Allgemeine Zeitung, Nr. 161, 9. Juni 1860.reichs zu marschiren, obwohl mehrere sehr aufgeklärte Officiere diesem So standen die Dinge. Fürst Schwarzenberg befand sich auf Schloß Es brauchte nicht lange Zeit um diesen Punkt zu erreichen, der kaum Diesen Gründen ließ fich nichts triftiges entgegensetzen. Alles gab nach, Aus meinem Amtsleben. Von Dr. Aloys Fischer, pens. kaiserl. königl. Statthalter von Oberösterreich. Augsburg 1860. (S. VIII, 1--224.) [] Sein eigenes Leben und Wirken den Zeitgenossen zu erzählen, meint Wenn sich irgend ein Mann dieses Taciteischen Dictums rühmen darf, Hr. Dr. Aloys Fischer, von Geburt ein Tiroler, litterarisch gebildet, Im Schrecken über das plötzliche Zusammenbrechen der alt-aristokrati- reichs zu marſchiren, obwohl mehrere ſehr aufgeklärte Officiere dieſem So ſtanden die Dinge. Fürſt Schwarzenberg befand ſich auf Schloß Es brauchte nicht lange Zeit um dieſen Punkt zu erreichen, der kaum Dieſen Gründen ließ fich nichts triftiges entgegenſetzen. Alles gab nach, Aus meinem Amtsleben. Von Dr. Aloys Fiſcher, penſ. kaiſerl. königl. Statthalter von Oberöſterreich. Augsburg 1860. (S. VIII, 1—224.) [⧧] Sein eigenes Leben und Wirken den Zeitgenoſſen zu erzählen, meint Wenn ſich irgend ein Mann dieſes Taciteiſchen Dictums rühmen darf, Hr. Dr. Aloys Fiſcher, von Geburt ein Tiroler, litterariſch gebildet, Im Schrecken über das plötzliche Zuſammenbrechen der alt-ariſtokrati- <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jFeuilleton" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0011" n="2691"/> reichs zu marſchiren, obwohl mehrere ſehr aufgeklärte Officiere dieſem<lb/> kühnen Marſch noch immer die Autorität der Regeln entgegenhielten welche<lb/> lehren daß man nie die Sorge um die Verbindungen vergeſſen, und nie das<lb/> Ziel verfehlen ſolle aus allzu großer Ungeduld es zu erreichen. Unterdeſſen<lb/> hatte ſich eine Begebenheit ereignet welche der kühnern Anſicht äußerſt günſtig<lb/> war. Die Cavallerie Wintzingerode’s, welche den Vortrab Blüchers bildete,<lb/> ſtieß bei der Marne mit derjenigen des Grafen Pahlen zuſammen, welche zu<lb/> Fürſt Schwarzenberg gehörte. Man hatte ſich bewillkommt und gefreut über<lb/> dieſe Vereinigung, die ſich übrigens ſchon früher hätte vollziehen ſollen; denn<lb/> da die Schlacht von Laon am 9 und 10 März geliefert worden, war es auf-<lb/> fallend daß Blücher Napoleon, oder die Marſchälle die ihn zu erſetzen beauf-<lb/> tragt waren, nicht über die Aiene verfolgte, und daß er am 23 noch zwiſchen<lb/> Aisne und Marne herumſtreifte. Blücher hatte gehandelt wie die Generale<lb/> welche mehr Entſchloſſenheit des Charakters haben als Geiſt. Er hatte ver-<lb/> ſucht Reims zu nehmen, dann Soiſſons, hatte lange auf einige Tauſend<lb/> Mann vom Corps Bülows gewartet, die zurückgeblieben waren, endlich hatte<lb/> er ſich entſchieden die Marſchälle Mortier und Marmont vor ſich her zu trei-<lb/> ben, und bei Ch<hi rendition="#aq">â</hi>lons die Marne erreicht. Wie dem auch ſey, er kam an mit<lb/> hunderttauſend Mann, und man hatte ſo zweimalhunderttauſend Mann um<lb/> auf Paris zu marſchiren. Eine ſolche Streitmacht mußte weit die Einwürfe<lb/> überwiegen die von den ſtrengen Regeln der Kriegskunſt hergenommen waren.