Allgemeine Zeitung, Nr. 158, 6. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
ehrenvollen Narben bedeckt sey und an den Nachwehen schwerer Verwundung Die bereits vorgestern skizzirte Erklärung Lord John Russells in der [Spaltenumbruch]
ehrenvollen Narben bedeckt ſey und an den Nachwehen ſchwerer Verwundung Die bereits vorgeſtern ſkizzirte Erklärung Lord John Ruſſells in der <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0006" n="2634"/><cb/> ehrenvollen Narben bedeckt ſey und an den Nachwehen ſchwerer Verwundung<lb/> leide. Hr. <hi rendition="#g">Adderley</hi> behauptet, mit Berufung auf den Bericht des Colo-<lb/> nialvertheidigungsausſchuſſes, daß von den 15 Mill. Pf. St. auf dem<lb/> dießjährigen Armeebudget vier geſtrichen werden ſollten, indem es billiger<lb/> wäre wenn die Colonien die Koſten ihrer Vertheidigung allein zu beſtreiten<lb/> hätten. Lord Robert <hi rendition="#g">Cecil</hi> hält dieſe Anſicht für nicht ſtichhaltig. Als Bei-<lb/> ſpiel führt er die Capcolonie an, in deren Nähe die Regierung, gegen den<lb/> Wunſch der Coloniſten, eine Anzahl unabhängiger Staaten entſtehen ließ,<lb/> die zur Wachſamkeit herausfordern. Ueberhaupt ſolle man die Colonien nicht<lb/> zu ſehr vom Mutterland entwöhnen. Derſelben Meinung iſt Hr. <hi rendition="#g">Fortescue,</hi><lb/> der den Grund für die Unterhaltung einer Militärmacht in den Colonien<lb/> weniger in der Möglichkeit eines europäiſchen Kriegs als in der von einheimi-<lb/> ſchen Stämmen fortwährend drohenden Gefahr erblicken will. Hr. <hi rendition="#g">Wil-<lb/> liams</hi> (für den Londoner Wahlbezirk Lambeth, radicaler Sparſamkeits-<lb/> mann) glaubt ſchier England müſſe ſeinen Muth verloren haben, da es bei<lb/> einer regulären Armee von 140,000 Mann und andern Vertheidigungscorps,<lb/> die das große Schützencorps mitgerechnet 200,000 Mann mehr machen, noch<lb/> immer des Invaſionsſiebers nicht los werden könne. Er ſehe nicht ein warum<lb/> die engliſchen Colonien nicht ebenſo gut wie die holländiſchen ihre eigene Land-<lb/> wehr ſtellen und bezahlen könnten. Der Admiral Sir C. <hi rendition="#g">Napier</hi> gibt dem<lb/> ehrenw. Mitglied für Lambeth zu verſtehen daß die Armee noch lange nicht<lb/> ausreichend, und daß die Kriegsflotte immer noch zu ſchwach ſey. Zur Spar-<lb/> ſamkeit werde es nach einigen Jahren fortgeſetzter energiſcher Nüſtung Zeit<lb/> ſeyn. Nach mehreren andern Anſragen und Zwiſchenreden erhebt ſich Hr.<lb/> Sidney <hi rendition="#g">Herbert</hi> (der Kriegsminiſter) zur Entgegnung. Den Oekonomen<lb/> gibt er zu bedenken daß das Kriegsbudget nur deßhalb 11 oder 12 Millionen<lb/> mehr als in einem der frühern Jahre betrage, weil das Land jetzt die un-<lb/> weiſen Neductionen des abgelaufenen Decenniums gut machen müſſe. Was<lb/> die Ernennung des ehrenw. C. Grey betreffe, ſo habe derſelbe neun Jahre<lb/> das 71ſte Negiment in Canada befehligt. Während der ganzen Zeit daß er<lb/> in der Armee diente, ſeyen nur zwei auswärtige Erpeditionen, die eine nach<lb/> Portugal, die andere nach Quebec, unternommen worden, und zufällig habe<lb/> der ehrenw. C. Grey beide mitgemacht. Die Ernennung ſey Sache des Kriegs<lb/> miniſters, allein der Obercommandant (Herzog v. Cambridge) habe ſie be-<lb/> ſtätigt — nicht weil der Ernannte eine Stelle bei Hof angenommen, ſondern<lb/> weil ſeine vorhergegangene militäriſche Laufbahn ihn der Ernennung würdig<lb/> erſcheinen ließ. Es würde die größte Ungerechtigkeit ſeyn einen Officier ins<lb/> ſchwarze Buch einzutragen weil er eine Hofſtelle bekleide. Hr. <hi rendition="#g">Diſraeli</hi><lb/> bemerkt: er habe gewiß keine beſondere perſönliche Vorliebe für den tapfern<lb/> General von dem er einſt in drei Parlamentswahlen geſchlagen worden. Doch<lb/> könne er das Argument nicht gelten laſſen daß ein Mann in General Grey’s<lb/> Stellung den gerechten Lohn für ſeine Dienſte verwirken ſollte, weil er auf<lb/> einen Poſten im königlichen Haushalt berufen worden. Wenn dieſes Princip<lb/> zur Anerkennung gelangte, ſo würde die militäriſche Umgebung der Königin<lb/> und der andern Mitglieder der königlichen Familie bald aus Ofſicieren von<lb/> ſehr untergeordnetem Kaliber beſtehen. Das Haus conſtituirt ſich darauf<lb/> als Bewilligungsausſchuß, und es gehen zwei Poſten durch.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Die bereits vorgeſtern ſkizzirte Erklärung Lord John <hi rendition="#g">Ruſſells</hi> in der<lb/><hi rendition="#g">Unterhausſitzung</hi> vom 2 Jun. lautete des näheren alſo: Ich will mich<lb/> bemühen die verſchiedenen an mich gerichteten Fragen ſo vollſtändig als mög-<lb/> lich zu beantworten. Zuerſt muß ich bemerken daß die Angabe als wäre Sir<lb/> H. Rawliſon in Folge einer zwiſchen ihm und Ihrer Majeſtät Regierung<lb/> herrſchenden Meinungsverſchiedenheit über die in Perſien zu beobachtende<lb/> Politik abberufen worden, eine reine Fabel iſt. (Hört! Hört!) Sir Henry<lb/> Rawlinſon iſt ein Mann von außerordentlicher Begabung und in den Ange-<lb/> legenheiten des Morgenlandes ſehr zu Hauſe; ſeine perſiſche Politik wurde<lb/> von Ihrer Majeſtät Regierung vollkommen gebilligt, und ich gab mich der<lb/> Hoffnung hin daß er geneigt ſeyn werde auf ſeinem Geſandtſchaftspoſten in<lb/> Perſien zu bleiben. Der Grund ſeiner Rückkehr iſt von dem ehrenwerthen<lb/> Mitglied für Liskeard (Osborne) richtig errathen worden. Die Leitung der<lb/> perſiſchen Angelegenheiten war vom Jahr 1835 bis 1858 ausſchließliche<lb/> Sache des auswärtigen Amtes. Während der vorigen (Derbyitiſchen) Ver-<lb/> waltung wurde Perſien unter das indiſche Aufſichtsamts geſtellt. Mein<lb/> edler Freund an der Spitze (Lord Palmerſton) fand für gut die frühere Ein-<lb/> richtung wieder herzuſtellen; denn er dachte daß die Hauptaufgabe in Perſien<lb/> — obgleich manches dort ohne Zweifel mit den indiſchen Angelegenheiten zu-<lb/> ſammenhängt — darin beſtehe, die Beziehungen zwiſchen jenem Lande und<lb/> England und Rußland zu ordnen. Dieß iſt in der That der Fall, ſo viel<lb/> ich aus eigener Erfahrung weiß. Wenn eine Frage zwiſchen Perſten und<lb/> Rußland ſchwebt, ſo wird die Meinung des engliſchen Geſandten darüber<lb/> eingeholt; und wenn eine Frage zwiſchen Perſien und England vorhanden<lb/> iſt, wird der ruſſiſche Geſandte zu Rath gezogen. Ich übernahm die mir<lb/> übertragene Verantwortlichkeit, und hoffte in der That auf Sir Henry’s Ge-<lb/> neigtheit zu bleiben. Aber nicht lange nachdem die eingetretene Veränderung<lb/> in Perſien bekannt geworden war, erfuhr ich von einem Gentleman im aus-<lb/><cb/> wärtigen Amt, Sir. H. Rawlinſon habe ihm in einem Privatſchreiben mit-<lb/> getheilt daß er gleich nach Empfang der amtlichen Anzeige von der getroffe-<lb/> nen Aeuderung ſeine Entlaſſung einreichen und heimkehren werde. Seine<lb/> Einwände waren, glaube ich, vorzugsweiſe gegen die verſchiedene Ge-<lb/> ſchäſtsführung in den beiden Aemtern gerichtet, und der eine bezog ſich<lb/> allerdings auf das Geſchenkemachen, was vom auswärtigen Amt nie ge-<lb/> ſtattet wurde. Einige Zeit nachher ſchrieb mir Sir Henry Rawlinſon ſelber,<lb/> und ich fand mich bewogen, nachdem ich ſeine Entlaſſung mit Bedauern<lb/> angenommen, an