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Allgemeine Zeitung, Nr. 11, 11. Januar 1872.

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lem und in Rom gefesselt war. In Santa Maria delle piante ist ein Stein zur
Verehrung ausgestellt in welchem Christus seine Fußspuren eingedrückt hat als
er den aus Rom fliehenden Petrus zur Umkehr bewog.

In San Pietro in Carcere ist an einer Wand der Abdruck eines menschlichen
Profils wahrnehmbar; es soll der Abdruck des Gesichtes Petri sein, welchen beim
Hinabsteigen in das Gefängniß der Kerkermeister an die Wand schleuderte, worauf
aber diese nachgab und das Profil des Apostels in sich aufnahm. Auch eine Quelle hat
dort Petrus auf wunderbare Weise entspringen lassen, um die bekehrten Kerker-
knechte zu taufen. In Sta. Maria in Traspontina sieht man zwei Säulen an
welchen Petrus und Paulus gegeißelt wurden. Das Bild des Erlösers, welches sich am
Altar befindet, erschien ihnen während dieser Marter, und sprach ihnen Trost zu.
Auf dem Platze St. Peter in Montorio soll Petrus gekreuzigt worden sein, in die
Grube unter dem Altar inmitten der Kirche war das Kreuz eingesenkt. In St.
Jacob Scossacavalli sind zwei große Stücke unbearbeiteten Marmors aufbewahrt,
wovon das eine der Stein ist auf welchem Abraham den Isaak schlachten wollte,
das andere der Altar worauf das Jesuskind zur Beschneidung gelegt wurde. In
Sta. Maria Maggiore sind noch Bretter aus der Krippe Jesu; gleich daneben in
San Prassede steht die Säule woran der Herr gegeißelt wurde. In Sta. Maria
di Campitelli zeigt man unter andern kostbaren Reliquien den Rosenkranz welchen
die heil. Jungfrau bei ihrer Andacht gebrauchte, und in der alten heiligen Capelle
neben dem Lateran befindet sich im Porticus derselben die Treppe aus dem Palaste
des Pilatus, auf welcher der Herr während seines Leidens hinauf und herab-
stieg. Die heilige Capelle selbst, in welche man nicht eintreten darf, enthält
ein Porträt Jesu Christi, das häßlichste Bild welches man sich denken kann --
aber es ist eben auch von den Engeln gemalt. -- Doch genug von diesen Dingen
sogenannten frommen Betrugs, an welche die römischen Haruspices selbst nicht
einmal glauben.

Als Pius IX für den December 1854 die Bischöfe nach Rom beschied, faßte
Fra Andrea neue Hoffnungen für die Reform der Kirche, und stellte seine darauf
bezüglichen Gedanken in einer Abhandlung zusammen, welche er anonym dem Papste
zuschickte. Er legte darin die Größe der religiösen Uebel und die Mittel ihrer Hei-
lung dar. Dringend flehte er Pius IX an: den Bischöfen seine Schrift zur Ein-
sichtnahme und Prüfung vorzulegen, damit Kirche und Christenthum eine neue
Auferstehung feiern möchten. "Ich hatte," sagt Fra Andrea sel bst, "den naiven
Glauben daß es nicht mehr bedürfe als die Wahrheit mit Evidenz darzustellen,
um sie sogleich zur Annahme zu bringen." Aber der Papst verbot den versammel-
ten Bischöfen über die kirchliche Disciplin sich zu äußern, und entließ sie nachdem
sie dem Dogma von der immaculata conceptio ihren Beifall gespendet hatten,
wieder nach Hause.

Im darauffolgenden Jahr 1855 schrieb Fra Andrea noch zweimal anonym
in derselben Angelegenheit an Pius, aber immer vergeblich. Er wandte sich dann
an einige römische Congregationen, trug sein Anliegen Theologen von großem
Namen, wie Perrone und Passaglia vor, aber niemand gab ihm Gehör oder
wollte sich Verfolgungen aussetzen. Fra Andrea verlor darüber den Muth nicht,
und arbeitete seine Schriften aus, um sie an den Episkopat zu schicken. Im Jahr
1856 besuchte er Paris und Turin, in der Hoffnung die dortigen Höfe für die
Sache der kirchlichen Reformation zu interessiren, und von ihnen zu erlangen daß
sie seine Schriften drucken und den Bischöfen zur Beurtheilung vorlegen ließen.
Er fand auch hier keinen Anklang. In Paris suchte er den P. Ventura auf, und theilte
ihm sein Anliegen mit. Ventura, welcher wegen derselben Bestrebungen aus
Italien hatte fliehen müssen, bestätigte den Verfall der Religion, sprach sich aber
im Rückblick auf die oftmaligen und vergeblichen Reformversuche in der katholi-
schen Kirche ganz pessimistisch aus. "Die Bischöfe," äußerte er, "sind alle un-
wissend, und die französischen sind es noch mehr als die italienischen; darum wird
bei ihnen nichts auszurichten sein. Die Dinge werden nicht eher in Ordnung
kommen, als bis Blut in Strömen geflossen ist." Und als hierauf Fra An-
drea an Ventura die Frage richtete: ob man demnach dem steigenden Verfall der
Religion unthätig zusehen solle, gab ihm dieser die verzweiflungsvolle Antwort:
"Gott erlaubt es, warum sollen wir es nicht erlauben? Es hilft keine Predigt mehr,
darum verzichte ich darauf."

