Allgemeine Zeitung, Nr. 166, 14. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
blicken lassen daß er gewillt sey die nachgerade ungeheuerlich gewordene Ma- Wien, 11 Jun. Die hier und da ausgesprochene Besorgniß Wien, 11 Jun. Die Erledigung der Beschlüsse welche in der Brannt- Nach der Wiener Ztg. hat der Kaiser, auf Grund der von dem Dom- Oesterreichische Monarchie. Pesth, 9 Jun. Der Redaction des "Pesti Hirnök" wurde von der Schweiz. .. Genf, 10 Jun. Während in Savoyen die Agenten der Annexion Großbritannien. London, 11 Jun. Die Russell'sche Daily News sagt: "Die Nachricht daß das Castell Frankreich. Paris, 12 Jun. Was sich voraussehen ließ, ist eingetroffen. Hr. Mocquard hat die [Spaltenumbruch]
blicken laſſen daß er gewillt ſey die nachgerade ungeheuerlich gewordene Ma- ⏒ Wien, 11 Jun. Die hier und da ausgeſprochene Beſorgniß Wien, 11 Jun. Die Erledigung der Beſchlüſſe welche in der Brannt- Nach der Wiener Ztg. hat der Kaiſer, auf Grund der von dem Dom- Oeſterreichiſche Monarchie. Peſth, 9 Jun. Der Redaction des „Peſti Hirnök“ wurde von der Schweiz. .. Genf, 10 Jun. Während in Savoyen die Agenten der Annexion Großbritannien. London, 11 Jun. Die Ruſſell’ſche Daily News ſagt: „Die Nachricht daß das Caſtell Frankreich. Paris, 12 Jun. Was ſich vorausſehen ließ, iſt eingetroffen. Hr. Mocquard hat die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <p><pb facs="#f0005" n="2765"/><cb/> blicken laſſen daß er gewillt ſey die nachgerade ungeheuerlich gewordene Ma-<lb/> ſchine in einen Organismus umzugeſtalten; deßhalb mußte <hi rendition="#g">ein</hi> Comit<hi rendition="#aq">é</hi> die<lb/> Vorarbeit übernehmen, und zwar ein großes, zahlreich genug um eine reiche<lb/> Emfaltung der Gedanken und Geſichtspunkte möglich zu machen — denn ein<lb/> Organismus muß <hi rendition="#g">einen</hi> leitenden Gedanken haben. Man hat, nachdem der<lb/> Kaiſer den Beſchluß ſogleich genehmigt, und ſonach die Geſchäftsordnung für<lb/> dieſen Fall über Bord geworfen iſt, dieſen Sieg des Reichsraths als die erſte<lb/> Schlappe des Miniſteriums aufgefaßt, und zugleich als einen Sieg der ſtaats-<lb/> männiſchen Anſchauung über die bureaukratiſche. — Die Sitzung von geſtern<lb/> liegt im ſtenographiſchen Bericht noch nicht vor. So viel iſt aber gewiß, daß<lb/> ſie ſich ſehr lebhaft und feſſelnd geſtaltete. Den Anlaß zu der beinahe vier-<lb/> ſtündigen Debatte bot eine auf den vorgelegten Entwurf einer neuen Grund-<lb/> buchsordnung bezügliche Vorfrage. Ich werde Ihnen hierüber berichten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>⏒ <hi rendition="#b">Wien,</hi> 11 Jun.