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Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 15. Januar 1929.

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"AZ am Abend" Nr. 12 Dienstag. den 15. Januar
[Spaltenumbruch]
Die gefilmte Zelle Mit 60 000facher Vergrößerung
[Spaltenumbruch]

Der dänische Gelehrte Dr. Albert Fischer,
der bereits seit drei Jahren im Kaiser-Wil-
helm-Institut an der Erforschung der Krebs-
krankheit arbeitet, äußert sich in einem Vor-
trag an der Berliner Universität soeben
über die Krebszelle, deren wissenschaftliche
Erforschung sein Haupttätigkeitsgebiet ist.
Während bei der Krebsbekämpfung bisher
nur mit der Krebsgeschwulst gearbeitet wer-
den konnte, kann man heute
die Krebszelle direkt fassen,
und sie wie Normalzellen und Bakterten
in Kulturen züchten und ihre Biologie
studieren.

Verschiedene Gewebezellen können außer-
halb des Organismus unabhängig lebend
und wachsend erhalten werden. Man besitzt
gegenwärtig Zellen, die mehrere Jahre alt
sind. Es kann also auch das Wachstum usw.
gemessen werden, ebenso wie der Einfluß
von Veränderungen im umgabenden Me-
dium studiert werden kann. Es können
infolgedessen als Träger der Bösartigkeit
mit Hilfe der
Gewebezüchtung
ganz bestimmte Zellen erkannt werden, die,
wenn sie überimpft werden, eine Krebs-
geschwulst erzeugen.

Dr. Fischer erkennt sich zu der Auffassung,
daß der Krebs nicht durch einen spezifischen
Erreger hervorgerufen wird, man vielmehr
die Krebszelle selbst als den Erreger der
Krebskrankheit bezeichnen kann.

Was Dr. Fischers Theorie angeht, so
glaubt er auf Grund seiner Feststellungen,
nach denen die Krebszellen alle normalen
Zellen überwuchern, beweisen zu können, daß
die von ihm festgestellten Eigentümlichkeiten
das schrankenlose Wachsen der Krebs-
geschwulste im Körper erklären. -- Mit
dieser Erkenntnis ist die Krebsforschung um
wertvolle Unterlagen bereichert worden.

Am Schluß seiner Rede hatte er noch eine
besondere Ueberreschung vorbereitet: die
[Spaltenumbruch] kinematographische Vorführung des
Wachtums gesunder und kranker
Zellen.

Die Aufnahmen waren umgekehrt wie bei
der Zeitlupe durch eine starke Beschleuni-
gung der Geschwindigkeit zustandegekommen,
also durch eine Art "Zeitraffer". Im Auf-
nahmeapparat waren durch ein Mikroskop
in sechzigtausendfacher Vergrößerung die
Zellkulturen vom Filmstreifen in Abständen
von 5 und 120 Sekunden aufgenommen
worden, oft in mehrtägiger Arbeit, und nun
rollte der Film mit einer Geschwindigkeit
von 16 Bildern in der Sekunde ab.

In der linken unteren Ecke hatte man
einen weißen Sekundenanzeiger mitphoto-
graphiert, der sich mit rasender Geschwin-
digkeit drehte und so einen Maßstab für die
wirkliche Aufnahmegeschwindigkeit gab. Es
war
ein aufregendes Schauspiel,
als man zuerst Stückchen eines Hühner-
herzens sah, das, längst vom Tier getrennt,
auch noch unter dem Mikroskop rhythmisch
zuckte und pulsierte. Man sah Zellen ver-
schiedener Tiere, Zellen, die aus der Iris,
dem Epithel, der Milz, den Milchdrüsen
herausgeschnitten waren. Sie waren dauernd
in starker Bewegung, wuchsen an allen
Rändern weiter. An einzelnen Stellen
schnürte sich eine große Zelle in der Mitte
ab, und plötzlich waren es zwei geworden.
Ein ewiger Kampf, ein Schieben, Drängen,
Stoßen, Zerren der einzelnen Bestandteile
herrschte in den Kulturen. Manche Zellen
dehnten sich plötzlich aus, wurden lange,
spindelförmige Gabilde und zerrissen dann
in der Mitte.

Nur das Auge des Forschers kann das
Bild der gesunden von dem der kran-
ken
Zelle mit Mühe unterscheiden. Das
liegt daran, daß unsere optischen Hilfsmittel
nicht scharf genug sind, um die feinen Un-
terschiede zwischen beiden Arten bemerken
zu können.



Dr. Eugen Gürster sprach
über "Nietzsche und die Musik"
[Spaltenumbruch]

Im Steinickesaal sprach Dr. Eugen Gürster
vor einem literarisch interessierten Publi-
kum. Der Vortragende ist durch eigene
dichterische Arbeit und als Regisseur be-
kannt. Im letzten Sommer wurde unter
seiner Spielleitung Hofmannsthal "Jeder-
mann" vor der Ulrichskirche in Augsburg
mit großem Erfolge zur Aufführung ge-
bracht. Das Bayerische Staatstheater gab
Calderons "Richter von Zalamea" in seiner
Uebertragung, die nunmehr mit drei ande-
ren Stücken Calderons vereint im Verlage
von C. Beck (München) erschienen ist. Die
neue Uebersetzung wurde von einer Autori-
lät wie Professor Voßler mit wermer
Zustimmung aufgenommen.

Das von ihm an diesem Abend gewählte
Thema lag Gürster, der sich seit langer Zeit
mit Nietzsches Philosophie beschäftigt, beson-
ders am Herzen. Zunächst gab er einen
biographischen Ueberblick über die Beziehun-
gen Rietzsches zur Musik während den ein-
zelnen Stadten seines Lebens. Ein Ver-
gleich mit Goethe, dem "verhinderten
[Spaltenumbruch] Maler" zeigte Nietzsche als den "versetzten
Musiker". Des weiteren wurde die enge
Verbundenheit von Rietzsches Philosophie
mit musikalischem Geiste aufgezeigt. Die
verschiedenen Bariationen dieser Wechsel-
beziehung, die eigenartige moralisch-geistige
Interpretation von Klangformen, der
Rhythmus in der Sprachgestaltung u. a.
wurden verfolgt.

Der zweite Teil des Vortrages galt der
schichsalhaften Begegnung mit Richard Wag-
ner. Unter Hinweis auf die vor kurzem
erschienene geistvolle Broschüre Bernhard
Dieboldts "Der Fall Wagner. -- Eine
Revision" (Verlag der Frankfurter Sozie-
tätsbruckerei) nahm auch Glirster eine Re-
vision des "Falles" vor, indem er Wagner
als den Abschluß der romantisch-pessimistisch-
symbolistischen Entwicklung und die moderne
Musik als eine dietätische Ruhepause vor der
Erfüllung von Rietzsches Sehnsucht nach der
kommenden, helleren, klareren -- "fest-
lichen" Mufik begriff. Der Beisall dankte
kräftig und herzlich.



"Die Brücke ins Jenseits" vor dem Reichsgericht
[Spaltenumbruch]

Im Jahre 1927 erschien im Verlag Albert
Langen, München, das Buch "Die Brücke
ins Jenseits" von Dr. Kemmerich,
gegen das bekanntlich bei Münchner Gerich-
ten ein Rechtsstreit insofern anhängig ist,
als dem Herausgeber der Vorwurf gemacht
wird, er habe in widerrechtlicher Weise ein
Manuskript des verstorbenen Professors Dr.
Gruber ohne genügende Quellenangabe
benutzt.

Wie sich inzwischen herausstellte, scheint
aber diese Urheberrechtsstreitfrage einen
günstigen Ausgang für den Herausgeber zu
nehmen, da Dr. Kemmerich inzwischen eine
Postkarte Dr. Grubers vorfand, die ihn zu
der Uebernahme mehrerer Seiten aus die-
sem Manuskript in sein Werk ermächtigte.