Als nach dem Kriege von 1859 ein europäischer Congreß für den Monat
August in Aussicht stand, wollte Fra Andrea durch denselben seine Schriften an
die Bischöfe bringen lassen, und vertraute sich darum einem falschen Freund an,
der ihm versprach den Druck zu besorgen. Aber statt in die Druckerei, lieferte der
Verräther das Manuscript an Antonelli, und die nächste Folge war daß Fra
Andrea am 23 Juli wie ein Verbrecher am hellen Tag, ohne Rücksicht auf sein
Ordenskleid und unter dem Zusammenlauf des Volks, aus seiner Zelle abgeführt
und von Gefängniß zu Gefängniß geschleppt wurde. Alsbald zog die Inquisition die
Sache an sich und instruirte den Proceß. Das heil. Tribunal forderte von Fra
Andrea den Widerruf seiner Ansichten, aber er blieb fest und vertheidigte sich selbst
fünf Monate hindurch, immer die Bitte erhebend: man möge seine Schriften einer
ernsten Untersuchung unterziehen. Am 3 December schrieb er aus dem Kerker
S. Michele an den Assessor des San Uffizio: daß es nur der Eifer für die Wahr-
heit und für die Rettung der Religion sei, der ihn beseele und zum Schreiben ge-
drängt habe. Gerade aus seiner standhaften Opposition möge man erkennen daß
es ihm nur um die Erkenntniß der Wahrheit und nicht um seine eigene Person zu
thun sei, da er ja die letztere durch einen Widerruf leicht retten könnte. Seine
Schriften, seine Predigten, sein ganzes bisheriges Leben ruft er als Zeugen für die
Lauterkeit seiner Gesinnung und Bestrebung auf. "Nichts anderes habe ich mit
meinem Buche gewollt," schreibt er, "als das Heil der Seelen und die Ehre Gottes.
Ich werfe mich in die Arme seiner Vorsehung, tief überzeugt daß, wenn mein Unter-
nehmen von ihm kommt, alle menschlichen Anstrengungen dagegen nutzlos sein
werden." Und er schließt seinen Brief mit den ergreifenden Worten: "Ich hoffe
daß meine Richter sich nicht Vorwürfe des Gewissens bereiten wollen, so daß dieses
eines Tages zu ihnen sagen könnte: Was hat uns dieser arme Mensch böses ge-
than, und was thaten wir ihm? Er suchte aus der Welt eine Heerde und
einen Hirten zu machen, und wir haben ihn verdammt. Er suchte die Welt zu
uns zu führen, und wir haben ihn verworfen. Er suchte die Erneuerung der Re-
ligion und den Frieden für uns, und wir haben ihm den Krieg bereitet. Er suchte
unser Glück, und wir haben ihn unglücklich gemacht. Und wenn er fehlte, so fehlte
er nur aus einem Uebermaß des Eifers für den Triumph der Religion und die
Rettung der Seelen, und wir haben ihn zusammen mit Ketzern und großen Sün-
dern, mit Dieben und Mördern verdammt. Mögt ihr euch niemals den Vorwurf
machen müssen: wir leben glücklich, und er lebt entehrt in den Thränen des harten
Exils, wohin wir ihn geschickt haben, und wo er noch über uns und die Religion
die Gnaden des Himmels herabfleht."

Am 20 Jan. 1860, 48 Tage nach der Absendung dieses Briefes, erfolgte als
Antwort das Urtheil des hl. Tribunals, lautend auf die Suspension in perpetuum
von allen geistlichen Functionen und auf zwölfjährige Kerkerstrafe.

Dieses harte Urtheil für ein vermeintliches Verbrechen, welches nur eine bloße
Absicht und bis jetzt in den stummen Blättern eines Manuscripts vergraben ge-
blieben war, darf uns von Seiten der Inquisition nicht überraschen, deren alte
Praxis es ist gegen Häretiker und sogenannte Dommatizzanti (solche welche auch
andere zur Häresie verleiten) mit der äußersten Strenge einzuschreiten. Es wird
nicht uninteressant sein an dieser Stelle einen Blick auf das San Uffizio zu werfen.

Das San Uffizio, dessen Haupt der Papst selbst ist, hatte drei Classen von
Verbrechen abzuurtheilen: die Liberalen, wozu alle gerechnet wurden welche einer
geheimen politischen Gellschaft angehörten, dann die Ketzer, angefangen von den
bloß der Häresie Verdächtigen bis zu den Dommatizzanti hinauf, endlich die Sol-
lecitanti, diejenigen Geistlichen welche den Beichtstuhl zur Verführung der Frauen
mißbrauchten. Was die Liberalen angeht, so wurden durch den Papst alle Gläu-
bigen zur Denunciation derselben verpflichtet; der Beichtvater durfte die Schuldi-
gen vor seiner Selbstanklage nicht absolviren, und wenn derselbe dadurch auch
Vater, Mutter und Geschwister ins Unglück bringen mußte. Namentlich auf
dem Sterbebette erzielten die Peinigungen der Beichtväter in dieser Beziehung Er-
folge. Bei Häretikern gieng das Tribunal auf Anllage und Untersuchung hin vor.
Der Denunciant hatte seine Angaben durch Zeugen oder Indicien zu bekräftigen.
Zeugen konnten die Verwandten des Angeschuldigten, aber auch völlig ehrlose
Menschen sein, da in Sachen der Ketzerei jedes Zeugniß galt. Waren ein oder
zwei Zeugen verhört, so ward der Angeschuldigte sogleich verhaftet, und seine
Papiere wurden versiegelt. Anders gieng man auf dem Wege der Untersuchung vor.
Faßte nämlich der Inquisitor gegen eine Person Verdacht, so ließ er sie durch
Spione beobachten und, sobald diese gegen sie zeugten, in Haft setzen. Es folgte
dann im Kerker sogleich ein mündliches Verhör, dessen aufgenommenes Protokoll
der Inhaftirte unterzeichnen mußte, und wobei die Verweigerung der Unterschrift
als Ungehorsam gegen das hl. Tribunal und als Zeichen der Schuld gedeutet
wurde. Nachdem der Angeklagte geschworen hatte auf alle Fragen der Wahrheit
gemäß zu antworten, auch wenn er dadurch gegen sich selbst zeugen mußte, begann
ein hinterlistiges Verhör, um den Angeklagten, der bereits für schuldig galt, in
Selbstwidersprüche zu verwickeln und als Schuldigen zu constatiren. Da ihm nie-
mals die Denuncianten und die Zeugen kundgegeben wurden, so ward dadurch schon
jede Vertheidigung behindert. Das San Uffizio glaubte blind dem Ankläger, und
dessen Schwur galt ihm bereits als Beweis der Wahrheit, wenn auch derselbe
wegen seines Charakters vor keinem andern Tribunal der Welt zum Zeugniß zu-
gelassen worden wäre. Dem Angeschuldigten wurde zwar ein Vertheidiger ge-
währt, aber diese Gnade war illusorisch, indem dieser, vom San Uffizio bezahlt, eine
schriftliche Vertheidigung beim Fiscalprocurator zur Approbation einreichte, und
der Fiscalprocurator das Schriftstück nach Gutdünken umarbeitete, daraus nicht
selten alles was zur Rechtfertigung des Inhaftirten dienen konnte ausmerzend. Die
auf solche Weise verbesserte Vertheidigung war dann das Instrument auf dessen
Grund die Richter, über einen Menschen den sie nie niemals gesehen noch gehört
haben, inappellabel urtheilten. Schrieb aber der Angeklagte seine Vertheidigungs-
schrift selbst, so corrigirte sie gleichfalls der Fiscalprocurator, und übergab sie nach
seiner Redaction den Richtern. Erst im Jahr 1815, wo im Kirchenstaat überhaupt
die Tortur abgeschafft wurde, kam sie auch für die Inquisition, in welche sie be-
kanntlich schon Innocenz V eingeführt hatte, in Wegfall. Dafür wurde bei der-
selben die sogenannte moralische Tortur in Anwendung gebracht, welche in der
Verschärfung des Kerkers und des Fastens bis zur Erschöpfung bestand, und eine
vollständige physische und moralische Gebrochenheit erzeugte, in welcher dann
das unglückliche Schlachtopfer zum Verhör geführt wurde. Den Ketzern gegen-
über galt kein Mittel für zu schlecht um sie der Schuld zu überweisen; daher man
auch Spione zu ihnen ins Gefängniß sperrte, damit sie vor diesen ihr Herz eröffnen
möchten. Aber wenn nun auch ein Ketzer seinen Irrthum bereute und abschwor,
so entgieng er wohl der Todesstrafe, blieb aber zu ewigem Gefängniß verurtheilt.
Die Kerker der Ketzer und Liberalen waren furchtbar und ihre Nahrung ungenü-
gend und elend; nur alle 24 Stunden kümmerte sich der Kerkermeister um sie.
Tergolina, Manins Gesandter, welcher vier Jahre in den Gefängnissen des Papstes
schmachtete, berichtet: "Unsere tägliche Kost war so, daß man, wenn nur halb ge-
sättigt, nicht weiter essen konnte; das schwarze schwere Brod, die schlechte Suppe
voll Unraths, das Gemüse voller Würmer; selbst das Wasser, mit fremden Substan-
zen gemischt, enthält öfters lebende Fischchen. Vier Jahre erduldete ich die Qualen
des Hungers, sah ich keinen guten Bissen Brod noch einen Tropfen reinen Wassers.
Nach meiner Befreiung konnte ich ein Jahr lang mich nicht gesättigt fühlen."