</dateline> <p>Die hier und da ausgeſprochene Beſorgniß<lb/> daß es, gelegenheitlich der nahe bevorſtehenden Zuſammenkunft des Kaiſers<lb/> Napoleon mit dem Prinz-Regenten von Preußen zu Baden-Baden, gelingen<lb/> werde den Prinz-Regenten zu einer Aenderung ſeiner Politik in der orienta-<lb/> liſchen Frage im franzöſiſch-ruſſiſchen Sinn zu bewegen, wird hier für durch-<lb/> aus unbegründet gehalten. Die Erklärungen welche das preußiſche Cabinet<lb/> aus Anlaß der Wiederaufnahme der orientaliſchen Frage durch Rußland über<lb/> ſeine Stellung zn dieſer abgegeben hat, ſtanden im directeſten Gegenſatz zu<lb/> der ruſſiſch-franzöſiſchen Anſchauung, und bieten hinlängliche Garantie dafür<lb/> daß Preußen nicht plötzlich die entgegengeſetzte Politik verfolgen wird. Außer-<lb/> dem aber vernimmt man daß die Conferenzen, welche in den letzten Tagen<lb/> zu wiederheltenmalen zwiſchen dem öſterreichiſchen Miniſterpräſidenten und<lb/> den Geſandten Preußens, Bayerns, Württembergs und Sachſens ſtattgehabt<lb/> haben, einen befriedigenden Erfolg, d. i. eine Verſtändigung in den deutſchen<lb/> Angelegenheiten, in Ausſicht ſtellen. — In diplomatiſchen Kreiſen iſt es<lb/> einigermaßen aufgefallen daß den beiden letzten Soir<hi rendition="#aq">é</hi>en in dem H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel des<lb/> Miniſteriums des Auswärtigen der ruſſiſche Staatsrath v. Balabine nicht<lb/> beiwohnte.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">Wien,</hi> 11 Jun.</dateline> <p>Die Erledigung der Beſchlüſſe welche in der Brannt-<lb/> wein-Enqu<hi rendition="#aq">ê</hi>te gefaßt wurden, hat eine Verzögerung erlitten, wodurch das Ge-<lb/> rücht entſtanden iſt daß dieſer Gegenſtand in Stockung gerathen ſey. Wie<lb/> die <hi rendition="#g">Oeſterr. Ztg.</hi> vernimmt, iſt dieß jedoch nicht der Fall, ſondern hat die<lb/> Zögerung einzig und allein ihren Grund darin daß der Leiter des Finanz-<lb/> miniſteriums ſich erſt perſönlich über die Tauglichkeit des Apparats Gewißheit<lb/> verſchaffen will, ehe man denſelben zum Maßſtab einer der bedeutendſten Ein-<lb/> nahmequellen des Staats macht.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <p>Nach der <hi rendition="#g">Wiener Ztg.</hi> hat der Kaiſer, auf Grund der von dem Dom-<lb/> baucomit<hi rendition="#aq">é</hi> veranlaßten techniſchen Erhebungen, genehmigt daß der Thurmhelm<lb/> des hohen ausgebauten Thurms bei St. Stephan in einer Höhe von ungefähr<lb/> 28 Klafter abgetragen, und in ſeiner urſprünglichen Geſtalt aus Stein wieder<lb/> hergeſtellt werde, und die für die Reſtauration des St. Stephans-Doms auf<lb/> die Dauer von fünf Jahren bewilligte Staatsſubvention auf weitere fünf<lb/> Jahre angewieſen. In Folge dieſer Entſchließung hat das Dombaucomit<hi rendition="#aq">é</hi><lb/> vorläuſig für nothwendig erkannt zur Abtragung des Thurmhelms ungeſäumt<lb/> die nöthigen Einleitungen zu treffen, ſo daß noch in dieſem Jahr die ſchon be-<lb/> gonnene Eingerüſtung des Thurmhelms vollendet werden kann.</p> </div> </div> </div> </div><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Oeſterreichiſche Monarchie.</hi> </head><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Peſth,</hi> 9 Jun.