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Allgemeine Zeitung, Nr. 135, 21. März 1908.

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München, Samstag Allgemeine Zeitung 21. März 1908. Nr. 134.
von seinem jetzigen Lehramte gefordert, was man ihm jetzt
in Abrede stelle. "Man spiele mit seinen Worten," er
deutet an, daß man ihn absichtlich mißverstanden. Diese
unziemliche Polemik durch das Mittel von Interviews be-
stimmte die Regierung zur Veröffentlichung des Briefes, in
dem Aehrenthal seinerzeit über die Wünsche des Nuntius
an den österreichischen Unterrichtsminister berichtete; und
diese Publikation wird in der offiziösen Note durch einen
Beisatz verschärft, durch den der Minister des Aeußern die
Debatte vollständig erledigt: hätte der Nuntius, so wird
ihm bedeutet, ein bestimmtes Verlangen gestellt, so würde
der gemeinsame Minister des Aeußern ohnedies keine Ver-
mittlung übernommen haben, da der Nuntius sich damit
direkt an die österreichische Regierung hatte wenden müssen.
Demnach wird ihm der diplomatische Weg kurzweg abge-
schnitten. Wie der Nuntius diese Zurechtweisung verwin-
den wird, läßt sich nicht voraussehen. Formell also ist sein
Angriff abgewiesen und damit seine Autorität schwer er-
schüttert. Was jedoch in der Sache selbst entschieden werden
wird, liegt noch im Schoße der Zeiten verborgen. Indessen
ist der Aufmarsch der freisinnigen Parteien aller Natio-
nalitäten so imponierend, daß die Regierung, selbst wenn
sie Lust dazu hätte, die Absetzung Professor Wahrmunds
nicht aussprechen kann. Sie würde sich damit in Gegensatz
zur Mehrheit des Parlaments stellen, da selbst die Christ-
lichsozialen es nicht für klug halten, den Kampf auf diesem
Boden anzunehmen und ihren Einfluß für das klerikale
Prinzip in seiner vollen Schärfe einzusetzen. Für die Sache
der Freiheit der Universitäten ist es ein Glück, daß der
Nuntius den ersten Stoß so ungeschickt geführt hat. Denn
zum Vollstrecker der Befehle der Kurie ist der österreichische
Staat doch zu gut.



Die Annahme, daß der Nuntius seine formelle Unge-
schicklichkeit mit dem Verlust seiner Stellung büßen werde
-- es ist übrigens auch davon die Rede, daß diese Stellung
schon seit der Trauung des Fürsten von Bulgarien erschüt-
tert sei und daß der Nuntius vielleicht nach einem guten
Abgang gesucht habe -- wird wesentlich bestärkt, ja sogar
über jeden Zweifel erhoben durch neuere Meldungen:

a. Wien, 19. März. 9.10 N. (Privattelegr.)
Die Affäre des Nuntius Msgr. Granito de Belmonte ist
durch die heutige Veröffentlichung des Schreibens Aehren-
thals an den Unterrichtsminister Marchet erledigt. Es
wird durch dieses festgestellt, daß der Nuntius an das Mini-
sterium des Aeußern kein bestimmtes offizielles Verlangen
gestellt hat und daß, wenn dies geschehen wäre, Aehrenthal
keine Vermittlung hätte übernehmen können. Auch ist fest-
gestellt, daß der Nuntius beim Ministerium des Aeußern
den Versuch nicht im Auftrag und mit der Vollmacht der
Kurie unternahm, sondern daß er auf eigene Faust
gehandelt hat. Es ist deshalb die Abberufung des
Nuntius von Wien in der nächsten Zeit zu er-
warten.

F. Wien, 20. März, 11.50 V. (Privattelegramm.)
Allgemein wird angenommen, der Nuntius werde nicht
mehr lange in Wien bleiben können.
Bei seinem
gestrigen Empfang
zu Ehren des Namenstages des
Papstes fehlten sämtliche Minister.
In Innsbruck

sind dieser Tage bemerkenswerte Beschlüsse gefaßt worden:

1.

"Die Leitung der deutsch-nationalen Partei
in Tirol
gibt der Entschlossenheit der deutschfreiheitlichen Be-
völkerung des Landes Ausdruck, für die staatsgrundgesetzlich ge-
währleistete Freiheit der Wissenschaft, ihrer Lehre und der Mei-
nungsäußerung unbedingt einzutreten. Sie verwahrt sich gegen
die völkerrechtswidrige Einmischung des päpst-
lichen Abgesandten am Wiener Hofe in eine
innerpolitische Angelegenheit des österreicht-
schen Staates
und gegen die darin liegende Absicht, eine
Verletzung des Art. 14 des Staatsgrund gesetzes
herbeizuführen. Sie spricht ihre Entrüstung darüber aus, daß
man diese unerhörte Anmaßung, statt sie von Anfang an energisch
zurückzuweisen, noch zu beschönigen versucht habe. Ebenso ver-
wahrt sie sich gegen die parteiische Beeinflussung einer Angelegen-
heit, deren Entscheidung einzig und allein nur dem zuständigen
Gerichte obliegt. Die Parteileitung erwartet von den deutsch-
[Spaltenumbruch] nationalen Abgeordneten, daß sie alle diese Angriffe auf die
gewährleisteten Rechte der Staatsbürger kräftigst zurückweisen.
Ein Zusammengehen mit den Christlichsozialen unter Preisgabe
freiheitlicher Grundsätze müßte entschieden verurteilt werden."

2. Der Hochschulausschuß der deutsch-freiheit-
lichen Studentenschaft Innsbrucks
an den Abg.
Dr. Erler:

"Der Hochschulausschuß usw. hat mit aufrichtigem
Bedauern gehört, daß Euer Hochwohlgeboren die Absicht haben,
Ihr Mandat zurückzulegen. Mit Bedauern, verlieren wir doch in
Ihnen einen beredten Verteidiger und warmen Freund. In
Erinnerung dessen bitten wir daher Euer Hochwohlgeboren, an-
läßlich Ihres Rücktrittes aus dem politischen Leben den auf-
richtigsten Dank der freiheitlichen Studentenschaft entgegen-
zunehmen, denn während Ihrer ganzen Tätigkeit als Abge-
ordneter der Stadt Innsbruck sind Euer Hochwohlgeboren jeder-
zeit auch für die Interessen unserer freien und deutschen Hoch-
schule eingetreten, und voll Dankbarkeit werden wir uns immer
Ihrer Haltung im November 1904 erinnern, voll Dankbarkeit
auch der Abwehr, welche die Angriffe auf den freiheitlichen
Charakter unserer Schule jederzeit durch Sie, Herr Doktor, er-
fuhren. Mit diesem Danke verbindet sich auch eine Bitte: Wir
bitten Euer Hochwohlgeboren, der Wählerschaft als Ihren
Nachfolger
Herrn Professor Wahrmund vorzu-
schlagen,
beziehungsweise seine Kandidatur aufs wärmste zu
unterstützen. Für die Massendemonstration einer klerikalen
Landbevölkerung im freiheitlichen Innsbruck, für die Worte, die
Frhr. v. Beck über den Fall Wahrmund zu einer klerikalen
Deputation gesprochen, kann die freiheitliche Wählerschaft von
Innsbruck jetzt nur eine Antwort haben, und diese ist: die Wahl
Professor Wahrmunds. Und wie Hochschüler, die wir voll Be-
geisterung an Professor Wahrmund hängen, sind überzeugt, daß
es für diese Kandidatur keine bessere Empfehlung, keine wirk-
samere Unterstützung geben kann als Ihr Wort. Das ist unsere
Bitte."

(Privattele-
gramm.
) Der akademische Senat der Uni-
versität
hält morgen eine Sitzung wegen einer Ein-
gabe an das Unterrichtsministerium
in
Sachen der bekannten Erklärung des päpstlichen Nuntius
in Wien.

Politische Rundschau.
Eduard Zeller +.

Wie aus Stuttgart gemeldet wird, ist daselbst
gestern nachmittag 21/2 Uhr im Alter von 94 Jahren der
ehrwürdige Patriarch der deutschen Philosophie, Wirklicher
Geh. Rat D. Dr. Eduard Zeller gestorben. Als Theologe
einer der Begründer der weltberühmten Tübinger Schule,
deren Anfechtungen und Kämpfe er mitgekämpft und mit-
erlitten hat, als Philosoph nicht eben schöpferisch veranlagt,
aber ein Eklektiker von außerordentlicher Feinheit des
Geistes, als Historiker ein Mann von umfassendem Blick
und klarstem Urteil, so hat Eduard Zeller ein ungewöhnlich
reiches, fruchtbares und ehrenvolles Gelehrtenleben geführt.
Seit dem Herbst 1894 lebte er im Ruhestande in seiner
schwäbischen Heimat.

