Allgemeine Zeitung, Nr. 133, 20. März 1908.Freitag. 20. März 1908. München. Einzige Tagesausgabe. -- Nr. 133 Allgemeine Zeitung. Erscheint täglich 2mal. -- Einhundertelfter Jahrgang. Bezugspreis: Ausgabe B mit Wissenschaftlicher Beilage und Internationaler Wochenschrift in München 1.50 Mark monatlich frei ins Haus; durch die Post: 2.-- Mark monatlich. Ausgabe A (ohne Beilage) in München 1.-- Mark, durch die Post bezogen 1.50 Mark monatlich. Abonnements für München: Expedition Bayerstraße 57, deren Filialen und sämtliche Zeitungs-Expeditionen; für das Ausland: England: A. Siegle, 30 Lime Str. und The Anglo-Foreign Publishing Syndicate, Ltd., 38 Coleman Str., in London; Frankreich. Portugal und Spanien: A. Ammel u. C. Kliencksieck in Paris; das übrige Europa: die Postämter; Orient: das k. k. Postamt in Wien oder in Triest; Nord- amerika: F. W. Christern. E. Steiger & Co., Gust E. Stechert. Westermann & Co., sämtlich in New York [Abbildung]
Insertionspreis: für die 7 gespaltene Kolonelzeile oder deren Raum im Morgenblatt 40 Pfennig, im Abendblatt 80 Pfennig. Lokale Anzeigen nach Tarif. Stellen-Gesuche 10 Pfennig. Inseraten-Annahme in München: Expedition Bayerstraße 57, die Filialen der Allgemeinen Zeitung und alle Annoncen-Expeditionen. -- Generalvertretungen: für Oesterreich-Ungarn in Wien V/I, Schönbrunner Str. 48 (Richard Jahn); Frankreich: John F. Jones & Co., 31 bis Rue du Faubourg Montmartre in Paris; England: John F. Jones & Co., 1 & 2 Snow Hill, Holborn-Viadukt, London; Rußland: L. & E. Metzl & Co., Moskau. Mjasnitzkaja Haus Systow. St. Petersburg, Morskaja 11; Warschau: Kral-Vorstadt 53. Chefredakteur: Dr. Hermann Diez. Verantwortlich: für den politischen Teil mit Ausnahme der bayerischen Politik Dr. Rudolf Dammert; für den bayerischen Teil Dr. Paul Busching; für das Feuilleton und den "Sonntag" Alfred Frhr. v. Mensi; für die Wissenschaftliche Beilage Dr. Oskar Bulle; für den Handelsteil Leo Jolles, sämtlich in München. Redaktion: Bayerstraße 57 Telephon 8432, 8433. = Druck und Verlag: Bayerische Druckerei & Verlagsanstalt, G. m. b. H., in München. = Expedition: Bayerstraße 57. Telephon 8430, 8431. Des Feiertags wegen erscheint die nächste Nummer der Allgemeinen Zeitung Freitag Nachmittag. Das Neueste vom Tage. In der Frauenkirche zu München hat in Anwesenheit Sr. kgl. Auch in der Frage der Jugendlichen soll nun in der In den Staaten der lateinischen Münz-Union wird Die Wirren auf Haiti. M. p. Ueber die Persönlichkeiten, deren politischer Ehr- Nord Alexis, der Präsident, und Anthenor Firmin, der Entgegen den telegraphischen Berichten, die wahr- Man schreibt uns: Nach den vorliegenden Tele- Zur Entrevue in Venedig. Von unserem Römischen Korrespondenten. Sehr rasch ist den ersten Gerüchten einer Entrevue Kaiser Wilhelm hat in den Jahren 1903 bis 1905 Wenn man in diesem Zusammenhang schlechtweg "die Ein großes römisches Blatt hat wohl den Nagel auf Kaiser Wilhelm wird in Venedig, wo er außer dem Der Wiener Nuntius und der Fall Wahrmund. Das amtliche Communique über das Vorgehen des Aus diesen Aeußerungen geht hervor, daß der Nun- Die nicht ganz bequeme Differenz der beiden Dar- Das Privatschreiben des Ministers des Aeußern an Freitag. 20. März 1908. München. Einzige Tagesausgabe. — Nr. 133 Allgemeine Zeitung. Erſcheint täglich 2mal. — Einhundertelfter Jahrgang. Bezugspreis: Ausgabe B mit Wiſſenſchaftlicher Beilage und Internationaler Wochenſchrift in München 1.50 Mark monatlich frei ins Haus; durch die Poſt: 2.— Mark monatlich. Ausgabe A (ohne Beilage) in München 1.— Mark, durch die Poſt bezogen 1.50 Mark monatlich. Abonnements für München: Expedition Bayerſtraße 57, deren Filialen und ſämtliche Zeitungs-Expeditionen; für das Ausland: England: A. Siegle, 30 Lime Str. und The Anglo-Foreign Publiſhing Syndicate, Ltd., 38 Coleman Str., in London; Frankreich. Portugal und Spanien: A. Ammel u. C. Klienckſieck in Paris; das übrige Europa: die Poſtämter; Orient: das k. k. Poſtamt in Wien oder in Trieſt; Nord- amerika: F. W. Chriſtern. E. Steiger & Co., Guſt E. Stechert. Weſtermann & Co., ſämtlich in New York [Abbildung]
Inſertionspreis: für die 7 geſpaltene Kolonelzeile oder deren Raum im Morgenblatt 40 Pfennig, im Abendblatt 80 Pfennig. Lokale Anzeigen nach Tarif. Stellen-Geſuche 10 Pfennig. Inſeraten-Annahme in München: Expedition Bayerſtraße 57, die Filialen der Allgemeinen Zeitung und alle Annoncen-Expeditionen. — Generalvertretungen: für Oeſterreich-Ungarn in Wien V/I, Schönbrunner Str. 48 (Richard Jahn); Frankreich: John F. Jones & Co., 31 bis Rue du Faubourg Montmartre in Paris; England: John F. Jones & Co., 1 & 2 Snow Hill, Holborn-Viadukt, London; Rußland: L. & E. Metzl & Co., Moskau. Mjasnitzkaja Haus Syſtow. St. Petersburg, Morskaja 11; Warſchau: Kral-Vorſtadt 53. Chefredakteur: Dr. Hermann Diez. Verantwortlich: für den politiſchen Teil mit