Allgemeine Zeitung, Nr. 166, 14. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
Wahrheit und Dichtung seyn mag, ist hier nicht näher zu erörtern, doch ist Schweiz. * Bern, im Jun. Vielleicht ist mancher Ihrer Leser, der das Project .... Genf, 7 Jun. In den Schweizer und auch in andern Blättern Italien. sha Florenz, 6 Jun. Wiewohl der "Monitor Toscano" über die sha Florenz, 7 Jun. Heute früh waren alle Vorbereitungen ge- [Spaltenumbruch]
Wahrheit und Dichtung ſeyn mag, iſt hier nicht näher zu erörtern, doch iſt Schweiz. * Bern, im Jun. Vielleicht iſt mancher Ihrer Leſer, der das Project .... Genf, 7 Jun. In den Schweizer und auch in andern Blättern Italien. ᔕ Florenz, 6 Jun. Wiewohl der „Monitor Toscano“ über die ᔕ Florenz, 7 Jun. Heute früh waren alle Vorbereitungen ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="jVarious" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0019" n="2779"/><cb/> Wahrheit und Dichtung ſeyn mag, iſt hier nicht näher zu erörtern, doch iſt<lb/> die Thatſache jedenfalls conſtatirt daß der Ruin der kärnthniſchen Gewerke<lb/> für die dortige Bevölkerung von den unheilvollſten Folgen geweſen, und wenn<lb/> auch andere Factoren dabei in Rechnung kommen müſſen, ſo genügt ſchon die-<lb/> ſer Umſtand allein um die Regierung zur Prüfung der von den Eiſenindu-<lb/> ſtriellen vorgebrachten Veſchwerden zu veranlaſſen. Frhr. v. Bruck ſah ſich<lb/> jedoch nicht in der Lage hier Abhülfe zu ſchaffen, weil die Zollbegünſtigungen<lb/> welche den „Gründern“ nun einmal gewährt worden waren, ohne mit großen<lb/> Opfern verbundene Entſchädigungen nicht zurückgenommen werden konnten,<lb/> und mußte daher jede Vorſtellung der Eiſengewerke um Abhülfe ablehnend<lb/> beſcheiden. Die betreffenden Induſtriellen, welche von dem neuen Finanzlei-<lb/> ter erwarten was ſein Vorgänger nicht bewilligen wollte, haben ihm bereits<lb/> verſchiedene ſehr beachtenswerthe Denlſchriften eingereicht, und zwar hat der<lb/> „Verein der öſterreichiſchen Eiſeninduſtrie“ damit begonnen die Verhältniſſe<lb/> des öſterreichiſchen Bergbaues klar und überſichtlich auseinanderzuſetzen, um<lb/> daraus die dringende Nothwendigkeit einer Zollerhöhung zu folgern. Faſt<lb/> noch bedeutſamer iſt die Denkſchrift welche die Klagenfurter Handelskammer<lb/> dem Finanzminiſter überreicht, indem dieſelbe ſpeciell auf die großen Nach-<lb/> theile hinweist die der Eiſeninduſtrie Kärnthens durch die der lombardiſch-<lb/> venetianiſchen Eiſenbahngeſellſchaft gewährten Zollbegünſtigungen erwachſen.<lb/> In den letzten Tagen haben auch die öſterreichiſchen Maſchinenfabricanten<lb/> eine in ähnlichem Sinn abgefaßte Denkſchrift an den Finanzminiſter über-<lb/> reicht, und die Regierung dürfte dieſer im großartigen Maßſtab angelegten<lb/> Agitation gegenüber einen ſchweren Stand haben die bisherige Zollpolitik<lb/> aufrecht zu erhalten. 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Da das H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel noch nicht in der letzten Aus-<lb/> gabe des großen Vormunds aller Reiſenden, nämlich Bädekers, der eben nen<lb/> erſchienen, angegeben iſt, ſo mag dieſe Nachricht zur Ergänzung der Lücke<lb/> dienen.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>.... <hi rendition="#b">Genf,</hi> 7 Jun.