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Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] Regierung bezüglich der Besteuerung von Mobiliarwerthen verworfen. Es bleiben
daher nur noch einzelne Amendements über diesen Gegenstand zu prüfen. Buffet:
Die Commission darf keine rein negative Rolle spielen. Sie hat ihren Gesetzentwurf
zurückgezogen weil ein Votum der Kammer jede Einkommensteuer überhaupt als will-
kürlich verurtheilte, und es bleibt daher nichts übrig als uns zunächst ausschließlich mit
der Regierungsvorlage zu beschäftigen. Die Kammer entscheidet sich für die Priorität
der Regierungsvorlage. Wolowski bekämpft die Besteuerung von Actien und Obli-
gationen als eine Capitalsteuer. Guichard ist im Gegentheil dafür; er will die Taxe
auf die Handelseinkünfte ausgedehnt wissen, um so wenigstens 80 Millionen zu erhalten.
Javal dagegen, weil die Vorlage den großen Capitalisten steuerfrei lasse. Raudot
dafür: denn der Ackerbau sei schon zu sehr belastet. Soubeyran glaubt daß die
Vorlage die Capitalien aus Frankreich verjagen werde, und zwar zum Vortheil Preußens
(Lärm), welches versuche in Berlin einen großen Geldmarkt zu errichten. Damit könne
man weder dem Ackerbau helfen noch die Kriegsschuld bezahlen. Die Kammer habe von
der allgemeinen Einkommensteuer nichts wissen wollen, sie habe ebenso wenig die ein-
geschränktere Besteuerung der Commissionsvorlage gebilligt; das dritte Project aber,
das vorliegende der Regierung, sei das allerschlechteste. (Beifall und Lärm.) Rouveure:
Die Regierung jagt uns in eine Sackgasse, in der wir nach Verwerfung aller Steuer-
vorlagen uns, des Krieges müde, gezwungen sehen werden die Steuer auf die Gewebe
und Rohstoffe anzunehmen. Ich empfehle die Wiederaufnahme der Salzsteuer. Ich
bin vielleicht von allen Vertretern Frankreichs derjenige welcher am meisten Salz ver-
braucht. Für die wohlhabenden Classen brauchen wir eine Einkommensteuer, für die
andern eine Salzsteuer. Man braucht deßhalb die Beamtenzahl nicht zu vermehren,
von der der Finanzminister neulich behauptete sie sei schon übergroß. So etwas nimmt
sich gut aus im Mund eines Ministers. (Heiterkeit.) Eine Vermehrung der Beamten
ist nicht nöthig. Die Einkommensteuer ist die Steuer der Zukunft; deßhalb muß gerade
die conservative Partei sie sofort in Anwendung bringen. (Beifall links.) Eine Revo-
lution wird sie unter dem Vorwande der Gerechtigkeit ohne Zögern einführen. (Lärm
rechts. Sehr gut! links.) Im socialen Interesse beschwöre ich die Kammer diesen Vor-
schlag anzunehmen. Die Engländer, in ähnlicher Lage, legten sich nicht 2 oder 3 Procent,
sondern 10 Procent auf, und sie bezahlten murrend, denn man murrt immer wenn man
bezahlt (Gelächter); aber sie haben bezahlt. Der Präsident der Republik: Der
Vorredner hat der Regierung vorgeworfen sie wolle die Kammer in eine Sackgasse trei-
ben, um sie zu zwingen die Steuer auf die Gewebe anzunehmen. Man könnte das
Argument umdrehen, und behaupten daß die Freunde der Einkommensteuer ihre Gegner
in eine Sackgasse drängen möchten. Die Wahrheit ist daß diese Kammer, der nicht
genug Freundlichkeiten zu sagen man mich zuweilen beschuldigt (Heiterkeit), eine ehrbare,
aufrichtige Versammlung ist, die wie die Regierung mühsam den Weg sucht der aus
den Schwierigkeiten der Lage hinausführt. Die Einkommensteuer besteht in Frankreich
schon auf andern Grundlagen, heute möchte man die Willkür noch dazu fügen; aber die
Kammer erklärte sich gegen die Willkür, denn sie wäre ein Instrument der Unterdrückung
in den Händen der Regierungsgewalt. (Beifall.) Man hat gesagt daß die Steuer auf
die Mobiliarwerthe dem französischen Markt schaden würde. Das ist leider wahr
(Bewegung); aber was thun? Wir haben freilich die Steuer auf die Rohstoffe. (Stim-
men: Aha, da kommt er!) Nun wohl ja, da kommt er! (Lärm und Gelächter.) Es
ist nicht unsere Schuld wenn wir uns in dieser Lage befinden. (Lärm.) Ich greife die
Vergangenheit nicht an; es gibt vielleicht Personen die ihr nachweinen. Das sind
Geschmacksachen. (Oh! Oh!) Nun, da sollte man doch der Regierung nicht die Fehler
anderer aufbürden. (Lärm.) Es bleibt uns daher nur die Steuer auf die Rohstoffe
oder ein Zuschlagszehntel auf die vier directen Steuern. Gibt es noch etwas anderes?
(Ja wohl! -- Lärm.) M. HH.! Wenn ich eine Frage an Sie richte, so bitte ich Sie,
mir nicht zu antworten. (Verlängerte Heiterkeit.) Was mich betrifft, so liebe ich über-
haupt keine neuen Steuern; aber wir bedürfen ihrer, und ich sehe nur diese beiden. Ich
schlage daher vor sofort die Discussion des Haupttheils der Einnahmen vorzunehmen
deren wir bedürfen. Berathen wir also zuerst die Steuer über die Rohstoffe oder aber
den Zehnten; gleichzeitig jedoch das Quantum welches uns unerläßlich ist. Wenn Sie
von diesen Vorlagen keine einzige angenommen haben, dann können wir auf die wirklich
schädlichen Abgaben zurückgreifen: auf die Besteuerung der Mobiliarwerthe und auf die
Salzsteuer. Wir dürfen kein System ausschließlich begünstigen, und müssen uns
resigniren alle nothwendigen Abgaben zu votiren. (Sehr gut!) Gehen wir daher zu
den Rohstoffen und zum Zehnten über; ich werde versuchen Ihnen für diese beiden
großen Systeme die annehmbarsten oder doch die am wenigsten verwerflichen Lösungen
vorzuschlagen. (Sehr gut!) Die Kammer beschließt jede Entscheidung zu vertagen,
bis eine Generaldiscussion aller Systeme stattgefunden habe, die in folgender Ordnung
vorgenommen werden soll: Mobiliarwerthe, Quantum, Rohstoffe. Damit schließt die
Sitzung.



Deutsches Reich.