Geboren am 22. Januar 1814 zu Kleinbottwar im württem-
bergischen Neckarkreis erhielt Eduard Zeller seine wissenschaftliche
Ausbildung im Seminar Maulbronn und im Tübinger "Stift".
1836 promovierte er in Tübingen zum Doktor der Philosophie, so
daß er vor zwei Jahren das fast einzigartige Fest des 70jährigen
Doktorjubiläums feiern konnte, 1839 kam er als Repetent an das
"Stift" zurück, 1840 habilitierte er sich als Privatdozent der Theo-
logie, um von 1842 ab (bis 1857; seit 1847 gemeinsam mit F. Chr.
Baur) die Theologischen Jahrbücher, das berühmte Organ der
Tübinger Schule, herauszugeben. Im Jahre 1847 erhielt er einen
Ruf als außerordentlicher Professor der Theologie nach Bern,
aber die üblen Erfahrungen, die David Friedrich Strauß einige
Jahre vorher in Zürich mit der schweizerischen Orthodoxie ge-
macht hatte, blieben auch ihm nicht erspart und ließen ihn wenig
Freude an seiner Berner Tätigkeit erleben. So folgte er 1849
gern einem Ruf als ordentlicher Professor nach Marburg, wo man
es aber ebenfalls vorzog, ihn der philosophischen Fakultät einzu-
reihen. Von 1862 bis 1872 wirkte er sodann als Professor der
Philosophie in Heidelberg, von 1872 bis 1894 sodann, also
volle 22 Jahre, an der Berliner Universität. In dieser
langen Wirksamkeit haben sich so ziemlich alle Ehren auf ihn
gehäuft, die es für die Gelehrtenwelt gibt. In Heidelberg, wo er
von 1868 bis 1869 das Prorektorat der Universität bekleidete, die
ihn auch als ihren Vertreter in die Erste Kammer entsandte, war
er zum Hofrat und einige Jahre später zum Geheimen Hofrat er-
nannt worden. Im Jahre 1876 erhielt er den Titel eines preußi-
[Spaltenumbruch] schen Geheimen Regierungsrates, bei seinem Rücktritt im Jahre
1894 den eines Wirklichen Geheimen Rats mit dem Prädikat
Exzellenz. Dazu kamen die akademischen Würden. 1868 wurde
Zeller von der Heidelberger theologischen Fakultät aus Anlaß
des Schleiermacher-Jubiläums zum Doktor der Theologie er-
nannt, zum Tübinger Universitätsjubiläum 1877 machte ihn die
dortige Juristen fakultät zum Ehrendoktor, im Jahre 1886
fügte Marburg den Ehrendoktor der Me dizin hinzu, so daß er
nun die Doktorwürden der vier Fakultäten und der vier deutschen
Universitäten, denen er angehört hatte, in seiner Person vereinigte.
Seit 1884 war er außerdem Ehrendoktor der Universität Edin-
burgh, seit 1903 Ehrenmitglied der Universität Moskan.
Selbstverständlich hat Zeller auch den verschiedensten Akademien
angehört. Zum korrespondierenden Mitglied ernannte ihn im
Jahre 1865 die Berliner Akademie, 1869 die philosophische Sektion
der Pariser Akademie der moralischen und politischen Wissenschaf-
ten. Von 1872 bis 1894 war er dann ordentliches Mitglied, seit-
dem Ehrenmitglied und auswärtiges Mitglied der Berliner Aka-
demie. Seit 1873 war er ferner auswärtiges Mitglied der Mün-
chener Akademie,
seit 1876 der Akademie Dei Lincei in Rom,
seit 1890 Ehrenmitglied der Wiener Akademie. Um schließlich
noch die Orden aufzuzählen, so besaß er das Großkreuz des würt-
tembergischen Friedrich-Ordens, den badischen Zähringer Löwen-
Orden 1. Klasse, den preußischen Kronen-Orden 1. Klasse, den
preußischen Orden pour le merite für Kunst und Wissenschaft,
den griechischen Erlöserorden und den bayerischen Maxi-
miliansorden für Wissenschaft und Kunst.

Einer der besten Söhne des Schwabenlandes und eine
der ersten Zierden der deutschen Gelehrtenwelt ist mit
Eduard Zeller dahingegangen.

Eine kolonialpolitische Rede größeren Stils

hielt in der gestrigen Sitzung des Reichstages "zwischen den
Zwischenfällen" der nationalliberale Abg. Dr. Paasche,
indem er im Hinblick auf den vom Staatssekretär erwähnten
Unterschied zwischen Eingeborenen- und Pflanzerkultur
energisch betonte, daß die Weißen das führende Element
in den Kolonien bleiben müßten, da die Neger sofort wieder
in Unkultur zurückfallen, wenn man sie sich selbstüberlasse.
Im übrigen trieben wir Kolonialpolitik, nicht um den Neger
zu erziehen, sondern teils um einen Abfluß zu finden für
überschüssige Bevölkerung, teils um in tropischen Kolonien
Produkte zu erzeugen, die wir im eigenen Lande nicht haben
können. Deshalb können wir bei unserer Kolonisations-
tätigkeit die Unterstützung der Plantagenbesitzer und
kleinen Ansiedler nicht entbehren. Traurig sei es, wenn
man hier im Deutschen Reich die Leute, die draußen in
Südwestafrika für ein neues Deutschland ihre Haut zu
Markte tragen, als Betrüger und Schufte hinstelle. Wenn
jetzt für unsere Kolonien besonders für Ostafrika noch nicht
die Bedingungen für weiße Ansiedlerkolonien im großen
und ganzen gegeben sei, so müßten sie geschaffen werden.
Es sei bedauerlich, daß man aus den Worten des Staats-
sekretärs immer herauslese, wir brauchten keine Ansiedler-
kolonien.

Das Schwanebachsche Memorandum.

Unser St. Petersburger Korrespondent
schreibt uns:

Im Juni des verflossenen Jahres veröffentlichte die
Pariser Revue einen viel Aufsehen erregenden Artikel über
die Tätigkeit des russischen Expremiers Grafen Witte. Der
Inhalt dieses Artikels deckte sich mit dem Wortlaut eines
"Memorandums", das dem Kaiser Wilhelm aus St. Peters-
burg zugestellt worden war, um ihn über die verderbliche
politische Rolle, die Witte nach der Anschauung des Ver-
fassers gespielt habe, aufzuklären. Den Verfasser dieses
Memorandums kannte man bis jetzt nicht, obwohl ange-
nommen wurde, daß die Arbeit aus der Feder des früheren
Reichskontrolleurs Schwanebach herrühre.

Erst vor wenigen Tagen brachte ein St. Petersburger
Oppositionsblatt die bestimmte Behauptung, das Memo-
randum sei von Schwanebach und dem Vorgänger Stoly-
pins, Minister Goremykin, verfaßt und durch Vermittlung
des österreichisch-ungarischen Botschafters zu St. Peters-
burg, Frhrn. v. Aehrenthal, dem Deutschen Kaiser über-
reicht worden.

Nun ist nicht zu bezweifeln, daß dieses Memorandum
dem deutschen Herrscher zugegangen ist und ihn bestimmen
sollte, den, wie erinnerlich, von ihm besonders ausgezeich-
neten russischen Staatsmann so einzuschätzen, wie es den
Feinden Wittes erwünscht schien. Es ist jedoch aus-

Pariser Maler
in der Münchener Sezession.

Die Maler Vuillard, Roussel, Bonnard und Valloton
stellen in der Münchener Sezession zusammen 48 Gemälde
aus. Eine Serie, die den Kreis der deutschen Werke ange-
nehm unterbricht und in mancher Hinsicht auch Interessantes
bietet. Im einzelnen betrachtet, ist es aber nur eine gute
Durchschnittsausstellung, nichts weiter. Die großen Ueber-
raschungen fehlen so gut wie ganz.1 Es sind die weniger
hochstehenden di minorum gentium, denen hier Altäre er-
richtet sind. Das ist überhaupt das Merkwürdige, daß sich
heutigentags derartige franzö&sr:ische Kollektionen in den
Rahmen einer auf einem relativ hohen Niveau stehenden
Sezessionsausstellung, wie es die heurige ist, einfügen, ohne
viel Spektakel zu machen. Man geht heute nicht in die
französischen Säle, um dort Sensationen zu suchen. Man
genießt diese Art Bilder, wie nach dem Diner die Zigarre.

Zuletzt war es der Kunstverein, der von den genannten
vier Malern Bilder vorführte. Das war in jener großen
denkwürdigen Franzosen-Ausstellung im September 1906,
wo die Leidenschaften so unbändig wild aufeinanderplatzten
und der welsche Geist die Gemüter so wenig gewappnet fand.
Die gegenwärtige Serie ergänzt nun die früheren Eindrücke
nach vielen Seiten hin. Man lernt vor allem Vuillard
auch als dekorativen Maler kennen, dem seine Freunde be-
reits große Staatsaufträge zuführen wollen. Er zeigt
große Stücke, eigentümlich weich in den Formen, aber doch
von einer nicht alltäglichen Feierlichkeit im Aufbau. Die
dekorativen Landschaften sind allerdings in den Valeurs
oft recht gleichartig und monoton behandelt. Jedenfalls
besitzt er als Pathetiker Schwung und auch einen gewissen
Ernst und Würde, die ihn zur Lösung von derartigen Auf-
gaben geeignet erscheinen lassen. Daneben sind von ihm
vielfarbige Interieurs, zarte Landschaften und ein kleines
Selbstbildnis ausgestellt. Die Gemälde haben fast gar
keine technische Uebereinstimmung untereinander. Jedes ist
wie von einer anderen Hand gemacht. Der ganz einfach, in
[Spaltenumbruch] blassen Farben gemalten Landschaft "Der Hafen von Hon-
fleur" steht ein buntes Bild "Frühstückstisch" gegenüber, wo
alles durcheinander purzelt. Diese Unsicherheit in der Be-
wältigung räumlicher Probleme fällt bei fast allen Inte-
rieurstücken Vuillards auf. Er stellt, wie es scheint, an das
Kolorit so hohe Anforderungen, daß er oft keine Zeit findet,
perspektivisch richtig zu zeichnen. Nur das kleine Bild
"Salon" macht eine Ausnahme.

Eine einfachere Natur scheint Roussel zu sein, der
als ausgesprochener Idylliker auftritt. Sein Lieblings-
motiv ist eine Landschaft mit nackten Figuren, die einmal
"Pastorale", ein andermal "Der Tanz der Hirten" oder
"Hirten-Idyll" betitelt ist. Alles das ist mit sehr hellen
und sehr lockeren Farben gemalt.

