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Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 13. Januar 1924.

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Allgemeine Zeitung. Nr. 12 Sonntag, den 13. Januar 1924
[Spaltenumbruch]

Wählerschaft entspricht. Aber man soll ja
nicht meinen, daß bei Neuwahlen etwas
wesentlich anderes herauskäme. Die Flü-
gelparteien würden wohl eine Stärkung,
die Mitte eine Schwächung erfahren. Aber
ist damit etwas anderes erreicht als eine
Verschärfung der Gegensätze, an
denen jetzt schon unser Volk und unser Reich
zu zerbrechen droht? Die Rechte würde nicht
so stark werden, daß sie allein die Regie-
rung bilden könnte. Die Gefahr einer Ent-
fesselung aller politischen Leidenschaften in
diesen Monaten der Kälte, des Hungers, der
Arbeitslosigkeit ist größer als der zu erhof-
fende Gewinn -- wenn man aufs Ganze und
nicht auf Parteiinteressen sieht.

Manche gehen weiter und wollen den
Reichstag ganz beiseite schieben. Aber Dik-
tatur
setzt eine überragende Macht (und
eine starke Persönlichkeit) voraus. Wo ist
sie in Deutschland? Ohne sie aber führt der
Versuch der Vergewaltigung eines Teiles
des Volkes durch den anderen unfehlbar
zum Bürgerkriege.

Auch der letzte Ausweg einer Ersetzung
des parteipolitischen Vertretungssystems
durch ein berufsständisches versagt
heute. Von einer grundsätzlichen Entschei-
dung der Frage nach dem Wirtschaftsparla-
ment mag hier ganz abgesehen werden.
Heute ist keine geschlossene einheitliche
Macht vorhanden, die besser als ein Reichs-
tag die Volkskräfte zusammenhalten könnte.
Die Gegensätze zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern, zwischen Stadt und
Land, zwischen Fabrikanten, Händlern und
Verbrauchern sind mindestens so stark wie
die zwischen den politischen Parteien (die
sich ja vielfach mit den Wirtschaftsgrupen
decken). Auch ein Wirtschaftsparlament
würde kaum etwas anderes als eine Kom-
promißpolitik aus mittlerer Li-
nie
zuwege bringen.

Diese mittlere Linie, die im Grunde nie-
manden befriedigt, richtig zu erkennen und
der Gesamtheit schmackhaft zu machen, das
ist die Hauptkunst, die wir von unseren Mi-
nistern verlangen müssen. Sie setzt voraus,
daß die Regierenden die Grenzen des Mög-
lichen
ebenso klar erkennen wie die des
Notwendigen; daß sie von vornherein
darauf verzichten, dem Volke Hoffnungen
vorzuspiegeln, die sich nicht erfüllen können;
daß sie den Mut zur Wahrheit haben,
auch wenn diese Wahrheit recht bitter ist.

Die Erneuerung Deutschlands muß ganz
von innen heraus kommen, aus dem Wan-
del der Gesinnung bei Millionen Einzener,
die uns das Menschenmaterial liefert, ohne
das die erstrebte soziale Ordnung nicht
denkbar ist. Das Beispiel dazu muß
von oben kommen -- ebenso wie das Bei-
spiel zum Schlechten, die Ausnutzung des
Krieges als Geschäftskonjunktur, oben be-
gonnen hat. Hier liegen unbegrenzte Mög-
lichkeiten des sofortigen Wirkens; sie mö-
gen die tatenlustigen Politiker entschädigen
für die bescheidenen Möglichkeiten, die
ihnen auf rein politischem Gebiete heute
gegeben sind.

[Spaltenumbruch]
Außenpolitische Aussprache in
der französischen Kammer

Die Kammer setzte gestern die
Erörterung der Interpellationen über die
Außenpolitik fort. Der Führer der Radi-
kalen, Herriot, erklärte, selbst diejenigen,
welche die Ruhrpolitik für notwendig erklärt hät-
ten, könnten sie heute nicht mehr als befriedigend
ansehen. Frankreich und Deutschland könnten sich
jetzt über einen Lieferungsvertrag verständigen.
Wenn man eine Milliarde Gold aus dem Ruhr-
gebiet herausziehen wolle, so müsse man die ge-
samten Besatzungskosten des linken Rheinufers
abziehen. Das Ruhrgebiet sei allein nicht ge-
nügend produktiv, um die Reparationen sicher zu
stellen.

Die logische Folge sei, daß die Alliierten eine
gemeinsame Front herstellen müßten, um die Re-
parationsfrage zu lösen. Es sei falsch, wenn man
in England glaube, Frankreich verfolge mit der
Besetzung des Ruhrgebiets annexionistische
Absichten
und die Ruhrbesetzung habe Arbeits-
losenkrisis verstärkt.

Die Mißverständnisse, die im Augen-
blick Frankreich und England trennen, müßten
alsbald beseitigt werden. Die Beziehungn Frank-
reichs zu Amerika müssen besser werden.

Herriot wendet sich weiter gegen die Po-
litik der Separatisten
und der Requi-
sitionen, bekämpfte den Plan Rechbergs und be-
sprach die Währungsfrage. Jedesmal, wenn
irgend eine Verhandlung stattgefunden habe, habe
diese auch eine Wirkung auf die französische Wäh-
rung ausgeübt.

Poincare erklärte hierzu: Die Sachverstän-
digen könnten in keiner Weise die Schuld
Deutschlands
herabsetzen; sie hätten den
Versailler Vertrag zu respektieren.

Herriot spricht sodann von dem Vorschlag Col-
sons, der die Emission einer großen interna-
tionalen Anleihe
vorgeschlagen habe. Poin-
care sagt, Colson setze aber die Herabsetzung der
deutschen Schuld als Kompensation für die inter-
alliierten Schulden voraus. Alle Bemühungen
nach dieser Richtung seien jedoch zwecklos gewesen.

Herriot spricht sodann über die Arbeit der Sach-
verständigen bei Feststellung der Hilfsquellen
Deutschlands. Wenn der Sachverständigenausschuß
von Frankreich einen Veweis der Mäßigung ver-
lange, dann müsse Frankreich Ja sagen, allerdings
nur unter der Bedingung, daß auch die anderen
Nationen die gleiche Mäßigung zeigten.

Die Kammer vertagt die weitere Diskussion
auf kommenden Freitag.

Die Konferenz der Kleinen Entente

Der eigentliche Beginn der
Konferenz der Kleinen Entente
mußte um mehrere Stunden verschoben werden,
da der Sonderzug, welchen die Regierung zur
Einholung des rumänischen Ministers des
Aeußern, Duca, an die Grenze sandte, auf der
Rückfahrt nach Belgrad eine mehrstündige Ver-
spätung erlitt. Im ganzen Lande herrschen ge-
waltige Schneestürme und die Strecken sind stel-
lenweise gänzlich unpassierbar. Auch Telegraphen-
und Telephonleitungen sind vielfach gestört und
zum Teile unterbochen. Der tschechoslowakische Mi-
nister des Aeußern, Dr. Benesch, ist programm-
mäßig eingetroffen und hatte mit dem Minister
des Aeußern Dr. Nintschitsch eine zweistün-
dige Unterredung. Zur selben Zeit tagte die Kon-
ferenz der Archivfachleute der Staaten der Kleinen
Entente, welche im Sinne der Paragraphen 170
und 171 des Friedensvertrages von Neuilly die auf
die einzelnen Nationalstaaten entfallenden Archiv-
teile bestimmte. -- Nachmittag überreichte der
tschechoslowakische Gesandte Dr. Seba der Kö-
nigin anläßlich ihres Geburtstages ein Collier,
das Geschenk der tschechoslowakischen Republik, ein
Kunstwerk tschechischer Heimarbeit. Anläßlich der
Konferenz sind in Belgrad etwa 40 Journalisten
als Vertreter der Auslandspresse eingetroffen. Es
sind darunter drei englische, sieben schweizerische,
drei italienische, fünf französische, vier amerika-
nische, mehrere österreichische und zwei bulgarische
Blätter vertreten.

[Spaltenumbruch]
Das endgültige griechische Kabinett

Das Kabinett setzt sich
endgiltig wie folgt zusammen: Venizelos, der
kein Ministerportefeuille erhält, übernimmt den
Vorsitz, Sofulis das Innere Russos die auswär-
tigen Angelegenheiten, Kafandaris die Justiz,
Gondikas Krieg, Canavos Marine, Spyridis
Volkswirtchaft. Suderos Verkehr, Mylonas Land-
wirtschaft, Michalacopulos Finanzen, Valalas
Unterricht. Die Minister werden heute den Eid
ablegen.

Die englische Thronrede

Das britische Kabinett
hat gestern die Thronrede fertiggestellt; um
so viel wie möglich die Verantwortung für die zu
erwartende Niederlage der Regierung auf As-
quith zu werfen, wird sich die Thronrede haupt-
sächlich mit Vorschlägen befassen, bei denen die
Liberalen durch ihre bisherige Politik zur Unter-
stützung verpflichtet wären.