</dateline> <p>Der Redaction des „Peſti Hirnök“ wurde von der<lb/> Behörde wegen eines auf Sicilien bezüglichen Artikels eine Verwar-<lb/> nung ertheilt. — Wie das „Prot. Lap“ meldet, haben 40 von den bereits<lb/> im Sinn des Patents vom 1 Sept. d. J. geeinigten proteſtantiſchen Gemein-<lb/> den den Wunſch geäußert in das ſrüher beſtandene brüderliche Verhältniß<lb/> zurück zutreten.</p> </div> </div> </div><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Schweiz.</hi> </head><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <dateline>.. <hi rendition="#b">Genf,</hi> 10 Jun.</dateline> <p>Während in Savoyen die Agenten der Annexion<lb/> mit allen von der neuen Staatsgewalt gebotenen Mitteln im Schweiß ihres<lb/> Angeſichts eine Feier vorzubereiten bemüht ſind, bei welcher Heuchelei und<lb/> Lüge ſich um den Vorſitz ſtreiten werden, begehen die Schweizer dicht an der<lb/> Gränze ihres verſchacherten Nachbarlandes eines jener Feſte die ſo recht<lb/> naturwüchſig aus der nationalen Volkseigenthümlichkeit hervorgegangen ſind:<lb/> das Genfer Schützenfeſt. Da braucht es keine glänzenden Verſprechungen<lb/> oder Drohungen, wie drüben in Savoyen bei dem Annexionsbankett, um die<lb/> Theilnehmer herbeizulocken; von allen Seiten ſtrömen ſie aus eigenem An-<lb/> trieb in Menge herbei, um ſich auch in dem ernſten Moment bei einer feſt-<lb/> lichen Gelegenheit, bei welcher ſchon ſo oft der vaterländiſche Geiſt der Nation<lb/> angefeuert wurde, um das patriotiſche Banner zu ſchaaren, hier auf einem<lb/> Feld wo dieſes Banner vielleicht bald dem Feind entgegengetragen werden<lb/> wird, an der äußerſten Gränze des Vaterlands, die es zu vertheidigen gilt.<lb/> Das Feſt begann heute früh um 9 Uhr, wo ſich der von Genf abgehende Feſt-<lb/> zug vor dem Stadthaus in der Ordnung aufſtellte daß voran 32 Scheiben-<lb/> zeiger in ihren grauen Blouſen und breitkrämpigen Strohhüten und hierauf<lb/> die Muſiker marſchirten. Dann folgten die Mitglieder der Regierung und<lb/><cb/> andern höhern Behörden, der Kantonalſchützenverein und die übrigen zahl-<lb/> reichen Vereine und Genoſſenſchaften mit ihren Fahnen und ſonſtigen Em-<lb/> blemen. Der Zug begab ſich durch die Hauptſtraßen der Stadt und über die<lb/> Route de Carouge nach dieſem eine Viertelſtunde entfernten Städtchen, wo<lb/> er an der Arvebrücke von dem Feſtcomit<hi rendition="#aq">é</hi> unter Kanonendonner feierlich be-<lb/> grüßt wurde. Hierauf gieng es durch die breiten mit zahlloſen Flaggen und<lb/> Blumengewinden geſchmückten Straßen von Carouge, in welchen eine unab-<lb/> ſehbare Menſchenmenge wogte, nach dem maleriſch, gleichſam am Fuß der<lb/> ſteilen Felſenwände des Sal<hi rendition="#aq">è</hi>ve, gelegenen Feſtplatz, deſſen Beſchreibung ich<lb/> mir für morgen vorbehalten muß. Um 12 Uhr beginnt das Feſtdiner, und<lb/> unmittelbar nach dieſem das Schießen. In Genf herrſcht ſchon ſeit einigen<lb/> Tagen ein äußerſt lebhafter Verkehr, viele Schützen aus Waadt, Wallis,<lb/> Neuenburg u. ſ. w. ſind bereits eingetroffen. Die Regierung von