Bonnard, der dritte in diesem Bunde, gibt sich
diesmal als der vielseitigste. Er malt die Frau bei der
Toilette, dann nackte Frauen und nackte Männer, Ballett-
tänzerinnen, Landschaften u. a. Das Charakteristikum der
Vonnardschen Malerei ist die Intimität. Auch er ist inter-
essant in der Farbe, in der Komposition tastend und regel-
los und als Künstler oft mehr tändelnd als tief. Wie Vuil-
lard, macht auch ihm die Verkürzung im Raume noch viel
zu schaffen. Mit das Beste gibt Bonnard in den von künst-
lichem Licht beleuchteten nackten Frauenkörpern.

Und endlich Valloton. Wenn einer bei dem Quar-
tett Vuillard-Roussel-Bonnard-Valloton nach den Instru-
menten frägt, die jeder einzelne spielt, so muß man ant-
worten: bläst Roussel die Flöte, so bläst Valloton das
Piston. Oder bläst Valloton das Bombardon? Jedenfalls
tönt seine Kunst wie lärmende Blechmusik. Diese weiblichen
und männlichen Porträte, diese Frauen in oder nach dem
Bade und diese blechernen Allegorien auf den Frühling und
den Winter, sind sie nicht wie mit der Schere geschnitten?
Sicher, man kann sagen, Valloton ist ein guter Zeichner (es
steckt vielleicht noch ein größeres Stück Bildhauer in ihm),
aber man darf dann nie vergessen, das ominöse Wörtlein
"akademisch" beizufügen. Er ist so exakt, so "rund" in
seiner Realistik, daß er sich in Glattheiten nicht genug tun
kann. Ich habe vor seinen Akten und Porträten immer
das Gefühl, als ob er die Formen so von der Luft abschlösse,
daß sie nicht mehr atmen können. Was er treibt, ist mehr
Kunstgewerbe als Kunst. Das "Rosa-Interieur" allein ist
ein Lichtpunkt.

[Spaltenumbruch]

Noch etwas, was das Arrangement betrifft. Wird
man es noch erleben, daß die Bilderserien einzelner Künst-
ler an einer Wand aufgehängt werden? Dieses Durch-
einanderhängen der Bilder hat vielleicht dekorative Reize,
fördert aber die Versenkung in einen Künstler in keiner
Weise.

Münchener Konzerte.
W. Alte Musik.

Auch unsere Musikpflege trägt wie unsere
Literaturpflege im Wappen den Januskopf. Weit mehr als in
früheren Zeiten schauen wir rückwärts, suchen das Gute in den
Jahrhunderten, die vor uns gewesen, und, was noch besser ist,
wir wollen nicht mehr die Vergangenheit nach unserem Bilde
formen, wir ziehen ihr nicht mehr rücksichtslos die Modegewan-
dung unserer Tage über den Kopf, sondern lassen sie auf uns
wirken in ihrer so viel feineren und zarteren Art, die unseren
vergröberten Sinnen freilich manchmal baß verwunderlich er-
scheint und dann und wann nur mit Sachkenntnis und Liebe
gerecht erfaßt und gewürdigt werden kann. Leider ist München,
wie es scheint, kein rechter Boden für Bestrebungen, alte Musik
stilgerecht zur Aufführung zu bringen; das mußte die "Deutsche
Vereinigung für alte Musik" im vorigen Winter unlieb an sich
erfahren. Freundlicheres Schicksal hat immer der Münchener
Chorschulverein
unter Domkapellmeister Eugen Wöhrle
gehabt; seine Aufgabe ist aber auch bis zu einem gewissen Grad
leichter; Vokalwerke sprechen zu uns heute noch unmittelbarer als
Instrumentalwerke alter Meister, und die schwierige Beschaffung
und Verwendung nicht mehr gebräuchlicher Instrumente fällt fort.
Bachs Choralmotette "Komm, Jesu, komm" hat zu allen Zeiten
ihre Wirkung getan; diesmal hätte ich ihr noch etwas mehr
Schärfe und Größe der Profilierung durch die Ausführenden ge-
wünscht. Unübertrefflich war aber die Wiedergabe des dritten
Psalms "O dio perche" von Benedetto Marcello, dem reifsten
und besten Meister des solistischen Psalms. Die Rolle des Chors
dabei ist schon nebensächlich geworden; in der Vereinfachung und
Vergröberung der Struktur, der Stimmführung merkt man den
bei den Späteren noch weit unheilvolleren Einfluß des Theaters.
Die Führung der beiden Solostimmen jedoch verrät höchste Kunst;
man wird sie auch selten so vollendet und mit solcher Fülle von
Wohllaut singen hören wie von Frln. Else Widen und Frau
Erler-Schnaudt. Der Chor holte sich neue Lorbeeren mit
drei Madrigalen von Orlando di Lasso, und dann mit drei ge-
mischten Chören von Joseph Schmid, von denen "Requiem" nach
dem Hebbelschen Text wohl der bedeutendste ist. Alle drei er-
freuen sie durch ihren klangreichen Satz, ihren natürlichen Fluß
und durch eigenartige und hübsche harmonische Wendungen.

1 Es ist schade, daß die Sezession den Willen nicht nährte,
sich die belgische und die russische Serie zu sichern, die auf
der letzten venezianischen Kunstausstellung so viel von sich reden
machte.
München, Samstag Allgemeine Zeitung 21. März 1908. Nr. 134.
von ſeinem jetzigen Lehramte gefordert, was man ihm jetzt
in Abrede ſtelle. „Man ſpiele mit ſeinen Worten,“ er
deutet an, daß man ihn abſichtlich mißverſtanden. Dieſe
unziemliche Polemik durch das Mittel von Interviews be-
ſtimmte die Regierung zur Veröffentlichung des Briefes, in
dem Aehrenthal ſeinerzeit über die Wünſche des Nuntius
an den öſterreichiſchen Unterrichtsminiſter berichtete; und
dieſe Publikation wird in der offiziöſen Note durch einen
Beiſatz verſchärft, durch den der Miniſter des Aeußern die
Debatte vollſtändig erledigt: hätte der Nuntius, ſo wird
ihm bedeutet, ein beſtimmtes Verlangen geſtellt, ſo würde
der gemeinſame Miniſter des Aeußern ohnedies keine Ver-
mittlung übernommen haben, da der Nuntius ſich damit
direkt an die öſterreichiſche Regierung hatte wenden müſſen.
Demnach wird ihm der diplomatiſche Weg kurzweg abge-
ſchnitten. Wie der Nuntius dieſe Zurechtweiſung verwin-
den wird, läßt ſich nicht vorausſehen. Formell alſo iſt ſein
Angriff abgewieſen und damit ſeine Autorität ſchwer er-
ſchüttert. Was jedoch in der Sache ſelbſt entſchieden werden
wird, liegt noch im Schoße der Zeiten verborgen. Indeſſen
iſt der Aufmarſch der freiſinnigen Parteien aller Natio-
nalitäten ſo imponierend, daß die Regierung, ſelbſt wenn
ſie Luſt dazu hätte, die Abſetzung Profeſſor Wahrmunds
nicht ausſprechen kann. Sie würde ſich damit in Gegenſatz
zur Mehrheit des Parlaments ſtellen, da ſelbſt die Chriſt-
lichſozialen es nicht für klug halten, den Kampf auf dieſem
Boden anzunehmen und ihren Einfluß für das klerikale
Prinzip in ſeiner vollen Schärfe einzuſetzen. Für die Sache
der Freiheit der Univerſitäten iſt es ein Glück, daß der
Nuntius den erſten Stoß ſo ungeſchickt geführt hat. Denn
zum Vollſtrecker der Befehle der Kurie iſt der öſterreichiſche
Staat doch zu gut.



Die Annahme, daß der Nuntius ſeine formelle Unge-
ſchicklichkeit mit dem Verluſt ſeiner Stellung büßen werde
— es iſt übrigens auch davon die Rede, daß dieſe Stellung
ſchon ſeit der Trauung des Fürſten von Bulgarien erſchüt-
tert ſei und daß der Nuntius vielleicht nach einem guten
Abgang geſucht habe — wird weſentlich beſtärkt, ja ſogar
über jeden Zweifel erhoben durch neuere Meldungen:

a. Wien, 19. März. 9.10 N. (Privattelegr.)
Die Affäre des Nuntius Mſgr. Granito de Belmonte iſt
durch die heutige Veröffentlichung des Schreibens Aehren-
thals an den Unterrichtsminiſter Marchet erledigt. Es
wird durch dieſes feſtgeſtellt, daß der Nuntius an das Mini-
ſterium des Aeußern kein beſtimmtes offizielles Verlangen
geſtellt hat und daß, wenn dies geſchehen wäre, Aehrenthal
keine Vermittlung hätte übernehmen können. Auch iſt feſt-
geſtellt, daß der Nuntius beim Miniſterium des Aeußern
den Verſuch nicht im Auftrag und mit der Vollmacht der
Kurie unternahm, ſondern daß er auf eigene Fauſt
gehandelt hat. Es iſt deshalb die Abberufung des
Nuntius von Wien in der nächſten Zeit zu er-
warten.

F. Wien, 20. März, 11.50 V. (Privattelegramm.)
Allgemein wird angenommen, der Nuntius werde nicht
mehr lange in Wien bleiben können.
Bei ſeinem
geſtrigen Empfang
zu Ehren des Namenstages des
Papſtes fehlten ſämtliche Miniſter.
In Innsbruck

ſind dieſer Tage bemerkenswerte Beſchlüſſe gefaßt worden:

1.