Die Thronrede wird sich ferner mit den Be-
schlüssen aus dem Arbeitsprogramm der britischen
Reichskonferenz befassen, das jetzt dem Parlament
unterbreitet wird, und wird durch einen Hinweis
auf die Einsetzung der Kommissionen enthalten,
welche die deutsche Zahlungsfähigkeit untersuchen
sollen.

Die Sanierung der Reichsbahn

Auf die in einigen Berliner
Morgenzeitungen verzeichnete Nachricht über die
Sanierung der Reichsbahn wird von
zuständiger Seite mitgeteilt. Die Vorbereitungen
zur Umwandlung der Reichshahn in ein nach
privatwirtschaftlichen Grundsätzen ar-
beitendes Unternehmen seien im Gang. Voraus-
sichtlich wird demnächst Näheres mitgeteilt wer-
den können.

Unabhängig davon aber sei der Reichsverkehrs-
minister sofort daran gegangen, die innere Wirt-
schaft des Unternehmens soweit möglich zu kon-
solidieren und der gegenwärtigen Finanzlage
anzupassen. Man könne schon heute den Erfolg
der Sparmaßnahmen überblicken. Die auf den
[Spaltenumbruch] ordentlichen Haushalt entfallenden Betriebsaus-
gaben einschließlich des Schuldendienstes würden
ab 1. Januar durch den neuen Personen- und
Gütertarif vollkommen gedeckt.

Die Ermäßigung der Gütertarife
um 8 Prozent erfolgte in der Hoffnung, daß der
hierin liegende Anreiz für die Belebung des
Güterverkehrs die Einnahmen im ganzen günstig
beeinflussen werde.

Verschärfung im Bergbau

Die Lage im Kölner Wirt-
schaftsbezirk hat sich allgemein verschärft.
Die beiden großen Gewerkschaftsverbände, der
Christliche und der Freie, sind sich einig über die
Ablehnung des Schiedsspruchs für die rhei-
nische Braunkohlenindustrie,
wo die
Zwölfstundenschicht und ein Lohnabzug von
33 Prozent vorgesehen sind.

Man rechnet mit einem großen Ausstand
im rheinischen Braunkohlenrevier. Auch in der
Metallindustrie und in der chemischen Industrie
hat sich die Lage verschärft.

In Gelsenkirchen sind die Verhand-
lungen der Metallarbeitergewerkschaften vor
dem Schlichter des Schlichtungsbezirks über die
Lohnverhältnisse und Arbeitszeit ergebnis-
los
verlaufen und wurden verlagt.

Die Ortsverwaltung Gelsenkirchen des Deut-
schen Metallarbeiterverbandes hat
sich gestern einstimmig für den Metall-
arbeiterstreik
erklärt.

Brückensperre über den Rhein

Die Brücken-
sperre über den Rhein in die Pfalz

ist auf Befehl der Rheinlandskommission ver-
hängt worden. Die Dauer der Sperre ist nicht
bekannt. Der Fußgängerverkehr ist, ausgenom-
men für Ausländer und Saarländer, voll-
kommen unterbunden.

Dagegen verkehren die Personenzüge zwischen
Mannheim und Ludwigshafen. Die dadurch ge-
gebene Möglichkeit mit der Bahn in die Pfalz zu
gelangen, bringt es mit sich, daß die Züge
zwischen Mannheim und Ludwigshafen außer-
ordentlich überfüllt sind



LETZTE TELEGRAMME
Die Antwort in Berlin eingetroffen

Die französische
Antwortnote
ist gestern abend mit dem
Botschafterkurier nach Berlin abgegangen.
Die Reise des Herrn von Hoesch nach
Berlin wird sich wegen einer leichten Er-
krankung
etwas verzögern.

Der Geschäftsträger wird aber bestimmt
am Montag in Berlin erwartet. Bei der
Zusammenkunft am Quai d'Orsai sind ihm
keinerlei schriftliche Aufzeichnungen über-
reicht worden.

Gleichzeitig mit Herrn von Hoesch wird
der deutsche Geschäftsträger in Brüssel
v. Ruedinger in Berlin eintreffen.

Der Reichsverkehrsminister in München.

Der Reichsverkehrs-
minister Oeser hat gestern in München
geweilt, um mit dem Ministerpräsidenten
und den beteiligten Fachministern über die
nächste Zukunft der Reichsbahnen
eine vorläufige Rücksprache zu nehmen.

Definitive Ergebnisse sind bei der Bespre-
chung ihrem Charakter entsprechend noch
nicht erzielt worden Der Reichsverkehrs-
minister ist von München nach Stuttgart
weitergereist.

[Spaltenumbruch]
Die Ententekontrolle in Stuttgart.

Bei einem Kon-
trollbesuch,
der heute in den Vormit-
tagsstunden von den ausländischen Kontroll-
offizieren beim Wehrkreiskommando V vor-
genommen wurde, kam es vor dem Gebäude
des Wehrkreiskommandos zu großen
Ansammlungen
.

Die Menge nahm beim Eintreffen der drei
Kontrollautos gegen die Kontrolloffiziere
eine drohende Haltung ein, wurde aber durch
die bereitgestellte Polizei im Zaum gehal-
ten. Bedauerlicherweise wurde bei dem An-
drängen der erregten Menge ein Kraftwagen
der Kontrollkommission, während die In-
sassen im Gebäude sich aufhielten, leicht be-
schädigt.

Die Kontrolloffiziere setzten nach durch-
geführter Kontrolle ihre Fahrt unter dem
Schutze eines starken Polizeiaufgebotes fort.

Der Nachfolger Petersens im Reichstag

Für den Fall, daß
Bürgermeister Dr. Petersen sein Reichs-
tagsmandat noch vor den Reichstagswahlen
niederlegen sollte, was er kurz nach seiner Wahl
als notwendig bezeichnet hat, würde als sein
Nachfolger Kaufmann Johannes Buell, Mit-
glied der Hamburger Bürgerschaft, in die demo-
kratische Reichstagsfraktion eintreten.



Amerikanischer Radiobetrieb

"Broadcasting" nennt der Engländer und
Amerikaner das, was wir in Deutschland den
"Rundfunk" nennen. Nur daß der deutsche
Rundfunk eine behördlich monopolisierte Ange-
legenheit ist, während in Amerika im Jahre
1923 nicht weniger als 850 Firmen die Lizenz
besessen haben, drahtlos Nachrichten in die Welt
zu senden.

Wenn man daraus schließen wollte, daß
Broadcasting ein gutes Geschäft sei, so würde
man sich irren. Rund 400 von den konzessionier-
ten Firmen haben sehr bald aufgehört, ihr
Recht auszuüben: die Kosten erwiesen sich als
zu hoch, und die Einnahmen waren spärlich. Die
Amerikaner lieben es nämlich, beim Broad-
casting zu "nassauern". Für das, was ihnen
durch den Aether übermittelt wird, etwas zu
zahlen, erscheint ihnen eine unberechtigte Forde-
rung. Es ist auch kaum möglich, heute da
Wandel zu schaffen. Bei dem außerordentlich
hohen Stand der Radio-Amateurtechnik wäre es
in Amerika ein vergeblicher Versuch, die In-
haber von Empfängerstationen zu registrieren
und zu einer Art Radiosteuer heranzuziehen.
Zu viele Apparate werden von ihren Eigen-
tümern selbst gebaut und gehen niemals durch
die Buchführung einer Fabrik.

So sind die amerikanischen Broadcastingfirmen
dazu übergegangen, ihre Einnahmen nicht von
denen zu verlangen, die Botschaft zu empfangen,
sondern von denen, die Botschaft zu senden
wünschen. Sie sind auf dem besten Wege dazu,
die Radiotelephonie zu einem neuen technischen
Hilfsmittel der Reklame zu machen. Sie
"verkaufen Luft", b. h. mit Radiowellen erfüllte
[Spaltenumbruch] Luft, an jeden Zahlenden. Die Taxe ist ziem-
lich einheitlich: 100 Dollar für zehn Minuten,
400 Dollar für die Stunde.

Das fängt bei der Politik an und endigt bei
der Anzeige, daß die Kräuterpillen des Mister
Smith die besten der Welt sind. Aber die Sache
hat doch ihre verschiedenen Haken. Die Broad-
castingreklame muß Rücksicht nehmen auf ihr
Publikum. Den Anzeigenteil einer Zeitung
braucht niemand zu lesen, nicht einmal für Leit-
artikel besteht ein Zwang dazu. Wer aber vor
seinem Empfänger sitzt, muß geduldig und wehr-
los hinnehmer, was ihm aus dem Mikrophon
entgegenschallt. Gewiß, er kann den Apparat
abstellen, wenn ihm das Uebermittelte nicht zu-
sagt, aber dann läuft er Gefahr, auch das nicht
zu hören, was ihm gefällt. Merkt er aber, daß
eine bestimmte Gesellschaft ihn dauernd mit Re-
klamen langweilt, dann wird er ihre Wellenlänge
überhaupt nicht mehr einstellen, sondern bei einer
anderen hören. Damit ist aber wieder dem nicht
gedient, der seine hundert Dollar gezahlt hat,
um zehn Minuten lang das Ohr einiger hun-
derttausend Amerikaner zu besitzen.

