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Allgemeine Zeitung, Nr. 13, 14. Januar 1924.

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Allgemeine Zeitung. Nr. 15 Montag, den 14. Januar 1924
[Spaltenumbruch]

wenn es durch die Weltlage, zu der auch
Deutschland durch geschickte Politik beitra-
gen kann, gezwungen würde, seine wahre
Politik der Eroberung preiszugeben und an
ihrer Stelle eine wirkliche Politik der
Reparation
treten lassen müßte, die
von gesunden, auch für Deutschland er-
träglichen
Wirtschaftsgrundsätzen ge-
tragen wäre.

Dann hätte Frankreich den
Krieg verloren.
Das weiß Poin-
care
und deshalb seine scheinheilige Tak-
tik. Aber Poincare ist zäh und so leicht
läßt er sich nicht von seinem Ziele abbrin-
gen. Deshalb ist auch die Note, man mag
sie sonst beurteilen wie man will, wieder
nur eine weitere Etappe auf dem lang-
samen Wege zur neuen deutschen
Freiheit.

Besonders beachtenswert ist auch immer
die Rolle, die Belgien dabei zugeteilt
wird. Belgien ist ja schließlich von dem
ganzen Ruhrverbrechen noch etwas stärker
berührt, schon weil es näher daran ist
und die wirtschaftlichen Beziehungen stär-
kere waren. Belgien hat daher in der letz-
ten Zeit immer etwas höflicher schrei-
ben dürfen im Verkehr mit dem Boche. Und
auch bei dieser Note hört man ja wieder, daß
die belgische Antwort in Ton und Form an-
ständiger sei wie die französische.

Es ist ja immerhin erfreulich, daß die
Formen des internationaleu Verkehrs
wenigstens von den kleineren Völkern
wieder etwas mehr gepflegt werden. Die
großen, oder gar Frankreich haben das
ja noch nicht so nötig.

Die Stellung Deutschlands ist
klar. Wenn diese mündlichen Erklärungen
zur Note ernst gemeint wären, wohinter
wir zum Schutze gegen weitere
Enttäuschungen
ein recht großes Fra-
gezeichen machen möchten, dann kann die
Reichsregierung auf ihre schon wieder-
holt
gemachten Anerbieten verweisen.

Würde sie außerdem die Notwendigkeit der
endgültigen Festsetzung einer
erträglichen Reparationssum-
me
und damit im Zusammenhang die Not-
wendigkeit einer internationalen
Anleihe
für Deutschland besonders be-
tonen, so müßte das böswillige Geschwätz
vom böswilligen Schuldner endlich ver-
stummen.

Freilich Vorschläge schlechthin
darf Deutschland heute nicht machen. Wir
müssen unsere Bedingungen stellen.
Man hat uns Unrecht getan, man hat deut-
sches Eigentum
mitten im Frieden ge-
raubt, hat deutsche Volksgenossen aus ihrer
Heimat vertrieben und sie in französische
Kerker verschleppt, hat friedliche arbeitsame
Bürger mit Peitsche und Bajonetten trak-
tiert --, deshalb ist uns gewiß kein mate-
rielles Opfer zu groß, die deutsche
Freiheit
wiederzugewinnen, aber sinn-
lose Opfer,
die ihren Zweck doch nicht
erreichen, wollen wir nicht bringen.

Deshalb keine Vorschläge ohne
Bedingungen!

[Spaltenumbruch]
Fascismus und Hakenkreuz

Innsbrucker Brief.

In grandiosen und in weniger imponierenden
Aeußerlichkeiten merkt man hier italienische Nähe.
Innsbruck und sein Hinterland ist sozusagen ein
Vorhof von Italien. Landschaft und Bauart ge-
hen allmählich in den italienischen Stil über,
man hört viel italienisch sprechen, und ein Teil
der österreichischen Bevölkerung versteht sich auf
die Sprache des südlichen Nachbars.

Soweit ist das alles gut zu ertragen, und die
Nordtiroler haben auch mit den Italienern ihren
modus vivendi gefunden. Ein paar Meilen weiter
beginnt die Irredenta, und da zeigt der Fas-
cismus
seine Zähne. Was für harmlose Wai-
senknaben waren doch die kaiserlich deutschen
Machthaber von ehemals in ihrer Verdeutschungs-
politik gegenüber Lothringern, Dänen und Polen
im Vergleich zu den fascistischen Methoden, die
angegliederten Gebiete restlos und Hals über
Kopf zu italienisieren! Eine radikale Auswei-
sungspraxis beseitigt nach und nach alle Bevölke-
rungselemente, die nicht schon Jahr und Tag in
den abgetretenen Gebieten wohnen. Beamte und
Lehrer österreichischer Herkunft sind bis auf einen
kleinsten Rest durch itahenische Kollegen ersetzt,
Aufenthaltserlaubnis zu Arbeitszwecken erhält
kein deutscher oder österreichischer Staatsbürger,
wofern noch ein Italiener dieser Gegend in dem
gleichen Erwerbszweig Beschäftigung sucht. Ganz
schlimm ergeht es Leuten, die in den Verdacht ir-
redentistischer Propaganda kommen. Das erste ist
ihre Verhaftung. Gewöhnlich sind fascistische
Trupps zugegen und nötigen den in Ketten ge-
legten Arrestanten ein Fläschchen Rhizinus zu
leeren. Die verhaftenden Karabinieri pflegen,
soweit sich das mit ihren Vorschriften verträgt,
milde umzugehen. In ein paar Stunden, trösten
sie den Festgenommenen, wird der Zwischenfall
erledigt sein. Der Unglückliche wartet ebensoviele
Tage, aber noch hat er keine Gelegenheit, sich in
einem Verhör zu rechtfertigen. Der Verkehr mit
seiner konsularischen Behörde wird ihm unter-
sagt. Nach etwa acht Tagen sagt man ihm die
Wahrheit: die Erledigung seines Falles ginge
nicht so schnell, die Akten würden erst nach Rom
geschickt, und von dort bekomme man Weisung,
was zu tun sei. Wenn die Sache gut abgeht, sitzt
der Arrestant seine fünf bis sechs Wochen, ehe
er verhört wird; ich kenne Leute, die neunzig
Tage auf ihre erste Vernehmung gewartet ha-
ben. Eine Denunziation kann jedem Richtita-
liener alle diese Ungeheuerlichkeiten verschaffen,
und selbstverständlich ist die Denunziation an
der Tagesordnung.

In Rom kommt man von diesen Bravourerien
der fascistischen Angliederungspolitik allmählich
ab. Auf die Intervention österreichischer Frauen,
welche von Engländerinnen und Amerikanerin-
nen unterstützt war, hat sich der Kultusminister
zur Zulassung des Unterrichts in deutscher Spra-
che bereit erklärt; der Innenminister hat die Zu-
rücknahme der schärfsten Aufsichtsverfügungen
angeordnet. Nun zeigte sich hier aber eine ähn-
liche Entwicklung der Machtverhältnisse, wie sie
in Rußland von allen Reisenden geschildert wird:
die eigentliche Gewalt liegt weniger innerhalb
der Zentralleitung, als bei den lokalen Amts-
größen. Die Mussolini, Finzi usw. können viel
verfügen, es geschieht das, was in den Städten
und Dörfern die Polizeihauptleute wollen. Da-
bei geht ein geradezu "dialektischer Prozeß" vor
sich. Die Zentralmachthaber müssen, sofern sie
eine Revolution an die Spitze gebracht hat, im-
mer sehr viel von ihren Programmpunkten nach-
lassen. Wieviel haben nicht Lenin dort und Mus-
solini hier von ihren Prinzipien preisgegeben,
jener im sozialen Innenprogramm, dieser in der
Außenpolitik! Die nachgeordneten Amtspersonen,
welche zu ihren Posten auf Grund des ursprüng-
lichen Programms gekommen sind, können sich
den Luxus gestatten, bei diesen Grundsätzen zu
bleiben. Auf diese Weise regieren die Distrikts-
größen in Rußland bolschewistischer als Lenin,
und die Ortsmachthaber im ticolischen Italien
fascistischen als Mussolini. Dabei entsteht sehr leicht
[Spaltenumbruch] politische Gegnerschaft zwischen den vom ur-
sprünglichen Programm abgegangenen Zentral-
machthabern und den standhaft gebliebenen Un-
terbeamten. Kommt nun eine Verordnung her-
aus, wie diejenige des italienischen Kultusmini-
sters oder seines Kollegen vom Innenministerium,
so wird sie glatt ignoriert. Der Unterricht wird
also weiter in italienischer Sprache erteilt, die
Aufsichtsmaßnahmen bleiben weiter überschärft
streng. Südtirol leidet vorläufig weiter unter dem
Fascismus.

Davon hat der Nationalsozialismus
in Tirol profitiert. Die Parteileitung hat zuerst
heftige Anstrengungen gemacht, um die fascistische
Bewegung mit der nat.-soz. Richtung zu ver-
binden. Als Mussolini ihr den Absagebrief
schickte, spielte sie sich als der Anwalt gegen den
italienischen Hypernationalismus und Imperia-
lismus auf. Allzu tragisch wird das Mussolini
freilich nicht nehmen, denn ein Machtfaktor sind
die Nationalsozialisten nicht einmal für Oester-
reich so recht geworden. Es langt gerade, um al-
lerhand Stänkereien und Skandale zu verüben,
um in das gesamte Gesellschaftsleben einen kor-
rupten Zug und viel Verhetzung hineinzubrin-
gen. Weiter nicht. Die Nationalsozialisten re-
krutieren sich hier aus schlechtbezahlten Richtern,
Beamten, Schullehrern, Studenten, einem Teil
der ebenfalls schlechtbezahlten Universitätsprofes-
soren und vielen Beamten a. D., die an den Ab-
bau haben glauben müssen. Ueber parteiische
Rechtsprechung und parteiische Handhabung der
Verwaltung wird viel geklagt. Und wenn man
den Anlässen der zur Beschwerde führenden Rich-
tersprüche und Amtsvornahmen auf den Grund
geht, findet man oft die angeblich auch anders-
wo existierenden Zusammenhänge von Haken-
kreuzlern im Amt und außer Amt.