„Die Leitung der deutſch-nationalen Partei
in Tirol
gibt der Entſchloſſenheit der deutſchfreiheitlichen Be-
völkerung des Landes Ausdruck, für die ſtaatsgrundgeſetzlich ge-
währleiſtete Freiheit der Wiſſenſchaft, ihrer Lehre und der Mei-
nungsäußerung unbedingt einzutreten. Sie verwahrt ſich gegen
die völkerrechtswidrige Einmiſchung des päpſt-
lichen Abgeſandten am Wiener Hofe in eine
innerpolitiſche Angelegenheit des öſterreicht-
ſchen Staates
und gegen die darin liegende Abſicht, eine
Verletzung des Art. 14 des Staatsgrund geſetzes
herbeizuführen. Sie ſpricht ihre Entrüſtung darüber aus, daß
man dieſe unerhörte Anmaßung, ſtatt ſie von Anfang an energiſch
zurückzuweiſen, noch zu beſchönigen verſucht habe. Ebenſo ver-
wahrt ſie ſich gegen die parteiiſche Beeinfluſſung einer Angelegen-
heit, deren Entſcheidung einzig und allein nur dem zuſtändigen
Gerichte obliegt. Die Parteileitung erwartet von den deutſch-
[Spaltenumbruch] nationalen Abgeordneten, daß ſie alle dieſe Angriffe auf die
gewährleiſteten Rechte der Staatsbürger kräftigſt zurückweiſen.
Ein Zuſammengehen mit den Chriſtlichſozialen unter Preisgabe
freiheitlicher Grundſätze müßte entſchieden verurteilt werden.“

2. Der Hochſchulausſchuß der deutſch-freiheit-
lichen Studentenſchaft Innsbrucks
an den Abg.
Dr. Erler:

„Der Hochſchulausſchuß uſw. hat mit aufrichtigem
Bedauern gehört, daß Euer Hochwohlgeboren die Abſicht haben,
Ihr Mandat zurückzulegen. Mit Bedauern, verlieren wir doch in
Ihnen einen beredten Verteidiger und warmen Freund. In
Erinnerung deſſen bitten wir daher Euer Hochwohlgeboren, an-
läßlich Ihres Rücktrittes aus dem politiſchen Leben den auf-
richtigſten Dank der freiheitlichen Studentenſchaft entgegen-
zunehmen, denn während Ihrer ganzen Tätigkeit als Abge-
ordneter der Stadt Innsbruck ſind Euer Hochwohlgeboren jeder-
zeit auch für die Intereſſen unſerer freien und deutſchen Hoch-
ſchule eingetreten, und voll Dankbarkeit werden wir uns immer
Ihrer Haltung im November 1904 erinnern, voll Dankbarkeit
auch der Abwehr, welche die Angriffe auf den freiheitlichen
Charakter unſerer Schule jederzeit durch Sie, Herr Doktor, er-
fuhren. Mit dieſem Danke verbindet ſich auch eine Bitte: Wir
bitten Euer Hochwohlgeboren, der Wählerſchaft als Ihren
Nachfolger
Herrn Profeſſor Wahrmund vorzu-
ſchlagen,
beziehungsweiſe ſeine Kandidatur aufs wärmſte zu
unterſtützen. Für die Maſſendemonſtration einer klerikalen
Landbevölkerung im freiheitlichen Innsbruck, für die Worte, die
Frhr. v. Beck über den Fall Wahrmund zu einer klerikalen
Deputation geſprochen, kann die freiheitliche Wählerſchaft von
Innsbruck jetzt nur eine Antwort haben, und dieſe iſt: die Wahl
Profeſſor Wahrmunds. Und wie Hochſchüler, die wir voll Be-
geiſterung an Profeſſor Wahrmund hängen, ſind überzeugt, daß
es für dieſe Kandidatur keine beſſere Empfehlung, keine wirk-
ſamere Unterſtützung geben kann als Ihr Wort. Das iſt unſere
Bitte.“

(Privattele-
gramm.
) Der akademiſche Senat der Uni-
verſität
hält morgen eine Sitzung wegen einer Ein-
gabe an das Unterrichtsminiſterium
in
Sachen der bekannten Erklärung des päpſtlichen Nuntius
in Wien.

Politiſche Rundſchau.
Eduard Zeller †.

Wie aus Stuttgart gemeldet wird, iſt daſelbſt
geſtern nachmittag 2½ Uhr im Alter von 94 Jahren der
ehrwürdige Patriarch der deutſchen Philoſophie, Wirklicher
Geh. Rat D. Dr. Eduard Zeller geſtorben. Als Theologe
einer der Begründer der weltberühmten Tübinger Schule,
deren Anfechtungen und Kämpfe er mitgekämpft und mit-
erlitten hat, als Philoſoph nicht eben ſchöpferiſch veranlagt,
aber ein Eklektiker von außerordentlicher Feinheit des
Geiſtes, als Hiſtoriker ein Mann von umfaſſendem Blick
und klarſtem Urteil, ſo hat Eduard Zeller ein ungewöhnlich
reiches, fruchtbares und ehrenvolles Gelehrtenleben geführt.
Seit dem Herbſt 1894 lebte er im Ruheſtande in ſeiner
ſchwäbiſchen Heimat.

Geboren am 22. Januar 1814 zu Kleinbottwar im württem-
bergiſchen Neckarkreis erhielt Eduard Zeller ſeine wiſſenſchaftliche
Ausbildung im Seminar Maulbronn und im Tübinger „Stift“.
1836 promovierte er in Tübingen zum Doktor der Philoſophie, ſo
daß er vor zwei Jahren das faſt einzigartige Feſt des 70jährigen
Doktorjubiläums feiern konnte, 1839 kam er als Repetent an das
„Stift“ zurück, 1840 habilitierte er ſich als Privatdozent der Theo-
logie, um von 1842 ab (bis 1857; ſeit 1847 gemeinſam mit F. Chr.
Baur) die Theologiſchen Jahrbücher, das berühmte Organ der
Tübinger Schule, herauszugeben. Im Jahre 1847 erhielt er einen
Ruf als außerordentlicher Profeſſor der Theologie nach Bern,
aber die üblen Erfahrungen, die David Friedrich Strauß einige
Jahre vorher in Zürich mit der ſchweizeriſchen Orthodoxie ge-
macht hatte, blieben auch ihm nicht erſpart und ließen ihn wenig
Freude an ſeiner Berner Tätigkeit erleben. So folgte er 1849
gern einem Ruf als ordentlicher Profeſſor nach Marburg, wo man
es aber ebenfalls vorzog, ihn der philoſophiſchen Fakultät einzu-
reihen. Von 1862 bis 1872 wirkte er ſodann als Profeſſor der
Philoſophie in Heidelberg, von 1872 bis 1894 ſodann, alſo
volle 22 Jahre, an der Berliner Univerſität. In dieſer
langen Wirkſamkeit haben ſich ſo ziemlich alle Ehren auf ihn
gehäuft, die es für die Gelehrtenwelt gibt. In Heidelberg, wo er
von 1868 bis 1869 das Prorektorat der Univerſität bekleidete, die
ihn auch als ihren Vertreter in die Erſte Kammer entſandte, war
er zum Hofrat und einige Jahre ſpäter zum Geheimen Hofrat er-
nannt worden. Im Jahre 1876 erhielt er den Titel eines preußi-
[Spaltenumbruch] ſchen Geheimen Regierungsrates, bei ſeinem Rücktritt im Jahre
1894 den eines Wirklichen Geheimen Rats mit dem Prädikat
Exzellenz. Dazu kamen die akademiſchen Würden. 1868 wurde
Zeller von der Heidelberger theologiſchen Fakultät aus Anlaß
des Schleiermacher-Jubiläums zum Doktor der Theologie er-
nannt, zum Tübinger Univerſitätsjubiläum 1877 machte ihn die
dortige Juriſten fakultät zum Ehrendoktor, im Jahre 1886
fügte Marburg den Ehrendoktor der Me dizin hinzu, ſo daß er
nun die Doktorwürden der vier Fakultäten und der vier deutſchen
Univerſitäten, denen er angehört hatte, in ſeiner Perſon vereinigte.
Seit 1884 war er außerdem Ehrendoktor der Univerſität Edin-
burgh, ſeit 1903 Ehrenmitglied der Univerſität Moskan.
Selbſtverſtändlich hat Zeller auch den verſchiedenſten Akademien
angehört. Zum korreſpondierenden Mitglied ernannte ihn im
Jahre 1865 die Berliner Akademie, 1869 die philoſophiſche Sektion
der Pariſer Akademie der moraliſchen und politiſchen Wiſſenſchaf-
ten. Von 1872 bis 1894 war er dann ordentliches Mitglied, ſeit-
dem Ehrenmitglied und auswärtiges Mitglied der Berliner Aka-
demie. Seit 1873 war er ferner auswärtiges Mitglied der Mün-
chener Akademie,
ſeit 1876 der Akademie Dei Lincei in Rom,
ſeit 1890 Ehrenmitglied der Wiener Akademie. Um ſchließlich
noch die Orden aufzuzählen, ſo beſaß er das Großkreuz des würt-
tembergiſchen Friedrich-Ordens, den badiſchen Zähringer Löwen-
Orden 1. Klaſſe, den preußiſchen Kronen-Orden 1. Klaſſe, den
preußiſchen Orden pour le mérite für Kunſt und Wiſſenſchaft,
den griechiſchen Erlöſerorden und den bayeriſchen Maxi-
miliansorden für Wiſſenſchaft und Kunſt.

Einer der beſten Söhne des Schwabenlandes und eine
der erſten Zierden der deutſchen Gelehrtenwelt iſt mit
Eduard Zeller dahingegangen.