An die politische Propaganda durch
Rundfunk, die jetzt bei der Präsidentenwahl eine
bedeutende Rolle spielen wird, würde man sich
kaum heranwagen, wenn nicht auf diesem Ge-
biete bereits einige Erfahrungen vorlägen. Schon
seit einiger Zeit werden alle bedeutenden politi-
schen Reden amtlicher Persönlichkeiten über das
ganze Gebiet der Union gefunkt. So hat man die
Antrittsrede des Präsidenten Coolidge in ganz
Amerika hören können. Aber auch die Führer
der großen Parteien verkünden seit einiger Zeit
ihre Grundsätze drahtlos. Das gilt aber nur für
die beiden großen Parteien: die Republikaner
[Spaltenumbruch] und die Demokraten. Die Minderheiten haben
zu geringe Anhängerschaft, und wenn ihre Red-
ner sich des neuen Werbemittels bedienen wollen,
so hagelt es Einsprüche der Zuhörerschaft (die
allerdings erst nachher und nur schriftlich erfol-
gen können). Insbesondere die radikalen Par-
teien, an erster Stelle die Sozialisten, sind vom
Rundfunk ausgeschlossen. Wenigstens war es bis-
her so. Theoretisch sind die Gesellschaften be-
strebt, politische Redner einer Zensur zu unter-
werfen, und verlangen von den Rednern, daß sie
das Manuskript vorher einreichen. Das geschieht
aber fast nie, außerdem nützt das sanfteste Manu-
skript nichts, wenn das Temperament mit dem
Redner durchgeht. Uebrigens wird auch bereits
eine sehr eifrige religiöse Rundfunkpropa-
ganda betrieben. Als die ersten protestantischen
Radiogottesdienste in den Empfängern von Ka-
tholiken gehört wurden, gab es eine Reihe von
Einsprüchen. Heute kann der Amerikaner am
Sonntagvormittag in seinem Zimmer nachein-
ander den Gottesdiensten so ziemlich sämtlicher
größeren Sekten beiwohnen, die es im Lande gibt.

Die größte Einnahmequelle für die Gesell-
schaften wird aber die in vollem Ausbau begrif-
fene Uebermittlung geschäftlicher Anzeigen dar-
stellen. Es ist sozusagen der Anzeigenteil
der Radiozeitung
. Nur daß dieser In-
seratenteil einer ganz besonders geschickten Re-
daktion bedarf. Die Geschäftsempfehlung muß
stets in eine Form gekleidet werden, die dem
Hörer etwas für ihn Wissenswertes bietet. Man
nennt das das System der industriellen Anzeige.
So läßt eine große Zigarrenfabrik an fünf Ta-
gen der Woche Sportberichte funken, die mit den
Worten beginnen: "Wir geben jetzt die Sport-
berichte der X-Zigarrenfabrik". Eine Konkurrenz-
[Spaltenumbruch] firma funkt täglich das sogenannte "Tabak-Kon-
zert". Automobilfabriken lassen kleine technische
Vorträge halten. Ein großes Neuyorker Spiel-
warengeschäft erzählte in der Weihnachtswoche
den Kindern Radiomärchen.

Große Zeitungen benutzen übrigens jetzt den
Rundfunk, um die Aktuallität ihrer Blätter zu
erhöhen. So gibt die Zeitung Star in Kansas-
City jeden Morgen die neuesten Depeschen für
diejenigen Bezieher in der Provinz, deren Aus-
gabe bereits um Mitternacht abgeschlossen werden
muß, um rechtzeitig in ihre Hände zu gelangen.

Ob die Radioreklame dazu gelangen wird, den
Rundfunk ertragreich zu machen, kann heute mit
Bestimmtheit noch nicht gesagt werden. Jeden-
falls bildet sie die letzte Hoffnung, die man in
Amerika nach dieser Richtung hin hegt. Die hier
gemachten Erfahrungen aber werden sicherlich da-
zu beitragen, den Ausbau der jungen deutschen
Radiotelephonie vor Fehlern zu bewahren.

Die "Wagner-Opera-Co." verkracht

Unter den Dirigenten Möricke und Hötzlin hat
diese "Deutsche Operngesellschaft"
Amerika bereist, um dort Wagner-Aufführungen
zu veranstalten. Mit ihnen wollte man der Me-
tropolitan-Opera-Co. in Newyork Konkurrenz
machen. Dies ist gründlich mißlungen. In der
letzten Zeit wurde das Fiasko durch eine "echt
amerikanische" Sensation hinausgeschoben. Die
schöne Mrs. Mac Cormik, Multimtllionärsgattin,
wirkte in Mozart-Opern mit. Doch auch das
konnte nicht retten. Mit einem Defizit von 80 000
Dollar hat nun die "Wagner-Opera-Co." geendet.
Das Rückreisegeld für ihre Mitglieder wird nun
wohl durch Sammlung aufzubringen sein.

Wieder eine Warnung! Derartige Unterneh-
men können dem Ansehen deutscher Kunst im
Auslande nur schaden.

Allgemeine Zeitung. Nr. 12 Sonntag, den 13. Januar 1924
[Spaltenumbruch]

Wählerſchaft entſpricht. Aber man ſoll ja
nicht meinen, daß bei Neuwahlen etwas
weſentlich anderes herauskäme. Die Flü-
gelparteien würden wohl eine Stärkung,
die Mitte eine Schwächung erfahren. Aber
iſt damit etwas anderes erreicht als eine
Verſchärfung der Gegenſätze, an
denen jetzt ſchon unſer Volk und unſer Reich
zu zerbrechen droht? Die Rechte würde nicht
ſo ſtark werden, daß ſie allein die Regie-
rung bilden könnte. Die Gefahr einer Ent-
feſſelung aller politiſchen Leidenſchaften in
dieſen Monaten der Kälte, des Hungers, der
Arbeitsloſigkeit iſt größer als der zu erhof-
fende Gewinn — wenn man aufs Ganze und
nicht auf Parteiintereſſen ſieht.

Manche gehen weiter und wollen den
Reichstag ganz beiſeite ſchieben. Aber Dik-
tatur
ſetzt eine überragende Macht (und
eine ſtarke Perſönlichkeit) voraus. Wo iſt
ſie in Deutſchland? Ohne ſie aber führt der
Verſuch der Vergewaltigung eines Teiles
des Volkes durch den anderen unfehlbar
zum Bürgerkriege.

Auch der letzte Ausweg einer Erſetzung
des parteipolitiſchen Vertretungsſyſtems
durch ein berufsſtändiſches verſagt
heute. Von einer grundſätzlichen Entſchei-
dung der Frage nach dem Wirtſchaftsparla-
ment mag hier ganz abgeſehen werden.
Heute iſt keine geſchloſſene einheitliche
Macht vorhanden, die beſſer als ein Reichs-
tag die Volkskräfte zuſammenhalten könnte.
Die Gegenſätze zwiſchen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern, zwiſchen Stadt und
Land, zwiſchen Fabrikanten, Händlern und
Verbrauchern ſind mindeſtens ſo ſtark wie
die zwiſchen den politiſchen Parteien (die
ſich ja vielfach mit den Wirtſchaftsgrupen
decken). Auch ein Wirtſchaftsparlament
würde kaum etwas anderes als eine Kom-
promißpolitik auſ mittlerer Li-
nie
zuwege bringen.

Dieſe mittlere Linie, die im Grunde nie-
manden befriedigt, richtig zu erkennen und
der Geſamtheit ſchmackhaft zu machen, das
iſt die Hauptkunſt, die wir von unſeren Mi-
niſtern verlangen müſſen. Sie ſetzt voraus,
daß die Regierenden die Grenzen des Mög-
lichen
ebenſo klar erkennen wie die des
Notwendigen; daß ſie von vornherein
darauf verzichten, dem Volke Hoffnungen
vorzuſpiegeln, die ſich nicht erfüllen können;
daß ſie den Mut zur Wahrheit haben,
auch wenn dieſe Wahrheit recht bitter iſt.

Die Erneuerung Deutſchlands muß ganz
von innen heraus kommen, aus dem Wan-
del der Geſinnung bei Millionen Einzener,
die uns das Menſchenmaterial liefert, ohne
das die erſtrebte ſoziale Ordnung nicht
denkbar iſt. Das Beiſpiel dazu muß
von oben kommen — ebenſo wie das Bei-
ſpiel zum Schlechten, die Ausnutzung des
Krieges als Geſchäftskonjunktur, oben be-
gonnen hat. Hier liegen unbegrenzte Mög-
lichkeiten des ſofortigen Wirkens; ſie mö-
gen die tatenluſtigen Politiker entſchädigen
für die beſcheidenen Möglichkeiten, die
ihnen auf rein politiſchem Gebiete heute
gegeben ſind.