Wallis hat<lb/> einen Preis von 500 Fr. gezeichnet; die letzte veröffentlichte Preisliſte (vom<lb/> 4 Jun.) weist eine Summe von nahezu 18,000 Fr. auf. Auch ſehr viele<lb/> Fremde, beſonders Amerikaner und Ruſſen, befinden ſich gegenwärtig in<lb/> Genf; die Gaſtwirthe und Penſionshalter zeigen ſich nicht unzufrieden mit dem<lb/> Beginn der Saiſon, trotz der Ungunſt der Zeitverhältniſſe. — Aus der geſtri-<lb/> gen Sitzung des großen Raths trage ich noch nach daß Hr. Revaclier, Frie-<lb/> densrichter zu Carouge, um jeden möglichen nachtheiligen Schein von dem<lb/> Feſtort zu entfernen, James Fazy befragte: inwieweit die Angabe der „Re-<lb/> vue de Gen<hi rendition="#aq">è</hi>ve,“ daß nämlich drei Einwohner von Carouge ſich zu annexioniſti-<lb/> ſchen Zwecken nach Paris begeben hätten, begründet ſey? Hr. Fazy erklärte:<lb/> daß eine angeſtellte Nachforſchung der Behörde zu keiner Entdeckung geführt<lb/> habe, andernfalls wäre eine <hi rendition="#g">Unterſuchung wegen Landesverraths<lb/> ohne Verzug eingetreten.</hi> — Hr. Welti, Bundescommiſſär, wird wieder<lb/> hier erwartet. — Ein Brief aus Chambery im heutigen „Journ, de Gen<hi rendition="#aq">è</hi>ve“<lb/> beſtätigt was ich Ihnen ſchon vor einer Woche meldete: die große Beſtürzung<lb/> nämlich ſowohl beim Volk wie bei den Truppen, daß die ſavoyiſchen Soldaten<lb/> ohne Aufenthalt nach Lyon dirigirt und der franzöſiſchen Armee einverleibt<lb/> werden ſollen. Eine Menge Officiere, Unterofficiere und Soldaten ſollen nun<lb/> verlangen in ſardiniſchen Dienſten zu bleiben, was aber Frankreich nicht dul-<lb/> den will. Große Beſtürzung herrſcht ferner unter dem kleinen Handelsſtand,<lb/> welchem die annexioniſtiſchen Agenten verſprochen hatten Frankreich werde den<lb/> in den letzten Monaten gezahlten Zoll zurückerſtatten. Darauf hatten dann<lb/> die HH. Epiciers in Maſſe eingekauft, und nun erklärt ihnen Hr. Dieu: daß<lb/> ſie ſich in ihrer Leichtgläubigkeit haben täuſchen laſſen. So fällt eine Illuſion<lb/> nach der andern.</p> </div> </div> </div><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Großbritannien.</hi> </head><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">London,</hi> 11 Jun.</dateline> <p>Die Ruſſell’ſche <hi rendition="#g">Daily News</hi> ſagt: „Die Nachricht daß das Caſtell<lb/> von Palermo bis zur Räumung dem engliſchen Admiral übergeben worden<lb/> ſey, iſt ſchon widerrufen. Unſer Pariſer Correſpondent ſchreibt uns daß<lb/> obige Nachricht in der franzöſiſchen Hauptſtadt Stoff zu gehäſſigen Bemer-<lb/> kungen gab, und von einigen Blättern mit angeblichen engliſchen Planen gegen<lb/> die Unabhängigkeit Siciliens in Verbindung gebracht wurde. Eine ſo ſchiefe<lb/> Auffaſſung erinnert uns in peinlicher Weiſe wie wenig man in Feankreich die<lb/> Tendenzen der engliſchen Politik verſteht. Einem Franzoſen mag es umbe-<lb/> greiflich dünken daß man irgendwo eine Gebietsvergrößerung für nicht wün-<lb/> ſchenswerth halten