Nächsten Freitag ist "schon wieder" Sitzung
der Kammer der Abgeordneten, nachdem die Volksvertretung erst vorige Woche ein
paar Berathungen gepflogen hat, und dabei so umfassend zu Werke gieng, daß gelegent-
lich eines Remunerationsvorschlags für Locomotivführer und Wechselwärter auch
Bluntschli's Wirken einer sachgemäßen Kritik unterzogen und die Existenzberechtigung
des Jesuitenordens schlagend bewiesen wurde. Mehr kann der Staat für das was
er bezahlt nicht verlangen. Uebrigens ist nicht nur das Kühlmann'sche Referat
über die "Nachweisungen," sondern auch der generose Vorschlag: dem Personal der
Verkehrsanstalten für die Aufreibung seiner Kräfte während der Kriegszeit eine
Erkenntlichkeit zukommen zu lassen, an den Ausschuß zurückgegangen. Ob, wenn
sich Regierung und Ausschuß über den Vertheilungsmodus nicht einigen können,
das Ganze ins Wasser fällt, oder ob aus Humanitätsrücksichten der eine oder der
andere Theil nachgibt, das werden diejenigen welche mit Schmerzen warten seiner
Zeit schon sehen. Wird ja auch einem Bischof, und wenn er noch so dringende
Beschwerden hat, nicht gleich aufgewartet. Dem Minderheitsgutachten in Sachen
Dinkel contra Ministerium setzt der Mehrheitsreferent eine Replik entgegen, was
natürlich auch Hrn. Dr. Völk das Recht zu einer Duplik gibt, so daß niemand weiß
wann wir am Ende der Druckkosten stehen. Adresse an den König, Mißtrauens-
votum, Ministeranklage und dergleichen kühne Unternehmungen hatte die "Postztg."
mit Generalstabsmiene als nicht zum Ziel führend zurückgewiesen, und erklärt:
beim Initiativ-Antrag und in der Bischofsdebatte lasse sich "alles, aber auch gar
alles sagen." Nun, als die Unterstützung des Barth-Schüttinger'schen Werkes zur
Debatte kam, war verwünscht wenig zu hören; wahrscheinlich bekommen wir bei
Berathung des Antrages selbst "alles," und wenn erst der würdige Conflicts-
Referent Hauck die Tribüne einnimmt, dann "gar alles" zu hören. Gleichsam zur
Vorbereitung und als parlamentarisches Cxercitium hält Pfr. Rußwurm am nächsten
[Spaltenumbruch] Freitag nach Verlesung des Protokolls und des Einlaufs eine feierliche Interpellation
an das Ministerium für Kirchen- und Schulangelegenheiten, betreffend das "Vor-
gehen" der Regierung der Oberpfalz und des Magistrats Amberg beim Begräbniß
des Melbers Zunner. Wenn Schiller heute wieder aufstünde, müßte er seinem
Lied von der Glocke um jeden Preis noch eine Strophe anfügen; es ist nun schon
der zweite oder dritte Fall daß Kirchenglocken, welche einen todten Protestanten
oder Altkatholiken noch todter schweigen wollten, von Amtswegen die Zunge gelöst
wurde. Wenn übrigens den Altkatholiken mit der Zeit vom kirchlichen Baarvorrath
nicht mehr zugesprochen wird als etwas Glockenklang, so brauchten sich die im
Besitzstand Befindlichen nicht gar so zu ereifern.

Bei der in Geißlingen an Stelle Römers vor-
genommenen Ergänzangswahl zur Abgeordnetenkammer siegte der klerikale Can-
didat, Kreisgerichtsrath Hohl, mit einer sehr geringen Mehrheit über den national-
liberalen Candidaten Kreisgerichtsrath Gaupp. Die Gültigkeit der Wahl wird,
nach einer Mittheilung des "Schwäb. Merk.," angefochten.

Auf der Tagesordnung der heutigen Sitzung des Hauses
der Abgeordneten
stand zunächst der Bericht der Budgetcommission über den Ge-
setzentwurf betreffend die Ueberweisung einer Summe von 142,000 Thlrn. jährlich und
eines Capitals von 46,380 Thlrn. an den communalständischen Verband des Regie-
rungsbezirks Wiesbaden. Da der Entwurf von mehreren Seiten bekämpft wird, so
erklärt der Minister des Innern: Es ist irrig zu glauben man habe die Provin-
cialfonds den neuen Provinzen nur als Pflaster auf die Wunde gegeben. Dieser Ge-
danke war auch mitbestimmend, hauptsächlich aber gieng man von dem Grundgedanken
aus: mit der Zuwendung der als zweckmäßig erachteten Provincialfonds bei den neuen
Provinzen anzufangen. Der Entwurf ist kein "Mittelchen," und die Regierung kann sich
nicht auf den Standpunkt stellen Nassau schlechter zu stellen als die andern neuen Landes-
theile, weil es auch ohne Geld sich Preußen eng angeschlossen hat. Die Regierung hat
bisher jede Gelegenheit benutzt durch die That ihren guten Willen darzuthun den neuen
Provinzen Mittel zu überweisen unter dem Titel von Provincialfonds. Augenblicklich
kann der Staat den Provinzen nicht überall solche Fonds zur Selbstverwaltung geben;
das wird aber geschehen sobald Frankreich die volle Kriegsentschädigung gezahlt hat;
sei es daß man den Provinzen Fonds oder Renten oder Steuerquoten zuweist. Wirkt
diese Erklärung beruhigend, so würde ich darüber sehr erfreut sein, denn ich halte den
Gesetzentwurf für eine nothwendige Consequenz derjenigen Schritte welche wir in Bezug
auf Hessen und Hannover eingeschlagen haben. Das Gesetz wird angenommen. Das
Haus fährt in der Discussion über den Etat des Ministeriums des Innern
fort. Es findet zunächst eine allgemeine Besprechung statt über die Ausgaben für die
Polizeiverwaltung. Abg. Reichensperger bringt auch dieses Jahr den Aus-
nahmszustand zur Sprache in dem sich elf Städte befinden auf Grund des Polizei-
gesetzes von 1850, daß eine Stadt über 10,000 Einwohner königliche Polizeiver-
waltung erhalten sollte, wofür der Staat die Gehalte zahlt, und zwar sehr hohe Sum-
men, 1,530,000 Thlr. anstatt der 30,000 Thlr. welche bei Erlaß jenes Gesetzes als
ausreichend angenommen worden waren, weil man damals dem Gesetz eine ganz andere
Absicht und Tragweite zu Grunde gelegt hatte. Darum seien im Hause schon 1869
Anträge gestellt worden die Besoldungen von Polizeipräsidenten in einigen Städten
als "künftig wegfallend" zu bezeichnen. Diese Anträge habe das Haus verworfen, da-
gegen eine Resolution angenommen die auf möglichste Einschränkung der Polizeiver-
waltungen in den Städten Königsberg, Stettin, Danzig, Magdeburg, Köln, Koblenz,
Aachen gerichtet ist. Diese Anträge seien dieses Jahr wiederholt, und man verlange die
Bezeichnung "künftig wegfallend" für die Besoldung der Polizeipräsidenten und Direc-
toren in Danzig, Stettin, Köln mit Deutz und Aachen. Der Vorschlag der Abgg.