Dieses Stück Korruption wird Oesterreich eli-
minieren müssen, und es hat den Anschein, als
ob es mit dem Pensum in absehbarer Zeit fertig
würde. Nationalsozialismus und Kommunis-
mus sind Reaktionen auf eine äußerste Verzweif-
lungslage. Ein Volk von etwa sechseinhalb Mil-
lionen Menschen, worüber das heutige Oesterreich
noch verfügt, ein Volk von seiner Kultur- und
Wirtschaftsstufe wird sich schon eine Daseinsform
zu schaffen wissen, innerhalb derer sich die Despe-
radopolitiker sozusagen selbst außerhalb der
Norm des Angebrachten stellen.

Deutsche Städtevertreter in Wien

Eine Abordnung der Teilneh-
mer der vom Deutschen Städtetag arran-
gierten Studienreise erschien gestern zu
einem Empfang beim Bürgermeister Seitz, bei
dem dieser seine Freude und Genugtuung darüber
aussprach, daß die Brüder aus dem Reiche gekom-
men seien.

Er dankte für den Besuch und gab der Ver-
sicherung Ausdruck, daß das Denken und Fühlen
der Wiener darauf gerichtet sei, wie sich das
deutsche Volk aus dem jetzigen Elend wieder er-
heben wird. Er sprach ferner seine Zuversicht aus,
daß das deutsche Volk in der Welt wieder seine
Stellung finde, die ihm nach Kultur und Wissen-
schaft, nach Wirtschaft und Kunst gehöre. Er drückte
schließlich die Hoffnung aus, daß die frendschaft-
lichen Beziehungen aller deutschen Städte über
alle Grenzpfähle hinaus auch ferner fortbestehen
werden.

Oberbürgermeister Wißloff dankte für den
herzlichen Empfang, indem er sagte, daß die
Deutschen überzeugt waren, mit Freuden empfan-
gen zu werden. Er sprach sodann weiter über die
Einrichtungen der Stadt Wien und sprach seine
größte Befriedigung über das Gesehene aus. Die
deutschen Städte würden die gleiche Tatkraft, die
sie in Wien gesehen hatten, aufbringen, um so
das Wiederaufbauwerk zu fördern. Es sei seine
Ueberzeugung, daß das deutsche Volk sich
wieder vereine.

[Spaltenumbruch]
Militär und Presse

In seiner gestrigen Rede
beim Empfang der Teilnehmer des sächsischen
Pressetages führte General Müller unter
anderem aus:

Es bereite ihm besondere Freude, gerade die
Vertreter der Auslandspresse begrüßen zu dürfen.
In Deutschland habe man bisher leider den Wert
und Einfluß der Presse nicht immer
voll anerkannt.
Hätte man das getan, dann
wäre die Welt früher und rechtzeitiger über
die Ursachen des Weltkrieges aufge-
klärt
worden. Die Uebertragung der vollziehen-
den Gewalt habe ihm die Verpflichtung auferlegt,
Ruhe und Ordnung zu sichern. Denjeni-
gen Deutschen jedoch, welche leicht erworbenen
Gewinn im Auslande verprassen und dadurch den
deutschen Namen schänden, sollten die ausländi-
schen Journalisten die Verelendigung der
deutschen Heimat
verkündigen. Er bitte die
ausländischen Journalisten dringend, in ihren
Presse mitzuteilen, daß in Sachsen wieder
Ruhe und Ordnung
eingekehrt sei, damit
neue Aufträge und neue Arbeit ins Land kämen.

Der Vertreter einer holländischen Zeitung
dankte dem General für den überaus frendlichen
Empfang.

Abends versammelten sich die Gäste im Foyer
des Staatsschauspielhauses, wo sie von dem Kul-
tusminister Dr. Kaiser
begrüßt wurden.
In einer kleinen Ansprache sagte die Minister,
die Kunst entspringe dem Geiste des Volkes. Kunst
sei die einzige Macht, die die Länder wieder näher
zusammenführen könne.

Die Tätigkeit des Sparkommissars

Über die Tätigkeit und die Er-
folge des im November 1922 als Sparkom-
missar
eingesetzten früheren Ministers Sä-
misch
wird berichtet, daß es seiner Tätigkeit be-
reits gelungen sei, in den Personalausgaben des
Reichs eine Ersparnis von rund 83 Mil-
lionen Goldmark
zu erzielen. Die Zahl der
im Reich bisher Ausgeschiedenen beträgt insge-
samt 54000. Um dieses Ziel zu erreichen, muß-
ten die Zuständigkeiten des Sparkommissars aller-
dings beträchtlich erweitert werden.

Beamtenabbau und Siedelung

Der preußische Landtagsabgeordnete Graf Al-
brecht zu Stolberg-Wernigerode
(D.
Vp.) hat an den Arbeitsminister Dr. Brauns
ein Schreiben gerichtet, in dem er den Vorschlag
macht, Beamte, die entlassen werden müssen, anzu-
siedeln.

In dem Schreiben des für diese Fragen als sehr
sachverständig anzusehenden ostpreußischen Groß-
grundbesitzers heißt es:

Die Länder sind im Besitz großer zur Siede-
lung geeigneter Moor- und Oedländereien. Auch
im Privatbesitz befinden sich zur Siedlung
geeignete Oedländereien. Aber auch vor einer stär-
keren Erfassung von bereits in Kultur befind-
lichem Lande, soweit es im Großbetrieb bewirt-
schaftet wird, wird man in diesem Falle nicht zu-
rückschrecken dürfen, zumal man hiermit gleich
zwei wichtigen Aufgaben des Reiches und der
Länder, der Unterbringung entlasse-
ner Beamten
und der im Staatsinteresse so
sehr wichtigen Siedlung, gerecht wird. Ich rege
deshalb an, das Flüchtlings-Siedlungsgesetz auch
auf die abzubauenden Beamten auszudehnen.
Ein dreifaches wäre dabei zu berücksichtigen:
1. muß natürlich die Summe von 40 000 Hektar
entsprechend erhöht werden, 2. müssen sämt-
liche
im Privatbesitz befindliche Oedländereien,
3. sämtliche im Besitz der Länder befindliche
zur Kultivierung und Siedlung geeignete Moor-
und Oedländereien unter dieses Gesetz gestellt wer-
den.

Graf Stolberg bemerkt zum Schluß, daß er
selbst, um ein Beispiel zu geben, ein Gut aus
seinem Besitz der Ostpreußischen Landgesellschaft
in Königsberg zur Beamtensiedlung
angeboten
habe

[Spaltenumbruch]


[Spaltenumbruch]
Die Frau in der Politik

Ich bin gebeten worden, über dieses Thema mich
zu äußern. Es ist fast zu einfach. Am besten, man
zählt nur Tatsachen auf oder stellt Fragen be-
treffs dieser Tatsachen wie zum Beispiel: Was
hat man aus der Politik werden lassen? Unter
wessen Regie wurde sie ein so rückläufiges, rück-
ständiges und unmenschliches Etwas? Wer hat
so famose Sachen wie "Parteipresse" und "Partei-
politik" -- von der Bezeichnung allein schon sollte
man genug haben! -- ins Leben gerufen?

Diese Dinge tragen alle -- es läßt sich nicht
leugnen -- die Signatur des Mannes. Der Kar-
ren, der heute so verfahren daliegt, es ist der
seine. Nach seinem Dafürhalten ist es zwar noch
immer seine eigenste Sache, ihn zu lenken. O ja,
es ist Sache seiner eigensten Weisheit, wie er
ihn führte.

Laßt uns scherzhaft sein. Es ist heute das Beste.

Schon von so altersgrauen Damen her, wie
Dido und Semiramis, hat es kaum eine mittel-
mäßige Herrscherin gegeben. Das Regieren wäre
also gar nicht so schwer, oder die Frau ist zu so
schweren Aemtern geboren.

Nicht der Zusammenbruch dieses oder jenes
Landes wird die große Vergeltung des letzten
Krieges sein, Gottes Mühlen mahlen nicht in die-
sem Tempo. Es schlagen ihre Flügel über gewon-
nene und verlorene Kriege hin, als wären sie
nicht. Das Urteil ist längst gefällt, mögen so
manche Dezenien vergehen, bevor es zur Aus-
wirkung gelangt. Die große Abdikation des Man-
nes ist im vollen Anzug, auch wenn er sie noch
[Spaltenumbruch] nicht wahr haben will. Welche Genugtuung hat es
ihm bereitet, die Frau zu ihm aufblicken zu sehen!
Damit ist es auf Jahrhunderte vorbei. Viel enger
als er es noch ahnt, hängt ihre Unabhängigkeits-
erklärung mit der Art und Weise zusammen, in
welcher das Selbstbestimmungsrecht der Völker
verwirklicht wurde.

Ich will uns nicht beschönigen. Wir sind noch
reichlich öde. Wir neigen zur Albernheit. Der
Mann ist dumm. Sollte jedoch die Albernheit
am Ende heilbarer sein als die Dummheit, gegen
welche die Götter ...

Laßt uns scherzhaft sein. Es ist heute unsere
letzte Rettung.