Neben dieser Streitfrage lief aber vor
sächsischen Gerichten noch ein zweiter Pro-
zeß. Hier handelt es sich darum, daß der
Leipziger Buchhändler E. Abigt eine
mißbräuchliche Benützung des Buchtitels
beanstandete. Er habe im Jahre 1915 eine
Schriftensolge mit demselben Obertitel her-
ausgegeben und klagte auf Unterlas-
sung, Schadensersatz
und Rech-
[Spaltenumbruch] nungslegung
nach dem Urheberrechts-
gesetz. Das Landgericht Leipzig und das
sächsische Oberlandesgericht in Dresden (die-
ses am 10. Juli 1928) hatten seiner Klage
mit der Begründung stattgegeben, daß die
Wortzusammenstellung "Die Brücke ins
Jenseits" den Schutz des Urheberrechts ge-
nieße, da die Rebeneinanderreihung der
Worte und der Gebrauch für eine Schriften-
folge schon als selbständiges Schriftwerk im
Sinne dieses Gesetzes anzusehen sei.

Hiergegen richtete sich die Revision des
Beklagten. Der Erste Zivilsenet des Reichs-
gerichts entschied heute wie folgt: Das Ur-
teil des sächsischen Oberlandesgerichts zu
Dresden vom 10. Juli 1928 wird aufge-
hoben
und in der Sache selbst auf die Be-
rufung des Beklagten, das Urteil der drit-
ten Zivilkammer des Landgerichts Leipzig
vom 18. Februar 1928 dahin abgeändert,
daß die Klage im vollen Umfange
abgewiesen
wird. Das Reichsgericht
begründet diese Entscheidung damit, daß es
nicht zur Ueberzeugung gelangen könne, daß
hier ein Schriftwerk vorliegt. (Aktenzeichen
Reichsgericht 255/28.)

[Spaltenumbruch]
Die zweite Weltkraftkonferenz
Berlin 1930
[Spaltenumbruch]

Im Jahre 1939 wird zum ersten Male
nach dem Weltkrieg wieder die deutsche
Reichshauptstadt der Schauplatz einer inter-
nationalen technisch-wirtschaftlichen Veran-
staltung größten Stiles sein. Vom 16. bis
22. Juni werden in Berlin die hervor-
ragendften Bertreter der Technik und der
Wissenschaften, der Industrie und der Wirt-
schaft, sowie führende Staatsmänner aus
allen Ländern zusammenkommen, um an
den Verhandlungen der zweiten Vollsitzung
der Weltkraftkonferenz teilzunehmen.

Die Weltkraftkonferenz, von England ins
Leben gerufen, um durch internatienale Zu-
sammenarbeit die Ausnutzung und Entwick-
lung der Kraftquellen der einzelnen Länder
in wissenschaftlicher und industrieller Rich-
tung zu fördern, fand in der Form einer
Vollkonferenz zum ersten und bisher
einzigen Male im Jahre 1924 in London
statt. Seitdem wurden nur Teilkonferenzen
abgehalten, von denen die in Basel (30. Aug.
bis 8. Sept. 1926) den Fragen der Wasser-
kraftnutzung und Binnenschiffahrt, die in
London (24. Sept. bis 6. Okt. 1998) den
Brennstoff-Fragen gewidmet waren. Auch
die für den Mai 1929 in Barcelona und
für den Oktober 1929 in Tokio vergesehenen
Veranstaltungen stellen Teiltagungen
dar; die letztgenannte wird dadurch an Be-
deutung gewinnen, daß sie mit dem gleich-
falls in Tokio stattfindenden Weltingenieur-
Kongreß zusammenfällt.

Die Berliner Konferenz des Jahres 1930,
für die Exzellenz Geh. Baurat Dr. Oskar
[Spaltenumbruch] von Miller, der Schöpfer des Deutschen
Museums und der Altmeister auf dem Ge-
biete der Glektrizitätsversorgung, das
Ehrenpräsidium, und Generaldirektor
Dr.-Ing. e. h. C. Köttgen den Vorsitz
übernommen haben, wird als zweite Voll-
konferenz ganz gewaltige Ausmaße auf-
weisen. Schon seit Monaten sind die Vor-
bereitungen hierzu im Gange. Die gesamte
Leitung liegt in den Händen der vom Deut-
schen Rationalen Komitee geschaffenen Orga-
nisation, deren Geschäftsstelle sich im Inge-
nierhaus, Berlin RW 7 befindet. Mitglieder
des Deutschen Rationalen Komitees sind die
Ministerien, die Technischen Hochschulen, die
bedeutendsten technisch wissenschaftlichen Ber-
eine, die Spitzenverbände der deutschen In-
dustrie, die Reichsbahn und andere nam-
hafte Körperschaften.

Zur Bearbeitung des großen Stoffgebietes
sind neun Fachausschüffe gebildet worden,
die sich mit den Fragen der festen, flüssigen
und gasförmigen Brennstoffe, der Dampf-,
Verbrennungs- und Wasserkraft, der mecha-
nischen Energie, der Glektrizität und schließ-
lich mit den vielen Problemen allgemeiner
Natur, wie z. B. denen der Ausbildung,
der Statistik u. a. m. befassen werden.

Neben dem umfangreichen wissenschaft-
lichen Programm sind mehrere großange-
legte gasellschaftliche Veranstaltungen vor-
gesehen, so daß die Zweite Weltkraftkonfe-
renz in Berlin für die gesamte technische
Welt ein Ereignis allerersten Ranges zu
werden verspricht.



Von den Bühnen
"Evelyne" Erstaufführung im Gärtnerplatztheater
[Spaltenumbruch]

Bruno Granichstaedten, der erfolgreiche
Komponist des "Orlow", der Jazz-Operette hat
nun abermals sehr geschickt die Zeitkonjunktur er-
saßt. In seiner "Evelyne" beschert er uns die
Revue-Operette. Und auch damit hat ihn sein
guter Instinkt nicht im Stich gelassen. Granich-
staedten schüttelt in der Reterte eines wirksamen
Textbuches (für welches er neben A. Schütz mit-
verantwortlich zeichnet) die Ingredienzien von
Operette und Revue durcheinander, und siehe da:
die Mixtur schmeckt wohlbekömmlich.

Die wirklich gute, nette und recht plnusible Idee
zur Handlung stammt aus einem Roman von
Philipps Oppenheim (Reuyerk). Und damit war
auch schon der effektvolle Rahmen geschaffen: Park
Lane und die blasierte Dollarprinzessin Evelyine
Ruß. Als Mittel gegen ihre Blasiertheit ver-
schreibt ihr der Arzt: Arbeit! Evelyne unter-
nimmt's und zieht mit fünf Dollar in der Tasche
los. Und so ist die Gelegenheit da, das Bilderbuch
der Revue aufzuschlagen. Wir begegnen Evelyne
als Verkäuferin von Kochöfen, als Tänzerin in
einem Broadway-Baudeville, als Stütze im
Kolonialwarengeschäft Sam Higgins, als Manne-
quin im Hotel Aftor, als Opfer eines Opium-
rausches und schließlich als Zeitungsverkäuferin.
Beinahe wird aus dem Spiel Ernft. Bankkrach!
Bermögensverlust? Doch nein: Evelyne kann zur
eignen wie zur allgemeinen Freude nach Ablauf
ihres freiwilligen Dienstjahres Billy Parker, ihren
geliebten, ehemaligen Kochöfenchef, als Gatten in
ihr Palais in der Park Lane und zu ihren fünfzig
Millionen führen. An diesen Ereignissen beteiligt
sich in der Hauptsache Evelynes getreuer Ekkehard
Tom Flips und die Tänzerin Daisy Moore.

Granichstaedten erweist auch in dieser Parkitur
seine bekannten Vorzüge. Eine Reihe vorzüglicher
Schlager -- meist schon von der Schallplatte her
bekannt -- ist von stärkster Wirkung. Es ist Ein-
fall, Rhythmus, Tempo in der Musik. Und das
Orchestergewand ist graziäs, in reicher Farb-
schattierung gewirkt.

[Spaltenumbruch]

Die Aufführung: großer Erfolg. Repertoire-
Sicherung. Dr. Warnecke ließ es in der Auf-
machung an nichts fehlen, um den Revuecharakter
markant zu unterstreichen. Bei der musikalischen
Wiedergabe konnte Georg Lange seine Fähig-
keiten zur vollen Geltung bringen. Es herrschte
Schwung in der Sache. Ausgezeichnet die Spiel-
führung Oswald Czechowsris. Nur sollte er
die Ausfüllung einiger Verwandlungspausen nicht
dem Kapellmeister allein überlassen. Es ließen sich
da -- gerade im Sinne der Revue -- während
des Szenenwechsels aus dem Milieu heraus vor
der Rampe ganz leicht einige nette Dialogßenen
herstellen. Oder man läßt einfach Girls tanzea.
Im übrigen ist die gesamte Ausstattung von ein-
dringlicher und sehenswerter Schlagkraft. Es fehlt
weder das Tanzorchester auf der Bühne (George
Schiells), noch die elegante Modenschau (Mode-
haus J. Ney). Besondere Erwähnung verdienen
die Bühnenbilder Theo Thallers, die Kostüme
Alois Baumunns und Anna Jungs und die
technische Beitung Martin Kerbls.