Ausnahme der bayeriſchen Politik Dr. Rudolf Dammert; für den bayeriſchen Teil Dr. Paul Buſching; für das Feuilleton und den „Sonntag“ Alfred Frhr. v. Menſi; für die Wiſſenſchaftliche Beilage Dr. Oskar Bulle; für den Handelsteil Leo Jolles, ſämtlich in München. Redaktion: Bayerſtraße 57 Telephon 8432, 8433. = Druck und Verlag: Bayeriſche Druckerei & Verlagsanſtalt, G. m. b. H., in München. = Expedition: Bayerſtraße 57. Telephon 8430, 8431. Des Feiertags wegen erſcheint die nächſte Nummer der Allgemeinen Zeitung Freitag Nachmittag. Das Neueſte vom Tage. In der Frauenkirche zu München hat in Anweſenheit Sr. kgl. Auch in der Frage der Jugendlichen ſoll nun in der In den Staaten der lateiniſchen Münz-Union wird Die Wirren auf Haiti. M. p. Ueber die Perſönlichkeiten, deren politiſcher Ehr- Nord Alexis, der Präſident, und Anthenor Firmin, der Entgegen den telegraphiſchen Berichten, die wahr- Man ſchreibt uns: Nach den vorliegenden Tele- Zur Entrevue in Venedig. Von unſerem Römiſchen Korreſpondenten. Sehr raſch iſt den erſten Gerüchten einer Entrevue Kaiſer Wilhelm hat in den Jahren 1903 bis 1905 Wenn man in dieſem Zuſammenhang ſchlechtweg „die Ein großes römiſches Blatt hat wohl den Nagel auf Kaiſer Wilhelm wird in Venedig, wo er außer dem Der Wiener Nuntius und der Fall Wahrmund. Das amtliche Communiqué über das Vorgehen des Aus dieſen Aeußerungen geht hervor, daß der Nun- Die nicht ganz bequeme Differenz der beiden Dar- Das Privatſchreiben des Miniſters des Aeußern an <TEI> <text> <pb facs="#f0001"/><lb/> <front> <titlePage type="heading"> <docImprint> <docDate><hi rendition="#b">Freitag.</hi> 20. 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Siegle, 30 Lime Str. und The Anglo-Foreign Publiſhing Syndicate,<lb/> Ltd., 38 Coleman Str., in London; Frankreich. Portugal und Spanien: A. Ammel u. C. Klienckſieck<lb/> in Paris; das übrige Europa: die Poſtämter; Orient: das k. k. Poſtamt in Wien oder in Trieſt; Nord-<lb/> amerika: F. W. Chriſtern. E. Steiger & Co., Guſt E. Stechert. Weſtermann & Co., ſämtlich in New York</head><lb/> <figure/> </div> <div type="jExpedition" n="1"> <head><hi rendition="#g">Inſertionspreis:</hi> für die 7 geſpaltene Kolonelzeile oder deren Raum im Morgenblatt<lb/> 40 Pfennig, im Abendblatt 80 Pfennig. Lokale Anzeigen nach Tarif. Stellen-Geſuche 10 Pfennig.<lb/> Inſeraten-Annahme in München: Expedition Bayerſtraße 57, die Filialen der Allgemeinen<lb/> Zeitung und alle Annoncen-Expeditionen. — Generalvertretungen: für Oeſterreich-Ungarn<lb/> in Wien <hi rendition="#aq">V/I,</hi> Schönbrunner Str. 48 (Richard Jahn); Frankreich: John F. 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Menſi;</hi><lb/> für die Wiſſenſchaftliche Beilage Dr. <hi rendition="#g">Oskar Bulle;</hi> für den Handelsteil <hi rendition="#g">Leo Jolles,</hi> ſämtlich in München.<lb/><hi rendition="#g">Redaktion:</hi> Bayerſtraße 57 Telephon 8432, 8433. = Druck und Verlag: <hi rendition="#g">Bayeriſche Druckerei & Verlagsanſtalt,</hi> G. m. b. H., in München. = <hi rendition="#g">Expedition:</hi> Bayerſtraße 57. 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Alexis iſt der Prototyp des alten<lb/> verbiſſenen Haitianers und als ſolcher, bei gänzlicher Skrupel-<lb/> loſigkeit, eine nicht unintereſſante Geſtalt. Er iſt von Beruf<lb/> Militär und war vor ſeiner Präſidentſchaft „<hi rendition="#aq">général de division</hi>“,<lb/> d. h. berittener Führer einiger zerlumpter Soldaten, und Gou-<lb/> verneur des Norddiſtrikts mit dem Sitz in Kap Haiti. Er iſt trotz<lb/> ſeiner 97 Jahre ein kräftiger aufrechter Mann, ein wahrer Rieſe<lb/> mit weißem Haar und Bart. Sein Selbſtbewußtſein iſt ſtark aus-<lb/> geprägt: „<hi rendition="#aq">Mo' grand 'moune (Moi grand homme)</hi> betonte er<lb/> als Wahrſpruch den Ausländern gegenüber, die er nur als „<hi rendition="#aq">tits<lb/> mounes</hi>“ — kleine Leute — gelten laſſen wollte. Als lang-<lb/> jähriger Kommandant der „Nordarmee“ hat er ein großes Ver-<lb/> mögen dadurch zuſammengerafft, daß er den größten Teil des<lb/> Soldes ſeiner Leute in die eigene Taſche ſteckte. Dank ſeinem<lb/> perſönlichen Mut und großer Mäßigkeit im Genuß geiſtiger Ge-<lb/> tränke iſt Aleris in den ſchwierigſten Lagen immer Herr der<lb/> Situation geblieben. Nach der letzten Revolution von 1902 ritt<lb/> er an der Spitze ſeiner Getreuen von Kap Haiti nach der Haupt-<lb/> ſtadt und erklärte kurz: „<hi rendition="#aq">Mo' ici, mo' président</hi>“. Grundſätze<lb/> kennt der Mann nicht. Er wirtſchaftet mit den Staatsgeldern<lb/> ebenſo wie früher mit der Löhnung ſeiner Leute. Auch in reli-<lb/> giöſer Beziehung iſt der alte Voudou-Mann und Fetiſchanbeter<lb/> ein unſicherer Kantoriſt. Wäre nicht die Scheu vor der katholi-<lb/> ſchen ſchwarzen Geiſtlichkeit, die es aus Ueberlieferung immer<lb/> mit dem jeweiligen Präſidenten hält, ſo würde der faſt hundert-<lb/> jährige Patriarch wohl weiter und offen dem heidniſchen<lb/> Schlangenkultus huldigen, deſſen Orgien und Menſchenopfer noch<lb/> nie ein Weißer geſchaut hat.