kann. Es wäre müßig die Aufnahme zu ſchildern die<lb/> der Vorſchlag Sicilien engliſch zu machen in England finden würde, weil<lb/> es in England keinen öffentlichen Mann gibt der es wagen würde einen ſol-<lb/> chen Vorſchlag auszuſprechen. Solange man die Italiener allein läßt,<lb/> werden wir uns gewiß in Sicilien nicht einmiſchen. Nur werm eine fremde<lb/> Macht ſich dort feſthalten wollte, könnten wir uns bewogen fühlen aus unſerer<lb/> Neutralität herauszutreten. Andrerſeits iſt es klar daß der Verſuch einer<lb/> fremden Macht die Freiheit der Sicilier anzutaſten und einen abhängigen<lb/> Fürſten hinzuſetzen, uns ganz gewiß zwingen würde ihr mit all unſern<lb/> Streitkräften entgegenzutreten. Unſere Intereſſen im Mittelländiſchen Meer<lb/> ſind zu groß, als daß wir ein Gebiet von ſolcher Bedeutung wie Sicilien<lb/> unter fremde Herrſchaft gelangen laſſen könnten.“</p> </div> </div> </div><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 12 Jun.</dateline> <p>Was ſich vorausſehen ließ, iſt eingetroffen. Hr. Mocquard hat die<lb/> ſämmtlichen inſpirirten Federn aufgeboten um dem Ausland und auch den<lb/> Deutſchen glauben zu machen daß es Louis Napoleon gelungen ſey den Prinz-<lb/> Regenten von Preußen zu bethören, und ihn zu veranlaſſen, im Widerſpruch<lb/> mit den Intereſſen ſeines Landes, ein Bündniß mit Rußland und dem zweiten<lb/> December abzuſchließen. Man möchte die Welt glauben machen daß der<lb/> Prinz-Regent von Preußen das R<hi rendition="#aq">é</hi>gime zu adoptiren beginne welches an der<lb/> Seine ſeit zehn Jahren zur Geltung gekommen iſt. Zum Glück iſt die Ver-<lb/> leumdung zu plump, die elende Intrigue zu offenkundig, um hoffentlich irgend-<lb/> wo das Vertrauen in den Prinz-Regenten zu erſchüttern, das Ausland glauben<lb/> zu machen daß der Prinz ſchon die Worte vergeſſen welche er am 23 Mai<lb/> zu den verſammelten Ständen ſeines Reiches geſprochen. Der Prinz iſt<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2765/0005]
blicken laſſen daß er gewillt ſey die nachgerade ungeheuerlich gewordene Ma-
ſchine in einen Organismus umzugeſtalten; deßhalb mußte ein Comité die
Vorarbeit übernehmen, und zwar ein großes, zahlreich genug um eine reiche
Emfaltung der Gedanken und Geſichtspunkte möglich zu machen — denn ein
Organismus muß einen leitenden Gedanken haben. Man hat, nachdem der
Kaiſer den Beſchluß ſogleich genehmigt, und ſonach die Geſchäftsordnung für
dieſen Fall über Bord geworfen iſt, dieſen Sieg des Reichsraths als die erſte
Schlappe des Miniſteriums aufgefaßt, und zugleich als einen Sieg der ſtaats-
männiſchen Anſchauung über die bureaukratiſche. — Die Sitzung von geſtern
liegt im ſtenographiſchen Bericht noch nicht vor. So viel iſt aber gewiß, daß
ſie ſich ſehr lebhaft und feſſelnd geſtaltete. Den Anlaß zu der beinahe vier-
ſtündigen Debatte bot eine auf den vorgelegten Entwurf einer neuen Grund-
buchsordnung bezügliche Vorfrage. Ich werde Ihnen hierüber berichten.