</p><lb/> <p>So ſtanden die Dinge. Fürſt Schwarzenberg befand ſich auf Schloß<lb/> Dampierre mit dem Kaiſer Alexander um dort die Nacht zuzubringen, als<lb/> plötzlich Depeſchen überbracht wurden die man einem Courrier aus Paris<lb/> abgenommen hatte. Die leichte Cavallerie der Verbündeten hatte ihn aufge-<lb/> griffen. Auf Schloß Dampierre befand ſich der Fürſt Wolkonski, der bei<lb/> Alexander die Functionen des Chefs ſeines Generalſtabs verſah, und Graf<lb/> Neſſelrode, der Chef ſeiner Kanzlei. Man rief den letztern, der längere Zeit<lb/> in Paris gelebt hatte und beſſer als ein anderer den wahren Sinn der aufgefan-<lb/> genen Depeſchen faſſen konnte, und beauftragte ihn mit deren Kenntnißnahme.<lb/> Sie waren in der That von größter Wichtigkeit. Sie beſtanden aus Briefen<lb/> der Kaiſerin und des Herzogs von Rovigo an den Kaiſer. Die einen wie die<lb/> andern drückten die lebhafteſten Beſorgniſſe über den innern Zuſtand von<lb/> Paris aus. Die der Kaiſerin trugen das Gepräge der Beſtürzung, und hatten<lb/> ohne Zweifel weniger große Bedeutung, denn ſie konnten auch nur den Aus-<lb/> druck der Schwäche einer Frau ſeyn. Die des Herzogs von Rovigo dagegen<lb/> hatten einen ganz andern Werth, denn als Miniſter der Polizei und Kriegs-<lb/> mann, der an gefährliche Lagen vollkommen gewöhnt war, konnte er nicht im<lb/> Verdacht der Furchtſamkeit ſtehen, wenn er erklärte daß Paris in ſeinem<lb/> Schooß eine einflußreiche Partei zähle, die mit den Fremden im Einverſtänd-<lb/> niß, und daß es beim Erſcheinen einer verbündeten Armee wahrſcheinlich<lb/> ſey daß ſie dem Beiſpiel der Bordeleſen folgen würde. Dieſe Entdeckung war<lb/> in dieſem Augenblick von der ſchwerſten Bedeutung, ſie klärte vollends die poli-<lb/> tiſche Lage auf, und verſcheuchte jede Ungewißheit die man über die zu beob-<lb/> achtende Haltung noch hätte haben können. Nach dieſem unfreiwilligen Ge-<lb/> ſtändniß das der Regierung des Kaiſers, ſeiner Gemahlin, ſeinem Polizeimini-<lb/> ſter entſchlüpft war, konnte man nicht mehr zweifeln daß ſein Thron wankte,<lb/> und daß Paris zu berühren das ſichere Mittel war ihn vollends in Trümmer<lb/> zu ſtürzen. Man weckte ſchnell den Kaiſer Alexander und den Fürſten<lb/> Schwarzenberg, theilte ihnen die aufgefangenen Schriſtſtücke mit, und für den<lb/> einen wie für den andern war der Beweis vollſtändig. Der Marſch nach<lb/> Paris ſchien der Entſchluß an dem man auf der Stelle feſthalten, den man<lb/> mit Tagesanbruch ins Werk ſetzen mußte. Die drei Souveräne waren nicht<lb/> im Augenblick verſammelt, Alexander, der thätigſte unter ihnen, der überall<lb/> ſeyn wollte, und beſonders bei den Generalen, befand ſich bei dem Generaliſſi-<lb/> mus. Der beſcheidenſte, klügſte, der am meiſten die Bewegung ſcheute,<lb/> und als Nichtmilitär glaubte den Militärs durch ſeine Anweſenheit<lb/> keine Verlegenheit bereiten zu dürfen, der Kaiſer Franz, hatte ſeinen<lb/> Sitz im Augenblick ziemlich entfernt, nämlich in Bar-ſur-Aube. Der König<lb/> von Preußen, der zwiſchen beiden ungefähr die Mitte hielt, mehr zurück-<lb/> haltend als der eine und thätiger als der andere, hatte das Nachtlager in der Um-<lb/> gegend genommen. Man beſchloß ihn unverzüglich aufzuſuchen, die Armee mit<lb/> dem Morgen in Bewegung zu ſetzen um ſich der Marne zu nähern, wo man<lb/> auf Blücher ſtoßen mußte. Hier ſollte ſich dann alles vereinigen, und nach<lb/> einer Berathung, deren Reſultat bei der Anweſenheit der Preußen