Ende 1916, als in Deutschland die Lebensmittel
immer knapper wurden, gelang es der Familie
eines Rector Magnificus, sich in den Besitz einer
Gans zu setzen. Auf daß sie nicht Zeitlang hätte
und vom Fleische fiele, stellte man ihr den ganzen
Garten zur Verfügung. Sie dehnte ihre Prome-
naden täglich weiter aus, suchte aber dann ganz
aus freien Stücken das Souterrain wieder auf,
in dem die Küche lag. Die Köchin, die sich auch ein-
sam fühlte, schloß sich ihr an. Der Springbrunnen
hatte die übliche Einfassung aus glattem Stein.
Diese Ringbahn erwählte die Gans zu ihrem
Boulevard; ein bißchen verzaubert, ein bißchen
geisteskrank, aber empfänglich für Ideen, vollzog
sie ungezählte Rundgänge. Hie und da ein
Schlückchen aus dem Bassin, dann begab sie sich
bedächtigen Trittes wieder zur Köchin. Sie hatte
aufgehört, eine Gans unter Gänsen zu sein, und
es konnte kein Zweifel mehr bestehen: sie evo-
luierte.

Das Ende war kraß. Die Köchin, welche auf
die Anhänglichkeit des Tieres schwur, weigerte
[Spaltenumbruch] sich, es umzubringen, und kündigte. Die Damen
des Hauses stellten sich auf ihre Seite. In seiner
Ungeduld packte es zuletzt der Rector Magnificus
selber beim Kragen.

Warum ich dies erzähle? -- im Hinblick des so
oft gebrauchten Sinnbildes natürlich. Und weil
der Esel immer ein Esel bleibt. Er wird sich be-
scheiden müssen. Weil er so stur ist, nur deshalb
glaube ich, daß die Gänse ihre Chance haben
werden. Nichts kann mehr ihren Aufstieg hint-
anhalten.

Neue Architektur

Auf die "Eingabspläne" Gärtners zum Wittels-
bacher Palais schrieb Ludwig 1. am 2. März 1844
die eigenhändige Bemerkung, daß wegen der ho-
hen Kosten der Bau nur dreigeschossig ausgeführt
werden solle, dabei jedoch die Möglichkeit eines
vierten Geschosses vorgesehen werden wolle, mit
der offenherzigen Begründung "daß einmal eine
beträchtliche Zahl Kinder es erforderlich machen
würde". Der König wäre wohl baß verwundert,
wenn er heute, nach kaum achtzig Jahren, statt
eines Geschoßaufbaues für seine Kinder einen mit
allen technischen Schikanen ausgestatteten Bank-
palast für fünfhundert Beamte in seinem Gar-
ten vorfinden würde.

Das neue Haus der Diskonto-Gesell-
schaft
an der Briennerstraße ist der Typ des
vornehmen, modernen Bankgebäudes, repräsenta-
tiv im Aeußeren, übersichtlich und praktisch als
Bauorganismus, technisch vervollkommnet bis zum
Letztmöglichen. Vestibül, Treppen, Schalterhalle,
Direktionsräume, Büros usw. sind im Raummaß,
in der Disposition und Ausstattung vorbildlich.
Max Littmann hat sich hier -- wie schon so oft
-- als souveräner Baupraktiker gezeigt; die Fir-
ma Heilmann & Littmann hat ihre Leistungs-
fähigkeit auch in schwierigsten Zeitverhältnissen
bewährt. Neben den technischen Einrichtungen des
Hauses (wie Funkspruchstation, Rohrpostanlage,
automatisches Haustelephon. Fernschreiber. Pump-
[Spaltenumbruch] anlage) verdient besonders die sogenannte
"Schachteltreppe" Beachtung, das ist eine Doppel-
treppe, die in zwei getrennten Läufen unterein-
ander zum dritten Stock führt.

Städtebaulich interessiert natürlich vor allem
das Aeußere. Der Baukomplex im großen und
ganzen hat zweifellos -- besonders wenn man von
der Ottostraße kommt -- Haltung. Im Detail
freilich kann man sich einiges anders wünschen:
die Vasen sind fast zu dick geraten, der Haus-
sockel erscheint etwas schwächlich, die Dachfenster
-- wie auch das Balkongesims -- vielleicht ein
wenig zu plump. Bei allem Können, das sich im
großen Wurf kundgibt, fehlt doch das "gewisse
Etwas", das man an dieser prominenten Stelle
der Stadt so ungern entbehrt, und das z. B. das
benachbarte Almeidapalais zwar diskret, aber ge-
rade deshalb so überzeugend an sich hat. Es mag
das zum guten Teil im Zeitgeist liegen; trotzdem
glaube ich, daß es z. B. ein Theodor Fischer, ein
Bestelmetzer oder ein Bieber hätten schaffen kön-
nen -- das "gewisse Etwas".

War es ein Feigenblatt?

In der Wiener Volks-
oper sollte in diesen Tagen die Uraufführung eines
pantomimischen Spieles "Adam und Eva" stattfinden.
Auf der Generalprobe kam es jedoch zu einem Zwi-
schenfall, der die Absetzung des Stückes schon vor der
Premiere zur Folge hatte. Am Dirigentenpulte saß
Direktor v. Weingartner. Als sich der Vor-
hang hob und die paradiesische Landschaft mit der von
Frau Lanik verkörperten Eva zeigte, rief schon nach
wenigen Sekunden der Direktor: "Vorhang runter!"

Das paradiesische Kostüm der Eva war seiner Mei-
nung nach doch allzusehr der Wirklichkeit nahegekom-
men. Die Künstlerin, die die Eva spielte, verwahrte
sich jedoch entschieden gegen den ihr gemachten Vor-
wurf der Kostümlosigkeit und erklärte, sie könne die
Eva doch nicht im Frack darstellen. Dieser Ansicht
konnte sich zwar Direktor v. Weingartner nicht ver-
schließen, aber die Premiere wurde trotzdem abgesetzt.
Es ist fraglich, wann sie jetzt stattfinden wird; der
Streit über Evas Kostüm scheint doch schwer zu lösen
au sein.

Allgemeine Zeitung. Nr. 15 Montag, den 14. Januar 1924
[Spaltenumbruch]

wenn es durch die Weltlage, zu der auch
Deutſchland durch geſchickte Politik beitra-
gen kann, gezwungen würde, ſeine wahre
Politik der Eroberung preiszugeben und an
ihrer Stelle eine wirkliche Politik der
Reparation
treten laſſen müßte, die
von geſunden, auch für Deutſchland er-
träglichen
Wirtſchaftsgrundſätzen ge-
tragen wäre.

Dann hätte Frankreich den
Krieg verloren.
Das weiß Poin-
caré
und deshalb ſeine ſcheinheilige Tak-
tik. Aber Poincaré iſt zäh und ſo leicht
läßt er ſich nicht von ſeinem Ziele abbrin-
gen. Deshalb iſt auch die Note, man mag
ſie ſonſt beurteilen wie man will, wieder
nur eine weitere Etappe auf dem lang-
ſamen Wege zur neuen deutſchen
Freiheit.

Beſonders beachtenswert iſt auch immer
die Rolle, die Belgien dabei zugeteilt
wird. Belgien iſt ja ſchließlich von dem
ganzen Ruhrverbrechen noch etwas ſtärker
berührt, ſchon weil es näher daran iſt
und die wirtſchaftlichen Beziehungen ſtär-
kere waren. Belgien hat daher in der letz-
ten Zeit immer etwas höflicher ſchrei-
ben dürfen im Verkehr mit dem Boche. Und
auch bei dieſer Note hört man ja wieder, daß
die belgiſche Antwort in Ton und Form an-
ſtändiger ſei wie die franzöſiſche.

Es iſt ja immerhin erfreulich, daß die
Formen des internationaleu Verkehrs
wenigſtens von den kleineren Völkern
wieder etwas mehr gepflegt werden. Die
großen, oder gar Frankreich haben das
ja noch nicht ſo nötig.

Die Stellung Deutſchlands iſt
klar. Wenn dieſe mündlichen Erklärungen
zur Note ernſt gemeint wären, wohinter
wir zum Schutze gegen weitere
Enttäuſchungen
ein recht großes Fra-
gezeichen machen möchten, dann kann die
Reichsregierung auf ihre ſchon wieder-
holt
gemachten Anerbieten verweiſen.

Würde ſie außerdem die Notwendigkeit der
endgültigen Feſtſetzung einer
erträglichen Reparationsſum-
me
und damit im Zuſammenhang die Not-
wendigkeit einer internationalen
Anleihe
für Deutſchland beſonders be-
tonen, ſo müßte das böswillige Geſchwätz
vom böswilligen Schuldner endlich ver-
ſtummen.

Freilich Vorſchläge ſchlechthin
darf Deutſchland heute nicht machen. Wir
müſſen unſere Bedingungen ſtellen.
Man hat uns Unrecht getan, man hat deut-
ſches Eigentum
mitten im Frieden ge-
raubt, hat deutſche Volksgenoſſen aus ihrer
Heimat vertrieben und ſie in franzöſiſche
Kerker verſchleppt, hat friedliche arbeitſame
Bürger mit Peitſche und Bajonetten trak-
tiert —, deshalb iſt uns gewiß kein mate-
rielles Opfer zu groß, die deutſche
Freiheit
wiederzugewinnen, aber ſinn-
loſe Opfer,
die ihren Zweck doch nicht
erreichen, wollen wir nicht bringen.

Deshalb keine Vorſchläge ohne
Bedingungen!

[Spaltenumbruch]
Faſcismus und Hakenkreuz

Innsbrucker Brief.

In grandioſen und in weniger imponierenden
Aeußerlichkeiten merkt man hier italieniſche Nähe.
Innsbruck und ſein Hinterland iſt ſozuſagen ein
Vorhof von Italien. Landſchaft und Bauart ge-
hen allmählich in den italieniſchen Stil über,
man hört viel italieniſch ſprechen, und ein Teil
der öſterreichiſchen Bevölkerung verſteht ſich auf
die Sprache des ſüdlichen Nachbars.