Auf der Bühne herrschte Laune und Leben. Da
ist Dely Drexlers Evelyne Ruß, in Sang,
Spiel, Tanz eine prachtvolle, sämtliche Metamor-
phosen aufs glaubwürdigste abwandelnde schar-
mante Erscheinung. Da singt, tanzt, wirbelt die
fesche My Maree als Daisy Moore über die
Szene, sprudelnd von humorvollem Temperament
und pointierter Charakterifierungskunst. Bob
Dorsay gibt mit seinem dralligen, stimmlich
feinen, tänzerisch geschliffenen Tom Flips eben-
falls eine erstklassige Leistung. Und Willy Wah-
les
Billy Parker absolviert seine wechselvolle,
berufliche Laufbahn bis zum Dollarprinzen mit
gewinnender, sympathischer Liebenswürdigkeit. Die
übrigen zahlreichen Mitwirkenden, wie sie der
Theaterzettel über die acht Bilder ausstreut,
mögen sich mit einem Generollob begnügen. Der
äußere Erfolg ließ an Deutlichkeit nichts zu wün-
schen übrig.



[Spaltenumbruch]
Mary Wigman tanzt im Schauspielhaus

Mancherlei, was in der Nachfolge Mary Wig-
mans geschah, begann uns den von ihr geschaffe-
nen Stil des Tanzes zu verleiden. Es war gut,
daß sie selbst wieder einmal kam -- allein, ohne
Schülerinnen -- und widerlegte. Denn für ihr
Teil hat sie die leere, schreiende Geste überwunden
zugunsten einer einfachen und eindringlichen Füh-
rung der Vewegung, einer kultischen Form für
den unbekannten Dämen.

Sie kann das unerhörte Wagnis vollbringen,
Masken zu tragen. Gerade die Tänze mit Mas-
ken: "Zeremonielle Gestalt" und "Hexentanz"
waren der stärkste Eindruck. Eine gewisse Breite
der Komposition, die auch tote Stellen in früheren
choreographischen Darbietungen bedingt hat, ver-
hinderte bei der "Feierlichen Gestalt" die gleiche
Wirkung. "Erscheinung" und "Raumgestalt" waren
im vornherein mehr dekorativ angetegt.

In der "Spanischen Suite" -- in einem wun-
derbaren, wie gehämmertes Gold wirkenden
Kleide getanzt -- waltete überraschende Anmut.
Im Tanzliede war eine wohltuende Entspannung
hinfließender Rhythmen; das "Allegro" aber war
fast schon eine Konzession.

Das zur Vorstellung Samstag nacht erschienene
zahlreiche Publikum bereitete Mary Wigman Opa-
tionen. Als der eiserne Vorhang gefallen, mußte
sie nochmals aus der Direktionsloge danken.

[Spaltenumbruch]
Eine fünfzehnjährige Künstlerin

In den oberen Räumen der Buch- und
Kunsthandlung Goltz
(Briennerstraße, Ecke
Wittelsbacherplatz) ist etwas Merkwürdiges zu
sehen: drei Plastiken sind ausgestellt, eine ruhende
Negerin, eine Gruppe von zwei Mulattinnen, eine
laufende Negerin. Die etwa in Lebensgröße aus
Ton geformten Figuren sind von einem über-
raschend starken, spezifisch plastischen Ausdruck:
von jedem Standpunkt aus betrachtet, ruhen sie
geschlossen in sich, bilden sie einen spürbaren Raum
um sich her. Ist die ruhende Figur noch verhält-
nismäßig einfach und an mancherlei Vorbilder er-
innernd, die Gruppe mehr von einem innigen,
statischen Reiz, so ist die Bewegung der Laufenden
ganz ungewöhnlich die Zehen greifen, wie die
Zehen eines Affen, der Körper macht in der Be-
wegung nach vorwärts gleichzeitig eine Drehung
von links nach rechts und der eine Arm stößt krei-
send in den Raum, während der andere die Be-
wegung ausbalanciert. Kleine Ungeformtheiten,
zum Beispiel am Bauche, wollen solchen künstle-
rischen Lösungen gegenüber wenig besagen. Diese
Plastik wurde geschaffen von Charlotte
Goltz,
einem fünfzehnjährigen Mädchen, das
niemals eine künstlerische Schule besucht und nie-
mals nach lebendem Modell gearbeitet hat. Man
sehe sich diese merkwürdigen Beispiele elemen-
taren künstlerischen Triebes an, die mitten unter
uns erwachsen sind.

„AZ am Abend“ Nr. 12 Dienstag. den 15. Januar
[Spaltenumbruch]
Die gefilmte Zelle Mit 60 000facher Vergrößerung
[Spaltenumbruch]

Der däniſche Gelehrte Dr. Albert Fiſcher,
der bereits ſeit drei Jahren im Kaiſer-Wil-
helm-Inſtitut an der Erforſchung der Krebs-
krankheit arbeitet, äußert ſich in einem Vor-
trag an der Berliner Univerſität ſoeben
über die Krebszelle, deren wiſſenſchaftliche
Erforſchung ſein Haupttätigkeitsgebiet iſt.
Während bei der Krebsbekämpfung bisher
nur mit der Krebsgeſchwulſt gearbeitet wer-
den konnte, kann man heute
die Krebszelle direkt faſſen,
und ſie wie Normalzellen und Bakterten
in Kulturen züchten und ihre Biologie
ſtudieren.

Verſchiedene Gewebezellen können außer-
halb des Organismus unabhängig lebend
und wachſend erhalten werden. Man beſitzt
gegenwärtig Zellen, die mehrere Jahre alt
ſind. Es kann alſo auch das Wachstum uſw.
gemeſſen werden, ebenſo wie der Einfluß
von Veränderungen im umgabenden Me-
dium ſtudiert werden kann. Es können
infolgedeſſen als Träger der Bösartigkeit
mit Hilfe der
Gewebezüchtung
ganz beſtimmte Zellen erkannt werden, die,
wenn ſie überimpft werden, eine Krebs-
geſchwulſt erzeugen.

Dr. Fiſcher erkennt ſich zu der Auffaſſung,
daß der Krebs nicht durch einen ſpezifiſchen
Erreger hervorgerufen wird, man vielmehr
die Krebszelle ſelbſt als den Erreger der
Krebskrankheit bezeichnen kann.

Was Dr. Fiſchers Theorie angeht, ſo
glaubt er auf Grund ſeiner Feſtſtellungen,
nach denen die Krebszellen alle normalen
Zellen überwuchern, beweiſen zu können, daß
die von ihm feſtgeſtellten Eigentümlichkeiten
das ſchrankenloſe Wachſen der Krebs-
geſchwulſte im Körper erklären. — Mit
dieſer Erkenntnis iſt die Krebsforſchung um
wertvolle Unterlagen bereichert worden.

Am Schluß ſeiner Rede hatte er noch eine
beſondere Ueberreſchung vorbereitet: die
[Spaltenumbruch] kinematographiſche Vorführung des
Wachtums geſunder und kranker
Zellen.

Die Aufnahmen waren umgekehrt wie bei
der Zeitlupe durch eine ſtarke Beſchleuni-
gung der Geſchwindigkeit zuſtandegekommen,
alſo durch eine Art „Zeitraffer“. Im Auf-
nahmeapparat waren durch ein Mikroſkop
in ſechzigtauſendfacher Vergrößerung die
Zellkulturen vom Filmſtreifen in Abſtänden
von 5 und 120 Sekunden aufgenommen
worden, oft in mehrtägiger Arbeit, und nun
rollte der Film mit einer Geſchwindigkeit
von 16 Bildern in der Sekunde ab.