Hehner und Vogtherr auch Frankfurt a. M. diesen Städten anzureihen, sei nicht
empfehlenswerth. Man habe das constitutionelle Bedenken erhoben: das Abgeordneten-
haus habe gar nicht das Recht an Positionen die auf Grund von Gesetzen im Etat aus-
geworfen sind zu rütteln; dieses Bedenken entbehre jeder Grundlage. Man wolle ja die
Gehalte fortzahlen und nur künftig wegfallen lassen. Um aus dem jetzigen Zustande
herauszukommen müsse das Abgeordnetenhaus die Initiative ergreifen. Abg. Wagener
(Franzburg) theilt die angeregten constitutionellen Bedenken nicht, aber er meint das
Haus sei nicht in der Lage der Regierung den Vorwurf zu machen daß sie von dem
Recht der Umwandlung von Communalpolizeiverwaltungen in königliche einen über-
triebenen Gebrauch gemacht, und Wünsche welche das Haus ausgesprochen unberück-
sichtigt gelassen habe, denn das Haus habe Anträge auf Auflösung von Polizeiverwal-
tungen nicht gestellt. Minister des Innern: Der Abg. Reichensperger stellt die
Theorie von der Autonomie der Städte auf, und sieht in jeder königlichen Polizeiver-
waltung ein Unrecht. Das ist falsch: der Staat übt die Polizei und kann sie in manchen
Städten den Communen übergeben, wie er befugt ist unter gewissen Verhältnissen in
gewissen Städten eine königliche Polizeiverwaltung einzurichten. Die Polizeiverwaltung
hat eben keinen localen Charakter; sie geht weit über die Gränzen des Weichbildes hin-
aus. Damit wird der Bürgermeister zu sehr mit Geschäften überhäuft; übt derselbe die
Polizei energisch aus, so setzt er sich auch mit der halben Stadt in Conflict. Die meisten
Communen würden es als ein Danaer-Geschenk ansehen wenn man ihnen die Polizei
überließe. In Betreff der Städte in denen die Aufhebung der königlichen Polizeiver-
waltung verlangt wird, haben sich alle Ober- und Regierungspräsidenten entschieden
gegen diese Beseitigung ausgesprochen. Nirgends sei eine königliche Polizeiverwaltung
nothwendiger, heißt es in den Berichten, als in Köln und Aachen. Diese Verwaltungen
sollen so eingehen, wo es die Verhältnisse zulassen. Augenblicklich muß das Auge der
Regierung bei der socialen Bewegung sehr offen gehalten werden, und dazu bedarf es
einer kräftigen Polizei. Abg. Löwe führt aus daß die Gemeinden das größte Interesse
daran haben die Polizei gut zu führen, und daß der Minister nicht von Conflicten der
Bürgermeister zu sprechen habe, sondern daß er die höhern Interessen des Staats nach-
weise. Da liege der Kern: für die Regierung sei die Hauptsache die politische Polizei,
die Herrschaft über das Volk und doch -- wäre die sociale Bewegung von den Gemein-
den überwacht worden, sie hätte diese Bedeutung, diese Gefährlichkeit nicht erlangt;
man glaubte in jenen Kreisen gewisse Organe stützten den Kampf gegen die Bourgeoisie.
Wenn der Minister sagt: er bedürfe eines Netzes über das ganze Land, dessen Fäden
er gleichzeitig anziehen könne, so vergesse er daß das Netz doch sehr durchbrochen sei,
daß also seine Einrichtung keine vollkommene, keine einheitliche sein könne. Zuzugestehen
sei daß in jeder Stadt geprüft werden müsse ob dort für den Staat besondere Verhält-
nisse bestehen welche die königliche Polizeiverwaltung zur Nothwendigkeit machen. Abg.
Reichensperger-Olpe widerlegt die Ausführung des Ministers: der Landtag sei
nicht befugt, nachdem er einmal durch Bewilligung der nothwendigen Mittel im Etats-
gesetze die Errichtung königlicher Polizeiverwaltungen auch seinerseits gebilligt habe,
einseitig dieselben durch plötzliche Verweigerung der Gelder aufzuheben; die Regierung
halte sich doch zu solchen einseitigen Aenderungen competent, indem sie sich berechtigt
glaube durch einfache Nichtaufnahme der Kosten in den Etat, wogegen der Landtag gänz-
lich waffenlos sei, die Beseitigung bestehender Polizeiverwaltungen herbeizuführen; also
habe der Landtag das Recht dasselbe mittelst Streichung der Kosten zu thun. Der An-

[Spaltenumbruch] Regierung bezüglich der Beſteuerung von Mobiliarwerthen verworfen. Es bleiben
daher nur noch einzelne Amendements über dieſen Gegenſtand zu prüfen. Buffet:
Die Commiſſion darf keine rein negative Rolle ſpielen. Sie hat ihren Geſetzentwurf
zurückgezogen weil ein Votum der Kammer jede Einkommenſteuer überhaupt als will-
kürlich verurtheilte, und es bleibt daher nichts übrig als uns zunächſt ausſchließlich mit
der Regierungsvorlage zu beſchäftigen. Die Kammer entſcheidet ſich für die Priorität
der Regierungsvorlage. Wolowski bekämpft die Beſteuerung von Actien und Obli-
gationen als eine Capitalſteuer. Guichard iſt im Gegentheil dafür; er will die Taxe
auf die Handelseinkünfte ausgedehnt wiſſen, um ſo wenigſtens 80 Millionen zu erhalten.
Javal dagegen, weil die Vorlage den großen Capitaliſten ſteuerfrei laſſe. Raudot
dafür: denn der Ackerbau ſei ſchon zu ſehr belaſtet. Soubeyran glaubt daß die
Vorlage die Capitalien aus Frankreich verjagen werde, und zwar zum Vortheil Preußens
(Lärm), welches verſuche in Berlin einen großen Geldmarkt zu errichten. Damit könne
man weder dem Ackerbau helfen noch die Kriegsſchuld bezahlen. Die Kammer habe von
der allgemeinen Einkommenſteuer nichts wiſſen wollen, ſie habe ebenſo wenig die ein-
geſchränktere Beſteuerung der Commiſſionsvorlage gebilligt; das dritte Project aber,
das vorliegende der Regierung, ſei das allerſchlechteſte. (Beifall und Lärm.) Rouveure:
Die Regierung jagt uns in eine Sackgaſſe, in der wir nach Verwerfung aller Steuer-
vorlagen uns, des Krieges müde, gezwungen ſehen werden die Steuer auf die Gewebe
und Rohſtoffe anzunehmen. Ich empfehle die Wiederaufnahme der Salzſteuer. Ich
bin vielleicht von allen Vertretern Frankreichs derjenige welcher am meiſten Salz ver-
braucht. Für die wohlhabenden Claſſen brauchen wir eine Einkommenſteuer, für die
andern eine Salzſteuer. Man braucht deßhalb die Beamtenzahl nicht zu vermehren,
von der der Finanzminiſter neulich behauptete ſie ſei ſchon übergroß. So etwas nimmt
ſich gut aus im Mund eines Miniſters. (Heiterkeit.) Eine Vermehrung der Beamten
iſt nicht nöthig. Die Einkommenſteuer iſt die Steuer der Zukunft; deßhalb muß gerade
die conſervative Partei ſie ſofort in Anwendung bringen. (Beifall links.) Eine Revo-
lution wird ſie unter dem Vorwande der Gerechtigkeit ohne Zögern einführen. (Lärm
rechts. Sehr gut! links.) Im ſocialen Intereſſe beſchwöre ich die Kammer dieſen Vor-
ſchlag anzunehmen. Die Engländer, in ähnlicher Lage, legten ſich nicht 2 oder 3 Procent,
ſondern 10 Procent auf, und ſie bezahlten murrend, denn man murrt immer wenn man
bezahlt (Gelächter); aber ſie haben bezahlt. Der Präſident der Republik: Der
Vorredner hat der Regierung vorgeworfen ſie wolle die Kammer in eine Sackgaſſe trei-
ben, um ſie zu zwingen die Steuer auf die Gewebe anzunehmen. Man könnte das
Argument umdrehen, und behaupten daß die Freunde der Einkommenſteuer ihre Gegner
in eine Sackgaſſe drängen möchten. Die Wahrheit iſt daß dieſe Kammer, der nicht
genug Freundlichkeiten zu ſagen man mich zuweilen beſchuldigt (Heiterkeit), eine ehrbare,
aufrichtige Verſammlung iſt, die wie die Regierung mühſam den Weg ſucht der aus
den Schwierigkeiten der Lage hinausführt. Die Einkommenſteuer beſteht in Frankreich
ſchon auf andern Grundlagen, heute möchte man die Willkür noch dazu fügen; aber die
Kammer erklärte ſich gegen die Willkür, denn ſie wäre ein Inſtrument der Unterdrückung
in den Händen der Regierungsgewalt. (Beifall.) Man hat geſagt daß die Steuer auf
die Mobiliarwerthe dem franzöſiſchen Markt ſchaden würde. Das iſt leider wahr
(Bewegung); aber was thun? Wir haben freilich die Steuer auf die Rohſtoffe. (Stim-
men: Aha, da kommt er!) Nun wohl ja, da kommt er! (Lärm und Gelächter.) Es
iſt nicht unſere Schuld wenn wir uns in dieſer Lage befinden. (Lärm.) Ich greife die
Vergangenheit nicht an; es gibt vielleicht Perſonen die ihr nachweinen. Das ſind
Geſchmackſachen. (Oh! Oh!) Nun, da ſollte man doch der Regierung nicht die Fehler
anderer aufbürden. (Lärm.) Es bleibt uns daher nur die Steuer auf die Rohſtoffe
oder ein Zuſchlagszehntel auf die vier directen Steuern. Gibt es noch etwas anderes?
