Allgemeine Zeitung, Nr. 163, 11. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
rung "in bürgerlicher und politischer Beziehung nicht mißfällig sind." Außer- * Karlsruhe, 7 Jun. Unter einer, trotz des strömenden Re- Neueste Posten. *** Darmstadt, 9 Jun. Heute Morgen um 11 Uhr sind JJ. Kassel, 8 Jun. Die Kass. Ztg. veröffentlicht heute das die Wahl Rudolstadt, 8 Jun. Die regierende Fürstin Helene von Schwarz- Dresden, 8 Jun. Herzog Karl Theodor in Bayern ist am 6 d. von Berlin, 9 Jun. In dem Befinden des Königs ist in der vergangenen Wien, 8 Jun. In der heutigen Sitzung des Reichsraths wurden das Wien, 9 Jun. Nach der heutigen "Wiener Ztg." tritt am 1 Jul. [Spaltenumbruch]
rung „in bürgerlicher und politiſcher Beziehung nicht mißfällig ſind.“ Außer- * Karlsruhe, 7 Jun. Unter einer, trotz des ſtrömenden Re- Neueſte Poſten. *** Darmſtadt, 9 Jun. Heute Morgen um 11 Uhr ſind JJ. Kaſſel, 8 Jun. Die Kaſſ. Ztg. veröffentlicht heute das die Wahl Rudolſtadt, 8 Jun. Die regierende Fürſtin Helene von Schwarz- Dresden, 8 Jun. Herzog Karl Theodor in Bayern iſt am 6 d. von Berlin, 9 Jun. In dem Befinden des Königs iſt in der vergangenen Wien, 8 Jun. In der heutigen Sitzung des Reichsraths wurden das Wien, 9 Jun. Nach der heutigen „Wiener Ztg.“ tritt am 1 Jul. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0012" n="2724"/><cb/> rung „in bürgerlicher und politiſcher Beziehung nicht mißfällig ſind.“ Außer-<lb/> dem iſt das allgemein verworfene und von der badiſchen Regierung als un-<lb/> haltbar ſelbſt aufgegebene Staatspatronat wieder bis auf weiteres herge-<lb/> ſtellt (§. 17). „Das Vermögen welches den kirchlichen Bedürfniſſen dient<lb/> (ſo heißt es immer mit einer höchſt auffallenden Vermeidung der Bezeichnung als<lb/> „Kirchenvermögen“), wird unter gemeinſamer Leitung der Kirche und des Staats<lb/> verwaltet (§. 10). Nach dem Recht aber bekanntlich, und wo die Kirche wirklich<lb/> ihre Angelegenheiten frei und ſelbſtändig verwaltet, hat die Staatsgewalt nur<lb/> eine Oberaufſicht über die Verwaltung des Kirchenvermögens, nicht eine Mit-<lb/> verwaltung. In der badiſchen Convention mit dem päpſtlichen Stuhl iſt zwar<lb/> dieſe gemeinſame Verwaltung zugegeben worden, aber mit der Wahrung des<lb/> Princips daß die Verwaltung im Namen der Kirche und unter der Aufſicht<lb/> des Erzbiſchofs geführt werde. Die Beſtimmung über die kirchliche Gerichts-<lb/> barkeit (§. 16) iſt ſo gefaßt daß, wenn ſie auch in den meiſten concreten Dis-<lb/> ciplinarfällen ungehindert wird auszuüben ſeyn, dennoch das Princip einer<lb/> ſelbſtändigen kirchlichen Gerichtsbarkeit nicht anerkannt, ſondern dieſelbe dem<lb/> Staat untergeordnet wird, und ſo daß zugleich darin ſchon im voraus den<lb/> widerſpänſtigen Prieſtern der Staatsſchutz in Ausſicht geſtellt wird. Was<lb/> ſollen wir aber nun gar von dem letzten dieſer ſechs Geſetzentwürfe zur Ein-<lb/> führung der kirchlichen Freiheit und Selbſtändigkeit ſagen, von dem Geſetze<lb/> die Beſtrafung von Amtsmißbräuchen der Geiftlichen? Es gehörte wirklich<lb/> ein gewiſſer Muth dazu dieſes Geſetz in Vorſchlag zu bringen, in einer Epoche<lb/> wo man außer der Kirchenfreiheit eine neue Entwicklung der Freiheit in dem<lb/> geſammten Staatsleben verheißen