In der linken unteren Ecke hatte man
einen weißen Sekundenanzeiger mitphoto-
graphiert, der ſich mit raſender Geſchwin-
digkeit drehte und ſo einen Maßſtab für die
wirkliche Aufnahmegeſchwindigkeit gab. Es
war
ein aufregendes Schauſpiel,
als man zuerſt Stückchen eines Hühner-
herzens ſah, das, längſt vom Tier getrennt,
auch noch unter dem Mikroſkop rhythmiſch
zuckte und pulſierte. Man ſah Zellen ver-
ſchiedener Tiere, Zellen, die aus der Iris,
dem Epithel, der Milz, den Milchdrüſen
herausgeſchnitten waren. Sie waren dauernd
in ſtarker Bewegung, wuchſen an allen
Rändern weiter. An einzelnen Stellen
ſchnürte ſich eine große Zelle in der Mitte
ab, und plötzlich waren es zwei geworden.
Ein ewiger Kampf, ein Schieben, Drängen,
Stoßen, Zerren der einzelnen Beſtandteile
herrſchte in den Kulturen. Manche Zellen
dehnten ſich plötzlich aus, wurden lange,
ſpindelförmige Gabilde und zerriſſen dann
in der Mitte.

Nur das Auge des Forſchers kann das
Bild der geſunden von dem der kran-
ken
Zelle mit Mühe unterſcheiden. Das
liegt daran, daß unſere optiſchen Hilfsmittel
nicht ſcharf genug ſind, um die feinen Un-
terſchiede zwiſchen beiden Arten bemerken
zu können.



Dr. Eugen Gürſter ſprach
über „Nietzſche und die Muſik“
[Spaltenumbruch]

Im Steinickeſaal ſprach Dr. Eugen Gürſter
vor einem literariſch intereſſierten Publi-
kum. Der Vortragende iſt durch eigene
dichteriſche Arbeit und als Regiſſeur be-
kannt. Im letzten Sommer wurde unter
ſeiner Spielleitung Hofmannsthal „Jeder-
mann“ vor der Ulrichskirche in Augsburg
mit großem Erfolge zur Aufführung ge-
bracht. Das Bayeriſche Staatstheater gab
Calderons „Richter von Zalamea“ in ſeiner
Uebertragung, die nunmehr mit drei ande-
ren Stücken Calderons vereint im Verlage
von C. Beck (München) erſchienen iſt. Die
neue Ueberſetzung wurde von einer Autori-
lät wie Profeſſor Voßler mit wermer
Zuſtimmung aufgenommen.

Das von ihm an dieſem Abend gewählte
Thema lag Gürſter, der ſich ſeit langer Zeit
mit Nietzſches Philoſophie beſchäftigt, beſon-
ders am Herzen. Zunächſt gab er einen
biographiſchen Ueberblick über die Beziehun-
gen Rietzſches zur Muſik während den ein-
zelnen Stadten ſeines Lebens. Ein Ver-
gleich mit Goethe, dem „verhinderten
[Spaltenumbruch] Maler“ zeigte Nietzſche als den „verſetzten
Muſiker“. Des weiteren wurde die enge
Verbundenheit von Rietzſches Philoſophie
mit muſikaliſchem Geiſte aufgezeigt. Die
verſchiedenen Bariationen dieſer Wechſel-
beziehung, die eigenartige moraliſch-geiſtige
Interpretation von Klangformen, der
Rhythmus in der Sprachgeſtaltung u. a.
wurden verfolgt.

Der zweite Teil des Vortrages galt der
ſchichſalhaften Begegnung mit Richard Wag-
ner. Unter Hinweis auf die vor kurzem
erſchienene geiſtvolle Broſchüre Bernhard
Dieboldts „Der Fall Wagner. — Eine
Reviſion“ (Verlag der Frankfurter Sozie-
tätsbruckerei) nahm auch Glirſter eine Re-
viſion des „Falles“ vor, indem er Wagner
als den Abſchluß der romantiſch-peſſimiſtiſch-
ſymboliſtiſchen Entwicklung und die moderne
Muſik als eine dietätiſche Ruhepauſe vor der
Erfüllung von Rietzſches Sehnſucht nach der
kommenden, helleren, klareren — „feſt-
lichen“ Mufik begriff. Der Beiſall dankte
kräftig und herzlich.



„Die Brücke ins Jenſeits“ vor dem Reichsgericht
[Spaltenumbruch]

Im Jahre 1927 erſchien im Verlag Albert
Langen, München, das Buch „Die Brücke
ins Jenſeits“ von Dr. Kemmerich,
gegen das bekanntlich bei Münchner Gerich-
ten ein Rechtsſtreit inſofern anhängig iſt,
als dem Herausgeber der Vorwurf gemacht
wird, er habe in widerrechtlicher Weiſe ein
Manuſkript des verſtorbenen Profeſſors Dr.
Gruber ohne genügende Quellenangabe
benutzt.

Wie ſich inzwiſchen herausſtellte, ſcheint
aber dieſe Urheberrechtsſtreitfrage einen
günſtigen Ausgang für den Herausgeber zu
nehmen, da Dr. Kemmerich inzwiſchen eine
Poſtkarte Dr. Grubers vorfand, die ihn zu
der Uebernahme mehrerer Seiten aus die-
ſem Manuſkript in ſein Werk ermächtigte.

Neben dieſer Streitfrage lief aber vor
ſächſiſchen Gerichten noch ein zweiter Pro-
zeß. Hier handelt es ſich darum, daß der
Leipziger Buchhändler E. Abigt eine
mißbräuchliche Benützung des Buchtitels
beanſtandete. Er habe im Jahre 1915 eine
Schriftenſolge mit demſelben Obertitel her-
ausgegeben und klagte auf Unterlaſ-
ſung, Schadenserſatz
und Rech-
[Spaltenumbruch] nungslegung
nach dem Urheberrechts-
geſetz. Das Landgericht Leipzig und das
ſächſiſche Oberlandesgericht in Dresden (die-
ſes am 10. Juli 1928) hatten ſeiner Klage
mit der Begründung ſtattgegeben, daß die
Wortzuſammenſtellung „Die Brücke ins
Jenſeits“ den Schutz des Urheberrechts ge-
nieße, da die Rebeneinanderreihung der
Worte und der Gebrauch für eine Schriften-
folge ſchon als ſelbſtändiges Schriftwerk im
Sinne dieſes Geſetzes anzuſehen ſei.

Hiergegen richtete ſich die Reviſion des
Beklagten. Der Erſte Zivilſenet des Reichs-
gerichts entſchied heute wie folgt: Das Ur-
teil des ſächſiſchen Oberlandesgerichts zu
Dresden vom 10. Juli 1928 wird aufge-
hoben
und in der Sache ſelbſt auf die Be-
rufung des Beklagten, das Urteil der drit-
ten Zivilkammer des Landgerichts Leipzig
vom 18. Februar 1928 dahin abgeändert,
daß die Klage im vollen Umfange
abgewieſen
wird. Das Reichsgericht
begründet dieſe Entſcheidung damit, daß es
nicht zur Ueberzeugung gelangen könne, daß
hier ein Schriftwerk vorliegt. (Aktenzeichen
Reichsgericht 255/28.)

[Spaltenumbruch]
Die zweite Weltkraftkonferenz
Berlin 1930
[Spaltenumbruch]

Im Jahre 1939 wird zum erſten Male
nach dem Weltkrieg wieder die deutſche
Reichshauptſtadt der Schauplatz einer inter-
nationalen techniſch-wirtſchaftlichen Veran-
ſtaltung größten Stiles ſein. Vom 16. bis
22. Juni werden in Berlin die hervor-
ragendften Bertreter der Technik und der
Wiſſenſchaften, der Induſtrie und der Wirt-
ſchaft, ſowie führende Staatsmänner aus
allen Ländern zuſammenkommen, um an
den Verhandlungen der zweiten Vollſitzung
der Weltkraftkonferenz teilzunehmen.

Die Weltkraftkonferenz, von England ins
Leben gerufen, um durch internatienale Zu-
ſammenarbeit die Ausnutzung und Entwick-
lung der Kraftquellen der einzelnen Länder
in wiſſenſchaftlicher und induſtrieller Rich-
tung zu fördern, fand in der Form einer
Vollkonferenz zum erſten und bisher
einzigen Male im Jahre 1924 in London
ſtatt. Seitdem wurden nur Teilkonferenzen
abgehalten, von denen die in Baſel (30. Aug.
bis 8. Sept. 1926) den Fragen der Waſſer-
kraftnutzung und Binnenſchiffahrt, die in
London (24. Sept. bis 6. Okt. 1998) den
Brennſtoff-Fragen gewidmet waren. Auch
die für den Mai 1929 in Barcelona und
für den Oktober 1929 in Tokio vergeſehenen
Veranſtaltungen ſtellen Teiltagungen
dar; die letztgenannte wird dadurch an Be-
deutung gewinnen, daß ſie mit dem gleich-
falls in Tokio ſtattfindenden Weltingenieur-
Kongreß zuſammenfällt.