nicht<lb/> zweifelhaft ſeyn konnte, der Weg nach Paris eingeſchlagen werden. Fürſt<lb/> Schwarzenberg übernahm es ſeinem Herrn den gefaßten Beſchluß zu melden,<lb/> und forderte ihn in einem Schreiben auf, ja nicht daran zu denken die Inva-<lb/> ſionscolonne zu begleiten, denn er könnte mitten in der Kreuzung der krieg-<lb/> führenden Heere leicht in die Hände ſeines Schwiegerſohns fallen, was eine<lb/> ſchwere Verwicklung in den gegenwärtigen Umſtänden wäre. Es beſtand durch<lb/> Burgund gewiſſermaßen eine Verbindungslinie der Oeſterreicher, da man von<lb/> Troyes nach Dijon dem Grafen Bubna Hülfstruppen geſandt hatte. Fürſt<lb/> Schwarzenberg rieth alſo dem Kaiſer und Hrn. v. Metternich ſich nach Dijon<lb/> zu begeben; denn außerdem daß es klug war ſich nicht fangen zu laſſen, war es<lb/> auch ſchicklich daß der Kaiſer Franz der Entthronung ſeines Schwiegerſohns,<lb/> und vornehmlich ſeiner Tochter, nicht beiwohnte. Nach dieſen Anordnungen<lb/> verließ man Dampierre am 24 Morgens um ſich nach Sommepnis zu begeben.</p><lb/> <p>Es brauchte nicht lange Zeit um dieſen Punkt zu erreichen, der kaum<lb/> 3 Lieues entfernt war. Kaiſer Alexander, Fürſt Schwarzenberg, General-<lb/> ſtabschef Wolkonski und Graf Neſſelrode, die alle zuſammen von Schloß<lb/> Dampierre aufgebrochen waren, trafen zu Sommepuis zuſammen mit dem König<lb/> von Preußen, Blücher und ſeinem Generalſtab. Man behauptet: der entſchei-<lb/> dende Entſchluß welcher die Heere Europa’s mitten nach Paris führen ſollte<lb/> ſey auf einer kleinen Anhöhe gefaßt worden, die in der Umgegend von Somme-<lb/> puis liegt; hier habe die Berathung ſtattgefunden deren Ergebniß von vorn-<lb/> herein ſicher war, da alle Gefühle welche auf Schloß Dampierre geſprochen<lb/> hatten, den preußiſchen Leidenſchaften entgegenkamen und durch dieſe ſich ver-<lb/> ſtärkten. Man war beinahe einſtimmig. In der That boten ſich die Ant-<lb/> worten in Menge dar auf die Einwürfe methodiſcher Militärs, welche ängſt-<lb/> lich an dem Buchſtaben der Regeln der Kriegskunſt feſthielten. Napoleon<lb/> konnte ſich auf die Verbindungen ſo verbündeter Heere werfen, aber man konnte<lb/> ſich ebenſo auf die ſeinigen werfen. Den Schaden welchen er zuſügte durch<lb/> Wegnahme der Magazine der Verbündeten, ihrer Spitäler, ihrer Nachzüge,<lb/> ihrer Zufuhren, gab man ihm doppelt und dreifach zurück wenn man alles<lb/> wegnahm was ſich zwiſchen Paris und dem franzöſiſchen Heer auf dem Weg<lb/> von Nancy finden mußte. Er wird viel nehmen, man wird noch mehr nehmen,<lb/> Und dann wohin geht der Weg der einen und der Weg der andern? Napo-<lb/> leon wird nach Metz und nach Straßburg gehen, wo ſeine Gegenwart nichts<lb/> entſcheidet; die Verbündeten nach Paris, wo ſie die Gewißheit haben eine<lb/> Revolution zu Stande zu bringen, und Napoleon die Macht zu entreißen die<lb/> ihn ſo gefährlich machte. Ihm folgen, das hieße ſeinem Willen folgen, denn<lb/> augenſcheinlich hatte er dieß gewollt, indem er die auffallende unerwartete<lb/> Bewegung gegen Lothringen machte. Es hieße ſich von dem eigentlichen Zweck<lb/> ablenken zu laſſen, und ſich einer neuen Reihe militäriſcher Zufälle auszu-<lb/> ſetzen, denn man fände ihn verſtärkt durch die an ſich gezogenen Garniſonen;<lb/> man müßte mit erſchöpften Heeren gegen friſch recrutirte Heere das gefähr-<lb/> liche Spiel der Schlachten wieder