</dateline> <p>In den Schweizer und auch in andern Blättern<lb/> ſind in letzter Zeit ſo viele abenteuerliche Mittheilungen über den Proceß und<lb/> über die Perſon Perriers gemacht worden, daß ich glaube es wird Ihnen<lb/> angenehm ſeyn den wahren Sachverhalt kennen zu lernen. Es iſt der fol-<lb/> gende. Gleich zu Anfang hatte Perrier verlangt gegen Caution auf freien<lb/> Fuß geſetzt zu werden. Dieſes Geſuch wurde ihm abgeſchlagen, offenbar aus<lb/> Aengſtlichkeitsrückſichten gegen Frankreich. Man wollte dem Kaiſer Napo-<lb/> leon zeigen daß die Schweiz keine Garibaldis aufkommen läßt, ſolange der<lb/> Weg der friedlichen Unterhandlungen nicht erſchöpft iſt. Nun befindet ſich<lb/> aber Genf ſeit der eidgenöſſiſchen Occupation in einem durchaus anormalen<lb/> Zuſtand. Wie ich Ihnen ſchon früher ſchrieb, weiß nur Gott und der Oberſt<lb/> Ziegler was die eidgenöſſiſchen Truppen hier thun. Da aber letzterer ſehr<lb/> ſchweigſamer Natur iſt, wird es vielleicht noch lange dauern ehe man etwas<lb/> genaueres darüber erfährt. Daß die Truppen nicht dazu beſtimmt ſind Sa-<lb/> voyen zu occupiren, hat ſich wohl jetzt als ſicher herausgeſtellt; daß die beiden<lb/> hier liegenden Bataillone die Beſtimmung haben ſollten den Angriff einer<lb/> franzöſiſchen Südarmee etwa nach dem Beiſpiel ihrer Altvordern bei St.<lb/> Jacob an der Birs aufzuhalten, dürfte ebenfalls ſehr unwahrſcheinlich ſeyn;<lb/> nicht weil wir auch nur einen Augenblick den Muth und die Aufopferungs-<lb/> fähigkeit des Schweizer <hi rendition="#g">Volks</hi> bezweifeln, ſondern weil Zürich in Hrn. Dubs<lb/> ſeinen Stüßy gefunden hat, die Eidgenoſſenſchaft aber noch nicht ihren Buben-<lb/> berg. Was thun alſo die Truppen hier? Vertheidigen ſie Fazy gegen die<lb/> eigenen Zuaven? Vertheidigen ſie die Eidgenoſſenſchaft gegen Fazy?<lb/> Niemand kann dieß beantworten, und als einzige Urſache des Truppenauf-<lb/> gebots die Zweckeſſ en anzunehmen zu denen ſein Generalſtab und ſein<lb/> Oberſt Ziegler eingeladen wird, ſcheint bei dem praktiſchen Sinn der Schwei-<lb/> zer auch nicht wahrſcheinlich. Es iſt natürlich daß aus dieſer Geheimniß-<lb/> krämerei, beſſer vielleicht aus dieſem „ſelbſt nicht wiſſen was man will,“ ein<lb/> Zuſtand hervorgeht der ſpeciell für den Kanton Genf eine große Unſicherheit<lb/> erzeugt. Oberſt Ziegler, in Erwartung ſeine militäriſchen Talente ent-<lb/> wickeln zu können, entwickelt ſeine Polizeitalente. Seine Patrouillen nehmen<lb/> Verhaftungen vor, ohne Zuziehung der Kantonalbehörden, und ohne daß der<lb/> Belagerungszuſtand ausgeſprochen iſt; und ſpeciell in dem Proceß Perrier<lb/> tritt die eigenthümliche Lage des Kantons deutlich hervor. Nach §. 23 des<lb/> Geſetzes über die Bundesſtrafrechtspflege ſteht es <hi rendition="#g">einzig</hi> dem Unterſuchungs-<lb/><cb/> richter zu die Gefangenſchaft eines Angeklagten zu überwachen, den Gefangen-<lb/> wärtern Befehle zu ertheilen ꝛc., aber trotzdem hat die Militärbehörde von An-<lb/> fang an ſich hier hineingemiſcht, Oberſt Ziegler als Höchſtcommandirender,<lb/> Oberſt Letter als Platzcommandant, was vielen Genfern vielleicht neu ſeyn wird,<lb/> die gar nicht wiſſen daß wir einen Platzcommandanten haben. Als nun vor etwa<lb/> fünf Wochen die Unterſuchung gegen Perrier geſchloſſen war, der Unterſuchungs-<lb/> richter ſich überzeugt hatte daß die Dimenſionen, welche man dem Proceß ge-<lb/> geben, auf ein ſo geringes zuſammenſchrumpften daß ein