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Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 15. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] erschien, so gering der Grad von Selbständigkeit war dessen die norditalischen
Provinzen und Neapel unter der Herrschaft des ersten Napoleoniden und seiner
-- mit dem Schattenbilde der Suzeränetät bekleideten -- Vasallen theilhaftig
wurden, die Abneigung und der Haß gegen die Fremdherrschaft haben, den west-
lichen Bedrückern gegenüber, nie jenen Grad der Intensität und jenen bestimmten
Charakter angenommen welche in den vierziger und fünfziger Jahren der öster-
reichischen Herrschaft zutheil geworden sind. Es mag diese unverkennbare That-
sache theils in der größern Verwandtschaft der Racen, theils auch in dem schon er-
wähnten Umstande seine Erklärung finden daß Italien über den Uebeln der Gegen-
wart die der Vergangenheit sehr leicht übersah, und zu leicht geneigt schien die
momentanen Feinde seiner Feinde als seine Freunde zu betrachten.

Es kann nicht in unserer Absicht liegen hier zu erörtern welchen Ursachen
schließlich das so heilsame Resultat der Emancipation Italiens entsprossen ist. Wir
sind von unserer Aufgabe schon etwas abgeschweift, indem wir uns in vor-
stehende Betrachtungen ergiengen, um zu zeigen daß die italienische Zukunftspolitik
wahrscheinlich nicht fremd war bei der günstigen Aufnahme welcher der Gedanke
einer Schienenverbindung über die Alpen und der dadurch erzielte innigere Anschluß
an Frankreich bei der Regierung und bei der öffentlichen Meinung Piemonts theil-
haftig wurde. Wir kehren zum Faden unserer Berichterstattung zurück.

Der Anfang der vierziger Jahre zeigt uns in Italien die Frage der Alpen-
überschienung als eine offene. Vielfache Vorschläge tauchten auf, ohne indessen
bei der Verwickeltheit der Aufgabe, bei der Neuheit ihrer Grundlagen und bei der
Großartigkeit der zur Ausführung erforderlichen Mittel eine faßlichere Gestalt an-
zunehmen und zu einem praktischen Programm zu führen. Erst im Jahr 1845
trat diese Frage in ein bestimmtes Stadium ein. In gleichem Maße in welchem
die Schienenwege an Ausbreitung zugenommen hatten, war die Eisenbahntechnik
allmählich vorwärts geschritten. Von dem anfänglichen Programm ganz ebener
soviel als thunlich geradliniger Wege war man schon auf schwierigere Verhältnisse
übergegangen. In Oesterreich und Bayern fanden damals interessante Versuche
statt um erhebliche Steigungen, wie sie am Semmering und beim Uebergang des
Fichtelgebirgs vorkommen, vermittelst der Anwendung mächtiger, nach speciellen
und zweckentsprechenden Normen construirter Locomotiven zu bewältigen; in Bel-
gien und in Frankreich hatte man es mit Erfolg versucht die Züge auf noch stär-
keren, dabei aber verhältnißmäßig kürzeren Steigungen, den sogenannten "schiefen
Ebenen," durch feststehende Maschinen, mit Seilbetrieb oder Luftsaugpumpen, in
Gang zu setzen. Der Erfinder eines der letzteren Systeme, der belgische Ingenieur
Maus, Erbauer der schiefen Ebene mit Seilbetrieb bei Lüttich, wurde in jenem
Jahr 1845 nach Piemont berufen, wo, mit den Fortschritten der Technik die Mög-
lichkeit der Ueberwindung der Schwierigkeiten bei der Ueberschienung der Apen-
ninen und der Alpen näher gerückt schien, und allmählich auch die Nothwendigkeit
der Ausbreitung der neuen Verkehrswege im Innern des Landes mehr und mehr
Platz gegriffen hatte. Zum ehrenvollen Posten eines Inspectors der Civilbauver-
waltung ernannt, wurde Maus mit beiden Aufgaben betraut. Während er die
Studien und den Bau der Bahnlinien von Turin über Alessandria nach Genua
alsbald in Angriff nahm, und trotz außerordentlicher Schwierigkeiten in kurzer Zeit
mit seltenem Geschick löste, wurde die andere noch größere Aufgabe der Ueberschrei-
tung der Alpen bald zum Gegenstand einläßlicher Studien von Seiten des Bel-
giers und eines anderen hervorragenden Mannes, des hochberühmten Gelehrten
Sismonda, welchen die Regierung mit der Untersuchung des mehr wissenschaftlichen
und geologischen Theils der Frage beauftragt hatte.

Die allgemeinen Vorstudien beider Männer führten bald zu Resultaten
welche die von Joseph M bail vor zehn Jahren mitgetheilten Vorschläge im großen
Ganzen als die richtigen erscheinen ließen. Die Verbindung zwisch en den Thälern
der Dora Riparia und des Arc durch den Col de Frejus*) wurde, sowohl in Bezug
auf die Kürze des Gebirgsdurchbruchs als auch wegen der mehr dem Herzen Frank-
reichs zugekehrten allgemeinen Richtung, als die beste unter vier concurrirenden
Tracen**) erkannt.

Zur Ueberwindung dieses Gebirgspasses schien ein Tunnel von 121/4 Kilo-
metern Länge auf der Höhenlage von 1300--1400 Metern über Meeresspiegel noth-
wendig. Um diese sehr beträchtliche Höhe (es en tspricht dieselbe sehr nahezu dem
höchsten Punkte der Brennerbahn) zu erreichen, und die Länge des ohnehin außer-
gewöhnlichen Souterrains auf das geringste Maß zu red uciren, mußten auf beiden
Seiten des letzteren beträchtliche und fortgesetzte Steigungen angewendet werden.
Zur Bewältigung dieser schlug der belgische Ingenieur sein in Lüttich angewandtes
Seilsystem vor mit einigen Abänderungen welche die Natur der Oertlichkeit be-
dingte, und welche wesentlich darin bestanden an Stelle des Da mpfes die vorhan-
denen natürlichen Wasserkräfte zu benutzen. Zur Vermeidung allzu langer Seil-
betriebe war die Gesammtsteigung auf jeder Seite des Tunnels in 4 -- 5 Einzel-
sectionen von je 4--5 Kilometern Bahnentwicklung abgetheilt.