beginnen, wo es begegnen müßte daß Na-<lb/> poleon der Stärkere wäre; die Sachen würden in die Länge, in unberechen-<lb/> bare Verwickelungen gezogen werden, und höchſt wahrſcheinlich würde man<lb/> ſchließlich in irgendeine Falle gerathen, welche er ſo meiſterhaft zu ſtellen ver-<lb/> ſtund, die man nicht vermeiden könnte, und in der man endlich erläge. Nach<lb/> Paris gehen, Napoleon ins Herz treſſen, wäre viel kürzer, ja obwohl anſchei-<lb/> nend verwegen, doch viel ſicherer; und in jedem Falle, geſetzt man könnte die<lb/> Hauptſtadt Frankreichs nicht betreten, ſo bliebe eine ſichere Rückzugslinie, näm-<lb/> lich die Linie Paris-Lille, die belgiſche Linie, wo man auf den Kronprinzen<lb/> von Schweden träfe, der mit hunderttauſend Holländern, Engländern, Han-<lb/> noveranern und Schweden im Anzuge begriffen.</p><lb/> <p>Dieſen Gründen ließ fich nichts triftiges entgegenſetzen. Alles gab nach,<lb/> und vereitelte ſo die Berechnungen Napoleons; denn alles zog die politiſchen<lb/> Erwägungen zu Rath, während er, die Politik verachtend und um ihre Lehren<lb/> unbekümmert, nur den militäriſchen Erwägungen Rechnung trug. Wie ge-<lb/> wöhnlich, hatte er in militäriſcher Hinſicht recht, in politiſcher unrecht, und<lb/> bei ſolcher fortgeſetzter Täuſchung war es unvermeidlich daß er ſeinem Unter-<lb/> gang entgegengieng.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head><hi rendition="#b">Aus meinem Amtsleben. Von <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Aloys Fiſcher,</hi><lb/> penſ. kaiſerl. königl. Statthalter von Oberöſterreich. 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Wie aber durch kluge Maßregeln<lb/> dieſer Art der Sturm beſchworen wurde, und die Ordnung wieder leidlich<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [2691/0011]
reichs zu marſchiren, obwohl mehrere ſehr aufgeklärte Officiere dieſem
kühnen Marſch noch immer die Autorität der Regeln entgegenhielten welche
lehren daß man nie die Sorge um die Verbindungen vergeſſen, und nie das
Ziel verfehlen ſolle aus allzu großer Ungeduld es zu erreichen. Unterdeſſen
hatte ſich eine Begebenheit ereignet welche der kühnern Anſicht äußerſt günſtig
war. Die Cavallerie Wintzingerode’s, welche den Vortrab Blüchers bildete,
ſtieß bei der Marne mit derjenigen des Grafen Pahlen zuſammen, welche zu
Fürſt Schwarzenberg gehörte. Man hatte ſich bewillkommt und gefreut über
dieſe Vereinigung, die ſich übrigens ſchon früher hätte vollziehen ſollen; denn
da die Schlacht von Laon am 9 und 10 März geliefert worden, war es auf-
fallend daß Blücher Napoleon, oder die Marſchälle die ihn zu erſetzen beauf-
tragt waren, nicht über die Aiene verfolgte, und daß er am 23 noch zwiſchen
Aisne und Marne herumſtreifte. Blücher hatte gehandelt wie die Generale
welche mehr Entſchloſſenheit des Charakters haben als Geiſt. Er hatte ver-
ſucht Reims zu nehmen, dann Soiſſons, hatte lange auf einige Tauſend
Mann vom Corps Bülows gewartet, die zurückgeblieben waren, endlich hatte
er ſich entſchieden die Marſchälle Mortier und Marmont vor ſich her zu trei-
ben, und bei Châlons die Marne erreicht. Wie dem auch ſey, er kam an mit
hunderttauſend Mann, und man hatte ſo zweimalhunderttauſend Mann um
auf Paris zu marſchiren. Eine ſolche Streitmacht mußte weit die Einwürfe
überwiegen die von den ſtrengen Regeln der Kriegskunſt hergenommen waren.