Eine kolonialpolitiſche Rede größeren Stils

hielt in der geſtrigen Sitzung des Reichstages „zwiſchen den
Zwiſchenfällen“ der nationalliberale Abg. Dr. Paaſche,
indem er im Hinblick auf den vom Staatsſekretär erwähnten
Unterſchied zwiſchen Eingeborenen- und Pflanzerkultur
energiſch betonte, daß die Weißen das führende Element
in den Kolonien bleiben müßten, da die Neger ſofort wieder
in Unkultur zurückfallen, wenn man ſie ſich ſelbſtüberlaſſe.
Im übrigen trieben wir Kolonialpolitik, nicht um den Neger
zu erziehen, ſondern teils um einen Abfluß zu finden für
überſchüſſige Bevölkerung, teils um in tropiſchen Kolonien
Produkte zu erzeugen, die wir im eigenen Lande nicht haben
können. Deshalb können wir bei unſerer Koloniſations-
tätigkeit die Unterſtützung der Plantagenbeſitzer und
kleinen Anſiedler nicht entbehren. Traurig ſei es, wenn
man hier im Deutſchen Reich die Leute, die draußen in
Südweſtafrika für ein neues Deutſchland ihre Haut zu
Markte tragen, als Betrüger und Schufte hinſtelle. Wenn
jetzt für unſere Kolonien beſonders für Oſtafrika noch nicht
die Bedingungen für weiße Anſiedlerkolonien im großen
und ganzen gegeben ſei, ſo müßten ſie geſchaffen werden.
Es ſei bedauerlich, daß man aus den Worten des Staats-
ſekretärs immer herausleſe, wir brauchten keine Anſiedler-
kolonien.

Das Schwanebachſche Memorandum.

Unſer St. Petersburger Korreſpondent
ſchreibt uns:

Im Juni des verfloſſenen Jahres veröffentlichte die
Pariſer Revue einen viel Aufſehen erregenden Artikel über
die Tätigkeit des ruſſiſchen Expremiers Grafen Witte. Der
Inhalt dieſes Artikels deckte ſich mit dem Wortlaut eines
„Memorandums“, das dem Kaiſer Wilhelm aus St. Peters-
burg zugeſtellt worden war, um ihn über die verderbliche
politiſche Rolle, die Witte nach der Anſchauung des Ver-
faſſers geſpielt habe, aufzuklären. Den Verfaſſer dieſes
Memorandums kannte man bis jetzt nicht, obwohl ange-
nommen wurde, daß die Arbeit aus der Feder des früheren
Reichskontrolleurs Schwanebach herrühre.

Erſt vor wenigen Tagen brachte ein St. Petersburger
Oppoſitionsblatt die beſtimmte Behauptung, das Memo-
randum ſei von Schwanebach und dem Vorgänger Stoly-
pins, Miniſter Goremykin, verfaßt und durch Vermittlung
des öſterreichiſch-ungariſchen Botſchafters zu St. Peters-
burg, Frhrn. v. Aehrenthal, dem Deutſchen Kaiſer über-
reicht worden.

Nun iſt nicht zu bezweifeln, daß dieſes Memorandum
dem deutſchen Herrſcher zugegangen iſt und ihn beſtimmen
ſollte, den, wie erinnerlich, von ihm beſonders ausgezeich-
neten ruſſiſchen Staatsmann ſo einzuſchätzen, wie es den
Feinden Wittes erwünſcht ſchien. Es iſt jedoch aus-

Pariſer Maler
in der Münchener Sezeſſion.

Die Maler Vuillard, Rouſſel, Bonnard und Valloton
ſtellen in der Münchener Sezeſſion zuſammen 48 Gemälde
aus. Eine Serie, die den Kreis der deutſchen Werke ange-
nehm unterbricht und in mancher Hinſicht auch Intereſſantes
bietet. Im einzelnen betrachtet, iſt es aber nur eine gute
Durchſchnittsausſtellung, nichts weiter. Die großen Ueber-
raſchungen fehlen ſo gut wie ganz.1 Es ſind die weniger
hochſtehenden di minorum gentium, denen hier Altäre er-
richtet ſind. Das iſt überhaupt das Merkwürdige, daß ſich
heutigentags derartige franzö&ſr:iſche Kollektionen in den
Rahmen einer auf einem relativ hohen Niveau ſtehenden
Sezeſſionsausſtellung, wie es die heurige iſt, einfügen, ohne
viel Spektakel zu machen. Man geht heute nicht in die
franzöſiſchen Säle, um dort Senſationen zu ſuchen. Man
genießt dieſe Art Bilder, wie nach dem Diner die Zigarre.

Zuletzt war es der Kunſtverein, der von den genannten
vier Malern Bilder vorführte. Das war in jener großen
denkwürdigen Franzoſen-Ausſtellung im September 1906,
wo die Leidenſchaften ſo unbändig wild aufeinanderplatzten
und der welſche Geiſt die Gemüter ſo wenig gewappnet fand.
Die gegenwärtige Serie ergänzt nun die früheren Eindrücke
nach vielen Seiten hin. Man lernt vor allem Vuillard
auch als dekorativen Maler kennen, dem ſeine Freunde be-
reits große Staatsaufträge zuführen wollen. Er zeigt
große Stücke, eigentümlich weich in den Formen, aber doch
von einer nicht alltäglichen Feierlichkeit im Aufbau. Die
dekorativen Landſchaften ſind allerdings in den Valeurs
oft recht gleichartig und monoton behandelt. Jedenfalls
beſitzt er als Pathetiker Schwung und auch einen gewiſſen
Ernſt und Würde, die ihn zur Löſung von derartigen Auf-
gaben geeignet erſcheinen laſſen. Daneben ſind von ihm
vielfarbige Interieurs, zarte Landſchaften und ein kleines
Selbſtbildnis ausgeſtellt. Die Gemälde haben faſt gar
keine techniſche Uebereinſtimmung untereinander. Jedes iſt
wie von einer anderen Hand gemacht. Der ganz einfach, in
[Spaltenumbruch] blaſſen Farben gemalten Landſchaft „Der Hafen von Hon-
fleur“ ſteht ein buntes Bild „Frühſtückstiſch“ gegenüber, wo
alles durcheinander purzelt. Dieſe Unſicherheit in der Be-
wältigung räumlicher Probleme fällt bei faſt allen Inte-
rieurſtücken Vuillards auf. Er ſtellt, wie es ſcheint, an das
Kolorit ſo hohe Anforderungen, daß er oft keine Zeit findet,
perſpektiviſch richtig zu zeichnen. Nur das kleine Bild
„Salon“ macht eine Ausnahme.

Eine einfachere Natur ſcheint Rouſſel zu ſein, der
als ausgeſprochener Idylliker auftritt. Sein Lieblings-
motiv iſt eine Landſchaft mit nackten Figuren, die einmal
„Paſtorale“, ein andermal „Der Tanz der Hirten“ oder
„Hirten-Idyll“ betitelt iſt. Alles das iſt mit ſehr hellen
und ſehr lockeren Farben gemalt.

Bonnard, der dritte in dieſem Bunde, gibt ſich
diesmal als der vielſeitigſte. Er malt die Frau bei der
Toilette, dann nackte Frauen und nackte Männer, Ballett-
tänzerinnen, Landſchaften u. a. Das Charakteriſtikum der
Vonnardſchen Malerei iſt die Intimität. Auch er iſt inter-
eſſant in der Farbe, in der Kompoſition taſtend und regel-
los und als Künſtler oft mehr tändelnd als tief. Wie Vuil-
lard, macht auch ihm die Verkürzung im Raume noch viel
zu ſchaffen. Mit das Beſte gibt Bonnard in den von künſt-
lichem Licht beleuchteten nackten Frauenkörpern.

Und endlich Valloton. Wenn einer bei dem Quar-
tett Vuillard-Rouſſel-Bonnard-Valloton nach den Inſtru-
menten frägt, die jeder einzelne ſpielt, ſo muß man ant-
worten: bläſt Rouſſel die Flöte, ſo bläſt Valloton das
Piſton. Oder bläſt Valloton das Bombardon? Jedenfalls
tönt ſeine Kunſt wie lärmende Blechmuſik. Dieſe weiblichen
und männlichen Porträte, dieſe Frauen in oder nach dem
Bade und dieſe blechernen Allegorien auf den Frühling und
den Winter, ſind ſie nicht wie mit der Schere geſchnitten?
Sicher, man kann ſagen, Valloton iſt ein guter Zeichner (es
ſteckt vielleicht noch ein größeres Stück Bildhauer in ihm),
aber man darf dann nie vergeſſen, das ominöſe Wörtlein
„akademiſch“ beizufügen. Er iſt ſo exakt, ſo „rund“ in
ſeiner Realiſtik, daß er ſich in Glattheiten nicht genug tun
kann. Ich habe vor ſeinen Akten und Porträten immer
das Gefühl, als ob er die Formen ſo von der Luft abſchlöſſe,
daß ſie nicht mehr atmen können. Was er treibt, iſt mehr
Kunſtgewerbe als Kunſt. Das „Roſa-Interieur“ allein iſt
ein Lichtpunkt.

[Spaltenumbruch]

Noch etwas, was das Arrangement betrifft. Wird
man es noch erleben, daß die Bilderſerien einzelner Künſt-
ler an einer Wand aufgehängt werden? Dieſes Durch-
einanderhängen der Bilder hat vielleicht dekorative Reize,
fördert aber die Verſenkung in einen Künſtler in keiner
Weiſe.

Münchener Konzerte.
W. Alte Muſik.