Die Berliner Konferenz des Jahres 1930,
für die Exzellenz Geh. Baurat Dr. Oskar
[Spaltenumbruch] von Miller, der Schöpfer des Deutſchen
Muſeums und der Altmeiſter auf dem Ge-
biete der Glektrizitätsverſorgung, das
Ehrenpräſidium, und Generaldirektor
Dr.-Ing. e. h. C. Köttgen den Vorſitz
übernommen haben, wird als zweite Voll-
konferenz ganz gewaltige Ausmaße auf-
weiſen. Schon ſeit Monaten ſind die Vor-
bereitungen hierzu im Gange. Die geſamte
Leitung liegt in den Händen der vom Deut-
ſchen Rationalen Komitee geſchaffenen Orga-
niſation, deren Geſchäftsſtelle ſich im Inge-
nierhaus, Berlin RW 7 befindet. Mitglieder
des Deutſchen Rationalen Komitees ſind die
Miniſterien, die Techniſchen Hochſchulen, die
bedeutendſten techniſch wiſſenſchaftlichen Ber-
eine, die Spitzenverbände der deutſchen In-
duſtrie, die Reichsbahn und andere nam-
hafte Körperſchaften.

Zur Bearbeitung des großen Stoffgebietes
ſind neun Fachausſchüffe gebildet worden,
die ſich mit den Fragen der feſten, flüſſigen
und gasförmigen Brennſtoffe, der Dampf-,
Verbrennungs- und Waſſerkraft, der mecha-
niſchen Energie, der Glektrizität und ſchließ-
lich mit den vielen Problemen allgemeiner
Natur, wie z. B. denen der Ausbildung,
der Statiſtik u. a. m. befaſſen werden.

Neben dem umfangreichen wiſſenſchaft-
lichen Programm ſind mehrere großange-
legte gaſellſchaftliche Veranſtaltungen vor-
geſehen, ſo daß die Zweite Weltkraftkonfe-
renz in Berlin für die geſamte techniſche
Welt ein Ereignis allererſten Ranges zu
werden verſpricht.



Von den Bühnen
„Evelyne“ Erſtaufführung im Gärtnerplatztheater
[Spaltenumbruch]

Bruno Granichſtaedten, der erfolgreiche
Komponiſt des „Orlow“, der Jazz-Operette hat
nun abermals ſehr geſchickt die Zeitkonjunktur er-
ſaßt. In ſeiner „Evelyne“ beſchert er uns die
Revue-Operette. Und auch damit hat ihn ſein
guter Inſtinkt nicht im Stich gelaſſen. Granich-
ſtaedten ſchüttelt in der Reterte eines wirkſamen
Textbuches (für welches er neben A. Schütz mit-
verantwortlich zeichnet) die Ingredienzien von
Operette und Revue durcheinander, und ſiehe da:
die Mixtur ſchmeckt wohlbekömmlich.

Die wirklich gute, nette und recht plnuſible Idee
zur Handlung ſtammt aus einem Roman von
Philipps Oppenheim (Reuyerk). Und damit war
auch ſchon der effektvolle Rahmen geſchaffen: Park
Lane und die blaſierte Dollarprinzeſſin Evelyine
Ruß. Als Mittel gegen ihre Blaſiertheit ver-
ſchreibt ihr der Arzt: Arbeit! Evelyne unter-
nimmt’s und zieht mit fünf Dollar in der Taſche
los. Und ſo iſt die Gelegenheit da, das Bilderbuch
der Revue aufzuſchlagen. Wir begegnen Evelyne
als Verkäuferin von Kochöfen, als Tänzerin in
einem Broadway-Baudeville, als Stütze im
Kolonialwarengeſchäft Sam Higgins, als Manne-
quin im Hotel Aftor, als Opfer eines Opium-
rauſches und ſchließlich als Zeitungsverkäuferin.
Beinahe wird aus dem Spiel Ernft. Bankkrach!
Bermögensverluſt? Doch nein: Evelyne kann zur
eignen wie zur allgemeinen Freude nach Ablauf
ihres freiwilligen Dienſtjahres Billy Parker, ihren
geliebten, ehemaligen Kochöfenchef, als Gatten in
ihr Palais in der Park Lane und zu ihren fünfzig
Millionen führen. An dieſen Ereigniſſen beteiligt
ſich in der Hauptſache Evelynes getreuer Ekkehard
Tom Flips und die Tänzerin Daiſy Moore.

Granichſtaedten erweiſt auch in dieſer Parkitur
ſeine bekannten Vorzüge. Eine Reihe vorzüglicher
Schlager — meiſt ſchon von der Schallplatte her
bekannt — iſt von ſtärkſter Wirkung. Es iſt Ein-
fall, Rhythmus, Tempo in der Muſik. Und das
Orcheſtergewand iſt graziäs, in reicher Farb-
ſchattierung gewirkt.

[Spaltenumbruch]

Die Aufführung: großer Erfolg. Repertoire-
Sicherung. Dr. Warnecke ließ es in der Auf-
machung an nichts fehlen, um den Revuecharakter
markant zu unterſtreichen. Bei der muſikaliſchen
Wiedergabe konnte Georg Lange ſeine Fähig-
keiten zur vollen Geltung bringen. Es herrſchte
Schwung in der Sache. Ausgezeichnet die Spiel-
führung Oswald Czechowſris. Nur ſollte er
die Ausfüllung einiger Verwandlungspauſen nicht
dem Kapellmeiſter allein überlaſſen. Es ließen ſich
da — gerade im Sinne der Revue — während
des Szenenwechſels aus dem Milieu heraus vor
der Rampe ganz leicht einige nette Dialogſzenen
herſtellen. Oder man läßt einfach Girls tanzea.
Im übrigen iſt die geſamte Ausſtattung von ein-
dringlicher und ſehenswerter Schlagkraft. Es fehlt
weder das Tanzorcheſter auf der Bühne (George
Schiells), noch die elegante Modenſchau (Mode-
haus J. Ney). Beſondere Erwähnung verdienen
die Bühnenbilder Theo Thallers, die Koſtüme
Alois Baumunns und Anna Jungs und die
techniſche Beitung Martin Kerbls.

Auf der Bühne herrſchte Laune und Leben. Da
iſt Dely Drexlers Evelyne Ruß, in Sang,
Spiel, Tanz eine prachtvolle, ſämtliche Metamor-
phoſen aufs glaubwürdigſte abwandelnde ſchar-
mante Erſcheinung. Da ſingt, tanzt, wirbelt die
feſche My Marée als Daiſy Moore über die
Szene, ſprudelnd von humorvollem Temperament
und pointierter Charakterifierungskunſt. Bob
Dorſay gibt mit ſeinem dralligen, ſtimmlich
feinen, tänzeriſch geſchliffenen Tom Flips eben-
falls eine erſtklaſſige Leiſtung. Und Willy Wah-
les
Billy Parker abſolviert ſeine wechſelvolle,
berufliche Laufbahn bis zum Dollarprinzen mit
gewinnender, ſympathiſcher Liebenswürdigkeit. Die
übrigen zahlreichen Mitwirkenden, wie ſie der
Theaterzettel über die acht Bilder ausſtreut,
mögen ſich mit einem Generollob begnügen. Der
äußere Erfolg ließ an Deutlichkeit nichts zu wün-
ſchen übrig.



[Spaltenumbruch]
Mary Wigman tanzt im Schauſpielhaus

Mancherlei, was in der Nachfolge Mary Wig-
mans geſchah, begann uns den von ihr geſchaffe-
nen Stil des Tanzes zu verleiden. Es war gut,
daß ſie ſelbſt wieder einmal kam — allein, ohne
Schülerinnen — und widerlegte. Denn für ihr
Teil hat ſie die leere, ſchreiende Geſte überwunden
zugunſten einer einfachen und eindringlichen Füh-
rung der Vewegung, einer kultiſchen Form für
den unbekannten Dämen.