Fallenlaſſen des-<lb/> ſelben das wünſchbarſte ſey, als auch der Bundesrath dieſe Anſicht theilte,<lb/> nachdem man ſich überzeugt es würden hundert Proceſſe Perrier Frankreich<lb/> nicht zum Nachgeben in der Savoyer Frage beſtimmen — da wurde dem Ge-<lb/> fangenen inſinuirt er möge ſeine Freilaſſung fordern, man werde ſie ihm ſo-<lb/> fort bewilligen. Perrier wies dieſe Zumuthung zurück, da es offenbar war<lb/> daß man in dieſem Fall die Sache einſchlafen laſſen werde. Der Gefangene<lb/> verlangte entweder vor die Aſſiſen geſtellt zu werden, oder ein <hi rendition="#aq">arrêt de non-<lb/> lien</hi> der Anklagekammer. Dieß war offenbar ſein Recht. Krankheit des<lb/> Bundesanwalts verzögerte deſſen Bericht an die Anklagekammer um drei<lb/> Wochen! Krankheit eines Mitglieds der Anklagekammer verzögerte den Ent-<lb/> ſcheid derſelben bis auf dieſen Tag! Gleichzeitig fuhr man aber fort den Ge-<lb/> fangenen hier mit gleicher, wo möglich noch größerer Schärfe zu behandeln.<lb/> Derſelbe befindet ſich bekanntlich nicht in dem gewöhnlichen Gefängniß, ſon-<lb/> dern in dem ehemaligen Hoſpital, das im gegenwärtigen Augenblick auch als Ca-<lb/> ſerne dient, und auf Befehl der Militärbehörden wurden, <hi rendition="#g">nach geſchloſſener<lb/> Unterſuchung,</hi> die Fenſter außen mit Holzkaſten umgeben. Dieſer Umſtand<lb/> führte den Zornausbruch Perriers herbei, der darin beſtand einen Theil des<lb/> Mobiliars ſeiner Zelle zu zertrümmern, und löst den Widerſpruch daß Perrier<lb/> das Gefängniß nicht verlaſſen wolle, andererſeits dasſelbe demolirt habe.<lb/> Inwieweit die obenerwähnten Verzögerungen in dem Proceßverfahren und<lb/> die ſtrenge Behandlung darauf abzielen könnten Perrier zu dem Ent-<lb/> ſchluß zu treiben das von ihm verweigerte Geſuch um Freilaſſung einzu-<lb/> reichen, wollen wir dahingeſtellt ſeyn laſſen. Thatſache iſt nur: daß die<lb/> Unterſuchung ſeit fünf Wochen geſchloſſen, und daß man den Gefangenen<lb/> noch immer in <hi rendition="#g">geheimer</hi> Haft hält, was, nach geſchloſſener Unterſuchung,<lb/> eine durchaus unnütze, harte Maßregel iſt, die in einem deutſchen Staat nicht<lb/> vorkommen würde, weßhalb die Schweizer Zeitungen auch künftighin den<lb/> Mund nicht ſo voll nehmen möchten wenn ſie von deutſchen Rechtszuſtänden<lb/> ſprechen wollen. Sobald der Proceß zu einem beſtimmten Reſultat ge-<lb/> diehen ſeyn wird, werde ich nicht ermangeln Ihnen weitere intereſſante<lb/> Details über denſelben und die Stellung der hieſigen Parteien zu berichten,<lb/> die alle mehr oder minder darin figuriren.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>ᔕ <hi rendition="#b">Florenz,</hi> 6 Jun.</dateline> <p>Wiewohl der „Monitor Toscano“ über die<lb/> am 4 Jun. ſtattgefundene Gedenkfeier des Tags von Curtatone von allen<lb/> Seiten patriotiſche Berichte bringt, ſcheint es überall doch nicht ſo glatt her-<lb/> gegangen zu ſeyn, indem die Geiſtlichkeit auch bei dieſer Gelegenheit ſich hier<lb/> und da ziemlich ſchroff verhalten hat. So ließ in Prato z. B. der Capitular-<lb/> vicar Canonicus Pierallina es nicht zu daß bei der Feier im Dom eine Ge-<lb/> denkrede vom Advocaten L. Conti gehalten wurde, weil die darin enthaltenen<lb/> Gedanken ihm für den Ort nicht geeignet ſchienen. Der Canonicus Pieral-<lb/> lina ſcheint übrigens im Sinn der neuerlichen Befehle aus Rom gehandelt zu<lb/> haben; denn am 9 Jul. 1848 ſetzte er ſelbſt den gefallenen Toscanern Denk-<lb/> ſchriften wie folgende: „Die Barbaren ſelbſt (die Oeſterreicher), indem ſie<lb/> dieſelben (die Toscaner) bewunderten, nannten ſie Heroen.