Auch unſere Muſikpflege trägt wie unſere
Literaturpflege im Wappen den Januskopf. Weit mehr als in
früheren Zeiten ſchauen wir rückwärts, ſuchen das Gute in den
Jahrhunderten, die vor uns geweſen, und, was noch beſſer iſt,
wir wollen nicht mehr die Vergangenheit nach unſerem Bilde
formen, wir ziehen ihr nicht mehr rückſichtslos die Modegewan-
dung unſerer Tage über den Kopf, ſondern laſſen ſie auf uns
wirken in ihrer ſo viel feineren und zarteren Art, die unſeren
vergröberten Sinnen freilich manchmal baß verwunderlich er-
ſcheint und dann und wann nur mit Sachkenntnis und Liebe
gerecht erfaßt und gewürdigt werden kann. Leider iſt München,
wie es ſcheint, kein rechter Boden für Beſtrebungen, alte Muſik
ſtilgerecht zur Aufführung zu bringen; das mußte die „Deutſche
Vereinigung für alte Muſik“ im vorigen Winter unlieb an ſich
erfahren. Freundlicheres Schickſal hat immer der Münchener
Chorſchulverein
unter Domkapellmeiſter Eugen Wöhrle
gehabt; ſeine Aufgabe iſt aber auch bis zu einem gewiſſen Grad
leichter; Vokalwerke ſprechen zu uns heute noch unmittelbarer als
Inſtrumentalwerke alter Meiſter, und die ſchwierige Beſchaffung
und Verwendung nicht mehr gebräuchlicher Inſtrumente fällt fort.
Bachs Choralmotette „Komm, Jeſu, komm“ hat zu allen Zeiten
ihre Wirkung getan; diesmal hätte ich ihr noch etwas mehr
Schärfe und Größe der Profilierung durch die Ausführenden ge-
wünſcht. Unübertrefflich war aber die Wiedergabe des dritten
Pſalms „O dio perchè“ von Benedetto Marcello, dem reifſten
und beſten Meiſter des ſoliſtiſchen Pſalms. Die Rolle des Chors
dabei iſt ſchon nebenſächlich geworden; in der Vereinfachung und
Vergröberung der Struktur, der Stimmführung merkt man den
bei den Späteren noch weit unheilvolleren Einfluß des Theaters.
Die Führung der beiden Soloſtimmen jedoch verrät höchſte Kunſt;
man wird ſie auch ſelten ſo vollendet und mit ſolcher Fülle von
Wohllaut ſingen hören wie von Frln. Elſe Widen und Frau
Erler-Schnaudt. Der Chor holte ſich neue Lorbeeren mit
drei Madrigalen von Orlando di Laſſo, und dann mit drei ge-
miſchten Chören von Joſeph Schmid, von denen „Requiem“ nach
dem Hebbelſchen Text wohl der bedeutendſte iſt. Alle drei er-
freuen ſie durch ihren klangreichen Satz, ihren natürlichen Fluß
und durch eigenartige und hübſche harmoniſche Wendungen.