⏒ Wien, 11 Jun. Die hier und da ausgeſprochene Beſorgniß
daß es, gelegenheitlich der nahe bevorſtehenden Zuſammenkunft des Kaiſers
Napoleon mit dem Prinz-Regenten von Preußen zu Baden-Baden, gelingen
werde den Prinz-Regenten zu einer Aenderung ſeiner Politik in der orienta-
liſchen Frage im franzöſiſch-ruſſiſchen Sinn zu bewegen, wird hier für durch-
aus unbegründet gehalten. Die Erklärungen welche das preußiſche Cabinet
aus Anlaß der Wiederaufnahme der orientaliſchen Frage durch Rußland über
ſeine Stellung zn dieſer abgegeben hat, ſtanden im directeſten Gegenſatz zu
der ruſſiſch-franzöſiſchen Anſchauung, und bieten hinlängliche Garantie dafür
daß Preußen nicht plötzlich die entgegengeſetzte Politik verfolgen wird. Außer-
dem aber vernimmt man daß die Conferenzen, welche in den letzten Tagen
zu wiederheltenmalen zwiſchen dem öſterreichiſchen Miniſterpräſidenten und
den Geſandten Preußens, Bayerns, Württembergs und Sachſens ſtattgehabt
haben, einen befriedigenden Erfolg, d. i. eine Verſtändigung in den deutſchen
Angelegenheiten, in Ausſicht ſtellen. — In diplomatiſchen Kreiſen iſt es
einigermaßen aufgefallen daß den beiden letzten Soiréen in dem Hôtel des
Miniſteriums des Auswärtigen der ruſſiſche Staatsrath v. Balabine nicht
beiwohnte.
Wien, 11 Jun. Die Erledigung der Beſchlüſſe welche in der Brannt-
wein-Enquête gefaßt wurden, hat eine Verzögerung erlitten, wodurch das Ge-
rücht entſtanden iſt daß dieſer Gegenſtand in Stockung gerathen ſey. Wie
die Oeſterr. Ztg. vernimmt, iſt dieß jedoch nicht der Fall, ſondern hat die
Zögerung einzig und allein ihren Grund darin daß der Leiter des Finanz-
miniſteriums ſich erſt perſönlich über die Tauglichkeit des Apparats Gewißheit
verſchaffen will, ehe man denſelben zum Maßſtab einer der bedeutendſten Ein-
nahmequellen des Staats macht.
Nach der Wiener Ztg. hat der Kaiſer, auf Grund der von dem Dom-
baucomité veranlaßten techniſchen Erhebungen, genehmigt daß der Thurmhelm
des hohen ausgebauten Thurms bei St. Stephan in einer Höhe von ungefähr
28 Klafter abgetragen, und in ſeiner urſprünglichen Geſtalt aus Stein wieder
hergeſtellt werde, und die für die Reſtauration des St. Stephans-Doms auf
die Dauer von fünf Jahren bewilligte Staatsſubvention auf weitere fünf
Jahre angewieſen. In Folge dieſer Entſchließung hat das Dombaucomité
vorläuſig für nothwendig erkannt zur Abtragung des Thurmhelms ungeſäumt
die nöthigen Einleitungen zu treffen, ſo daß noch in dieſem Jahr die ſchon be-
gonnene Eingerüſtung des Thurmhelms vollendet werden kann.
Oeſterreichiſche Monarchie.
Peſth, 9 Jun. Der Redaction des „Peſti Hirnök“ wurde von der
Behörde wegen eines auf Sicilien bezüglichen Artikels eine Verwar-
nung ertheilt. — Wie das „Prot. Lap“ meldet, haben 40 von den bereits
im Sinn des Patents vom 1 Sept. d. J. geeinigten proteſtantiſchen Gemein-
den den Wunſch geäußert in das ſrüher beſtandene brüderliche Verhältniß
zurück zutreten.
Schweiz.