Soweit iſt das alles gut zu ertragen, und die
Nordtiroler haben auch mit den Italienern ihren
modus vivendi gefunden. Ein paar Meilen weiter
beginnt die Irredenta, und da zeigt der Faſ-
cismus
ſeine Zähne. Was für harmloſe Wai-
ſenknaben waren doch die kaiſerlich deutſchen
Machthaber von ehemals in ihrer Verdeutſchungs-
politik gegenüber Lothringern, Dänen und Polen
im Vergleich zu den faſciſtiſchen Methoden, die
angegliederten Gebiete reſtlos und Hals über
Kopf zu italieniſieren! Eine radikale Auswei-
ſungspraxis beſeitigt nach und nach alle Bevölke-
rungselemente, die nicht ſchon Jahr und Tag in
den abgetretenen Gebieten wohnen. Beamte und
Lehrer öſterreichiſcher Herkunft ſind bis auf einen
kleinſten Reſt durch itaheniſche Kollegen erſetzt,
Aufenthaltserlaubnis zu Arbeitszwecken erhält
kein deutſcher oder öſterreichiſcher Staatsbürger,
wofern noch ein Italiener dieſer Gegend in dem
gleichen Erwerbszweig Beſchäftigung ſucht. Ganz
ſchlimm ergeht es Leuten, die in den Verdacht ir-
redentiſtiſcher Propaganda kommen. Das erſte iſt
ihre Verhaftung. Gewöhnlich ſind faſciſtiſche
Trupps zugegen und nötigen den in Ketten ge-
legten Arreſtanten ein Fläſchchen Rhizinus zu
leeren. Die verhaftenden Karabinieri pflegen,
ſoweit ſich das mit ihren Vorſchriften verträgt,
milde umzugehen. In ein paar Stunden, tröſten
ſie den Feſtgenommenen, wird der Zwiſchenfall
erledigt ſein. Der Unglückliche wartet ebenſoviele
Tage, aber noch hat er keine Gelegenheit, ſich in
einem Verhör zu rechtfertigen. Der Verkehr mit
ſeiner konſulariſchen Behörde wird ihm unter-
ſagt. Nach etwa acht Tagen ſagt man ihm die
Wahrheit: die Erledigung ſeines Falles ginge
nicht ſo ſchnell, die Akten würden erſt nach Rom
geſchickt, und von dort bekomme man Weiſung,
was zu tun ſei. Wenn die Sache gut abgeht, ſitzt
der Arreſtant ſeine fünf bis ſechs Wochen, ehe
er verhört wird; ich kenne Leute, die neunzig
Tage auf ihre erſte Vernehmung gewartet ha-
ben. Eine Denunziation kann jedem Richtita-
liener alle dieſe Ungeheuerlichkeiten verſchaffen,
und ſelbſtverſtändlich iſt die Denunziation an
der Tagesordnung.

In Rom kommt man von dieſen Bravourerien
der faſciſtiſchen Angliederungspolitik allmählich
ab. Auf die Intervention öſterreichiſcher Frauen,
welche von Engländerinnen und Amerikanerin-
nen unterſtützt war, hat ſich der Kultusminiſter
zur Zulaſſung des Unterrichts in deutſcher Spra-
che bereit erklärt; der Innenminiſter hat die Zu-
rücknahme der ſchärfſten Aufſichtsverfügungen
angeordnet. Nun zeigte ſich hier aber eine ähn-
liche Entwicklung der Machtverhältniſſe, wie ſie
in Rußland von allen Reiſenden geſchildert wird:
die eigentliche Gewalt liegt weniger innerhalb
der Zentralleitung, als bei den lokalen Amts-
größen. Die Muſſolini, Finzi uſw. können viel
verfügen, es geſchieht das, was in den Städten
und Dörfern die Polizeihauptleute wollen. Da-
bei geht ein geradezu „dialektiſcher Prozeß“ vor
ſich. Die Zentralmachthaber müſſen, ſofern ſie
eine Revolution an die Spitze gebracht hat, im-
mer ſehr viel von ihren Programmpunkten nach-
laſſen. Wieviel haben nicht Lenin dort und Muſ-
ſolini hier von ihren Prinzipien preisgegeben,
jener im ſozialen Innenprogramm, dieſer in der
Außenpolitik! Die nachgeordneten Amtsperſonen,
welche zu ihren Poſten auf Grund des urſprüng-
lichen Programms gekommen ſind, können ſich
den Luxus geſtatten, bei dieſen Grundſätzen zu
bleiben. Auf dieſe Weiſe regieren die Diſtrikts-
größen in Rußland bolſchewiſtiſcher als Lenin,
und die Ortsmachthaber im ticoliſchen Italien
faſciſtiſchen als Muſſolini. Dabei entſteht ſehr leicht
[Spaltenumbruch] politiſche Gegnerſchaft zwiſchen den vom ur-
ſprünglichen Programm abgegangenen Zentral-
machthabern und den ſtandhaft gebliebenen Un-
terbeamten. Kommt nun eine Verordnung her-
aus, wie diejenige des italieniſchen Kultusmini-
ſters oder ſeines Kollegen vom Innenminiſterium,
ſo wird ſie glatt ignoriert. Der Unterricht wird
alſo weiter in italieniſcher Sprache erteilt, die
Aufſichtsmaßnahmen bleiben weiter überſchärft
ſtreng. Südtirol leidet vorläufig weiter unter dem
Faſcismus.

Davon hat der Nationalſozialismus
in Tirol profitiert. Die Parteileitung hat zuerſt
heftige Anſtrengungen gemacht, um die faſciſtiſche
Bewegung mit der nat.-ſoz. Richtung zu ver-
binden. Als Muſſolini ihr den Abſagebrief
ſchickte, ſpielte ſie ſich als der Anwalt gegen den
italieniſchen Hypernationalismus und Imperia-
lismus auf. Allzu tragiſch wird das Muſſolini
freilich nicht nehmen, denn ein Machtfaktor ſind
die Nationalſozialiſten nicht einmal für Oeſter-
reich ſo recht geworden. Es langt gerade, um al-
lerhand Stänkereien und Skandale zu verüben,
um in das geſamte Geſellſchaftsleben einen kor-
rupten Zug und viel Verhetzung hineinzubrin-
gen. Weiter nicht. Die Nationalſozialiſten re-
krutieren ſich hier aus ſchlechtbezahlten Richtern,
Beamten, Schullehrern, Studenten, einem Teil
der ebenfalls ſchlechtbezahlten Univerſitätsprofeſ-
ſoren und vielen Beamten a. D., die an den Ab-
bau haben glauben müſſen. Ueber parteiiſche
Rechtſprechung und parteiiſche Handhabung der
Verwaltung wird viel geklagt. Und wenn man
den Anläſſen der zur Beſchwerde führenden Rich-
terſprüche und Amtsvornahmen auf den Grund
geht, findet man oft die angeblich auch anders-
wo exiſtierenden Zuſammenhänge von Haken-
kreuzlern im Amt und außer Amt.

Dieſes Stück Korruption wird Oeſterreich eli-
minieren müſſen, und es hat den Anſchein, als
ob es mit dem Penſum in abſehbarer Zeit fertig
würde. Nationalſozialismus und Kommunis-
mus ſind Reaktionen auf eine äußerſte Verzweif-
lungslage. Ein Volk von etwa ſechseinhalb Mil-
lionen Menſchen, worüber das heutige Oeſterreich
noch verfügt, ein Volk von ſeiner Kultur- und
Wirtſchaftsſtufe wird ſich ſchon eine Daſeinsform
zu ſchaffen wiſſen, innerhalb derer ſich die Deſpe-
radopolitiker ſozuſagen ſelbſt außerhalb der
Norm des Angebrachten ſtellen.

Deutſche Städtevertreter in Wien

Eine Abordnung der Teilneh-
mer der vom Deutſchen Städtetag arran-
gierten Studienreiſe erſchien geſtern zu
einem Empfang beim Bürgermeiſter Seitz, bei
dem dieſer ſeine Freude und Genugtuung darüber
ausſprach, daß die Brüder aus dem Reiche gekom-
men ſeien.

Er dankte für den Beſuch und gab der Ver-
ſicherung Ausdruck, daß das Denken und Fühlen
der Wiener darauf gerichtet ſei, wie ſich das
deutſche Volk aus dem jetzigen Elend wieder er-
heben wird. Er ſprach ferner ſeine Zuverſicht aus,
daß das deutſche Volk in der Welt wieder ſeine
Stellung finde, die ihm nach Kultur und Wiſſen-
ſchaft, nach Wirtſchaft und Kunſt gehöre. Er drückte
ſchließlich die Hoffnung aus, daß die frendſchaft-
lichen Beziehungen aller deutſchen Städte über
alle Grenzpfähle hinaus auch ferner fortbeſtehen
werden.

Oberbürgermeiſter Wißloff dankte für den
herzlichen Empfang, indem er ſagte, daß die
Deutſchen überzeugt waren, mit Freuden empfan-
gen zu werden. Er ſprach ſodann weiter über die
Einrichtungen der Stadt Wien und ſprach ſeine
größte Befriedigung über das Geſehene aus. Die
deutſchen Städte würden die gleiche Tatkraft, die
ſie in Wien geſehen hatten, aufbringen, um ſo
das Wiederaufbauwerk zu fördern. Es ſei ſeine
Ueberzeugung, daß das deutſche Volk ſich
wieder vereine.

[Spaltenumbruch]
Militär und Preſſe

In ſeiner geſtrigen Rede
beim Empfang der Teilnehmer des ſächſiſchen
Preſſetages führte General Müller unter
anderem aus:

Es bereite ihm beſondere Freude, gerade die
Vertreter der Auslandspreſſe begrüßen zu dürfen.
In Deutſchland habe man bisher leider den Wert
und Einfluß der Preſſe nicht immer
voll anerkannt.
Hätte man das getan, dann
wäre die Welt früher und rechtzeitiger über
die Urſachen des Weltkrieges aufge-
klärt
worden. Die Uebertragung der vollziehen-
den Gewalt habe ihm die Verpflichtung auferlegt,
Ruhe und Ordnung zu ſichern. Denjeni-
gen Deutſchen jedoch, welche leicht erworbenen
Gewinn im Auslande verpraſſen und dadurch den
deutſchen Namen ſchänden, ſollten die ausländi-
ſchen Journaliſten die Verelendigung der
deutſchen Heimat
verkündigen. Er bitte die
ausländiſchen Journaliſten dringend, in ihren
Preſſe mitzuteilen, daß in Sachſen wieder
Ruhe und Ordnung
eingekehrt ſei, damit
neue Aufträge und neue Arbeit ins Land kämen.