Sie kann das unerhörte Wagnis vollbringen,
Masken zu tragen. Gerade die Tänze mit Mas-
ken: „Zeremonielle Geſtalt“ und „Hexentanz“
waren der ſtärkſte Eindruck. Eine gewiſſe Breite
der Kompoſition, die auch tote Stellen in früheren
choreographiſchen Darbietungen bedingt hat, ver-
hinderte bei der „Feierlichen Geſtalt“ die gleiche
Wirkung. „Erſcheinung“ und „Raumgeſtalt“ waren
im vornherein mehr dekorativ angetegt.

In der „Spaniſchen Suite“ — in einem wun-
derbaren, wie gehämmertes Gold wirkenden
Kleide getanzt — waltete überraſchende Anmut.
Im Tanzliede war eine wohltuende Entſpannung
hinfließender Rhythmen; das „Allegro“ aber war
faſt ſchon eine Konzeſſion.

Das zur Vorſtellung Samstag nacht erſchienene
zahlreiche Publikum bereitete Mary Wigman Opa-
tionen. Als der eiſerne Vorhang gefallen, mußte
ſie nochmals aus der Direktionsloge danken.

[Spaltenumbruch]
Eine fünfzehnjährige Künſtlerin

In den oberen Räumen der Buch- und
Kunſthandlung Goltz
(Briennerſtraße, Ecke
Wittelsbacherplatz) iſt etwas Merkwürdiges zu
ſehen: drei Plaſtiken ſind ausgeſtellt, eine ruhende
Negerin, eine Gruppe von zwei Mulattinnen, eine
laufende Negerin. Die etwa in Lebensgröße aus
Ton geformten Figuren ſind von einem über-
raſchend ſtarken, ſpezifiſch plaſtiſchen Ausdruck:
von jedem Standpunkt aus betrachtet, ruhen ſie
geſchloſſen in ſich, bilden ſie einen ſpürbaren Raum
um ſich her. Iſt die ruhende Figur noch verhält-
nismäßig einfach und an mancherlei Vorbilder er-
innernd, die Gruppe mehr von einem innigen,
ſtatiſchen Reiz, ſo iſt die Bewegung der Laufenden
ganz ungewöhnlich die Zehen greifen, wie die
Zehen eines Affen, der Körper macht in der Be-
wegung nach vorwärts gleichzeitig eine Drehung
von links nach rechts und der eine Arm ſtößt krei-
ſend in den Raum, während der andere die Be-
wegung ausbalanciert. Kleine Ungeformtheiten,
zum Beiſpiel am Bauche, wollen ſolchen künſtle-
riſchen Löſungen gegenüber wenig beſagen. Dieſe
Plaſtik wurde geſchaffen von Charlotte
Goltz,
einem fünfzehnjährigen Mädchen, das
niemals eine künſtleriſche Schule beſucht und nie-
mals nach lebendem Modell gearbeitet hat. Man
ſehe ſich dieſe merkwürdigen Beiſpiele elemen-
taren künſtleriſchen Triebes an, die mitten unter
uns erwachſen ſind.