<lb/> Einen ſchroffen Gegenſatz zu <hi rendition="#g">Nord Alexis</hi> zeigt der An-<lb/> wärter auf Regierungsehren, der etwa 60jährige Anthenor Fir-<lb/> min. Der kleine zierliche Mann iſt von Beruf Rechtsanwalt und<lb/> genießt wegen ſeiner Ehrlichkeit bei den Fremden großes Ver-<lb/> trauen, das er in verſchiedenen Miniſterſtellungen niemals ge-<lb/> täuſcht hat. Während ſeines Finanzminiſteriums ſtand das hai-<lb/> tianiſche Papiergeld, der „Gourde“, Dollar, ſo hoch im Kurs, daß<lb/> er zeitweiſe eine Prämie von bis zu 8 vom Hundert über den<lb/> amerikaniſchen Silberdollar hatte. Das Budget hat er damals<lb/> um faſt die Hälfte reduziert. Darum ſchon wird er kaum je Prä-<lb/> ſident werden, denn von einem ſo gewiſſenhaften Manne hat ſein<lb/> Anhang wenig zu erwarten. Firmin iſt dazu ſelbſt kein Kämpfer,<lb/> ſondern überläßt dier aktive Führung ſeines Prätendententums<lb/> einer Anzahl alter Haudegen, von denen jetzt ein Teil ihrer Treue<lb/> für ihn mit dem Leben hat bezahlen müſſen. Als ſein Freund<lb/> Nord in den Präſidialpalaſt als Herr einzog, hat ſich Firmin gar<lb/> bald in Sicherheit gebracht und wartet auf dem Boden des be-<lb/> nachbarten Santo Domingo die Umwälzung in Port au Prince<lb/> ab, die ihn zum Herrn von Haiti machen ſoll.</quote> </cit><lb/> <p>Entgegen den telegraphiſchen Berichten, die wahr-<lb/> ſcheinlich von der Aſſociated Preß im amerikaniſchen Sinne<lb/> gefärbt und übertrieben ſind, glauben Landeskenner nicht<lb/> an ein Fremdenmaſſaker oder auch nur eine ernſthafte Be-<lb/> drohung der Geſandtſchaften. Nord Alexis iſt zu klug, um<lb/> es trotz ſeiner eigenen fremdenfeindlichen Gefühle hierzu<lb/> kommen zu laſſen. Gefahr für den Weißen beſteht erſt,<lb/> wenn die Weiber nicht mehr zu halten ſind und als vou-<lb/> douiſtiſch-heidniſcher Chor der Rache zu blutigen Demon-<lb/> ſtrationen ſchreiten. Mit der Ankunft S. M. S. Bremen in<lb/> Hafen von Port au Prince iſt die Beunruhigung wegen<lb/> unſerer deutſchen Landsleute zudem endgültig behoben.<lb/> Es wird ſich aber fragen, ob nicht für die Zukunft gewiſſe<lb/> Vorſichtsmaßregeln für die Verteidigung der deutſchen Ge-<lb/> ſandtenwohnung zu treffen ſein werden. Die Bureaus<lb/> und Wohnräume des Miniſterreſidenten liegen jetzt in dem<lb/> oberen Stockwerk der Bankfirma Guſtav Keitel u. Co. und<lb/> ſind mit ihren offenen Balkons und Veranden für irgend-<lb/> welche kriegeriſche Eventualitäten nicht eingerichtet.</p><lb/> <cb/> <p>Man ſchreibt uns: Nach den vorliegenden Tele-<lb/> grammen iſt es nicht ausgeſchloſſen, daß die <hi rendition="#g">Vereinig-<lb/> ten Staaten</hi> wegen der Vorgänge in Port au Prince<lb/> eine größere Zurückhaltung beobachten wollen, als die<lb/> europäiſchen Mächte. Was <hi rendition="#g">Deutſchland</hi> anbelangt, ſo<lb/> liegt ihm der Gedanke an eine Einmiſchung in die inneren<lb/> Angelegenheiten Haitis ebenſo fern, wie der Union. Aber<lb/> Gewalttaten gegen deutſche Reichsangehörige, die von den<lb/> Machthabern in Port au Prince angedroht wurden, und<lb/> Verletzungen der konſularen Exterritorialität, die ebenfalls<lb/> angedroht wurden, ſind keine inneren Angelegenheiten<lb/> Haitis und würden eintretenden Falles von deutſcher Seite<lb/> in angemeſſener Weiſe <hi rendition="#g">zurückgewieſen</hi> werden.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Zur Entrevue in Venedig.</hi> </head><lb/> <argument> <p>Von unſerem <hi rendition="#g">Römiſchen</hi> Korreſpondenten.</p> </argument><lb/> <dateline><hi rendition="#aq">M. C.</hi><hi rendition="#b">Rom,</hi> 17. März.</dateline><lb/> <p>Sehr raſch iſt den erſten Gerüchten einer Entrevue<lb/> zwiſchen Kaiſer Wilhelm und König Viktor Emanuel die<lb/> amtliche Beſtätigung gefolgt. Wenn die Begleitworte die-<lb/> ſer letzteren auch den privaten Charakter des kaiſerlichen<lb/> Beſuchs ſtark in den Vordergrund rückten, ſo faſſen die<lb/> Italiener natürlich den Beſuch trotzdem als ein politiſches<lb/> Ereignis erſten Ranges auf und ſtützen ſich dabei auf zwei<lb/> Momente: auf die Vorgeſchichte und auf die Eigenart der<lb/> politiſchen Situation.</p><lb/> <p>Kaiſer Wilhelm hat in den Jahren 1903 bis 1905<lb/> Italien große und andauernde Beweiſe ſeines Wohlwollens<lb/> und ſeiner Sympathien gegeben. Der Beſuch in Rom im<lb/> Mai 1903, die ausgedehnte Mittelmeerfahrt 1904 und die<lb/> noch ausgedehntere von 1905 mit der Monarchen-Entrevue<lb/> von Neapel ſind die Etappen dieſer Politik. Dann folgte eine<lb/> Unterbrechung. 