Obschon vorerst nur die allgemeinen Grundzüge der Anlage der Alpenbahn
feststanden und noch keine genauer studierte Trace vorlag, schien es doch schon mehr
als wahrscheinlich daß man der Nothwendigkeit eines außergewöhnlich langen und
überdieß (bei der nahezu 1000 Meter dicken Gebirgsdecke) durchaus schachtlosen
Tunnels nicht werde entgehen können. Ebenso unumgehbar schien es bei dem außer-
ordentlichen Charakter des herzustellenden Werkes ganz außerordentliche Mittel in
Anwendung zu bringen. Unter Anwendung der gewöhnlichen Handarbeit konnte
[Spaltenumbruch] in der That nach den dazumal gekannten Anhaltspunkten der Fortschritt eines
Tunnels an einer Angriffsstelle zu kaum mehr als 60--70 Centimetern pro 24 stün-
diger Arbeit veranschlagt werden, und es hätte somit die Ausführung eines 12,300
Meter langen Souterrains für jede der beiden Angriffsstellen (d. i. für je 6150
Meter Tunnellänge) etwa 10,250 Tage, also ungefähr 28 Jahre erfordert, dabei
die Vorarbeiten der Installation, und die Schwierigkeiten welche mit der großen
Entfernung der Angriffsstellen von den Tunnelmündungen zusammenhängen, noch
gar nicht in Betracht gezogen.

Angesichts dieser Sachlage mußte jede competente Auffassung sofort zu der
Ueberzeugung gelangen: daß die Herstellung eines so großen Souterrains ganz neue
Combinationen und die Anwendung eines beschleunigten, durch Maschinen bewirk-
ten Arbeitsganges erforderte. Ein fernerer Umstand, welcher in dieser Richtung
bestimmend wirkte und zu Gunsten großer mechanischer Einrichtungen sprach, lag
in den Schwierigkeiten einer hinreichenden Ventilation, d. i. Lufterneuerung. Die
Erfahrung lehrt daß schon bei ganz kurzen Stollenlängen der Aufenthalt der Ar-
beiter, wegen der Verschlechterung der Luft und der Bildung mephitischer Gase
(welche theils durch die Ausathmung, theils durch den Pulverdampf, theils durch
die mineralogische Beschaffenheit der Gebirgsmasse selbst hervorgebracht werden),
sich äußerst schwierig gestaltet und fast immer künstliche Ventilationsapparate er-
fordert, deren Installation mit der Entfernung zwischen Angriffsfronte und Tunnel-
mündung an Bedeutung zunimmt, und erst dann erlassen werden kann wenn in
Folge eines Durchschlags oder der Verbindung mit einem Schacht ein natürlicher
Luftzug sich bildet.

(Schluß folgt.)



Die bayerischen Spitalzüge während des deutsch - französischen
Krieges.
*)

* Das Bedürfniß für den Verwundetentransport auf Eisenbahnen Vor-
kehrungen zu treffen, trat zunächst in dem nordamerikanischen Kriege der Jahre
1861 bis 1865 bervor. Nachdem sich dasselbe in gleicher Weise als höchst dring-
lich in dem Kriege gegen Dänemark und insbesondere in dem des Jahres 1866
gegen Oesterreich ausgewiesen hatte, wurden sofort im Jahre 1867 auf Veranlas-
sung des k. preußischen Handelsministeriums Eisenbahnwagen vierter Classe mit
deßbezüglichen Einrichtungen versehen, so daß in jedem derselben zwölf Schwer-
verwundete auf Bahren, welche, je zwei übereinander, in Gummi-Ringen hängen,
transportirt werden können. Im Jahre 1869 ward die vorwürfige Frage auch
in Bayern der sorgfältigsten Prüfung unterzogen. Die Versuche welche mit eigens
hiezu erbetenen hannoverischen Personenwagen vierter Classe angestellt wurden,
entsprachen nicht den gehofften Erwartungen; man stand daher von Anschaffung
solcher Wagen ab, und suchte dagegen die vorhandenen bedeckten Güterwagen der
bayerischen Staatsbahnen sachdienlich umzugestalten. Dieselben bieten an beiden
Langseiten für je zwei Feldbetten Raum; eine fünfte Lagerstelle kann in der Mitte,
querüber von Schubthüre zu Schubthüre, geschaffen werden. Dem entsprechend
wurden an den Langseiten vier Feldbetten -- abhebbar -- auf Federgestellen an-
gebracht; unter das Mittellager aber, das lediglich aus Seegrasmatratze mit
Polster bestand, ein beweglicher Boden gelegt, der -- auf der untern Fläche mit
Dachlatten und an einem Schmalende mit eisernen Haken versehen -- als
Brücke beim Ein- und Ausladen der Patienten dienen konnte.