(Ja wohl! — Lärm.) M. HH.! Wenn ich eine Frage an Sie richte, ſo bitte ich Sie,
mir nicht zu antworten. (Verlängerte Heiterkeit.) Was mich betrifft, ſo liebe ich über-
haupt keine neuen Steuern; aber wir bedürfen ihrer, und ich ſehe nur dieſe beiden. Ich
ſchlage daher vor ſofort die Discuſſion des Haupttheils der Einnahmen vorzunehmen
deren wir bedürfen. Berathen wir alſo zuerſt die Steuer über die Rohſtoffe oder aber
den Zehnten; gleichzeitig jedoch das Quantum welches uns unerläßlich iſt. Wenn Sie
von dieſen Vorlagen keine einzige angenommen haben, dann können wir auf die wirklich
ſchädlichen Abgaben zurückgreifen: auf die Beſteuerung der Mobiliarwerthe und auf die
Salzſteuer. Wir dürfen kein Syſtem ausſchließlich begünſtigen, und müſſen uns
reſigniren alle nothwendigen Abgaben zu votiren. (Sehr gut!) Gehen wir daher zu
den Rohſtoffen und zum Zehnten über; ich werde verſuchen Ihnen für dieſe beiden
großen Syſteme die annehmbarſten oder doch die am wenigſten verwerflichen Löſungen
vorzuſchlagen. (Sehr gut!) Die Kammer beſchließt jede Entſcheidung zu vertagen,
bis eine Generaldiscuſſion aller Syſteme ſtattgefunden habe, die in folgender Ordnung
vorgenommen werden ſoll: Mobiliarwerthe, Quantum, Rohſtoffe. Damit ſchließt die
Sitzung.



Deutſches Reich.

Nächſten Freitag iſt „ſchon wieder“ Sitzung
der Kammer der Abgeordneten, nachdem die Volksvertretung erſt vorige Woche ein
paar Berathungen gepflogen hat, und dabei ſo umfaſſend zu Werke gieng, daß gelegent-
lich eines Remunerationsvorſchlags für Locomotivführer und Wechſelwärter auch
Bluntſchli’s Wirken einer ſachgemäßen Kritik unterzogen und die Exiſtenzberechtigung
des Jeſuitenordens ſchlagend bewieſen wurde. Mehr kann der Staat für das was
er bezahlt nicht verlangen. Uebrigens iſt nicht nur das Kühlmann’ſche Referat
über die „Nachweiſungen,“ ſondern auch der generoſe Vorſchlag: dem Perſonal der
Verkehrsanſtalten für die Aufreibung ſeiner Kräfte während der Kriegszeit eine
Erkenntlichkeit zukommen zu laſſen, an den Ausſchuß zurückgegangen. Ob, wenn
ſich Regierung und Ausſchuß über den Vertheilungsmodus nicht einigen können,
das Ganze ins Waſſer fällt, oder ob aus Humanitätsrückſichten der eine oder der
andere Theil nachgibt, das werden diejenigen welche mit Schmerzen warten ſeiner
Zeit ſchon ſehen. Wird ja auch einem Biſchof, und wenn er noch ſo dringende
Beſchwerden hat, nicht gleich aufgewartet. Dem Minderheitsgutachten in Sachen
Dinkel contra Miniſterium ſetzt der Mehrheitsreferent eine Replik entgegen, was
natürlich auch Hrn. Dr. Völk das Recht zu einer Duplik gibt, ſo daß niemand weiß
wann wir am Ende der Druckkoſten ſtehen. Adreſſe an den König, Mißtrauens-
votum, Miniſteranklage und dergleichen kühne Unternehmungen hatte die „Poſtztg.“
mit Generalſtabsmiene als nicht zum Ziel führend zurückgewieſen, und erklärt:
beim Initiativ-Antrag und in der Biſchofsdebatte laſſe ſich „alles, aber auch gar
alles ſagen.“ Nun, als die Unterſtützung des Barth-Schüttinger’ſchen Werkes zur
Debatte kam, war verwünſcht wenig zu hören; wahrſcheinlich bekommen wir bei
Berathung des Antrages ſelbſt „alles,“ und wenn erſt der würdige Conflicts-
Referent Hauck die Tribüne einnimmt, dann „gar alles“ zu hören. Gleichſam zur
Vorbereitung und als parlamentariſches Cxercitium hält Pfr. Rußwurm am nächſten
[Spaltenumbruch] Freitag nach Verleſung des Protokolls und des Einlaufs eine feierliche Interpellation
an das Miniſterium für Kirchen- und Schulangelegenheiten, betreffend das „Vor-
gehen“ der Regierung der Oberpfalz und des Magiſtrats Amberg beim Begräbniß
des Melbers Zunner. Wenn Schiller heute wieder aufſtünde, müßte er ſeinem
Lied von der Glocke um jeden Preis noch eine Strophe anfügen; es iſt nun ſchon
der zweite oder dritte Fall daß Kirchenglocken, welche einen todten Proteſtanten
oder Altkatholiken noch todter ſchweigen wollten, von Amtswegen die Zunge gelöst
wurde. Wenn übrigens den Altkatholiken mit der Zeit vom kirchlichen Baarvorrath
nicht mehr zugeſprochen wird als etwas Glockenklang, ſo brauchten ſich die im
Beſitzſtand Befindlichen nicht gar ſo zu ereifern.

Bei der in Geißlingen an Stelle Römers vor-
genommenen Ergänzangswahl zur Abgeordnetenkammer ſiegte der klerikale Can-
didat, Kreisgerichtsrath Hohl, mit einer ſehr geringen Mehrheit über den national-
liberalen Candidaten Kreisgerichtsrath Gaupp. Die Gültigkeit der Wahl wird,
nach einer Mittheilung des „Schwäb. Merk.,“ angefochten.