Ganz anders und unvergleichlich lax war die Behandlung welche den Sol-
lecitanti zutheil wurde. Das San Uffizio machte aus ihrem furchtbaren Ver-
brechen überhaupt nicht viel Aufhebens. Bei der ersten Anzeige durch eine an-
ständige Frau wurde die Sache nur zu Protokoll genommen und im Archiv nieder-
gelegt; erst wenn dreimal, und zwar von zweifellos glaubwürdigen Frauen, An-
zeigen erstattet worden, wurde über den Fall in der Sitzung verhandelt. War nun
der angeklagte Geistliche ein Mann von Bedeutung und Ansehen, so wurde ihm
zugesteckt daß er sich in Sicherheit bringen oder selbst anzeigen möge. Verstand er
sich zu dem letztern, so legte ihm das San Uffizio die Recitation der Bußpsalmen
für einige Tage auf, und die Sache war beendigt. Wurde aber ein solcher Ver-
brecher einmal ins Gefängniß abgeführt, so schloß sein Proceß gewöhnlich damit
daß ihm acht Tage lang geistliche Exercitien auferlegt wurden und er den Beicht-
stuhl aufgeben mußte. Die Sollecitanten wohnten aber dann auch in der Inqui-

lem und in Rom gefeſſelt war. In Santa Maria delle piante iſt ein Stein zur
Verehrung ausgeſtellt in welchem Chriſtus ſeine Fußſpuren eingedrückt hat als
er den aus Rom fliehenden Petrus zur Umkehr bewog.

In San Pietro in Carcere iſt an einer Wand der Abdruck eines menſchlichen
Profils wahrnehmbar; es ſoll der Abdruck des Geſichtes Petri ſein, welchen beim
Hinabſteigen in das Gefängniß der Kerkermeiſter an die Wand ſchleuderte, worauf
aber dieſe nachgab und das Profil des Apoſtels in ſich aufnahm. Auch eine Quelle hat
dort Petrus auf wunderbare Weiſe entſpringen laſſen, um die bekehrten Kerker-
knechte zu taufen. In Sta. Maria in Traspontina ſieht man zwei Säulen an
welchen Petrus und Paulus gegeißelt wurden. Das Bild des Erlöſers, welches ſich am
Altar befindet, erſchien ihnen während dieſer Marter, und ſprach ihnen Troſt zu.
Auf dem Platze St. Peter in Montorio ſoll Petrus gekreuzigt worden ſein, in die
Grube unter dem Altar inmitten der Kirche war das Kreuz eingeſenkt. In St.
Jacob Scoſſacavalli ſind zwei große Stücke unbearbeiteten Marmors aufbewahrt,
wovon das eine der Stein iſt auf welchem Abraham den Iſaak ſchlachten wollte,
das andere der Altar worauf das Jeſuskind zur Beſchneidung gelegt wurde. In
Sta. Maria Maggiore ſind noch Bretter aus der Krippe Jeſu; gleich daneben in
San Praſſede ſteht die Säule woran der Herr gegeißelt wurde. In Sta. Maria
di Campitelli zeigt man unter andern koſtbaren Reliquien den Roſenkranz welchen
die heil. Jungfrau bei ihrer Andacht gebrauchte, und in der alten heiligen Capelle
neben dem Lateran befindet ſich im Porticus derſelben die Treppe aus dem Palaſte
des Pilatus, auf welcher der Herr während ſeines Leidens hinauf und herab-
ſtieg. Die heilige Capelle ſelbſt, in welche man nicht eintreten darf, enthält
ein Porträt Jeſu Chriſti, das häßlichſte Bild welches man ſich denken kann —
aber es iſt eben auch von den Engeln gemalt. — Doch genug von dieſen Dingen
ſogenannten frommen Betrugs, an welche die römiſchen Haruſpices ſelbſt nicht
einmal glauben.