Nachdem die Proben zu günstigen Ergebnissen geführt, erfolgte die An-
nahme dieses Systems, welches auch bei den mit Beginn des Krieges sofort einge-
richteten drei bayerischen Spitalzügen während der ersten drei Monate des Feld-
zuges festgehalten und nur in einzelnen Punkten verbessert wurde. Während
nämlich bei den anfänglichen Fahrten außer den Wagen für Material nur solche
zum Verwundetentransport mitliefen, zeigte sich immer mehr und mehr die Noth-
wendigkeit die Hospitalzüge in ihrer Einrichtung zu dem zu completiren was sie
thatsächlich waren -- zu ambulanten Spitälern. Es wurden darum sehr bald in
denselben eigene Räumlichkeiten für Küche, Medicamente u. dgl. geschaffen. Ebenso
trat immer mehr und mehr die Dringlichkeit zu Tage daß die einzelnen Kranken-
wagen unter sich mit Communicationen versehen würden. Dieses unabweisbare
Bedürfniß, und die klare Einsicht daß die bedeckten Güterwagen mit beiderseitigen
Schubthüren gegen die Kälte des herannahenden Winters nicht genügenden Schutz
zu bieten vermöchten, lenkte die Aufmerksamkeit der maßgebenden Stellen auf
einen Wechsel im Wagensystem, welcher denn auch mit möglichster Beschleunigung
dahingehend erfolgte: daß Wagen amerikanischen Systems, wie solche auf der Route
München-Starnberg im Gebrauch stehen, zu Zwecken der Spitalzüge Verwendung
fanden. Mit Beibehaltung der vorhandenen Feldbetten auf Federgestellen faß-
ten diese Wagen auf einer Langseite drei Lagerstellen; thatsächlich fanden sich wäh-
rend des Winters in denselben jedoch nicht sechs sondern lediglich fünf, indem
die eine mittlere Lagerstätte behufs Einsetzung eines Ofens unbenützt blieb. Sol-
cher Wagen, welche zum Transport schwerer Fälle bestimmt waren, hatte jeder
der drei bayerischen Spitalzüge regelmäßig 12; für die Aufnahme leichterer Fälle
waren 6 bis 8 gewöhnliche Personenwagen eingefügt; außerdem liefen 1 Com-
mandanten- und Verwalter-, 1 Doctor-, 1 Küchen-, 1 Reservekrankenwagen,
ferner 1 Latrinen-, 1 Heiz-, 1 Kohlen- und 2 Depotwagen mit.

Was die Vorkehrungen zum Transport Schwerverwundeter betrifft, so wird
wohl von keiner Seite in Abrede gestellt werden können daß dieselben unter allen
gegenwärtig vorhandenen den Interessen der Pfleglinge am meisten Rechnung
tragen. Ein Wagen nur mit 5 (im Sommer 6) Verwundeten belegt, und voll-
ständig wohnlich eingerichtet, läßt den Patienten den Aufenthalt in einem Spital
-- und noch dazu in einem wandelnden -- fast gänzlich vergessen. Die schwache

*) Der Alpentunnel ist bis jetzt fast überall nur unter dem Namen "Mont-Cenis-
Tunnel" gekannt, weil er von der großen Heerstraße über den Mont-Cenis-Paß
abzweigt und dieselbe ersetzt. In Wirklichkeit liegt aber der Tunnel etwa 25 Kilo-
meter westlich des Mont-Cenis-Passes, und zieht sich derselbe zwischen den Gipseln
des Mont Thabor und dem Mont-Tonal unter dem "Col (Paß) de Frejus" durch.
Die Benennung "Mont-Cenis-Tunnel," welche wir der Verständl chkeit halber beibe-
halten haben, ist also im Grunde genommen eine unzutreffende.
**) Die drei anderen Richtungen beruhten a) auf einer Verdindung des Thales der
Dora Riparia mit demjenigen der Durance; b) auf einer Berbindung des Thales
von Stura de Lanza mit demjenigen des Aetc; c) auf einer Verbindung des Thales
der Dora Baltea mit dem Thale der Isere. Die deiden erstgenannten Richtungen
wurden aus mehr technischen, die letztere aus commerciellen-nationalökonomischen
Rücksichten, nämlich weil sie sich zu sehr nach dem Südin abschwenkte und zu bald
das sodoyische Gebiet derließ, aufgegeben.
*) Reinhold Hirschberg, die bayerischen Spitalzüge im deutsch-französischen Kriege 1870/71
Mit 12 Tafeln. München 1872. Das k bayer. Kriegsministerium hat dieses Werk
allen Commando- und Dienststellen zur Anschaffung aus Regiemitteln erlaubt und
empfohlen, da dasselbe "über Einrichtung und Verwendung der Spitalzüge so viel
wissenswerthes enthalte, daß dessen Verbreitung in der Armee wünschenswerth er-
scheine."

[Spaltenumbruch] erſchien, ſo gering der Grad von Selbſtändigkeit war deſſen die norditaliſchen
Provinzen und Neapel unter der Herrſchaft des erſten Napoleoniden und ſeiner
— mit dem Schattenbilde der Suzeränetät bekleideten — Vaſallen theilhaftig
wurden, die Abneigung und der Haß gegen die Fremdherrſchaft haben, den weſt-
lichen Bedrückern gegenüber, nie jenen Grad der Intenſität und jenen beſtimmten
Charakter angenommen welche in den vierziger und fünfziger Jahren der öſter-
reichiſchen Herrſchaft zutheil geworden ſind. Es mag dieſe unverkennbare That-
ſache theils in der größern Verwandtſchaft der Racen, theils auch in dem ſchon er-
wähnten Umſtande ſeine Erklärung finden daß Italien über den Uebeln der Gegen-
wart die der Vergangenheit ſehr leicht überſah, und zu leicht geneigt ſchien die
momentanen Feinde ſeiner Feinde als ſeine Freunde zu betrachten.

Es kann nicht in unſerer Abſicht liegen hier zu erörtern welchen Urſachen
ſchließlich das ſo heilſame Reſultat der Emancipation Italiens entſproſſen iſt. Wir
ſind von unſerer Aufgabe ſchon etwas abgeſchweift, indem wir uns in vor-
ſtehende Betrachtungen ergiengen, um zu zeigen daß die italieniſche Zukunftspolitik
wahrſcheinlich nicht fremd war bei der günſtigen Aufnahme welcher der Gedanke
einer Schienenverbindung über die Alpen und der dadurch erzielte innigere Anſchluß
an Frankreich bei der Regierung und bei der öffentlichen Meinung Piemonts theil-
haftig wurde. Wir kehren zum Faden unſerer Berichterſtattung zurück.