ſeiner Stelle Hrn. Aliſon zu ernennen, einen Gentleman<lb/> der lange im diplomatiſchen Dienſt im Orient ſtand, und deſſen Depeſchen und<lb/> Berichte ich oft zu bewundern Gelegenheit hatte. Unſere perſiſche Politik iſt<lb/> leicht erklärt. Sie beſteht darin die Integrität und Unabhängigkeit Perſiens<lb/> aufrecht zu halten, aber zugleich der perſiſchen Regierung von Angriffen auf<lb/> andere unabhängige Nationen abzurathen. (Hört, hört!) Wir wünſchen der<lb/> perſiſchen Regierung nichts aufzudrängen und ſie zu nichts zu zwingen. Der<lb/> hieſige perſiſche Geſandte hat unſerm Rath gerne beigeſtimmt, und unſere Be-<lb/> ziehungen zum Schah ſind der freundſchaftlichſten Art. (Hört, hört!) In<lb/> einem Punkt jedoch iſt unſere Anſicht vielleicht eigenthümlich. Von Zeit zu<lb/> Zeit beſtand eine Art Nebenbuhlerei zwiſchen Großbritannien und Rußland<lb/> in Perſien. Die Anhänger Großbritanniens wußten immer eine oder die an-<lb/> dere Geſchichte von ruſſiſcher Unterdrückungsluſt zu erzählen, und umgekehrt<lb/> wurde die brittiſche Politik von den Freunden Rußlands denuncirt. Ich hielt<lb/> es für das beſte von dieſer Nebenbuhlerei abzumahnen (hört!), und ſo oft ich<lb/> nach St. Petersburg zu ſchreiben oder mit dem ruſſiſchen Geſandten zu reden<lb/> hatte, ſagte ich immer: wenn nur Rußland die Unabhängigkeit Perſiens auf-<lb/> rechthalten wolle, ſo würden wir gern im ſelben Sinne Rath ertheilen; daß<lb/> wir kein beſonders gegen Rußland gerichtetes Intereſſe in Perſien haben; daß<lb/> wir nur die manchmal ſchwache und manchmal bedrohte perſiſche Regierung<lb/> ſtützen wollen, und daß wir vertrauten Rußland werde im ſelben Sinne mit<lb/> uns handeln. Die Rückäußerungen die wir von Rußland erhielten zengen von<lb/> derſelben Geſinnung, und wir haben daher allen Grund zu glauben daß die<lb/> perſiſche Regierung in Zukunft eine mehr gleichförmige Politik befolgen wird<lb/> als ſie zuweilen gethan hat. (Hört, hört!) Was die über Sicilien erſchienene<lb/> Flugſchrift angeht, ſo können wir ihr keine Autorität beilegen. Niemand als<lb/> der Gentleman der ſie unterzeichnet hat, iſt für ſie verantwortlich; aber es<lb/> liegen leider in unſerem auswärtigen Amt Berichte von unſern Conſuln —<lb/> zwei oder drei aus dem Jahr 1857, einer vom 24 Juli 1859 und einige andere<lb/> — über Grauſamkeiten, und ſelbſt Folteranwendungen welche die Polizei in<lb/> Sicilien ſich erlaubt hat. Der Gegenſtand iſt ein ſehr peinlicher, und ich<lb/> mag keine Einzelnheiten daraus erwähnen; aber genug daß Leute zu unſern<lb/> Vertretern kamen und erzählten wie ſie bei den Handgelenken zuſammen-<lb/> geſchnürt, mit der ſogenannten „Haube des Schweigens“ geknebelt, und an-<lb/> dern Mißhandlungen, die man füglich als Folter bezeichnen kann, unterworfen<lb/> wurden. Ich zweifle nicht daß dieſe Dinge, nebſt andern Umſtänden, die<lb/> jetzige Lage der Dinge in Sicilien herbeigeführt haben, über die niemand der<lb/> von der neapolitaniſchen Regierungsweiſe einen Begriff hat, erſtaunt ſeyn<lb/> kann. (Hört, hört!) Ich komme jetzt zu den ſehr wichtigen Fragen des Mitglieds<lb/> für Horsham (Hrn. S. Fitzgerald). Es wird am beſten ſeyn vorerſt eine vollkom-<lb/> mene Darſtellung deſſen zu geben was ſich mit Bezug auf die türkiſchen Angelegen-<lb/> heiten in St. Petersburg begeben hat. Gegen Ende April that Fürſt Gor-<lb/> tſchakoff dem türkiſchen Geſandten am k. ruſſiſchen Hof zu wiſſen daß die Be-<lb/> richte aus den chriſtlichen Provinzen der Türkei von ſolchen Leiden und ſolcher<lb/> Erbilterung der chriſtlichen Bevölkerung zeugten daß