1 Es iſt ſchade, daß die Sezeſſion den Willen nicht nährte,
ſich die belgiſche und die ruſſiſche Serie zu ſichern, die auf
der letzten venezianiſchen Kunſtausſtellung ſo viel von ſich reden
machte.
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&#x017F;chwäbi&#x017F;chen Heimat.</p><lb/>
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1836 promovierte er in Tübingen zum Doktor der Philo&#x017F;ophie, &#x017F;o<lb/>
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Doktorjubiläums feiern konnte, 1839 kam er als Repetent an das<lb/>
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Tübinger Schule, herauszugeben. Im Jahre 1847 erhielt er einen<lb/>
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Freude an &#x017F;einer Berner Tätigkeit erleben. So folgte er 1849<lb/>
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&#x017F;chen Geheimen Regierungsrates, bei &#x017F;einem Rücktritt im Jahre<lb/>
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Eduard Zeller dahingegangen.</p>
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Südwe&#x017F;tafrika für ein neues Deut&#x017F;chland ihre Haut zu<lb/>
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[Seite 2[2]/0002] München, Samstag Allgemeine Zeitung 21. März 1908. Nr. 134. von ſeinem jetzigen Lehramte gefordert, was man ihm jetzt in Abrede ſtelle. „Man ſpiele mit ſeinen Worten,“ er deutet an, daß man ihn abſichtlich mißverſtanden. Dieſe unziemliche Polemik durch das Mittel von Interviews be- ſtimmte die Regierung zur Veröffentlichung des Briefes, in dem Aehrenthal ſeinerzeit über die Wünſche des Nuntius an den öſterreichiſchen Unterrichtsminiſter berichtete; und dieſe Publikation wird in der offiziöſen Note durch einen Beiſatz verſchärft, durch den der Miniſter des Aeußern die Debatte vollſtändig erledigt: hätte der Nuntius, ſo wird ihm bedeutet, ein beſtimmtes Verlangen geſtellt, ſo würde der gemeinſame Miniſter des Aeußern ohnedies keine Ver- mittlung übernommen haben, da der Nuntius ſich damit direkt an die öſterreichiſche Regierung hatte wenden müſſen. Demnach wird ihm der diplomatiſche Weg kurzweg abge- ſchnitten. Wie der Nuntius dieſe Zurechtweiſung verwin- den wird, läßt ſich nicht vorausſehen. Formell alſo iſt ſein Angriff abgewieſen und damit ſeine Autorität ſchwer er- ſchüttert. Was jedoch in der Sache ſelbſt entſchieden werden wird, liegt noch im Schoße der Zeiten verborgen. Indeſſen iſt der Aufmarſch der freiſinnigen Parteien aller Natio- nalitäten ſo imponierend, daß die Regierung, ſelbſt wenn ſie Luſt dazu hätte, die Abſetzung Profeſſor Wahrmunds nicht ausſprechen kann. Sie würde ſich damit in Gegenſatz zur Mehrheit des Parlaments ſtellen, da ſelbſt die Chriſt- lichſozialen es nicht für klug halten, den Kampf auf dieſem Boden anzunehmen und ihren Einfluß für das klerikale Prinzip in ſeiner vollen Schärfe einzuſetzen. Für die Sache der Freiheit der Univerſitäten iſt es ein Glück, daß der Nuntius den erſten Stoß ſo ungeſchickt geführt hat. Denn zum Vollſtrecker der Befehle der Kurie iſt der öſterreichiſche Staat doch zu gut. Die Annahme, daß der Nuntius ſeine formelle Unge- ſchicklichkeit mit dem Verluſt ſeiner Stellung büßen werde — es iſt übrigens auch davon die Rede, daß dieſe Stellung ſchon ſeit der Trauung des Fürſten von Bulgarien erſchüt- tert ſei und daß der Nuntius vielleicht nach einem guten Abgang geſucht habe — wird weſentlich beſtärkt, ja ſogar über jeden Zweifel erhoben durch neuere Meldungen: a. Wien, 19. März. 9.10 N. (Privattelegr.) Die Affäre des Nuntius Mſgr. Granito de Belmonte iſt durch die heutige Veröffentlichung des Schreibens Aehren- thals an den Unterrichtsminiſter Marchet erledigt. Es wird durch dieſes feſtgeſtellt, daß der Nuntius an das Mini- ſterium des Aeußern kein beſtimmtes offizielles Verlangen geſtellt hat und daß, wenn dies geſchehen wäre, Aehrenthal keine Vermittlung hätte übernehmen können. Auch iſt feſt- geſtellt, daß der Nuntius beim Miniſterium des Aeußern den Verſuch nicht im Auftrag und mit der Vollmacht der Kurie unternahm, ſondern daß er auf eigene Fauſt gehandelt hat. Es iſt deshalb die Abberufung des Nuntius von Wien in der nächſten Zeit zu er- warten. F. Wien, 20. März, 11.50 V. (Privattelegramm.) Allgemein wird angenommen, der Nuntius werde nicht mehr lange in Wien bleiben können. Bei ſeinem geſtrigen Empfang zu Ehren des Namenstages des Papſtes fehlten ſämtliche Miniſter. In Innsbruck ſind dieſer Tage bemerkenswerte Beſchlüſſe gefaßt worden: 1. „Die Leitung der deutſch-nationalen Partei in Tirol gibt der Entſchloſſenheit der deutſchfreiheitlichen Be- völkerung des Landes Ausdruck, für die ſtaatsgrundgeſetzlich ge- währleiſtete Freiheit der Wiſſenſchaft, ihrer Lehre und der Mei- nungsäußerung unbedingt einzutreten. Sie verwahrt ſich gegen die völkerrechtswidrige Einmiſchung des päpſt- lichen Abgeſandten am Wiener Hofe in eine innerpolitiſche Angelegenheit des öſterreicht- ſchen Staates und gegen die darin liegende Abſicht, eine Verletzung des Art. 14 des Staatsgrund geſetzes herbeizuführen. Sie ſpricht ihre Entrüſtung darüber aus, daß man dieſe unerhörte Anmaßung, ſtatt ſie von Anfang an energiſch zurückzuweiſen, noch zu beſchönigen verſucht habe. Ebenſo ver- wahrt ſie ſich gegen die parteiiſche Beeinfluſſung einer Angelegen- heit, deren Entſcheidung einzig und allein nur dem zuſtändigen Gerichte obliegt. Die Parteileitung erwartet von den deutſch- nationalen Abgeordneten, daß ſie alle dieſe Angriffe auf die gewährleiſteten Rechte der Staatsbürger kräftigſt zurückweiſen. Ein Zuſammengehen mit den Chriſtlichſozialen unter Preisgabe freiheitlicher Grundſätze müßte entſchieden verurteilt werden.“ 2. Der Hochſchulausſchuß der deutſch-freiheit- lichen Studentenſchaft Innsbrucks an den Abg. Dr. Erler: „Der Hochſchulausſchuß uſw. hat mit aufrichtigem Bedauern gehört, daß Euer Hochwohlgeboren die Abſicht haben, Ihr Mandat zurückzulegen. Mit Bedauern, verlieren wir doch in Ihnen einen beredten Verteidiger und warmen Freund. In Erinnerung deſſen bitten wir daher Euer Hochwohlgeboren, an- läßlich Ihres Rücktrittes aus dem politiſchen Leben den auf- richtigſten Dank der freiheitlichen Studentenſchaft entgegen- zunehmen, denn während Ihrer ganzen Tätigkeit als Abge- ordneter der Stadt Innsbruck ſind Euer Hochwohlgeboren jeder- zeit auch für die Intereſſen unſerer freien und deutſchen Hoch- ſchule eingetreten, und voll Dankbarkeit werden wir uns immer Ihrer Haltung im November 1904 erinnern, voll Dankbarkeit auch der Abwehr, welche die Angriffe auf den freiheitlichen Charakter unſerer Schule jederzeit durch Sie, Herr Doktor, er- fuhren. Mit dieſem Danke verbindet ſich auch eine Bitte: Wir bitten Euer Hochwohlgeboren, der Wählerſchaft als Ihren Nachfolger Herrn Profeſſor Wahrmund vorzu- ſchlagen, beziehungsweiſe ſeine Kandidatur aufs wärmſte zu unterſtützen. Für die Maſſendemonſtration einer klerikalen Landbevölkerung im freiheitlichen Innsbruck, für die Worte, die Frhr. v. Beck über den Fall Wahrmund zu einer klerikalen Deputation geſprochen, kann die freiheitliche Wählerſchaft von Innsbruck jetzt nur eine Antwort haben, und dieſe iſt: die Wahl Profeſſor Wahrmunds. Und wie Hochſchüler, die wir voll Be- geiſterung an Profeſſor Wahrmund hängen, ſind überzeugt, daß es für dieſe Kandidatur keine beſſere Empfehlung, keine wirk- ſamere Unterſtützung geben kann als Ihr Wort. Das iſt unſere Bitte.“ p. Innsbruck, 20. März. 1.18 N. (Privattele- gramm.) Der akademiſche Senat der Uni- verſität hält morgen eine Sitzung wegen einer Ein- gabe an das Unterrichtsminiſterium in Sachen der bekannten Erklärung des päpſtlichen Nuntius in Wien. Politiſche Rundſchau. Eduard Zeller †. Wie aus Stuttgart gemeldet wird, iſt daſelbſt geſtern nachmittag 2½ Uhr im Alter von 94 Jahren der ehrwürdige Patriarch der deutſchen Philoſophie, Wirklicher Geh. Rat D. Dr. Eduard Zeller geſtorben. Als Theologe einer der Begründer der weltberühmten Tübinger Schule, deren Anfechtungen und Kämpfe er mitgekämpft und mit- erlitten hat, als Philoſoph nicht eben ſchöpferiſch veranlagt, aber ein Eklektiker von außerordentlicher Feinheit des Geiſtes, als Hiſtoriker ein Mann von umfaſſendem Blick und klarſtem Urteil, ſo hat Eduard Zeller ein ungewöhnlich reiches, fruchtbares und ehrenvolles Gelehrtenleben geführt. Seit dem Herbſt 1894 lebte er im Ruheſtande in ſeiner ſchwäbiſchen Heimat. Geboren am 22. Januar 1814 zu Kleinbottwar im württem- bergiſchen Neckarkreis erhielt Eduard Zeller ſeine wiſſenſchaftliche Ausbildung im Seminar Maulbronn und im Tübinger „Stift“. 1836 promovierte er in Tübingen zum Doktor der Philoſophie, ſo daß er vor zwei Jahren das faſt einzigartige Feſt des 70jährigen Doktorjubiläums feiern konnte, 1839 kam er als Repetent an das „Stift“ zurück, 1840 habilitierte er ſich als Privatdozent der Theo- logie, um von 1842 ab (bis 1857; ſeit 1847 gemeinſam mit F. Chr. Baur) die Theologiſchen Jahrbücher, das berühmte Organ der Tübinger Schule, herauszugeben. Im Jahre 1847 erhielt er einen Ruf als außerordentlicher Profeſſor der Theologie nach Bern, aber die üblen Erfahrungen, die David Friedrich Strauß einige Jahre vorher in Zürich mit der ſchweizeriſchen Orthodoxie ge- macht hatte, blieben auch ihm nicht erſpart und ließen ihn wenig Freude an ſeiner Berner Tätigkeit erleben. So folgte er 1849 gern einem Ruf als ordentlicher Profeſſor nach Marburg, wo man es aber ebenfalls vorzog, ihn der philoſophiſchen Fakultät einzu- reihen. Von 1862 bis 1872 wirkte er ſodann als Profeſſor der Philoſophie in Heidelberg, von 1872 bis 1894 ſodann, alſo volle 22 Jahre, an der Berliner Univerſität. In dieſer langen Wirkſamkeit haben ſich ſo ziemlich alle Ehren auf ihn gehäuft, die es für die Gelehrtenwelt gibt. In Heidelberg, wo er von 1868 bis 1869 das Prorektorat der Univerſität bekleidete, die ihn auch als ihren Vertreter in die Erſte Kammer entſandte, war er zum Hofrat und einige Jahre ſpäter zum Geheimen Hofrat er- nannt worden. Im Jahre 1876 erhielt er den Titel eines preußi- ſchen Geheimen Regierungsrates, bei ſeinem Rücktritt im Jahre 1894 den eines Wirklichen Geheimen Rats mit dem Prädikat Exzellenz. Dazu kamen die akademiſchen Würden. 