Der Vertreter einer holländiſchen Zeitung
dankte dem General für den überaus frendlichen
Empfang.

Abends verſammelten ſich die Gäſte im Foyer
des Staatsſchauſpielhauſes, wo ſie von dem Kul-
tusminiſter Dr. Kaiſer
begrüßt wurden.
In einer kleinen Anſprache ſagte die Miniſter,
die Kunſt entſpringe dem Geiſte des Volkes. Kunſt
ſei die einzige Macht, die die Länder wieder näher
zuſammenführen könne.

Die Tätigkeit des Sparkommiſſars

Über die Tätigkeit und die Er-
folge des im November 1922 als Sparkom-
miſſar
eingeſetzten früheren Miniſters Sä-
miſch
wird berichtet, daß es ſeiner Tätigkeit be-
reits gelungen ſei, in den Perſonalausgaben des
Reichs eine Erſparnis von rund 83 Mil-
lionen Goldmark
zu erzielen. Die Zahl der
im Reich bisher Ausgeſchiedenen beträgt insge-
ſamt 54000. Um dieſes Ziel zu erreichen, muß-
ten die Zuſtändigkeiten des Sparkommiſſars aller-
dings beträchtlich erweitert werden.

Beamtenabbau und Siedelung

Der preußiſche Landtagsabgeordnete Graf Al-
brecht zu Stolberg-Wernigerode
(D.
Vp.) hat an den Arbeitsminiſter Dr. Brauns
ein Schreiben gerichtet, in dem er den Vorſchlag
macht, Beamte, die entlaſſen werden müſſen, anzu-
ſiedeln.

In dem Schreiben des für dieſe Fragen als ſehr
ſachverſtändig anzuſehenden oſtpreußiſchen Groß-
grundbeſitzers heißt es:

Die Länder ſind im Beſitz großer zur Siede-
lung geeigneter Moor- und Oedländereien. Auch
im Privatbeſitz befinden ſich zur Siedlung
geeignete Oedländereien. Aber auch vor einer ſtär-
keren Erfaſſung von bereits in Kultur befind-
lichem Lande, ſoweit es im Großbetrieb bewirt-
ſchaftet wird, wird man in dieſem Falle nicht zu-
rückſchrecken dürfen, zumal man hiermit gleich
zwei wichtigen Aufgaben des Reiches und der
Länder, der Unterbringung entlaſſe-
ner Beamten
und der im Staatsintereſſe ſo
ſehr wichtigen Siedlung, gerecht wird. Ich rege
deshalb an, das Flüchtlings-Siedlungsgeſetz auch
auf die abzubauenden Beamten auszudehnen.
Ein dreifaches wäre dabei zu berückſichtigen:
1. muß natürlich die Summe von 40 000 Hektar
entſprechend erhöht werden, 2. müſſen ſämt-
liche
im Privatbeſitz befindliche Oedländereien,
3. ſämtliche im Beſitz der Länder befindliche
zur Kultivierung und Siedlung geeignete Moor-
und Oedländereien unter dieſes Geſetz geſtellt wer-
den.

Graf Stolberg bemerkt zum Schluß, daß er
ſelbſt, um ein Beiſpiel zu geben, ein Gut aus
ſeinem Beſitz der Oſtpreußiſchen Landgeſellſchaft
in Königsberg zur Beamtenſiedlung
angeboten
habe

[Spaltenumbruch]


[Spaltenumbruch]
Die Frau in der Politik

Ich bin gebeten worden, über dieſes Thema mich
zu äußern. Es iſt faſt zu einfach. Am beſten, man
zählt nur Tatſachen auf oder ſtellt Fragen be-
treffs dieſer Tatſachen wie zum Beiſpiel: Was
hat man aus der Politik werden laſſen? Unter
weſſen Regie wurde ſie ein ſo rückläufiges, rück-
ſtändiges und unmenſchliches Etwas? Wer hat
ſo famoſe Sachen wie „Parteipreſſe“ und „Partei-
politik“ — von der Bezeichnung allein ſchon ſollte
man genug haben! — ins Leben gerufen?

Dieſe Dinge tragen alle — es läßt ſich nicht
leugnen — die Signatur des Mannes. Der Kar-
ren, der heute ſo verfahren daliegt, es iſt der
ſeine. Nach ſeinem Dafürhalten iſt es zwar noch
immer ſeine eigenſte Sache, ihn zu lenken. O ja,
es iſt Sache ſeiner eigenſten Weisheit, wie er
ihn führte.

Laßt uns ſcherzhaft ſein. Es iſt heute das Beſte.

Schon von ſo altersgrauen Damen her, wie
Dido und Semiramis, hat es kaum eine mittel-
mäßige Herrſcherin gegeben. Das Regieren wäre
alſo gar nicht ſo ſchwer, oder die Frau iſt zu ſo
ſchweren Aemtern geboren.

Nicht der Zuſammenbruch dieſes oder jenes
Landes wird die große Vergeltung des letzten
Krieges ſein, Gottes Mühlen mahlen nicht in die-
ſem Tempo. Es ſchlagen ihre Flügel über gewon-
nene und verlorene Kriege hin, als wären ſie
nicht. Das Urteil iſt längſt gefällt, mögen ſo
manche Dezenien vergehen, bevor es zur Aus-
wirkung gelangt. Die große Abdikation des Man-
nes iſt im vollen Anzug, auch wenn er ſie noch
[Spaltenumbruch] nicht wahr haben will. Welche Genugtuung hat es
ihm bereitet, die Frau zu ihm aufblicken zu ſehen!
Damit iſt es auf Jahrhunderte vorbei. Viel enger
als er es noch ahnt, hängt ihre Unabhängigkeits-
erklärung mit der Art und Weiſe zuſammen, in
welcher das Selbſtbeſtimmungsrecht der Völker
verwirklicht wurde.

Ich will uns nicht beſchönigen. Wir ſind noch
reichlich öde. Wir neigen zur Albernheit. Der
Mann iſt dumm. Sollte jedoch die Albernheit
am Ende heilbarer ſein als die Dummheit, gegen
welche die Götter ...

Laßt uns ſcherzhaft ſein. Es iſt heute unſere
letzte Rettung.

Ende 1916, als in Deutſchland die Lebensmittel
immer knapper wurden, gelang es der Familie
eines Rector Magnificus, ſich in den Beſitz einer
Gans zu ſetzen. Auf daß ſie nicht Zeitlang hätte
und vom Fleiſche fiele, ſtellte man ihr den ganzen
Garten zur Verfügung. Sie dehnte ihre Prome-
naden täglich weiter aus, ſuchte aber dann ganz
aus freien Stücken das Souterrain wieder auf,
in dem die Küche lag. Die Köchin, die ſich auch ein-
ſam fühlte, ſchloß ſich ihr an. Der Springbrunnen
hatte die übliche Einfaſſung aus glattem Stein.
Dieſe Ringbahn erwählte die Gans zu ihrem
Boulevard; ein bißchen verzaubert, ein bißchen
geiſteskrank, aber empfänglich für Ideen, vollzog
ſie ungezählte Rundgänge. Hie und da ein
Schlückchen aus dem Baſſin, dann begab ſie ſich
bedächtigen Trittes wieder zur Köchin. Sie hatte
aufgehört, eine Gans unter Gänſen zu ſein, und
es konnte kein Zweifel mehr beſtehen: ſie evo-
luierte.

Das Ende war kraß. Die Köchin, welche auf
die Anhänglichkeit des Tieres ſchwur, weigerte
[Spaltenumbruch] ſich, es umzubringen, und kündigte. Die Damen
des Hauſes ſtellten ſich auf ihre Seite. In ſeiner
Ungeduld packte es zuletzt der Rector Magnificus
ſelber beim Kragen.

Warum ich dies erzähle? — im Hinblick des ſo
oft gebrauchten Sinnbildes natürlich. Und weil
der Eſel immer ein Eſel bleibt. Er wird ſich be-
ſcheiden müſſen. Weil er ſo ſtur iſt, nur deshalb
glaube ich, daß die Gänſe ihre Chance haben
werden. Nichts kann mehr ihren Aufſtieg hint-
anhalten.

Neue Architektur

Auf die „Eingabspläne“ Gärtners zum Wittels-
bacher Palais ſchrieb Ludwig 1. am 2. März 1844
die eigenhändige Bemerkung, daß wegen der ho-
hen Koſten der Bau nur dreigeſchoſſig ausgeführt
werden ſolle, dabei jedoch die Möglichkeit eines
vierten Geſchoſſes vorgeſehen werden wolle, mit
der offenherzigen Begründung „daß einmal eine
beträchtliche Zahl Kinder es erforderlich machen
würde“. Der König wäre wohl baß verwundert,
wenn er heute, nach kaum achtzig Jahren, ſtatt
eines Geſchoßaufbaues für ſeine Kinder einen mit
allen techniſchen Schikanen ausgeſtatteten Bank-
palaſt für fünfhundert Beamte in ſeinem Gar-
ten vorfinden würde.