1906, als der Frühling ins Land kam,<lb/> war eben die Konferenz von Algeciras beendet und die<lb/> deutſche Politik hatte alle Urſache, mit der Haltung Ita-<lb/> liens unzufrieden zu ſein. Es trat jene Periode wirklicher<lb/> Verſtimmung ein, die durch die ungeſchickte Rede des Mini-<lb/> ſters Guicciardini im italieniſchen Senat und durch das<lb/> kaiſerliche Telegramm an Goluchowski noch verſchärft<lb/> wurde und erſt nachzulaſſen begann, als Ende Mai Tittoni<lb/> nach halbjähriger Abweſenheit wieder die Leitung der<lb/> Conſulta übernahm. Im Frühjahr 1907 war die alte Herz-<lb/> lichkeit ſo weit wieder hergeſtellt, daß der Reichskanzler<lb/> ſeinen Erholungsaufenthalt auf italieniſchem Boden in<lb/> Rapallo nahm und hier mit Tittoni gründliche Ausſprache<lb/> über alle beide Länder intereſſierenden Fragen pflog, die<lb/> der gefliſſentlichen Annäherung des italieniſchen Miniſters<lb/> an Oeſterreich (wie ſie dann in Deſio und auf dem Sem-<lb/> mering erfolgte) ſehr förderlich war. Wenn nun Kaiſer<lb/> Wilhelm 1908 die früheren Gepflogenheiten wieder auf-<lb/> nimmt und auf dem Wege nach Korfu die Gelegenheit<lb/> nützt, mit dem verbündeten italieniſchen Herrſcher zu-<lb/> ſammenzukommen, ſo iſt es begreiflich, daß die Italiener<lb/> das Verhalten des Kaiſers auch als ein Wiederanknüpfen<lb/> an die politiſche Kordialität von 1905 auffaſſen und dem-<lb/> entſprechend begrüßen.</p><lb/> <p>Wenn man in dieſem Zuſammenhang ſchlechtweg „die<lb/> Italiener“ ſagt, ſo ſcheint das im Widerſpruch zu ſtehen<lb/> mit gewiſſen Stimmungen und Anſichten, die noch in den<lb/> allerletzten Tagen anläßlich der Balkanfragen in Italien<lb/> gegenüber Deutſchland laut geworden ſind. In Wirklichkeit<lb/> iſt aber trotzdem ein ſolcher Widerſpruch kaum vorhanden,<lb/> denn die allgemeine Auffaſſung von der Bedeutung der<lb/> Entrevue von Venedig beweiſt eben, daß es ſich um eine<lb/> verhältnismäßig kleine Gruppe von Zeitungen, Balkan-<lb/> Enragés und traditionellen Deutſchenfeinden handelt, die<lb/> auch in der Angelegenheit der Balkanbahnen den wenig<lb/> glücklichen Verſuch gemacht haben, die Loyalität der deut-<lb/> ſchen Politik zu verdächtigen. Es iſt an dieſer Stelle ſchon<lb/> hervorgehoben worden, daß dieſe Verdächtigungen von dem<lb/> Augenblick an begannen, in dem der Freiherr v. Aehren-<lb/> thal ſein Balkanprogramm ankündigte. Man rief in den<lb/> bekannten italieniſchen Kreiſen, daß hier in Wirklichkeit<lb/> nicht eine öſterreichiſch-ungariſche, ſondern eine deutſche<lb/> Aktion vorliege, daß Wien ein <hi rendition="#aq">mot d’ordre</hi> von Berlin er-<lb/> halten und durchgeführt habe, und daß es ſich bei der ganzen<lb/> Balkanbahn Uvac-Mitrowitza darum handle, dem enormen<lb/> deutſchen Expanſionsdrang nach dem Südoſten ein künftiges<lb/> Handelszentrum in Saloniki zu ſchaffen. Da nun Italien<lb/> alle dieſe Pläne als ſeinen eigenen Intereſſen ſchädlich er-<lb/> achten muß, ſo war natürlich nur ein Schritt zu der An-<lb/> klage, man nehme in Berlin, beſonders ſeit Algeciras,<lb/> keine genügende Rückſicht auf den Bundesgenoſſen im Süden<lb/> und vertrete im Orient und namentlich in Konſtantinopel<lb/> ausſchließlich neben dem eigenen Intereſſe das Oeſterreich-<lb/> Ungarns. Ich wiederhole, daß es nur eine Minderheit von<lb/> Zeitungen und Politikern war, die ſich dieſe (inzwiſchen<lb/> völlig widerlegte. D. Red.) Auffaſſung wirklich zu eigen<lb/> machten, aber die anderen reproduzierten ſie wenigſtens<lb/> und beeinflußten die Stimmung. Und dieſe Stimmung<lb/> war noch mehr bedroht von der Nachricht, daß Kaiſer Wil-<lb/> helm in allem Ernſt daran denke, in Albanien zu landen<lb/> und Janina zu beſuchen.</p><lb/> <p>Ein großes römiſches Blatt hat wohl den Nagel auf<lb/> den Kopf getroffen, als es ſchrieb, vor wenigen Wochen<lb/> würde die Ankündigung eines Kaiſerbeſuchs in Albanien<lb/> die europäiſche und vor allem die italieniſche Preſſe<lb/> in die größte Aufregung verſetzt haben; man würde<lb/> Vergleichen mit den kaiſerlichen Landungen und Be-<lb/> ſuchen in Jeruſalem und Tanger kaum aus dem<lb/> Weg gegangen ſein. Heute, wo alle Mächte ſich auf die<lb/> Transverſalbahn als Kompenſation für die Intereſſen<lb/> geeinigt haben, die ſich durch die öſterreichiſch-ungariſchen<lb/> Bahnforderungen geſchädigt fühlen, heute, wo Kaiſer Wil-<lb/> helm ſich anſchickt, in Venedig ſeinem Verbündeten einen<lb/> neuen Beweis ſeiner Sympathien für Italien zu geben,<lb/> ſind friedenſtörende Komentare weit weniger zu fürchten.</p><lb/> <p>Kaiſer Wilhelm wird in Venedig, wo er außer dem<lb/> König auch den Miniſter Tittoni treffen wird, keine<lb/> Schwierigkeiten haben, alle von der Loyalität der deutſchen<lb/> Orientpolitik und von dem Wunſch nach innigem Einver-<lb/> nehmen mit Italien zu überzeugen, denn die offiziellen und<lb/> leitenden Kreiſe haben nie daran gezweifelt. Hingegen iſt<lb/> es kaum zweifelhaft, daß weite Kreiſe der italieniſchen Be-<lb/> völkerung, die in den letzten Jahren in ihren Sympathien<lb/> für Deutſchland offenſichtlich nachgelaſſen hatten, ſich den<lb/> früheren Gefühlen wieder zuwenden werden, heute, wo<lb/> „<hi rendition="#aq">Guglielmo</hi>“, wie ſie vertraulich ſagen, im Lande der<lb/> Orangen wieder in Perſon erſcheint.