hat. Nach den hier gegebenen Zuſätzen zu<lb/> dem Strafgeſetzbuch ſoll alſo jeder Geiſtliche welcher in öffentlichen Vorträgen<lb/> einzelne Claſſen, Stände und Genoſſenſchaften der Staatsbürger „tadelnd<lb/> angreift“ mit Gefängnißſtrafe von vier Wochen beſtraft werden. Es iſt ſchwer<lb/> einzuſehen wie dann noch ein Prediger die Standespflichten ſeinen Zuhörem<lb/> einſchärfen und die gewöhnlichen Fehler und Sünden welche dagegen began<lb/> gen werden ihnen vorhalten kann. Es wird von Seiten geſetzeskundiger Juri-<lb/> ſten behauptet: es ſey dieſe Geſetzesbeſtimmung zur Zeit ein Unicum, jeden-<lb/> falls in der deutſchen Geſetzgebung. Merkwürdig iſt auch die Strafbeſtimmung<lb/> gegen Geiſtliche welche kirchliche Strafen androhen oder ausſprechen, alſo z. B.<lb/> gegen den Erzbiſchof, welcher nach den Kirchengeſetzen eine Excommunication<lb/> auszuſprechen in der Lage iſt, und gegen die Geiſtlichen welche nach dem kano-<lb/> niſchen Gehorſam verbunden ſind eine ſolche Excommunication zu verkündi-<lb/> gen. Man belächelt oder verhöhnt doch heutigen Tags meiſtens dieſe kirch-<lb/> lichen Waffen als ganz veraltet und unbrauchbar, ſo daß man meinen ſollte<lb/> es reiche hin auszuſprechen daß eine ſolche Kirchenſtrafe keine bürgerliche Wir-<lb/> kung hat. Von Seiten unſeres gegenwärtigen Miniſteriums wird aber die<lb/> Sache ganz anders angeſehen: man zeigt große Furcht vor den kirchlichen<lb/> Cenſuren. Wenn nämlich kirchliche Strafen zum Schutz kirchlicher Rechte,<lb/> alſo zum Beſten der Kirche gegen Angriffe von Seiten ihrer eignen Mitglie-<lb/> der, angewendet werden, ſo fällt dieß nach dieſem Geſetz unter dieſelbe Ru-<lb/> brik mit dem Amtsmißbrauch von Seiten der Staatsdiener, welche zu ihrem<lb/> Privatvortheil durch ihre amtliche Stellung Erpreſſung und Gewalt gegen<lb/> jemanden verüben. Nach dieſen Andeutungen wird man ſich nicht wundern<lb/> wenn man in den katholiſchen Kreiſen bei uns in Baden folgendes Geſammt-<lb/> urtheil über die neuen Geſetzvorlagen vernimmt, welchem gewiß auch manche<lb/> Stimme außerhalb dieſer Kreiſe ſich anſchließen dürfte. Man ſagt nämlich:<lb/> die in der Proclamation vom 7 April gemachte Zuſicherung wird durch dieſe<lb/> Geſetzentwürfe nicht aufrecht erhalten. Nur der Satz: „daß die Kirchen ihre<lb/> Angelegenheiten frei und ſelbſtändig verwalten,“ iſt aus der Proclamation<lb/> herübergenommen; aber es iſt bei dieſen Worten geblieben. Denn was dieſer<lb/> Satz verſpricht, das beſchränken die übrigen Paragraphen, oder machen es doch<lb/> im höchſten Grad unſicher. In den Vorlagen iſt kein Princip, kein Syſtem<lb/> conſequent durchgeführt; ſie enthalten ein Aggregat von Beſtimmungen die<lb/> ganz verſchiedenen Syſtemen, verſchiedenen Geſetzgebungen entnommen ſind:<lb/> Joſephiniſche Anſchauungen neben den großen Principien der Kirchenfreiheit;<lb/> anſcheinendes Wohlwollen gegen die Kirche, neben Drakoniſchen Geſetzen gegen<lb/> die Geiſtlichen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>* <hi rendition="#b">Karlsruhe,</hi> 7 Jun.</dateline> <p>Unter einer, trotz des ſtrömenden Re-<lb/> gens, noch zahlreichern Betheiligung als bei der erſten fand heute Morgen<lb/> im Rathhausſaal zu Durlach die zweite evangeliſche Conferenz ſtatt. Dem<lb/> früher erwählten Comit<hi rendition="#aq">é</hi> fiel die Leitung, dem ältern Pagenſtecher<lb/> von Heidelberg das Präfidium derſelben zu. Er eröffnete die Verſammlung<lb/> im Hinblick auf die hochherzigen Entſchließungen des Großherzogs durch ein<lb/> Hoch auf den Landesfürſten, dem die Anweſenden durch dreimaligen Zuruf<lb/> begeiſtert entſprachen. Nachdem Pfarrer Zittel über die Ausſührung der frü-<lb/> hern Beſchlüſſe Bericht erſtattet hatte, legten drei Redner die Aufgabe dar<lb/> welche durch die vorgelegten Geſetzentwürfe über die Stellung der Kirchen der<lb/> proteſtantiſchen zur Ausbildung ihrer zugeſagten Selbſtändigkeit zufalle. Prof.<lb/> Joly ſprach über ihre rechtliche Stellung, Prof. Schenkel aber hatte heute die<lb/> Hauptaufgabe zu löſen: er legte eine Verfaſſung der evangeliſchen Kirche, und<lb/> zwar in zehn Theſen vor, die er jedoch nicht an das Rathhaus zu Durlach an-<lb/><cb/> ſchlug. Dieſelbe ruht auf der Gemeinde als Urbeſtandtheil der Kirche, und<lb/> baut ſich aus ihr durch Kirchengemeinderath, Diöceſan- und Generalſynode<lb/> zum Oberkirchenrath ſämmtlich durch freie Wahlen bis zum oberſten Landes-<lb/> biſchof in der Perſon des Regenten auf. Prof. Häuſſer ſodann gab den Weg<lb/> an auf welchem dieſe Erforderniſſe erſtrebt werden ſollen. Dieß geſchehe in-<lb/> dem die Staatsregierung gebeten werde eine außerordentliche Generalſynode<lb/> nach dem bisherigen Modus einzuberufen, welcher nur die einzige Aufgabe zu-<lb/> fallen ſolle ein Wahlgeſetz zu ſchaffen. Als wünſchenswerth wird hiefür be-<lb/> zeichnet daß die Synode zu gleichen Theilen aus geiſtlichen und weltlichen<lb/> Mitgliedern beſtehe, ſtatt daß bisher dieſe letztern nur den dritten Theil aus-<lb/> machten. Aus ſolchen Wahlen ſolle dann eine conſtituirende Generalſynode<lb/> hervorgehen, welche die Kirchenverfaſſung zu ſchaffen habe. Dieſe Vorträge<lb/> wurden mit der begeiſternden und hinreißenden Beredſamkeit gehalten welche<lb/> dieſen Rednern eigen iſt, von Häuſſer in der ernſten, würdigen und immer<lb/> geiſtreichen Form, von Schenkel in einer populären mi Humor gewürgten<lb/> kernigen Volksweiſe, die ſeine Schweizerſchule verräth. Dieſe vorbereitenden<lb/> Reden blieben nicht ohne entſprechenden Nachklang in der folgenden Discuſ-<lb/> ſion, und ſelbſt nicht ohne Widerſpruch, indem Vertreter der herrſchenden kirch-<lb/> lichen Richtung zwar nicht gegen den Kern der Sache ſprachen, aber durch<lb/> Gegen- oder Seitenvorſchläge ſie abzuſchwächen ſuchten. Die Verſammlung,<lb/> in zu beſtimmter Abſicht vereinigt um hiedurch beirrt zu werden, ſprach ihre<lb/> Zuſtimmung zu den von dem Comit<hi rendition="#aq">é</hi> vorgetragenen Vorſchlägen im ganzen<lb/> aus. Nach vier Stunden trennte ſich die Verſammlung, um in getheilten<lb/> Kreiſen bei einfachen Mahlen die Eindrücke ſich gegenſeitig auszuſprechen, und<lb/> was bisher Arbeit geweſen als ein Feſt zu beſchließen.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Neueſte Poſten</hi>.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>*** <hi rendition="#b">Darmſtadt,</hi> 9 Jun.</dateline> <p>Heute Morgen um 11 Uhr ſind JJ.<lb/> MM. der König Maximilian von Bayern und Gemahlin, von der fürſt-<lb/> lichen Familie im Bahnhof Abſchied nehmend, von hier abgereist, um über<lb/> Mainz die Pfalz zu beſuchen. Der Großherzog hat mit der fürſtlichen Fa-<lb/> milie nach dem Fürſtenlager Auerbach an der Bergſtraße ſich begeben, um<lb/> dort in der Stille ſeinen heutigen Geburtstag, an welchem er in ſein 55. Jahr<lb/> eintritt, zu begehen. Dort wird König Ludwig von Ludwigshöhe aus zum<lb/> Beſuch erwartet. Der König Max hat hier in ſtiller Zurückgezogenheit gelebt,<lb/> jedoch eingedenk der Miſſion welcher er ſich zum Heil des Vaterlandes ge-<lb/> widmet hat. Alle Segenswünſche folgen ihm.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Kaſſel,</hi> 8 Jun.</dateline> <p>Die <hi rendition="#g">Kaſſ. Ztg</hi>. veröffentlicht heute das die Wahl<lb/> der Landſtände betreffende Geſetz vom 30 Mai l. J. Es tritt, wie das Ver-<lb/> faſſungsgeſetz, am 1 Juli in Kraft.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Rudolſtadt,</hi> 8 Jun.</dateline> <p>Die regierende Fürſtin Helene von Schwarz-<lb/> burg-Rudolſtadt, geborne Prinzeſſin zu Anhalt, iſt am 3 d. M. von einem<lb/> Prinzen und einer Prinzeſſin entbunden worden, aber am 6 d., wie die <hi rendition="#g">Goth.<lb/> Ztg</hi>. meldet, in Folge der ſchweren Entbindung geſtorben.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Dresden,</hi> 8 Jun.</dateline> <p>Herzog Karl Theodor in Bayern iſt am 6 d. von<lb/> Leipzig hier eingetroffen, und heute Mittag nach Wien abgereist. (<hi rendition="#g">Dresd. J</hi>.)</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 9 Jun.</dateline> <p>In dem Befinden des Königs iſt in der vergangenen<lb/> Woche keine bemerkenswerthe Veränderung eingetreten. Der König war viel<lb/> n der freien Luft, und hat in den letzten Tagen Vor- und Nachmittags Spazier-<lb/> fahrten in die Umgebungen von Sansſouci unternommen. — Staatsminiſter<lb/> v. Auerswald hat ſich geſtern zum Curgebrauch nach Karlsbad begeben. 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rung „in bürgerlicher und politiſcher Beziehung nicht mißfällig ſind.“ Außer-
dem iſt das allgemein verworfene und von der badiſchen Regierung als un-
haltbar ſelbſt aufgegebene Staatspatronat wieder bis auf weiteres herge-
ſtellt (§. 17). „Das Vermögen welches den kirchlichen Bedürfniſſen dient
(ſo heißt es immer mit einer höchſt auffallenden Vermeidung der Bezeichnung als
„Kirchenvermögen“), wird unter gemeinſamer Leitung der Kirche und des Staats
verwaltet (§. 10). Nach dem Recht aber bekanntlich, und wo die Kirche wirklich
ihre Angelegenheiten frei und ſelbſtändig verwaltet, hat die Staatsgewalt nur
eine Oberaufſicht über die Verwaltung des Kirchenvermögens, nicht eine Mit-
verwaltung. In der badiſchen Convention mit dem päpſtlichen Stuhl iſt zwar
dieſe gemeinſame Verwaltung zugegeben worden, aber mit der Wahrung des
Princips daß die Verwaltung im Namen der Kirche und unter der Aufſicht
des Erzbiſchofs geführt werde. Die Beſtimmung über die kirchliche Gerichts-
barkeit (§. 16) iſt ſo gefaßt daß, wenn ſie auch in den meiſten concreten Dis-
ciplinarfällen ungehindert wird auszuüben ſeyn, dennoch das Princip einer
ſelbſtändigen kirchlichen Gerichtsbarkeit nicht anerkannt, ſondern dieſelbe dem
Staat untergeordnet wird, und ſo daß zugleich darin ſchon im voraus den
widerſpänſtigen Prieſtern der Staatsſchutz in Ausſicht geſtellt wird. Was
ſollen wir aber nun gar von dem letzten dieſer ſechs Geſetzentwürfe zur Ein-
führung der kirchlichen Freiheit und Selbſtändigkeit ſagen, von dem Geſetze
die Beſtrafung von Amtsmißbräuchen der Geiftlichen? Es gehörte wirklich
ein gewiſſer Muth dazu dieſes Geſetz in Vorſchlag zu bringen, in einer Epoche
wo man außer der Kirchenfreiheit eine neue Entwicklung der Freiheit in dem
geſammten Staatsleben verheißen hat. Nach den hier gegebenen Zuſätzen zu
dem Strafgeſetzbuch ſoll alſo jeder Geiſtliche welcher in öffentlichen Vorträgen
einzelne Claſſen, Stände und Genoſſenſchaften der Staatsbürger „tadelnd
angreift“ mit Gefängnißſtrafe von vier Wochen beſtraft werden. Es iſt ſchwer
einzuſehen wie dann noch ein Prediger die Standespflichten ſeinen Zuhörem
einſchärfen und die gewöhnlichen Fehler und Sünden welche dagegen began
gen werden ihnen vorhalten kann. Es wird von Seiten geſetzeskundiger Juri-
ſten behauptet: es ſey dieſe Geſetzesbeſtimmung zur Zeit ein Unicum, jeden-
falls in der deutſchen Geſetzgebung. Merkwürdig iſt auch die Strafbeſtimmung
gegen Geiſtliche welche kirchliche Strafen androhen oder ausſprechen, alſo z. B.
gegen den Erzbiſchof, welcher nach den Kirchengeſetzen eine Excommunication
auszuſprechen in der Lage iſt, und gegen die Geiſtlichen welche nach dem kano-
niſchen Gehorſam verbunden ſind eine ſolche Excommunication zu verkündi-
gen. Man belächelt oder verhöhnt doch heutigen Tags meiſtens dieſe kirch-
lichen Waffen als ganz veraltet und unbrauchbar, ſo daß man meinen ſollte
es reiche hin auszuſprechen daß eine ſolche Kirchenſtrafe keine bürgerliche Wir-
kung hat. Von Seiten unſeres gegenwärtigen Miniſteriums wird aber die
Sache ganz anders angeſehen: man zeigt große Furcht vor den kirchlichen
Cenſuren. Wenn nämlich kirchliche Strafen zum Schutz kirchlicher Rechte,
alſo zum Beſten der Kirche gegen Angriffe von Seiten ihrer eignen Mitglie-
der, angewendet werden, ſo fällt dieß nach dieſem Geſetz unter dieſelbe Ru-
brik mit dem Amtsmißbrauch von Seiten der Staatsdiener, welche zu ihrem
Privatvortheil durch ihre amtliche Stellung Erpreſſung und Gewalt gegen
jemanden verüben. Nach dieſen Andeutungen wird man ſich nicht wundern
wenn man in den katholiſchen Kreiſen bei uns in Baden folgendes Geſammt-
urtheil über die neuen Geſetzvorlagen vernimmt, welchem gewiß auch manche
Stimme außerhalb dieſer Kreiſe ſich anſchließen dürfte. Man ſagt nämlich:
die in der Proclamation vom 7 April gemachte Zuſicherung wird durch dieſe
Geſetzentwürfe nicht aufrecht erhalten. Nur der Satz: „daß die Kirchen ihre
Angelegenheiten frei und ſelbſtändig verwalten,“ iſt aus der Proclamation
herübergenommen; aber es iſt bei dieſen Worten geblieben. Denn was dieſer
Satz verſpricht, das beſchränken die übrigen Paragraphen, oder machen es doch
im höchſten Grad unſicher. In den Vorlagen iſt kein Princip, kein Syſtem
conſequent durchgeführt; ſie enthalten ein Aggregat von Beſtimmungen die
ganz verſchiedenen Syſtemen, verſchiedenen Geſetzgebungen entnommen ſind:
Joſephiniſche Anſchauungen neben den großen Principien der Kirchenfreiheit;
anſcheinendes Wohlwollen gegen die Kirche, neben Drakoniſchen Geſetzen gegen
die Geiſtlichen.
* Karlsruhe, 7 Jun. Unter einer, trotz des ſtrömenden Re-
gens, noch zahlreichern Betheiligung als bei der erſten fand heute Morgen
im Rathhausſaal zu Durlach die zweite evangeliſche Conferenz ſtatt. Dem
früher erwählten Comité fiel die Leitung, dem ältern Pagenſtecher
von Heidelberg das Präfidium derſelben zu. Er eröffnete die Verſammlung
im Hinblick auf die hochherzigen Entſchließungen des Großherzogs durch ein
Hoch auf den Landesfürſten, dem die Anweſenden durch dreimaligen Zuruf
begeiſtert entſprachen. Nachdem Pfarrer Zittel über die Ausſührung der frü-
hern Beſchlüſſe Bericht erſtattet hatte, legten drei Redner die Aufgabe dar
welche durch die vorgelegten Geſetzentwürfe über die Stellung der Kirchen der
proteſtantiſchen zur Ausbildung ihrer zugeſagten Selbſtändigkeit zufalle. Prof.
Joly ſprach über ihre rechtliche Stellung, Prof. Schenkel aber hatte heute die
Hauptaufgabe zu löſen: er legte eine Verfaſſung der evangeliſchen Kirche, und
zwar in zehn Theſen vor, die er jedoch nicht an das Rathhaus zu Durlach an-
ſchlug. Dieſelbe ruht auf der Gemeinde als Urbeſtandtheil der Kirche, und
baut ſich aus ihr durch Kirchengemeinderath, Diöceſan- und Generalſynode
zum Oberkirchenrath ſämmtlich durch freie Wahlen bis zum oberſten Landes-
biſchof in der Perſon des Regenten auf. Prof. Häuſſer ſodann gab den Weg
an auf welchem dieſe Erforderniſſe erſtrebt werden ſollen. Dieß geſchehe in-
dem die Staatsregierung gebeten werde eine außerordentliche Generalſynode
nach dem bisherigen Modus einzuberufen, welcher nur die einzige Aufgabe zu-
fallen ſolle ein Wahlgeſetz zu ſchaffen. Als wünſchenswerth wird hiefür be-
zeichnet daß die Synode zu gleichen Theilen aus geiſtlichen und weltlichen
Mitgliedern beſtehe, ſtatt daß bisher dieſe letztern nur den dritten Theil aus-
machten. Aus ſolchen Wahlen ſolle dann eine conſtituirende Generalſynode
hervorgehen, welche die Kirchenverfaſſung zu ſchaffen habe. Dieſe Vorträge
wurden mit der begeiſternden und hinreißenden Beredſamkeit gehalten welche
dieſen Rednern eigen iſt, von Häuſſer in der ernſten, würdigen und immer
geiſtreichen Form, von Schenkel in einer populären mi Humor gewürgten
kernigen Volksweiſe, die ſeine Schweizerſchule verräth. Dieſe vorbereitenden
Reden blieben nicht ohne entſprechenden Nachklang in der folgenden Discuſ-
ſion, und ſelbſt nicht ohne Widerſpruch, indem Vertreter der herrſchenden kirch-
lichen Richtung zwar nicht gegen den Kern der Sache ſprachen, aber durch
Gegen- oder Seitenvorſchläge ſie abzuſchwächen ſuchten. Die Verſammlung,
in zu beſtimmter Abſicht vereinigt um hiedurch beirrt zu werden, ſprach ihre
Zuſtimmung zu den von dem Comité vorgetragenen Vorſchlägen im ganzen
aus. Nach vier Stunden trennte ſich die Verſammlung, um in getheilten
Kreiſen bei einfachen Mahlen die Eindrücke ſich gegenſeitig auszuſprechen, und
was bisher Arbeit geweſen als ein Feſt zu beſchließen.