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[Seite 10[10]/0010] „AZ am Abend“ Nr. 12 Dienstag. den 15. Januar Die gefilmte Zelle Mit 60 000facher Vergrößerung Der däniſche Gelehrte Dr. Albert Fiſcher, der bereits ſeit drei Jahren im Kaiſer-Wil- helm-Inſtitut an der Erforſchung der Krebs- krankheit arbeitet, äußert ſich in einem Vor- trag an der Berliner Univerſität ſoeben über die Krebszelle, deren wiſſenſchaftliche Erforſchung ſein Haupttätigkeitsgebiet iſt. Während bei der Krebsbekämpfung bisher nur mit der Krebsgeſchwulſt gearbeitet wer- den konnte, kann man heute die Krebszelle direkt faſſen, und ſie wie Normalzellen und Bakterten in Kulturen züchten und ihre Biologie ſtudieren. Verſchiedene Gewebezellen können außer- halb des Organismus unabhängig lebend und wachſend erhalten werden. Man beſitzt gegenwärtig Zellen, die mehrere Jahre alt ſind. Es kann alſo auch das Wachstum uſw. gemeſſen werden, ebenſo wie der Einfluß von Veränderungen im umgabenden Me- dium ſtudiert werden kann. Es können infolgedeſſen als Träger der Bösartigkeit mit Hilfe der Gewebezüchtung ganz beſtimmte Zellen erkannt werden, die, wenn ſie überimpft werden, eine Krebs- geſchwulſt erzeugen. Dr. Fiſcher erkennt ſich zu der Auffaſſung, daß der Krebs nicht durch einen ſpezifiſchen Erreger hervorgerufen wird, man vielmehr die Krebszelle ſelbſt als den Erreger der Krebskrankheit bezeichnen kann. Was Dr. Fiſchers Theorie angeht, ſo glaubt er auf Grund ſeiner Feſtſtellungen, nach denen die Krebszellen alle normalen Zellen überwuchern, beweiſen zu können, daß die von ihm feſtgeſtellten Eigentümlichkeiten das ſchrankenloſe Wachſen der Krebs- geſchwulſte im Körper erklären. — Mit dieſer Erkenntnis iſt die Krebsforſchung um wertvolle Unterlagen bereichert worden. Am Schluß ſeiner Rede hatte er noch eine beſondere Ueberreſchung vorbereitet: die kinematographiſche Vorführung des Wachtums geſunder und kranker Zellen. Die Aufnahmen waren umgekehrt wie bei der Zeitlupe durch eine ſtarke Beſchleuni- gung der Geſchwindigkeit zuſtandegekommen, alſo durch eine Art „Zeitraffer“. Im Auf- nahmeapparat waren durch ein Mikroſkop in ſechzigtauſendfacher Vergrößerung die Zellkulturen vom Filmſtreifen in Abſtänden von 5 und 120 Sekunden aufgenommen worden, oft in mehrtägiger Arbeit, und nun rollte der Film mit einer Geſchwindigkeit von 16 Bildern in der Sekunde ab. In der linken unteren Ecke hatte man einen weißen Sekundenanzeiger mitphoto- graphiert, der ſich mit raſender Geſchwin- digkeit drehte und ſo einen Maßſtab für die wirkliche Aufnahmegeſchwindigkeit gab. Es war ein aufregendes Schauſpiel, als man zuerſt Stückchen eines Hühner- herzens ſah, das, längſt vom Tier getrennt, auch noch unter dem Mikroſkop rhythmiſch zuckte und pulſierte. Man ſah Zellen ver- ſchiedener Tiere, Zellen, die aus der Iris, dem Epithel, der Milz, den Milchdrüſen herausgeſchnitten waren. Sie waren dauernd in ſtarker Bewegung, wuchſen an allen Rändern weiter. An einzelnen Stellen ſchnürte ſich eine große Zelle in der Mitte ab, und plötzlich waren es zwei geworden. Ein ewiger Kampf, ein Schieben, Drängen, Stoßen, Zerren der einzelnen Beſtandteile herrſchte in den Kulturen. Manche Zellen dehnten ſich plötzlich aus, wurden lange, ſpindelförmige Gabilde und zerriſſen dann in der Mitte. Nur das Auge des Forſchers kann das Bild der geſunden von dem der kran- ken Zelle mit Mühe unterſcheiden. Das liegt daran, daß unſere optiſchen Hilfsmittel nicht ſcharf genug ſind, um die feinen Un- terſchiede zwiſchen beiden Arten bemerken zu können. Dr. Eugen Gürſter ſprach über „Nietzſche und die Muſik“ Im Steinickeſaal ſprach Dr. Eugen Gürſter vor einem literariſch intereſſierten Publi- kum. Der Vortragende iſt durch eigene dichteriſche Arbeit und als Regiſſeur be- kannt. Im letzten Sommer wurde unter ſeiner Spielleitung Hofmannsthal „Jeder- mann“ vor der Ulrichskirche in Augsburg mit großem Erfolge zur Aufführung ge- bracht. Das Bayeriſche Staatstheater gab Calderons „Richter von Zalamea“ in ſeiner Uebertragung, die nunmehr mit drei ande- ren Stücken Calderons vereint im Verlage von C. Beck (München) erſchienen iſt. Die neue Ueberſetzung wurde von einer Autori- lät wie Profeſſor Voßler mit wermer Zuſtimmung aufgenommen. Das von ihm an dieſem Abend gewählte Thema lag Gürſter, der ſich ſeit langer Zeit mit Nietzſches Philoſophie beſchäftigt, beſon- ders am Herzen. Zunächſt gab er einen biographiſchen Ueberblick über die Beziehun- gen Rietzſches zur Muſik während den ein- zelnen Stadten ſeines Lebens. Ein Ver- gleich mit Goethe, dem „verhinderten Maler“ zeigte Nietzſche als den „verſetzten Muſiker“. Des weiteren wurde die enge Verbundenheit von Rietzſches Philoſophie mit muſikaliſchem Geiſte aufgezeigt. Die verſchiedenen Bariationen dieſer Wechſel- beziehung, die eigenartige moraliſch-geiſtige Interpretation von Klangformen, der Rhythmus in der Sprachgeſtaltung u. a. wurden verfolgt. Der zweite Teil des Vortrages galt der ſchichſalhaften Begegnung mit Richard Wag- ner. Unter Hinweis auf die vor kurzem erſchienene geiſtvolle Broſchüre Bernhard Dieboldts „Der Fall Wagner. — Eine Reviſion“ (Verlag der Frankfurter Sozie- tätsbruckerei) nahm auch Glirſter eine Re- viſion des „Falles“ vor, indem er Wagner als den Abſchluß der romantiſch-peſſimiſtiſch- ſymboliſtiſchen Entwicklung und die moderne Muſik als eine dietätiſche Ruhepauſe vor der Erfüllung von Rietzſches Sehnſucht nach der kommenden, helleren, klareren — „feſt- lichen“ Mufik begriff. Der Beiſall dankte kräftig und herzlich. W. P. „Die Brücke ins Jenſeits“ vor dem Reichsgericht Im Jahre 1927 erſchien im Verlag Albert Langen, München, das Buch „Die Brücke ins Jenſeits“ von Dr. Kemmerich, gegen das bekanntlich bei Münchner Gerich- ten ein Rechtsſtreit inſofern anhängig iſt, als dem Herausgeber der Vorwurf gemacht wird, er habe in widerrechtlicher Weiſe ein Manuſkript des verſtorbenen Profeſſors Dr. Gruber ohne genügende Quellenangabe benutzt. Wie ſich inzwiſchen herausſtellte, ſcheint aber dieſe Urheberrechtsſtreitfrage einen günſtigen Ausgang für den Herausgeber zu nehmen, da Dr. Kemmerich inzwiſchen eine Poſtkarte Dr. Grubers vorfand, die ihn zu der Uebernahme mehrerer Seiten aus die- ſem Manuſkript in ſein Werk ermächtigte. Neben dieſer Streitfrage lief aber vor ſächſiſchen Gerichten noch ein zweiter Pro- zeß. Hier handelt es ſich darum, daß der Leipziger Buchhändler E. Abigt eine mißbräuchliche Benützung des Buchtitels beanſtandete. Er habe im Jahre 1915 eine Schriftenſolge mit demſelben Obertitel her- ausgegeben und klagte auf Unterlaſ- ſung, Schadenserſatz und Rech- nungslegung nach dem Urheberrechts- geſetz. Das Landgericht Leipzig und das ſächſiſche Oberlandesgericht in Dresden (die- ſes am 10. Juli 1928) hatten ſeiner Klage mit der Begründung ſtattgegeben, daß die Wortzuſammenſtellung „Die Brücke ins Jenſeits“ den Schutz des Urheberrechts ge- nieße, da die Rebeneinanderreihung der Worte und der Gebrauch für eine Schriften- folge ſchon als ſelbſtändiges Schriftwerk im Sinne dieſes Geſetzes anzuſehen ſei. Hiergegen richtete ſich die Reviſion des Beklagten. Der Erſte Zivilſenet des Reichs- gerichts entſchied heute wie folgt: Das Ur- teil des ſächſiſchen Oberlandesgerichts zu Dresden vom 10. Juli 1928 wird aufge- hoben und in der Sache ſelbſt auf die Be- rufung des Beklagten, das Urteil der drit- ten Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 18. Februar 1928 dahin abgeändert, daß die Klage im vollen Umfange abgewieſen wird. Das Reichsgericht begründet dieſe Entſcheidung damit, daß es nicht zur Ueberzeugung gelangen könne, daß hier ein Schriftwerk vorliegt. (Aktenzeichen Reichsgericht 255/28.) Die zweite Weltkraftkonferenz Berlin 1930 Im Jahre 1939 wird zum erſten Male nach dem Weltkrieg wieder die deutſche Reichshauptſtadt der Schauplatz einer inter- nationalen techniſch-wirtſchaftlichen Veran- ſtaltung größten Stiles ſein. Vom 16. bis 22. Juni werden in Berlin die hervor- ragendften Bertreter der Technik und der Wiſſenſchaften, der Induſtrie und der Wirt- ſchaft, ſowie führende Staatsmänner aus allen Ländern zuſammenkommen, um an den Verhandlungen der zweiten Vollſitzung der Weltkraftkonferenz teilzunehmen. Die Weltkraftkonferenz, von England ins Leben gerufen, um durch internatienale Zu- ſammenarbeit die Ausnutzung und Entwick- lung der Kraftquellen der einzelnen Länder in wiſſenſchaftlicher und induſtrieller Rich- tung zu fördern, fand in der Form einer Vollkonferenz zum erſten und bisher einzigen Male im Jahre 1924 in London ſtatt. Seitdem wurden nur Teilkonferenzen abgehalten, von denen die in Baſel (30. Aug. bis 8. Sept. 1926) den Fragen der Waſſer- kraftnutzung und Binnenſchiffahrt, die in London (24. Sept. bis 6. Okt. 1998) den Brennſtoff-Fragen gewidmet waren. Auch die für den Mai 1929 in Barcelona und für den Oktober 1929 in Tokio vergeſehenen Veranſtaltungen ſtellen Teiltagungen dar; die letztgenannte wird dadurch an Be- deutung gewinnen, daß ſie mit dem gleich- falls in Tokio ſtattfindenden Weltingenieur- Kongreß zuſammenfällt. Die Berliner Konferenz des Jahres 1930, für die Exzellenz Geh. Baurat Dr. Oskar von Miller, der Schöpfer des Deutſchen Muſeums und der Altmeiſter auf dem Ge- biete der Glektrizitätsverſorgung, das Ehrenpräſidium, und Generaldirektor Dr.