So ſtanden die Dinge. Fürſt Schwarzenberg befand ſich auf Schloß
Dampierre mit dem Kaiſer Alexander um dort die Nacht zuzubringen, als
plötzlich Depeſchen überbracht wurden die man einem Courrier aus Paris
abgenommen hatte. Die leichte Cavallerie der Verbündeten hatte ihn aufge-
griffen. Auf Schloß Dampierre befand ſich der Fürſt Wolkonski, der bei
Alexander die Functionen des Chefs ſeines Generalſtabs verſah, und Graf
Neſſelrode, der Chef ſeiner Kanzlei. Man rief den letztern, der längere Zeit
in Paris gelebt hatte und beſſer als ein anderer den wahren Sinn der aufgefan-
genen Depeſchen faſſen konnte, und beauftragte ihn mit deren Kenntnißnahme.
Sie waren in der That von größter Wichtigkeit. Sie beſtanden aus Briefen
der Kaiſerin und des Herzogs von Rovigo an den Kaiſer. Die einen wie die
andern drückten die lebhafteſten Beſorgniſſe über den innern Zuſtand von
Paris aus. Die der Kaiſerin trugen das Gepräge der Beſtürzung, und hatten
ohne Zweifel weniger große Bedeutung, denn ſie konnten auch nur den Aus-
druck der Schwäche einer Frau ſeyn. Die des Herzogs von Rovigo dagegen
hatten einen ganz andern Werth, denn als Miniſter der Polizei und Kriegs-
mann, der an gefährliche Lagen vollkommen gewöhnt war, konnte er nicht im
Verdacht der Furchtſamkeit ſtehen, wenn er erklärte daß Paris in ſeinem
Schooß eine einflußreiche Partei zähle, die mit den Fremden im Einverſtänd-
niß, und daß es beim Erſcheinen einer verbündeten Armee wahrſcheinlich
ſey daß ſie dem Beiſpiel der Bordeleſen folgen würde. Dieſe Entdeckung war
in dieſem Augenblick von der ſchwerſten Bedeutung, ſie klärte vollends die poli-
tiſche Lage auf, und verſcheuchte jede Ungewißheit die man über die zu beob-
achtende Haltung noch hätte haben können. Nach dieſem unfreiwilligen Ge-
ſtändniß das der Regierung des Kaiſers, ſeiner Gemahlin, ſeinem Polizeimini-
ſter entſchlüpft war, konnte man nicht mehr zweifeln daß ſein Thron wankte,
und daß Paris zu berühren das ſichere Mittel war ihn vollends in Trümmer
zu ſtürzen. Man weckte ſchnell den Kaiſer Alexander und den Fürſten
Schwarzenberg, theilte ihnen die aufgefangenen Schriſtſtücke mit, und für den
einen wie für den andern war der Beweis vollſtändig. Der Marſch nach
Paris ſchien der Entſchluß an dem man auf der Stelle feſthalten, den man
mit Tagesanbruch ins Werk ſetzen mußte. Die drei Souveräne waren nicht
im Augenblick verſammelt, Alexander, der thätigſte unter ihnen, der überall
ſeyn wollte, und beſonders bei den Generalen, befand ſich bei dem Generaliſſi-
mus. Der beſcheidenſte, klügſte, der am meiſten die Bewegung ſcheute,
und als Nichtmilitär glaubte den Militärs durch ſeine Anweſenheit
keine Verlegenheit bereiten zu dürfen, der Kaiſer Franz, hatte ſeinen
Sitz im Augenblick ziemlich entfernt, nämlich in Bar-ſur-Aube. Der König
von Preußen, der zwiſchen beiden ungefähr die Mitte hielt, mehr zurück-
haltend als der eine und thätiger als der andere, hatte das Nachtlager in der Um-
gegend genommen. Man beſchloß ihn unverzüglich aufzuſuchen, die Armee mit
dem Morgen in Bewegung zu ſetzen um ſich der Marne zu nähern, wo man