“ Abends wurde<lb/> in der dortigen Kirche der Miſericordia ebenfalls ein Todtenamt für die Ge-<lb/> fallenen gefeiert, und der neue Redner <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Franceschini wurde ebenfalls aus<lb/> der Kirche verwieſen, worauf er vor der Kirchthür auf einem Stuhl ſeine<lb/> Rednergabe entwickelte. Das wunderliche dabei iſt daß man die Regierung<lb/> des Einverſtändniſſes mit der Geiſtlichkeit beſchuldigt, und zugleich das Selbſt-<lb/> lob ausſpricht daß Toscana im ganzen <hi rendition="#aq">Regno italico</hi> die reactionärſte Pro-<lb/> vinz ſey. Es verſteht ſich daß die mazziniſtiſche Volkspartei in ſolchen Kla-<lb/> gen vorangeht. Ganz eben ſo heftig beſchuldigt auch der „Contemporaneo“<lb/> die Regierung wegen der willkürlichen Wegführung des Cardinals Corſi nach<lb/> Turin, und ſpricht nur noch von der türkiſchen Regierung im Palazzo vecchio.<lb/> Die eigenthümlichen willkürlichen Maßregeln welche Republicaner und Re-<lb/> ſtauratoren gleich ſehr erbittern, hat der immer auf ſeinem philologiſchen<lb/> Steckenpferd reitende „Contemparaneo“ mit einem Adjectiv ſeiner Erfindung<lb/> bezeichnet, nämlich mit <hi rendition="#aq">ricasolino, ricasolimente,</hi> was bei ihm identiſch<lb/> mit <hi rendition="#g">großtürkiſch</hi> iſt. — Der „Monitore“ berichtet an der Spitze ſeiner<lb/> heutigen Nummer daß der piemonteſiſche Diviſionsgeneral Durando der<lb/> Marcheſa Vartolommeo, welche eine der Sammlerinnen bei der Gedenkfeier<lb/> war, für Sicilien 100 Fr. zugeſchickt habe, und ſagt daß er noch andere ähn-<lb/> liche Opfer erwarte. 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Wahrheit und Dichtung ſeyn mag, iſt hier nicht näher zu erörtern, doch iſt
die Thatſache jedenfalls conſtatirt daß der Ruin der kärnthniſchen Gewerke
für die dortige Bevölkerung von den unheilvollſten Folgen geweſen, und wenn
auch andere Factoren dabei in Rechnung kommen müſſen, ſo genügt ſchon die-
ſer Umſtand allein um die Regierung zur Prüfung der von den Eiſenindu-
ſtriellen vorgebrachten Veſchwerden zu veranlaſſen. Frhr. v. Bruck ſah ſich
jedoch nicht in der Lage hier Abhülfe zu ſchaffen, weil die Zollbegünſtigungen
welche den „Gründern“ nun einmal gewährt worden waren, ohne mit großen
Opfern verbundene Entſchädigungen nicht zurückgenommen werden konnten,
und mußte daher jede Vorſtellung der Eiſengewerke um Abhülfe ablehnend
beſcheiden. Die betreffenden Induſtriellen, welche von dem neuen Finanzlei-
ter erwarten was ſein Vorgänger nicht bewilligen wollte, haben ihm bereits
verſchiedene ſehr beachtenswerthe Denlſchriften eingereicht, und zwar hat der
„Verein der öſterreichiſchen Eiſeninduſtrie“ damit begonnen die Verhältniſſe
des öſterreichiſchen Bergbaues klar und überſichtlich auseinanderzuſetzen, um
daraus die dringende Nothwendigkeit einer Zollerhöhung zu folgern. Faſt
noch bedeutſamer iſt die Denkſchrift welche die Klagenfurter Handelskammer
dem Finanzminiſter überreicht, indem dieſelbe ſpeciell auf die großen Nach-
theile hinweist die der Eiſeninduſtrie Kärnthens durch die der lombardiſch-
venetianiſchen Eiſenbahngeſellſchaft gewährten Zollbegünſtigungen erwachſen.