Auf der Tagesordnung der heutigen Sitzung des Hauſes
der Abgeordneten
ſtand zunächſt der Bericht der Budgetcommiſſion über den Ge-
ſetzentwurf betreffend die Ueberweiſung einer Summe von 142,000 Thlrn. jährlich und
eines Capitals von 46,380 Thlrn. an den communalſtändiſchen Verband des Regie-
rungsbezirks Wiesbaden. Da der Entwurf von mehreren Seiten bekämpft wird, ſo
erklärt der Miniſter des Innern: Es iſt irrig zu glauben man habe die Provin-
cialfonds den neuen Provinzen nur als Pflaſter auf die Wunde gegeben. Dieſer Ge-
danke war auch mitbeſtimmend, hauptſächlich aber gieng man von dem Grundgedanken
aus: mit der Zuwendung der als zweckmäßig erachteten Provincialfonds bei den neuen
Provinzen anzufangen. Der Entwurf iſt kein „Mittelchen,“ und die Regierung kann ſich
nicht auf den Standpunkt ſtellen Naſſau ſchlechter zu ſtellen als die andern neuen Landes-
theile, weil es auch ohne Geld ſich Preußen eng angeſchloſſen hat. Die Regierung hat
bisher jede Gelegenheit benutzt durch die That ihren guten Willen darzuthun den neuen
Provinzen Mittel zu überweiſen unter dem Titel von Provincialfonds. Augenblicklich
kann der Staat den Provinzen nicht überall ſolche Fonds zur Selbſtverwaltung geben;
das wird aber geſchehen ſobald Frankreich die volle Kriegsentſchädigung gezahlt hat;
ſei es daß man den Provinzen Fonds oder Renten oder Steuerquoten zuweist. Wirkt
dieſe Erklärung beruhigend, ſo würde ich darüber ſehr erfreut ſein, denn ich halte den
Geſetzentwurf für eine nothwendige Conſequenz derjenigen Schritte welche wir in Bezug
auf Heſſen und Hannover eingeſchlagen haben. Das Geſetz wird angenommen. Das
Haus fährt in der Discuſſion über den Etat des Miniſteriums des Innern
fort. Es findet zunächſt eine allgemeine Beſprechung ſtatt über die Ausgaben für die
Polizeiverwaltung. Abg. Reichenſperger bringt auch dieſes Jahr den Aus-
nahmszuſtand zur Sprache in dem ſich elf Städte befinden auf Grund des Polizei-
geſetzes von 1850, daß eine Stadt über 10,000 Einwohner königliche Polizeiver-
waltung erhalten ſollte, wofür der Staat die Gehalte zahlt, und zwar ſehr hohe Sum-
men, 1,530,000 Thlr. anſtatt der 30,000 Thlr. welche bei Erlaß jenes Geſetzes als
ausreichend angenommen worden waren, weil man damals dem Geſetz eine ganz andere
Abſicht und Tragweite zu Grunde gelegt hatte. Darum ſeien im Hauſe ſchon 1869
Anträge geſtellt worden die Beſoldungen von Polizeipräſidenten in einigen Städten
als „künftig wegfallend“ zu bezeichnen. Dieſe Anträge habe das Haus verworfen, da-
gegen eine Reſolution angenommen die auf möglichſte Einſchränkung der Polizeiver-
waltungen in den Städten Königsberg, Stettin, Danzig, Magdeburg, Köln, Koblenz,
Aachen gerichtet iſt. Dieſe Anträge ſeien dieſes Jahr wiederholt, und man verlange die
Bezeichnung „künftig wegfallend“ für die Beſoldung der Polizeipräſidenten und Direc-
toren in Danzig, Stettin, Köln mit Deutz und Aachen. Der Vorſchlag der Abgg.
Hehner und Vogtherr auch Frankfurt a. M. dieſen Städten anzureihen, ſei nicht
empfehlenswerth. Man habe das conſtitutionelle Bedenken erhoben: das Abgeordneten-
haus habe gar nicht das Recht an Poſitionen die auf Grund von Geſetzen im Etat aus-
geworfen ſind zu rütteln; dieſes Bedenken entbehre jeder Grundlage. Man wolle ja die
Gehalte fortzahlen und nur künftig wegfallen laſſen. Um aus dem jetzigen Zuſtande
herauszukommen müſſe das Abgeordnetenhaus die Initiative ergreifen. Abg. Wagener
(Franzburg) theilt die angeregten conſtitutionellen Bedenken nicht, aber er meint das
Haus ſei nicht in der Lage der Regierung den Vorwurf zu machen daß ſie von dem
Recht der Umwandlung von Communalpolizeiverwaltungen in königliche einen über-
triebenen Gebrauch gemacht, und Wünſche welche das Haus ausgeſprochen unberück-
ſichtigt gelaſſen habe, denn das Haus habe Anträge auf Auflöſung von Polizeiverwal-
tungen nicht geſtellt. Miniſter des Innern: Der Abg. Reichenſperger ſtellt die
Theorie von der Autonomie der Städte auf, und ſieht in jeder königlichen Polizeiver-
waltung ein Unrecht. Das iſt falſch: der Staat übt die Polizei und kann ſie in manchen
Städten den Communen übergeben, wie er befugt iſt unter gewiſſen Verhältniſſen in
gewiſſen Städten eine königliche Polizeiverwaltung einzurichten. Die Polizeiverwaltung
hat eben keinen localen Charakter; ſie geht weit über die Gränzen des Weichbildes hin-
aus. Damit wird der Bürgermeiſter zu ſehr mit Geſchäften überhäuft; übt derſelbe die
Polizei energiſch aus, ſo ſetzt er ſich auch mit der halben Stadt in Conflict. Die meiſten
Communen würden es als ein Danaer-Geſchenk anſehen wenn man ihnen die Polizei
überließe. In Betreff der Städte in denen die Aufhebung der königlichen Polizeiver-
waltung verlangt wird, haben ſich alle Ober- und Regierungspräſidenten entſchieden
gegen dieſe Beſeitigung ausgeſprochen. Nirgends ſei eine königliche Polizeiverwaltung
nothwendiger, heißt es in den Berichten, als in Köln und Aachen. Dieſe Verwaltungen
ſollen ſo eingehen, wo es die Verhältniſſe zulaſſen. Augenblicklich muß das Auge der
Regierung bei der ſocialen Bewegung ſehr offen gehalten werden, und dazu bedarf es
einer kräftigen Polizei. Abg. Löwe führt aus daß die Gemeinden das größte Intereſſe
daran haben die Polizei gut zu führen, und daß der Miniſter nicht von Conflicten der
Bürgermeiſter zu ſprechen habe, ſondern daß er die höhern Intereſſen des Staats nach-
weiſe. Da liege der Kern: für die Regierung ſei die Hauptſache die politiſche Polizei,
die Herrſchaft über das Volk und doch — wäre die ſociale Bewegung von den Gemein-
den überwacht worden, ſie hätte dieſe Bedeutung, dieſe Gefährlichkeit nicht erlangt;
man glaubte in jenen Kreiſen gewiſſe Organe ſtützten den Kampf gegen die Bourgeoiſie.
Wenn der Miniſter ſagt: er bedürfe eines Netzes über das ganze Land, deſſen Fäden
er gleichzeitig anziehen könne, ſo vergeſſe er daß das Netz doch ſehr durchbrochen ſei,
daß alſo ſeine Einrichtung keine vollkommene, keine einheitliche ſein könne. Zuzugeſtehen
ſei daß in jeder Stadt geprüft werden müſſe ob dort für den Staat beſondere Verhält-
niſſe beſtehen welche die königliche Polizeiverwaltung zur Nothwendigkeit machen. Abg.