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der Wiener Nuntius und der Fall<lb/> Wahrmund.</hi> </head><lb/> <p>Das amtliche Communiqué über das Vorgehen des<lb/> apoſtoliſchen Nuntius in Sachen Wahrmunds hat kurze<lb/> Beine gehabt. Mſgr. Belmonte hat einem Vertreter der<lb/> Neuen Freien Preſſe erklärt, daß er von dem, was er dem<lb/> Redakteur des Vaterland geſagt, <hi rendition="#g">nichts, gar nichts<lb/> zu widerrufen</hi> habe; er habe tatſächlich den Miniſter<lb/> des Aeußern Frhrn. v. Aehrenthal beſucht und ihm Vor-<lb/> ſtellungen in der Richtung gemacht, daß <hi rendition="#g">Profeſſor<lb/> Wahrmund von dem Katheder für kanoni-<lb/> ſches Rechtentfernt werde.</hi> Der Nuntius betrach-<lb/> tet ſich als diplomatiſchen Vertreter der Kurie in einem<lb/> Lande, „in welchem die katholiſche Religion <hi rendition="#g">in gewiſ-<lb/> ſem Sinne Staatsreligion</hi> iſt“. Er habe nun<lb/> gefunden, daß Profeſſor Wahrmund die katholiſche Religion<lb/> beſchimpft habe, und dies ſei ſonderbar „bei einem öffent-<lb/> lichen Funktionär in einem katholiſchen Staate“. Uebrigens<lb/> werde niemand ſeinen Schritt bei Baron Aehrenthal ſo<lb/> aufgefaßt haben, als ob dem Unterrichtsminiſter die Zu-<lb/> mutung geſtellt werden ſollte, Profeſſor Wahrmund <hi rendition="#g">über-<lb/> haupt vom Lehramt</hi> zu entfernen. Das wäre viel-<lb/> leicht eine Ueberſchreitung der ihm, dem Nuntius, gezogenen<lb/> Grenzen. Wohl aber ſei er bei Baron Aehrenthal einge-<lb/> ſchritten wegen Enthebung Wahrmunds vom Lehramte<lb/> des <hi rendition="#g">Kirchenrechts.</hi> Er beharre auf ſeiner Meinung<lb/> und ſeinem Standpunkt; an der Regierung ſei es, ſeinem<lb/> Verlangen nachzugeben oder nicht. Er werde alles ruhig<lb/> abwarten und, nachdem er ſeine Pflicht getan, keine weite-<lb/> ren Schritte unternehmen. Es wäre verkehrt, den Fall<lb/> Wahrmund zu ſehr aufzubauſchen.</p><lb/> <p>Aus dieſen Aeußerungen geht hervor, daß der Nun-<lb/> tius zwar das formelle Recht der öſterreichiſchen Regierung<lb/> zu einer völlig ſelbſtändigen Entſcheidung nicht beſtreitet,<lb/> daß er aber aus dem <hi rendition="#g">katholiſchen Charakter</hi> des<lb/> öſterreichiſchen Staates für ſich ſelber ein Recht zum Ein-<lb/> ſchreiten ableitet. Es handelt ſich alſo um eine ſtaatsrecht-<lb/> liche Frage allererſten Ranges, und es iſt begreiflich, daß<lb/> die liberale Preſſe mit Entſchiedenheit einen <hi rendition="#g">parlamen-<lb/> tariſchen</hi> Austrag des Zwiſchenfalles fordert. Was da-<lb/> bei herauskommen wird, iſt allerdings eine andere Frage.<lb/> Mit eigentümlicher Ironie hat ja das liberale allgemeine<lb/> Wahlrecht der öſterreichiſchen Monarchie ein klerikales<lb/> Parlament beſchert, und im Miniſterium ſcheint man ge-<lb/> neigt, dieſer Sachlage Rechnung zu tragen, wenn man auch<lb/> formell die Selbſtändigkeit der Staatsgewalt zu wahren<lb/> ſucht.</p><lb/> <p>Die nicht ganz bequeme Differenz der beiden Dar-<lb/> ſtellungen wird nun durch ein neues Communiqué erledigt,<lb/> deſſen Inhalt ſich folgendermaßen wiedergeben läßt: Frhr.<lb/> v. Aehrenthal hat den offiziell gemeinten Schritt des<lb/> Nuntius als privat aufgefaßt und aus deſſen Aeußerungen<lb/> zum mindeſten keine offizielle Forderung herausgehört.<lb/> Das dem Fremdenblatt zugegangene Communiqué lautet:</p><lb/> <cit> <quote>Das <hi rendition="#g">Privatſchreiben</hi> des Miniſters des Aeußern an<lb/> den Unterrichtsminiſter Dr. Marchet vom 6. März in der An-<lb/> gelegenheit des Profeſſors Wahrmund hatte folgenden Wortlaut:<lb/> „Anläßlich des Beſuches, den mir der hieſige apoſtoliſche<lb/> Nuntius kürzlich abſtattete, brachte Seine Exzellenz die Sprache<lb/> auf den bekannten Profeſſor des kanoniſchen Rechtes in Inns-<lb/> bruck Dr. Wahrmund, indem er bemerkte, daß derſelbe kürzlich<lb/> in Innsbruck und Salzburg Vorträge atheiſtiſchen Charakters<lb/> gehalten habe und auch Broſchüren verteile, die in einem dem<lb/> Glauben der katholiſchen Kirche feindlich geſinnten Geiſte ge-<lb/></quote> </cit> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0001]
Freitag. 20. März 1908. München.Einzige Tagesausgabe. — Nr. 133
Allgemeine Zeitung.
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Verantwortlich: für den politiſchen Teil mit Ausnahme der bayeriſchen Politik Dr. Rudolf Dammert; für den bayeriſchen Teil Dr. Paul Buſching; für das Feuilleton und den „Sonntag“ Alfred Frhr. v. Menſi;
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Redaktion: Bayerſtraße 57 Telephon 8432, 8433. = Druck und Verlag: Bayeriſche Druckerei & Verlagsanſtalt, G. m. b. H., in München. = Expedition: Bayerſtraße 57. Telephon 8430, 8431.