[Spaltenumbruch]
Außenpolitiſche Ausſprache in
der franzöſiſchen Kammer

Die Kammer ſetzte geſtern die
Erörterung der Interpellationen über die
Außenpolitik fort. Der Führer der Radi-
kalen, Herriot, erklärte, ſelbſt diejenigen,
welche die Ruhrpolitik für notwendig erklärt hät-
ten, könnten ſie heute nicht mehr als befriedigend
anſehen. Frankreich und Deutſchland könnten ſich
jetzt über einen Lieferungsvertrag verſtändigen.
Wenn man eine Milliarde Gold aus dem Ruhr-
gebiet herausziehen wolle, ſo müſſe man die ge-
ſamten Beſatzungskoſten des linken Rheinufers
abziehen. Das Ruhrgebiet ſei allein nicht ge-
nügend produktiv, um die Reparationen ſicher zu
ſtellen.

Die logiſche Folge ſei, daß die Alliierten eine
gemeinſame Front herſtellen müßten, um die Re-
parationsfrage zu löſen. Es ſei falſch, wenn man
in England glaube, Frankreich verfolge mit der
Beſetzung des Ruhrgebiets annexioniſtiſche
Abſichten
und die Ruhrbeſetzung habe Arbeits-
loſenkriſis verſtärkt.

Die Mißverſtändniſſe, die im Augen-
blick Frankreich und England trennen, müßten
alsbald beſeitigt werden. Die Beziehungn Frank-
reichs zu Amerika müſſen beſſer werden.

Herriot wendet ſich weiter gegen die Po-
litik der Separatiſten
und der Requi-
ſitionen, bekämpfte den Plan Rechbergs und be-
ſprach die Währungsfrage. Jedesmal, wenn
irgend eine Verhandlung ſtattgefunden habe, habe
dieſe auch eine Wirkung auf die franzöſiſche Wäh-
rung ausgeübt.

Poincaré erklärte hierzu: Die Sachverſtän-
digen könnten in keiner Weiſe die Schuld
Deutſchlands
herabſetzen; ſie hätten den
Verſailler Vertrag zu reſpektieren.

Herriot ſpricht ſodann von dem Vorſchlag Col-
ſons, der die Emiſſion einer großen interna-
tionalen Anleihe
vorgeſchlagen habe. Poin-
caré ſagt, Colſon ſetze aber die Herabſetzung der
deutſchen Schuld als Kompenſation für die inter-
alliierten Schulden voraus. Alle Bemühungen
nach dieſer Richtung ſeien jedoch zwecklos geweſen.

Herriot ſpricht ſodann über die Arbeit der Sach-
verſtändigen bei Feſtſtellung der Hilfsquellen
Deutſchlands. Wenn der Sachverſtändigenausſchuß
von Frankreich einen Veweis der Mäßigung ver-
lange, dann müſſe Frankreich Ja ſagen, allerdings
nur unter der Bedingung, daß auch die anderen
Nationen die gleiche Mäßigung zeigten.

Die Kammer vertagt die weitere Diskuſſion
auf kommenden Freitag.

Die Konferenz der Kleinen Entente

Der eigentliche Beginn der
Konferenz der Kleinen Entente
mußte um mehrere Stunden verſchoben werden,
da der Sonderzug, welchen die Regierung zur
Einholung des rumäniſchen Miniſters des
Aeußern, Duca, an die Grenze ſandte, auf der
Rückfahrt nach Belgrad eine mehrſtündige Ver-
ſpätung erlitt. Im ganzen Lande herrſchen ge-
waltige Schneeſtürme und die Strecken ſind ſtel-
lenweiſe gänzlich unpaſſierbar. Auch Telegraphen-
und Telephonleitungen ſind vielfach geſtört und
zum Teile unterbochen. Der tſchechoſlowakiſche Mi-
niſter des Aeußern, Dr. Beneſch, iſt programm-
mäßig eingetroffen und hatte mit dem Miniſter
des Aeußern Dr. Nintſchitſch eine zweiſtün-
dige Unterredung. Zur ſelben Zeit tagte die Kon-
ferenz der Archivfachleute der Staaten der Kleinen
Entente, welche im Sinne der Paragraphen 170
und 171 des Friedensvertrages von Neuilly die auf
die einzelnen Nationalſtaaten entfallenden Archiv-
teile beſtimmte. — Nachmittag überreichte der
tſchechoſlowakiſche Geſandte Dr. Seba der Kö-
nigin anläßlich ihres Geburtstages ein Collier,
das Geſchenk der tſchechoſlowakiſchen Republik, ein
Kunſtwerk tſchechiſcher Heimarbeit. Anläßlich der
Konferenz ſind in Belgrad etwa 40 Journaliſten
als Vertreter der Auslandspreſſe eingetroffen. Es
ſind darunter drei engliſche, ſieben ſchweizeriſche,
drei italieniſche, fünf franzöſiſche, vier amerika-
niſche, mehrere öſterreichiſche und zwei bulgariſche
Blätter vertreten.

[Spaltenumbruch]
Das endgültige griechiſche Kabinett

Das Kabinett ſetzt ſich
endgiltig wie folgt zuſammen: Venizelos, der
kein Miniſterportefeuille erhält, übernimmt den
Vorſitz, Sofulis das Innere Ruſſos die auswär-
tigen Angelegenheiten, Kafandaris die Juſtiz,
Gondikas Krieg, Canavos Marine, Spyridis
Volkswirtchaft. Suderos Verkehr, Mylonas Land-
wirtſchaft, Michalacopulos Finanzen, Valalas
Unterricht. Die Miniſter werden heute den Eid
ablegen.

Die engliſche Thronrede

Das britiſche Kabinett
hat geſtern die Thronrede fertiggeſtellt; um
ſo viel wie möglich die Verantwortung für die zu
erwartende Niederlage der Regierung auf As-
quith zu werfen, wird ſich die Thronrede haupt-
ſächlich mit Vorſchlägen befaſſen, bei denen die
Liberalen durch ihre bisherige Politik zur Unter-
ſtützung verpflichtet wären.

Die Thronrede wird ſich ferner mit den Be-
ſchlüſſen aus dem Arbeitsprogramm der britiſchen
Reichskonferenz befaſſen, das jetzt dem Parlament
unterbreitet wird, und wird durch einen Hinweis
auf die Einſetzung der Kommiſſionen enthalten,
welche die deutſche Zahlungsfähigkeit unterſuchen
ſollen.

Die Sanierung der Reichsbahn

Auf die in einigen Berliner
Morgenzeitungen verzeichnete Nachricht über die
Sanierung der Reichsbahn wird von
zuſtändiger Seite mitgeteilt. Die Vorbereitungen
zur Umwandlung der Reichshahn in ein nach
privatwirtſchaftlichen Grundſätzen ar-
beitendes Unternehmen ſeien im Gang. Voraus-
ſichtlich wird demnächſt Näheres mitgeteilt wer-
den können.

Unabhängig davon aber ſei der Reichsverkehrs-
miniſter ſofort daran gegangen, die innere Wirt-
ſchaft des Unternehmens ſoweit möglich zu kon-
ſolidieren und der gegenwärtigen Finanzlage
anzupaſſen. Man könne ſchon heute den Erfolg
der Sparmaßnahmen überblicken. Die auf den
[Spaltenumbruch] ordentlichen Haushalt entfallenden Betriebsaus-
gaben einſchließlich des Schuldendienſtes würden
ab 1. Januar durch den neuen Perſonen- und
Gütertarif vollkommen gedeckt.

Die Ermäßigung der Gütertarife
um 8 Prozent erfolgte in der Hoffnung, daß der
hierin liegende Anreiz für die Belebung des
Güterverkehrs die Einnahmen im ganzen günſtig
beeinfluſſen werde.

Verſchärfung im Bergbau

Die Lage im Kölner Wirt-
ſchaftsbezirk hat ſich allgemein verſchärft.
Die beiden großen Gewerkſchaftsverbände, der
Chriſtliche und der Freie, ſind ſich einig über die
Ablehnung des Schiedsſpruchs für die rhei-
niſche Braunkohleninduſtrie,
wo die
Zwölfſtundenſchicht und ein Lohnabzug von
33 Prozent vorgeſehen ſind.

Man rechnet mit einem großen Ausſtand
im rheiniſchen Braunkohlenrevier. Auch in der
Metallinduſtrie und in der chemiſchen Induſtrie
hat ſich die Lage verſchärft.

In Gelſenkirchen ſind die Verhand-
lungen der Metallarbeitergewerkſchaften vor
dem Schlichter des Schlichtungsbezirks über die
Lohnverhältniſſe und Arbeitszeit ergebnis-
los
verlaufen und wurden verlagt.

Die Ortsverwaltung Gelſenkirchen des Deut-
ſchen Metallarbeiterverbandes hat
ſich geſtern einſtimmig für den Metall-
arbeiterſtreik
erklärt.