Der Anfang der vierziger Jahre zeigt uns in Italien die Frage der Alpen-
überſchienung als eine offene. Vielfache Vorſchläge tauchten auf, ohne indeſſen
bei der Verwickeltheit der Aufgabe, bei der Neuheit ihrer Grundlagen und bei der
Großartigkeit der zur Ausführung erforderlichen Mittel eine faßlichere Geſtalt an-
zunehmen und zu einem praktiſchen Programm zu führen. Erſt im Jahr 1845
trat dieſe Frage in ein beſtimmtes Stadium ein. In gleichem Maße in welchem
die Schienenwege an Ausbreitung zugenommen hatten, war die Eiſenbahntechnik
allmählich vorwärts geſchritten. Von dem anfänglichen Programm ganz ebener
ſoviel als thunlich geradliniger Wege war man ſchon auf ſchwierigere Verhältniſſe
übergegangen. In Oeſterreich und Bayern fanden damals intereſſante Verſuche
ſtatt um erhebliche Steigungen, wie ſie am Semmering und beim Uebergang des
Fichtelgebirgs vorkommen, vermittelſt der Anwendung mächtiger, nach ſpeciellen
und zweckentſprechenden Normen conſtruirter Locomotiven zu bewältigen; in Bel-
gien und in Frankreich hatte man es mit Erfolg verſucht die Züge auf noch ſtär-
keren, dabei aber verhältnißmäßig kürzeren Steigungen, den ſogenannten „ſchiefen
Ebenen,“ durch feſtſtehende Maſchinen, mit Seilbetrieb oder Luftſaugpumpen, in
Gang zu ſetzen. Der Erfinder eines der letzteren Syſteme, der belgiſche Ingenieur
Maus, Erbauer der ſchiefen Ebene mit Seilbetrieb bei Lüttich, wurde in jenem
Jahr 1845 nach Piemont berufen, wo, mit den Fortſchritten der Technik die Mög-
lichkeit der Ueberwindung der Schwierigkeiten bei der Ueberſchienung der Apen-
ninen und der Alpen näher gerückt ſchien, und allmählich auch die Nothwendigkeit
der Ausbreitung der neuen Verkehrswege im Innern des Landes mehr und mehr
Platz gegriffen hatte. Zum ehrenvollen Poſten eines Inſpectors der Civilbauver-
waltung ernannt, wurde Maus mit beiden Aufgaben betraut. Während er die
Studien und den Bau der Bahnlinien von Turin über Aleſſandria nach Genua
alsbald in Angriff nahm, und trotz außerordentlicher Schwierigkeiten in kurzer Zeit
mit ſeltenem Geſchick löste, wurde die andere noch größere Aufgabe der Ueberſchrei-
tung der Alpen bald zum Gegenſtand einläßlicher Studien von Seiten des Bel-
giers und eines anderen hervorragenden Mannes, des hochberühmten Gelehrten
Sismonda, welchen die Regierung mit der Unterſuchung des mehr wiſſenſchaftlichen
und geologiſchen Theils der Frage beauftragt hatte.

Die allgemeinen Vorſtudien beider Männer führten bald zu Reſultaten
welche die von Joſeph M bail vor zehn Jahren mitgetheilten Vorſchläge im großen
Ganzen als die richtigen erſcheinen ließen. Die Verbindung zwiſch en den Thälern
der Dora Riparia und des Arc durch den Col de Fréjus*) wurde, ſowohl in Bezug
auf die Kürze des Gebirgsdurchbruchs als auch wegen der mehr dem Herzen Frank-
reichs zugekehrten allgemeinen Richtung, als die beſte unter vier concurrirenden
Tracen**) erkannt.

Zur Ueberwindung dieſes Gebirgspaſſes ſchien ein Tunnel von 12¼ Kilo-
metern Länge auf der Höhenlage von 1300—1400 Metern über Meeresſpiegel noth-
wendig. Um dieſe ſehr beträchtliche Höhe (es en tſpricht dieſelbe ſehr nahezu dem
höchſten Punkte der Brennerbahn) zu erreichen, und die Länge des ohnehin außer-
gewöhnlichen Souterrains auf das geringſte Maß zu red uciren, mußten auf beiden
Seiten des letzteren beträchtliche und fortgeſetzte Steigungen angewendet werden.
Zur Bewältigung dieſer ſchlug der belgiſche Ingenieur ſein in Lüttich angewandtes
Seilſyſtem vor mit einigen Abänderungen welche die Natur der Oertlichkeit be-
dingte, und welche weſentlich darin beſtanden an Stelle des Da mpfes die vorhan-
denen natürlichen Waſſerkräfte zu benutzen. Zur Vermeidung allzu langer Seil-
betriebe war die Geſammtſteigung auf jeder Seite des Tunnels in 4 — 5 Einzel-
ſectionen von je 4—5 Kilometern Bahnentwicklung abgetheilt.

Obſchon vorerſt nur die allgemeinen Grundzüge der Anlage der Alpenbahn
feſtſtanden und noch keine genauer ſtudierte Trace vorlag, ſchien es doch ſchon mehr
als wahrſcheinlich daß man der Nothwendigkeit eines außergewöhnlich langen und
überdieß (bei der nahezu 1000 Meter dicken Gebirgsdecke) durchaus ſchachtloſen
Tunnels nicht werde entgehen können. Ebenſo unumgehbar ſchien es bei dem außer-
ordentlichen Charakter des herzuſtellenden Werkes ganz außerordentliche Mittel in
Anwendung zu bringen. Unter Anwendung der gewöhnlichen Handarbeit konnte
[Spaltenumbruch] in der That nach den dazumal gekannten Anhaltspunkten der Fortſchritt eines
Tunnels an einer Angriffsſtelle zu kaum mehr als 60—70 Centimetern pro 24 ſtün-
diger Arbeit veranſchlagt werden, und es hätte ſomit die Ausführung eines 12,300
Meter langen Souterrains für jede der beiden Angriffsſtellen (d. i. für je 6150
Meter Tunnellänge) etwa 10,250 Tage, alſo ungefähr 28 Jahre erfordert, dabei
die Vorarbeiten der Inſtallation, und die Schwierigkeiten welche mit der großen
Entfernung der Angriffsſtellen von den Tunnelmündungen zuſammenhängen, noch
gar nicht in Betracht gezogen.