Als Pius IX für den December 1854 die Biſchöfe nach Rom beſchied, faßte
Fra Andrea neue Hoffnungen für die Reform der Kirche, und ſtellte ſeine darauf
bezüglichen Gedanken in einer Abhandlung zuſammen, welche er anonym dem Papſte
zuſchickte. Er legte darin die Größe der religiöſen Uebel und die Mittel ihrer Hei-
lung dar. Dringend flehte er Pius IX an: den Biſchöfen ſeine Schrift zur Ein-
ſichtnahme und Prüfung vorzulegen, damit Kirche und Chriſtenthum eine neue
Auferſtehung feiern möchten. „Ich hatte,“ ſagt Fra Andrea ſel bſt, „den naiven
Glauben daß es nicht mehr bedürfe als die Wahrheit mit Evidenz darzuſtellen,
um ſie ſogleich zur Annahme zu bringen.“ Aber der Papſt verbot den verſammel-
ten Biſchöfen über die kirchliche Diſciplin ſich zu äußern, und entließ ſie nachdem
ſie dem Dogma von der immaculata conceptio ihren Beifall geſpendet hatten,
wieder nach Hauſe.

Im darauffolgenden Jahr 1855 ſchrieb Fra Andrea noch zweimal anonym
in derſelben Angelegenheit an Pius, aber immer vergeblich. Er wandte ſich dann
an einige römiſche Congregationen, trug ſein Anliegen Theologen von großem
Namen, wie Perrone und Paſſaglia vor, aber niemand gab ihm Gehör oder
wollte ſich Verfolgungen ausſetzen. Fra Andrea verlor darüber den Muth nicht,
und arbeitete ſeine Schriften aus, um ſie an den Epiſkopat zu ſchicken. Im Jahr
1856 beſuchte er Paris und Turin, in der Hoffnung die dortigen Höfe für die
Sache der kirchlichen Reformation zu intereſſiren, und von ihnen zu erlangen daß
ſie ſeine Schriften drucken und den Biſchöfen zur Beurtheilung vorlegen ließen.
Er fand auch hier keinen Anklang. In Paris ſuchte er den P. Ventura auf, und theilte
ihm ſein Anliegen mit. Ventura, welcher wegen derſelben Beſtrebungen aus
Italien hatte fliehen müſſen, beſtätigte den Verfall der Religion, ſprach ſich aber
im Rückblick auf die oftmaligen und vergeblichen Reformverſuche in der katholi-
ſchen Kirche ganz peſſimiſtiſch aus. „Die Biſchöfe,“ äußerte er, „ſind alle un-
wiſſend, und die franzöſiſchen ſind es noch mehr als die italieniſchen; darum wird
bei ihnen nichts auszurichten ſein. Die Dinge werden nicht eher in Ordnung
kommen, als bis Blut in Strömen gefloſſen iſt.“ Und als hierauf Fra An-
drea an Ventura die Frage richtete: ob man demnach dem ſteigenden Verfall der
Religion unthätig zuſehen ſolle, gab ihm dieſer die verzweiflungsvolle Antwort:
„Gott erlaubt es, warum ſollen wir es nicht erlauben? Es hilft keine Predigt mehr,
darum verzichte ich darauf.“

Als nach dem Kriege von 1859 ein europäiſcher Congreß für den Monat
Auguſt in Ausſicht ſtand, wollte Fra Andrea durch denſelben ſeine Schriften an
die Biſchöfe bringen laſſen, und vertraute ſich darum einem falſchen Freund an,
der ihm verſprach den Druck zu beſorgen. Aber ſtatt in die Druckerei, lieferte der
Verräther das Manuſcript an Antonelli, und die nächſte Folge war daß Fra
Andrea am 23 Juli wie ein Verbrecher am hellen Tag, ohne Rückſicht auf ſein
Ordenskleid und unter dem Zuſammenlauf des Volks, aus ſeiner Zelle abgeführt
und von Gefängniß zu Gefängniß geſchleppt wurde. Alsbald zog die Inquiſition die
Sache an ſich und inſtruirte den Proceß. Das heil. Tribunal forderte von Fra
Andrea den Widerruf ſeiner Anſichten, aber er blieb feſt und vertheidigte ſich ſelbſt
fünf Monate hindurch, immer die Bitte erhebend: man möge ſeine Schriften einer
ernſten Unterſuchung unterziehen. Am 3 December ſchrieb er aus dem Kerker
S. Michele an den Aſſeſſor des San Uffizio: daß es nur der Eifer für die Wahr-
heit und für die Rettung der Religion ſei, der ihn beſeele und zum Schreiben ge-
drängt habe. Gerade aus ſeiner ſtandhaften Oppoſition möge man erkennen daß
es ihm nur um die Erkenntniß der Wahrheit und nicht um ſeine eigene Perſon zu
thun ſei, da er ja die letztere durch einen Widerruf leicht retten könnte. Seine
Schriften, ſeine Predigten, ſein ganzes bisheriges Leben ruft er als Zeugen für die
Lauterkeit ſeiner Geſinnung und Beſtrebung auf. „Nichts anderes habe ich mit
meinem Buche gewollt,“ ſchreibt er, „als das Heil der Seelen und die Ehre Gottes.
Ich werfe mich in die Arme ſeiner Vorſehung, tief überzeugt daß, wenn mein Unter-
nehmen von ihm kommt, alle menſchlichen Anſtrengungen dagegen nutzlos ſein
werden.“ Und er ſchließt ſeinen Brief mit den ergreifenden Worten: „Ich hoffe
daß meine Richter ſich nicht Vorwürfe des Gewiſſens bereiten wollen, ſo daß dieſes
eines Tages zu ihnen ſagen könnte: Was hat uns dieſer arme Menſch böſes ge-
than, und was thaten wir ihm? Er ſuchte aus der Welt eine Heerde und
einen Hirten zu machen, und wir haben ihn verdammt. Er ſuchte die Welt zu
uns zu führen, und wir haben ihn verworfen. Er ſuchte die Erneuerung der Re-
ligion und den Frieden für uns, und wir haben ihm den Krieg bereitet. Er ſuchte
unſer Glück, und wir haben ihn unglücklich gemacht. Und wenn er fehlte, ſo fehlte
er nur aus einem Uebermaß des Eifers für den Triumph der Religion und die
Rettung der Seelen, und wir haben ihn zuſammen mit Ketzern und großen Sün-
dern, mit Dieben und Mördern verdammt. Mögt ihr euch niemals den Vorwurf
machen müſſen: wir leben glücklich, und er lebt entehrt in den Thränen des harten
Exils, wohin wir ihn geſchickt haben, und wo er noch über uns und die Religion
die Gnaden des Himmels herabfleht.“

Am 20 Jan. 1860, 48 Tage nach der Abſendung dieſes Briefes, erfolgte als
Antwort das Urtheil des hl. Tribunals, lautend auf die Suspenſion in perpetuum
von allen geiſtlichen Functionen und auf zwölfjährige Kerkerſtrafe.