ſie einen Aufſtand be-<lb/> ſürchten ließen, und daß wenn in ſolchem Fall die türkiſchen Truppen ein<lb/> Blutbad anrichten ſollten, der Kaiſer von Rußland kein ruhiger Zuſchauer<lb/> bleiben würde. Einige Tage darauf gieng eine Depeſche desſelben Inhalts<lb/> nach Paris, und am 5 Mai verſammelte Fürſt Gortſchakoff die Geſandten<lb/> der fünf Mächte in ſeiner Amtswohnung, und machte ihnen dieſelbe Mit-<lb/> theilung. Nach einiger Erörterung ſetzte der franzöſiſche Geſandte drei Vor-<lb/> ſchläge auf, über die man ſich ſo weit einigte daß die Geſandten ſie an ihre<lb/> reſpectiven Höfe zu ſenden übernahmen. Der erſte beſagte daß die Lage der<lb/> chriſtlichen Provinzen der Türkei unerträglich geworden ſey; der zweite daß<lb/> die Beamten des Sultans, mit der Unterſtützung der Conſuln der fünf Mächte,<lb/> eine Unterſuchung anſtellen ſollten, und der dritte daß nachdem der Hat-Hu-<lb/> mayum ſeinen Zweck verfehlt habe, eine neue Organiſation für die chriſtlichen<lb/> Provinzen nothwendig geworden ſey. Nach Empfang dieſer drei Punkte<lb/> entgegneten wir daß Ihrer Maj. Regierung ſich durch die ihr zugegangenen<lb/> Berichte nicht berechtigt glaube die Lage der chriſtlichen Provinzen der Türkei<lb/> unerträglich zu nennen. (Hört, hört!) Das Haus weiß daß wir von der<lb/> innern Regierung des Sultans nicht mit ſonderlichem Beifall, kaum beſſer<lb/> als von der Neapels reden können (Lachen); aber wir haben keine Berichte<lb/> über die von Rußland ſtets betonte Chriſtenunterdrückung. (Hört, hört!) Alle<lb/> Berichte und alle mündlichen Mittheilungen urtheilsfähiger Perſonen ſagen<lb/> mir daß man die türkiſche Verwaltung im einzelnen weder loben noch ver-<lb/> theidigen könne, daß aber die chriſtlichen Unterthanen der Pforte keineswegs<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2634/0006]
ehrenvollen Narben bedeckt ſey und an den Nachwehen ſchwerer Verwundung
leide. Hr. Adderley behauptet, mit Berufung auf den Bericht des Colo-
nialvertheidigungsausſchuſſes, daß von den 15 Mill. Pf. St. auf dem
dießjährigen Armeebudget vier geſtrichen werden ſollten, indem es billiger
wäre wenn die Colonien die Koſten ihrer Vertheidigung allein zu beſtreiten
hätten. Lord Robert Cecil hält dieſe Anſicht für nicht ſtichhaltig. Als Bei-
ſpiel führt er die Capcolonie an, in deren Nähe die Regierung, gegen den
Wunſch der Coloniſten, eine Anzahl unabhängiger Staaten entſtehen ließ,
die zur Wachſamkeit herausfordern. Ueberhaupt ſolle man die Colonien nicht
zu ſehr vom Mutterland entwöhnen. Derſelben Meinung iſt Hr. Fortescue,
der den Grund für die Unterhaltung einer Militärmacht in den Colonien
weniger in der Möglichkeit eines europäiſchen Kriegs als in der von einheimi-
ſchen Stämmen fortwährend drohenden Gefahr erblicken will. Hr. Wil-
liams (für den Londoner Wahlbezirk Lambeth, radicaler Sparſamkeits-
mann) glaubt ſchier England müſſe ſeinen Muth verloren haben, da es bei
einer regulären Armee von 140,000 Mann und andern Vertheidigungscorps,
die das große Schützencorps mitgerechnet 200,000 Mann mehr machen, noch
immer des Invaſionsſiebers nicht los werden könne. Er ſehe nicht ein warum
die engliſchen Colonien nicht ebenſo gut wie die holländiſchen ihre eigene Land-
wehr ſtellen und bezahlen könnten. Der Admiral Sir C. Napier gibt dem
ehrenw. Mitglied für Lambeth zu verſtehen daß die Armee noch lange nicht
ausreichend, und daß die Kriegsflotte immer noch zu ſchwach ſey. Zur Spar-
ſamkeit werde es nach einigen Jahren fortgeſetzter energiſcher Nüſtung Zeit
ſeyn. Nach mehreren andern Anſragen und Zwiſchenreden erhebt ſich Hr.