-Ing. e. h. C. Köttgen den Vorſitz übernommen haben, wird als zweite Voll- konferenz ganz gewaltige Ausmaße auf- weiſen. Schon ſeit Monaten ſind die Vor- bereitungen hierzu im Gange. Die geſamte Leitung liegt in den Händen der vom Deut- ſchen Rationalen Komitee geſchaffenen Orga- niſation, deren Geſchäftsſtelle ſich im Inge- nierhaus, Berlin RW 7 befindet. Mitglieder des Deutſchen Rationalen Komitees ſind die Miniſterien, die Techniſchen Hochſchulen, die bedeutendſten techniſch wiſſenſchaftlichen Ber- eine, die Spitzenverbände der deutſchen In- duſtrie, die Reichsbahn und andere nam- hafte Körperſchaften. Zur Bearbeitung des großen Stoffgebietes ſind neun Fachausſchüffe gebildet worden, die ſich mit den Fragen der feſten, flüſſigen und gasförmigen Brennſtoffe, der Dampf-, Verbrennungs- und Waſſerkraft, der mecha- niſchen Energie, der Glektrizität und ſchließ- lich mit den vielen Problemen allgemeiner Natur, wie z. B. denen der Ausbildung, der Statiſtik u. a. m. befaſſen werden. Neben dem umfangreichen wiſſenſchaft- lichen Programm ſind mehrere großange- legte gaſellſchaftliche Veranſtaltungen vor- geſehen, ſo daß die Zweite Weltkraftkonfe- renz in Berlin für die geſamte techniſche Welt ein Ereignis allererſten Ranges zu werden verſpricht. Von den Bühnen „Evelyne“ Erſtaufführung im Gärtnerplatztheater Bruno Granichſtaedten, der erfolgreiche Komponiſt des „Orlow“, der Jazz-Operette hat nun abermals ſehr geſchickt die Zeitkonjunktur er- ſaßt. In ſeiner „Evelyne“ beſchert er uns die Revue-Operette. Und auch damit hat ihn ſein guter Inſtinkt nicht im Stich gelaſſen. Granich- ſtaedten ſchüttelt in der Reterte eines wirkſamen Textbuches (für welches er neben A. Schütz mit- verantwortlich zeichnet) die Ingredienzien von Operette und Revue durcheinander, und ſiehe da: die Mixtur ſchmeckt wohlbekömmlich. Die wirklich gute, nette und recht plnuſible Idee zur Handlung ſtammt aus einem Roman von Philipps Oppenheim (Reuyerk). Und damit war auch ſchon der effektvolle Rahmen geſchaffen: Park Lane und die blaſierte Dollarprinzeſſin Evelyine Ruß. Als Mittel gegen ihre Blaſiertheit ver- ſchreibt ihr der Arzt: Arbeit! Evelyne unter- nimmt’s und zieht mit fünf Dollar in der Taſche los. Und ſo iſt die Gelegenheit da, das Bilderbuch der Revue aufzuſchlagen. Wir begegnen Evelyne als Verkäuferin von Kochöfen, als Tänzerin in einem Broadway-Baudeville, als Stütze im Kolonialwarengeſchäft Sam Higgins, als Manne- quin im Hotel Aftor, als Opfer eines Opium- rauſches und ſchließlich als Zeitungsverkäuferin. Beinahe wird aus dem Spiel Ernft. Bankkrach! Bermögensverluſt? Doch nein: Evelyne kann zur eignen wie zur allgemeinen Freude nach Ablauf ihres freiwilligen Dienſtjahres Billy Parker, ihren geliebten, ehemaligen Kochöfenchef, als Gatten in ihr Palais in der Park Lane und zu ihren fünfzig Millionen führen. An dieſen Ereigniſſen beteiligt ſich in der Hauptſache Evelynes getreuer Ekkehard Tom Flips und die Tänzerin Daiſy Moore. Granichſtaedten erweiſt auch in dieſer Parkitur ſeine bekannten Vorzüge. Eine Reihe vorzüglicher Schlager — meiſt ſchon von der Schallplatte her bekannt — iſt von ſtärkſter Wirkung. Es iſt Ein- fall, Rhythmus, Tempo in der Muſik. Und das Orcheſtergewand iſt graziäs, in reicher Farb- ſchattierung gewirkt. Die Aufführung: großer Erfolg. Repertoire- Sicherung. Dr. Warnecke ließ es in der Auf- machung an nichts fehlen, um den Revuecharakter markant zu unterſtreichen. Bei der muſikaliſchen Wiedergabe konnte Georg Lange ſeine Fähig- keiten zur vollen Geltung bringen. Es herrſchte Schwung in der Sache. Ausgezeichnet die Spiel- führung Oswald Czechowſris. Nur ſollte er die Ausfüllung einiger Verwandlungspauſen nicht dem Kapellmeiſter allein überlaſſen. Es ließen ſich da — gerade im Sinne der Revue — während des Szenenwechſels aus dem Milieu heraus vor der Rampe ganz leicht einige nette Dialogſzenen herſtellen. Oder man läßt einfach Girls tanzea. Im übrigen iſt die geſamte Ausſtattung von ein- dringlicher und ſehenswerter Schlagkraft. Es fehlt weder das Tanzorcheſter auf der Bühne (George Schiells), noch die elegante Modenſchau (Mode- haus J. Ney). Beſondere Erwähnung verdienen die Bühnenbilder Theo Thallers, die Koſtüme Alois Baumunns und Anna Jungs und die techniſche Beitung Martin Kerbls. Auf der Bühne herrſchte Laune und Leben. Da iſt Dely Drexlers Evelyne Ruß, in Sang, Spiel, Tanz eine prachtvolle, ſämtliche Metamor- phoſen aufs glaubwürdigſte abwandelnde ſchar- mante Erſcheinung. Da ſingt, tanzt, wirbelt die feſche My Marée als Daiſy Moore über die Szene, ſprudelnd von humorvollem Temperament und pointierter Charakterifierungskunſt. Bob Dorſay gibt mit ſeinem dralligen, ſtimmlich feinen, tänzeriſch geſchliffenen Tom Flips eben- falls eine erſtklaſſige Leiſtung. Und Willy Wah- les Billy Parker abſolviert ſeine wechſelvolle, berufliche Laufbahn bis zum Dollarprinzen mit gewinnender, ſympathiſcher Liebenswürdigkeit. Die übrigen zahlreichen Mitwirkenden, wie ſie der Theaterzettel über die acht Bilder ausſtreut, mögen ſich mit einem Generollob begnügen. Der äußere Erfolg ließ an Deutlichkeit nichts zu wün- ſchen übrig. Ma. Mary Wigman tanzt im Schauſpielhaus Mancherlei, was in der Nachfolge Mary Wig- mans geſchah, begann uns den von ihr geſchaffe- nen Stil des Tanzes zu verleiden. Es war gut, daß ſie ſelbſt wieder einmal kam — allein, ohne Schülerinnen — und widerlegte. Denn für ihr Teil hat ſie die leere, ſchreiende Geſte überwunden zugunſten einer einfachen und eindringlichen Füh- rung der Vewegung, einer kultiſchen Form für den unbekannten Dämen. Sie kann das unerhörte Wagnis vollbringen, Masken zu tragen. Gerade die Tänze mit Mas- ken: „Zeremonielle Geſtalt“ und „Hexentanz“ waren der ſtärkſte Eindruck. Eine gewiſſe Breite der Kompoſition, die auch tote Stellen in früheren choreographiſchen Darbietungen bedingt hat, ver- hinderte bei der „Feierlichen Geſtalt“ die gleiche Wirkung. „Erſcheinung“ und „Raumgeſtalt“ waren im vornherein mehr dekorativ angetegt. In der „Spaniſchen Suite“ — in einem wun- derbaren, wie gehämmertes Gold wirkenden Kleide getanzt — waltete überraſchende Anmut. Im Tanzliede war eine wohltuende Entſpannung hinfließender Rhythmen; das „Allegro“ aber war faſt ſchon eine Konzeſſion. Das zur Vorſtellung Samstag nacht erſchienene zahlreiche Publikum bereitete Mary Wigman Opa- tionen. Als der eiſerne Vorhang gefallen, mußte ſie nochmals aus der Direktionsloge danken. W. P. Eine fünfzehnjährige Künſtlerin In den oberen Räumen der Buch- und Kunſthandlung Goltz (Briennerſtraße, Ecke Wittelsbacherplatz) iſt etwas Merkwürdiges zu ſehen: drei Plaſtiken ſind ausgeſtellt, eine ruhende Negerin, eine Gruppe von zwei Mulattinnen, eine laufende Negerin. Die etwa in Lebensgröße aus Ton geformten Figuren ſind von einem über- raſchend ſtarken, ſpezifiſch plaſtiſchen Ausdruck: von jedem Standpunkt aus betrachtet, ruhen ſie geſchloſſen in ſich, bilden ſie einen ſpürbaren Raum um ſich her. Iſt die ruhende Figur noch verhält- nismäßig einfach und an mancherlei Vorbilder er- innernd, die Gruppe mehr von einem innigen, ſtatiſchen Reiz, ſo iſt die Bewegung der Laufenden ganz ungewöhnlich die Zehen greifen, wie die Zehen eines Affen, der Körper macht in der Be- wegung nach vorwärts gleichzeitig eine Drehung von links nach rechts und der eine Arm ſtößt krei- ſend in den Raum, während der andere die Be- wegung ausbalanciert. Kleine Ungeformtheiten, zum Beiſpiel am Bauche, wollen ſolchen künſtle- riſchen Löſungen gegenüber wenig beſagen. Dieſe Plaſtik wurde geſchaffen von Charlotte Goltz, einem fünfzehnjährigen Mädchen, das niemals eine künſtleriſche Schule beſucht und nie- mals nach lebendem Modell gearbeitet hat. Man ſehe ſich dieſe merkwürdigen Beiſpiele elemen- taren künſtleriſchen Triebes an, die mitten unter uns erwachſen ſind. W. P.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 15. Januar 1929, S. Seite 10[10]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine12_1929/10>, abgerufen am 23.11.2024.