Dieſes harte Urtheil für ein vermeintliches Verbrechen, welches nur eine bloße
Abſicht und bis jetzt in den ſtummen Blättern eines Manuſcripts vergraben ge-
blieben war, darf uns von Seiten der Inquiſition nicht überraſchen, deren alte
Praxis es iſt gegen Häretiker und ſogenannte Dommatizzanti (ſolche welche auch
andere zur Häreſie verleiten) mit der äußerſten Strenge einzuſchreiten. Es wird
nicht unintereſſant ſein an dieſer Stelle einen Blick auf das San Uffizio zu werfen.

Das San Uffizio, deſſen Haupt der Papſt ſelbſt iſt, hatte drei Claſſen von
Verbrechen abzuurtheilen: die Liberalen, wozu alle gerechnet wurden welche einer
geheimen politiſchen Gellſchaft angehörten, dann die Ketzer, angefangen von den
bloß der Häreſie Verdächtigen bis zu den Dommatizzanti hinauf, endlich die Sol-
lecitanti, diejenigen Geiſtlichen welche den Beichtſtuhl zur Verführung der Frauen
mißbrauchten. Was die Liberalen angeht, ſo wurden durch den Papſt alle Gläu-
bigen zur Denunciation derſelben verpflichtet; der Beichtvater durfte die Schuldi-
gen vor ſeiner Selbſtanklage nicht abſolviren, und wenn derſelbe dadurch auch
Vater, Mutter und Geſchwiſter ins Unglück bringen mußte. Namentlich auf
dem Sterbebette erzielten die Peinigungen der Beichtväter in dieſer Beziehung Er-
folge. Bei Häretikern gieng das Tribunal auf Anllage und Unterſuchung hin vor.
Der Denunciant hatte ſeine Angaben durch Zeugen oder Indicien zu bekräftigen.
Zeugen konnten die Verwandten des Angeſchuldigten, aber auch völlig ehrloſe
Menſchen ſein, da in Sachen der Ketzerei jedes Zeugniß galt. Waren ein oder
zwei Zeugen verhört, ſo ward der Angeſchuldigte ſogleich verhaftet, und ſeine
Papiere wurden verſiegelt. Anders gieng man auf dem Wege der Unterſuchung vor.
Faßte nämlich der Inquiſitor gegen eine Perſon Verdacht, ſo ließ er ſie durch
Spione beobachten und, ſobald dieſe gegen ſie zeugten, in Haft ſetzen. Es folgte
dann im Kerker ſogleich ein mündliches Verhör, deſſen aufgenommenes Protokoll
der Inhaftirte unterzeichnen mußte, und wobei die Verweigerung der Unterſchrift
als Ungehorſam gegen das hl. Tribunal und als Zeichen der Schuld gedeutet
wurde. Nachdem der Angeklagte geſchworen hatte auf alle Fragen der Wahrheit
gemäß zu antworten, auch wenn er dadurch gegen ſich ſelbſt zeugen mußte, begann
ein hinterliſtiges Verhör, um den Angeklagten, der bereits für ſchuldig galt, in
Selbſtwiderſprüche zu verwickeln und als Schuldigen zu conſtatiren. Da ihm nie-
mals die Denuncianten und die Zeugen kundgegeben wurden, ſo ward dadurch ſchon
jede Vertheidigung behindert. Das San Uffizio glaubte blind dem Ankläger, und
deſſen Schwur galt ihm bereits als Beweis der Wahrheit, wenn auch derſelbe
wegen ſeines Charakters vor keinem andern Tribunal der Welt zum Zeugniß zu-
gelaſſen worden wäre. Dem Angeſchuldigten wurde zwar ein Vertheidiger ge-
währt, aber dieſe Gnade war illuſoriſch, indem dieſer, vom San Uffizio bezahlt, eine
ſchriftliche Vertheidigung beim Fiscalprocurator zur Approbation einreichte, und
der Fiscalprocurator das Schriftſtück nach Gutdünken umarbeitete, daraus nicht
ſelten alles was zur Rechtfertigung des Inhaftirten dienen konnte ausmerzend. Die
auf ſolche Weiſe verbeſſerte Vertheidigung war dann das Inſtrument auf deſſen
Grund die Richter, über einen Menſchen den ſie nie niemals geſehen noch gehört
haben, inappellabel urtheilten. Schrieb aber der Angeklagte ſeine Vertheidigungs-
ſchrift ſelbſt, ſo corrigirte ſie gleichfalls der Fiscalprocurator, und übergab ſie nach
ſeiner Redaction den Richtern. Erſt im Jahr 1815, wo im Kirchenſtaat überhaupt
die Tortur abgeſchafft wurde, kam ſie auch für die Inquiſition, in welche ſie be-
kanntlich ſchon Innocenz V eingeführt hatte, in Wegfall. Dafür wurde bei der-
ſelben die ſogenannte moraliſche Tortur in Anwendung gebracht, welche in der
Verſchärfung des Kerkers und des Faſtens bis zur Erſchöpfung beſtand, und eine
vollſtändige phyſiſche und moraliſche Gebrochenheit erzeugte, in welcher dann
das unglückliche Schlachtopfer zum Verhör geführt wurde. Den Ketzern gegen-
über galt kein Mittel für zu ſchlecht um ſie der Schuld zu überweiſen; daher man
auch Spione zu ihnen ins Gefängniß ſperrte, damit ſie vor dieſen ihr Herz eröffnen
möchten. Aber wenn nun auch ein Ketzer ſeinen Irrthum bereute und abſchwor,
ſo entgieng er wohl der Todesſtrafe, blieb aber zu ewigem Gefängniß verurtheilt.
Die Kerker der Ketzer und Liberalen waren furchtbar und ihre Nahrung ungenü-
gend und elend; nur alle 24 Stunden kümmerte ſich der Kerkermeiſter um ſie.
Tergolina, Manins Geſandter, welcher vier Jahre in den Gefängniſſen des Papſtes
ſchmachtete, berichtet: „Unſere tägliche Koſt war ſo, daß man, wenn nur halb ge-
ſättigt, nicht weiter eſſen konnte; das ſchwarze ſchwere Brod, die ſchlechte Suppe
voll Unraths, das Gemüſe voller Würmer; ſelbſt das Waſſer, mit fremden Subſtan-
zen gemiſcht, enthält öfters lebende Fiſchchen. Vier Jahre erduldete ich die Qualen
des Hungers, ſah ich keinen guten Biſſen Brod noch einen Tropfen reinen Waſſers.
Nach meiner Befreiung konnte ich ein Jahr lang mich nicht geſättigt fühlen.“

