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Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 16. Januar 1924.

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Allgemeine Zeitung Nr. 15 Mittwoch, den 16. Januar 1924.
[Spaltenumbruch]
MÜNCHENER STADTZEITUNG
Die Zukunft
des Fremdenverkehrs

In der Dienstagstadtratsitzung machte rk. St.
R. Dr. Konrad bemerkenswerte Mitteilungen
über die Gefährdung des Fremden-
verkehrs
in München und im bayerischen
Hochland. Der Zeitpunkt, wo München und das
Hochland um ihre Stellung im Fremdenverkehr
schwer ringen müssen, scheint nahe zu sein. Schon
in der abgelaufenen Fremdensaison machten sich
Anzeichen für eine Abwanderung des
Fremdenverkehrs
in andere Gebiete be-
merkbar. Nun sind die Valutaschranken gefallen
und die Konkurrenz der ausländischen Fremden-
verkehrsgebiete macht sich jetzt schon stark geltend.
Die kommenden Monate werden eine kritische
Situation bringen.

Die Pensionen sind fast leer
nur Dauermieter der Hotels in der Nähe des
Bahnhofes sind leidlich besetzt, aber nur von
Durchgangsreisenden, die vielleicht eine Nacht
bleiben, in der inneren Stadt sind die Ho-
tels schlecht besetzt und es zeigt sich bereits die
Umwandlung von Fremdenzimmern in Büros.
Die Zahl der Ausländer ist sehr ge-
ring geworden
.

Im Hochland war der Verkehr an den Weih-
nachtsfeiertagen etwas besser, bei weitem aber
nicht so wie im Vorjahr. Das gibt zu denken,
auch wenn man zugibt, daß die Entwicklung ge-
wissermaßen zwangsläufig ist, vielleicht auch nur
vorübergehend in dem Maß ungünstig. Da aber
dem Fremdenverkehr doch große Gefahren er-
wachsen können, ist es notwendig, rechtzeitig Vor-
kehrungen zu treffen. Alle maßgebenden Stellen
und Behörden müssen von der üblichen rein ge-
fühlsmäßigen Beurteilung des Fremdenverkehrs
sich frei machen und zu einer objektiven Wür-
digung des Fremdenverkehrs und seiner wirt-
schaftlichen Bedeutung zurückkehren. Damit muß
eine vernünftige Fremdenverkehrspolitik Platz
greifen, welche die Wichtigkeit des Fremdenver-
kehrs für München und das Oberland richtig
einschätzt. Notwendig ist vor allem auch die
Beseitigung der künstlichen Hemmnisse
und die Wiederausrichtung eines Fremdenver-
kehrs, wie er vor dem Kriege bestand, Beseiti-
gung namentlich der Hindernisse, die Bayern eine
Sonderstellung gegenüber dem ganzen übrigen
Reich gegeben haben, ob diese Hemmnisse nun
polizeilicher oder fiskalischer Natur sind.

Wir müssen zu einer pfleglichen Behandlung
des Fremdenverkehrs auch auf anderen Gebieten
zurückkehren, insbesondere auch hinsichtlich des
Bahn- und Postverkehrs, der Fahrplangestaltung
usw. Der Fahrplanreferent und Vizepräsident
der Handelskammer Kommerzienrat S. Frän-
kel
hat in der "Frf. Ztg." über die Ausge-
staltung des internationalen
Durchgangsverkehrs
sich geäußert und
dabei klar dargelegt, wie wenig die Gestaltung
dieser Fahrpläne einer planmäßigen Ausnützung
unserer günstigen zentralen Lage in Mitteleuro-
pa, namentlich soweit München in Betracht
kommt, Rechnung trägt. Auf den großen Linien,
deren natürlicher Schnittpunkt München ist, als
den natürlich gegebenen festen Verkehrsverbin-
dungen ist der Verkehr im Nachlassen. Er ist
abgewandert, z. T. auf andere innerdeutsche Li-
nien, zum großen Teil auf außerdeutsche Linien,
Oesterreich und der Schweiz. Besonders stief-
mütterlich wird die Brennerlinie behandelt, die
von jeher für München von besonderer Bedeu-
ttung war.

Wir müssen von den maßgebenden Stellen
mit Nachdruck Abhilfe verlangen, in erster Linie
von der Zweigstelle Bayern des Reichsverkehrs-
ministeriums. Was die anderen Dinge anlangt,
so ist die Wohnsteuer für die Aus-
länder
auf die einfachen Sätze abgebaut, die
Theater haben ihre Differenzierung aufgehoben,
die Aufenthaltsgebühren sind ermäßigt und wer-
den neu geregelt. Aber immer noch besteht der
Zwang für den in München übernachtenden Aus-
[Spaltenumbruch] länder, sich der Polizei vorzustellen,
noch immer finden die besonderen Kontrollen in
den Hotels statt. Alle diese Dinge müssen fallen
und können auch fallen. Denn je stärker der
Fremdenverkehr aus natürlichen Gründen zurück-
geht, desto notwendiger ist eine Beseitigung der
künstlichen Hindernisse, die im übrigen deutschen
Wirtschaftsgetriebe nicht bestehen.

Der Referent beantragte, sich mit diesen Aus-
führungen einverstanden zu erklären und das Re-
ferat zu ermächtigen, im Sinne der Fränkelschen
Anregungen Antrag dahin zu stellen, daß alle
Verkehrseinschränkungen und -unstimmigkeiten
beseitigt werden, daß die guten Verbindungen
-- auch über den Brenner wieder hergestellt wer-
den, daß namentlich die nur für Bayern
giltigen Beschränkungen fallen
und
besonders der polizeiliche Vorstellzwang für über-
nachtende Ausländer wegkommt.

In der Aussprache erklärte St. R. Weiß
(D. D. P.) Zustimmung. Die Erwerbskreise jam-
mern bereits über die Verschlechterung der Ver-
hältnisse. Der demokratische Sprecher regte an,
den starken Paßverkehr nach Tirol und Salzburg
zu erleichtern oder doch die Handhabung der
Paßvorschriften beim Uebergang entgegenkom-
mender zu gestalten; von einem lebhafteren Wech-
selverkehr würden auch unsere bayerischen Grenz-
orte Vorteil ziehen.

St. R. Nußbaum (V. S. P.) bestätigte die
Klagen der Hotelbesitzer und betonte, die Haupt-
schuld liege an der allgemeinen Politik in Bay-
ern. Solange Fremde Gefahr laufen, hier wieder
behandelt zu werden, wie es erst jüngst wieder
einem angesehenen christlichen Geschäftsmann aus
Ungarn widerfuhr, bleiben sie eben mehr und
mehr aus.

Bürgermeister Schmid erinnerte daran, daß
Herr Fränkl selbst das Opfer eines Ueberfalls
war.

St. R. Dr. Jodlbauer (liberale Bürgerpar-
tei) betonte, daß noch andere Faktoren am Rück-
gang des Fremdenverkehrs mitwirken, vor allem
die volkswirtschaftlich elemenente Umgestaltung
unserer Währung. Die Ueberanlorisierung hat
eine Ablenkung des innerdeutschen Verkehrs nach
dem Süden, nach der Schweiz und Italien zur
Folge. Wir brauchen daher eine Herabsetzung
des algemeinen Preisniveaus.

Bürgermeister Dr. Küfner hob der Be-
deutung des Fremdenverkehrs für die aktive
Gestaltung der Zahlungsbilanz (Import von
fremdem Geld als Ersatz für den Export von
Waren hervor, sowie die Notwendigkeit einer
einheitlichen Stellungnahme aller Kreise zur
Fremdenverkehrsfrage.

Die Anträge der Referenten wurden einstim-
mig angenommen.

Ein alter Zopf.

Ein Dringlichkeitsantrag der
D. D. P. verlangt vom Stadtrat, den Aemtern
und Werken der Stadtgemeinde den Auftrag zu
urteilen, Beamte, Angestellte und Arbeiter an
ihren dienstfreien Tagen oder Zeiten mit Vor-
stellungen und Rapporten, wie sie besonders bei
der städtischen Straßenbahn gegen das Fahrper-
sonal zur Unsitte geworden sind, in Zukunft
zu verschonen.

Wenn Rapporte unumgänglich nötig sind, muß
eine Ablösung vom Dienst möglich sein, damit
verhindert wird, daß der Gerufene seinen frei-
en Tag der sehr oft an Stelle des Sonntags
trifft, einbüßt.

Der Antrag ging an den Werkausschuß.

Konzertverein München

Die am 15. Januar abgehaltene ordent-
liche Mitglieder-Versammlung
des
Konzertvereins München, eröffnete für die Zu-
kunst des Vereins in finanzieller, künstlerischer
und organisatorischer Hinsicht erfreuliche Aussich-
ten. Zwar ist -- wie ja auch bei anderen Organi-
sationen ähnlicher Art -- der Mitgliederstand
unter den mannigfachen ungünstigen Einwirkun-
gen der letzten Jahre erheblich gesunken; aber die
bange Sorge um die Existenz des Vereins
[Spaltenumbruch] überhaupt erscheint endlich gebannt dank tat-
kräftiger Hilfe der Stadt und des Staatsmini-
steriums.

Die künstlerische Tätigkeit des Vereins in der
zwei Jahre umfassenden Berichtszeit ist bekannt;
schwer empfunden dürfte der Rücktritt des lang-
jährigen Schatzmeisters Kommerzienrates Büh-
ler
werden.