Brückenſperre über den Rhein

Die Brücken-
ſperre über den Rhein in die Pfalz

iſt auf Befehl der Rheinlandskommiſſion ver-
hängt worden. Die Dauer der Sperre iſt nicht
bekannt. Der Fußgängerverkehr iſt, ausgenom-
men für Ausländer und Saarländer, voll-
kommen unterbunden.

Dagegen verkehren die Perſonenzüge zwiſchen
Mannheim und Ludwigshafen. Die dadurch ge-
gebene Möglichkeit mit der Bahn in die Pfalz zu
gelangen, bringt es mit ſich, daß die Züge
zwiſchen Mannheim und Ludwigshafen außer-
ordentlich überfüllt ſind



LETZTE TELEGRAMME
Die Antwort in Berlin eingetroffen

Die franzöſiſche
Antwortnote
iſt geſtern abend mit dem
Botſchafterkurier nach Berlin abgegangen.
Die Reiſe des Herrn von Hoeſch nach
Berlin wird ſich wegen einer leichten Er-
krankung
etwas verzögern.

Der Geſchäftsträger wird aber beſtimmt
am Montag in Berlin erwartet. Bei der
Zuſammenkunft am Quai d’Orſai ſind ihm
keinerlei ſchriftliche Aufzeichnungen über-
reicht worden.

Gleichzeitig mit Herrn von Hoeſch wird
der deutſche Geſchäftsträger in Brüſſel
v. Ruedinger in Berlin eintreffen.

Der Reichsverkehrsminiſter in München.

Der Reichsverkehrs-
miniſter Oeſer hat geſtern in München
geweilt, um mit dem Miniſterpräſidenten
und den beteiligten Fachminiſtern über die
nächſte Zukunft der Reichsbahnen
eine vorläufige Rückſprache zu nehmen.

Definitive Ergebniſſe ſind bei der Beſpre-
chung ihrem Charakter entſprechend noch
nicht erzielt worden Der Reichsverkehrs-
miniſter iſt von München nach Stuttgart
weitergereiſt.

[Spaltenumbruch]
Die Ententekontrolle in Stuttgart.

Bei einem Kon-
trollbeſuch,
der heute in den Vormit-
tagsſtunden von den ausländiſchen Kontroll-
offizieren beim Wehrkreiskommando V vor-
genommen wurde, kam es vor dem Gebäude
des Wehrkreiskommandos zu großen
Anſammlungen
.

Die Menge nahm beim Eintreffen der drei
Kontrollautos gegen die Kontrolloffiziere
eine drohende Haltung ein, wurde aber durch
die bereitgeſtellte Polizei im Zaum gehal-
ten. Bedauerlicherweiſe wurde bei dem An-
drängen der erregten Menge ein Kraftwagen
der Kontrollkommiſſion, während die In-
ſaſſen im Gebäude ſich aufhielten, leicht be-
ſchädigt.

Die Kontrolloffiziere ſetzten nach durch-
geführter Kontrolle ihre Fahrt unter dem
Schutze eines ſtarken Polizeiaufgebotes fort.

Der Nachfolger Peterſens im Reichstag

Für den Fall, daß
Bürgermeiſter Dr. Peterſen ſein Reichs-
tagsmandat noch vor den Reichstagswahlen
niederlegen ſollte, was er kurz nach ſeiner Wahl
als notwendig bezeichnet hat, würde als ſein
Nachfolger Kaufmann Johannes Buell, Mit-
glied der Hamburger Bürgerſchaft, in die demo-
kratiſche Reichstagsfraktion eintreten.



Amerikaniſcher Radiobetrieb

„Broadcaſting“ nennt der Engländer und
Amerikaner das, was wir in Deutſchland den
„Rundfunk“ nennen. Nur daß der deutſche
Rundfunk eine behördlich monopoliſierte Ange-
legenheit iſt, während in Amerika im Jahre
1923 nicht weniger als 850 Firmen die Lizenz
beſeſſen haben, drahtlos Nachrichten in die Welt
zu ſenden.

Wenn man daraus ſchließen wollte, daß
Broadcaſting ein gutes Geſchäft ſei, ſo würde
man ſich irren. Rund 400 von den konzeſſionier-
ten Firmen haben ſehr bald aufgehört, ihr
Recht auszuüben: die Koſten erwieſen ſich als
zu hoch, und die Einnahmen waren ſpärlich. Die
Amerikaner lieben es nämlich, beim Broad-
caſting zu „naſſauern“. Für das, was ihnen
durch den Aether übermittelt wird, etwas zu
zahlen, erſcheint ihnen eine unberechtigte Forde-
rung. Es iſt auch kaum möglich, heute da
Wandel zu ſchaffen. Bei dem außerordentlich
hohen Stand der Radio-Amateurtechnik wäre es
in Amerika ein vergeblicher Verſuch, die In-
haber von Empfängerſtationen zu regiſtrieren
und zu einer Art Radioſteuer heranzuziehen.
Zu viele Apparate werden von ihren Eigen-
tümern ſelbſt gebaut und gehen niemals durch
die Buchführung einer Fabrik.

So ſind die amerikaniſchen Broadcaſtingfirmen
dazu übergegangen, ihre Einnahmen nicht von
denen zu verlangen, die Botſchaft zu empfangen,
ſondern von denen, die Botſchaft zu ſenden
wünſchen. Sie ſind auf dem beſten Wege dazu,
die Radiotelephonie zu einem neuen techniſchen
Hilfsmittel der Reklame zu machen. Sie
„verkaufen Luft“, b. h. mit Radiowellen erfüllte
[Spaltenumbruch] Luft, an jeden Zahlenden. Die Taxe iſt ziem-
lich einheitlich: 100 Dollar für zehn Minuten,
400 Dollar für die Stunde.

Das fängt bei der Politik an und endigt bei
der Anzeige, daß die Kräuterpillen des Miſter
Smith die beſten der Welt ſind. Aber die Sache
hat doch ihre verſchiedenen Haken. Die Broad-
caſtingreklame muß Rückſicht nehmen auf ihr
Publikum. Den Anzeigenteil einer Zeitung
braucht niemand zu leſen, nicht einmal für Leit-
artikel beſteht ein Zwang dazu. Wer aber vor
ſeinem Empfänger ſitzt, muß geduldig und wehr-
los hinnehmer, was ihm aus dem Mikrophon
entgegenſchallt. Gewiß, er kann den Apparat
abſtellen, wenn ihm das Uebermittelte nicht zu-
ſagt, aber dann läuft er Gefahr, auch das nicht
zu hören, was ihm gefällt. Merkt er aber, daß
eine beſtimmte Geſellſchaft ihn dauernd mit Re-
klamen langweilt, dann wird er ihre Wellenlänge
überhaupt nicht mehr einſtellen, ſondern bei einer
anderen hören. Damit iſt aber wieder dem nicht
gedient, der ſeine hundert Dollar gezahlt hat,
um zehn Minuten lang das Ohr einiger hun-
derttauſend Amerikaner zu beſitzen.

An die politiſche Propaganda durch
Rundfunk, die jetzt bei der Präſidentenwahl eine
bedeutende Rolle ſpielen wird, würde man ſich
kaum heranwagen, wenn nicht auf dieſem Ge-
biete bereits einige Erfahrungen vorlägen. Schon
ſeit einiger Zeit werden alle bedeutenden politi-
ſchen Reden amtlicher Perſönlichkeiten über das
ganze Gebiet der Union gefunkt. So hat man die
Antrittsrede des Präſidenten Coolidge in ganz
Amerika hören können. Aber auch die Führer
der großen Parteien verkünden ſeit einiger Zeit
ihre Grundſätze drahtlos. Das gilt aber nur für
die beiden großen Parteien: die Republikaner
[Spaltenumbruch] und die Demokraten. Die Minderheiten haben
zu geringe Anhängerſchaft, und wenn ihre Red-
ner ſich des neuen Werbemittels bedienen wollen,
ſo hagelt es Einſprüche der Zuhörerſchaft (die
allerdings erſt nachher und nur ſchriftlich erfol-
gen können). Insbeſondere die radikalen Par-
teien, an erſter Stelle die Sozialiſten, ſind vom
Rundfunk ausgeſchloſſen. Wenigſtens war es bis-
her ſo. Theoretiſch ſind die Geſellſchaften be-
ſtrebt, politiſche Redner einer Zenſur zu unter-
werfen, und verlangen von den Rednern, daß ſie
das Manuſkript vorher einreichen. Das geſchieht
aber faſt nie, außerdem nützt das ſanfteſte Manu-
ſkript nichts, wenn das Temperament mit dem
Redner durchgeht. Uebrigens wird auch bereits
eine ſehr eifrige religiöſe Rundfunkpropa-
ganda betrieben. Als die erſten proteſtantiſchen
Radiogottesdienſte in den Empfängern von Ka-
tholiken gehört wurden, gab es eine Reihe von
Einſprüchen. Heute kann der Amerikaner am
Sonntagvormittag in ſeinem Zimmer nachein-
ander den Gottesdienſten ſo ziemlich ſämtlicher
größeren Sekten beiwohnen, die es im Lande gibt.

