von anderen Orten Hülfe kommen zu laſſen, erſt von Salzburg, dann von Augsburg, gegen welche beide Orte Eck aber Einwendungen macht, hierauf von Nürnberg, wo Wilibald ſei und der andere, die Halbſcheid ſeiner Seele, ſo weist er auch dieſe, wie man ſieht, zurück, und läßt ſich endlich Leipzig gefallen, von wo ärztlicher Beiſtand in der Perſon eines Scharf- richters gebracht wird, der ihn auf Tod und Leben zu curiren übernimmt, weßhalb Eck zuerſt zur Beichte veranlaßt und hierauf erſt gehobelt wird, ſo daß die Ecken von ihm abfallen, dann aber geſchoren, und zuletzt, nachdem er einen Schlaf- trunk bekommen hat, geſchunden wird, um ſeine inneren Unreinigkeiten, Lügenhaf- tigkeit, Selbſtſucht u. ſ. w. aus ihm heraus zu ſchaffen. Hierauf erwacht er voll- ſtändig geheilt zu einem neuen Leben. Der ganze Act gemahnt an das Narren- ſchneiden des Hanns Sachs. Scheurl kommt alſo in der ganzen Satire nur nebenher vor, fand ſich aber doch ſo getroffen, daß er ſeine Unſchuld an die große Glocke zu hängen für nöthig fand. Um ſo mehr war er über dieſen Angriff alte- rirt, als er, kaum 14 Tage nach der Hochzeit (13 Sept. 1519), als Geſandter nach Spanien abgegangen, jetzt, als er am 2 Febr. 1520, nicht ohne großes Selbſtgefühl heimgekehrt war, dieſen garſtigen Willkommen fand. Die Gegenwart ſteht jenen Zeiten zu fern, um mit Gewißheit zu entſcheiden ob Pirkheimer ihm zu viel gethan habe, oder nicht. Anläſſe dazu waren jedenfalls vor- handen. Die Vorwürfe des gloriosus, insulsus, supinus, arrogans können nicht aus der Luft gegriffen geweſen ſein. Auf ſeinen Aufenthalt in Italien und ſeine Pro- feſſur in Wittenberg mag er ſich gelegentlich etwas zu gute gethan haben. Ob ihn aber Eck bloß als Spion gebraucht habe, darin mag Pirkheimer vielleicht zu weit gegangen ſein. Scheurl darf wohl auch von abſichtlicher Perfidie freigeſprochen werden, es bedurfte derſelben gar nicht, da er vermöge einer gewiſſen Wichtigthuerei es liebte dahin und dorthin zu ſchreiben und Briefwechſel anzuknüpfen, ohne daß es begehrt wurde, ſo mit Luther und mit Melanchthon. Um dieſe Briefe nicht ganz leer und bloß mit Redensarten angefüllt zu laſſen, ſchrieb er alle Neuigkeiten die er eben erfuhr. Weit über den gewöhnlichen Bereich der Tagesgeſchichte gieng das was er ſchrieb doch nicht hinaus, denn er ſaß nicht im Rath, und konnte alſo nur wiſſen was in den Familien mit denen er in Verbindung ſtand, den Ebnern, allen- falls auch Nützeln, beſprochen wurde. Mit Pirkheimer kam er offenbar weder vorher noch nachher viel in Berührung, beide Naturen waren einander zu anti- pathiſch. Man ſehe nur ihre Porträte. Dabei iſt es auffallend wie oft er Albrecht Dürers, meiſt mit einem ehrenden Beiſatz, als Apelles Germanicus gedenkt, der doch in innigſter Freundſchaft mit Pirkheimer war. Ueber die Autorſchaft des Eck. dedol. iſt, ſchon ſeit ihn Riederer 1762 in dem Beitrag zu den Reformationsurkun- den hat wieder abdrucken laſſen und mit Einleitung und Anmerkungen verſehen hat, kein Zweifel mehr. Luther ſagte: Dialogus ingenium olet Bilibaldi, meo judicio. Offensus est enim D. Scheurlo etc. (Rieder. S. 146). Ihm war alſo die Stimmung Pirkheimers gegen Scheurl nicht unbekannt. Ebenſo ſagte Pirk- heimer (ebend. S. 152): dolor ille S. seu mavis doctor S. in quem multa contuli beneficia, primus me huius rei insimulavit etc. Riederer ſelbſt war ebenfalls über den Gemeinten nicht im Zweifel, aber er getraut ſich nicht ſeinen Namen auszuſprechen, ſondern ſagt nur: „dem rechtſchaffenen und wohlverdienten Manne, der hier gemeint iſt, ſchaden dieſe beißenden Worte ſo wenig an ſeinem gegründeten Ruhm, als es Pirkheimer und Hutten ſchadet daß ſie, dieſer scelestus,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 11, 11. Januar 1872, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine11_1872/11>, abgerufen am 21.11.2024.