Von besonderer Bedeutung für die Zukunft ist
ein Vertrag mit dem Staatsministe-
rium
für Unterricht und Kultus vom 4. Januar
die den Verein hinsichtlich der künstlerischen und
wirtschaftlichen Betriebsführung einer gewissen
Kontrolle dieser Behörde unterstellt und u. a.
auch den kostenlosen aushilfsweisen Aus-
tausch von Musikern des Vereins und der
Staatstheater vorsieht. Eine Neuerung in den
Statuten stellt ferner die Beiziehungsmöglich-
keit des Betriebsrates zu den Sitzungen der
Vereinsorgane dar, sofern Angelegenheiten der
Orchestermitglieder zur Beratung stehen. Eine
gewisse Schwerfälligkeit bei der Behandlung wei-
tterer Satzungsänderungen trat insoferne zutage,
als man sich nicht entschließen konnte, den soge-
nannten "Vorstandsrat" zu eliminieren. Ob
ein weiterer, nicht durchgedrungener Antrag, an
die Spitze des Musikausschusses nicht den ersten
Kapellmeister, sondern eine neutrale und weniger
exponierte Persönlichkeit zu stellen, im Grunde
nicht manches für sich gehabt hätte, mag dahin
gestellt bleiben. Im übrigen dürfte die Zusam-
mensetzung dieses Ausschusses, der sich außer dem
Präsidenten Dr. von Hausegger, dem General-
musikdirektor Knappertsbusch und dem Rechts-
rat Dr. Kronenberger aus den Vorständen der
Konzert- und Chorgesellschaften und des Lehrer-
gesangvereins bildet, einige Gewähr für die Ar-
beit des Vereins bieten, umsomehr, als auch die
Besetzung des eigentlichen Vorstandes -- mit dem
Herren Prof. Dr. Fischer, Dr. von Hausegger,
Rechtsrat Hörburger, Stadtrat Mauerer, Bür-
germeister Schmid, Geheimrat Dr. Schulmann,
Dr. Wamsler und Kommerzienrat Zentz -- glück-
lich erscheint.

Ministerialdirektor Dr. Attinger +.

Dr. Johann Attinger, Ministerialdirek-
tor beim Staatsministerium für Landwirtschaft
ist heute, nachdem er sich im Krankenhaus Nym-
phenburg einer Operation unterziehen mußte. im
57. Lebensjahre an Herzlähmung plötzlich ge-
storben.

Ministerialdirektor Attinger stammt aus Augs-
burg und widmete ich dem Studium der Vete-
rinärwissenschaft. Am 1. April 1920 wurde er
zum Ministerialdirektor befördert. Im Weltkrieg
war Dr. Attinger vom Januar 1915 bis Januar
1916 als Oberstabsveterinär beim Generalkom-
mando J. A. K. tätig. Jm Januar 1916 wurde
er nach München berufen, um die bayerische
Fleischversorgung zu leiten. Ministerialdirektor
Dr. Attinger hat sich um die Hebung der Vieh-
zucht in Bayern große Verdienste erworben.

Zusammenschluß der Kleinaktionäre.

Die kom-
mende Zusammenlegung
der Aktien
zwecks Umstellung des Papierkapitals auf Gold-
mark bedeutet für die meisten Kleinaktionäre den
Verlust des Vermögens. Nur in den
seltensten Fällen wird der Kleinaktionär soviel
Aktien besitzen, daß er für diese Goldmarkaktien
erhält. Er muß also seine Aktien um einen Spott-
preis hergeben Auch der Besuch der Generalver-
sammlungen zur Wahrung seiner Interessen ist
unmöglich. Dies will für ihn die Kleinaktionär-
Vereinigung besorgen. Anmeldungen nimmt ent-
gegen der vorläufige Vorsitzende Rechtsanwalt
Dr. rer. pol. Theilhaber, Promenadeplatz 10/2.
Weitere Mitteilungen erfolgen durch Inserat.

Der Mieterschutzverband München und Umgebung

hat seine Beziehungen zu Rechtsanwalt A. Ludwig
gelöst. Als neuer Syndikus des Verbandes ist Rechts-
anwalt Dr. L. Beuario bestellt. Die Vorstands-
geschäfte leitet der 2. Vorsitzende, Herr G. Spitz.
Rechtsauskünfte und Übernahme kostenloser Ver-
tretungen in Mietstreitsachen in der Geschäfts-
stelle: Gewerkschaftshaus, Zimmer
26/1.

Ueberdruckgeldscheine bleiben gültig.

Entgegen den
seit einigen Tagen verbreiteten Gerüchten, daß die
[Spaltenumbruch] Ueberdruckgeldscheine aufgerufen und keine vollgültigen
Zahlungsmittel mehr seien, wird ausdrücklich darauf
hingewiesen, daß das Ueberdruckgeld nach wie vor
gültig bleibt. Bis auf weiteres ist jedermann ver-
pflichtet, Ueberdruckscheine in Zahlung zu nehmen,
oder er setzt sich allen Unannehmlichkeiten aus, die
mit der Zurückweisung eines gesetzlichen Zahlungs-
mittels verbunden sind.

Ehrlicher Finder gesucht!

Der Direktor der
Kreisleitung der Technischen Nothilfe Major a. D.
Max Pflaumer hat am 11. Januar 1924 zwi-
schen 4.50 nachm. und 5.05 nachm. auf dem Wege
Schützenstraße 12, Trambahnhaltestelle Bahnhof
bis Augustenstraße 3 seine Brieftasche mit nach-
stehendem Inhalt verloren:

1. Ausweis für meine Tätigkeit als stellv. Lan-
desleiter der Technischen Nothilfe Bayern mit
Stempel des bayerischen Staatsministeriums des
Innern und der Unterschrift "Schweyer". 2. Aus-
weis als Kreisleiter der Technischen Nothilfe Mün-
chen mit Lichtbild, Stempel der Landesleitung der
T.R.B. und der Unterschrift "Koch". Beide auf
graue Leinwand aufgezogen. 3. Gelber Führer-
ausweis des Notbannes München.

Vor Mißbrauch der Papiere wird gewarnt.

Kleine Zeitung
Geboren:

Karl Hermann (S.); Siegfried
Pories (T.).

Verlobt:

Martin Schlesinger und Lise
Gerstle; Dentist Alois Rupp und Annie
Gleißner.

Vermählt:

Victor Graf v. Schlieben und
Frau Laura geb. Mayer.

Gestorben:

Clara Weber geb. Kirch; Gärt-
nereibesitzerstöchterchen Peperl Brandl; Ober-
sekretärsgattin Carolina Spanner geb. Wald-
müller; Hasnermeister Karl Bruckner; Leut-
nant der Landespolizei Josef Gaßner.

Unfall.

Das Auto, in dem heute vormittag die
Söhne des verstorbenen Geheim-
rates Dr. Schweninger
zur Trauerfeier
nach dem Ostfriedhof fahren wollten, stieß mit
einem Lastwagen zusammen. Der jüngere Sohn
Schweningers wurde durch Glassplitter leicht ver-
letzt und mußte ärztliche Hilfe aufsuchen. - Die
Trauerfeier erlitt durch den Unfall eine Ver-
zögerung.

Frostsalbe ist keine Butter.

Ein Landwirt, der
aus der französischen und spanischen Fremdenle-
gion geflohen ist, stahl am Brenner angekommen,
im Zug ein Paket, in dem er Lebensmittel ver-
mutete. Als er es in München öffnete sah er sich
getäuscht. Das Paket enthielt 5 Kilo Frost-
salbe
. Beim Verkauf derselben wurde er fest-
genommen.

Verhaftung eines ehemaligen Kommunisten

Nach Schluß der gestern im Löwenbräukeller
abgehaltenen Reichsgründungsfeier der Deutsch-
nationalen Mittelpartei bildeten die National-
sozialisten,
die an der Feier teilgenommen
hatten, einen Demonstrationszug und marschier-
ten unter Absingung von Liedern gegen den Bahn-
hofplatz. In der Nähe des Hauptbahnhofes löste
die Polizei den Zug auf und verhaftete
den Führer,
einen Techniker namens Kell-
ner
. Dabei wurde die interessante Feststellung
gemacht, daß der Verhaftete mit dem aus
der Räterepublik her bekannten ein-
geschriebenen Mitglied der kom-
munistischen Partei Kellner iden-
tisch ist
. Sein Name war in den Apriltagen
des Jahres 1919 wiederholt unter Aufrufen er-
schienen, so zum letztenmal auch am 24. April 1919.

Diese Verhaftung beweist wieder einmal, wie
sich unter der Flagge vaterländischer Betätigung
auch unsaubere Elemente sammeln, und gibt
denen Recht, die behaupten, daß sich unter den
Nationalsozialisten in zahlreichen Fällen der gleiche
Typ unangenehm bemerkbar macht, der in den
Revolutionstagen 1918 und 1919 unter linksradi-
kaler Flagge die Straßen Münchens beherrschte.



[Spaltenumbruch]
Der Meister des jüngsten Tages

15
Roman

"So gehen Sie doch! Um Gottes willen, ver-
schwinden Sie, rasch!"

Es war zu spät, um zu gehen. Jetzt war es
zu spät.

Hinter ihm kam Dinas Bruder zum Vorschein,
er schob den Doktor beiseite und stand vor mir.

Ich sah ihm ins Gesicht, -- wie ähnlich er in
diesem Augenblick seiner Schwester war. Das
gleiche fremdartig geformte Oval des Gesichtes,
derselbe eigenwillige Zug um die Lippen --

"Sie sind noch da?" sagte er mit einer eiskalten
Höflichkeit, die furchtbar von des Doktors leiden-
schaftlichem Ausbruch abstach. "Ich hatte damit
nicht gerechnet. Das trifft sich gut, da können wir
ja die Sache gleich ins reine bringen."

8.

Ich hatte mich gefaßt. Es war mir in dem
Augenblick, da Dinas Bruder ins Zimmer getreten
war, klar geworden, daß der, dem ich da gegen-
überstand, mein Todfeind war. Daß es sinnlos
gewesen wäre, vor dieser Unterredung die Flucht
zu ergreifen, und daß der Kampf ausgefochten
werden mußte. Aber um was es ging, das hätte
ich in dieser Sekunde nicht sagen können. Ich
wußte nichts, als daß ich bleiben und dem Gegner
die Stirne zeigen mußte, was immer auch kom-
men mochte.

Doktor Gorski machte den Versuch, das, was
sich vorbereitete, in der letzten Minute noch zu ver-
hindern.