Die größte Einnahmequelle für die Geſell-
ſchaften wird aber die in vollem Ausbau begrif-
fene Uebermittlung geſchäftlicher Anzeigen dar-
ſtellen. Es iſt ſozuſagen der Anzeigenteil
der Radiozeitung
. Nur daß dieſer In-
ſeratenteil einer ganz beſonders geſchickten Re-
daktion bedarf. Die Geſchäftsempfehlung muß
ſtets in eine Form gekleidet werden, die dem
Hörer etwas für ihn Wiſſenswertes bietet. Man
nennt das das Syſtem der induſtriellen Anzeige.
So läßt eine große Zigarrenfabrik an fünf Ta-
gen der Woche Sportberichte funken, die mit den
Worten beginnen: „Wir geben jetzt die Sport-
berichte der X-Zigarrenfabrik“. Eine Konkurrenz-
[Spaltenumbruch] firma funkt täglich das ſogenannte „Tabak-Kon-
zert“. Automobilfabriken laſſen kleine techniſche
Vorträge halten. Ein großes Neuyorker Spiel-
warengeſchäft erzählte in der Weihnachtswoche
den Kindern Radiomärchen.

Große Zeitungen benutzen übrigens jetzt den
Rundfunk, um die Aktuallität ihrer Blätter zu
erhöhen. So gibt die Zeitung Star in Kanſas-
City jeden Morgen die neueſten Depeſchen für
diejenigen Bezieher in der Provinz, deren Aus-
gabe bereits um Mitternacht abgeſchloſſen werden
muß, um rechtzeitig in ihre Hände zu gelangen.

Ob die Radioreklame dazu gelangen wird, den
Rundfunk ertragreich zu machen, kann heute mit
Beſtimmtheit noch nicht geſagt werden. Jeden-
falls bildet ſie die letzte Hoffnung, die man in
Amerika nach dieſer Richtung hin hegt. Die hier
gemachten Erfahrungen aber werden ſicherlich da-
zu beitragen, den Ausbau der jungen deutſchen
Radiotelephonie vor Fehlern zu bewahren.

Die „Wagner-Opera-Co.“ verkracht

Unter den Dirigenten Möricke und Hötzlin hat
dieſe „Deutſche Operngeſellſchaft
Amerika bereiſt, um dort Wagner-Aufführungen
zu veranſtalten. Mit ihnen wollte man der Me-
tropolitan-Opera-Co. in Newyork Konkurrenz
machen. Dies iſt gründlich mißlungen. In der
letzten Zeit wurde das Fiasko durch eine „echt
amerikaniſche“ Senſation hinausgeſchoben. Die
ſchöne Mrs. Mac Cormik, Multimtllionärsgattin,
wirkte in Mozart-Opern mit. Doch auch das
konnte nicht retten. Mit einem Defizit von 80 000
Dollar hat nun die „Wagner-Opera-Co.“ geendet.
Das Rückreiſegeld für ihre Mitglieder wird nun
wohl durch Sammlung aufzubringen ſein.

Wieder eine Warnung! Derartige Unterneh-
men können dem Anſehen deutſcher Kunſt im
Auslande nur ſchaden.