Angeſichts dieſer Sachlage mußte jede competente Auffaſſung ſofort zu der
Ueberzeugung gelangen: daß die Herſtellung eines ſo großen Souterrains ganz neue
Combinationen und die Anwendung eines beſchleunigten, durch Maſchinen bewirk-
ten Arbeitsganges erforderte. Ein fernerer Umſtand, welcher in dieſer Richtung
beſtimmend wirkte und zu Gunſten großer mechaniſcher Einrichtungen ſprach, lag
in den Schwierigkeiten einer hinreichenden Ventilation, d. i. Lufterneuerung. Die
Erfahrung lehrt daß ſchon bei ganz kurzen Stollenlängen der Aufenthalt der Ar-
beiter, wegen der Verſchlechterung der Luft und der Bildung mephitiſcher Gaſe
(welche theils durch die Ausathmung, theils durch den Pulverdampf, theils durch
die mineralogiſche Beſchaffenheit der Gebirgsmaſſe ſelbſt hervorgebracht werden),
ſich äußerſt ſchwierig geſtaltet und faſt immer künſtliche Ventilationsapparate er-
fordert, deren Inſtallation mit der Entfernung zwiſchen Angriffsfronte und Tunnel-
mündung an Bedeutung zunimmt, und erſt dann erlaſſen werden kann wenn in
Folge eines Durchſchlags oder der Verbindung mit einem Schacht ein natürlicher
Luftzug ſich bildet.

(Schluß folgt.)



Die bayeriſchen Spitalzüge während des deutſch - franzöſiſchen
Krieges.
*)

● Das Bedürfniß für den Verwundetentransport auf Eiſenbahnen Vor-
kehrungen zu treffen, trat zunächſt in dem nordamerikaniſchen Kriege der Jahre
1861 bis 1865 bervor. Nachdem ſich dasſelbe in gleicher Weiſe als höchſt dring-
lich in dem Kriege gegen Dänemark und insbeſondere in dem des Jahres 1866
gegen Oeſterreich ausgewieſen hatte, wurden ſofort im Jahre 1867 auf Veranlaſ-
ſung des k. preußiſchen Handelsminiſteriums Eiſenbahnwagen vierter Claſſe mit
deßbezüglichen Einrichtungen verſehen, ſo daß in jedem derſelben zwölf Schwer-
verwundete auf Bahren, welche, je zwei übereinander, in Gummi-Ringen hängen,
transportirt werden können. Im Jahre 1869 ward die vorwürfige Frage auch
in Bayern der ſorgfältigſten Prüfung unterzogen. Die Verſuche welche mit eigens
hiezu erbetenen hannoveriſchen Perſonenwagen vierter Claſſe angeſtellt wurden,
entſprachen nicht den gehofften Erwartungen; man ſtand daher von Anſchaffung
ſolcher Wagen ab, und ſuchte dagegen die vorhandenen bedeckten Güterwagen der
bayeriſchen Staatsbahnen ſachdienlich umzugeſtalten. Dieſelben bieten an beiden
Langſeiten für je zwei Feldbetten Raum; eine fünfte Lagerſtelle kann in der Mitte,
querüber von Schubthüre zu Schubthüre, geſchaffen werden. Dem entſprechend
wurden an den Langſeiten vier Feldbetten — abhebbar — auf Federgeſtellen an-
gebracht; unter das Mittellager aber, das lediglich aus Seegrasmatratze mit
Polſter beſtand, ein beweglicher Boden gelegt, der — auf der untern Fläche mit
Dachlatten und an einem Schmalende mit eiſernen Haken verſehen — als
Brücke beim Ein- und Ausladen der Patienten dienen konnte.

Nachdem die Proben zu günſtigen Ergebniſſen geführt, erfolgte die An-
nahme dieſes Syſtems, welches auch bei den mit Beginn des Krieges ſofort einge-
richteten drei bayeriſchen Spitalzügen während der erſten drei Monate des Feld-
zuges feſtgehalten und nur in einzelnen Punkten verbeſſert wurde. Während
nämlich bei den anfänglichen Fahrten außer den Wagen für Material nur ſolche
zum Verwundetentransport mitliefen, zeigte ſich immer mehr und mehr die Noth-
wendigkeit die Hoſpitalzüge in ihrer Einrichtung zu dem zu completiren was ſie
thatſächlich waren — zu ambulanten Spitälern. Es wurden darum ſehr bald in
denſelben eigene Räumlichkeiten für Küche, Medicamente u. dgl. geſchaffen. Ebenſo
trat immer mehr und mehr die Dringlichkeit zu Tage daß die einzelnen Kranken-
wagen unter ſich mit Communicationen verſehen würden. Dieſes unabweisbare
Bedürfniß, und die klare Einſicht daß die bedeckten Güterwagen mit beiderſeitigen
Schubthüren gegen die Kälte des herannahenden Winters nicht genügenden Schutz
zu bieten vermöchten, lenkte die Aufmerkſamkeit der maßgebenden Stellen auf
einen Wechſel im Wagenſyſtem, welcher denn auch mit möglichſter Beſchleunigung
dahingehend erfolgte: daß Wagen amerikaniſchen Syſtems, wie ſolche auf der Route
München-Starnberg im Gebrauch ſtehen, zu Zwecken der Spitalzüge Verwendung
fanden. Mit Beibehaltung der vorhandenen Feldbetten auf Federgeſtellen faß-
ten dieſe Wagen auf einer Langſeite drei Lagerſtellen; thatſächlich fanden ſich wäh-
rend des Winters in denſelben jedoch nicht ſechs ſondern lediglich fünf, indem
die eine mittlere Lagerſtätte behufs Einſetzung eines Ofens unbenützt blieb. Sol-
cher Wagen, welche zum Transport ſchwerer Fälle beſtimmt waren, hatte jeder
der drei bayeriſchen Spitalzüge regelmäßig 12; für die Aufnahme leichterer Fälle
waren 6 bis 8 gewöhnliche Perſonenwagen eingefügt; außerdem liefen 1 Com-
mandanten- und Verwalter-, 1 Doctor-, 1 Küchen-, 1 Reſervekrankenwagen,
ferner 1 Latrinen-, 1 Heiz-, 1 Kohlen- und 2 Depotwagen mit.