Reichenſperger-Olpe widerlegt die Ausführung des Miniſters: der Landtag ſei
nicht befugt, nachdem er einmal durch Bewilligung der nothwendigen Mittel im Etats-
geſetze die Errichtung königlicher Polizeiverwaltungen auch ſeinerſeits gebilligt habe,
einſeitig dieſelben durch plötzliche Verweigerung der Gelder aufzuheben; die Regierung
halte ſich doch zu ſolchen einſeitigen Aenderungen competent, indem ſie ſich berechtigt
glaube durch einfache Nichtaufnahme der Koſten in den Etat, wogegen der Landtag gänz-
lich waffenlos ſei, die Beſeitigung beſtehender Polizeiverwaltungen herbeizuführen; alſo
habe der Landtag das Recht dasſelbe mittelſt Streichung der Koſten zu thun. Der An-

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Die Regierung jagt uns in eine Sackga&#x017F;&#x017F;e, in der wir nach Verwerfung aller Steuer-<lb/>
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&#x017F;ich gut aus im Mund eines Mini&#x017F;ters. (Heiterkeit.) Eine Vermehrung der Beamten<lb/>
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Kammer erklärte &#x017F;ich gegen die Willkür, denn &#x017F;ie wäre ein In&#x017F;trument der Unterdrückung<lb/>
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Vergangenheit nicht an; es gibt vielleicht Per&#x017F;onen die ihr nachweinen. Das &#x017F;ind<lb/>
Ge&#x017F;chmack&#x017F;achen. (Oh! Oh!) Nun, da &#x017F;ollte man doch der Regierung nicht die Fehler<lb/>
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(Ja wohl! &#x2014; Lärm.) M. HH.! Wenn ich eine Frage an Sie richte, &#x017F;o bitte ich Sie,<lb/>
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&#x017F;chlage daher vor &#x017F;ofort die Discu&#x017F;&#x017F;ion des Haupttheils der Einnahmen vorzunehmen<lb/>
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&#x017F;chädlichen Abgaben zurückgreifen: auf die Be&#x017F;teuerung der Mobiliarwerthe und auf die<lb/>
Salz&#x017F;teuer. Wir dürfen kein Sy&#x017F;tem aus&#x017F;chließlich begün&#x017F;tigen, und mü&#x017F;&#x017F;en uns<lb/>
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vorzu&#x017F;chlagen. (Sehr gut!) Die Kammer be&#x017F;chließt jede Ent&#x017F;cheidung zu vertagen,<lb/>
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der Kammer der Abgeordneten, nachdem die Volksvertretung er&#x017F;t vorige Woche ein<lb/>
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Blunt&#x017F;chli&#x2019;s Wirken einer &#x017F;achgemäßen Kritik unterzogen und die Exi&#x017F;tenzberechtigung<lb/>
des Je&#x017F;uitenordens &#x017F;chlagend bewie&#x017F;en wurde. Mehr kann der Staat für das was<lb/>
er bezahlt nicht verlangen. Uebrigens i&#x017F;t nicht nur das Kühlmann&#x2019;&#x017F;che Referat<lb/>
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Erkenntlichkeit zukommen zu la&#x017F;&#x017F;en, an den Aus&#x017F;chuß zurückgegangen. Ob, wenn<lb/>
&#x017F;ich Regierung und Aus&#x017F;chuß über den Vertheilungsmodus nicht einigen können,<lb/>
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andere Theil nachgibt, das werden diejenigen welche mit Schmerzen warten &#x017F;einer<lb/>
Zeit &#x017F;chon &#x017F;ehen. Wird ja auch einem Bi&#x017F;chof, und wenn er noch &#x017F;o dringende<lb/>
Be&#x017F;chwerden hat, nicht gleich aufgewartet. Dem Minderheitsgutachten in Sachen<lb/>
Dinkel <hi rendition="#aq">contra</hi> Mini&#x017F;terium &#x017F;etzt der Mehrheitsreferent eine Replik entgegen, was<lb/>
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Debatte kam, war verwün&#x017F;cht wenig zu hören; wahr&#x017F;cheinlich bekommen wir bei<lb/>
Berathung des Antrages &#x017F;elb&#x017F;t &#x201E;alles,&#x201C; und wenn er&#x017F;t der würdige Conflicts-<lb/>
Referent Hauck die Tribüne einnimmt, dann &#x201E;gar alles&#x201C; zu hören. Gleich&#x017F;am zur<lb/>
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Freitag nach Verle&#x017F;ung des Protokolls und des Einlaufs eine feierliche Interpellation<lb/>
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gehen&#x201C; der Regierung der Oberpfalz und des Magi&#x017F;trats Amberg beim Begräbniß<lb/>
des Melbers Zunner. Wenn Schiller heute wieder auf&#x017F;tünde, müßte er &#x017F;einem<lb/>
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Hehner und Vogtherr auch Frankfurt a. M. die&#x017F;en Städten anzureihen, &#x017F;ei nicht<lb/>
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lich waffenlos &#x017F;ei, die Be&#x017F;eitigung be&#x017F;tehender Polizeiverwaltungen herbeizuführen; al&#x017F;o<lb/>
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[163/0003] Regierung bezüglich der Beſteuerung von Mobiliarwerthen verworfen. Es bleiben daher nur noch einzelne Amendements über dieſen Gegenſtand zu prüfen. Buffet: Die Commiſſion darf keine rein negative Rolle ſpielen. Sie hat ihren Geſetzentwurf zurückgezogen weil ein Votum der Kammer jede Einkommenſteuer überhaupt als will- kürlich verurtheilte, und es bleibt daher nichts übrig als uns zunächſt ausſchließlich mit der Regierungsvorlage zu beſchäftigen. Die Kammer entſcheidet ſich für die Priorität der Regierungsvorlage. Wolowski bekämpft die Beſteuerung von Actien und Obli- gationen als eine Capitalſteuer. Guichard iſt im Gegentheil dafür; er will die Taxe auf die Handelseinkünfte ausgedehnt wiſſen, um ſo wenigſtens 80 Millionen zu erhalten. Javal dagegen, weil die Vorlage den großen Capitaliſten ſteuerfrei laſſe. Raudot dafür: denn der Ackerbau ſei ſchon zu ſehr belaſtet. Soubeyran glaubt daß die Vorlage die Capitalien aus Frankreich verjagen werde, und zwar zum Vortheil Preußens (Lärm), welches verſuche in Berlin einen großen Geldmarkt zu errichten. Damit könne man weder dem Ackerbau helfen noch die Kriegsſchuld bezahlen. Die Kammer habe von der allgemeinen Einkommenſteuer nichts wiſſen wollen, ſie habe ebenſo wenig die ein- geſchränktere Beſteuerung der Commiſſionsvorlage gebilligt; das dritte Project aber, das vorliegende der Regierung, ſei das allerſchlechteſte. (Beifall und Lärm.) Rouveure: Die Regierung jagt uns in eine Sackgaſſe, in der wir nach Verwerfung aller Steuer- vorlagen uns, des Krieges müde, gezwungen ſehen werden die Steuer auf die Gewebe und Rohſtoffe anzunehmen. Ich empfehle die Wiederaufnahme der Salzſteuer. Ich bin vielleicht von allen Vertretern Frankreichs derjenige welcher am meiſten Salz ver- braucht. Für die wohlhabenden Claſſen brauchen wir eine Einkommenſteuer, für die andern eine Salzſteuer. Man braucht deßhalb die Beamtenzahl nicht zu vermehren, von der der Finanzminiſter neulich behauptete ſie ſei ſchon übergroß. So etwas nimmt ſich gut aus im Mund eines Miniſters. (Heiterkeit.) Eine Vermehrung der Beamten iſt nicht nöthig. Die Einkommenſteuer iſt die Steuer der