In den letzten Tagen haben auch die öſterreichiſchen Maſchinenfabricanten
eine in ähnlichem Sinn abgefaßte Denkſchrift an den Finanzminiſter über-
reicht, und die Regierung dürfte dieſer im großartigen Maßſtab angelegten
Agitation gegenüber einen ſchweren Stand haben die bisherige Zollpolitik
aufrecht zu erhalten. Die Börſe hat wieder Muth gefaßt, und erwartet von
der Diplomatie daß ſie die Dinge in Italien zu einem richtigen Abſchluß
bringt.
Schweiz.
* Bern, im Jun. Vielleicht iſt mancher Ihrer Leſer, der das Project
einer Schweizerreiſe mit ſich herumträgt, für die Nachricht verbunden daß vor
ganz kürzer Zeit Bern um ein neues Hôtel ſich bereichert hat. Dieß iſt der
Berner Hof, unmittelbar neben der „Schanze“ gelegen, deren berühmte Aus-
ſicht nach den Bergen des Oberlands von der Terraſſe des neuen Gaſthofes
genoſſen werden kann. Das Hôtel iſt mit allem Comfort ausgeſtattet wie ihn
nur der verwöhnteſte Reiſende fordern kann, und die Preiſe wie in den andern
Schweizerhäuſern erſten Rangs. Da das Hôtel noch nicht in der letzten Aus-
gabe des großen Vormunds aller Reiſenden, nämlich Bädekers, der eben nen
erſchienen, angegeben iſt, ſo mag dieſe Nachricht zur Ergänzung der Lücke
dienen.
.... Genf, 7 Jun. In den Schweizer und auch in andern Blättern
ſind in letzter Zeit ſo viele abenteuerliche Mittheilungen über den Proceß und
über die Perſon Perriers gemacht worden, daß ich glaube es wird Ihnen
angenehm ſeyn den wahren Sachverhalt kennen zu lernen. Es iſt der fol-
gende. Gleich zu Anfang hatte Perrier verlangt gegen Caution auf freien
Fuß geſetzt zu werden. Dieſes Geſuch wurde ihm abgeſchlagen, offenbar aus
Aengſtlichkeitsrückſichten gegen Frankreich. Man wollte dem Kaiſer Napo-
leon zeigen daß die Schweiz keine Garibaldis aufkommen läßt, ſolange der
Weg der friedlichen Unterhandlungen nicht erſchöpft iſt. Nun befindet ſich
aber Genf ſeit der eidgenöſſiſchen Occupation in einem durchaus anormalen
Zuſtand. Wie ich Ihnen ſchon früher ſchrieb, weiß nur Gott und der Oberſt
Ziegler was die eidgenöſſiſchen Truppen hier thun. Da aber letzterer ſehr
ſchweigſamer Natur iſt, wird es vielleicht noch lange dauern ehe man etwas
genaueres darüber erfährt. Daß die Truppen nicht dazu beſtimmt ſind Sa-
voyen zu occupiren, hat ſich wohl jetzt als ſicher herausgeſtellt; daß die beiden
hier liegenden Bataillone die Beſtimmung haben ſollten den Angriff einer
franzöſiſchen Südarmee etwa nach dem Beiſpiel ihrer Altvordern bei St.
Jacob an der Birs aufzuhalten, dürfte ebenfalls ſehr unwahrſcheinlich ſeyn;
nicht weil wir auch nur einen Augenblick den Muth und die Aufopferungs-
fähigkeit des Schweizer Volks bezweifeln, ſondern weil Zürich in Hrn. Dubs
ſeinen Stüßy gefunden hat, die Eidgenoſſenſchaft aber noch nicht ihren Buben-
berg. Was thun alſo die Truppen hier? Vertheidigen ſie Fazy gegen die
eigenen Zuaven? Vertheidigen ſie die Eidgenoſſenſchaft gegen Fazy?