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</TEI>
[2/0002] Allgemeine Zeitung. Nr. 12 Sonntag, den 13. Januar 1924 Wählerſchaft entſpricht. Aber man ſoll ja nicht meinen, daß bei Neuwahlen etwas weſentlich anderes herauskäme. Die Flü- gelparteien würden wohl eine Stärkung, die Mitte eine Schwächung erfahren. Aber iſt damit etwas anderes erreicht als eine Verſchärfung der Gegenſätze, an denen jetzt ſchon unſer Volk und unſer Reich zu zerbrechen droht? Die Rechte würde nicht ſo ſtark werden, daß ſie allein die Regie- rung bilden könnte. Die Gefahr einer Ent- feſſelung aller politiſchen Leidenſchaften in dieſen Monaten der Kälte, des Hungers, der Arbeitsloſigkeit iſt größer als der zu erhof- fende Gewinn — wenn man aufs Ganze und nicht auf Parteiintereſſen ſieht. Manche gehen weiter und wollen den Reichstag ganz beiſeite ſchieben. Aber Dik- tatur ſetzt eine überragende Macht (und eine ſtarke Perſönlichkeit) voraus. Wo iſt ſie in Deutſchland? Ohne ſie aber führt der Verſuch der Vergewaltigung eines Teiles des Volkes durch den anderen unfehlbar zum Bürgerkriege. Auch der letzte Ausweg einer Erſetzung des parteipolitiſchen Vertretungsſyſtems durch ein berufsſtändiſches verſagt heute. Von einer grundſätzlichen Entſchei- dung der Frage nach dem Wirtſchaftsparla- ment mag hier ganz abgeſehen werden. Heute iſt keine geſchloſſene einheitliche Macht vorhanden, die beſſer als ein Reichs- tag die Volkskräfte zuſammenhalten könnte. Die Gegenſätze zwiſchen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwiſchen Stadt und Land, zwiſchen Fabrikanten, Händlern und Verbrauchern ſind mindeſtens ſo ſtark wie die zwiſchen den politiſchen Parteien (die ſich ja vielfach mit den Wirtſchaftsgrupen decken). Auch ein Wirtſchaftsparlament würde kaum etwas anderes als eine Kom- promißpolitik auſ mittlerer Li- nie zuwege bringen. Dieſe mittlere Linie, die im Grunde nie- manden befriedigt, richtig zu erkennen und der Geſamtheit ſchmackhaft zu machen, das iſt die Hauptkunſt, die wir von unſeren Mi- niſtern verlangen müſſen. Sie ſetzt voraus, daß die Regierenden die Grenzen des Mög- lichen ebenſo klar erkennen wie die des Notwendigen; daß ſie von vornherein darauf verzichten, dem Volke Hoffnungen vorzuſpiegeln, die ſich nicht erfüllen können; daß ſie den Mut zur Wahrheit haben, auch wenn dieſe Wahrheit recht bitter iſt. Die Erneuerung Deutſchlands muß ganz von innen heraus kommen, aus dem Wan- del der Geſinnung bei Millionen Einzener, die uns das Menſchenmaterial liefert, ohne das die erſtrebte ſoziale Ordnung nicht denkbar iſt. Das Beiſpiel dazu muß von oben kommen — ebenſo wie das Bei- ſpiel zum Schlechten, die Ausnutzung des Krieges als Geſchäftskonjunktur, oben be- gonnen hat. Hier liegen unbegrenzte Mög- lichkeiten des ſofortigen Wirkens; ſie mö- gen die tatenluſtigen Politiker entſchädigen für die beſcheidenen Möglichkeiten, die ihnen auf rein politiſchem Gebiete heute gegeben ſind. Dr. Heinz Potthoff. Außenpolitiſche Ausſprache in der franzöſiſchen Kammer * Paris, 12. Jan. Die Kammer ſetzte geſtern die Erörterung der Interpellationen über die Außenpolitik fort. Der Führer der Radi- kalen, Herriot, erklärte, ſelbſt diejenigen, welche die Ruhrpolitik für notwendig erklärt hät- ten, könnten ſie heute nicht mehr als befriedigend anſehen. Frankreich und Deutſchland könnten ſich jetzt über einen Lieferungsvertrag verſtändigen. Wenn man eine Milliarde Gold aus dem Ruhr- gebiet herausziehen wolle, ſo müſſe man die ge- ſamten Beſatzungskoſten des linken Rheinufers abziehen. Das Ruhrgebiet ſei allein nicht ge- nügend produktiv, um die Reparationen ſicher zu ſtellen. Die logiſche Folge ſei, daß die Alliierten eine gemeinſame Front herſtellen müßten, um die Re- parationsfrage zu löſen. Es ſei falſch, wenn man in England glaube, Frankreich verfolge mit der Beſetzung des Ruhrgebiets annexioniſtiſche Abſichten und die Ruhrbeſetzung habe Arbeits- loſenkriſis verſtärkt. Die Mißverſtändniſſe, die im Augen- blick Frankreich und England trennen, müßten alsbald beſeitigt werden. Die Beziehungn Frank- reichs zu Amerika müſſen beſſer werden. Herriot wendet ſich weiter gegen die Po- litik der Separatiſten und der Requi- ſitionen, bekämpfte den Plan Rechbergs und be- ſprach die Währungsfrage. Jedesmal, wenn irgend eine Verhandlung ſtattgefunden habe, habe dieſe auch eine Wirkung auf die franzöſiſche Wäh- rung ausgeübt. Poincaré erklärte hierzu: Die Sachverſtän- digen könnten in keiner Weiſe die Schuld Deutſchlands herabſetzen; ſie hätten den Verſailler Vertrag zu reſpektieren. Herriot ſpricht ſodann von dem Vorſchlag Col- ſons, der die Emiſſion einer großen interna- tionalen Anleihe vorgeſchlagen habe. Poin- caré ſagt, Colſon ſetze aber die Herabſetzung der deutſchen Schuld als Kompenſation für die inter- alliierten Schulden voraus. Alle Bemühungen nach dieſer Richtung ſeien jedoch zwecklos geweſen. Herriot ſpricht ſodann über die Arbeit der Sach- verſtändigen bei Feſtſtellung der Hilfsquellen Deutſchlands. Wenn der Sachverſtändigenausſchuß von Frankreich einen Veweis der Mäßigung ver- lange, dann müſſe Frankreich Ja ſagen, allerdings nur unter der Bedingung, daß auch die anderen Nationen die gleiche Mäßigung zeigten. Die Kammer vertagt die weitere Diskuſſion auf kommenden Freitag. Die Konferenz der Kleinen Entente Belgrad, 12. Jan. Der eigentliche Beginn der Konferenz der Kleinen Entente mußte um mehrere Stunden verſchoben werden, da der Sonderzug, welchen die Regierung zur Einholung des rumäniſchen Miniſters des Aeußern, Duca, an die Grenze ſandte, auf der Rückfahrt nach Belgrad eine mehrſtündige Ver- ſpätung erlitt. Im ganzen Lande herrſchen ge- waltige Schneeſtürme und die Strecken ſind ſtel- lenweiſe gänzlich unpaſſierbar. Auch Telegraphen- und Telephonleitungen ſind vielfach geſtört und zum Teile unterbochen. Der tſchechoſlowakiſche Mi- niſter des Aeußern, Dr. Beneſch, iſt programm- mäßig eingetroffen und hatte mit dem Miniſter des Aeußern Dr. Nintſchitſch eine zweiſtün- dige Unterredung. Zur ſelben Zeit tagte die Kon- ferenz der Archivfachleute der Staaten der Kleinen Entente, welche im Sinne der Paragraphen 170 und 171 des Friedensvertrages von Neuilly die auf die einzelnen Nationalſtaaten entfallenden Archiv- teile beſtimmte. — Nachmittag überreichte der tſchechoſlowakiſche Geſandte Dr. Seba der Kö- nigin anläßlich ihres Geburtstages ein Collier, das Geſchenk der tſchechoſlowakiſchen Republik, ein Kunſtwerk tſchechiſcher Heimarbeit. Anläßlich der Konferenz ſind in Belgrad etwa 40 Journaliſten als Vertreter der Auslandspreſſe eingetroffen. Es ſind darunter drei engliſche, ſieben ſchweizeriſche, drei italieniſche, fünf franzöſiſche, vier amerika- niſche, mehrere öſterreichiſche und zwei bulgariſche Blätter vertreten. Das endgültige griechiſche Kabinett * Athen, 12. Jan. Das Kabinett ſetzt ſich endgiltig wie folgt zuſammen: Venizelos, der kein Miniſterportefeuille erhält, übernimmt den Vorſitz, Sofulis das Innere Ruſſos die auswär- tigen Angelegenheiten, Kafandaris die Juſtiz, Gondikas Krieg, Canavos Marine, Spyridis Volkswirtchaft. Suderos Verkehr, Mylonas Land- wirtſchaft, Michalacopulos Finanzen, Valalas Unterricht. Die Miniſter werden heute den Eid ablegen. Die engliſche Thronrede London, 12. Jan Das britiſche Kabinett hat geſtern die Thronrede fertiggeſtellt; um ſo viel wie möglich die Verantwortung für die zu erwartende Niederlage der Regierung auf As- quith zu werfen, wird ſich die Thronrede haupt- ſächlich mit Vorſchlägen befaſſen, bei denen die Liberalen durch ihre bisherige Politik zur Unter- ſtützung verpflichtet wären. Die Thronrede wird ſich ferner mit den Be- ſchlüſſen aus dem Arbeitsprogramm der britiſchen Reichskonferenz befaſſen, das jetzt dem Parlament unterbreitet wird, und wird durch einen Hinweis auf die Einſetzung der Kommiſſionen enthalten, welche die deutſche Zahlungsfähigkeit unterſuchen ſollen. Die Sanierung der Reichsbahn Berlin, 12. Jan. Auf die in einigen Berliner Morgenzeitungen verzeichnete Nachricht über die Sanierung der Reichsbahn wird von zuſtändiger Seite mitgeteilt. Die Vorbereitungen zur Umwandlung der Reichshahn in ein nach privatwirtſchaftlichen Grundſätzen ar- beitendes Unternehmen ſeien im Gang. Voraus- ſichtlich wird demnächſt Näheres mitgeteilt wer- den können. Unabhängig davon aber ſei der Reichsverkehrs- miniſter ſofort daran gegangen, die innere Wirt- ſchaft des Unternehmens ſoweit möglich zu kon- ſolidieren und der gegenwärtigen Finanzlage anzupaſſen. Man könne ſchon heute den Erfolg der Sparmaßnahmen überblicken. Die auf den ordentlichen Haushalt entfallenden Betriebsaus- gaben einſchließlich des Schuldendienſtes würden ab 1. Januar durch den neuen Perſonen- und Gütertarif vollkommen gedeckt. Die Ermäßigung der Gütertarife um 8 Prozent erfolgte in der Hoffnung, daß der hierin liegende Anreiz für die Belebung des Güterverkehrs die Einnahmen im ganzen günſtig beeinfluſſen werde. Verſchärfung im Bergbau Köln, 12. Jan. Die Lage im Kölner Wirt- ſchaftsbezirk hat ſich allgemein verſchärft. Die beiden großen Gewerkſchaftsverbände, der Chriſtliche und der Freie, ſind ſich einig über die Ablehnung des Schiedsſpruchs für die rhei- niſche Braunkohleninduſtrie, wo die Zwölfſtundenſchicht und ein Lohnabzug von 33 Prozent vorgeſehen ſind. Man rechnet mit einem großen Ausſtand im rheiniſchen Braunkohlenrevier. Auch in der Metallinduſtrie und in der chemiſchen Induſtrie hat ſich die Lage verſchärft. In Gelſenkirchen ſind die Verhand- lungen der Metallarbeitergewerkſchaften vor dem Schlichter des Schlichtungsbezirks über die Lohnverhältniſſe und Arbeitszeit ergebnis- los verlaufen und wurden verlagt. Die Ortsverwaltung Gelſenkirchen des Deut- ſchen Metallarbeiterverbandes hat ſich geſtern einſtimmig für den Metall- arbeiterſtreik erklärt. Brückenſperre über den Rhein * Heidelberg, 12. Jan. Die Brücken- ſperre über den Rhein in die Pfalz iſt auf Befehl der Rheinlandskommiſſion ver- hängt worden. Die Dauer der Sperre iſt nicht bekannt. Der Fußgängerverkehr iſt, ausgenom- men für Ausländer und Saarländer, voll- kommen unterbunden. Dagegen verkehren die Perſonenzüge zwiſchen Mannheim und Ludwigshafen. Die dadurch ge- gebene Möglichkeit mit der Bahn in die Pfalz zu gelangen, bringt es mit ſich, daß die Züge zwiſchen Mannheim und Ludwigshafen außer- ordentlich überfüllt ſind LETZTE TELEGRAMME Die Antwort in Berlin eingetroffen * Paris, 12. Jan. Die franzöſiſche Antwortnote iſt geſtern abend mit dem Botſchafterkurier nach Berlin abgegangen. Die Reiſe des Herrn von Hoeſch nach Berlin wird ſich wegen einer leichten Er- krankung etwas verzögern. Der Geſchäftsträger wird aber beſtimmt am Montag in Berlin erwartet. Bei der Zuſammenkunft am Quai d’Orſai ſind ihm keinerlei ſchriftliche Aufzeichnungen über- reicht worden. Gleichzeitig mit Herrn von Hoeſch wird der deutſche Geſchäftsträger in Brüſſel v. Ruedinger in Berlin eintreffen. Der Reichsverkehrsminiſter in München. München. 