Was die Vorkehrungen zum Transport Schwerverwundeter betrifft, ſo wird
wohl von keiner Seite in Abrede geſtellt werden können daß dieſelben unter allen
gegenwärtig vorhandenen den Intereſſen der Pfleglinge am meiſten Rechnung
tragen. Ein Wagen nur mit 5 (im Sommer 6) Verwundeten belegt, und voll-
ſtändig wohnlich eingerichtet, läßt den Patienten den Aufenthalt in einem Spital
— und noch dazu in einem wandelnden — faſt gänzlich vergeſſen. Die ſchwache

*) Der Alpentunnel iſt bis jetzt faſt überall nur unter dem Namen „Mont-Cenis-
Tunnel“ gekannt, weil er von der großen Heerſtraße über den Mont-Cenis-Paß
abzweigt und dieſelbe erſetzt. In Wirklichkeit liegt aber der Tunnel etwa 25 Kilo-
meter weſtlich des Mont-Cenis-Paſſes, und zieht ſich derſelbe zwiſchen den Gipſeln
des Mont Thabor und dem Mont-Tonal unter dem „Col (Paß) de Fréjus“ durch.
Die Benennung „Mont-Cenis-Tunnel,“ welche wir der Verſtändl chkeit halber beibe-
halten haben, iſt alſo im Grunde genommen eine unzutreffende.
**) Die drei anderen Richtungen beruhten a) auf einer Verdindung des Thales der
Dora Riparia mit demjenigen der Durance; b) auf einer Berbindung des Thales
von Stura de Lanza mit demjenigen des Aꝛc; c) auf einer Verbindung des Thales
der Dora Baltea mit dem Thale der Iſère. Die deiden erſtgenannten Richtungen
wurden aus mehr techniſchen, die letztere aus commerciellen-nationalökonomiſchen
Rückſichten, nämlich weil ſie ſich zu ſehr nach dem Südin abſchwenkte und zu bald
das ſodoyiſche Gebiet derließ, aufgegeben.
*) Reinhold Hirſchberg, die bayeriſchen Spitalzüge im deutſch-franzöſiſchen Kriege 1870/71
Mit 12 Tafeln. München 1872. Das k bayer. Kriegsminiſterium hat dieſes Werk
allen Commando- und Dienſtſtellen zur Anſchaffung aus Regiemitteln erlaubt und
empfohlen, da dasſelbe „über Einrichtung und Verwendung der Spitalzüge ſo viel
wiſſenswerthes enthalte, daß deſſen Verbreitung in der Armee wünſchenswerth er-
ſcheine.“
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[210/0002] erſchien, ſo gering der Grad von Selbſtändigkeit war deſſen die norditaliſchen Provinzen und Neapel unter der Herrſchaft des erſten Napoleoniden und ſeiner — mit dem Schattenbilde der Suzeränetät bekleideten — Vaſallen theilhaftig wurden, die Abneigung und der Haß gegen die Fremdherrſchaft haben, den weſt- lichen Bedrückern gegenüber, nie jenen Grad der Intenſität und jenen beſtimmten Charakter angenommen welche in den vierziger und fünfziger Jahren der öſter- reichiſchen Herrſchaft zutheil geworden ſind. Es mag dieſe unverkennbare That- ſache theils in der größern Verwandtſchaft der Racen, theils auch in dem ſchon er- wähnten Umſtande ſeine Erklärung finden daß Italien über den Uebeln der Gegen- wart die der Vergangenheit ſehr leicht überſah, und zu leicht geneigt ſchien die momentanen Feinde ſeiner Feinde als ſeine Freunde zu betrachten. Es kann nicht in unſerer Abſicht liegen hier zu erörtern welchen Urſachen ſchließlich das ſo heilſame Reſultat der Emancipation Italiens entſproſſen iſt. Wir ſind von unſerer Aufgabe ſchon etwas abgeſchweift, indem wir uns in vor- ſtehende Betrachtungen ergiengen, um zu zeigen daß die italieniſche Zukunftspolitik wahrſcheinlich nicht fremd war bei der günſtigen Aufnahme welcher der Gedanke einer Schienenverbindung über die Alpen und der dadurch erzielte innigere Anſchluß an Frankreich bei der Regierung und bei der öffentlichen Meinung Piemonts theil- haftig wurde. Wir kehren zum Faden unſerer Berichterſtattung zurück. Der Anfang der vierziger Jahre zeigt uns in Italien die Frage der Alpen- überſchienung als eine offene. Vielfache Vorſchläge tauchten auf, ohne indeſſen bei der Verwickeltheit der Aufgabe, bei der Neuheit ihrer Grundlagen und bei der Großartigkeit der zur Ausführung erforderlichen Mittel eine faßlichere Geſtalt an- zunehmen und zu einem praktiſchen Programm zu führen. Erſt im Jahr 1845 trat dieſe Frage in ein beſtimmtes Stadium ein. In gleichem Maße in welchem die Schienenwege an Ausbreitung zugenommen hatten, war die Eiſenbahntechnik allmählich vorwärts geſchritten. Von dem anfänglichen Programm ganz ebener ſoviel als thunlich geradliniger Wege war man ſchon auf ſchwierigere Verhältniſſe übergegangen. In Oeſterreich und Bayern fanden damals intereſſante Verſuche ſtatt um erhebliche Steigungen, wie ſie am Semmering und beim Uebergang des Fichtelgebirgs vorkommen, vermittelſt der Anwendung mächtiger, nach ſpeciellen und zweckentſprechenden Normen conſtruirter Locomotiven zu bewältigen; in Bel- gien und in Frankreich hatte man es mit Erfolg verſucht die Züge auf noch ſtär- keren, dabei aber verhältnißmäßig kürzeren Steigungen, den ſogenannten „ſchiefen Ebenen,“ durch feſtſtehende Maſchinen, mit Seilbetrieb oder Luftſaugpumpen, in Gang zu ſetzen. Der Erfinder eines der letzteren Syſteme, der belgiſche Ingenieur Maus, Erbauer der ſchiefen