Niemand kann dieß beantworten, und als einzige Urſache des Truppenauf-
gebots die Zweckeſſ en anzunehmen zu denen ſein Generalſtab und ſein
Oberſt Ziegler eingeladen wird, ſcheint bei dem praktiſchen Sinn der Schwei-
zer auch nicht wahrſcheinlich. Es iſt natürlich daß aus dieſer Geheimniß-
krämerei, beſſer vielleicht aus dieſem „ſelbſt nicht wiſſen was man will,“ ein
Zuſtand hervorgeht der ſpeciell für den Kanton Genf eine große Unſicherheit
erzeugt. Oberſt Ziegler, in Erwartung ſeine militäriſchen Talente ent-
wickeln zu können, entwickelt ſeine Polizeitalente. Seine Patrouillen nehmen
Verhaftungen vor, ohne Zuziehung der Kantonalbehörden, und ohne daß der
Belagerungszuſtand ausgeſprochen iſt; und ſpeciell in dem Proceß Perrier
tritt die eigenthümliche Lage des Kantons deutlich hervor. Nach §. 23 des
Geſetzes über die Bundesſtrafrechtspflege ſteht es einzig dem Unterſuchungs-
richter zu die Gefangenſchaft eines Angeklagten zu überwachen, den Gefangen-
wärtern Befehle zu ertheilen ꝛc., aber trotzdem hat die Militärbehörde von An-
fang an ſich hier hineingemiſcht, Oberſt Ziegler als Höchſtcommandirender,
Oberſt Letter als Platzcommandant, was vielen Genfern vielleicht neu ſeyn wird,
die gar nicht wiſſen daß wir einen Platzcommandanten haben. Als nun vor etwa
fünf Wochen die Unterſuchung gegen Perrier geſchloſſen war, der Unterſuchungs-
richter ſich überzeugt hatte daß die Dimenſionen, welche man dem Proceß ge-
geben, auf ein ſo geringes zuſammenſchrumpften daß ein Fallenlaſſen des-
ſelben das wünſchbarſte ſey, als auch der Bundesrath dieſe Anſicht theilte,
nachdem man ſich überzeugt es würden hundert Proceſſe Perrier Frankreich
nicht zum Nachgeben in der Savoyer Frage beſtimmen — da wurde dem Ge-
fangenen inſinuirt er möge ſeine Freilaſſung fordern, man werde ſie ihm ſo-
fort bewilligen. Perrier wies dieſe Zumuthung zurück, da es offenbar war
daß man in dieſem Fall die Sache einſchlafen laſſen werde. Der Gefangene
verlangte entweder vor die Aſſiſen geſtellt zu werden, oder ein arrêt de non-
lien der Anklagekammer. Dieß war offenbar ſein Recht. Krankheit des
Bundesanwalts verzögerte deſſen Bericht an die Anklagekammer um drei
Wochen! Krankheit eines Mitglieds der Anklagekammer verzögerte den Ent-
ſcheid derſelben bis auf dieſen Tag! Gleichzeitig fuhr man aber fort den Ge-
fangenen hier mit gleicher, wo möglich noch größerer Schärfe zu behandeln.
Derſelbe befindet ſich bekanntlich nicht in dem gewöhnlichen Gefängniß, ſon-
dern in dem ehemaligen Hoſpital, das im gegenwärtigen Augenblick auch als Ca-
ſerne dient, und auf Befehl der Militärbehörden wurden, nach geſchloſſener
Unterſuchung, die Fenſter außen mit Holzkaſten umgeben. Dieſer Umſtand
führte den Zornausbruch Perriers herbei, der darin beſtand einen Theil des
Mobiliars ſeiner Zelle zu zertrümmern, und löst den Widerſpruch daß Perrier
das Gefängniß nicht verlaſſen wolle, andererſeits dasſelbe demolirt habe.