[Spaltenumbruch]

"Felix!" mahnte er und wies mit einer beschwö-
renden und vorwurfsvollen Gebärde auf den schot-
tischen Plaid, den man über den Toten gebreitet
hatte. "Bedenken Sie doch, wo wir sind! Muß das
denn jetzt geschehen und gerade hier?"

"Es ist am besten so, Doktor, wozu die Sache
verschieben?" sagte Felix, ohne die Augen von mir
zu wenden. "Es trifft sich wirklich gut, daß der
Herr Rittmeister noch hier ist."

Er nannte mich -- gegen seine sonstige Ge-
pflogenheit -- bei meiner militärischen Charge.
Ich wußte, was das zu bedeuten hatte. Doktor
Gorski stand noch einen Augenblick lang unschlüs-
sig zwischen uns, dann zuckte er die Achseln und
ging zur Türe, um uns allein zu lassen.

Aber Felix hielt ihn zurück.

"Ich bitte Sie, zu bleiben, Doktor," sagte er.
"Es kann einer der Fälle eintreten, in denen sich
die Anwesenheit eines Dritten als nützlich zu er-
weisen pflegt."

Doktor Gorski schien den Sinn dieser Be-
merkung nicht gleich zu verstehen. Er sah mich mit
einem verlegenen Blick an, der um Entschuldigung
zu bitten schien, daß er sich zum Zeugen dieser
Unterredung machte. Schließlich ließ er sich auf der
äußersten Kante des Schreibtisches nieder in einer
Haltung, die zum Ausdruck brachte, daß er bereit
sei, jederzeit, falls es etwa gewünscht werden
sollte, das Zimmer zu verlassen. Das war für den
Ingenieur, den niemand zum Bleiben aufgefor-
dert hatte, das Zeichen, gleichfalls Platz zu neh-
men. Er nahm den einzigen Stuhl, der sich im
Zimmer befand, für sich in Beschlag, steckte auf
umständliche Art, indem er nur zwei Finger der
linken Hand dazu benützte, seine Zigarette in
[Spaltenumbruch] Brand und tat, als wäre sein Verbleiben im Zim-
mer eine Sache, deren Berechtigung von keiner
Seite in Zweifel gezogen werden konnte.

Ich sah und beobachtete das alles mit einem rein
sachlichen Interesse, ich war jetzt vollkommen ruhig
und Herr meiner Nerven und wartete gelassen auf
das, was kommen sollte. Aber eine Minute lang
geschah nichts. Felix stand über Eugen Bischoffs
Leiche gebeugt, ich sah sein Gesicht nicht, aber es
schien mir, als hätte er mit Ergriffenheit zu
kämpfen, als wäre er außerstande, die Maske un-
natürlicher Ruhe noch länger zu tragen. Einen
Augenblick lang glaubte ich, daß er sich von seiner
Bewegung überwältigt über den Toten werfen,
und daß die Szene mit diesem Gefühlsausbruch
ihr Ende nehmen werde. Aber nichts dergleichen
geschah. Er richtete sich auf, und das Gesicht, das
er mir zuwandte, trug den Ausdruck vollkom-
mener Beherrschung. Er hatte, das sah ich nun,
nur die Decke, die zu Boden geglitten war, von
neuem über den Kopf des Toten gebreitet. --

"Viel Zeit wird uns leider nicht bleiben," be-
gann er nun, und aus seiner Stimme war weder
Erschütterung noch Erregung zu hören. "In
einer halben Stunde etwa wird die polizeiliche
Kommission hier sein und ich möchte bis dahin
unsere Angelegenheit in Ordnung gebracht haben."

"Darin begegnen sich unsere Wünsche," sagte
ich mit einem Blick auf den Ingenieur. "Ich
glaube, daß die Zahl der Zeugen vollkommen aus-
reicht, da, wie ich sehe, beide Herren die Güte hat-
ten, sich für diese Unterredung zu unserer Ver-
fügung zu halten."

Doktor Gorski rückte unruhig auf seiner
Schreibtischkante hin und her, aber der Ingenieur
[Spaltenumbruch] hatte die Unverfrorenheit, zu meinen Worten zu-
stimmend mit dem Kopf zu nicken.

"Solgrub und Doktor Gorski sind meine
Freunde," bemerkte Felix. "Ich lege Wert darauf,
daß sie ein möglichst klares Bild der Sachlage er-
halten, und werde ihnen keinen der Umstände, die
in dieses Bild gehören, verschweigen. Auch nicht
die Tatsache. Herr Rittmeister, daß Dina vor vier
Jahren Ihre Geliebte gewesen ist."

Ich fuhr zusammen. Darauf war ich nicht vor-
bereitet gewesen. Aber meine Bestürzung währte
nur ganz kurze Zeit, und ein paar Sekunden
später hatte ich jedes Wort meiner Antwort über-
dacht.

"Ich war, als ich Ihnen diese Unterredung er-
möglichte, auf Attacken gefaßt, aber nicht darauf,
daß sie sich gegen eine Frau richten würden, die
mir hochsteht", sagte ich. "Ich habe nicht die
Absicht, das zuzulassen. Ich muß Sie bitten,
den Ausdruck, den Sie gewählt haben --"

"Zurückzunehmen? Wozu das, Herr Rittmei-
ster? Er entspricht, wie ich Ihnen versichern
kann, vollkommen Dinas Auffassung."

"Habe ich das so zu verstehen, daß Ihre Schwe-
ster Sie ermächtigt hat?"

"Gewiß, Herr Rittmeister."

"Dann bitte ich Sie, fortzufahren."

Ueber seine Lippen glitt ein knabenhaft selbst-
bewußtes Lächeln der Genugtuung, weil dieser
erste Gang so völlig zu seinem Vorteil abgelau-
fen war. Aber dieses Lächeln verschwand so-
gleich wieder aus seinem Gesicht, und der Ton-
in dem er weitersprach, blieb unverändert kor-
rekt und beinahe verbindlich:
(Fortsetzung folgt.)

Allgemeine Zeitung Nr. 15 Mittwoch, den 16. Januar 1924.
[Spaltenumbruch]
MÜNCHENER STADTZEITUNG
Die Zukunft
des Fremdenverkehrs

In der Dienstagſtadtratſitzung machte rk. St.
R. Dr. Konrad bemerkenswerte Mitteilungen
über die Gefährdung des Fremden-
verkehrs
in München und im bayeriſchen
Hochland. Der Zeitpunkt, wo München und das
Hochland um ihre Stellung im Fremdenverkehr
ſchwer ringen müſſen, ſcheint nahe zu ſein. Schon
in der abgelaufenen Fremdenſaiſon machten ſich
Anzeichen für eine Abwanderung des
Fremdenverkehrs
in andere Gebiete be-
merkbar. Nun ſind die Valutaſchranken gefallen
und die Konkurrenz der ausländiſchen Fremden-
verkehrsgebiete macht ſich jetzt ſchon ſtark geltend.
Die kommenden Monate werden eine kritiſche
Situation bringen.

Die Penſionen ſind faſt leer
nur Dauermieter der Hotels in der Nähe des
Bahnhofes ſind leidlich beſetzt, aber nur von
Durchgangsreiſenden, die vielleicht eine Nacht
bleiben, in der inneren Stadt ſind die Ho-
tels ſchlecht beſetzt und es zeigt ſich bereits die
Umwandlung von Fremdenzimmern in Büros.
Die Zahl der Ausländer iſt ſehr ge-
ring geworden
.

Im Hochland war der Verkehr an den Weih-
nachtsfeiertagen etwas beſſer, bei weitem aber
nicht ſo wie im Vorjahr. Das gibt zu denken,
auch wenn man zugibt, daß die Entwicklung ge-
wiſſermaßen zwangsläufig iſt, vielleicht auch nur
vorübergehend in dem Maß ungünſtig. Da aber
dem Fremdenverkehr doch große Gefahren er-
wachſen können, iſt es notwendig, rechtzeitig Vor-
kehrungen zu treffen. Alle maßgebenden Stellen
und Behörden müſſen von der üblichen rein ge-
fühlsmäßigen Beurteilung des Fremdenverkehrs
ſich frei machen und zu einer objektiven Wür-
digung des Fremdenverkehrs und ſeiner wirt-
ſchaftlichen Bedeutung zurückkehren. Damit muß
eine vernünftige Fremdenverkehrspolitik Platz
greifen, welche die Wichtigkeit des Fremdenver-
kehrs für München und das Oberland richtig
einſchätzt. Notwendig iſt vor allem auch die
Beſeitigung der künſtlichen Hemmniſſe
und die Wiederauſrichtung eines Fremdenver-
kehrs, wie er vor dem Kriege beſtand, Beſeiti-
gung namentlich der Hinderniſſe, die Bayern eine
Sonderſtellung gegenüber dem ganzen übrigen
Reich gegeben haben, ob dieſe Hemmniſſe nun
polizeilicher oder fiskaliſcher Natur ſind.

Wir müſſen zu einer pfleglichen Behandlung
des Fremdenverkehrs auch auf anderen Gebieten
zurückkehren, insbeſondere auch hinſichtlich des
Bahn- und Poſtverkehrs, der Fahrplangeſtaltung
uſw. Der Fahrplanreferent und Vizepräſident
der Handelskammer Kommerzienrat S. Frän-
kel
hat in der „Frf. Ztg.“ über die Ausge-
ſtaltung des internationalen
Durchgangsverkehrs
ſich geäußert und
dabei klar dargelegt, wie wenig die Geſtaltung
dieſer Fahrpläne einer planmäßigen Ausnützung
unſerer günſtigen zentralen Lage in Mitteleuro-
pa, namentlich ſoweit München in Betracht
kommt, Rechnung trägt. Auf den großen Linien,
deren natürlicher Schnittpunkt München iſt, als
den natürlich gegebenen feſten Verkehrsverbin-
dungen iſt der Verkehr im Nachlaſſen. Er iſt
abgewandert, z. T. auf andere innerdeutſche Li-
nien, zum großen Teil auf außerdeutſche Linien,
Oeſterreich und der Schweiz. Beſonders ſtief-
mütterlich wird die Brennerlinie behandelt, die
von jeher für München von beſonderer Bedeu-
ttung war.