Sidney Herbert (der Kriegsminiſter) zur Entgegnung. Den Oekonomen
gibt er zu bedenken daß das Kriegsbudget nur deßhalb 11 oder 12 Millionen
mehr als in einem der frühern Jahre betrage, weil das Land jetzt die un-
weiſen Neductionen des abgelaufenen Decenniums gut machen müſſe. Was
die Ernennung des ehrenw. C. Grey betreffe, ſo habe derſelbe neun Jahre
das 71ſte Negiment in Canada befehligt. Während der ganzen Zeit daß er
in der Armee diente, ſeyen nur zwei auswärtige Erpeditionen, die eine nach
Portugal, die andere nach Quebec, unternommen worden, und zufällig habe
der ehrenw. C. Grey beide mitgemacht. Die Ernennung ſey Sache des Kriegs
miniſters, allein der Obercommandant (Herzog v. Cambridge) habe ſie be-
ſtätigt — nicht weil der Ernannte eine Stelle bei Hof angenommen, ſondern
weil ſeine vorhergegangene militäriſche Laufbahn ihn der Ernennung würdig
erſcheinen ließ. Es würde die größte Ungerechtigkeit ſeyn einen Officier ins
ſchwarze Buch einzutragen weil er eine Hofſtelle bekleide. Hr. Diſraeli
bemerkt: er habe gewiß keine beſondere perſönliche Vorliebe für den tapfern
General von dem er einſt in drei Parlamentswahlen geſchlagen worden. Doch
könne er das Argument nicht gelten laſſen daß ein Mann in General Grey’s
Stellung den gerechten Lohn für ſeine Dienſte verwirken ſollte, weil er auf
einen Poſten im königlichen Haushalt berufen worden. Wenn dieſes Princip
zur Anerkennung gelangte, ſo würde die militäriſche Umgebung der Königin
und der andern Mitglieder der königlichen Familie bald aus Ofſicieren von
ſehr untergeordnetem Kaliber beſtehen. Das Haus conſtituirt ſich darauf
als Bewilligungsausſchuß, und es gehen zwei Poſten durch.