Neueſte Poſten.
*** Darmſtadt, 9 Jun. Heute Morgen um 11 Uhr ſind JJ.
MM. der König Maximilian von Bayern und Gemahlin, von der fürſt-
lichen Familie im Bahnhof Abſchied nehmend, von hier abgereist, um über
Mainz die Pfalz zu beſuchen. Der Großherzog hat mit der fürſtlichen Fa-
milie nach dem Fürſtenlager Auerbach an der Bergſtraße ſich begeben, um
dort in der Stille ſeinen heutigen Geburtstag, an welchem er in ſein 55. Jahr
eintritt, zu begehen. Dort wird König Ludwig von Ludwigshöhe aus zum
Beſuch erwartet. Der König Max hat hier in ſtiller Zurückgezogenheit gelebt,
jedoch eingedenk der Miſſion welcher er ſich zum Heil des Vaterlandes ge-
widmet hat. Alle Segenswünſche folgen ihm.
Kaſſel, 8 Jun. Die Kaſſ. Ztg. veröffentlicht heute das die Wahl
der Landſtände betreffende Geſetz vom 30 Mai l. J. Es tritt, wie das Ver-
faſſungsgeſetz, am 1 Juli in Kraft.
Rudolſtadt, 8 Jun. Die regierende Fürſtin Helene von Schwarz-
burg-Rudolſtadt, geborne Prinzeſſin zu Anhalt, iſt am 3 d. M. von einem
Prinzen und einer Prinzeſſin entbunden worden, aber am 6 d., wie die Goth.
Ztg. meldet, in Folge der ſchweren Entbindung geſtorben.
Dresden, 8 Jun. Herzog Karl Theodor in Bayern iſt am 6 d. von
Leipzig hier eingetroffen, und heute Mittag nach Wien abgereist. (Dresd. J.)
Berlin, 9 Jun. In dem Befinden des Königs iſt in der vergangenen
Woche keine bemerkenswerthe Veränderung eingetreten. Der König war viel
n der freien Luft, und hat in den letzten Tagen Vor- und Nachmittags Spazier-
fahrten in die Umgebungen von Sansſouci unternommen. — Staatsminiſter
v. Auerswald hat ſich geſtern zum Curgebrauch nach Karlsbad begeben. Graf
Pourtalés wird ſich morgen auf ſeinen Poſten nach Paris begeben.
Wien, 8 Jun. In der heutigen Sitzung des Reichsraths wurden das
Grundbuchgeſetz und ein Geſetz über Vergleichsverfahren vorgelegt, und einem
Comité von ſieben Mitgliedern überwieſen. Die Wahlen für Budgetcom-
miſſion waren in dem der Oeſterr. Ztg. entlehnten Bericht (Beil. Nr. 161)
nicht ganz richtig angegeben, weßhalb hier noch die Liſte der Gewählten nach
dem officiellen Bericht folgt. Es wurden nämlich gewählt: Ritter v. Krainski,
Frhr. v. Reyer, Graf Auersperg, Dr. Hein, Edler v. Mayer, Fürſt Collo-
redo-Mannsfeld, Frhr. v. Sokcſevits, Dr. Straſſer, Biſchof Stroßmayer,
Graf Andráſſy, Ritter v. Vraniczanyi, Graf Mercantin, Graf Apponyi,
Graf Clam-Martinitz, Graf St. Julien, Fabriksbeſitzer Schöller, Baron
Salvotti, Graf Szécſen, v. Mailath, Fürſt Auersperg und v. Mocſóny.
Wien, 9 Jun. Nach der heutigen „Wiener Ztg.“ tritt am 1 Jul.
die Statthalterei Ungarns ins Leben, und wird die Wirkſamkeit der bisherigen
fünf Statthaltereiabtheilungen und Generalgouvernements gleichzeitig ein-
geſtellt. Die Kreisbehörden Mährens und die Landesregierung von Troppau
ſind aufgehoben, und Schleſien der mähriſchen Statthalterei untergeordnet
worden; es bleibt jedoch Schleſiens Stellung als Kronland mit beſonderer
Landesvertretung gewahrt. (W. T. B.)
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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