1868 wurde Zeller von der Heidelberger theologiſchen Fakultät aus Anlaß des Schleiermacher-Jubiläums zum Doktor der Theologie er- nannt, zum Tübinger Univerſitätsjubiläum 1877 machte ihn die dortige Juriſten fakultät zum Ehrendoktor, im Jahre 1886 fügte Marburg den Ehrendoktor der Me dizin hinzu, ſo daß er nun die Doktorwürden der vier Fakultäten und der vier deutſchen Univerſitäten, denen er angehört hatte, in ſeiner Perſon vereinigte. Seit 1884 war er außerdem Ehrendoktor der Univerſität Edin- burgh, ſeit 1903 Ehrenmitglied der Univerſität Moskan. Selbſtverſtändlich hat Zeller auch den verſchiedenſten Akademien angehört. Zum korreſpondierenden Mitglied ernannte ihn im Jahre 1865 die Berliner Akademie, 1869 die philoſophiſche Sektion der Pariſer Akademie der moraliſchen und politiſchen Wiſſenſchaf- ten. Von 1872 bis 1894 war er dann ordentliches Mitglied, ſeit- dem Ehrenmitglied und auswärtiges Mitglied der Berliner Aka- demie. Seit 1873 war er ferner auswärtiges Mitglied der Mün- chener Akademie, ſeit 1876 der Akademie Dei Lincei in Rom, ſeit 1890 Ehrenmitglied der Wiener Akademie. Um ſchließlich noch die Orden aufzuzählen, ſo beſaß er das Großkreuz des würt- tembergiſchen Friedrich-Ordens, den badiſchen Zähringer Löwen- Orden 1. Klaſſe, den preußiſchen Kronen-Orden 1. Klaſſe, den preußiſchen Orden pour le mérite für Kunſt und Wiſſenſchaft, den griechiſchen Erlöſerorden und den bayeriſchen Maxi- miliansorden für Wiſſenſchaft und Kunſt. Einer der beſten Söhne des Schwabenlandes und eine der erſten Zierden der deutſchen Gelehrtenwelt iſt mit Eduard Zeller dahingegangen. Eine kolonialpolitiſche Rede größeren Stils hielt in der geſtrigen Sitzung des Reichstages „zwiſchen den Zwiſchenfällen“ der nationalliberale Abg. Dr. Paaſche, indem er im Hinblick auf den vom Staatsſekretär erwähnten Unterſchied zwiſchen Eingeborenen- und Pflanzerkultur energiſch betonte, daß die Weißen das führende Element in den Kolonien bleiben müßten, da die Neger ſofort wieder in Unkultur zurückfallen, wenn man ſie ſich ſelbſtüberlaſſe. Im übrigen trieben wir Kolonialpolitik, nicht um den Neger zu erziehen, ſondern teils um einen Abfluß zu finden für überſchüſſige Bevölkerung, teils um in tropiſchen Kolonien Produkte zu erzeugen, die wir im eigenen Lande nicht haben können. Deshalb können wir bei unſerer Koloniſations- tätigkeit die Unterſtützung der Plantagenbeſitzer und kleinen Anſiedler nicht entbehren. Traurig ſei es, wenn man hier im Deutſchen Reich die Leute, die draußen in Südweſtafrika für ein neues Deutſchland ihre Haut zu Markte tragen, als Betrüger und Schufte hinſtelle. Wenn jetzt für unſere Kolonien beſonders für Oſtafrika noch nicht die Bedingungen für weiße Anſiedlerkolonien im großen und ganzen gegeben ſei, ſo müßten ſie geſchaffen werden. Es ſei bedauerlich, daß man aus den Worten des Staats- ſekretärs immer herausleſe, wir brauchten keine Anſiedler- kolonien. Das Schwanebachſche Memorandum. Unſer St. Petersburger Korreſpondent ſchreibt uns: Im Juni des verfloſſenen Jahres veröffentlichte die Pariſer Revue einen viel Aufſehen erregenden Artikel über die Tätigkeit des ruſſiſchen Expremiers Grafen Witte. Der Inhalt dieſes Artikels deckte ſich mit dem Wortlaut eines „Memorandums“, das dem Kaiſer Wilhelm aus St. Peters- burg zugeſtellt worden war, um ihn über die verderbliche politiſche Rolle, die Witte nach der Anſchauung des Ver- faſſers geſpielt habe, aufzuklären. Den Verfaſſer dieſes Memorandums kannte man bis jetzt nicht, obwohl ange- nommen wurde, daß die Arbeit aus der Feder des früheren Reichskontrolleurs Schwanebach herrühre. Erſt vor wenigen Tagen brachte ein St. Petersburger Oppoſitionsblatt die beſtimmte Behauptung, das Memo- randum ſei von Schwanebach und dem Vorgänger Stoly- pins, Miniſter Goremykin, verfaßt und durch Vermittlung des öſterreichiſch-ungariſchen Botſchafters zu St. Peters- burg, Frhrn. v. Aehrenthal, dem Deutſchen Kaiſer über- reicht worden. Nun iſt nicht zu bezweifeln, daß dieſes Memorandum dem deutſchen Herrſcher zugegangen iſt und ihn beſtimmen ſollte, den, wie erinnerlich, von ihm beſonders ausgezeich- neten ruſſiſchen Staatsmann ſo einzuſchätzen, wie es den Feinden Wittes erwünſcht ſchien. Es iſt jedoch aus- Pariſer Maler in der Münchener Sezeſſion. Die Maler Vuillard, Rouſſel, Bonnard und Valloton ſtellen in der Münchener Sezeſſion zuſammen 48 Gemälde aus. Eine Serie, die den Kreis der deutſchen Werke ange- nehm unterbricht und in mancher Hinſicht auch Intereſſantes bietet. Im einzelnen betrachtet, iſt es aber nur eine gute Durchſchnittsausſtellung, nichts weiter. Die großen Ueber- raſchungen fehlen ſo gut wie ganz. 1 Es ſind die weniger hochſtehenden di minorum gentium, denen hier Altäre er- richtet ſind. Das iſt überhaupt das Merkwürdige, daß ſich heutigentags derartige franzö&ſr:iſche Kollektionen in den Rahmen einer auf einem relativ hohen Niveau ſtehenden Sezeſſionsausſtellung, wie es die heurige iſt, einfügen, ohne viel Spektakel zu machen. Man geht heute nicht in die franzöſiſchen Säle, um dort Senſationen zu ſuchen. Man genießt dieſe Art Bilder, wie nach dem Diner die Zigarre. Zuletzt war es der Kunſtverein, der von den genannten vier Malern Bilder vorführte. Das war in jener großen denkwürdigen Franzoſen-Ausſtellung im September 1906, wo die Leidenſchaften ſo unbändig wild aufeinanderplatzten und der welſche Geiſt die Gemüter ſo wenig gewappnet fand. Die gegenwärtige Serie ergänzt nun die früheren Eindrücke nach vielen Seiten hin. Man lernt vor allem Vuillard auch als dekorativen Maler kennen, dem ſeine Freunde be- reits große Staatsaufträge zuführen wollen. Er zeigt große Stücke, eigentümlich weich in den Formen, aber doch von einer nicht alltäglichen Feierlichkeit im Aufbau. Die dekorativen Landſchaften ſind allerdings in den Valeurs oft recht gleichartig und monoton behandelt. Jedenfalls beſitzt er als Pathetiker Schwung und auch einen gewiſſen Ernſt und Würde, die ihn zur Löſung von derartigen Auf- gaben geeignet erſcheinen laſſen. Daneben ſind von ihm vielfarbige Interieurs, zarte Landſchaften und ein kleines Selbſtbildnis ausgeſtellt. Die Gemälde haben faſt gar keine techniſche Uebereinſtimmung untereinander. Jedes iſt wie von einer anderen Hand gemacht. Der ganz einfach, in blaſſen Farben gemalten Landſchaft „Der Hafen von Hon- fleur“ ſteht ein buntes Bild „Frühſtückstiſch“ gegenüber, wo alles durcheinander purzelt. Dieſe Unſicherheit in der Be- wältigung räumlicher Probleme fällt bei faſt allen Inte- rieurſtücken Vuillards auf. Er ſtellt, wie es ſcheint, an das Kolorit ſo hohe Anforderungen, daß er oft keine Zeit findet, perſpektiviſch richtig zu zeichnen. Nur das kleine Bild „Salon“ macht eine Ausnahme. Eine einfachere Natur ſcheint Rouſſel zu ſein, der als ausgeſprochener Idylliker auftritt. Sein Lieblings- motiv iſt eine Landſchaft mit nackten Figuren, die einmal „Paſtorale“, ein andermal „Der Tanz der Hirten“ oder „Hirten-Idyll“ betitelt iſt. Alles das iſt mit ſehr hellen und ſehr lockeren Farben gemalt. Bonnard, der dritte in dieſem Bunde, gibt ſich diesmal als der vielſeitigſte. Er malt die Frau bei der Toilette, dann nackte Frauen und nackte Männer, Ballett- tänzerinnen, Landſchaften u. a. Das Charakteriſtikum der Vonnardſchen Malerei iſt die Intimität. Auch er iſt inter- eſſant in der Farbe, in der Kompoſition taſtend und regel- los und als Künſtler oft mehr tändelnd als tief. Wie Vuil- lard, macht auch ihm die Verkürzung im Raume noch viel zu ſchaffen. Mit das Beſte gibt Bonnard in den von künſt- lichem Licht beleuchteten nackten Frauenkörpern. Und endlich Valloton. Wenn einer bei dem Quar- tett Vuillard-Rouſſel-Bonnard-Valloton nach den Inſtru- menten frägt, die jeder einzelne ſpielt, ſo muß man ant- worten: bläſt Rouſſel die Flöte, ſo bläſt Valloton das Piſton. Oder bläſt Valloton das Bombardon? Jedenfalls tönt ſeine Kunſt wie lärmende Blechmuſik. Dieſe weiblichen und männlichen Porträte, dieſe Frauen in oder nach dem Bade und dieſe blechernen Allegorien auf den Frühling und den Winter, ſind ſie nicht wie mit der Schere geſchnitten? Sicher, man kann ſagen, Valloton iſt ein guter Zeichner (es ſteckt vielleicht noch ein größeres Stück Bildhauer in ihm), aber man darf dann nie vergeſſen, das ominöſe Wörtlein „akademiſch“ beizufügen. Er iſt ſo exakt, ſo „rund“ in ſeiner Realiſtik, daß er ſich in Glattheiten nicht genug tun kann. Ich habe vor ſeinen Akten und Porträten immer das Gefühl, als ob er die Formen ſo von der Luft abſchlöſſe, daß ſie nicht mehr atmen können. Was er treibt, iſt mehr Kunſtgewerbe als Kunſt. Das „Roſa-Interieur“ allein iſt ein Lichtpunkt. Noch etwas, was das Arrangement betrifft. Wird man es noch erleben, daß die Bilderſerien einzelner Künſt- ler an einer Wand aufgehängt werden? Dieſes Durch- einanderhängen der Bilder hat vielleicht dekorative Reize, fördert aber die Verſenkung in einen Künſtler in keiner Weiſe. A. G. Hartmann. Münchener Konzerte. W. Alte Muſik. Auch unſere Muſikpflege trägt wie unſere Literaturpflege im Wappen den Januskopf. Weit mehr als in früheren Zeiten ſchauen wir rückwärts, ſuchen das Gute in den Jahrhunderten, die vor uns geweſen, und, was noch beſſer iſt, wir wollen nicht mehr die Vergangenheit nach unſerem Bilde formen, wir ziehen ihr nicht mehr rückſichtslos die Modegewan- dung unſerer Tage über den Kopf, ſondern laſſen ſie auf uns wirken in ihrer ſo viel feineren und zarteren Art, die unſeren vergröberten Sinnen freilich manchmal baß verwunderlich er- ſcheint und dann und wann nur mit Sachkenntnis und Liebe gerecht erfaßt und gewürdigt werden kann. Leider iſt München, wie es ſcheint, kein rechter Boden für Beſtrebungen, alte Muſik ſtilgerecht zur Aufführung zu bringen; das mußte die „Deutſche Vereinigung für alte Muſik“ im vorigen Winter unlieb an ſich erfahren. Freundlicheres Schickſal hat immer der Münchener Chorſchulverein unter Domkapellmeiſter Eugen Wöhrle gehabt; ſeine Aufgabe iſt aber auch bis zu einem gewiſſen Grad leichter; Vokalwerke ſprechen zu uns heute noch unmittelbarer als Inſtrumentalwerke alter Meiſter, und die ſchwierige Beſchaffung und Verwendung nicht mehr gebräuchlicher Inſtrumente fällt fort. Bachs Choralmotette „Komm, Jeſu, komm“ hat zu allen Zeiten ihre Wirkung getan; diesmal hätte ich ihr noch etwas mehr Schärfe und Größe der Profilierung durch die Ausführenden ge- wünſcht. Unübertrefflich war aber die Wiedergabe des dritten Pſalms „O dio perchè“ von Benedetto Marcello, dem reifſten und beſten Meiſter des ſoliſtiſchen Pſalms. Die Rolle des Chors dabei iſt ſchon nebenſächlich geworden; in der Vereinfachung und Vergröberung der Struktur, der Stimmführung merkt man den bei den Späteren noch weit unheilvolleren Einfluß des Theaters. Die Führung der beiden Soloſtimmen jedoch verrät höchſte Kunſt; man wird ſie auch ſelten ſo vollendet und mit ſolcher Fülle von Wohllaut ſingen hören wie von Frln. Elſe Widen und Frau Erler-Schnaudt. Der Chor holte ſich neue Lorbeeren mit drei Madrigalen von Orlando di Laſſo, und dann mit drei ge- miſchten Chören von Joſeph Schmid, von denen „Requiem“ nach dem Hebbelſchen Text wohl der bedeutendſte iſt. Alle drei er- freuen ſie durch ihren klangreichen Satz, ihren natürlichen Fluß und durch eigenartige und hübſche harmoniſche Wendungen. 1 Es iſt ſchade, daß die Sezeſſion den Willen nicht nährte, ſich die belgiſche und die ruſſiſche Serie zu ſichern, die auf der letzten venezianiſchen Kunſtausſtellung ſo viel von ſich reden machte.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 135, 21. März 1908, S. Seite 2[2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine135_1908/2>, abgerufen am 01.06.2024.