Die bereits vorgeſtern ſkizzirte Erklärung Lord John Ruſſells in der
Unterhausſitzung vom 2 Jun. lautete des näheren alſo: Ich will mich
bemühen die verſchiedenen an mich gerichteten Fragen ſo vollſtändig als mög-
lich zu beantworten. Zuerſt muß ich bemerken daß die Angabe als wäre Sir
H. Rawliſon in Folge einer zwiſchen ihm und Ihrer Majeſtät Regierung
herrſchenden Meinungsverſchiedenheit über die in Perſien zu beobachtende
Politik abberufen worden, eine reine Fabel iſt. (Hört! Hört!) Sir Henry
Rawlinſon iſt ein Mann von außerordentlicher Begabung und in den Ange-
legenheiten des Morgenlandes ſehr zu Hauſe; ſeine perſiſche Politik wurde
von Ihrer Majeſtät Regierung vollkommen gebilligt, und ich gab mich der
Hoffnung hin daß er geneigt ſeyn werde auf ſeinem Geſandtſchaftspoſten in
Perſien zu bleiben. Der Grund ſeiner Rückkehr iſt von dem ehrenwerthen
Mitglied für Liskeard (Osborne) richtig errathen worden. Die Leitung der
perſiſchen Angelegenheiten war vom Jahr 1835 bis 1858 ausſchließliche
Sache des auswärtigen Amtes. Während der vorigen (Derbyitiſchen) Ver-
waltung wurde Perſien unter das indiſche Aufſichtsamts geſtellt. Mein
edler Freund an der Spitze (Lord Palmerſton) fand für gut die frühere Ein-
richtung wieder herzuſtellen; denn er dachte daß die Hauptaufgabe in Perſien
— obgleich manches dort ohne Zweifel mit den indiſchen Angelegenheiten zu-
ſammenhängt — darin beſtehe, die Beziehungen zwiſchen jenem Lande und
England und Rußland zu ordnen. Dieß iſt in der That der Fall, ſo viel
ich aus eigener Erfahrung weiß. Wenn eine Frage zwiſchen Perſten und
Rußland ſchwebt, ſo wird die Meinung des engliſchen Geſandten darüber
eingeholt; und wenn eine Frage zwiſchen Perſien und England vorhanden
iſt, wird der ruſſiſche Geſandte zu Rath gezogen. Ich übernahm die mir
übertragene Verantwortlichkeit, und hoffte in der That auf Sir Henry’s Ge-
neigtheit zu bleiben. Aber nicht lange nachdem die eingetretene Veränderung
in Perſien bekannt geworden war, erfuhr ich von einem Gentleman im aus-
wärtigen Amt, Sir. H. Rawlinſon habe ihm in einem Privatſchreiben mit-
getheilt daß er gleich nach Empfang der amtlichen Anzeige von der getroffe-
nen Aeuderung ſeine Entlaſſung einreichen und heimkehren werde. Seine
Einwände waren, glaube ich, vorzugsweiſe gegen die verſchiedene Ge-
ſchäſtsführung in den beiden Aemtern gerichtet, und der eine bezog ſich
allerdings auf das Geſchenkemachen, was vom auswärtigen Amt nie ge-
ſtattet wurde. Einige Zeit nachher ſchrieb mir Sir Henry Rawlinſon ſelber,
und ich fand mich bewogen, nachdem ich ſeine Entlaſſung mit Bedauern
angenommen, an ſeiner Stelle Hrn. Aliſon zu ernennen, einen Gentleman
der lange im diplomatiſchen Dienſt im Orient ſtand, und deſſen Depeſchen und
Berichte ich oft zu bewundern Gelegenheit hatte. Unſere perſiſche Politik iſt
leicht erklärt. Sie beſteht darin die Integrität und Unabhängigkeit Perſiens
aufrecht zu halten, aber zugleich der perſiſchen Regierung von Angriffen auf
andere unabhängige Nationen abzurathen. (Hört, hört!) Wir wünſchen der
perſiſchen Regierung nichts aufzudrängen und ſie zu nichts zu zwingen. Der
hieſige perſiſche Geſandte hat unſerm Rath gerne beigeſtimmt, und unſere Be-
ziehungen zum Schah ſind der freundſchaftlichſten Art. (Hört, hört!) In
einem Punkt jedoch iſt unſere Anſicht vielleicht eigenthümlich. Von Zeit zu
Zeit beſtand eine Art Nebenbuhlerei zwiſchen Großbritannien und Rußland
in Perſien. Die Anhänger Großbritanniens wußten immer eine oder die an-
dere Geſchichte von ruſſiſcher Unterdrückungsluſt zu erzählen, und umgekehrt
wurde die brittiſche Politik von den Freunden Rußlands denuncirt. Ich hielt
es für das beſte von dieſer Nebenbuhlerei abzumahnen (hört!), und ſo oft ich
nach St. Petersburg zu ſchreiben oder mit dem ruſſiſchen Geſandten zu reden
hatte, ſagte ich immer: wenn nur Rußland die Unabhängigkeit Perſiens auf-