auf Blücher ſtoßen mußte. Hier ſollte ſich dann alles vereinigen, und nach
einer Berathung, deren Reſultat bei der Anweſenheit der Preußen nicht
zweifelhaft ſeyn konnte, der Weg nach Paris eingeſchlagen werden. Fürſt
Schwarzenberg übernahm es ſeinem Herrn den gefaßten Beſchluß zu melden,
und forderte ihn in einem Schreiben auf, ja nicht daran zu denken die Inva-
ſionscolonne zu begleiten, denn er könnte mitten in der Kreuzung der krieg-
führenden Heere leicht in die Hände ſeines Schwiegerſohns fallen, was eine
ſchwere Verwicklung in den gegenwärtigen Umſtänden wäre. Es beſtand durch
Burgund gewiſſermaßen eine Verbindungslinie der Oeſterreicher, da man von
Troyes nach Dijon dem Grafen Bubna Hülfstruppen geſandt hatte. Fürſt
Schwarzenberg rieth alſo dem Kaiſer und Hrn. v. Metternich ſich nach Dijon
zu begeben; denn außerdem daß es klug war ſich nicht fangen zu laſſen, war es
auch ſchicklich daß der Kaiſer Franz der Entthronung ſeines Schwiegerſohns,
und vornehmlich ſeiner Tochter, nicht beiwohnte. Nach dieſen Anordnungen
verließ man Dampierre am 24 Morgens um ſich nach Sommepnis zu begeben.
Es brauchte nicht lange Zeit um dieſen Punkt zu erreichen, der kaum
3 Lieues entfernt war. Kaiſer Alexander, Fürſt Schwarzenberg, General-
ſtabschef Wolkonski und Graf Neſſelrode, die alle zuſammen von Schloß
Dampierre aufgebrochen waren, trafen zu Sommepuis zuſammen mit dem König
von Preußen, Blücher und ſeinem Generalſtab. Man behauptet: der entſchei-
dende Entſchluß welcher die Heere Europa’s mitten nach Paris führen ſollte
ſey auf einer kleinen Anhöhe gefaßt worden, die in der Umgegend von Somme-
puis liegt; hier habe die Berathung ſtattgefunden deren Ergebniß von vorn-
herein ſicher war, da alle Gefühle welche auf Schloß Dampierre geſprochen
hatten, den preußiſchen Leidenſchaften entgegenkamen und durch dieſe ſich ver-
ſtärkten. Man war beinahe einſtimmig. In der That boten ſich die Ant-
worten in Menge dar auf die Einwürfe methodiſcher Militärs, welche ängſt-
lich an dem Buchſtaben der Regeln der Kriegskunſt feſthielten. Napoleon
konnte ſich auf die Verbindungen ſo verbündeter Heere werfen, aber man konnte
ſich ebenſo auf die ſeinigen werfen. Den Schaden welchen er zuſügte durch
Wegnahme der Magazine der Verbündeten, ihrer Spitäler, ihrer Nachzüge,
ihrer Zufuhren, gab man ihm doppelt und dreifach zurück wenn man alles
wegnahm was ſich zwiſchen Paris und dem franzöſiſchen Heer auf dem Weg
von Nancy finden mußte. Er wird viel nehmen, man wird noch mehr nehmen,
Und dann wohin geht der Weg der einen und der Weg der andern? Napo-
leon wird nach Metz und nach Straßburg gehen, wo ſeine Gegenwart nichts
entſcheidet; die Verbündeten nach Paris, wo ſie die Gewißheit haben eine
Revolution zu Stande zu bringen, und Napoleon die Macht zu entreißen die
ihn ſo gefährlich machte. Ihm folgen, das hieße ſeinem Willen folgen, denn
augenſcheinlich hatte er dieß gewollt, indem er die auffallende unerwartete
Bewegung gegen Lothringen machte. Es hieße ſich von dem eigentlichen Zweck
ablenken zu laſſen, und ſich einer neuen Reihe militäriſcher Zufälle auszu-