Zukunft; deßhalb muß gerade die conſervative Partei ſie ſofort in Anwendung bringen. (Beifall links.) Eine Revo- lution wird ſie unter dem Vorwande der Gerechtigkeit ohne Zögern einführen. (Lärm rechts. Sehr gut! links.) Im ſocialen Intereſſe beſchwöre ich die Kammer dieſen Vor- ſchlag anzunehmen. Die Engländer, in ähnlicher Lage, legten ſich nicht 2 oder 3 Procent, ſondern 10 Procent auf, und ſie bezahlten murrend, denn man murrt immer wenn man bezahlt (Gelächter); aber ſie haben bezahlt. Der Präſident der Republik: Der Vorredner hat der Regierung vorgeworfen ſie wolle die Kammer in eine Sackgaſſe trei- ben, um ſie zu zwingen die Steuer auf die Gewebe anzunehmen. Man könnte das Argument umdrehen, und behaupten daß die Freunde der Einkommenſteuer ihre Gegner in eine Sackgaſſe drängen möchten. Die Wahrheit iſt daß dieſe Kammer, der nicht genug Freundlichkeiten zu ſagen man mich zuweilen beſchuldigt (Heiterkeit), eine ehrbare, aufrichtige Verſammlung iſt, die wie die Regierung mühſam den Weg ſucht der aus den Schwierigkeiten der Lage hinausführt. Die Einkommenſteuer beſteht in Frankreich ſchon auf andern Grundlagen, heute möchte man die Willkür noch dazu fügen; aber die Kammer erklärte ſich gegen die Willkür, denn ſie wäre ein Inſtrument der Unterdrückung in den Händen der Regierungsgewalt. (Beifall.) Man hat geſagt daß die Steuer auf die Mobiliarwerthe dem franzöſiſchen Markt ſchaden würde. Das iſt leider wahr (Bewegung); aber was thun? Wir haben freilich die Steuer auf die Rohſtoffe. (Stim- men: Aha, da kommt er!) Nun wohl ja, da kommt er! (Lärm und Gelächter.) Es iſt nicht unſere Schuld wenn wir uns in dieſer Lage befinden. (Lärm.) Ich greife die Vergangenheit nicht an; es gibt vielleicht Perſonen die ihr nachweinen. Das ſind Geſchmackſachen. (Oh! Oh!) Nun, da ſollte man doch der Regierung nicht die Fehler anderer aufbürden. (Lärm.) Es bleibt uns daher nur die Steuer auf die Rohſtoffe oder ein Zuſchlagszehntel auf die vier directen Steuern. Gibt es noch etwas anderes? (Ja wohl! — Lärm.) M. HH.! Wenn ich eine Frage an Sie richte, ſo bitte ich Sie, mir nicht zu antworten. (Verlängerte Heiterkeit.) Was mich betrifft, ſo liebe ich über- haupt keine neuen Steuern; aber wir bedürfen ihrer, und ich ſehe nur dieſe beiden. Ich ſchlage daher vor ſofort die Discuſſion des Haupttheils der Einnahmen vorzunehmen deren wir bedürfen. Berathen wir alſo zuerſt die Steuer über die Rohſtoffe oder aber den Zehnten; gleichzeitig jedoch das Quantum welches uns unerläßlich iſt. Wenn Sie von dieſen Vorlagen keine einzige angenommen haben, dann können wir auf die wirklich ſchädlichen Abgaben zurückgreifen: auf die Beſteuerung der Mobiliarwerthe und auf die Salzſteuer. Wir dürfen kein Syſtem ausſchließlich begünſtigen, und müſſen uns reſigniren alle nothwendigen Abgaben zu votiren. (Sehr gut!) Gehen wir daher zu den Rohſtoffen und zum Zehnten über; ich werde verſuchen Ihnen für dieſe beiden großen Syſteme die annehmbarſten oder doch die am wenigſten verwerflichen Löſungen vorzuſchlagen. (Sehr gut!) Die Kammer beſchließt jede Entſcheidung zu vertagen, bis eine Generaldiscuſſion aller Syſteme ſtattgefunden habe, die in folgender Ordnung vorgenommen werden ſoll: Mobiliarwerthe, Quantum, Rohſtoffe. Damit ſchließt die Sitzung. Deutſches Reich. ∆ München, 10 Jan. Nächſten Freitag iſt „ſchon wieder“ Sitzung der Kammer der Abgeordneten, nachdem die Volksvertretung erſt vorige Woche ein paar Berathungen gepflogen hat, und dabei ſo umfaſſend zu Werke gieng, daß gelegent- lich eines Remunerationsvorſchlags für Locomotivführer und Wechſelwärter auch Bluntſchli’s Wirken einer ſachgemäßen Kritik unterzogen und die Exiſtenzberechtigung des Jeſuitenordens ſchlagend bewieſen wurde. Mehr kann der Staat für das was er bezahlt nicht verlangen. Uebrigens iſt nicht nur das Kühlmann’ſche Referat über die „Nachweiſungen,“ ſondern auch der generoſe Vorſchlag: dem Perſonal der Verkehrsanſtalten für die Aufreibung ſeiner Kräfte während der Kriegszeit eine Erkenntlichkeit zukommen zu laſſen, an den Ausſchuß zurückgegangen. Ob, wenn ſich Regierung und Ausſchuß über den Vertheilungsmodus nicht einigen können, das Ganze ins Waſſer fällt, oder ob aus Humanitätsrückſichten der eine oder der andere Theil nachgibt, das werden diejenigen welche mit Schmerzen warten ſeiner Zeit ſchon ſehen. Wird ja auch einem Biſchof, und wenn er noch ſo dringende Beſchwerden hat, nicht gleich aufgewartet. Dem Minderheitsgutachten in Sachen Dinkel contra Miniſterium ſetzt der Mehrheitsreferent eine Replik entgegen, was natürlich auch Hrn. Dr. Völk das Recht zu einer Duplik gibt, ſo daß niemand weiß wann wir am Ende der Druckkoſten ſtehen. Adreſſe an den König, Mißtrauens- votum, Miniſteranklage und dergleichen kühne Unternehmungen hatte die „Poſtztg.“ mit Generalſtabsmiene als nicht zum Ziel führend zurückgewieſen, und erklärt: beim Initiativ-Antrag und in der Biſchofsdebatte laſſe ſich „alles, aber auch gar alles ſagen.“ Nun, als die Unterſtützung des Barth-Schüttinger’ſchen Werkes zur Debatte kam, war verwünſcht wenig zu hören; wahrſcheinlich bekommen wir bei Berathung des Antrages ſelbſt „alles,“ und wenn erſt der würdige Conflicts- Referent Hauck die Tribüne einnimmt, dann „gar alles“ zu hören. Gleichſam zur Vorbereitung und als parlamentariſches Cxercitium hält Pfr. Rußwurm am nächſten Freitag nach Verleſung des Protokolls und des Einlaufs eine feierliche Interpellation an das Miniſterium für Kirchen- und Schulangelegenheiten, betreffend das „Vor- gehen“ der Regierung der Oberpfalz und des Magiſtrats Amberg beim Begräbniß des Melbers Zunner. Wenn Schiller heute wieder aufſtünde, müßte er ſeinem Lied von der Glocke um jeden Preis noch eine Strophe anfügen; es iſt nun ſchon der zweite oder dritte Fall daß Kirchenglocken, welche einen todten Proteſtanten oder Altkatholiken noch todter ſchweigen wollten, von Amtswegen die Zunge gelöst wurde. Wenn übrigens den Altkatholiken mit der Zeit vom kirchlichen Baarvorrath nicht mehr zugeſprochen wird als etwas Glockenklang, ſo brauchten ſich die im Beſitzſtand Befindlichen nicht gar ſo zu ereifern. Stuttgart, 10 Jan. Bei der in Geißlingen an Stelle Römers vor- genommenen Ergänzangswahl zur Abgeordnetenkammer ſiegte der klerikale Can- didat, Kreisgerichtsrath Hohl, mit einer ſehr geringen Mehrheit über den national- liberalen Candidaten Kreisgerichtsrath Gaupp. Die Gültigkeit der Wahl wird, nach einer Mittheilung des „Schwäb. Merk.,“ angefochten. Berlin, 9 Jan. Auf der Tagesordnung der heutigen Sitzung des Hauſes der Abgeordneten ſtand zunächſt der Bericht der Budgetcommiſſion über den Ge- ſetzentwurf betreffend die Ueberweiſung einer Summe von 142,000 Thlrn. jährlich und eines Capitals von 46,380 Thlrn. an