Des Feiertags wegen erſcheint die nächſte
Nummer der Allgemeinen Zeitung Freitag
Nachmittag.
Das Neueſte vom Tage.
In der Frauenkirche zu München hat in Anweſenheit Sr. kgl.
Hoheit des Prinzregenten die kirchliche Feier des
Papſtjubiläums ſtattgefunden.
Auch in der Frage der Jugendlichen ſoll nun in der
Vereinsgeſetzkommiſſion ein Kompromiß erzielt
ſein.
In den Staaten der lateiniſchen Münz-Union wird
eine Vermehrung der ſilbernen Scheide-
münzen von 7 auf 17 Francs pro Kopf durchgeführt.
Die Wirren auf Haiti.
M. p. Ueber die Perſönlichkeiten, deren politiſcher Ehr-
geiz zu den Unruhen und Maſſenhinrichtungen in Port au
Prince geführt hat, erhalten wir von einem Diplomaten,
der die haitianiſchen Verhältniſſe von längerem Aufenthalt
auf der Inſel her kennt, die folgende Schilderung:
Nord Alexis, der Präſident, und Anthenor Firmin, der
Präſidentſchaftskandidat, waren früher Freunde, trotz ihrer grund-
verſchiedenen Charaktere, die nur in dem wütenden Fremdenhaß
etwas Gemeinſames haben. Alexis iſt der Prototyp des alten
verbiſſenen Haitianers und als ſolcher, bei gänzlicher Skrupel-
loſigkeit, eine nicht unintereſſante Geſtalt. Er iſt von Beruf
Militär und war vor ſeiner Präſidentſchaft „général de division“,
d. h. berittener Führer einiger zerlumpter Soldaten, und Gou-
verneur des Norddiſtrikts mit dem Sitz in Kap Haiti. Er iſt trotz
ſeiner 97 Jahre ein kräftiger aufrechter Mann, ein wahrer Rieſe
mit weißem Haar und Bart. Sein Selbſtbewußtſein iſt ſtark aus-
geprägt: „Mo' grand 'moune (Moi grand homme) betonte er
als Wahrſpruch den Ausländern gegenüber, die er nur als „tits
mounes“ — kleine Leute — gelten laſſen wollte. Als lang-
jähriger Kommandant der „Nordarmee“ hat er ein großes Ver-
mögen dadurch zuſammengerafft, daß er den größten Teil des
Soldes ſeiner Leute in die eigene Taſche ſteckte. Dank ſeinem
perſönlichen Mut und großer Mäßigkeit im Genuß geiſtiger Ge-
tränke iſt Aleris in den ſchwierigſten Lagen immer Herr der
Situation geblieben. Nach der letzten Revolution von 1902 ritt
er an der Spitze ſeiner Getreuen von Kap Haiti nach der Haupt-
ſtadt und erklärte kurz: „Mo' ici, mo' président“. Grundſätze
kennt der Mann nicht. Er wirtſchaftet mit den Staatsgeldern
ebenſo wie früher mit der Löhnung ſeiner Leute. Auch in reli-
giöſer Beziehung iſt der alte Voudou-Mann und Fetiſchanbeter
ein unſicherer Kantoriſt. Wäre nicht die Scheu vor der katholi-
ſchen ſchwarzen Geiſtlichkeit, die es aus Ueberlieferung immer
mit dem jeweiligen Präſidenten hält, ſo würde der faſt hundert-
jährige Patriarch wohl weiter und offen dem heidniſchen
Schlangenkultus huldigen, deſſen Orgien und Menſchenopfer noch
nie ein Weißer geſchaut hat.
Einen ſchroffen Gegenſatz zu Nord Alexis zeigt der An-
wärter auf Regierungsehren, der etwa 60jährige Anthenor Fir-
min. Der kleine zierliche Mann iſt von Beruf Rechtsanwalt und
genießt wegen ſeiner Ehrlichkeit bei den Fremden großes Ver-
trauen, das er in verſchiedenen Miniſterſtellungen niemals ge-
täuſcht hat. Während ſeines Finanzminiſteriums ſtand das hai-
tianiſche Papiergeld, der „Gourde“, Dollar, ſo hoch im Kurs, daß
er zeitweiſe eine Prämie von bis zu 8 vom Hundert über den
amerikaniſchen Silberdollar hatte. Das Budget hat er damals
um faſt die Hälfte reduziert. Darum ſchon wird er kaum je Prä-
ſident werden, denn von einem ſo gewiſſenhaften Manne hat ſein
Anhang wenig zu erwarten. Firmin iſt dazu ſelbſt kein Kämpfer,
ſondern überläßt dier aktive Führung ſeines Prätendententums
einer Anzahl alter Haudegen, von denen jetzt ein Teil ihrer Treue
für ihn mit dem Leben hat bezahlen müſſen. Als ſein Freund
Nord in den Präſidialpalaſt als Herr einzog, hat ſich Firmin gar
bald in Sicherheit gebracht und wartet auf dem Boden des be-
nachbarten Santo Domingo die Umwälzung in Port au Prince
ab, die ihn zum Herrn von Haiti machen ſoll.
Entgegen den telegraphiſchen Berichten, die wahr-
ſcheinlich von der Aſſociated Preß im amerikaniſchen Sinne
gefärbt und übertrieben ſind, glauben Landeskenner nicht
an ein Fremdenmaſſaker oder auch nur eine ernſthafte Be-
drohung der Geſandtſchaften. Nord Alexis iſt zu klug, um
es trotz ſeiner eigenen fremdenfeindlichen Gefühle hierzu
kommen zu laſſen. Gefahr für den Weißen beſteht erſt,
wenn die Weiber nicht mehr zu halten ſind und als vou-
douiſtiſch-heidniſcher Chor der Rache zu blutigen Demon-
ſtrationen ſchreiten. Mit der Ankunft S. M. S. Bremen in
Hafen von Port au Prince iſt die Beunruhigung wegen
unſerer deutſchen Landsleute zudem endgültig behoben.
Es wird ſich aber fragen, ob nicht für die Zukunft gewiſſe
Vorſichtsmaßregeln für die Verteidigung der deutſchen Ge-
ſandtenwohnung zu treffen ſein werden. Die Bureaus
und Wohnräume des Miniſterreſidenten liegen jetzt in dem
oberen Stockwerk der Bankfirma Guſtav Keitel u. Co. und
ſind mit ihren offenen Balkons und Veranden für irgend-
welche kriegeriſche Eventualitäten nicht eingerichtet.