Wir müſſen von den maßgebenden Stellen
mit Nachdruck Abhilfe verlangen, in erſter Linie
von der Zweigſtelle Bayern des Reichsverkehrs-
miniſteriums. Was die anderen Dinge anlangt,
ſo iſt die Wohnſteuer für die Aus-
länder
auf die einfachen Sätze abgebaut, die
Theater haben ihre Differenzierung aufgehoben,
die Aufenthaltsgebühren ſind ermäßigt und wer-
den neu geregelt. Aber immer noch beſteht der
Zwang für den in München übernachtenden Aus-
[Spaltenumbruch] länder, ſich der Polizei vorzuſtellen,
noch immer finden die beſonderen Kontrollen in
den Hotels ſtatt. Alle dieſe Dinge müſſen fallen
und können auch fallen. Denn je ſtärker der
Fremdenverkehr aus natürlichen Gründen zurück-
geht, deſto notwendiger iſt eine Beſeitigung der
künſtlichen Hinderniſſe, die im übrigen deutſchen
Wirtſchaftsgetriebe nicht beſtehen.

Der Referent beantragte, ſich mit dieſen Aus-
führungen einverſtanden zu erklären und das Re-
ferat zu ermächtigen, im Sinne der Fränkelſchen
Anregungen Antrag dahin zu ſtellen, daß alle
Verkehrseinſchränkungen und -unſtimmigkeiten
beſeitigt werden, daß die guten Verbindungen
— auch über den Brenner wieder hergeſtellt wer-
den, daß namentlich die nur für Bayern
giltigen Beſchränkungen fallen
und
beſonders der polizeiliche Vorſtellzwang für über-
nachtende Ausländer wegkommt.

In der Ausſprache erklärte St. R. Weiß
(D. D. P.) Zuſtimmung. Die Erwerbskreiſe jam-
mern bereits über die Verſchlechterung der Ver-
hältniſſe. Der demokratiſche Sprecher regte an,
den ſtarken Paßverkehr nach Tirol und Salzburg
zu erleichtern oder doch die Handhabung der
Paßvorſchriften beim Uebergang entgegenkom-
mender zu geſtalten; von einem lebhafteren Wech-
ſelverkehr würden auch unſere bayeriſchen Grenz-
orte Vorteil ziehen.

St. R. Nußbaum (V. S. P.) beſtätigte die
Klagen der Hotelbeſitzer und betonte, die Haupt-
ſchuld liege an der allgemeinen Politik in Bay-
ern. Solange Fremde Gefahr laufen, hier wieder
behandelt zu werden, wie es erſt jüngſt wieder
einem angeſehenen chriſtlichen Geſchäftsmann aus
Ungarn widerfuhr, bleiben ſie eben mehr und
mehr aus.

Bürgermeiſter Schmid erinnerte daran, daß
Herr Fränkl ſelbſt das Opfer eines Ueberfalls
war.

St. R. Dr. Jodlbauer (liberale Bürgerpar-
tei) betonte, daß noch andere Faktoren am Rück-
gang des Fremdenverkehrs mitwirken, vor allem
die volkswirtſchaftlich elemenente Umgeſtaltung
unſerer Währung. Die Ueberanloriſierung hat
eine Ablenkung des innerdeutſchen Verkehrs nach
dem Süden, nach der Schweiz und Italien zur
Folge. Wir brauchen daher eine Herabſetzung
des algemeinen Preisniveaus.

Bürgermeiſter Dr. Küfner hob der Be-
deutung des Fremdenverkehrs für die aktive
Geſtaltung der Zahlungsbilanz (Import von
fremdem Geld als Erſatz für den Export von
Waren hervor, ſowie die Notwendigkeit einer
einheitlichen Stellungnahme aller Kreiſe zur
Fremdenverkehrsfrage.

Die Anträge der Referenten wurden einſtim-
mig angenommen.

Ein alter Zopf.

Ein Dringlichkeitsantrag der
D. D. P. verlangt vom Stadtrat, den Aemtern
und Werken der Stadtgemeinde den Auftrag zu
urteilen, Beamte, Angeſtellte und Arbeiter an
ihren dienſtfreien Tagen oder Zeiten mit Vor-
ſtellungen und Rapporten, wie ſie beſonders bei
der ſtädtiſchen Straßenbahn gegen das Fahrper-
ſonal zur Unſitte geworden ſind, in Zukunft
zu verſchonen.

Wenn Rapporte unumgänglich nötig ſind, muß
eine Ablöſung vom Dienſt möglich ſein, damit
verhindert wird, daß der Gerufene ſeinen frei-
en Tag der ſehr oft an Stelle des Sonntags
trifft, einbüßt.

Der Antrag ging an den Werkausſchuß.

Konzertverein München

Die am 15. Januar abgehaltene ordent-
liche Mitglieder-Verſammlung
des
Konzertvereins München, eröffnete für die Zu-
kunſt des Vereins in finanzieller, künſtleriſcher
und organiſatoriſcher Hinſicht erfreuliche Ausſich-
ten. Zwar iſt — wie ja auch bei anderen Organi-
ſationen ähnlicher Art — der Mitgliederſtand
unter den mannigfachen ungünſtigen Einwirkun-
gen der letzten Jahre erheblich geſunken; aber die
bange Sorge um die Exiſtenz des Vereins
[Spaltenumbruch] überhaupt erſcheint endlich gebannt dank tat-
kräftiger Hilfe der Stadt und des Staatsmini-
ſteriums.

Die künſtleriſche Tätigkeit des Vereins in der
zwei Jahre umfaſſenden Berichtszeit iſt bekannt;
ſchwer empfunden dürfte der Rücktritt des lang-
jährigen Schatzmeiſters Kommerzienrates Büh-
ler
werden.

Von beſonderer Bedeutung für die Zukunft iſt
ein Vertrag mit dem Staatsminiſte-
rium
für Unterricht und Kultus vom 4. Januar
die den Verein hinſichtlich der künſtleriſchen und
wirtſchaftlichen Betriebsführung einer gewiſſen
Kontrolle dieſer Behörde unterſtellt und u. a.
auch den koſtenloſen aushilfsweiſen Aus-
tauſch von Muſikern des Vereins und der
Staatstheater vorſieht. Eine Neuerung in den
Statuten ſtellt ferner die Beiziehungsmöglich-
keit des Betriebsrates zu den Sitzungen der
Vereinsorgane dar, ſofern Angelegenheiten der
Orcheſtermitglieder zur Beratung ſtehen. Eine
gewiſſe Schwerfälligkeit bei der Behandlung wei-
tterer Satzungsänderungen trat inſoferne zutage,
als man ſich nicht entſchließen konnte, den ſoge-
nannten „Vorſtandsrat“ zu eliminieren. Ob
ein weiterer, nicht durchgedrungener Antrag, an
die Spitze des Muſikausſchuſſes nicht den erſten
Kapellmeiſter, ſondern eine neutrale und weniger
exponierte Perſönlichkeit zu ſtellen, im Grunde
nicht manches für ſich gehabt hätte, mag dahin
geſtellt bleiben. Im übrigen dürfte die Zuſam-
menſetzung dieſes Ausſchuſſes, der ſich außer dem
Präſidenten Dr. von Hausegger, dem General-
muſikdirektor Knappertsbuſch und dem Rechts-
rat Dr. Kronenberger aus den Vorſtänden der
Konzert- und Chorgeſellſchaften und des Lehrer-
geſangvereins bildet, einige Gewähr für die Ar-
beit des Vereins bieten, umſomehr, als auch die
Beſetzung des eigentlichen Vorſtandes — mit dem
Herren Prof. Dr. Fiſcher, Dr. von Hausegger,
Rechtsrat Hörburger, Stadtrat Mauerer, Bür-
germeiſter Schmid, Geheimrat Dr. Schulmann,
Dr. Wamsler und Kommerzienrat Zentz — glück-
lich erſcheint.

Miniſterialdirektor Dr. Attinger †.

Dr. Johann Attinger, Miniſterialdirek-
tor beim Staatsminiſterium für Landwirtſchaft
iſt heute, nachdem er ſich im Krankenhaus Nym-
phenburg einer Operation unterziehen mußte. im
57. Lebensjahre an Herzlähmung plötzlich ge-
ſtorben.

Miniſterialdirektor Attinger ſtammt aus Augs-
burg und widmete ich dem Studium der Vete-
rinärwiſſenſchaft. Am 1. April 1920 wurde er
zum Miniſterialdirektor befördert. Im Weltkrieg
war Dr. Attinger vom Januar 1915 bis Januar
1916 als Oberſtabsveterinär beim Generalkom-
mando J. A. K. tätig. Jm Januar 1916 wurde
er nach München berufen, um die bayeriſche
Fleiſchverſorgung zu leiten. Miniſterialdirektor
Dr. Attinger hat ſich um die Hebung der Vieh-
zucht in Bayern große Verdienſte erworben.

Zuſammenſchluß der Kleinaktionäre.

Die kom-
mende Zuſammenlegung
der Aktien
zwecks Umſtellung des Papierkapitals auf Gold-
mark bedeutet für die meiſten Kleinaktionäre den
Verluſt des Vermögens. Nur in den
ſeltenſten Fällen wird der Kleinaktionär ſoviel
Aktien beſitzen, daß er für dieſe Goldmarkaktien
erhält. Er muß alſo ſeine Aktien um einen Spott-
preis hergeben Auch der Beſuch der Generalver-
ſammlungen zur Wahrung ſeiner Intereſſen iſt
unmöglich. Dies will für ihn die Kleinaktionär-
Vereinigung beſorgen. Anmeldungen nimmt ent-
gegen der vorläufige Vorſitzende Rechtsanwalt
Dr. rer. pol. Theilhaber, Promenadeplatz 10/2.
Weitere Mitteilungen erfolgen durch Inſerat.

Der Mieterſchutzverband München und Umgebung

hat ſeine Beziehungen zu Rechtsanwalt A. Ludwig
gelöſt. Als neuer Syndikus des Verbandes iſt Rechts-
anwalt Dr. L. Beuario beſtellt. Die Vorſtands-
geſchäfte leitet der 2. Vorſitzende, Herr G. Spitz.
Rechtsauskünfte und Übernahme koſtenloſer Ver-
tretungen in Mietſtreitſachen in der Geſchäfts-
ſtelle: Gewerkſchaftshaus, Zimmer
26/1.

Ueberdruckgeldſcheine bleiben gültig.

Entgegen den
ſeit einigen Tagen verbreiteten Gerüchten, daß die
[Spaltenumbruch] Ueberdruckgeldſcheine aufgerufen und keine vollgültigen
Zahlungsmittel mehr ſeien, wird ausdrücklich darauf
hingewieſen, daß das Ueberdruckgeld nach wie vor
gültig bleibt. Bis auf weiteres iſt jedermann ver-
pflichtet, Ueberdruckſcheine in Zahlung zu nehmen,
oder er ſetzt ſich allen Unannehmlichkeiten aus, die
mit der Zurückweiſung eines geſetzlichen Zahlungs-
mittels verbunden ſind.

Ehrlicher Finder geſucht!

Der Direktor der
Kreisleitung der Techniſchen Nothilfe Major a. D.
Max Pflaumer hat am 11. Januar 1924 zwi-
ſchen 4.50 nachm. und 5.05 nachm. auf dem Wege
Schützenſtraße 12, Trambahnhalteſtelle Bahnhof
bis Auguſtenſtraße 3 ſeine Brieftaſche mit nach-
ſtehendem Inhalt verloren:

1. Ausweis für meine Tätigkeit als ſtellv. Lan-
desleiter der Techniſchen Nothilfe Bayern mit
Stempel des bayeriſchen Staatsminiſteriums des
Innern und der Unterſchrift „Schweyer“. 2. Aus-
weis als Kreisleiter der Techniſchen Nothilfe Mün-
chen mit Lichtbild, Stempel der Landesleitung der
T.R.B. und der Unterſchrift „Koch“. Beide auf
graue Leinwand aufgezogen. 3. Gelber Führer-
ausweis des Notbannes München.

Vor Mißbrauch der Papiere wird gewarnt.

Kleine Zeitung
Geboren:

Karl Hermann (S.); Siegfried
Pories (T.).

Verlobt:

Martin Schleſinger und Liſe
Gerſtle; Dentiſt Alois Rupp und Annie
Gleißner.

Vermählt:

Victor Graf v. Schlieben und
Frau Laura geb. Mayer.

Geſtorben:

Clara Weber geb. Kirch; Gärt-
nereibeſitzerstöchterchen Peperl Brandl; Ober-
ſekretärsgattin Carolina Spanner geb. Wald-
müller; Haſnermeiſter Karl Bruckner; Leut-
nant der Landespolizei Joſef Gaßner.

Unfall.

Das Auto, in dem heute vormittag die
Söhne des verſtorbenen Geheim-
rates Dr. Schweninger
zur Trauerfeier
nach dem Oſtfriedhof fahren wollten, ſtieß mit
einem Laſtwagen zuſammen. Der jüngere Sohn
Schweningers wurde durch Glasſplitter leicht ver-
letzt und mußte ärztliche Hilfe aufſuchen. - Die
Trauerfeier erlitt durch den Unfall eine Ver-
zögerung.

Froſtſalbe iſt keine Butter.

Ein Landwirt, der
aus der franzöſiſchen und ſpaniſchen Fremdenle-
gion geflohen iſt, ſtahl am Brenner angekommen,
im Zug ein Paket, in dem er Lebensmittel ver-
mutete. Als er es in München öffnete ſah er ſich
getäuſcht. Das Paket enthielt 5 Kilo Froſt-
ſalbe
. Beim Verkauf derſelben wurde er feſt-
genommen.

Verhaftung eines ehemaligen Kommuniſten

Nach Schluß der geſtern im Löwenbräukeller
abgehaltenen Reichsgründungsfeier der Deutſch-
nationalen Mittelpartei bildeten die National-
ſozialiſten,
die an der Feier teilgenommen
hatten, einen Demonſtrationszug und marſchier-
ten unter Abſingung von Liedern gegen den Bahn-
hofplatz. In der Nähe des Hauptbahnhofes löſte
die Polizei den Zug auf und verhaftete
den Führer,
einen Techniker namens Kell-
ner
. Dabei wurde die intereſſante Feſtſtellung
gemacht, daß der Verhaftete mit dem aus
der Räterepublik her bekannten ein-
geſchriebenen Mitglied der kom-
muniſtiſchen Partei Kellner iden-
tiſch iſt
. Sein Name war in den Apriltagen
des Jahres 1919 wiederholt unter Aufrufen er-
ſchienen, ſo zum letztenmal auch am 24. April 1919.

Dieſe Verhaftung beweiſt wieder einmal, wie
ſich unter der Flagge vaterländiſcher Betätigung
auch unſaubere Elemente ſammeln, und gibt
denen Recht, die behaupten, daß ſich unter den
Nationalſozialiſten in zahlreichen Fällen der gleiche
Typ unangenehm bemerkbar macht, der in den
Revolutionstagen 1918 und 1919 unter linksradi-
kaler Flagge die Straßen Münchens beherrſchte.



[Spaltenumbruch]
Der Meiſter des jüngſten Tages

15
Roman

„So gehen Sie doch! Um Gottes willen, ver-
ſchwinden Sie, raſch!“

Es war zu ſpät, um zu gehen. Jetzt war es
zu ſpät.

Hinter ihm kam Dinas Bruder zum Vorſchein,
er ſchob den Doktor beiſeite und ſtand vor mir.

Ich ſah ihm ins Geſicht, — wie ähnlich er in
dieſem Augenblick ſeiner Schweſter war. Das
gleiche fremdartig geformte Oval des Geſichtes,
derſelbe eigenwillige Zug um die Lippen —

„Sie ſind noch da?“ ſagte er mit einer eiskalten
Höflichkeit, die furchtbar von des Doktors leiden-
ſchaftlichem Ausbruch abſtach. „Ich hatte damit
nicht gerechnet. Das trifft ſich gut, da können wir
ja die Sache gleich ins reine bringen.“

8.

Ich hatte mich gefaßt. Es war mir in dem
Augenblick, da Dinas Bruder ins Zimmer getreten
war, klar geworden, daß der, dem ich da gegen-
überſtand, mein Todfeind war. Daß es ſinnlos
geweſen wäre, vor dieſer Unterredung die Flucht
zu ergreifen, und daß der Kampf ausgefochten
werden mußte. Aber um was es ging, das hätte
ich in dieſer Sekunde nicht ſagen können. Ich
wußte nichts, als daß ich bleiben und dem Gegner
die Stirne zeigen mußte, was immer auch kom-
men mochte.

Doktor Gorski machte den Verſuch, das, was
ſich vorbereitete, in der letzten Minute noch zu ver-
hindern.

[Spaltenumbruch]

„Felix!“ mahnte er und wies mit einer beſchwö-
renden und vorwurfsvollen Gebärde auf den ſchot-
tiſchen Plaid, den man über den Toten gebreitet
hatte. „Bedenken Sie doch, wo wir ſind! Muß das
denn jetzt geſchehen und gerade hier?“

„Es iſt am beſten ſo, Doktor, wozu die Sache
verſchieben?“ ſagte Felix, ohne die Augen von mir
zu wenden. „Es trifft ſich wirklich gut, daß der
Herr Rittmeiſter noch hier iſt.“

Er nannte mich — gegen ſeine ſonſtige Ge-
pflogenheit — bei meiner militäriſchen Charge.
Ich wußte, was das zu bedeuten hatte. Doktor
Gorski ſtand noch einen Augenblick lang unſchlüſ-
ſig zwiſchen uns, dann zuckte er die Achſeln und
ging zur Türe, um uns allein zu laſſen.

Aber Felix hielt ihn zurück.

„Ich bitte Sie, zu bleiben, Doktor,“ ſagte er.
„Es kann einer der Fälle eintreten, in denen ſich
die Anweſenheit eines Dritten als nützlich zu er-
weiſen pflegt.“

Doktor Gorski ſchien den Sinn dieſer Be-
merkung nicht gleich zu verſtehen. Er ſah mich mit
einem verlegenen Blick an, der um Entſchuldigung
zu bitten ſchien, daß er ſich zum Zeugen dieſer
Unterredung machte. Schließlich ließ er ſich auf der
äußerſten Kante des Schreibtiſches nieder in einer
Haltung, die zum Ausdruck brachte, daß er bereit
ſei, jederzeit, falls es etwa gewünſcht werden
ſollte, das Zimmer zu verlaſſen. Das war für den
Ingenieur, den niemand zum Bleiben aufgefor-
dert hatte, das Zeichen, gleichfalls Platz zu neh-
men. Er nahm den einzigen Stuhl, der ſich im
Zimmer befand, für ſich in Beſchlag, ſteckte auf
umſtändliche Art, indem er nur zwei Finger der
linken Hand dazu benützte, ſeine Zigarette in
[Spaltenumbruch] Brand und tat, als wäre ſein Verbleiben im Zim-
mer eine Sache, deren Berechtigung von keiner
Seite in Zweifel gezogen werden konnte.

Ich ſah und beobachtete das alles mit einem rein
ſachlichen Intereſſe, ich war jetzt vollkommen ruhig
und Herr meiner Nerven und wartete gelaſſen auf
das, was kommen ſollte. Aber eine Minute lang
geſchah nichts. Felix ſtand über Eugen Biſchoffs
Leiche gebeugt, ich ſah ſein Geſicht nicht, aber es
ſchien mir, als hätte er mit Ergriffenheit zu
kämpfen, als wäre er außerſtande, die Maske un-
natürlicher Ruhe noch länger zu tragen. Einen
Augenblick lang glaubte ich, daß er ſich von ſeiner
Bewegung überwältigt über den Toten werfen,
und daß die Szene mit dieſem Gefühlsausbruch
ihr Ende nehmen werde. Aber nichts dergleichen
geſchah. Er richtete ſich auf, und das Geſicht, das
er mir zuwandte, trug den Ausdruck vollkom-
mener Beherrſchung. Er hatte, das ſah ich nun,
nur die Decke, die zu Boden geglitten war, von
neuem über den Kopf des Toten gebreitet. —

„Viel Zeit wird uns leider nicht bleiben,“ be-
gann er nun, und aus ſeiner Stimme war weder
Erſchütterung noch Erregung zu hören. „In
einer halben Stunde etwa wird die polizeiliche
Kommiſſion hier ſein und ich möchte bis dahin
unſere Angelegenheit in Ordnung gebracht haben.“

„Darin begegnen ſich unſere Wünſche,“ ſagte
ich mit einem Blick auf den Ingenieur. „Ich
glaube, daß die Zahl der Zeugen vollkommen aus-
reicht, da, wie ich ſehe, beide Herren die Güte hat-
ten, ſich für dieſe Unterredung zu unſerer Ver-
fügung zu halten.“

Doktor Gorski rückte unruhig auf ſeiner
Schreibtiſchkante hin und her, aber der Ingenieur
[Spaltenumbruch] hatte die Unverfrorenheit, zu meinen Worten zu-
ſtimmend mit dem Kopf zu nicken.

„Solgrub und Doktor Gorski ſind meine
Freunde,“ bemerkte Felix. „Ich lege Wert darauf,
daß ſie ein möglichſt klares Bild der Sachlage er-
halten, und werde ihnen keinen der Umſtände, die
in dieſes Bild gehören, verſchweigen. Auch nicht
die Tatſache. Herr Rittmeiſter, daß Dina vor vier
Jahren Ihre Geliebte geweſen iſt.“

Ich fuhr zuſammen. Darauf war ich nicht vor-
bereitet geweſen. Aber meine Beſtürzung währte
nur ganz kurze Zeit, und ein paar Sekunden
ſpäter hatte ich jedes Wort meiner Antwort über-
dacht.

„Ich war, als ich Ihnen dieſe Unterredung er-
möglichte, auf Attacken gefaßt, aber nicht darauf,
daß ſie ſich gegen eine Frau richten würden, die
mir hochſteht“, ſagte ich. „Ich habe nicht die
Abſicht, das zuzulaſſen. Ich muß Sie bitten,
den Ausdruck, den Sie gewählt haben —“

„Zurückzunehmen? Wozu das, Herr Rittmei-
ſter? Er entſpricht, wie ich Ihnen verſichern
kann, vollkommen Dinas Auffaſſung.“

„Habe ich das ſo zu verſtehen, daß Ihre Schwe-
ſter Sie ermächtigt hat?“

„Gewiß, Herr Rittmeiſter.“

„Dann bitte ich Sie, fortzufahren.“

Ueber ſeine Lippen glitt ein knabenhaft ſelbſt-
bewußtes Lächeln der Genugtuung, weil dieſer
erſte Gang ſo völlig zu ſeinem Vorteil abgelau-
fen war. Aber dieſes Lächeln verſchwand ſo-
gleich wieder aus ſeinem Geſicht, und der Ton-
in dem er weiterſprach, blieb unverändert kor-
rekt und beinahe verbindlich:
(Fortſetzung folgt.)

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[4/0004] Allgemeine Zeitung Nr. 15 Mittwoch, den 16. Januar 1924. MÜNCHENER STADTZEITUNG Die Zukunft des Fremdenverkehrs In der Dienstagſtadtratſitzung machte rk. St. R. Dr. Konrad bemerkenswerte Mitteilungen über die Gefährdung des Fremden- verkehrs in München und im bayeriſchen Hochland. Der Zeitpunkt, wo München und das Hochland um ihre Stellung im Fremdenverkehr ſchwer ringen müſſen, ſcheint nahe zu ſein. Schon in der abgelaufenen Fremdenſaiſon machten ſich Anzeichen für eine Abwanderung des Fremdenverkehrs in andere Gebiete be- merkbar. Nun ſind die Valutaſchranken gefallen und die Konkurrenz der ausländiſchen Fremden- verkehrsgebiete macht ſich jetzt ſchon ſtark geltend. Die kommenden Monate werden eine kritiſche Situation bringen. Die Penſionen ſind faſt leer nur Dauermieter der Hotels in der Nähe des Bahnhofes ſind leidlich beſetzt, aber nur von Durchgangsreiſenden, die vielleicht eine Nacht bleiben, in der inneren Stadt ſind die Ho- tels ſchlecht beſetzt und es zeigt ſich bereits die Umwandlung von Fremdenzimmern in Büros. Die Zahl der Ausländer iſt ſehr ge- ring geworden. Im Hochland war der Verkehr an den Weih- nachtsfeiertagen etwas beſſer, bei weitem aber nicht ſo wie im Vorjahr. Das gibt zu denken, auch wenn man zugibt, daß die Entwicklung ge- wiſſermaßen zwangsläufig iſt, vielleicht auch nur vorübergehend in dem Maß ungünſtig. Da aber dem Fremdenverkehr doch große Gefahren er- wachſen können, iſt es notwendig, rechtzeitig Vor- kehrungen zu treffen. Alle maßgebenden Stellen und Behörden müſſen von der üblichen rein ge- fühlsmäßigen Beurteilung des Fremdenverkehrs ſich frei machen und zu einer objektiven Wür- digung des Fremdenverkehrs und ſeiner wirt- ſchaftlichen Bedeutung zurückkehren. Damit muß eine vernünftige Fremdenverkehrspolitik Platz greifen, welche die Wichtigkeit des Fremdenver- kehrs für München und das Oberland richtig einſchätzt. Notwendig iſt vor allem auch die Beſeitigung der künſtlichen Hemmniſſe und die Wiederauſrichtung eines Fremdenver- kehrs, wie er vor dem Kriege beſtand, Beſeiti- gung namentlich der Hinderniſſe, die Bayern eine Sonderſtellung gegenüber dem ganzen übrigen Reich gegeben haben, ob dieſe Hemmniſſe nun polizeilicher oder fiskaliſcher Natur ſind. Wir müſſen zu einer pfleglichen Behandlung des Fremdenverkehrs auch auf anderen Gebieten zurückkehren, insbeſondere auch hinſichtlich des Bahn- und Poſtverkehrs, der Fahrplangeſtaltung uſw. Der Fahrplanreferent und Vizepräſident der Handelskammer Kommerzienrat S. Frän- kel hat in der „Frf. Ztg.“ über die Ausge- ſtaltung des internationalen Durchgangsverkehrs ſich geäußert und dabei klar dargelegt, wie wenig die Geſtaltung dieſer Fahrpläne einer planmäßigen Ausnützung unſerer günſtigen zentralen Lage in Mitteleuro- pa, namentlich ſoweit München in Betracht kommt, Rechnung trägt. Auf den großen Linien, deren natürlicher Schnittpunkt München iſt, als den natürlich gegebenen feſten Verkehrsverbin- dungen iſt der Verkehr im Nachlaſſen. Er iſt abgewandert, z. T. auf andere innerdeutſche Li- nien, zum großen Teil auf außerdeutſche Linien, Oeſterreich und der Schweiz. Beſonders ſtief- mütterlich wird die Brennerlinie behandelt, die von jeher für München von beſonderer Bedeu- ttung war. Wir müſſen von den maßgebenden Stellen mit Nachdruck Abhilfe verlangen, in erſter Linie von der Zweigſtelle Bayern des Reichsverkehrs- miniſteriums. Was die anderen Dinge anlangt, ſo iſt die Wohnſteuer für die Aus- länder auf die einfachen Sätze abgebaut, die Theater haben ihre Differenzierung aufgehoben, die Aufenthaltsgebühren ſind ermäßigt und wer- den neu geregelt. Aber immer noch beſteht der Zwang für den in München übernachtenden Aus- länder, ſich der Polizei vorzuſtellen, noch immer finden die beſonderen Kontrollen in den Hotels ſtatt. Alle dieſe Dinge müſſen fallen und können auch fallen. Denn je ſtärker der Fremdenverkehr aus natürlichen Gründen zurück- geht, deſto notwendiger iſt eine Beſeitigung der künſtlichen Hinderniſſe, die im übrigen deutſchen Wirtſchaftsgetriebe nicht beſtehen. Der Referent beantragte, ſich mit dieſen Aus- führungen einverſtanden zu erklären und das Re- ferat zu ermächtigen, im Sinne der Fränkelſchen Anregungen Antrag dahin zu ſtellen, daß alle Verkehrseinſchränkungen und -unſtimmigkeiten beſeitigt werden, daß die guten Verbindungen — auch über den Brenner wieder hergeſtellt wer- den, daß namentlich die nur für Bayern giltigen Beſchränkungen fallen und beſonders der polizeiliche Vorſtellzwang für über- nachtende Ausländer wegkommt. In der Ausſprache erklärte St. R. Weiß (D. D. P.) Zuſtimmung. Die Erwerbskreiſe jam- mern bereits über die Verſchlechterung der Ver- hältniſſe. Der demokratiſche Sprecher regte an, den ſtarken Paßverkehr nach Tirol und Salzburg zu erleichtern oder doch die Handhabung der Paßvorſchriften beim Uebergang entgegenkom- mender zu geſtalten; von einem lebhafteren Wech- ſelverkehr würden auch unſere bayeriſchen Grenz- orte Vorteil ziehen. St. R. Nußbaum (V. S. P.) beſtätigte die Klagen der Hotelbeſitzer und betonte, die Haupt- ſchuld liege an der allgemeinen Politik in Bay- ern. Solange Fremde Gefahr laufen, hier wieder behandelt zu werden, wie es erſt jüngſt wieder einem angeſehenen chriſtlichen Geſchäftsmann aus Ungarn widerfuhr, bleiben ſie eben mehr und mehr aus. Bürgermeiſter Schmid erinnerte daran, daß Herr Fränkl ſelbſt das Opfer eines Ueberfalls war. St. R. Dr. Jodlbauer (liberale Bürgerpar- tei) betonte, daß noch andere Faktoren am Rück- gang des Fremdenverkehrs mitwirken, vor allem die volkswirtſchaftlich elemenente Umgeſtaltung unſerer Währung. Die Ueberanloriſierung hat eine Ablenkung des innerdeutſchen Verkehrs nach dem Süden, nach der Schweiz und Italien zur Folge. Wir brauchen daher eine Herabſetzung des algemeinen Preisniveaus. Bürgermeiſter Dr. Küfner hob der Be- deutung des Fremdenverkehrs für die aktive Geſtaltung der Zahlungsbilanz (Import von fremdem Geld als Erſatz für den Export von Waren hervor, ſowie die Notwendigkeit einer einheitlichen Stellungnahme aller Kreiſe zur Fremdenverkehrsfrage. Die Anträge der Referenten wurden einſtim- mig angenommen. Ein alter Zopf. Ein Dringlichkeitsantrag der D. D. P. verlangt vom Stadtrat, den Aemtern und Werken der Stadtgemeinde den Auftrag zu urteilen, Beamte, Angeſtellte und Arbeiter an ihren dienſtfreien Tagen oder Zeiten mit Vor- ſtellungen und Rapporten, wie ſie beſonders bei der ſtädtiſchen Straßenbahn gegen das Fahrper- ſonal zur Unſitte geworden ſind, in Zukunft zu verſchonen. Wenn Rapporte unumgänglich nötig ſind, muß eine Ablöſung vom Dienſt möglich ſein, damit verhindert wird, daß der Gerufene ſeinen frei- en Tag der ſehr oft an Stelle des Sonntags trifft, einbüßt. Der Antrag ging an den Werkausſchuß. Konzertverein München Die am 15. Januar abgehaltene ordent- liche Mitglieder-Verſammlung des Konzertvereins München, eröffnete für die Zu- kunſt des Vereins in finanzieller, künſtleriſcher und organiſatoriſcher Hinſicht erfreuliche Ausſich- ten. Zwar iſt — wie ja auch bei anderen Organi- ſationen ähnlicher Art — der Mitgliederſtand unter den mannigfachen ungünſtigen Einwirkun- gen der letzten Jahre erheblich geſunken; aber die bange Sorge um die Exiſtenz des Vereins überhaupt erſcheint endlich gebannt dank tat- kräftiger Hilfe der Stadt und des Staatsmini- ſteriums. Die künſtleriſche Tätigkeit des Vereins in der zwei Jahre umfaſſenden Berichtszeit iſt bekannt; ſchwer empfunden dürfte der Rücktritt des lang- jährigen Schatzmeiſters Kommerzienrates Büh- ler werden. Von beſonderer Bedeutung für die Zukunft iſt ein Vertrag mit dem Staatsminiſte- rium für Unterricht und Kultus vom 4. Januar die den Verein hinſichtlich der künſtleriſchen und wirtſchaftlichen Betriebsführung einer gewiſſen Kontrolle dieſer Behörde unterſtellt und u. a. auch den koſtenloſen aushilfsweiſen Aus- tauſch von Muſikern des Vereins und der Staatstheater vorſieht. Eine Neuerung in den Statuten ſtellt ferner die Beiziehungsmöglich- keit des Betriebsrates zu den Sitzungen der Vereinsorgane dar, ſofern Angelegenheiten der Orcheſtermitglieder zur Beratung ſtehen. Eine gewiſſe Schwerfälligkeit bei der Behandlung wei- tterer Satzungsänderungen trat inſoferne zutage, als man ſich nicht entſchließen konnte, den ſoge- nannten „Vorſtandsrat“ zu eliminieren. Ob ein weiterer, nicht durchgedrungener Antrag, an die Spitze des Muſikausſchuſſes nicht den erſten Kapellmeiſter, ſondern eine neutrale und weniger exponierte Perſönlichkeit zu ſtellen, im Grunde nicht manches für ſich gehabt hätte, mag dahin geſtellt bleiben. Im übrigen dürfte die Zuſam- menſetzung dieſes Ausſchuſſes, der ſich außer dem Präſidenten Dr. von Hausegger, dem General- muſikdirektor Knappertsbuſch und dem Rechts- rat Dr. Kronenberger aus den Vorſtänden der Konzert- und Chorgeſellſchaften und des Lehrer- geſangvereins bildet, einige Gewähr für die Ar- beit des Vereins bieten, umſomehr, als auch die Beſetzung des eigentlichen Vorſtandes — mit dem Herren Prof. Dr. Fiſcher, Dr. von Hausegger, Rechtsrat Hörburger, Stadtrat Mauerer, Bür- germeiſter Schmid, Geheimrat Dr. Schulmann, Dr. Wamsler und Kommerzienrat Zentz — glück- lich erſcheint. Miniſterialdirektor Dr. Attinger †. Dr. Johann Attinger, Miniſterialdirek- tor beim Staatsminiſterium für Landwirtſchaft iſt heute, nachdem er ſich im Krankenhaus Nym- phenburg einer Operation unterziehen mußte. im 57. Lebensjahre an Herzlähmung plötzlich ge- ſtorben. Miniſterialdirektor Attinger ſtammt aus Augs- burg und widmete ich dem Studium der Vete- rinärwiſſenſchaft. Am 1. April 1920 wurde er zum Miniſterialdirektor befördert. Im Weltkrieg war Dr. Attinger vom Januar 1915 bis Januar 1916 als Oberſtabsveterinär beim Generalkom- mando J. A. K. tätig. Jm Januar 1916 wurde er nach München berufen, um die bayeriſche Fleiſchverſorgung zu leiten. Miniſterialdirektor Dr. Attinger hat ſich um die Hebung der Vieh- zucht in Bayern große Verdienſte erworben. Zuſammenſchluß der Kleinaktionäre. Die kom- mende Zuſammenlegung der Aktien zwecks Umſtellung des Papierkapitals auf Gold- mark bedeutet für die meiſten Kleinaktionäre den Verluſt des Vermögens. Nur in den ſeltenſten Fällen wird der Kleinaktionär ſoviel Aktien beſitzen, daß er für dieſe Goldmarkaktien erhält. Er muß alſo ſeine Aktien um einen Spott- preis hergeben Auch der Beſuch der Generalver- ſammlungen zur Wahrung ſeiner Intereſſen iſt unmöglich. Dies will für ihn die Kleinaktionär- Vereinigung beſorgen. Anmeldungen nimmt ent- gegen der vorläufige Vorſitzende Rechtsanwalt Dr. rer. pol. Theilhaber, Promenadeplatz 10/2. Weitere Mitteilungen erfolgen durch Inſerat. Der Mieterſchutzverband München und Umgebung hat ſeine Beziehungen zu Rechtsanwalt A. Ludwig gelöſt. Als neuer Syndikus des Verbandes iſt Rechts- anwalt Dr. L. Beuario beſtellt. Die Vorſtands- geſchäfte leitet der 2. Vorſitzende, Herr G. Spitz. Rechtsauskünfte und Übernahme koſtenloſer Ver- tretungen in Mietſtreitſachen in der Geſchäfts- ſtelle: Gewerkſchaftshaus, Zimmer 26/1. Ueberdruckgeldſcheine bleiben gültig. Entgegen den ſeit einigen Tagen verbreiteten Gerüchten, daß die Ueberdruckgeldſcheine aufgerufen und keine vollgültigen Zahlungsmittel mehr ſeien, wird ausdrücklich darauf hingewieſen, daß das Ueberdruckgeld nach wie vor gültig bleibt. Bis auf weiteres iſt jedermann ver- pflichtet, Ueberdruckſcheine in Zahlung zu nehmen, oder er ſetzt ſich allen Unannehmlichkeiten aus, die mit der Zurückweiſung eines geſetzlichen Zahlungs- mittels verbunden ſind. Ehrlicher Finder geſucht! Der Direktor der Kreisleitung der Techniſchen Nothilfe Major a. D. Max Pflaumer hat am 11. Januar 1924 zwi- ſchen 4.50 nachm. und 5.05 nachm. auf dem Wege Schützenſtraße 12, Trambahnhalteſtelle Bahnhof bis Auguſtenſtraße 3 ſeine Brieftaſche mit nach- ſtehendem Inhalt verloren: 1. Ausweis für meine Tätigkeit als ſtellv. Lan- desleiter der Techniſchen Nothilfe Bayern mit Stempel des bayeriſchen Staatsminiſteriums des Innern und der Unterſchrift „Schweyer“. 2. Aus- weis als Kreisleiter der Techniſchen Nothilfe Mün- chen mit Lichtbild, Stempel der Landesleitung der T.R.B. und der Unterſchrift „Koch“. Beide auf graue Leinwand aufgezogen. 3. Gelber Führer- ausweis des Notbannes München. Vor Mißbrauch der Papiere wird gewarnt. Kleine Zeitung Geboren: Karl Hermann (S.); Siegfried Pories (T.). Verlobt: Martin Schleſinger und Liſe Gerſtle; Dentiſt Alois Rupp und Annie Gleißner. Vermählt: Victor Graf v. Schlieben und Frau Laura geb. Mayer. Geſtorben: Clara Weber geb. Kirch; Gärt- nereibeſitzerstöchterchen Peperl Brandl; Ober- ſekretärsgattin Carolina Spanner geb. Wald- müller; Haſnermeiſter Karl Bruckner; Leut- nant der Landespolizei Joſef Gaßner. Unfall. Das Auto, in dem heute vormittag die Söhne des verſtorbenen Geheim- rates Dr. Schweninger zur Trauerfeier nach dem Oſtfriedhof fahren wollten, ſtieß mit einem Laſtwagen zuſammen. Der jüngere Sohn Schweningers wurde durch Glasſplitter leicht ver- letzt und mußte ärztliche Hilfe aufſuchen. - Die Trauerfeier erlitt durch den Unfall eine Ver- zögerung. Froſtſalbe iſt keine Butter. Ein Landwirt, der aus der franzöſiſchen und ſpaniſchen Fremdenle- gion geflohen iſt, ſtahl am Brenner angekommen, im Zug ein Paket, in dem er Lebensmittel ver- mutete. Als er es in München öffnete ſah er ſich getäuſcht. Das Paket enthielt 5 Kilo Froſt- ſalbe. Beim Verkauf derſelben wurde er feſt- genommen. Verhaftung eines ehemaligen Kommuniſten Nach Schluß der geſtern im Löwenbräukeller abgehaltenen Reichsgründungsfeier der Deutſch- nationalen Mittelpartei bildeten die National- ſozialiſten, die an der Feier teilgenommen hatten, einen Demonſtrationszug und marſchier- ten unter Abſingung von Liedern gegen den Bahn- hofplatz. In der Nähe des Hauptbahnhofes löſte die Polizei den Zug auf und verhaftete den Führer, einen Techniker namens Kell- ner. Dabei wurde die intereſſante Feſtſtellung gemacht, daß der Verhaftete mit dem aus der Räterepublik her bekannten ein- geſchriebenen Mitglied der kom- muniſtiſchen Partei Kellner iden- tiſch iſt. Sein Name war in den Apriltagen des Jahres 1919 wiederholt unter Aufrufen er- ſchienen, ſo zum letztenmal auch am 24. April 1919. Dieſe Verhaftung beweiſt wieder einmal, wie ſich unter der Flagge vaterländiſcher Betätigung auch unſaubere Elemente ſammeln, und gibt denen Recht, die behaupten, daß ſich unter den Nationalſozialiſten in zahlreichen Fällen der gleiche Typ unangenehm bemerkbar macht, der in den Revolutionstagen 1918 und 1919 unter linksradi- kaler Flagge die Straßen Münchens beherrſchte. Der Meiſter des jüngſten Tages 15 Roman von Leo Perutz „So gehen Sie doch! Um Gottes willen, ver- ſchwinden Sie, raſch!“ Es war zu ſpät, um zu gehen. Jetzt war es zu ſpät. Hinter ihm kam Dinas Bruder zum Vorſchein, er ſchob den Doktor beiſeite und ſtand vor mir. Ich ſah ihm ins Geſicht, — wie ähnlich er in dieſem Augenblick ſeiner Schweſter war. Das gleiche fremdartig geformte Oval des Geſichtes, derſelbe eigenwillige Zug um die Lippen — „Sie ſind noch da?“ ſagte er mit einer eiskalten Höflichkeit, die furchtbar von des Doktors leiden- ſchaftlichem Ausbruch abſtach. „Ich hatte damit nicht gerechnet. Das trifft ſich gut, da können wir ja die Sache gleich ins reine bringen.“ 8. Ich hatte mich gefaßt. Es war mir in dem Augenblick, da Dinas Bruder ins Zimmer getreten war, klar geworden, daß der, dem ich da gegen- überſtand, mein Todfeind war. Daß es ſinnlos geweſen wäre, vor dieſer Unterredung die Flucht zu ergreifen, und daß der Kampf ausgefochten werden mußte. Aber um was es ging, das hätte ich in dieſer Sekunde nicht ſagen können. Ich wußte nichts, als daß ich bleiben und dem Gegner die Stirne zeigen mußte, was immer auch kom- men mochte. Doktor Gorski machte den Verſuch, das, was ſich vorbereitete, in der letzten Minute noch zu ver- hindern. „Felix!“ mahnte er und wies mit einer beſchwö- renden und vorwurfsvollen Gebärde auf den ſchot- tiſchen Plaid, den man über den Toten gebreitet hatte. „Bedenken Sie doch, wo wir ſind! Muß das denn jetzt geſchehen und gerade hier?“ „Es iſt am beſten ſo, Doktor, wozu die Sache verſchieben?“ ſagte Felix, ohne die Augen von mir zu wenden. „Es trifft ſich wirklich gut, daß der Herr Rittmeiſter noch hier iſt.“ Er nannte mich — gegen ſeine ſonſtige Ge- pflogenheit — bei meiner militäriſchen Charge. Ich wußte, was das zu bedeuten hatte. Doktor Gorski ſtand noch einen Augenblick lang unſchlüſ- ſig zwiſchen uns, dann zuckte er die Achſeln und ging zur Türe, um uns allein zu laſſen. Aber Felix hielt ihn zurück. „Ich bitte Sie, zu bleiben, Doktor,“ ſagte er. „Es kann einer der Fälle eintreten, in denen ſich die Anweſenheit eines Dritten als nützlich zu er- weiſen pflegt.“ Doktor Gorski ſchien den Sinn dieſer Be- merkung nicht gleich zu verſtehen. Er ſah mich mit einem verlegenen Blick an, der um Entſchuldigung zu bitten ſchien, daß er ſich zum Zeugen dieſer Unterredung machte. Schließlich ließ er ſich auf der äußerſten Kante des Schreibtiſches nieder in einer Haltung, die zum Ausdruck brachte, daß er bereit ſei, jederzeit, falls es etwa gewünſcht werden ſollte, das Zimmer zu verlaſſen. Das war für den Ingenieur, den niemand zum Bleiben aufgefor- dert hatte, das Zeichen, gleichfalls Platz zu neh- men. Er nahm den einzigen Stuhl, der ſich im Zimmer befand, für ſich in Beſchlag, ſteckte auf umſtändliche Art, indem er nur zwei Finger der linken Hand dazu benützte, ſeine Zigarette in Brand und tat, als wäre ſein Verbleiben im Zim- mer eine Sache, deren Berechtigung von keiner Seite in Zweifel gezogen werden konnte. Ich ſah und beobachtete das alles mit einem rein ſachlichen Intereſſe, ich war jetzt vollkommen ruhig und Herr meiner Nerven und wartete gelaſſen auf das, was kommen ſollte. Aber eine Minute lang geſchah nichts. Felix ſtand über Eugen Biſchoffs Leiche gebeugt, ich ſah ſein Geſicht nicht, aber es ſchien mir, als hätte er mit Ergriffenheit zu kämpfen, als wäre er außerſtande, die Maske un- natürlicher Ruhe noch länger zu tragen. Einen Augenblick lang glaubte ich, daß er ſich von ſeiner Bewegung überwältigt über den Toten werfen, und daß die Szene mit dieſem Gefühlsausbruch ihr Ende nehmen werde. Aber nichts dergleichen geſchah. Er richtete ſich auf, und das Geſicht, das er mir zuwandte, trug den Ausdruck vollkom- mener Beherrſchung. Er hatte, das ſah ich nun, nur die Decke, die zu Boden geglitten war, von neuem über den Kopf des Toten gebreitet. — „Viel Zeit wird uns leider nicht bleiben,“ be- gann er nun, und aus ſeiner Stimme war weder Erſchütterung noch Erregung zu hören. „In einer halben Stunde etwa wird die polizeiliche Kommiſſion hier ſein und ich möchte bis dahin unſere Angelegenheit in Ordnung gebracht haben.“ „Darin begegnen ſich unſere Wünſche,“ ſagte ich mit einem Blick auf den Ingenieur. „Ich glaube, daß die Zahl der Zeugen vollkommen aus- reicht, da, wie ich ſehe, beide Herren die Güte hat- ten, ſich für dieſe Unterredung zu unſerer Ver- fügung zu halten.“ Doktor Gorski rückte unruhig auf ſeiner Schreibtiſchkante hin und her, aber der Ingenieur hatte die Unverfrorenheit, zu meinen Worten zu- ſtimmend mit dem Kopf zu nicken. „Solgrub und Doktor Gorski ſind meine Freunde,“ bemerkte Felix. „Ich lege Wert darauf, daß ſie ein möglichſt klares Bild der Sachlage er- halten, und werde ihnen keinen der Umſtände, die in dieſes Bild gehören, verſchweigen. Auch nicht die Tatſache. Herr Rittmeiſter, daß Dina vor vier Jahren Ihre Geliebte geweſen iſt.“ Ich fuhr zuſammen. Darauf war ich nicht vor- bereitet geweſen. Aber meine Beſtürzung währte nur ganz kurze Zeit, und ein paar Sekunden ſpäter hatte ich jedes Wort meiner Antwort über- dacht. „Ich war, als ich Ihnen dieſe Unterredung er- möglichte, auf Attacken gefaßt, aber nicht darauf, daß ſie ſich gegen eine Frau richten würden, die mir hochſteht“, ſagte ich. „Ich habe nicht die Abſicht, das zuzulaſſen. Ich muß Sie bitten, den Ausdruck, den Sie gewählt haben —“ „Zurückzunehmen? Wozu das, Herr Rittmei- ſter? Er entſpricht, wie ich Ihnen verſichern kann, vollkommen Dinas Auffaſſung.“ „Habe ich das ſo zu verſtehen, daß Ihre Schwe- ſter Sie ermächtigt hat?“ „Gewiß, Herr Rittmeiſter.“ „Dann bitte ich Sie, fortzufahren.“ Ueber ſeine Lippen glitt ein knabenhaft ſelbſt- bewußtes Lächeln der Genugtuung, weil dieſer erſte Gang ſo völlig zu ſeinem Vorteil abgelau- fen war. Aber dieſes Lächeln verſchwand ſo- gleich wieder aus ſeinem Geſicht, und der Ton- in dem er weiterſprach, blieb unverändert kor- rekt und beinahe verbindlich: (Fortſetzung folgt.)

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-12-19T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 16. Januar 1924, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine15_1924/4>, abgerufen am 03.12.2024.