.. Genf, 10 Jun. Während in Savoyen die Agenten der Annexion
mit allen von der neuen Staatsgewalt gebotenen Mitteln im Schweiß ihres
Angeſichts eine Feier vorzubereiten bemüht ſind, bei welcher Heuchelei und
Lüge ſich um den Vorſitz ſtreiten werden, begehen die Schweizer dicht an der
Gränze ihres verſchacherten Nachbarlandes eines jener Feſte die ſo recht
naturwüchſig aus der nationalen Volkseigenthümlichkeit hervorgegangen ſind:
das Genfer Schützenfeſt. Da braucht es keine glänzenden Verſprechungen
oder Drohungen, wie drüben in Savoyen bei dem Annexionsbankett, um die
Theilnehmer herbeizulocken; von allen Seiten ſtrömen ſie aus eigenem An-
trieb in Menge herbei, um ſich auch in dem ernſten Moment bei einer feſt-
lichen Gelegenheit, bei welcher ſchon ſo oft der vaterländiſche Geiſt der Nation
angefeuert wurde, um das patriotiſche Banner zu ſchaaren, hier auf einem
Feld wo dieſes Banner vielleicht bald dem Feind entgegengetragen werden
wird, an der äußerſten Gränze des Vaterlands, die es zu vertheidigen gilt.
Das Feſt begann heute früh um 9 Uhr, wo ſich der von Genf abgehende Feſt-
zug vor dem Stadthaus in der Ordnung aufſtellte daß voran 32 Scheiben-
zeiger in ihren grauen Blouſen und breitkrämpigen Strohhüten und hierauf
die Muſiker marſchirten. Dann folgten die Mitglieder der Regierung und
andern höhern Behörden, der Kantonalſchützenverein und die übrigen zahl-
reichen Vereine und Genoſſenſchaften mit ihren Fahnen und ſonſtigen Em-
blemen. Der Zug begab ſich durch die Hauptſtraßen der Stadt und über die
Route de Carouge nach dieſem eine Viertelſtunde entfernten Städtchen, wo
er an der Arvebrücke von dem Feſtcomité unter Kanonendonner feierlich be-
grüßt wurde. Hierauf gieng es durch die breiten mit zahlloſen Flaggen und
Blumengewinden geſchmückten Straßen von Carouge, in welchen eine unab-
ſehbare Menſchenmenge wogte, nach dem maleriſch, gleichſam am Fuß der
ſteilen Felſenwände des Salève, gelegenen Feſtplatz, deſſen Beſchreibung ich
mir für morgen vorbehalten muß. Um 12 Uhr beginnt das Feſtdiner, und
unmittelbar nach dieſem das Schießen. In Genf herrſcht ſchon ſeit einigen
Tagen ein äußerſt lebhafter Verkehr, viele Schützen aus Waadt, Wallis,
Neuenburg u. ſ. w. ſind bereits eingetroffen. Die Regierung von Wallis hat
einen Preis von 500 Fr. gezeichnet; die letzte veröffentlichte Preisliſte (vom
4 Jun.) weist eine Summe von nahezu 18,000 Fr. auf. Auch ſehr viele
Fremde, beſonders Amerikaner und Ruſſen, befinden ſich gegenwärtig in
Genf; die Gaſtwirthe und Penſionshalter zeigen ſich nicht unzufrieden mit dem
Beginn der Saiſon, trotz der Ungunſt der Zeitverhältniſſe. — Aus der geſtri-
gen Sitzung des großen Raths trage ich noch nach daß Hr. Revaclier, Frie-
densrichter zu Carouge, um jeden möglichen nachtheiligen Schein von dem
Feſtort zu entfernen, James Fazy befragte: inwieweit die Angabe der „Re-
vue de Genève,“ daß nämlich drei Einwohner von Carouge ſich zu annexioniſti-
ſchen Zwecken nach Paris begeben hätten, begründet ſey? Hr. Fazy erklärte:
daß eine angeſtellte Nachforſchung der Behörde zu keiner Entdeckung geführt
habe, andernfalls wäre eine Unterſuchung wegen Landesverraths
ohne Verzug eingetreten. — Hr. Welti, Bundescommiſſär, wird wieder
hier erwartet. — Ein Brief aus Chambery im heutigen „Journ, de Genève“
beſtätigt was ich Ihnen ſchon vor einer Woche meldete: die große Beſtürzung
nämlich ſowohl beim Volk wie bei den Truppen, daß die ſavoyiſchen Soldaten
ohne Aufenthalt nach Lyon dirigirt und der franzöſiſchen Armee einverleibt
werden ſollen. Eine Menge Officiere, Unterofficiere und Soldaten ſollen nun
verlangen in ſardiniſchen Dienſten zu bleiben, was aber Frankreich nicht dul-
den will. Große Beſtürzung herrſcht ferner unter dem kleinen Handelsſtand,
welchem die annexioniſtiſchen Agenten verſprochen hatten Frankreich werde den
in den letzten Monaten gezahlten Zoll zurückerſtatten. Darauf hatten dann
die HH. Epiciers in Maſſe eingekauft, und nun erklärt ihnen Hr. Dieu: daß
ſie ſich in ihrer Leichtgläubigkeit haben täuſchen laſſen. So fällt eine Illuſion
nach der andern.