den communalſtändiſchen Verband des Regie- rungsbezirks Wiesbaden. Da der Entwurf von mehreren Seiten bekämpft wird, ſo erklärt der Miniſter des Innern: Es iſt irrig zu glauben man habe die Provin- cialfonds den neuen Provinzen nur als Pflaſter auf die Wunde gegeben. Dieſer Ge- danke war auch mitbeſtimmend, hauptſächlich aber gieng man von dem Grundgedanken aus: mit der Zuwendung der als zweckmäßig erachteten Provincialfonds bei den neuen Provinzen anzufangen. Der Entwurf iſt kein „Mittelchen,“ und die Regierung kann ſich nicht auf den Standpunkt ſtellen Naſſau ſchlechter zu ſtellen als die andern neuen Landes- theile, weil es auch ohne Geld ſich Preußen eng angeſchloſſen hat. Die Regierung hat bisher jede Gelegenheit benutzt durch die That ihren guten Willen darzuthun den neuen Provinzen Mittel zu überweiſen unter dem Titel von Provincialfonds. Augenblicklich kann der Staat den Provinzen nicht überall ſolche Fonds zur Selbſtverwaltung geben; das wird aber geſchehen ſobald Frankreich die volle Kriegsentſchädigung gezahlt hat; ſei es daß man den Provinzen Fonds oder Renten oder Steuerquoten zuweist. Wirkt dieſe Erklärung beruhigend, ſo würde ich darüber ſehr erfreut ſein, denn ich halte den Geſetzentwurf für eine nothwendige Conſequenz derjenigen Schritte welche wir in Bezug auf Heſſen und Hannover eingeſchlagen haben. Das Geſetz wird angenommen. Das Haus fährt in der Discuſſion über den Etat des Miniſteriums des Innern fort. Es findet zunächſt eine allgemeine Beſprechung ſtatt über die Ausgaben für die Polizeiverwaltung. Abg. Reichenſperger bringt auch dieſes Jahr den Aus- nahmszuſtand zur Sprache in dem ſich elf Städte befinden auf Grund des Polizei- geſetzes von 1850, daß eine Stadt über 10,000 Einwohner königliche Polizeiver- waltung erhalten ſollte, wofür der Staat die Gehalte zahlt, und zwar ſehr hohe Sum- men, 1,530,000 Thlr. anſtatt der 30,000 Thlr. welche bei Erlaß jenes Geſetzes als ausreichend angenommen worden waren, weil man damals dem Geſetz eine ganz andere Abſicht und Tragweite zu Grunde gelegt hatte. Darum ſeien im Hauſe ſchon 1869 Anträge geſtellt worden die Beſoldungen von Polizeipräſidenten in einigen Städten als „künftig wegfallend“ zu bezeichnen. Dieſe Anträge habe das Haus verworfen, da- gegen eine Reſolution angenommen die auf möglichſte Einſchränkung der Polizeiver- waltungen in den Städten Königsberg, Stettin, Danzig, Magdeburg, Köln, Koblenz, Aachen gerichtet iſt. Dieſe Anträge ſeien dieſes Jahr wiederholt, und man verlange die Bezeichnung „künftig wegfallend“ für die Beſoldung der Polizeipräſidenten und Direc- toren in Danzig, Stettin, Köln mit Deutz und Aachen. Der Vorſchlag der Abgg. Hehner und Vogtherr auch Frankfurt a. M. dieſen Städten anzureihen, ſei nicht empfehlenswerth. Man habe das conſtitutionelle Bedenken erhoben: das Abgeordneten- haus habe gar nicht das Recht an Poſitionen die auf Grund von Geſetzen im Etat aus- geworfen ſind zu rütteln; dieſes Bedenken entbehre jeder Grundlage. Man wolle ja die Gehalte fortzahlen und nur künftig wegfallen laſſen. Um aus dem jetzigen Zuſtande herauszukommen müſſe das Abgeordnetenhaus die Initiative ergreifen. Abg. Wagener (Franzburg) theilt die angeregten conſtitutionellen Bedenken nicht, aber er meint das Haus ſei nicht in der Lage der Regierung den Vorwurf zu machen daß ſie von dem Recht der Umwandlung von Communalpolizeiverwaltungen in königliche einen über- triebenen Gebrauch gemacht, und Wünſche welche das Haus ausgeſprochen unberück- ſichtigt gelaſſen habe, denn das Haus habe Anträge auf Auflöſung von Polizeiverwal- tungen nicht geſtellt. Miniſter des Innern: Der Abg. Reichenſperger ſtellt die Theorie von der Autonomie der Städte auf, und ſieht in jeder königlichen Polizeiver- waltung ein Unrecht. Das iſt falſch: der Staat übt die Polizei und kann ſie in manchen Städten den Communen übergeben, wie er befugt iſt unter gewiſſen Verhältniſſen in gewiſſen Städten eine königliche Polizeiverwaltung einzurichten. Die Polizeiverwaltung hat eben keinen localen Charakter; ſie geht weit über die Gränzen des Weichbildes hin- aus. Damit wird der Bürgermeiſter zu ſehr mit Geſchäften überhäuft; übt derſelbe die Polizei energiſch aus, ſo ſetzt er ſich auch mit der halben Stadt in Conflict. Die meiſten Communen würden es als ein Danaer-Geſchenk anſehen wenn man ihnen die Polizei überließe. In Betreff der Städte in denen die Aufhebung der königlichen Polizeiver- waltung verlangt wird, haben ſich alle Ober- und Regierungspräſidenten entſchieden gegen dieſe Beſeitigung ausgeſprochen. Nirgends ſei eine königliche Polizeiverwaltung nothwendiger, heißt es in den Berichten, als in Köln und Aachen. Dieſe Verwaltungen ſollen ſo eingehen, wo es die Verhältniſſe zulaſſen. Augenblicklich muß das Auge der Regierung bei der ſocialen Bewegung ſehr offen gehalten werden, und dazu bedarf es einer kräftigen Polizei. Abg. Löwe führt aus daß die Gemeinden das größte Intereſſe daran haben die Polizei gut zu führen, und daß der Miniſter nicht von Conflicten der Bürgermeiſter zu ſprechen habe, ſondern daß er die höhern Intereſſen des Staats nach- weiſe. Da liege der Kern: für die Regierung ſei die Hauptſache die politiſche Polizei, die Herrſchaft über das Volk und doch — wäre die ſociale Bewegung von den Gemein- den überwacht worden, ſie hätte dieſe Bedeutung, dieſe Gefährlichkeit nicht erlangt; man glaubte in jenen Kreiſen gewiſſe Organe ſtützten den Kampf gegen die Bourgeoiſie. Wenn der Miniſter ſagt: er bedürfe eines Netzes über das ganze Land, deſſen Fäden er gleichzeitig anziehen könne, ſo vergeſſe er daß das Netz doch ſehr durchbrochen ſei, daß alſo ſeine Einrichtung keine vollkommene, keine einheitliche ſein könne. Zuzugeſtehen ſei daß in jeder Stadt geprüft werden müſſe ob dort für den Staat beſondere Verhält- niſſe beſtehen welche die königliche Polizeiverwaltung zur Nothwendigkeit machen. Abg. Reichenſperger-Olpe widerlegt die Ausführung des Miniſters: der Landtag ſei nicht befugt, nachdem er einmal durch Bewilligung der nothwendigen Mittel im Etats- geſetze die Errichtung königlicher Polizeiverwaltungen auch ſeinerſeits gebilligt habe, einſeitig dieſelben durch plötzliche Verweigerung der Gelder aufzuheben; die Regierung halte ſich doch zu ſolchen einſeitigen Aenderungen competent, indem ſie ſich berechtigt glaube durch einfache Nichtaufnahme der Koſten in den Etat, wogegen der Landtag gänz- lich waffenlos ſei, die Beſeitigung beſtehender Polizeiverwaltungen herbeizuführen; alſo habe der Landtag das Recht dasſelbe mittelſt Streichung der Koſten zu thun. Der An-

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 12. Januar 1872, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine12_1872/3>, abgerufen am 01.06.2024.