Das neue Haus der Diskonto-Geſell-
ſchaft
an der Briennerſtraße iſt der Typ des
vornehmen, modernen Bankgebäudes, repräſenta-
tiv im Aeußeren, überſichtlich und praktiſch als
Bauorganismus, techniſch vervollkommnet bis zum
Letztmöglichen. Veſtibül, Treppen, Schalterhalle,
Direktionsräume, Büros uſw. ſind im Raummaß,
in der Dispoſition und Ausſtattung vorbildlich.
Max Littmann hat ſich hier — wie ſchon ſo oft
— als ſouveräner Baupraktiker gezeigt; die Fir-
ma Heilmann & Littmann hat ihre Leiſtungs-
fähigkeit auch in ſchwierigſten Zeitverhältniſſen
bewährt. Neben den techniſchen Einrichtungen des
Hauſes (wie Funkſpruchſtation, Rohrpoſtanlage,
automatiſches Haustelephon. Fernſchreiber. Pump-
[Spaltenumbruch] anlage) verdient beſonders die ſogenannte
„Schachteltreppe“ Beachtung, das iſt eine Doppel-
treppe, die in zwei getrennten Läufen unterein-
ander zum dritten Stock führt.

Städtebaulich intereſſiert natürlich vor allem
das Aeußere. Der Baukomplex im großen und
ganzen hat zweifellos — beſonders wenn man von
der Ottoſtraße kommt — Haltung. Im Detail
freilich kann man ſich einiges anders wünſchen:
die Vaſen ſind faſt zu dick geraten, der Haus-
ſockel erſcheint etwas ſchwächlich, die Dachfenſter
— wie auch das Balkongeſims — vielleicht ein
wenig zu plump. Bei allem Können, das ſich im
großen Wurf kundgibt, fehlt doch das „gewiſſe
Etwas“, das man an dieſer prominenten Stelle
der Stadt ſo ungern entbehrt, und das z. B. das
benachbarte Almeidapalais zwar diskret, aber ge-
rade deshalb ſo überzeugend an ſich hat. Es mag
das zum guten Teil im Zeitgeiſt liegen; trotzdem
glaube ich, daß es z. B. ein Theodor Fiſcher, ein
Beſtelmetzer oder ein Bieber hätten ſchaffen kön-
nen — das „gewiſſe Etwas“.

War es ein Feigenblatt?

In der Wiener Volks-
oper ſollte in dieſen Tagen die Uraufführung eines
pantomimiſchen Spieles „Adam und Eva“ ſtattfinden.
Auf der Generalprobe kam es jedoch zu einem Zwi-
ſchenfall, der die Abſetzung des Stückes ſchon vor der
Premiere zur Folge hatte. Am Dirigentenpulte ſaß
Direktor v. Weingartner. Als ſich der Vor-
hang hob und die paradieſiſche Landſchaft mit der von
Frau Lanik verkörperten Eva zeigte, rief ſchon nach
wenigen Sekunden der Direktor: „Vorhang runter!“

Das paradieſiſche Koſtüm der Eva war ſeiner Mei-
nung nach doch allzuſehr der Wirklichkeit nahegekom-
men. Die Künſtlerin, die die Eva ſpielte, verwahrte
ſich jedoch entſchieden gegen den ihr gemachten Vor-
wurf der Koſtümloſigkeit und erklärte, ſie könne die
Eva doch nicht im Frack darſtellen. Dieſer Anſicht
konnte ſich zwar Direktor v. Weingartner nicht ver-
ſchließen, aber die Premiere wurde trotzdem abgeſetzt.
Es iſt fraglich, wann ſie jetzt ſtattfinden wird; der
Streit über Evas Koſtüm ſcheint doch ſchwer zu löſen
au ſein.