Großbritannien.
London, 11 Jun. Die Ruſſell’ſche Daily News ſagt: „Die Nachricht daß das Caſtell
von Palermo bis zur Räumung dem engliſchen Admiral übergeben worden
ſey, iſt ſchon widerrufen. Unſer Pariſer Correſpondent ſchreibt uns daß
obige Nachricht in der franzöſiſchen Hauptſtadt Stoff zu gehäſſigen Bemer-
kungen gab, und von einigen Blättern mit angeblichen engliſchen Planen gegen
die Unabhängigkeit Siciliens in Verbindung gebracht wurde. Eine ſo ſchiefe
Auffaſſung erinnert uns in peinlicher Weiſe wie wenig man in Feankreich die
Tendenzen der engliſchen Politik verſteht. Einem Franzoſen mag es umbe-
greiflich dünken daß man irgendwo eine Gebietsvergrößerung für nicht wün-
ſchenswerth halten kann. Es wäre müßig die Aufnahme zu ſchildern die
der Vorſchlag Sicilien engliſch zu machen in England finden würde, weil
es in England keinen öffentlichen Mann gibt der es wagen würde einen ſol-
chen Vorſchlag auszuſprechen. Solange man die Italiener allein läßt,
werden wir uns gewiß in Sicilien nicht einmiſchen. Nur werm eine fremde
Macht ſich dort feſthalten wollte, könnten wir uns bewogen fühlen aus unſerer
Neutralität herauszutreten. Andrerſeits iſt es klar daß der Verſuch einer
fremden Macht die Freiheit der Sicilier anzutaſten und einen abhängigen
Fürſten hinzuſetzen, uns ganz gewiß zwingen würde ihr mit all unſern
Streitkräften entgegenzutreten. Unſere Intereſſen im Mittelländiſchen Meer
ſind zu groß, als daß wir ein Gebiet von ſolcher Bedeutung wie Sicilien
unter fremde Herrſchaft gelangen laſſen könnten.“
Frankreich.
Paris, 12 Jun. Was ſich vorausſehen ließ, iſt eingetroffen. Hr. Mocquard hat die
ſämmtlichen inſpirirten Federn aufgeboten um dem Ausland und auch den
Deutſchen glauben zu machen daß es Louis Napoleon gelungen ſey den Prinz-
Regenten von Preußen zu bethören, und ihn zu veranlaſſen, im Widerſpruch
mit den Intereſſen ſeines Landes, ein Bündniß mit Rußland und dem zweiten
December abzuſchließen. Man möchte die Welt glauben machen daß der
Prinz-Regent von Preußen das Régime zu adoptiren beginne welches an der
Seine ſeit zehn Jahren zur Geltung gekommen iſt. Zum Glück iſt die Ver-
leumdung zu plump, die elende Intrigue zu offenkundig, um hoffentlich irgend-
wo das Vertrauen in den Prinz-Regenten zu erſchüttern, das Ausland glauben
zu machen daß der Prinz ſchon die Worte vergeſſen welche er am 23 Mai
zu den verſammelten Ständen ſeines Reiches geſprochen. Der Prinz iſt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |