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Allgemeine Zeitung, Nr. 14, 17. Januar 1929.

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Donnerstag, den 17. Januar "AZ am Abend" Nr. 14
Im dunkelsten Amerika

Ein Prozeß enthüllt unglaubliche Zustände

Die Stadt York in dem nordamerikani-
schen Staate Pennsylvanien ist ein moder-
ner Wohnort mit schönen Gebäuden und
lebhafter Industrie. Sie ist der Mittelpunkt
einer blühenden Farmwirtschaft und besitzt
Bildungsanstalten in reicher Zahl. Und doch
befindet man sich hier im dunkelsten Ame-
rika. York war in den letzten Tagen der
Schauplatz eines Prozesses, der einen Ein-
blick
in die tiefsten Abgründe des Hexen-
und Aberglaubens

gewährte. John Blymyer, ein sogenannter
"Pow-Wow" oder Hexendoktor, hatte den
Farmer Rehmeyer, in dem er einen Rivalen
auf dem Gebiete der schwarzen Magik ver-
mutete, mit Hilfe von zwei jungen Män-
nern überfallen, bewußtlos geschlagen und
verbrannt. Angeblich hatte sich Rehmeyer
geweigert, freiwillig eine Haarlocke auszu-
liefern, die irgendeinen Zauberbann brechen
sollte. Blymyer wurde zu lebenslänglichem
Gefängnis verurteilt. Der Prozeß gegen
seine beiden Helfer steht noch aus.

Die Hintergründe, die der Prozeß ent-
hüllte, übersteigen alles, was man für mög-
lich halten sollte. In dem Stadt- und Land-
bezirk York gibt es einen ausgesprochenen
Hexenkult,
den sogenannten "Woodoo".
Nach Ansicht des Staatsanwalts zählt dieser
Kult drei Viertel der Bevölkerung zu seinen
Anhängern. Dutzende von Kindern und Er-
wachsenen sterben alljährlich, weil sie nicht
von einem Arzt, sondern von einem Zauber-
doktor behandelt werden. Solcher dunklen
Heilkünstler gibt es in dem Bezirk eine ganze
Menge. Blymyer genoß besonderes An-
sehen, weil die Bevölkerung glaubte, daß
in seiner Familie die Geheimnisse der
schwarzen Magik seit den ersten Zeiten der
Ansiedelung von Generation zu Generation
überliefert worden seien. Auch Frauen gibt
es in der Zunft der Zauberdoktoren genug.
So genießt Frau Emma Knopp, eine
70jährige Greisin großes Ansehen. Ihr
Gesicht ist so voller Falten und Runzeln.
daß man sie bei ihrem völlig zahnlosen
Munde für 100 Jahre alt halten könnte.
Gerade durch dieses Aussehen übt sie eine
große Anziehungskraft aus.

Die Zauberdoktoren werden in Anspruch
genommen, um Krankheiten und andere
Uebel zu vertreiben. Sie verkaufen Zauber-
formeln und verdienen damit eine Menge
Geld. In dem Prozeß kamen einige der
gebräuchlichsten Kuren zur Sprache. Ein
Stückchen Speck vertreibt Warzen. Ein
Schlüssel, der auf dem Rücken herabhängt
stillt sofort Nasenbluten. Ein Stück von
einem Leinentuch heilt Schwellungen. Der
Keuchhusten verschwindet, wenn man das
kranke Kind rückwärts durch einen Brom-
beerbusch zieht usw. Es gibt noch Dutzende
ähnlicher Kuren. Die Hauptsache aber ist
daß alle diese Kuren erst wirken wenn sie
von Zauberworten oder geheimen
Zeichen begleitet

sind. Diese aber sind nur dem Zauber-
doktor bekannt und müssen ihm abgekauft
werden. Bei der großen Konkurrenz, die
auf dem Gebiet der schwarzen Magik
herrscht, sind die Preise nicht ungemessen
hoch. Aber die "Pow Wows" lassen sich ihre
Weisheit immer noch teuer genug bezahlen.

Die Zauberdoktoren sind im Besitz von
Zauberbüchern, denen sie ihre Weisheit ver-
danken. Es sind dies Werke von der Art
des auch in Deutschland bekannten
sechsten und siebenten Buches Moses
und der sogenannten Bibel der schwarzen
Kunst. Ein solches Buch, der "Himmelsbrief",
ist in Amerika unter dem deutschen Namen
bekannt. Die Bevölkerung betrachtet diese
Werke mit ebenso großer Ehrfurcht, wie die
Zauberdoktoren selbst. Von dem Umfang
und der Verbreitung des Aberglaubens
macht man sich schwer einen Begriff.
Reiche Farmer, die in ihrem eigenen Auto
in die Stadt fahren, die eine Rundfunk-
anlage besitzen und die modernsten land-
wirtschaftlichen Maschinen benutzen, ver-
sehen ihre Scheunen- und Stalltüren mit
seltsamen Zeichen, damit das Vieh ihnen
nicht verhert werden kann. Elterpaare, die
sonst auf ihre Bildung stolz sind, stellen sich
an einem Kreuzwege auf und murmeln die
seltsamen Zaubersprüche, die sie von einem
"Pow-Wow" gekauft haben, in der Hoff-
nung, ihrem kranken Kinde auf diese Weise
die Gesundheit wieder verschaffen zu können.

Hier in diesem dunkelsten Amerika be-
trachten die Leute den Vollmond noch mit
ängstlichen Augen, weil sie schlimme Wir-
[Spaltenumbruch] kungen von ihm befürchten. Kopfschmerzen,
Rückenschmerzen und andere körperliche
Leiden sind das Werk böser Geister. Sie
können deshalb auch nur
durch Zaubermittel vertrieben
werden. Wenn ein Kind an körperlichen
Schmerzen leidet, so wickelt der Zauber-
doktor ihm einen Bindfaden mehrmals um
den Leib. Dann wird derselbe Bindfaden
um ein Ei geschnürt und mit diesem zu-
sammen auf glühende Kohlen gelegt. Leistet
der Bindfaden länger Widerstand als das
Ei, so wird die Kur von Erfolg sein. Andern-
falls muß ein anderes Zaubermittel ver-
sucht werden. Der Zauberdoktor stellt auf
diese Weise seine "Diagnose".

In dem Prozeß kamen noch einige andere
Kuren zur Sprache. Wenn jemand an
Ohrenschmerzen leidet, so muß er das Ei
eines Grashüpfers in die Ohrmuschel legen.
Ein Fuchszahn, auf der Brust getragen,
ist ein unfehlbares Schlafmittel. Stammt er
von einem toten Fuchs, so verschafft er nur
einen leichten Dämmerschlaf. Hat man ihn
aber einem lebenden Fuchs abgenommen,
so wiegt er in tiefen, erfrischenden Schlaf.
Ein Splitter von einem krumm gewachsenen
Baum heilt alle Wunden, die von Eisen her-
rühren. Gegen Rheumatismus hilft eine
[Spaltenumbruch] Beschwörungsformel, die der in dem Prozeß
fungierende Staatsanwalt bei seinen Unter-
suchungen über den "Woodoo" ermittelte.
Sie lautet wie folgt:
"Weidenbaum, ich streichele dich.
Ich bitte dich, erlöse mich von meinen sieben-
zig und sieben verschiedenen Arten des
Rheumatismus". Diese Formel muß dreimal
wiederholt werden, und zwar an drei auf-
einander folgenden Freitagen während des
abnehmenden Mondes.

Die Bevölkerung der Stadt York ist nicht
weniger abergläubisch wie die Farmer. Man
kann beobachten, daß viele erwachsene Män-
ner das Haar, das ihnen vom Kopf ge-
schnitten worden ist, sorgfältig in einem
Tuch nach Hause tragen. Denn wenn das
Haar auf die Straße gekehrt wird und die
Vögel benutzen auch nur ein einziges Här-
chen beim Nesterbau, so muß der ehemalige
Träger des Haares an Kopfschmerzen leiden,
bis das Nest von Wind und Wetter zerstört
worden ist. Die Behörden geben sich alle
Mühe, um den "Woodoo-Glauben" zu
unterdrücken. Aber bei der fast
unheimlichen Macht,
die die Zauberdoktoren besitzen, und bei der
Verblendung der Bevölkerung ist dies eine
so gut wie unmögliche Aufgabe.



Ein Pressestreit
um die Ehe des Lordkanzlers

Ungültig, weil die Oeffentlichkeit ferngehalten wurde? * Haarspalterei

In diesen Tagen fand in London die
Trauung des Lordkanzlers Lord Halsham
statt. Dies wäre an und für sich nichts Be-
sonderes, wenn sich nicht jetzt die englische
Presse mit dem Fall beschäftigen und die
Gültigkeit der Ehe anzweifeln würde. Es
handelt sich hierbei um die Blätter der
Opposition, die den Lordkanzler
einer Gesetzverletzung bezichtigen.
Lord Halsham hatte, um jedes Aufsehen zu
vermeiden, als Ort der Trauung Englands
berühmteste Kirche, die Westminster Abtei,
gewählt, weil er zu Recht annahm, daß nie-
mand von der Gesellschaft hier einen so
feierlichen Akt erwarten würde, da die
Kirche hauptsächlich von Touristen als
Sehenswürdigkeit besucht wird.

Am Hochzeitsmorgen bestieg Lord Hals-
ham sein Auto vor dem Oberhaus, fuhr auf
die gegenüberliegende Seite der Straße,
betrat die Kirche, wo in einer Seitenkapelle
die Braut und der Geistliche bereits mit
den beiden Trauzeugen auf ihn warteten.
Die Kapelle war von dem Hauptschiffe der
Kirche
[Spaltenumbruch] durch ein Seil abgesperrt,
und dieses Seil war der Strick, den ihm die
oppositionelle Presse jetzt drehte.

In einem Blatt wurde ein Interview mit
einem der führenden Männer der Hoch-
kirche veröffentlicht, in dem dieser erklärte,
Lord Halshams Trauung bestände zu Un-
recht. Laut den Gesetzen der Hochkirche habe
der Priester die Pflicht, bei der Trauung
dreimal die Oeffentlichkeit zu fragen,
ob jemand gegen diese Vermählung Ein-
spruch erhebe.

Da aber die Kapelle durch ein Seil von
der Oeffentlichkeit abgesperrt war, wäre
keine Oeffentlichkeit vorhanden gewesen, in-
folgedessen sei dem Gesetze nach
die Ehe ungültig,
zumal man zu allem die Oeffentlichkeit mit
Gewalt ferngehalten habe. Als oberste
Justizperson hätte der Lordkanzler wissen
müssen, daß er hier einen schweren Fehler
beging. -- Lord Halsham, der seine Flitter-
wochen an der Riviera verlebt, dürfte über
diese Störung seines Honigmonds nicht ge-
rade erbaut sein.



Vierzig Schatzgräber auf Goldsuche

Vergrabene russische Kriegsschätze

In Modlin, im früheren Nowo Georgiewsk,
traf eine besondere Kommission des polni-
schen Kriegsministeriums ein, um Grabun-
gen auf dem dortigen Festungsgelände vor-
zunehmen. Der Reserveleutnant Szczuruk,
der seinerzeit im russischen Heere diente,
hatte dem Kriegsministerium die Meldung
erstattet, daß in der Modliner Festung
russische Schätze vergraben seien. Er stützt
diese Meldung auf eigene, während seiner
Dienstzeit in Modlin gesammelte Informa-
tionen sowie auf Einzelheiten, die er von
einem unlängst in Polen verstorbenen Emi-
granten erhalten hatte. Nach Szczuruks An-
gaben haben die russischen Truppen, als sie
sich im Jahre 1915 aus Modlin zurück-
zogen, außerhalb der Festungswerke einige
Kisten vergraben, die
sechs Pud (etwa zweieinhalb Zentner)
Gold

in Fünf- und Zehnrubelstücken enthielten.
Die auf dem von Leutnant Szezuruk beige-
fügten Plan angezeichnete Stelle wurde ge-
funden. Gewisse Schwierigkeiten verursacht
jedoch der Umstand, daß auf diesem Plan
kleinere Sträucher eingezeichnet waren, wäh-
rend man tatsächlich an der angegebenen
Stelle einige Weidenbüsche fand. Nach An-
gabe eines alten Fischers standen an diesem
Ort vor dreizehn Jahren kleine Sträucher,
aus denen große Bäume emporwuchsen.
Derselbe Fischer erklärte, daß einige Stun-
den vor dem Abzug der russischen Truppen
[Spaltenumbruch] aus der Festung an dieser Stelle Hunderte
von Pferden zusammengetrieben wurden,
die das Gelände zerstampften. Bei den von
der Kommission angeordneten Ausgrabun-
gen sind vierzig Sappeure beschäftigt. Wird
der Schatz gefunden, so erhält Szczuruk
zehn Prozent des Wertes.



Ausbruch der Staatselefanten

Aus den Ställen des siamesischen Königs
in Bangkok, wo bekanntlich weiße Elefanten
auf Staatskosten gehalten werden, brachen
kürzlich zwei dieser wertvollen Tiere aus.
Der eine Elefant erlitt einen Wutanfall und
griff einen anderen an. Beide Tiere rissen
sich los und stürmten ins Freie, wo die
Menge erschreckt auseinanderstob. Aber auch
der eine Elefant wurde von Furcht ergrif-
fen und stürmte nach dem Flußufer, wo er
einen schmalen Landungssteg betrat und
durch seine Last zerdrückte. Er fiel zwischen
die beiden Pfähle, wurde eingeklemmt und
ertrank hilflos in dieser Lage. Der andere
Elefant richtete erheblichen Schaden an und
zertrat einen alten Mann, der ihm in den
Weg kam. Da alle Fangversuche vergeblich
waren, warf man ihm einige, mit Strych-
nin vergiftete Bananen hin, die seinem
Leben alsbald ein Ende machten.

[Spaltenumbruch]
Moritz von Schwinds 125. Geburtstag
[Abbildung]

Am 21. Januar jährt sich der Geburtstag Moritz
von Schwinds, des volkstümlichsten deutschen
Malers, zum 125. Male. In seinen Bildern lebt
die Poesie des deutschen Märchens und die Ro-
mantik des Mittelalters. Seine Bilderfolgen zu
"Aschenbrödel", "Die sieben Raben" und "Die
schöne Melusine" haben sich jedes deutsche Haus
erobert.



[irrelevantes Material]
Donnerstag, den 17. Januar „AZ am Abend“ Nr. 14
Im dunkelſten Amerika

Ein Prozeß enthüllt unglaubliche Zuſtände

Die Stadt York in dem nordamerikani-
ſchen Staate Pennſylvanien iſt ein moder-
ner Wohnort mit ſchönen Gebäuden und
lebhafter Induſtrie. Sie iſt der Mittelpunkt
einer blühenden Farmwirtſchaft und beſitzt
Bildungsanſtalten in reicher Zahl. Und doch
befindet man ſich hier im dunkelſten Ame-
rika. York war in den letzten Tagen der
Schauplatz eines Prozeſſes, der einen Ein-
blick
in die tiefſten Abgründe des Hexen-
und Aberglaubens

gewährte. John Blymyer, ein ſogenannter
„Pow-Wow“ oder Hexendoktor, hatte den
Farmer Rehmeyer, in dem er einen Rivalen
auf dem Gebiete der ſchwarzen Magik ver-
mutete, mit Hilfe von zwei jungen Män-
nern überfallen, bewußtlos geſchlagen und
verbrannt. Angeblich hatte ſich Rehmeyer
geweigert, freiwillig eine Haarlocke auszu-
liefern, die irgendeinen Zauberbann brechen
ſollte. Blymyer wurde zu lebenslänglichem
Gefängnis verurteilt. Der Prozeß gegen
ſeine beiden Helfer ſteht noch aus.

Die Hintergründe, die der Prozeß ent-
hüllte, überſteigen alles, was man für mög-
lich halten ſollte. In dem Stadt- und Land-
bezirk York gibt es einen ausgeſprochenen
Hexenkult,
den ſogenannten „Woodoo“.
Nach Anſicht des Staatsanwalts zählt dieſer
Kult drei Viertel der Bevölkerung zu ſeinen
Anhängern. Dutzende von Kindern und Er-
wachſenen ſterben alljährlich, weil ſie nicht
von einem Arzt, ſondern von einem Zauber-
doktor behandelt werden. Solcher dunklen
Heilkünſtler gibt es in dem Bezirk eine ganze
Menge. Blymyer genoß beſonderes An-
ſehen, weil die Bevölkerung glaubte, daß
in ſeiner Familie die Geheimniſſe der
ſchwarzen Magik ſeit den erſten Zeiten der
Anſiedelung von Generation zu Generation
überliefert worden ſeien. Auch Frauen gibt
es in der Zunft der Zauberdoktoren genug.
So genießt Frau Emma Knopp, eine
70jährige Greiſin großes Anſehen. Ihr
Geſicht iſt ſo voller Falten und Runzeln.
daß man ſie bei ihrem völlig zahnloſen
Munde für 100 Jahre alt halten könnte.
Gerade durch dieſes Ausſehen übt ſie eine
große Anziehungskraft aus.

Die Zauberdoktoren werden in Anſpruch
genommen, um Krankheiten und andere
Uebel zu vertreiben. Sie verkaufen Zauber-
formeln und verdienen damit eine Menge
Geld. In dem Prozeß kamen einige der
gebräuchlichſten Kuren zur Sprache. Ein
Stückchen Speck vertreibt Warzen. Ein
Schlüſſel, der auf dem Rücken herabhängt
ſtillt ſofort Naſenbluten. Ein Stück von
einem Leinentuch heilt Schwellungen. Der
Keuchhuſten verſchwindet, wenn man das
kranke Kind rückwärts durch einen Brom-
beerbuſch zieht uſw. Es gibt noch Dutzende
ähnlicher Kuren. Die Hauptſache aber iſt
daß alle dieſe Kuren erſt wirken wenn ſie
von Zauberworten oder geheimen
Zeichen begleitet

ſind. Dieſe aber ſind nur dem Zauber-
doktor bekannt und müſſen ihm abgekauft
werden. Bei der großen Konkurrenz, die
auf dem Gebiet der ſchwarzen Magik
herrſcht, ſind die Preiſe nicht ungemeſſen
hoch. Aber die „Pow Wows“ laſſen ſich ihre
Weisheit immer noch teuer genug bezahlen.

Die Zauberdoktoren ſind im Beſitz von
Zauberbüchern, denen ſie ihre Weisheit ver-
danken. Es ſind dies Werke von der Art
des auch in Deutſchland bekannten
ſechſten und ſiebenten Buches Moſes
und der ſogenannten Bibel der ſchwarzen
Kunſt. Ein ſolches Buch, der „Himmelsbrief“,
iſt in Amerika unter dem deutſchen Namen
bekannt. Die Bevölkerung betrachtet dieſe
Werke mit ebenſo großer Ehrfurcht, wie die
Zauberdoktoren ſelbſt. Von dem Umfang
und der Verbreitung des Aberglaubens
macht man ſich ſchwer einen Begriff.
Reiche Farmer, die in ihrem eigenen Auto
in die Stadt fahren, die eine Rundfunk-
anlage beſitzen und die modernſten land-
wirtſchaftlichen Maſchinen benutzen, ver-
ſehen ihre Scheunen- und Stalltüren mit
ſeltſamen Zeichen, damit das Vieh ihnen
nicht verhert werden kann. Elterpaare, die
ſonſt auf ihre Bildung ſtolz ſind, ſtellen ſich
an einem Kreuzwege auf und murmeln die
ſeltſamen Zauberſprüche, die ſie von einem
„Pow-Wow“ gekauft haben, in der Hoff-
nung, ihrem kranken Kinde auf dieſe Weiſe
die Geſundheit wieder verſchaffen zu können.

Hier in dieſem dunkelſten Amerika be-
trachten die Leute den Vollmond noch mit
ängſtlichen Augen, weil ſie ſchlimme Wir-
[Spaltenumbruch] kungen von ihm befürchten. Kopfſchmerzen,
Rückenſchmerzen und andere körperliche
Leiden ſind das Werk böſer Geiſter. Sie
können deshalb auch nur
durch Zaubermittel vertrieben
werden. Wenn ein Kind an körperlichen
Schmerzen leidet, ſo wickelt der Zauber-
doktor ihm einen Bindfaden mehrmals um
den Leib. Dann wird derſelbe Bindfaden
um ein Ei geſchnürt und mit dieſem zu-
ſammen auf glühende Kohlen gelegt. Leiſtet
der Bindfaden länger Widerſtand als das
Ei, ſo wird die Kur von Erfolg ſein. Andern-
falls muß ein anderes Zaubermittel ver-
ſucht werden. Der Zauberdoktor ſtellt auf
dieſe Weiſe ſeine „Diagnoſe“.

In dem Prozeß kamen noch einige andere
Kuren zur Sprache. Wenn jemand an
Ohrenſchmerzen leidet, ſo muß er das Ei
eines Grashüpfers in die Ohrmuſchel legen.
Ein Fuchszahn, auf der Bruſt getragen,
iſt ein unfehlbares Schlafmittel. Stammt er
von einem toten Fuchs, ſo verſchafft er nur
einen leichten Dämmerſchlaf. Hat man ihn
aber einem lebenden Fuchs abgenommen,
ſo wiegt er in tiefen, erfriſchenden Schlaf.
Ein Splitter von einem krumm gewachſenen
Baum heilt alle Wunden, die von Eiſen her-
rühren. Gegen Rheumatismus hilft eine
[Spaltenumbruch] Beſchwörungsformel, die der in dem Prozeß
fungierende Staatsanwalt bei ſeinen Unter-
ſuchungen über den „Woodoo“ ermittelte.
Sie lautet wie folgt:
„Weidenbaum, ich ſtreichele dich.
Ich bitte dich, erlöſe mich von meinen ſieben-
zig und ſieben verſchiedenen Arten des
Rheumatismus“. Dieſe Formel muß dreimal
wiederholt werden, und zwar an drei auf-
einander folgenden Freitagen während des
abnehmenden Mondes.

Die Bevölkerung der Stadt York iſt nicht
weniger abergläubiſch wie die Farmer. Man
kann beobachten, daß viele erwachſene Män-
ner das Haar, das ihnen vom Kopf ge-
ſchnitten worden iſt, ſorgfältig in einem
Tuch nach Hauſe tragen. Denn wenn das
Haar auf die Straße gekehrt wird und die
Vögel benutzen auch nur ein einziges Här-
chen beim Neſterbau, ſo muß der ehemalige
Träger des Haares an Kopfſchmerzen leiden,
bis das Neſt von Wind und Wetter zerſtört
worden iſt. Die Behörden geben ſich alle
Mühe, um den „Woodoo-Glauben“ zu
unterdrücken. Aber bei der faſt
unheimlichen Macht,
die die Zauberdoktoren beſitzen, und bei der
Verblendung der Bevölkerung iſt dies eine
ſo gut wie unmögliche Aufgabe.



Ein Preſſeſtreit
um die Ehe des Lordkanzlers

Ungültig, weil die Oeffentlichkeit ferngehalten wurde? * Haarſpalterei

In dieſen Tagen fand in London die
Trauung des Lordkanzlers Lord Halsham
ſtatt. Dies wäre an und für ſich nichts Be-
ſonderes, wenn ſich nicht jetzt die engliſche
Preſſe mit dem Fall beſchäftigen und die
Gültigkeit der Ehe anzweifeln würde. Es
handelt ſich hierbei um die Blätter der
Oppoſition, die den Lordkanzler
einer Geſetzverletzung bezichtigen.
Lord Halsham hatte, um jedes Aufſehen zu
vermeiden, als Ort der Trauung Englands
berühmteſte Kirche, die Weſtminſter Abtei,
gewählt, weil er zu Recht annahm, daß nie-
mand von der Geſellſchaft hier einen ſo
feierlichen Akt erwarten würde, da die
Kirche hauptſächlich von Touriſten als
Sehenswürdigkeit beſucht wird.

Am Hochzeitsmorgen beſtieg Lord Hals-
ham ſein Auto vor dem Oberhaus, fuhr auf
die gegenüberliegende Seite der Straße,
betrat die Kirche, wo in einer Seitenkapelle
die Braut und der Geiſtliche bereits mit
den beiden Trauzeugen auf ihn warteten.
Die Kapelle war von dem Hauptſchiffe der
Kirche
[Spaltenumbruch] durch ein Seil abgeſperrt,
und dieſes Seil war der Strick, den ihm die
oppoſitionelle Preſſe jetzt drehte.

In einem Blatt wurde ein Interview mit
einem der führenden Männer der Hoch-
kirche veröffentlicht, in dem dieſer erklärte,
Lord Halshams Trauung beſtände zu Un-
recht. Laut den Geſetzen der Hochkirche habe
der Prieſter die Pflicht, bei der Trauung
dreimal die Oeffentlichkeit zu fragen,
ob jemand gegen dieſe Vermählung Ein-
ſpruch erhebe.

Da aber die Kapelle durch ein Seil von
der Oeffentlichkeit abgeſperrt war, wäre
keine Oeffentlichkeit vorhanden geweſen, in-
folgedeſſen ſei dem Geſetze nach
die Ehe ungültig,
zumal man zu allem die Oeffentlichkeit mit
Gewalt ferngehalten habe. Als oberſte
Juſtizperſon hätte der Lordkanzler wiſſen
müſſen, daß er hier einen ſchweren Fehler
beging. — Lord Halsham, der ſeine Flitter-
wochen an der Riviera verlebt, dürfte über
dieſe Störung ſeines Honigmonds nicht ge-
rade erbaut ſein.



Vierzig Schatzgräber auf Goldſuche

Vergrabene ruſſiſche Kriegsſchätze

In Modlin, im früheren Nowo Georgiewſk,
traf eine beſondere Kommiſſion des polni-
ſchen Kriegsminiſteriums ein, um Grabun-
gen auf dem dortigen Feſtungsgelände vor-
zunehmen. Der Reſerveleutnant Szczuruk,
der ſeinerzeit im ruſſiſchen Heere diente,
hatte dem Kriegsminiſterium die Meldung
erſtattet, daß in der Modliner Feſtung
ruſſiſche Schätze vergraben ſeien. Er ſtützt
dieſe Meldung auf eigene, während ſeiner
Dienſtzeit in Modlin geſammelte Informa-
tionen ſowie auf Einzelheiten, die er von
einem unlängſt in Polen verſtorbenen Emi-
granten erhalten hatte. Nach Szczuruks An-
gaben haben die ruſſiſchen Truppen, als ſie
ſich im Jahre 1915 aus Modlin zurück-
zogen, außerhalb der Feſtungswerke einige
Kiſten vergraben, die
ſechs Pud (etwa zweieinhalb Zentner)
Gold

in Fünf- und Zehnrubelſtücken enthielten.
Die auf dem von Leutnant Szezuruk beige-
fügten Plan angezeichnete Stelle wurde ge-
funden. Gewiſſe Schwierigkeiten verurſacht
jedoch der Umſtand, daß auf dieſem Plan
kleinere Sträucher eingezeichnet waren, wäh-
rend man tatſächlich an der angegebenen
Stelle einige Weidenbüſche fand. Nach An-
gabe eines alten Fiſchers ſtanden an dieſem
Ort vor dreizehn Jahren kleine Sträucher,
aus denen große Bäume emporwuchſen.
Derſelbe Fiſcher erklärte, daß einige Stun-
den vor dem Abzug der ruſſiſchen Truppen
[Spaltenumbruch] aus der Feſtung an dieſer Stelle Hunderte
von Pferden zuſammengetrieben wurden,
die das Gelände zerſtampften. Bei den von
der Kommiſſion angeordneten Ausgrabun-
gen ſind vierzig Sappeure beſchäftigt. Wird
der Schatz gefunden, ſo erhält Szczuruk
zehn Prozent des Wertes.



Ausbruch der Staatselefanten

Aus den Ställen des ſiameſiſchen Königs
in Bangkok, wo bekanntlich weiße Elefanten
auf Staatskoſten gehalten werden, brachen
kürzlich zwei dieſer wertvollen Tiere aus.
Der eine Elefant erlitt einen Wutanfall und
griff einen anderen an. Beide Tiere riſſen
ſich los und ſtürmten ins Freie, wo die
Menge erſchreckt auseinanderſtob. Aber auch
der eine Elefant wurde von Furcht ergrif-
fen und ſtürmte nach dem Flußufer, wo er
einen ſchmalen Landungsſteg betrat und
durch ſeine Laſt zerdrückte. Er fiel zwiſchen
die beiden Pfähle, wurde eingeklemmt und
ertrank hilflos in dieſer Lage. Der andere
Elefant richtete erheblichen Schaden an und
zertrat einen alten Mann, der ihm in den
Weg kam. Da alle Fangverſuche vergeblich
waren, warf man ihm einige, mit Strych-
nin vergiftete Bananen hin, die ſeinem
Leben alsbald ein Ende machten.

[Spaltenumbruch]
Moritz von Schwinds 125. Geburtstag
[Abbildung]

Am 21. Januar jährt ſich der Geburtstag Moritz
von Schwinds, des volkstümlichſten deutſchen
Malers, zum 125. Male. In ſeinen Bildern lebt
die Poeſie des deutſchen Märchens und die Ro-
mantik des Mittelalters. Seine Bilderfolgen zu
„Aſchenbrödel“, „Die ſieben Raben“ und „Die
ſchöne Meluſine“ haben ſich jedes deutſche Haus
erobert.



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[Seite 9[9]/0009] Donnerstag, den 17. Januar „AZ am Abend“ Nr. 14 Im dunkelſten Amerika Ein Prozeß enthüllt unglaubliche Zuſtände Die Stadt York in dem nordamerikani- ſchen Staate Pennſylvanien iſt ein moder- ner Wohnort mit ſchönen Gebäuden und lebhafter Induſtrie. Sie iſt der Mittelpunkt einer blühenden Farmwirtſchaft und beſitzt Bildungsanſtalten in reicher Zahl. Und doch befindet man ſich hier im dunkelſten Ame- rika. York war in den letzten Tagen der Schauplatz eines Prozeſſes, der einen Ein- blick in die tiefſten Abgründe des Hexen- und Aberglaubens gewährte. John Blymyer, ein ſogenannter „Pow-Wow“ oder Hexendoktor, hatte den Farmer Rehmeyer, in dem er einen Rivalen auf dem Gebiete der ſchwarzen Magik ver- mutete, mit Hilfe von zwei jungen Män- nern überfallen, bewußtlos geſchlagen und verbrannt. Angeblich hatte ſich Rehmeyer geweigert, freiwillig eine Haarlocke auszu- liefern, die irgendeinen Zauberbann brechen ſollte. Blymyer wurde zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt. Der Prozeß gegen ſeine beiden Helfer ſteht noch aus. Die Hintergründe, die der Prozeß ent- hüllte, überſteigen alles, was man für mög- lich halten ſollte. In dem Stadt- und Land- bezirk York gibt es einen ausgeſprochenen Hexenkult, den ſogenannten „Woodoo“. Nach Anſicht des Staatsanwalts zählt dieſer Kult drei Viertel der Bevölkerung zu ſeinen Anhängern. Dutzende von Kindern und Er- wachſenen ſterben alljährlich, weil ſie nicht von einem Arzt, ſondern von einem Zauber- doktor behandelt werden. Solcher dunklen Heilkünſtler gibt es in dem Bezirk eine ganze Menge. Blymyer genoß beſonderes An- ſehen, weil die Bevölkerung glaubte, daß in ſeiner Familie die Geheimniſſe der ſchwarzen Magik ſeit den erſten Zeiten der Anſiedelung von Generation zu Generation überliefert worden ſeien. Auch Frauen gibt es in der Zunft der Zauberdoktoren genug. So genießt Frau Emma Knopp, eine 70jährige Greiſin großes Anſehen. Ihr Geſicht iſt ſo voller Falten und Runzeln. daß man ſie bei ihrem völlig zahnloſen Munde für 100 Jahre alt halten könnte. Gerade durch dieſes Ausſehen übt ſie eine große Anziehungskraft aus. Die Zauberdoktoren werden in Anſpruch genommen, um Krankheiten und andere Uebel zu vertreiben. Sie verkaufen Zauber- formeln und verdienen damit eine Menge Geld. In dem Prozeß kamen einige der gebräuchlichſten Kuren zur Sprache. Ein Stückchen Speck vertreibt Warzen. Ein Schlüſſel, der auf dem Rücken herabhängt ſtillt ſofort Naſenbluten. Ein Stück von einem Leinentuch heilt Schwellungen. Der Keuchhuſten verſchwindet, wenn man das kranke Kind rückwärts durch einen Brom- beerbuſch zieht uſw. Es gibt noch Dutzende ähnlicher Kuren. Die Hauptſache aber iſt daß alle dieſe Kuren erſt wirken wenn ſie von Zauberworten oder geheimen Zeichen begleitet ſind. Dieſe aber ſind nur dem Zauber- doktor bekannt und müſſen ihm abgekauft werden. Bei der großen Konkurrenz, die auf dem Gebiet der ſchwarzen Magik herrſcht, ſind die Preiſe nicht ungemeſſen hoch. Aber die „Pow Wows“ laſſen ſich ihre Weisheit immer noch teuer genug bezahlen. Die Zauberdoktoren ſind im Beſitz von Zauberbüchern, denen ſie ihre Weisheit ver- danken. Es ſind dies Werke von der Art des auch in Deutſchland bekannten ſechſten und ſiebenten Buches Moſes und der ſogenannten Bibel der ſchwarzen Kunſt. Ein ſolches Buch, der „Himmelsbrief“, iſt in Amerika unter dem deutſchen Namen bekannt. Die Bevölkerung betrachtet dieſe Werke mit ebenſo großer Ehrfurcht, wie die Zauberdoktoren ſelbſt. Von dem Umfang und der Verbreitung des Aberglaubens macht man ſich ſchwer einen Begriff. Reiche Farmer, die in ihrem eigenen Auto in die Stadt fahren, die eine Rundfunk- anlage beſitzen und die modernſten land- wirtſchaftlichen Maſchinen benutzen, ver- ſehen ihre Scheunen- und Stalltüren mit ſeltſamen Zeichen, damit das Vieh ihnen nicht verhert werden kann. Elterpaare, die ſonſt auf ihre Bildung ſtolz ſind, ſtellen ſich an einem Kreuzwege auf und murmeln die ſeltſamen Zauberſprüche, die ſie von einem „Pow-Wow“ gekauft haben, in der Hoff- nung, ihrem kranken Kinde auf dieſe Weiſe die Geſundheit wieder verſchaffen zu können. Hier in dieſem dunkelſten Amerika be- trachten die Leute den Vollmond noch mit ängſtlichen Augen, weil ſie ſchlimme Wir- kungen von ihm befürchten. Kopfſchmerzen, Rückenſchmerzen und andere körperliche Leiden ſind das Werk böſer Geiſter. Sie können deshalb auch nur durch Zaubermittel vertrieben werden. Wenn ein Kind an körperlichen Schmerzen leidet, ſo wickelt der Zauber- doktor ihm einen Bindfaden mehrmals um den Leib. Dann wird derſelbe Bindfaden um ein Ei geſchnürt und mit dieſem zu- ſammen auf glühende Kohlen gelegt. Leiſtet der Bindfaden länger Widerſtand als das Ei, ſo wird die Kur von Erfolg ſein. Andern- falls muß ein anderes Zaubermittel ver- ſucht werden. Der Zauberdoktor ſtellt auf dieſe Weiſe ſeine „Diagnoſe“. In dem Prozeß kamen noch einige andere Kuren zur Sprache. Wenn jemand an Ohrenſchmerzen leidet, ſo muß er das Ei eines Grashüpfers in die Ohrmuſchel legen. Ein Fuchszahn, auf der Bruſt getragen, iſt ein unfehlbares Schlafmittel. Stammt er von einem toten Fuchs, ſo verſchafft er nur einen leichten Dämmerſchlaf. Hat man ihn aber einem lebenden Fuchs abgenommen, ſo wiegt er in tiefen, erfriſchenden Schlaf. Ein Splitter von einem krumm gewachſenen Baum heilt alle Wunden, die von Eiſen her- rühren. Gegen Rheumatismus hilft eine Beſchwörungsformel, die der in dem Prozeß fungierende Staatsanwalt bei ſeinen Unter- ſuchungen über den „Woodoo“ ermittelte. Sie lautet wie folgt: „Weidenbaum, ich ſtreichele dich. Ich bitte dich, erlöſe mich von meinen ſieben- zig und ſieben verſchiedenen Arten des Rheumatismus“. Dieſe Formel muß dreimal wiederholt werden, und zwar an drei auf- einander folgenden Freitagen während des abnehmenden Mondes. Die Bevölkerung der Stadt York iſt nicht weniger abergläubiſch wie die Farmer. Man kann beobachten, daß viele erwachſene Män- ner das Haar, das ihnen vom Kopf ge- ſchnitten worden iſt, ſorgfältig in einem Tuch nach Hauſe tragen. Denn wenn das Haar auf die Straße gekehrt wird und die Vögel benutzen auch nur ein einziges Här- chen beim Neſterbau, ſo muß der ehemalige Träger des Haares an Kopfſchmerzen leiden, bis das Neſt von Wind und Wetter zerſtört worden iſt. Die Behörden geben ſich alle Mühe, um den „Woodoo-Glauben“ zu unterdrücken. Aber bei der faſt unheimlichen Macht, die die Zauberdoktoren beſitzen, und bei der Verblendung der Bevölkerung iſt dies eine ſo gut wie unmögliche Aufgabe. Ein Preſſeſtreit um die Ehe des Lordkanzlers Ungültig, weil die Oeffentlichkeit ferngehalten wurde? * Haarſpalterei In dieſen Tagen fand in London die Trauung des Lordkanzlers Lord Halsham ſtatt. Dies wäre an und für ſich nichts Be- ſonderes, wenn ſich nicht jetzt die engliſche Preſſe mit dem Fall beſchäftigen und die Gültigkeit der Ehe anzweifeln würde. Es handelt ſich hierbei um die Blätter der Oppoſition, die den Lordkanzler einer Geſetzverletzung bezichtigen. Lord Halsham hatte, um jedes Aufſehen zu vermeiden, als Ort der Trauung Englands berühmteſte Kirche, die Weſtminſter Abtei, gewählt, weil er zu Recht annahm, daß nie- mand von der Geſellſchaft hier einen ſo feierlichen Akt erwarten würde, da die Kirche hauptſächlich von Touriſten als Sehenswürdigkeit beſucht wird. Am Hochzeitsmorgen beſtieg Lord Hals- ham ſein Auto vor dem Oberhaus, fuhr auf die gegenüberliegende Seite der Straße, betrat die Kirche, wo in einer Seitenkapelle die Braut und der Geiſtliche bereits mit den beiden Trauzeugen auf ihn warteten. Die Kapelle war von dem Hauptſchiffe der Kirche durch ein Seil abgeſperrt, und dieſes Seil war der Strick, den ihm die oppoſitionelle Preſſe jetzt drehte. In einem Blatt wurde ein Interview mit einem der führenden Männer der Hoch- kirche veröffentlicht, in dem dieſer erklärte, Lord Halshams Trauung beſtände zu Un- recht. Laut den Geſetzen der Hochkirche habe der Prieſter die Pflicht, bei der Trauung dreimal die Oeffentlichkeit zu fragen, ob jemand gegen dieſe Vermählung Ein- ſpruch erhebe. Da aber die Kapelle durch ein Seil von der Oeffentlichkeit abgeſperrt war, wäre keine Oeffentlichkeit vorhanden geweſen, in- folgedeſſen ſei dem Geſetze nach die Ehe ungültig, zumal man zu allem die Oeffentlichkeit mit Gewalt ferngehalten habe. Als oberſte Juſtizperſon hätte der Lordkanzler wiſſen müſſen, daß er hier einen ſchweren Fehler beging. — Lord Halsham, der ſeine Flitter- wochen an der Riviera verlebt, dürfte über dieſe Störung ſeines Honigmonds nicht ge- rade erbaut ſein. Vierzig Schatzgräber auf Goldſuche Vergrabene ruſſiſche Kriegsſchätze In Modlin, im früheren Nowo Georgiewſk, traf eine beſondere Kommiſſion des polni- ſchen Kriegsminiſteriums ein, um Grabun- gen auf dem dortigen Feſtungsgelände vor- zunehmen. Der Reſerveleutnant Szczuruk, der ſeinerzeit im ruſſiſchen Heere diente, hatte dem Kriegsminiſterium die Meldung erſtattet, daß in der Modliner Feſtung ruſſiſche Schätze vergraben ſeien. Er ſtützt dieſe Meldung auf eigene, während ſeiner Dienſtzeit in Modlin geſammelte Informa- tionen ſowie auf Einzelheiten, die er von einem unlängſt in Polen verſtorbenen Emi- granten erhalten hatte. Nach Szczuruks An- gaben haben die ruſſiſchen Truppen, als ſie ſich im Jahre 1915 aus Modlin zurück- zogen, außerhalb der Feſtungswerke einige Kiſten vergraben, die ſechs Pud (etwa zweieinhalb Zentner) Gold in Fünf- und Zehnrubelſtücken enthielten. Die auf dem von Leutnant Szezuruk beige- fügten Plan angezeichnete Stelle wurde ge- funden. Gewiſſe Schwierigkeiten verurſacht jedoch der Umſtand, daß auf dieſem Plan kleinere Sträucher eingezeichnet waren, wäh- rend man tatſächlich an der angegebenen Stelle einige Weidenbüſche fand. Nach An- gabe eines alten Fiſchers ſtanden an dieſem Ort vor dreizehn Jahren kleine Sträucher, aus denen große Bäume emporwuchſen. Derſelbe Fiſcher erklärte, daß einige Stun- den vor dem Abzug der ruſſiſchen Truppen aus der Feſtung an dieſer Stelle Hunderte von Pferden zuſammengetrieben wurden, die das Gelände zerſtampften. Bei den von der Kommiſſion angeordneten Ausgrabun- gen ſind vierzig Sappeure beſchäftigt. Wird der Schatz gefunden, ſo erhält Szczuruk zehn Prozent des Wertes. Ausbruch der Staatselefanten Aus den Ställen des ſiameſiſchen Königs in Bangkok, wo bekanntlich weiße Elefanten auf Staatskoſten gehalten werden, brachen kürzlich zwei dieſer wertvollen Tiere aus. Der eine Elefant erlitt einen Wutanfall und griff einen anderen an. Beide Tiere riſſen ſich los und ſtürmten ins Freie, wo die Menge erſchreckt auseinanderſtob. Aber auch der eine Elefant wurde von Furcht ergrif- fen und ſtürmte nach dem Flußufer, wo er einen ſchmalen Landungsſteg betrat und durch ſeine Laſt zerdrückte. Er fiel zwiſchen die beiden Pfähle, wurde eingeklemmt und ertrank hilflos in dieſer Lage. Der andere Elefant richtete erheblichen Schaden an und zertrat einen alten Mann, der ihm in den Weg kam. Da alle Fangverſuche vergeblich waren, warf man ihm einige, mit Strych- nin vergiftete Bananen hin, die ſeinem Leben alsbald ein Ende machten. Moritz von Schwinds 125. Geburtstag [Abbildung Am 21. Januar jährt ſich der Geburtstag Moritz von Schwinds, des volkstümlichſten deutſchen Malers, zum 125. Male. In ſeinen Bildern lebt die Poeſie des deutſchen Märchens und die Ro- mantik des Mittelalters. Seine Bilderfolgen zu „Aſchenbrödel“, „Die ſieben Raben“ und „Die ſchöne Meluſine“ haben ſich jedes deutſche Haus erobert.] _

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-02-11T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 14, 17. Januar 1929, S. Seite 9[9]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine14_1929/9>, abgerufen am 23.11.2024.