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[Seite 2[2]/0002] Allgemeine Zeitung. Nr. 15 Montag, den 14. Januar 1924 wenn es durch die Weltlage, zu der auch Deutſchland durch geſchickte Politik beitra- gen kann, gezwungen würde, ſeine wahre Politik der Eroberung preiszugeben und an ihrer Stelle eine wirkliche Politik der Reparation treten laſſen müßte, die von geſunden, auch für Deutſchland er- träglichen Wirtſchaftsgrundſätzen ge- tragen wäre. Dann hätte Frankreich den Krieg verloren. Das weiß Poin- caré und deshalb ſeine ſcheinheilige Tak- tik. Aber Poincaré iſt zäh und ſo leicht läßt er ſich nicht von ſeinem Ziele abbrin- gen. Deshalb iſt auch die Note, man mag ſie ſonſt beurteilen wie man will, wieder nur eine weitere Etappe auf dem lang- ſamen Wege zur neuen deutſchen Freiheit. Beſonders beachtenswert iſt auch immer die Rolle, die Belgien dabei zugeteilt wird. Belgien iſt ja ſchließlich von dem ganzen Ruhrverbrechen noch etwas ſtärker berührt, ſchon weil es näher daran iſt und die wirtſchaftlichen Beziehungen ſtär- kere waren. Belgien hat daher in der letz- ten Zeit immer etwas höflicher ſchrei- ben dürfen im Verkehr mit dem Boche. Und auch bei dieſer Note hört man ja wieder, daß die belgiſche Antwort in Ton und Form an- ſtändiger ſei wie die franzöſiſche. Es iſt ja immerhin erfreulich, daß die Formen des internationaleu Verkehrs wenigſtens von den kleineren Völkern wieder etwas mehr gepflegt werden. Die großen, oder gar Frankreich haben das ja noch nicht ſo nötig. Die Stellung Deutſchlands iſt klar. Wenn dieſe mündlichen Erklärungen zur Note ernſt gemeint wären, wohinter wir zum Schutze gegen weitere Enttäuſchungen ein recht großes Fra- gezeichen machen möchten, dann kann die Reichsregierung auf ihre ſchon wieder- holt gemachten Anerbieten verweiſen. Würde ſie außerdem die Notwendigkeit der endgültigen Feſtſetzung einer erträglichen Reparationsſum- me und damit im Zuſammenhang die Not- wendigkeit einer internationalen Anleihe für Deutſchland beſonders be- tonen, ſo müßte das böswillige Geſchwätz vom böswilligen Schuldner endlich ver- ſtummen. Freilich Vorſchläge ſchlechthin darf Deutſchland heute nicht machen. Wir müſſen unſere Bedingungen ſtellen. Man hat uns Unrecht getan, man hat deut- ſches Eigentum mitten im Frieden ge- raubt, hat deutſche Volksgenoſſen aus ihrer Heimat vertrieben und ſie in franzöſiſche Kerker verſchleppt, hat friedliche arbeitſame Bürger mit Peitſche und Bajonetten trak- tiert —, deshalb iſt uns gewiß kein mate- rielles Opfer zu groß, die deutſche Freiheit wiederzugewinnen, aber ſinn- loſe Opfer, die ihren Zweck doch nicht erreichen, wollen wir nicht bringen. Deshalb keine Vorſchläge ohne Bedingungen! Faſcismus und Hakenkreuz Innsbrucker Brief. Dr. Bruno Altmann In grandioſen und in weniger imponierenden Aeußerlichkeiten merkt man hier italieniſche Nähe. Innsbruck und ſein Hinterland iſt ſozuſagen ein Vorhof von Italien. Landſchaft und Bauart ge- hen allmählich in den italieniſchen Stil über, man hört viel italieniſch ſprechen, und ein Teil der öſterreichiſchen Bevölkerung verſteht ſich auf die Sprache des ſüdlichen Nachbars. Soweit iſt das alles gut zu ertragen, und die Nordtiroler haben auch mit den Italienern ihren modus vivendi gefunden. Ein paar Meilen weiter beginnt die Irredenta, und da zeigt der Faſ- cismus ſeine Zähne. Was für harmloſe Wai- ſenknaben waren doch die kaiſerlich deutſchen Machthaber von ehemals in ihrer Verdeutſchungs- politik gegenüber Lothringern, Dänen und Polen im Vergleich zu den faſciſtiſchen Methoden, die angegliederten Gebiete reſtlos und Hals über Kopf zu italieniſieren! Eine radikale Auswei- ſungspraxis beſeitigt nach und nach alle Bevölke- rungselemente, die nicht ſchon Jahr und Tag in den abgetretenen Gebieten wohnen. Beamte und Lehrer öſterreichiſcher Herkunft ſind bis auf einen kleinſten Reſt durch itaheniſche Kollegen erſetzt, Aufenthaltserlaubnis zu Arbeitszwecken erhält kein deutſcher oder öſterreichiſcher Staatsbürger, wofern noch ein Italiener dieſer Gegend in dem gleichen Erwerbszweig Beſchäftigung ſucht. Ganz ſchlimm ergeht es Leuten, die in den Verdacht ir- redentiſtiſcher Propaganda kommen. Das erſte iſt ihre Verhaftung. Gewöhnlich ſind faſciſtiſche Trupps zugegen und nötigen den in Ketten ge- legten Arreſtanten ein Fläſchchen Rhizinus zu leeren. Die verhaftenden Karabinieri pflegen, ſoweit ſich das mit ihren Vorſchriften verträgt, milde umzugehen. In ein paar Stunden, tröſten ſie den Feſtgenommenen, wird der Zwiſchenfall erledigt ſein. Der Unglückliche wartet ebenſoviele Tage, aber noch hat er keine Gelegenheit, ſich in einem Verhör zu rechtfertigen. Der Verkehr mit ſeiner konſulariſchen Behörde wird ihm unter- ſagt. Nach etwa acht Tagen ſagt man ihm die Wahrheit: die Erledigung ſeines Falles ginge nicht ſo ſchnell, die Akten würden erſt nach Rom geſchickt, und von dort bekomme man Weiſung, was zu tun ſei. Wenn die Sache gut abgeht, ſitzt der Arreſtant ſeine fünf bis ſechs Wochen, ehe er verhört wird; ich kenne Leute, die neunzig Tage auf ihre erſte Vernehmung gewartet ha- ben. Eine Denunziation kann jedem Richtita- liener alle dieſe Ungeheuerlichkeiten verſchaffen, und ſelbſtverſtändlich iſt die Denunziation an der Tagesordnung. In Rom kommt man von dieſen Bravourerien der faſciſtiſchen Angliederungspolitik allmählich ab. Auf die Intervention öſterreichiſcher Frauen, welche von Engländerinnen und Amerikanerin- nen unterſtützt war, hat ſich der Kultusminiſter zur Zulaſſung des Unterrichts in deutſcher Spra- che bereit erklärt; der Innenminiſter hat die Zu- rücknahme der ſchärfſten Aufſichtsverfügungen angeordnet. Nun zeigte ſich hier aber eine ähn- liche Entwicklung der Machtverhältniſſe, wie ſie in Rußland von allen Reiſenden geſchildert wird: die eigentliche Gewalt liegt weniger innerhalb der Zentralleitung, als bei den lokalen Amts- größen. Die Muſſolini, Finzi uſw. können viel verfügen, es geſchieht das, was in den Städten und Dörfern die Polizeihauptleute wollen. Da- bei geht ein geradezu „dialektiſcher Prozeß“ vor ſich. Die Zentralmachthaber müſſen, ſofern ſie eine Revolution an die Spitze gebracht hat, im- mer ſehr viel von ihren Programmpunkten nach- laſſen. Wieviel haben nicht Lenin dort und Muſ- ſolini hier von ihren Prinzipien preisgegeben, jener im ſozialen Innenprogramm, dieſer in der Außenpolitik! Die nachgeordneten Amtsperſonen, welche zu ihren Poſten auf Grund des urſprüng- lichen Programms gekommen ſind, können ſich den Luxus geſtatten, bei dieſen Grundſätzen zu bleiben. Auf dieſe Weiſe regieren die Diſtrikts- größen in Rußland bolſchewiſtiſcher als Lenin, und die Ortsmachthaber im ticoliſchen Italien faſciſtiſchen als Muſſolini. Dabei entſteht ſehr leicht politiſche Gegnerſchaft zwiſchen den vom ur- ſprünglichen Programm abgegangenen Zentral- machthabern und den ſtandhaft gebliebenen Un- terbeamten. Kommt nun eine Verordnung her- aus, wie diejenige des italieniſchen Kultusmini- ſters oder ſeines Kollegen vom Innenminiſterium, ſo wird ſie glatt ignoriert. Der Unterricht wird alſo weiter in italieniſcher Sprache erteilt, die Aufſichtsmaßnahmen bleiben weiter überſchärft ſtreng. Südtirol leidet vorläufig weiter unter dem Faſcismus. Davon hat der Nationalſozialismus in Tirol profitiert. Die Parteileitung hat zuerſt heftige Anſtrengungen gemacht, um die faſciſtiſche Bewegung mit der nat.-ſoz. Richtung zu ver- binden. Als Muſſolini ihr den Abſagebrief ſchickte, ſpielte ſie ſich als der Anwalt gegen den italieniſchen Hypernationalismus und Imperia- lismus auf. Allzu tragiſch wird das Muſſolini freilich nicht nehmen, denn ein Machtfaktor ſind die Nationalſozialiſten nicht einmal für Oeſter- reich ſo recht geworden. Es langt gerade, um al- lerhand Stänkereien und Skandale zu verüben, um in das geſamte Geſellſchaftsleben einen kor- rupten Zug und viel Verhetzung hineinzubrin- gen. Weiter nicht. Die Nationalſozialiſten re- krutieren ſich hier aus ſchlechtbezahlten Richtern, Beamten, Schullehrern, Studenten, einem Teil der ebenfalls ſchlechtbezahlten Univerſitätsprofeſ- ſoren und vielen Beamten a. D., die an den Ab- bau haben glauben müſſen. Ueber parteiiſche Rechtſprechung und parteiiſche Handhabung der Verwaltung wird viel geklagt. Und wenn man den Anläſſen der zur Beſchwerde führenden Rich- terſprüche und Amtsvornahmen auf den Grund geht, findet man oft die angeblich auch anders- wo exiſtierenden Zuſammenhänge von Haken- kreuzlern im Amt und außer Amt. Dieſes Stück Korruption wird Oeſterreich eli- minieren müſſen, und es hat den Anſchein, als ob es mit dem Penſum in abſehbarer Zeit fertig würde. Nationalſozialismus und Kommunis- mus ſind Reaktionen auf eine äußerſte Verzweif- lungslage. Ein Volk von etwa ſechseinhalb Mil- lionen Menſchen, worüber das heutige Oeſterreich noch verfügt, ein Volk von ſeiner Kultur- und Wirtſchaftsſtufe wird ſich ſchon eine Daſeinsform zu ſchaffen wiſſen, innerhalb derer ſich die Deſpe- radopolitiker ſozuſagen ſelbſt außerhalb der Norm des Angebrachten ſtellen. Deutſche Städtevertreter in Wien * Wien, 12. Jan. Eine Abordnung der Teilneh- mer der vom Deutſchen Städtetag arran- gierten Studienreiſe erſchien geſtern zu einem Empfang beim Bürgermeiſter Seitz, bei dem dieſer ſeine Freude und Genugtuung darüber ausſprach, daß die Brüder aus dem Reiche gekom- men ſeien. Er dankte für den Beſuch und gab der Ver- ſicherung Ausdruck, daß das Denken und Fühlen der Wiener darauf gerichtet ſei, wie ſich das deutſche Volk aus dem jetzigen Elend wieder er- heben wird. Er ſprach ferner ſeine Zuverſicht aus, daß das deutſche Volk in der Welt wieder ſeine Stellung finde, die ihm nach Kultur und Wiſſen- ſchaft, nach Wirtſchaft und Kunſt gehöre. Er drückte ſchließlich die Hoffnung aus, daß die frendſchaft- lichen Beziehungen aller deutſchen Städte über alle Grenzpfähle hinaus auch ferner fortbeſtehen werden. Oberbürgermeiſter Wißloff dankte für den herzlichen Empfang, indem er ſagte, daß die Deutſchen überzeugt waren, mit Freuden empfan- gen zu werden. Er ſprach ſodann weiter über die Einrichtungen der Stadt Wien und ſprach ſeine größte Befriedigung über das Geſehene aus. Die deutſchen Städte würden die gleiche Tatkraft, die ſie in Wien geſehen hatten, aufbringen, um ſo das Wiederaufbauwerk zu fördern. Es ſei ſeine Ueberzeugung, daß das deutſche Volk ſich wieder vereine. Militär und Preſſe Dresden, 12. Jan. In ſeiner geſtrigen Rede beim Empfang der Teilnehmer des ſächſiſchen Preſſetages führte General Müller unter anderem