12. Jan. Der Reichsverkehrs- miniſter Oeſer hat geſtern in München geweilt, um mit dem Miniſterpräſidenten und den beteiligten Fachminiſtern über die nächſte Zukunft der Reichsbahnen eine vorläufige Rückſprache zu nehmen. Definitive Ergebniſſe ſind bei der Beſpre- chung ihrem Charakter entſprechend noch nicht erzielt worden Der Reichsverkehrs- miniſter iſt von München nach Stuttgart weitergereiſt. Die Ententekontrolle in Stuttgart. Stuttgart, 12. Januar Bei einem Kon- trollbeſuch, der heute in den Vormit- tagsſtunden von den ausländiſchen Kontroll- offizieren beim Wehrkreiskommando V vor- genommen wurde, kam es vor dem Gebäude des Wehrkreiskommandos zu großen Anſammlungen. Die Menge nahm beim Eintreffen der drei Kontrollautos gegen die Kontrolloffiziere eine drohende Haltung ein, wurde aber durch die bereitgeſtellte Polizei im Zaum gehal- ten. Bedauerlicherweiſe wurde bei dem An- drängen der erregten Menge ein Kraftwagen der Kontrollkommiſſion, während die In- ſaſſen im Gebäude ſich aufhielten, leicht be- ſchädigt. Die Kontrolloffiziere ſetzten nach durch- geführter Kontrolle ihre Fahrt unter dem Schutze eines ſtarken Polizeiaufgebotes fort. Der Nachfolger Peterſens im Reichstag * Hamburg, 12. Jan. Für den Fall, daß Bürgermeiſter Dr. Peterſen ſein Reichs- tagsmandat noch vor den Reichstagswahlen niederlegen ſollte, was er kurz nach ſeiner Wahl als notwendig bezeichnet hat, würde als ſein Nachfolger Kaufmann Johannes Buell, Mit- glied der Hamburger Bürgerſchaft, in die demo- kratiſche Reichstagsfraktion eintreten. Amerikaniſcher Radiobetrieb „Broadcaſting“ nennt der Engländer und Amerikaner das, was wir in Deutſchland den „Rundfunk“ nennen. Nur daß der deutſche Rundfunk eine behördlich monopoliſierte Ange- legenheit iſt, während in Amerika im Jahre 1923 nicht weniger als 850 Firmen die Lizenz beſeſſen haben, drahtlos Nachrichten in die Welt zu ſenden. Wenn man daraus ſchließen wollte, daß Broadcaſting ein gutes Geſchäft ſei, ſo würde man ſich irren. Rund 400 von den konzeſſionier- ten Firmen haben ſehr bald aufgehört, ihr Recht auszuüben: die Koſten erwieſen ſich als zu hoch, und die Einnahmen waren ſpärlich. Die Amerikaner lieben es nämlich, beim Broad- caſting zu „naſſauern“. Für das, was ihnen durch den Aether übermittelt wird, etwas zu zahlen, erſcheint ihnen eine unberechtigte Forde- rung. Es iſt auch kaum möglich, heute da Wandel zu ſchaffen. Bei dem außerordentlich hohen Stand der Radio-Amateurtechnik wäre es in Amerika ein vergeblicher Verſuch, die In- haber von Empfängerſtationen zu regiſtrieren und zu einer Art Radioſteuer heranzuziehen. Zu viele Apparate werden von ihren Eigen- tümern ſelbſt gebaut und gehen niemals durch die Buchführung einer Fabrik. So ſind die amerikaniſchen Broadcaſtingfirmen dazu übergegangen, ihre Einnahmen nicht von denen zu verlangen, die Botſchaft zu empfangen, ſondern von denen, die Botſchaft zu ſenden wünſchen. Sie ſind auf dem beſten Wege dazu, die Radiotelephonie zu einem neuen techniſchen Hilfsmittel der Reklame zu machen. Sie „verkaufen Luft“, b. h. mit Radiowellen erfüllte Luft, an jeden Zahlenden. Die Taxe iſt ziem- lich einheitlich: 100 Dollar für zehn Minuten, 400 Dollar für die Stunde. Das fängt bei der Politik an und endigt bei der Anzeige, daß die Kräuterpillen des Miſter Smith die beſten der Welt ſind. Aber die Sache hat doch ihre verſchiedenen Haken. Die Broad- caſtingreklame muß Rückſicht nehmen auf ihr Publikum. Den Anzeigenteil einer Zeitung braucht niemand zu leſen, nicht einmal für Leit- artikel beſteht ein Zwang dazu. Wer aber vor ſeinem Empfänger ſitzt, muß geduldig und wehr- los hinnehmer, was ihm aus dem Mikrophon entgegenſchallt. Gewiß, er kann den Apparat abſtellen, wenn ihm das Uebermittelte nicht zu- ſagt, aber dann läuft er Gefahr, auch das nicht zu hören, was ihm gefällt. Merkt er aber, daß eine beſtimmte Geſellſchaft ihn dauernd mit Re- klamen langweilt, dann wird er ihre Wellenlänge überhaupt nicht mehr einſtellen, ſondern bei einer anderen hören. Damit iſt aber wieder dem nicht gedient, der ſeine hundert Dollar gezahlt hat, um zehn Minuten lang das Ohr einiger hun- derttauſend Amerikaner zu beſitzen. An die politiſche Propaganda durch Rundfunk, die jetzt bei der Präſidentenwahl eine bedeutende Rolle ſpielen wird, würde man ſich kaum heranwagen, wenn nicht auf dieſem Ge- biete bereits einige Erfahrungen vorlägen. Schon ſeit einiger Zeit werden alle bedeutenden politi- ſchen Reden amtlicher Perſönlichkeiten über das ganze Gebiet der Union gefunkt. So hat man die Antrittsrede des Präſidenten Coolidge in ganz Amerika hören können. Aber auch die Führer der großen Parteien verkünden ſeit einiger Zeit ihre Grundſätze drahtlos. Das gilt aber nur für die beiden großen Parteien: die Republikaner und die Demokraten. Die Minderheiten haben zu geringe Anhängerſchaft, und wenn ihre Red- ner ſich des neuen Werbemittels bedienen wollen, ſo hagelt es Einſprüche der Zuhörerſchaft (die allerdings erſt nachher und nur ſchriftlich erfol- gen können). Insbeſondere die radikalen Par- teien, an erſter Stelle die Sozialiſten, ſind vom Rundfunk ausgeſchloſſen. Wenigſtens war es bis- her ſo. Theoretiſch ſind die Geſellſchaften be- ſtrebt, politiſche Redner einer Zenſur zu unter- werfen, und verlangen von den Rednern, daß ſie das Manuſkript vorher einreichen. Das geſchieht aber faſt nie, außerdem nützt das ſanfteſte Manu- ſkript nichts, wenn das Temperament mit dem Redner durchgeht. Uebrigens wird auch bereits eine ſehr eifrige religiöſe Rundfunkpropa- ganda betrieben. Als die erſten proteſtantiſchen Radiogottesdienſte in den Empfängern von Ka- tholiken gehört wurden, gab es eine Reihe von Einſprüchen. Heute kann der Amerikaner am Sonntagvormittag in ſeinem Zimmer nachein- ander den Gottesdienſten ſo ziemlich ſämtlicher größeren Sekten beiwohnen, die es im Lande gibt. Die größte Einnahmequelle für die Geſell- ſchaften wird aber die in vollem Ausbau begrif- fene Uebermittlung geſchäftlicher Anzeigen dar- ſtellen. Es iſt ſozuſagen der Anzeigenteil der Radiozeitung. Nur daß dieſer In- ſeratenteil einer ganz beſonders geſchickten Re- daktion bedarf. Die Geſchäftsempfehlung muß ſtets in eine Form gekleidet werden, die dem Hörer etwas für ihn Wiſſenswertes bietet. Man nennt das das Syſtem der induſtriellen Anzeige. So läßt eine große Zigarrenfabrik an fünf Ta- gen der Woche Sportberichte funken, die mit den Worten beginnen: „Wir geben jetzt die Sport- berichte der X-Zigarrenfabrik“. Eine Konkurrenz- firma funkt täglich das ſogenannte „Tabak-Kon- zert“. Automobilfabriken laſſen kleine techniſche Vorträge halten. Ein großes Neuyorker Spiel- warengeſchäft erzählte in der Weihnachtswoche den Kindern Radiomärchen. Große Zeitungen benutzen übrigens jetzt den Rundfunk, um die Aktuallität ihrer Blätter zu erhöhen. So gibt die Zeitung Star in Kanſas- City jeden Morgen die neueſten Depeſchen für diejenigen Bezieher in der Provinz, deren Aus- gabe bereits um Mitternacht abgeſchloſſen werden muß, um rechtzeitig in ihre Hände zu gelangen. Ob die Radioreklame dazu gelangen wird, den Rundfunk ertragreich zu machen, kann heute mit Beſtimmtheit noch nicht geſagt werden. Jeden- falls bildet ſie die letzte Hoffnung, die man in Amerika nach dieſer Richtung hin hegt. Die hier gemachten Erfahrungen aber werden ſicherlich da- zu beitragen, den Ausbau der jungen deutſchen Radiotelephonie vor Fehlern zu bewahren. Die „Wagner-Opera-Co.“ verkracht Unter den Dirigenten Möricke und Hötzlin hat dieſe „Deutſche Operngeſellſchaft“ Amerika bereiſt, um dort Wagner-Aufführungen zu veranſtalten. Mit ihnen wollte man der Me- tropolitan-Opera-Co. in Newyork Konkurrenz machen. Dies iſt gründlich mißlungen. In der letzten Zeit wurde das Fiasko durch eine „echt amerikaniſche“ Senſation hinausgeſchoben. Die ſchöne Mrs. Mac Cormik, Multimtllionärsgattin, wirkte in Mozart-Opern mit. Doch auch das konnte nicht retten. Mit einem Defizit von 80 000 Dollar hat nun die „Wagner-Opera-Co.“ geendet. Das Rückreiſegeld für ihre Mitglieder wird nun wohl durch Sammlung aufzubringen ſein. Wieder eine Warnung! Derartige Unterneh- men können dem Anſehen deutſcher Kunſt im Auslande nur ſchaden.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 13. Januar 1924, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine12_1924/2>, abgerufen am 21.11.2024.