Ganz anders und unvergleichlich lax war die Behandlung welche den Sol-
lecitanti zutheil wurde. Das San Uffizio machte aus ihrem furchtbaren Ver-
brechen überhaupt nicht viel Aufhebens. Bei der erſten Anzeige durch eine an-
ſtändige Frau wurde die Sache nur zu Protokoll genommen und im Archiv nieder-
gelegt; erſt wenn dreimal, und zwar von zweifellos glaubwürdigen Frauen, An-
zeigen erſtattet worden, wurde über den Fall in der Sitzung verhandelt. War nun
der angeklagte Geiſtliche ein Mann von Bedeutung und Anſehen, ſo wurde ihm
zugeſteckt daß er ſich in Sicherheit bringen oder ſelbſt anzeigen möge. Verſtand er
ſich zu dem letztern, ſo legte ihm das San Uffizio die Recitation der Bußpſalmen
für einige Tage auf, und die Sache war beendigt. Wurde aber ein ſolcher Ver-
brecher einmal ins Gefängniß abgeführt, ſo ſchloß ſein Proceß gewöhnlich damit
daß ihm acht Tage lang geiſtliche Exercitien auferlegt wurden und er den Beicht-
ſtuhl aufgeben mußte. Die Sollecitanten wohnten aber dann auch in der Inqui-