aus: Es bereite ihm beſondere Freude, gerade die Vertreter der Auslandspreſſe begrüßen zu dürfen. In Deutſchland habe man bisher leider den Wert und Einfluß der Preſſe nicht immer voll anerkannt. Hätte man das getan, dann wäre die Welt früher und rechtzeitiger über die Urſachen des Weltkrieges aufge- klärt worden. Die Uebertragung der vollziehen- den Gewalt habe ihm die Verpflichtung auferlegt, Ruhe und Ordnung zu ſichern. Denjeni- gen Deutſchen jedoch, welche leicht erworbenen Gewinn im Auslande verpraſſen und dadurch den deutſchen Namen ſchänden, ſollten die ausländi- ſchen Journaliſten die Verelendigung der deutſchen Heimat verkündigen. Er bitte die ausländiſchen Journaliſten dringend, in ihren Preſſe mitzuteilen, daß in Sachſen wieder Ruhe und Ordnung eingekehrt ſei, damit neue Aufträge und neue Arbeit ins Land kämen. Der Vertreter einer holländiſchen Zeitung dankte dem General für den überaus frendlichen Empfang. Abends verſammelten ſich die Gäſte im Foyer des Staatsſchauſpielhauſes, wo ſie von dem Kul- tusminiſter Dr. Kaiſer begrüßt wurden. In einer kleinen Anſprache ſagte die Miniſter, die Kunſt entſpringe dem Geiſte des Volkes. Kunſt ſei die einzige Macht, die die Länder wieder näher zuſammenführen könne. Die Tätigkeit des Sparkommiſſars Berlin, 12. Jan. Über die Tätigkeit und die Er- folge des im November 1922 als Sparkom- miſſar eingeſetzten früheren Miniſters Sä- miſch wird berichtet, daß es ſeiner Tätigkeit be- reits gelungen ſei, in den Perſonalausgaben des Reichs eine Erſparnis von rund 83 Mil- lionen Goldmark zu erzielen. Die Zahl der im Reich bisher Ausgeſchiedenen beträgt insge- ſamt 54000. Um dieſes Ziel zu erreichen, muß- ten die Zuſtändigkeiten des Sparkommiſſars aller- dings beträchtlich erweitert werden. Beamtenabbau und Siedelung Der preußiſche Landtagsabgeordnete Graf Al- brecht zu Stolberg-Wernigerode (D. Vp.) hat an den Arbeitsminiſter Dr. Brauns ein Schreiben gerichtet, in dem er den Vorſchlag macht, Beamte, die entlaſſen werden müſſen, anzu- ſiedeln. In dem Schreiben des für dieſe Fragen als ſehr ſachverſtändig anzuſehenden oſtpreußiſchen Groß- grundbeſitzers heißt es: Die Länder ſind im Beſitz großer zur Siede- lung geeigneter Moor- und Oedländereien. Auch im Privatbeſitz befinden ſich zur Siedlung geeignete Oedländereien. Aber auch vor einer ſtär- keren Erfaſſung von bereits in Kultur befind- lichem Lande, ſoweit es im Großbetrieb bewirt- ſchaftet wird, wird man in dieſem Falle nicht zu- rückſchrecken dürfen, zumal man hiermit gleich zwei wichtigen Aufgaben des Reiches und der Länder, der Unterbringung entlaſſe- ner Beamten und der im Staatsintereſſe ſo ſehr wichtigen Siedlung, gerecht wird. Ich rege deshalb an, das Flüchtlings-Siedlungsgeſetz auch auf die abzubauenden Beamten auszudehnen. Ein dreifaches wäre dabei zu berückſichtigen: 1. muß natürlich die Summe von 40 000 Hektar entſprechend erhöht werden, 2. müſſen ſämt- liche im Privatbeſitz befindliche Oedländereien, 3. ſämtliche im Beſitz der Länder befindliche zur Kultivierung und Siedlung geeignete Moor- und Oedländereien unter dieſes Geſetz geſtellt wer- den. Graf Stolberg bemerkt zum Schluß, daß er ſelbſt, um ein Beiſpiel zu geben, ein Gut aus ſeinem Beſitz der Oſtpreußiſchen Landgeſellſchaft in Königsberg zur Beamtenſiedlung angeboten habe Die Frau in der Politik Von Annelle Kolb. Ich bin gebeten worden, über dieſes Thema mich zu äußern. Es iſt faſt zu einfach. Am beſten, man zählt nur Tatſachen auf oder ſtellt Fragen be- treffs dieſer Tatſachen wie zum Beiſpiel: Was hat man aus der Politik werden laſſen? Unter weſſen Regie wurde ſie ein ſo rückläufiges, rück- ſtändiges und unmenſchliches Etwas? Wer hat ſo famoſe Sachen wie „Parteipreſſe“ und „Partei- politik“ — von der Bezeichnung allein ſchon ſollte man genug haben! — ins Leben gerufen? Dieſe Dinge tragen alle — es läßt ſich nicht leugnen — die Signatur des Mannes. Der Kar- ren, der heute ſo verfahren daliegt, es iſt der ſeine. Nach ſeinem Dafürhalten iſt es zwar noch immer ſeine eigenſte Sache, ihn zu lenken. O ja, es iſt Sache ſeiner eigenſten Weisheit, wie er ihn führte. Laßt uns ſcherzhaft ſein. Es iſt heute das Beſte. Schon von ſo altersgrauen Damen her, wie Dido und Semiramis, hat es kaum eine mittel- mäßige Herrſcherin gegeben. Das Regieren wäre alſo gar nicht ſo ſchwer, oder die Frau iſt zu ſo ſchweren Aemtern geboren. Nicht der Zuſammenbruch dieſes oder jenes Landes wird die große Vergeltung des letzten Krieges ſein, Gottes Mühlen mahlen nicht in die- ſem Tempo. Es ſchlagen ihre Flügel über gewon- nene und verlorene Kriege hin, als wären ſie nicht. Das Urteil iſt längſt gefällt, mögen ſo manche Dezenien vergehen, bevor es zur Aus- wirkung gelangt. Die große Abdikation des Man- nes iſt im vollen Anzug, auch wenn er ſie noch nicht wahr haben will. Welche Genugtuung hat es ihm bereitet, die Frau zu ihm aufblicken zu ſehen! Damit iſt es auf Jahrhunderte vorbei. Viel enger als er es noch ahnt, hängt ihre Unabhängigkeits- erklärung mit der Art und Weiſe zuſammen, in welcher das Selbſtbeſtimmungsrecht der Völker verwirklicht wurde. Ich will uns nicht beſchönigen. Wir ſind noch reichlich öde. Wir neigen zur Albernheit. Der Mann iſt dumm. Sollte jedoch die Albernheit am Ende heilbarer ſein als die Dummheit, gegen welche die Götter ... Laßt uns ſcherzhaft ſein. Es iſt heute unſere letzte Rettung. Ende 1916, als in Deutſchland die Lebensmittel immer knapper wurden, gelang es der Familie eines Rector Magnificus, ſich in den Beſitz einer Gans zu ſetzen. Auf daß ſie nicht Zeitlang hätte und vom Fleiſche fiele, ſtellte man ihr den ganzen Garten zur Verfügung. Sie dehnte ihre Prome- naden täglich weiter aus, ſuchte aber dann ganz aus freien Stücken das Souterrain wieder auf, in dem die Küche lag. Die Köchin, die ſich auch ein- ſam fühlte, ſchloß ſich ihr an. Der Springbrunnen hatte die übliche Einfaſſung aus glattem Stein. Dieſe Ringbahn erwählte die Gans zu ihrem Boulevard; ein bißchen verzaubert, ein bißchen geiſteskrank, aber empfänglich für Ideen, vollzog ſie ungezählte Rundgänge. Hie und da ein Schlückchen aus dem Baſſin, dann begab ſie ſich bedächtigen Trittes wieder zur Köchin. Sie hatte aufgehört, eine Gans unter Gänſen zu ſein, und es konnte kein Zweifel mehr beſtehen: ſie evo- luierte. Das Ende war kraß. Die Köchin, welche auf die Anhänglichkeit des Tieres ſchwur, weigerte ſich, es umzubringen, und kündigte. Die Damen des Hauſes ſtellten ſich auf ihre Seite. In ſeiner Ungeduld packte es zuletzt der Rector Magnificus ſelber beim Kragen. Warum ich dies erzähle? — im Hinblick des ſo oft gebrauchten Sinnbildes natürlich. Und weil der Eſel immer ein Eſel bleibt. Er wird ſich be- ſcheiden müſſen. Weil er ſo ſtur iſt, nur deshalb glaube ich, daß die Gänſe ihre Chance haben werden. Nichts kann mehr ihren Aufſtieg hint- anhalten. Neue Architektur Auf die „Eingabspläne“ Gärtners zum Wittels- bacher Palais ſchrieb Ludwig 1. am 2. März 1844 die eigenhändige Bemerkung, daß wegen der ho- hen Koſten der Bau nur dreigeſchoſſig ausgeführt werden ſolle, dabei jedoch die Möglichkeit eines vierten Geſchoſſes vorgeſehen werden wolle, mit der offenherzigen Begründung „daß einmal eine beträchtliche Zahl Kinder es erforderlich machen würde“. Der König wäre wohl baß verwundert, wenn er heute, nach kaum achtzig Jahren, ſtatt eines Geſchoßaufbaues für ſeine Kinder einen mit allen techniſchen Schikanen ausgeſtatteten Bank- palaſt für fünfhundert Beamte in ſeinem Gar- ten vorfinden würde. Das neue Haus der Diskonto-Geſell- ſchaft an der Briennerſtraße iſt der Typ des vornehmen, modernen Bankgebäudes, repräſenta- tiv im Aeußeren, überſichtlich und praktiſch als Bauorganismus, techniſch vervollkommnet bis zum Letztmöglichen. Veſtibül, Treppen, Schalterhalle, Direktionsräume, Büros uſw. ſind im Raummaß, in der Dispoſition und Ausſtattung vorbildlich. Max Littmann hat ſich hier — wie ſchon ſo oft — als ſouveräner Baupraktiker gezeigt; die Fir- ma Heilmann & Littmann hat ihre Leiſtungs- fähigkeit auch in ſchwierigſten Zeitverhältniſſen bewährt. Neben den techniſchen Einrichtungen des Hauſes (wie Funkſpruchſtation, Rohrpoſtanlage, automatiſches Haustelephon. Fernſchreiber. Pump- anlage) verdient beſonders die ſogenannte „Schachteltreppe“ Beachtung, das iſt eine Doppel- treppe, die in zwei getrennten Läufen unterein- ander zum dritten Stock führt. Städtebaulich intereſſiert natürlich vor allem das Aeußere. Der Baukomplex im großen und ganzen hat zweifellos — beſonders wenn man von der Ottoſtraße kommt — Haltung. Im Detail freilich kann man ſich einiges anders wünſchen: die Vaſen ſind faſt zu dick geraten, der Haus- ſockel erſcheint etwas ſchwächlich, die Dachfenſter — wie auch das Balkongeſims — vielleicht ein wenig zu plump. Bei allem Können, das ſich im großen Wurf kundgibt, fehlt doch das „gewiſſe Etwas“, das man an dieſer prominenten Stelle der Stadt ſo ungern entbehrt, und das z. B. das benachbarte Almeidapalais zwar diskret, aber ge- rade deshalb ſo überzeugend an ſich hat. Es mag das zum guten Teil im Zeitgeiſt liegen; trotzdem glaube ich, daß es z. B. ein Theodor Fiſcher, ein Beſtelmetzer oder ein Bieber hätten ſchaffen kön- nen — das „gewiſſe Etwas“. Herman Sörgel War es ein Feigenblatt? In der Wiener Volks- oper ſollte in dieſen Tagen die Uraufführung eines pantomimiſchen Spieles „Adam und Eva“ ſtattfinden. Auf der Generalprobe kam es jedoch zu einem Zwi- ſchenfall, der die Abſetzung des Stückes ſchon vor der Premiere zur Folge hatte. Am Dirigentenpulte ſaß Direktor v. Weingartner. Als ſich der Vor- hang hob und die paradieſiſche Landſchaft mit der von Frau Lanik verkörperten Eva zeigte, rief ſchon nach wenigen Sekunden der Direktor: „Vorhang runter!“ Das paradieſiſche Koſtüm der Eva war ſeiner Mei- nung nach doch allzuſehr der Wirklichkeit nahegekom- men. Die Künſtlerin, die die Eva ſpielte, verwahrte ſich jedoch entſchieden gegen den ihr gemachten Vor- wurf der Koſtümloſigkeit und erklärte, ſie könne die Eva doch nicht im Frack darſtellen. Dieſer Anſicht konnte ſich zwar Direktor v. Weingartner nicht ver- ſchließen, aber die Premiere wurde trotzdem abgeſetzt. Es iſt fraglich, wann ſie jetzt ſtattfinden wird; der Streit über Evas Koſtüm ſcheint doch ſchwer zu löſen au ſein.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-12-19T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 13, 14. Januar 1924, S. Seite 2[2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine13_1924/2>, abgerufen am 21.11.2024.