Inwieweit die obenerwähnten Verzögerungen in dem Proceßverfahren und
die ſtrenge Behandlung darauf abzielen könnten Perrier zu dem Ent-
ſchluß zu treiben das von ihm verweigerte Geſuch um Freilaſſung einzu-
reichen, wollen wir dahingeſtellt ſeyn laſſen. Thatſache iſt nur: daß die
Unterſuchung ſeit fünf Wochen geſchloſſen, und daß man den Gefangenen
noch immer in geheimer Haft hält, was, nach geſchloſſener Unterſuchung,
eine durchaus unnütze, harte Maßregel iſt, die in einem deutſchen Staat nicht
vorkommen würde, weßhalb die Schweizer Zeitungen auch künftighin den
Mund nicht ſo voll nehmen möchten wenn ſie von deutſchen Rechtszuſtänden
ſprechen wollen. Sobald der Proceß zu einem beſtimmten Reſultat ge-
diehen ſeyn wird, werde ich nicht ermangeln Ihnen weitere intereſſante
Details über denſelben und die Stellung der hieſigen Parteien zu berichten,
die alle mehr oder minder darin figuriren.
Italien.
ᔕ Florenz, 6 Jun. Wiewohl der „Monitor Toscano“ über die
am 4 Jun. ſtattgefundene Gedenkfeier des Tags von Curtatone von allen
Seiten patriotiſche Berichte bringt, ſcheint es überall doch nicht ſo glatt her-
gegangen zu ſeyn, indem die Geiſtlichkeit auch bei dieſer Gelegenheit ſich hier
und da ziemlich ſchroff verhalten hat. So ließ in Prato z. B. der Capitular-
vicar Canonicus Pierallina es nicht zu daß bei der Feier im Dom eine Ge-
denkrede vom Advocaten L. Conti gehalten wurde, weil die darin enthaltenen
Gedanken ihm für den Ort nicht geeignet ſchienen. Der Canonicus Pieral-
lina ſcheint übrigens im Sinn der neuerlichen Befehle aus Rom gehandelt zu
haben; denn am 9 Jul. 1848 ſetzte er ſelbſt den gefallenen Toscanern Denk-
ſchriften wie folgende: „Die Barbaren ſelbſt (die Oeſterreicher), indem ſie
dieſelben (die Toscaner) bewunderten, nannten ſie Heroen.“ Abends wurde
in der dortigen Kirche der Miſericordia ebenfalls ein Todtenamt für die Ge-
fallenen gefeiert, und der neue Redner Dr. Franceschini wurde ebenfalls aus
der Kirche verwieſen, worauf er vor der Kirchthür auf einem Stuhl ſeine
Rednergabe entwickelte. Das wunderliche dabei iſt daß man die Regierung
des Einverſtändniſſes mit der Geiſtlichkeit beſchuldigt, und zugleich das Selbſt-
lob ausſpricht daß Toscana im ganzen Regno italico die reactionärſte Pro-
vinz ſey. Es verſteht ſich daß die mazziniſtiſche Volkspartei in ſolchen Kla-
gen vorangeht. Ganz eben ſo heftig beſchuldigt auch der „Contemporaneo“
die Regierung wegen der willkürlichen Wegführung des Cardinals Corſi nach
Turin, und ſpricht nur noch von der türkiſchen Regierung im Palazzo vecchio.
Die eigenthümlichen willkürlichen Maßregeln welche Republicaner und Re-
ſtauratoren gleich ſehr erbittern, hat der immer auf ſeinem philologiſchen
Steckenpferd reitende „Contemparaneo“ mit einem Adjectiv ſeiner Erfindung
bezeichnet, nämlich mit ricasolino, ricasolimente, was bei ihm identiſch
mit großtürkiſch iſt. — Der „Monitore“ berichtet an der Spitze ſeiner
heutigen Nummer daß der piemonteſiſche Diviſionsgeneral Durando der
Marcheſa Vartolommeo, welche eine der Sammlerinnen bei der Gedenkfeier
war, für Sicilien 100 Fr. zugeſchickt habe, und ſagt daß er noch andere ähn-
liche Opfer erwarte. Frauen haben auch in Kirchen anderer Städte bei der
officiellen Feier für Sicilien geſammelt.
ᔕ Florenz, 7 Jun. Heute früh waren alle Vorbereitungen ge-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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