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[154/0010] lem und in Rom gefeſſelt war. In Santa Maria delle piante iſt ein Stein zur Verehrung ausgeſtellt in welchem Chriſtus ſeine Fußſpuren eingedrückt hat als er den aus Rom fliehenden Petrus zur Umkehr bewog. In San Pietro in Carcere iſt an einer Wand der Abdruck eines menſchlichen Profils wahrnehmbar; es ſoll der Abdruck des Geſichtes Petri ſein, welchen beim Hinabſteigen in das Gefängniß der Kerkermeiſter an die Wand ſchleuderte, worauf aber dieſe nachgab und das Profil des Apoſtels in ſich aufnahm. Auch eine Quelle hat dort Petrus auf wunderbare Weiſe entſpringen laſſen, um die bekehrten Kerker- knechte zu taufen. In Sta. Maria in Traspontina ſieht man zwei Säulen an welchen Petrus und Paulus gegeißelt wurden. Das Bild des Erlöſers, welches ſich am Altar befindet, erſchien ihnen während dieſer Marter, und ſprach ihnen Troſt zu. Auf dem Platze St. Peter in Montorio ſoll Petrus gekreuzigt worden ſein, in die Grube unter dem Altar inmitten der Kirche war das Kreuz eingeſenkt. In St. Jacob Scoſſacavalli ſind zwei große Stücke unbearbeiteten Marmors aufbewahrt, wovon das eine der Stein iſt auf welchem Abraham den Iſaak ſchlachten wollte, das andere der Altar worauf das Jeſuskind zur Beſchneidung gelegt wurde. In Sta. Maria Maggiore ſind noch Bretter aus der Krippe Jeſu; gleich daneben in San Praſſede ſteht die Säule woran der Herr gegeißelt wurde. In Sta. Maria di Campitelli zeigt man unter andern koſtbaren Reliquien den Roſenkranz welchen die heil. Jungfrau bei ihrer Andacht gebrauchte, und in der alten heiligen Capelle neben dem Lateran befindet ſich im Porticus derſelben die Treppe aus dem Palaſte des Pilatus, auf welcher der Herr während ſeines Leidens hinauf und herab- ſtieg. Die heilige Capelle ſelbſt, in welche man nicht eintreten darf, enthält ein Porträt Jeſu Chriſti, das häßlichſte Bild welches man ſich denken kann — aber es iſt eben auch von den Engeln gemalt. — Doch genug von dieſen Dingen ſogenannten frommen Betrugs, an welche die römiſchen Haruſpices ſelbſt nicht einmal glauben. Als Pius IX für den December 1854 die Biſchöfe nach Rom beſchied, faßte Fra Andrea neue Hoffnungen für die Reform der Kirche, und ſtellte ſeine darauf bezüglichen Gedanken in einer Abhandlung zuſammen, welche er anonym dem Papſte zuſchickte. Er legte darin die Größe der religiöſen Uebel und die Mittel ihrer Hei- lung dar. Dringend flehte er Pius IX an: den Biſchöfen ſeine Schrift zur Ein- ſichtnahme und Prüfung vorzulegen, damit Kirche und Chriſtenthum eine neue Auferſtehung feiern möchten. „Ich hatte,“ ſagt Fra Andrea ſel bſt, „den naiven Glauben daß es nicht mehr bedürfe als die Wahrheit mit Evidenz darzuſtellen, um ſie ſogleich zur Annahme zu bringen.“ Aber der Papſt verbot den verſammel- ten Biſchöfen über die kirchliche Diſciplin ſich zu äußern, und entließ ſie nachdem ſie dem Dogma von der immaculata conceptio ihren Beifall geſpendet hatten, wieder nach Hauſe. Im darauffolgenden Jahr 1855 ſchrieb Fra Andrea noch zweimal anonym in derſelben Angelegenheit an Pius, aber immer vergeblich. Er wandte ſich dann an einige römiſche Congregationen, trug ſein Anliegen Theologen von großem Namen, wie Perrone und Paſſaglia vor, aber niemand gab ihm Gehör oder wollte ſich Verfolgungen ausſetzen. Fra Andrea verlor darüber den Muth nicht, und arbeitete ſeine Schriften aus, um ſie an den Epiſkopat zu ſchicken. Im Jahr 1856 beſuchte er Paris und Turin, in der Hoffnung die dortigen Höfe für die Sache der kirchlichen Reformation zu intereſſiren, und von ihnen zu erlangen daß ſie ſeine Schriften drucken und den Biſchöfen zur Beurtheilung vorlegen ließen. Er fand auch hier keinen Anklang. In Paris ſuchte er den P. Ventura auf, und theilte ihm ſein Anliegen mit. Ventura, welcher wegen derſelben Beſtrebungen aus Italien hatte fliehen müſſen, beſtätigte den Verfall der Religion, ſprach ſich aber im Rückblick auf die oftmaligen und vergeblichen Reformverſuche in der katholi- ſchen Kirche ganz peſſimiſtiſch aus. „Die Biſchöfe,“ äußerte er, „ſind alle un- wiſſend, und die franzöſiſchen ſind es noch mehr als die italieniſchen; darum wird bei ihnen nichts auszurichten ſein. Die Dinge werden nicht eher in Ordnung kommen, als bis Blut in Strömen gefloſſen iſt.“ Und als hierauf Fra An- drea an Ventura die Frage richtete: ob man demnach dem ſteigenden Verfall der Religion unthätig zuſehen ſolle, gab ihm dieſer die verzweiflungsvolle Antwort: „Gott erlaubt es, warum ſollen wir es nicht erlauben? Es hilft keine Predigt mehr, darum verzichte ich darauf.“ Als nach dem Kriege von 1859 ein europäiſcher Congreß für den Monat Auguſt in Ausſicht ſtand, wollte Fra Andrea durch denſelben ſeine Schriften an die Biſchöfe bringen laſſen, und vertraute ſich darum einem falſchen Freund an, der ihm verſprach den Druck zu beſorgen. Aber ſtatt in die Druckerei, lieferte der Verräther das Manuſcript an Antonelli, und die nächſte Folge war daß Fra Andrea am 23 Juli wie ein Verbrecher am hellen Tag, ohne Rückſicht auf ſein Ordenskleid und unter dem Zuſammenlauf des Volks, aus ſeiner Zelle abgeführt und von Gefängniß zu Gefängniß geſchleppt wurde. Alsbald zog die Inquiſition die Sache an ſich und inſtruirte den Proceß. Das heil. Tribunal forderte von Fra Andrea den Widerruf ſeiner Anſichten, aber er blieb feſt und vertheidigte ſich ſelbſt fünf Monate hindurch, immer die Bitte erhebend: man möge ſeine Schriften einer ernſten Unterſuchung unterziehen. Am 3 December ſchrieb er aus dem Kerker S. Michele an den Aſſeſſor des San Uffizio: daß es nur der Eifer für die Wahr- heit und für die Rettung der Religion ſei, der ihn beſeele und zum Schreiben ge- drängt habe. Gerade aus ſeiner ſtandhaften Oppoſition möge man erkennen daß es ihm nur um die Erkenntniß der Wahrheit und nicht um ſeine eigene Perſon zu thun ſei, da er ja die letztere durch einen Widerruf leicht retten könnte. Seine Schriften, ſeine Predigten, ſein ganzes bisheriges Leben ruft er als Zeugen für die Lauterkeit ſeiner Geſinnung und Beſtrebung auf. „Nichts anderes habe ich mit meinem Buche gewollt,“ ſchreibt er, „als das Heil der Seelen und die Ehre Gottes. Ich werfe mich in die Arme ſeiner Vorſehung, tief überzeugt daß, wenn mein Unter- nehmen von ihm kommt, alle menſchlichen Anſtrengungen dagegen nutzlos ſein werden.“ Und er ſchließt ſeinen Brief mit den ergreifenden Worten: „Ich hoffe daß meine Richter ſich nicht Vorwürfe des Gewiſſens bereiten wollen, ſo daß dieſes eines Tages zu ihnen ſagen könnte: Was hat uns dieſer arme Menſch böſes ge- than, und was thaten wir ihm? Er ſuchte aus der Welt eine Heerde und einen Hirten zu machen, und wir haben ihn verdammt. Er ſuchte die Welt zu uns zu führen, und wir haben ihn verworfen. Er ſuchte die Erneuerung der Re- ligion und den Frieden für uns, und wir haben ihm den Krieg bereitet. Er ſuchte unſer Glück, und wir haben ihn unglücklich gemacht. Und wenn er fehlte, ſo fehlte er nur aus einem Uebermaß des Eifers für den Triumph der Religion und die Rettung der Seelen, und wir haben ihn zuſammen mit Ketzern und großen Sün- dern, mit Dieben und Mördern verdammt. Mögt ihr euch niemals den Vorwurf machen müſſen: wir leben glücklich, und er lebt entehrt in den Thränen des harten Exils, wohin wir ihn geſchickt haben, und wo er noch über uns und die Religion die Gnaden des Himmels herabfleht.