Man ſchreibt uns: Nach den vorliegenden Tele-
grammen iſt es nicht ausgeſchloſſen, daß die Vereinig-
ten Staaten wegen der Vorgänge in Port au Prince
eine größere Zurückhaltung beobachten wollen, als die
europäiſchen Mächte. Was Deutſchland anbelangt, ſo
liegt ihm der Gedanke an eine Einmiſchung in die inneren
Angelegenheiten Haitis ebenſo fern, wie der Union. Aber
Gewalttaten gegen deutſche Reichsangehörige, die von den
Machthabern in Port au Prince angedroht wurden, und
Verletzungen der konſularen Exterritorialität, die ebenfalls
angedroht wurden, ſind keine inneren Angelegenheiten
Haitis und würden eintretenden Falles von deutſcher Seite
in angemeſſener Weiſe zurückgewieſen werden.
Zur Entrevue in Venedig.
Von unſerem Römiſchen Korreſpondenten.
M. C. Rom, 17. März.
Sehr raſch iſt den erſten Gerüchten einer Entrevue
zwiſchen Kaiſer Wilhelm und König Viktor Emanuel die
amtliche Beſtätigung gefolgt. Wenn die Begleitworte die-
ſer letzteren auch den privaten Charakter des kaiſerlichen
Beſuchs ſtark in den Vordergrund rückten, ſo faſſen die
Italiener natürlich den Beſuch trotzdem als ein politiſches
Ereignis erſten Ranges auf und ſtützen ſich dabei auf zwei
Momente: auf die Vorgeſchichte und auf die Eigenart der
politiſchen Situation.
Kaiſer Wilhelm hat in den Jahren 1903 bis 1905
Italien große und andauernde Beweiſe ſeines Wohlwollens
und ſeiner Sympathien gegeben. Der Beſuch in Rom im
Mai 1903, die ausgedehnte Mittelmeerfahrt 1904 und die
noch ausgedehntere von 1905 mit der Monarchen-Entrevue
von Neapel ſind die Etappen dieſer Politik. Dann folgte eine
Unterbrechung. 1906, als der Frühling ins Land kam,
war eben die Konferenz von Algeciras beendet und die
deutſche Politik hatte alle Urſache, mit der Haltung Ita-
liens unzufrieden zu ſein. Es trat jene Periode wirklicher
Verſtimmung ein, die durch die ungeſchickte Rede des Mini-
ſters Guicciardini im italieniſchen Senat und durch das
kaiſerliche Telegramm an Goluchowski noch verſchärft
wurde und erſt nachzulaſſen begann, als Ende Mai Tittoni
nach halbjähriger Abweſenheit wieder die Leitung der
Conſulta übernahm. Im Frühjahr 1907 war die alte Herz-
lichkeit ſo weit wieder hergeſtellt, daß der Reichskanzler
ſeinen Erholungsaufenthalt auf italieniſchem Boden in
Rapallo nahm und hier mit Tittoni gründliche Ausſprache
über alle beide Länder intereſſierenden Fragen pflog, die
der gefliſſentlichen Annäherung des italieniſchen Miniſters
an Oeſterreich (wie ſie dann in Deſio und auf dem Sem-
mering erfolgte) ſehr förderlich war. Wenn nun Kaiſer
Wilhelm 1908 die früheren Gepflogenheiten wieder auf-
nimmt und auf dem Wege nach Korfu die Gelegenheit
nützt, mit dem verbündeten italieniſchen Herrſcher zu-
ſammenzukommen, ſo iſt es begreiflich, daß die Italiener
das Verhalten des Kaiſers auch als ein Wiederanknüpfen
an die politiſche Kordialität von 1905 auffaſſen und dem-
entſprechend begrüßen.
Wenn man in dieſem Zuſammenhang ſchlechtweg „die
Italiener“ ſagt, ſo ſcheint das im Widerſpruch zu ſtehen
mit gewiſſen Stimmungen und Anſichten, die noch in den
allerletzten Tagen anläßlich der Balkanfragen in Italien
gegenüber Deutſchland laut geworden ſind. In Wirklichkeit
iſt aber trotzdem ein ſolcher Widerſpruch kaum vorhanden,
denn die allgemeine Auffaſſung von der Bedeutung der
Entrevue von Venedig beweiſt eben, daß es ſich um eine
verhältnismäßig kleine Gruppe von Zeitungen, Balkan-
Enragés und traditionellen Deutſchenfeinden handelt, die
auch in der Angelegenheit der Balkanbahnen den wenig
glücklichen Verſuch gemacht haben, die Loyalität der deut-
ſchen Politik zu verdächtigen. Es iſt an dieſer Stelle ſchon
hervorgehoben worden, daß dieſe Verdächtigungen von dem
Augenblick an begannen, in dem der Freiherr v. Aehren-
thal ſein Balkanprogramm ankündigte. Man rief in den
bekannten italieniſchen Kreiſen, daß hier in Wirklichkeit
nicht eine öſterreichiſch-ungariſche, ſondern eine deutſche
Aktion vorliege, daß Wien ein mot d’ordre von Berlin er-
halten und durchgeführt habe, und daß es ſich bei der ganzen
Balkanbahn Uvac-Mitrowitza darum handle, dem enormen
deutſchen Expanſionsdrang nach dem Südoſten ein künftiges
Handelszentrum in Saloniki zu ſchaffen. Da nun Italien
alle dieſe Pläne als ſeinen eigenen Intereſſen ſchädlich er-
achten muß, ſo war natürlich nur ein Schritt zu der An-
klage, man nehme in Berlin, beſonders ſeit Algeciras,
keine genügende Rückſicht auf den Bundesgenoſſen im Süden
und vertrete im Orient und namentlich in Konſtantinopel
ausſchließlich neben dem eigenen Intereſſe das Oeſterreich-
Ungarns. Ich wiederhole, daß es nur eine Minderheit von
Zeitungen und Politikern war, die ſich dieſe (inzwiſchen
völlig widerlegte. D. Red.) Auffaſſung wirklich zu eigen
machten, aber die anderen reproduzierten ſie wenigſtens
und beeinflußten die Stimmung. Und dieſe Stimmung
war noch mehr bedroht von der Nachricht, daß Kaiſer Wil-
helm in allem Ernſt daran denke, in Albanien zu landen
und Janina zu beſuchen.