rechthalten wolle, ſo würden wir gern im ſelben Sinne Rath ertheilen; daß
wir kein beſonders gegen Rußland gerichtetes Intereſſe in Perſien haben; daß
wir nur die manchmal ſchwache und manchmal bedrohte perſiſche Regierung
ſtützen wollen, und daß wir vertrauten Rußland werde im ſelben Sinne mit
uns handeln. Die Rückäußerungen die wir von Rußland erhielten zengen von
derſelben Geſinnung, und wir haben daher allen Grund zu glauben daß die
perſiſche Regierung in Zukunft eine mehr gleichförmige Politik befolgen wird
als ſie zuweilen gethan hat. (Hört, hört!) Was die über Sicilien erſchienene
Flugſchrift angeht, ſo können wir ihr keine Autorität beilegen. Niemand als
der Gentleman der ſie unterzeichnet hat, iſt für ſie verantwortlich; aber es
liegen leider in unſerem auswärtigen Amt Berichte von unſern Conſuln —
zwei oder drei aus dem Jahr 1857, einer vom 24 Juli 1859 und einige andere
— über Grauſamkeiten, und ſelbſt Folteranwendungen welche die Polizei in
Sicilien ſich erlaubt hat. Der Gegenſtand iſt ein ſehr peinlicher, und ich
mag keine Einzelnheiten daraus erwähnen; aber genug daß Leute zu unſern
Vertretern kamen und erzählten wie ſie bei den Handgelenken zuſammen-
geſchnürt, mit der ſogenannten „Haube des Schweigens“ geknebelt, und an-
dern Mißhandlungen, die man füglich als Folter bezeichnen kann, unterworfen
wurden. Ich zweifle nicht daß dieſe Dinge, nebſt andern Umſtänden, die
jetzige Lage der Dinge in Sicilien herbeigeführt haben, über die niemand der
von der neapolitaniſchen Regierungsweiſe einen Begriff hat, erſtaunt ſeyn
kann. (Hört, hört!) Ich komme jetzt zu den ſehr wichtigen Fragen des Mitglieds
für Horsham (Hrn. S. Fitzgerald). Es wird am beſten ſeyn vorerſt eine vollkom-
mene Darſtellung deſſen zu geben was ſich mit Bezug auf die türkiſchen Angelegen-
heiten in St. Petersburg begeben hat. Gegen Ende April that Fürſt Gor-
tſchakoff dem türkiſchen Geſandten am k. ruſſiſchen Hof zu wiſſen daß die Be-
richte aus den chriſtlichen Provinzen der Türkei von ſolchen Leiden und ſolcher
Erbilterung der chriſtlichen Bevölkerung zeugten daß ſie einen Aufſtand be-
ſürchten ließen, und daß wenn in ſolchem Fall die türkiſchen Truppen ein
Blutbad anrichten ſollten, der Kaiſer von Rußland kein ruhiger Zuſchauer
bleiben würde. Einige Tage darauf gieng eine Depeſche desſelben Inhalts
nach Paris, und am 5 Mai verſammelte Fürſt Gortſchakoff die Geſandten
der fünf Mächte in ſeiner Amtswohnung, und machte ihnen dieſelbe Mit-
theilung. Nach einiger Erörterung ſetzte der franzöſiſche Geſandte drei Vor-
ſchläge auf, über die man ſich ſo weit einigte daß die Geſandten ſie an ihre
reſpectiven Höfe zu ſenden übernahmen. Der erſte beſagte daß die Lage der
chriſtlichen Provinzen der Türkei unerträglich geworden ſey; der zweite daß
die Beamten des Sultans, mit der Unterſtützung der Conſuln der fünf Mächte,
eine Unterſuchung anſtellen ſollten, und der dritte daß nachdem der Hat-Hu-
mayum ſeinen Zweck verfehlt habe, eine neue Organiſation für die chriſtlichen
Provinzen nothwendig geworden ſey. Nach Empfang dieſer drei Punkte
entgegneten wir daß Ihrer Maj. Regierung ſich durch die ihr zugegangenen
Berichte nicht berechtigt glaube die Lage der chriſtlichen Provinzen der Türkei
unerträglich zu nennen. (Hört, hört!) Das Haus weiß daß wir von der
innern Regierung des Sultans nicht mit ſonderlichem Beifall, kaum beſſer
als von der Neapels reden können (Lachen); aber wir haben keine Berichte
über die von Rußland ſtets betonte Chriſtenunterdrückung. (Hört, hört!) Alle
Berichte und alle mündlichen Mittheilungen urtheilsfähiger Perſonen ſagen
mir daß man die türkiſche Verwaltung im einzelnen weder loben noch ver-
theidigen könne, daß aber die chriſtlichen Unterthanen der Pforte keineswegs
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(2021-11-18T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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