ſetzen, denn man fände ihn verſtärkt durch die an ſich gezogenen Garniſonen;
man müßte mit erſchöpften Heeren gegen friſch recrutirte Heere das gefähr-
liche Spiel der Schlachten wieder beginnen, wo es begegnen müßte daß Na-
poleon der Stärkere wäre; die Sachen würden in die Länge, in unberechen-
bare Verwickelungen gezogen werden, und höchſt wahrſcheinlich würde man
ſchließlich in irgendeine Falle gerathen, welche er ſo meiſterhaft zu ſtellen ver-
ſtund, die man nicht vermeiden könnte, und in der man endlich erläge. Nach
Paris gehen, Napoleon ins Herz treſſen, wäre viel kürzer, ja obwohl anſchei-
nend verwegen, doch viel ſicherer; und in jedem Falle, geſetzt man könnte die
Hauptſtadt Frankreichs nicht betreten, ſo bliebe eine ſichere Rückzugslinie, näm-
lich die Linie Paris-Lille, die belgiſche Linie, wo man auf den Kronprinzen
von Schweden träfe, der mit hunderttauſend Holländern, Engländern, Han-
noveranern und Schweden im Anzuge begriffen.
Dieſen Gründen ließ fich nichts triftiges entgegenſetzen. Alles gab nach,
und vereitelte ſo die Berechnungen Napoleons; denn alles zog die politiſchen
Erwägungen zu Rath, während er, die Politik verachtend und um ihre Lehren
unbekümmert, nur den militäriſchen Erwägungen Rechnung trug. Wie ge-
wöhnlich, hatte er in militäriſcher Hinſicht recht, in politiſcher unrecht, und
bei ſolcher fortgeſetzter Täuſchung war es unvermeidlich daß er ſeinem Unter-
gang entgegengieng.
Aus meinem Amtsleben. Von Dr. Aloys Fiſcher,
penſ. kaiſerl. königl. Statthalter von Oberöſterreich. Augsburg 1860.
(S. VIII, 1—224.)
⧧ Sein eigenes Leben und Wirken den Zeitgenoſſen zu erzählen, meint
Tacitus, ſey eine alte Sitte, und meiſtens nur im Bewußtſeyn gewiſſenhaft
und treu erfüllter Pflicht unternommen worden, nec id Rutilio et Scauro
citra sidem aut obtrectationi suit.
Wenn ſich irgend ein Mann dieſes Taciteiſchen Dictums rühmen darf,
iſt es gewiß der Verfaſſer dieſes intereſſanten Berichts über eine zweijährige
Verwaltung einer der ſchönſten Provinzen des Habsburgiſchen Kaiſerthums
während der letzten politiſchen Bewegung, die Europa in ſeinen Grundveſten
erſchütterte und die älteſten Throne zum Wanken brachte.
Hr. Dr. Aloys Fiſcher, von Geburt ein Tiroler, litterariſch gebildet,
ſchrieb gewandt und beredt wie wenige ſeiner Amtsgenoſſen, wurde von ſeiner
beneidenswerthen Stellung als vielbeſchäftigter Rechtsanwalt in Salzburg
durch die Sturmwelle des J. 1848 weggeſchwemmt, und auf den Poſten eines
Statthalters von Oberöſterreich emporgehoben.
Im Schrecken über das plötzliche Zuſammenbrechen der alt-ariſtokrati-
ſchen Staatsmaſchine erwachte damals am Kaiſerhofe zu Wien plötzlich das
Bedürfuiß mit Beſeitigung hochadeliger Namen die Reſtanration der öffent-
lichen Angelegenheiten in die Hände einſichtsvoller und rechtſchaffener Männer
zu legen, weſſen Standes ſie immer ſeyen. Wie aber durch kluge Maßregeln
dieſer Art der Sturm beſchworen wurde, und die Ordnung wieder leidlich
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(2022-02-11T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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