“ Am 20 Jan. 1860, 48 Tage nach der Abſendung dieſes Briefes, erfolgte als Antwort das Urtheil des hl. Tribunals, lautend auf die Suspenſion in perpetuum von allen geiſtlichen Functionen und auf zwölfjährige Kerkerſtrafe. Dieſes harte Urtheil für ein vermeintliches Verbrechen, welches nur eine bloße Abſicht und bis jetzt in den ſtummen Blättern eines Manuſcripts vergraben ge- blieben war, darf uns von Seiten der Inquiſition nicht überraſchen, deren alte Praxis es iſt gegen Häretiker und ſogenannte Dommatizzanti (ſolche welche auch andere zur Häreſie verleiten) mit der äußerſten Strenge einzuſchreiten. Es wird nicht unintereſſant ſein an dieſer Stelle einen Blick auf das San Uffizio zu werfen. Das San Uffizio, deſſen Haupt der Papſt ſelbſt iſt, hatte drei Claſſen von Verbrechen abzuurtheilen: die Liberalen, wozu alle gerechnet wurden welche einer geheimen politiſchen Gellſchaft angehörten, dann die Ketzer, angefangen von den bloß der Häreſie Verdächtigen bis zu den Dommatizzanti hinauf, endlich die Sol- lecitanti, diejenigen Geiſtlichen welche den Beichtſtuhl zur Verführung der Frauen mißbrauchten. Was die Liberalen angeht, ſo wurden durch den Papſt alle Gläu- bigen zur Denunciation derſelben verpflichtet; der Beichtvater durfte die Schuldi- gen vor ſeiner Selbſtanklage nicht abſolviren, und wenn derſelbe dadurch auch Vater, Mutter und Geſchwiſter ins Unglück bringen mußte. Namentlich auf dem Sterbebette erzielten die Peinigungen der Beichtväter in dieſer Beziehung Er- folge. Bei Häretikern gieng das Tribunal auf Anllage und Unterſuchung hin vor. Der Denunciant hatte ſeine Angaben durch Zeugen oder Indicien zu bekräftigen. Zeugen konnten die Verwandten des Angeſchuldigten, aber auch völlig ehrloſe Menſchen ſein, da in Sachen der Ketzerei jedes Zeugniß galt. Waren ein oder zwei Zeugen verhört, ſo ward der Angeſchuldigte ſogleich verhaftet, und ſeine Papiere wurden verſiegelt. Anders gieng man auf dem Wege der Unterſuchung vor. Faßte nämlich der Inquiſitor gegen eine Perſon Verdacht, ſo ließ er ſie durch Spione beobachten und, ſobald dieſe gegen ſie zeugten, in Haft ſetzen. Es folgte dann im Kerker ſogleich ein mündliches Verhör, deſſen aufgenommenes Protokoll der Inhaftirte unterzeichnen mußte, und wobei die Verweigerung der Unterſchrift als Ungehorſam gegen das hl. Tribunal und als Zeichen der Schuld gedeutet wurde. Nachdem der Angeklagte geſchworen hatte auf alle Fragen der Wahrheit gemäß zu antworten, auch wenn er dadurch gegen ſich ſelbſt zeugen mußte, begann ein hinterliſtiges Verhör, um den Angeklagten, der bereits für ſchuldig galt, in Selbſtwiderſprüche zu verwickeln und als Schuldigen zu conſtatiren. Da ihm nie- mals die Denuncianten und die Zeugen kundgegeben wurden, ſo ward dadurch ſchon jede Vertheidigung behindert. Das San Uffizio glaubte blind dem Ankläger, und deſſen Schwur galt ihm bereits als Beweis der Wahrheit, wenn auch derſelbe wegen ſeines Charakters vor keinem andern Tribunal der Welt zum Zeugniß zu- gelaſſen worden wäre. Dem Angeſchuldigten wurde zwar ein Vertheidiger ge- währt, aber dieſe Gnade war illuſoriſch, indem dieſer, vom San Uffizio bezahlt, eine ſchriftliche Vertheidigung beim Fiscalprocurator zur Approbation einreichte, und der Fiscalprocurator das Schriftſtück nach Gutdünken umarbeitete, daraus nicht ſelten alles was zur Rechtfertigung des Inhaftirten dienen konnte ausmerzend. Die auf ſolche Weiſe verbeſſerte Vertheidigung war dann das Inſtrument auf deſſen Grund die Richter, über einen Menſchen den ſie nie niemals geſehen noch gehört haben, inappellabel urtheilten. Schrieb aber der Angeklagte ſeine Vertheidigungs- ſchrift ſelbſt, ſo corrigirte ſie gleichfalls der Fiscalprocurator, und übergab ſie nach ſeiner Redaction den Richtern. Erſt im Jahr 1815, wo im Kirchenſtaat überhaupt die Tortur abgeſchafft wurde, kam ſie auch für die Inquiſition, in welche ſie be- kanntlich ſchon Innocenz V eingeführt hatte, in Wegfall. Dafür wurde bei der- ſelben die ſogenannte moraliſche Tortur in Anwendung gebracht, welche in der Verſchärfung des Kerkers und des Faſtens bis zur Erſchöpfung beſtand, und eine vollſtändige phyſiſche und moraliſche Gebrochenheit erzeugte, in welcher dann das unglückliche Schlachtopfer zum Verhör geführt wurde. Den Ketzern gegen- über galt kein Mittel für zu ſchlecht um ſie der Schuld zu überweiſen; daher man auch Spione zu ihnen ins Gefängniß ſperrte, damit ſie vor dieſen ihr Herz eröffnen möchten. Aber wenn nun auch ein Ketzer ſeinen Irrthum bereute und abſchwor, ſo entgieng er wohl der Todesſtrafe, blieb aber zu ewigem Gefängniß verurtheilt. Die Kerker der Ketzer und Liberalen waren furchtbar und ihre Nahrung ungenü- gend und elend; nur alle 24 Stunden kümmerte ſich der Kerkermeiſter um ſie. Tergolina, Manins Geſandter, welcher vier Jahre in den Gefängniſſen des Papſtes ſchmachtete, berichtet: „Unſere tägliche Koſt war ſo, daß man, wenn nur halb ge- ſättigt, nicht weiter eſſen konnte; das ſchwarze ſchwere Brod, die ſchlechte Suppe voll Unraths, das Gemüſe voller Würmer; ſelbſt das Waſſer, mit fremden Subſtan- zen gemiſcht, enthält öfters lebende Fiſchchen. Vier Jahre erduldete ich die Qualen des Hungers, ſah ich keinen guten Biſſen Brod noch einen Tropfen reinen Waſſers. Nach meiner Befreiung konnte ich ein Jahr lang mich nicht geſättigt fühlen.“ Ganz anders und unvergleichlich lax war die Behandlung welche den Sol- lecitanti zutheil wurde. Das San Uffizio machte aus ihrem furchtbaren Ver- brechen überhaupt nicht viel Aufhebens. Bei der erſten Anzeige durch eine an- ſtändige Frau wurde die Sache nur zu Protokoll genommen und im Archiv nieder- gelegt; erſt wenn dreimal, und zwar von zweifellos glaubwürdigen Frauen, An- zeigen erſtattet worden, wurde über den Fall in der Sitzung verhandelt. War nun der angeklagte Geiſtliche ein Mann von Bedeutung und Anſehen, ſo wurde ihm zugeſteckt daß er ſich in Sicherheit bringen oder ſelbſt anzeigen möge. Verſtand er ſich zu dem letztern, ſo legte ihm das San Uffizio die Recitation der Bußpſalmen für einige Tage auf, und die Sache war beendigt. Wurde aber ein ſolcher Ver- brecher einmal ins Gefängniß abgeführt, ſo ſchloß ſein Proceß gewöhnlich damit daß ihm acht Tage lang geiſtliche Exercitien auferlegt wurden und er den Beicht- ſtuhl aufgeben mußte. Die Sollecitanten wohnten aber dann auch in der Inqui-

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 11, 11. Januar 1872, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine11_1872/10>, abgerufen am 23.11.2024.