Ein großes römiſches Blatt hat wohl den Nagel auf
den Kopf getroffen, als es ſchrieb, vor wenigen Wochen
würde die Ankündigung eines Kaiſerbeſuchs in Albanien
die europäiſche und vor allem die italieniſche Preſſe
in die größte Aufregung verſetzt haben; man würde
Vergleichen mit den kaiſerlichen Landungen und Be-
ſuchen in Jeruſalem und Tanger kaum aus dem
Weg gegangen ſein. Heute, wo alle Mächte ſich auf die
Transverſalbahn als Kompenſation für die Intereſſen
geeinigt haben, die ſich durch die öſterreichiſch-ungariſchen
Bahnforderungen geſchädigt fühlen, heute, wo Kaiſer Wil-
helm ſich anſchickt, in Venedig ſeinem Verbündeten einen
neuen Beweis ſeiner Sympathien für Italien zu geben,
ſind friedenſtörende Komentare weit weniger zu fürchten.
Kaiſer Wilhelm wird in Venedig, wo er außer dem
König auch den Miniſter Tittoni treffen wird, keine
Schwierigkeiten haben, alle von der Loyalität der deutſchen
Orientpolitik und von dem Wunſch nach innigem Einver-
nehmen mit Italien zu überzeugen, denn die offiziellen und
leitenden Kreiſe haben nie daran gezweifelt. Hingegen iſt
es kaum zweifelhaft, daß weite Kreiſe der italieniſchen Be-
völkerung, die in den letzten Jahren in ihren Sympathien
für Deutſchland offenſichtlich nachgelaſſen hatten, ſich den
früheren Gefühlen wieder zuwenden werden, heute, wo
„Guglielmo“, wie ſie vertraulich ſagen, im Lande der
Orangen wieder in Perſon erſcheint.
Der Wiener Nuntius und der Fall
Wahrmund.
Das amtliche Communiqué über das Vorgehen des
apoſtoliſchen Nuntius in Sachen Wahrmunds hat kurze
Beine gehabt. Mſgr. Belmonte hat einem Vertreter der
Neuen Freien Preſſe erklärt, daß er von dem, was er dem
Redakteur des Vaterland geſagt, nichts, gar nichts
zu widerrufen habe; er habe tatſächlich den Miniſter
des Aeußern Frhrn. v. Aehrenthal beſucht und ihm Vor-
ſtellungen in der Richtung gemacht, daß Profeſſor
Wahrmund von dem Katheder für kanoni-
ſches Rechtentfernt werde. Der Nuntius betrach-
tet ſich als diplomatiſchen Vertreter der Kurie in einem
Lande, „in welchem die katholiſche Religion in gewiſ-
ſem Sinne Staatsreligion iſt“. Er habe nun
gefunden, daß Profeſſor Wahrmund die katholiſche Religion
beſchimpft habe, und dies ſei ſonderbar „bei einem öffent-
lichen Funktionär in einem katholiſchen Staate“. Uebrigens
werde niemand ſeinen Schritt bei Baron Aehrenthal ſo
aufgefaßt haben, als ob dem Unterrichtsminiſter die Zu-
mutung geſtellt werden ſollte, Profeſſor Wahrmund über-
haupt vom Lehramt zu entfernen. Das wäre viel-
leicht eine Ueberſchreitung der ihm, dem Nuntius, gezogenen
Grenzen. Wohl aber ſei er bei Baron Aehrenthal einge-
ſchritten wegen Enthebung Wahrmunds vom Lehramte
des Kirchenrechts. Er beharre auf ſeiner Meinung
und ſeinem Standpunkt; an der Regierung ſei es, ſeinem
Verlangen nachzugeben oder nicht. Er werde alles ruhig
abwarten und, nachdem er ſeine Pflicht getan, keine weite-
ren Schritte unternehmen. Es wäre verkehrt, den Fall
Wahrmund zu ſehr aufzubauſchen.
Aus dieſen Aeußerungen geht hervor, daß der Nun-
tius zwar das formelle Recht der öſterreichiſchen Regierung
zu einer völlig ſelbſtändigen Entſcheidung nicht beſtreitet,
daß er aber aus dem katholiſchen Charakter des
öſterreichiſchen Staates für ſich ſelber ein Recht zum Ein-
ſchreiten ableitet. Es handelt ſich alſo um eine ſtaatsrecht-
liche Frage allererſten Ranges, und es iſt begreiflich, daß
die liberale Preſſe mit Entſchiedenheit einen parlamen-
tariſchen Austrag des Zwiſchenfalles fordert. Was da-
bei herauskommen wird, iſt allerdings eine andere Frage.
Mit eigentümlicher Ironie hat ja das liberale allgemeine
Wahlrecht der öſterreichiſchen Monarchie ein klerikales
Parlament beſchert, und im Miniſterium ſcheint man ge-
neigt, dieſer Sachlage Rechnung zu tragen, wenn man auch
formell die Selbſtändigkeit der Staatsgewalt zu wahren
ſucht.
Die nicht ganz bequeme Differenz der beiden Dar-
ſtellungen wird nun durch ein neues Communiqué erledigt,
deſſen Inhalt ſich folgendermaßen wiedergeben läßt: Frhr.
v. Aehrenthal hat den offiziell gemeinten Schritt des
Nuntius als privat aufgefaßt und aus deſſen Aeußerungen
zum mindeſten keine offizielle Forderung herausgehört.
Das dem Fremdenblatt zugegangene Communiqué lautet:
Das Privatſchreiben des Miniſters des Aeußern an
den Unterrichtsminiſter Dr. Marchet vom 6. März in der An-
gelegenheit des Profeſſors Wahrmund hatte folgenden Wortlaut:
„Anläßlich des Beſuches, den mir der hieſige apoſtoliſche
Nuntius kürzlich abſtattete, brachte Seine Exzellenz die Sprache
auf den bekannten Profeſſor des kanoniſchen Rechtes in Inns-
bruck Dr. Wahrmund, indem er bemerkte, daß derſelbe kürzlich
in Innsbruck und Salzburg Vorträge atheiſtiſchen Charakters
gehalten habe und auch Broſchüren verteile, die in einem dem
Glauben der katholiſchen Kirche feindlich geſinnten Geiſte ge-
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(2022-02-11T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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