Ebene mit Seilbetrieb bei Lüttich, wurde in jenem Jahr 1845 nach Piemont berufen, wo, mit den Fortſchritten der Technik die Mög- lichkeit der Ueberwindung der Schwierigkeiten bei der Ueberſchienung der Apen- ninen und der Alpen näher gerückt ſchien, und allmählich auch die Nothwendigkeit der Ausbreitung der neuen Verkehrswege im Innern des Landes mehr und mehr Platz gegriffen hatte. Zum ehrenvollen Poſten eines Inſpectors der Civilbauver- waltung ernannt, wurde Maus mit beiden Aufgaben betraut. Während er die Studien und den Bau der Bahnlinien von Turin über Aleſſandria nach Genua alsbald in Angriff nahm, und trotz außerordentlicher Schwierigkeiten in kurzer Zeit mit ſeltenem Geſchick löste, wurde die andere noch größere Aufgabe der Ueberſchrei- tung der Alpen bald zum Gegenſtand einläßlicher Studien von Seiten des Bel- giers und eines anderen hervorragenden Mannes, des hochberühmten Gelehrten Sismonda, welchen die Regierung mit der Unterſuchung des mehr wiſſenſchaftlichen und geologiſchen Theils der Frage beauftragt hatte. Die allgemeinen Vorſtudien beider Männer führten bald zu Reſultaten welche die von Joſeph M bail vor zehn Jahren mitgetheilten Vorſchläge im großen Ganzen als die richtigen erſcheinen ließen. Die Verbindung zwiſch en den Thälern der Dora Riparia und des Arc durch den Col de Fréjus *) wurde, ſowohl in Bezug auf die Kürze des Gebirgsdurchbruchs als auch wegen der mehr dem Herzen Frank- reichs zugekehrten allgemeinen Richtung, als die beſte unter vier concurrirenden Tracen **) erkannt. Zur Ueberwindung dieſes Gebirgspaſſes ſchien ein Tunnel von 12¼ Kilo- metern Länge auf der Höhenlage von 1300—1400 Metern über Meeresſpiegel noth- wendig. Um dieſe ſehr beträchtliche Höhe (es en tſpricht dieſelbe ſehr nahezu dem höchſten Punkte der Brennerbahn) zu erreichen, und die Länge des ohnehin außer- gewöhnlichen Souterrains auf das geringſte Maß zu red uciren, mußten auf beiden Seiten des letzteren beträchtliche und fortgeſetzte Steigungen angewendet werden. Zur Bewältigung dieſer ſchlug der belgiſche Ingenieur ſein in Lüttich angewandtes Seilſyſtem vor mit einigen Abänderungen welche die Natur der Oertlichkeit be- dingte, und welche weſentlich darin beſtanden an Stelle des Da mpfes die vorhan- denen natürlichen Waſſerkräfte zu benutzen. Zur Vermeidung allzu langer Seil- betriebe war die Geſammtſteigung auf jeder Seite des Tunnels in 4 — 5 Einzel- ſectionen von je 4—5 Kilometern Bahnentwicklung abgetheilt. Obſchon vorerſt nur die allgemeinen Grundzüge der Anlage der Alpenbahn feſtſtanden und noch keine genauer ſtudierte Trace vorlag, ſchien es doch ſchon mehr als wahrſcheinlich daß man der Nothwendigkeit eines außergewöhnlich langen und überdieß (bei der nahezu 1000 Meter dicken Gebirgsdecke) durchaus ſchachtloſen Tunnels nicht werde entgehen können. Ebenſo unumgehbar ſchien es bei dem außer- ordentlichen Charakter des herzuſtellenden Werkes ganz außerordentliche Mittel in Anwendung zu bringen. 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Ein fernerer Umſtand, welcher in dieſer Richtung beſtimmend wirkte und zu Gunſten großer mechaniſcher Einrichtungen ſprach, lag in den Schwierigkeiten einer hinreichenden Ventilation, d. i. Lufterneuerung. Die Erfahrung lehrt daß ſchon bei ganz kurzen Stollenlängen der Aufenthalt der Ar- beiter, wegen der Verſchlechterung der Luft und der Bildung mephitiſcher Gaſe (welche theils durch die Ausathmung, theils durch den Pulverdampf, theils durch die mineralogiſche Beſchaffenheit der Gebirgsmaſſe ſelbſt hervorgebracht werden), ſich äußerſt ſchwierig geſtaltet und faſt immer künſtliche Ventilationsapparate er- fordert, deren Inſtallation mit der Entfernung zwiſchen Angriffsfronte und Tunnel- mündung an Bedeutung zunimmt, und erſt dann erlaſſen werden kann wenn in Folge eines Durchſchlags oder der Verbindung mit einem Schacht ein natürlicher Luftzug ſich bildet. (Schluß folgt.) Die bayeriſchen Spitalzüge während des deutſch - franzöſiſchen Krieges. *) ● Das Bedürfniß für den Verwundetentransport auf Eiſenbahnen Vor- kehrungen zu treffen, trat zunächſt in dem nordamerikaniſchen Kriege der Jahre 1861 bis 1865 bervor. Nachdem ſich dasſelbe in gleicher Weiſe als höchſt dring- lich in dem Kriege gegen Dänemark und insbeſondere in dem des Jahres 1866 gegen Oeſterreich ausgewieſen hatte, wurden ſofort im Jahre 1867 auf Veranlaſ- ſung des k. preußiſchen Handelsminiſteriums Eiſenbahnwagen vierter Claſſe mit deßbezüglichen Einrichtungen verſehen, ſo daß in jedem derſelben zwölf Schwer- verwundete auf Bahren, welche, je zwei übereinander, in Gummi-Ringen hängen, transportirt werden können. Im Jahre 1869 ward die vorwürfige Frage auch in Bayern der ſorgfältigſten Prüfung unterzogen. Die Verſuche welche mit eigens hiezu erbetenen hannoveriſchen Perſonenwagen vierter Claſſe angeſtellt wurden, entſprachen nicht den gehofften Erwartungen; man ſtand daher von Anſchaffung ſolcher Wagen ab, und ſuchte dagegen die vorhandenen bedeckten Güterwagen der bayeriſchen Staatsbahnen ſachdienlich umzugeſtalten. Dieſelben bieten an beiden Langſeiten für je zwei Feldbetten Raum; eine fünfte Lagerſtelle kann in der Mitte, querüber von Schubthüre zu Schubthüre, geſchaffen werden. Dem entſprechend wurden an den Langſeiten vier Feldbetten — abhebbar — auf Federgeſtellen an- gebracht; unter das Mittellager aber, das lediglich aus Seegrasmatratze mit Polſter beſtand, ein beweglicher Boden gelegt, der — auf der untern Fläche mit Dachlatten und an einem Schmalende mit eiſernen Haken verſehen — als Brücke beim Ein- und Ausladen der Patienten dienen konnte. Nachdem die Proben zu günſtigen Ergebniſſen geführt, erfolgte die An- nahme dieſes Syſtems, welches auch bei den mit Beginn des Krieges ſofort einge- richteten drei bayeriſchen Spitalzügen während der erſten drei Monate des Feld- zuges feſtgehalten und nur in einzelnen Punkten verbeſſert wurde. Während nämlich bei den anfänglichen Fahrten außer den Wagen für Material nur ſolche zum Verwundetentransport mitliefen, zeigte ſich immer mehr und mehr die Noth- wendigkeit die Hoſpitalzüge in ihrer Einrichtung zu dem zu completiren was ſie thatſächlich waren — zu ambulanten Spitälern. Es wurden darum ſehr bald in denſelben eigene Räumlichkeiten für Küche, Medicamente u. dgl. geſchaffen. Ebenſo trat immer mehr und mehr die Dringlichkeit zu Tage daß die einzelnen Kranken- wagen unter ſich mit Communicationen verſehen würden. Dieſes unabweisbare Bedürfniß, und die klare Einſicht daß die bedeckten Güterwagen mit beiderſeitigen Schubthüren gegen die Kälte des herannahenden Winters nicht genügenden Schutz zu bieten vermöchten, lenkte die Aufmerkſamkeit der maßgebenden Stellen auf einen Wechſel im Wagenſyſtem, welcher denn auch mit möglichſter Beſchleunigung dahingehend erfolgte: daß Wagen amerikaniſchen Syſtems, wie ſolche auf der Route München-Starnberg im Gebrauch ſtehen, zu Zwecken der Spitalzüge Verwendung fanden. Mit Beibehaltung der vorhandenen Feldbetten auf Federgeſtellen faß- ten dieſe Wagen auf einer Langſeite drei Lagerſtellen; thatſächlich fanden ſich wäh- rend des Winters in denſelben jedoch nicht ſechs ſondern lediglich fünf, indem die eine mittlere Lagerſtätte behufs Einſetzung eines Ofens unbenützt blieb. Sol- cher Wagen, welche zum Transport ſchwerer Fälle beſtimmt waren, hatte jeder der drei bayeriſchen Spitalzüge regelmäßig 12; für die Aufnahme leichterer Fälle waren 6 bis 8 gewöhnliche Perſonenwagen eingefügt; außerdem liefen 1 Com- mandanten- und Verwalter-, 1 Doctor-, 1 Küchen-, 1 Reſervekrankenwagen, ferner 1 Latrinen-, 1 Heiz-, 1 Kohlen- und 2 Depotwagen mit. Was die Vorkehrungen zum Transport Schwerverwundeter betrifft, ſo wird wohl von keiner Seite in Abrede geſtellt werden können daß dieſelben unter allen gegenwärtig vorhandenen den Intereſſen der Pfleglinge am meiſten Rechnung tragen. Ein Wagen nur mit 5 (im Sommer 6) Verwundeten belegt, und voll- ſtändig wohnlich eingerichtet, läßt den Patienten den Aufenthalt in einem Spital — und noch dazu in einem wandelnden — faſt gänzlich vergeſſen. Die ſchwache *) Der Alpentunnel iſt bis jetzt faſt überall nur unter dem Namen „Mont-Cenis- Tunnel“ gekannt, weil er von der großen Heerſtraße über den Mont-Cenis-Paß abzweigt und dieſelbe erſetzt. In Wirklichkeit liegt aber der Tunnel etwa 25 Kilo- meter weſtlich des Mont-Cenis-Paſſes, und zieht ſich derſelbe zwiſchen den Gipſeln des Mont Thabor und dem Mont-Tonal unter dem „Col (Paß) de Fréjus“ durch. Die Benennung „Mont-Cenis-Tunnel,“ welche wir der Verſtändl chkeit halber beibe- halten haben, iſt alſo im Grunde genommen eine unzutreffende. **) Die drei anderen Richtungen beruhten a) auf einer Verdindung des Thales der Dora Riparia mit demjenigen der Durance; b) auf einer Berbindung des Thales von Stura de Lanza mit demjenigen des Aꝛc; c) auf einer Verbindung des Thales der Dora Baltea mit dem Thale der Iſère. Die deiden erſtgenannten Richtungen wurden aus mehr techniſchen, die letztere aus commerciellen-nationalökonomiſchen Rückſichten, nämlich weil ſie ſich zu ſehr nach dem Südin abſchwenkte und zu bald das ſodoyiſche Gebiet derließ, aufgegeben. *) Reinhold Hirſchberg, die bayeriſchen Spitalzüge im deutſch-franzöſiſchen Kriege 1870/71 Mit 12 Tafeln. München 1872. Das k bayer. Kriegsminiſterium hat dieſes Werk allen Commando- und Dienſtſtellen zur Anſchaffung aus Regiemitteln erlaubt und empfohlen, da dasſelbe „über Einrichtung und Verwendung der Spitalzüge ſo viel wiſſenswerthes enthalte, daß deſſen Verbreitung in der Armee wünſchenswerth er- ſcheine.“

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 15. Januar 1872, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine15_1872/2>, abgerufen am 21.11.2024.