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Allgemeine Zeitung, Nr. 166, 14. Juni 1860.

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[Spaltenumbruch] militärischen Turnunterrichts geht ihrer definitiven Erledigung entgegen: auch
im Cultusministerium wird darüber berathen wie auf den Schulen der Turn-
unterricht geregelt werden soll, dem dann ohne Anstand eine mehr militäri-
sche Organisation verliehen werden könnte. Die Neubildung der zehn Caval-
lerieregimenter, Dragoner und Uhlanen, ist vollendet; nur an Officieren fehlt
es noch -- ein Mangel dem in Preußen leicht und bald abzuhelfen ist. Die
Bürgerlichen beschweren sich weit mehr darüber daß ihnen so oft der Eintritt
in das Officiercorps schwer, wo nicht unmöglich gemacht wird.

Das ausschließliche Gespräch des Tags
seit 48 Stunden ist die nun feststehende Zusammenkunft des Prinz-Re-
genten mit dem Kaiser der Franzosen in Baden-Baden. Unter dem 30 Mai
(Nr. 153) meldete ich Ihnen aus "authentischer Quelle" daß der Kaiser L.
Napeleon das directe Ansuchen um eine solche Zusammenkunft am Rhein bei
Gelegenheit der Eröffnung der Rhein-Nahe Bahn hieher gerichtet habe, daß
es jedoch in höflichster Weise ablehnend beantwortet worden sey. Ich war damals,
wie jetzt von hier eine officiöse Correspondenz der Köln. Ztg. bestätigt, voll-
kommen genau unterrichtet. Seitdem hat L. Napoleon sein Gesuch zum dritten-
mal wiederholt, und nach längern diplomatischen Verhandlungen, die wäh-
rend der hiesigen Anwesenheit des k. Gesandten am französischen Hof, Grafen
v. Pourtales, gepflogen wurden, ist der Prinz-Regent darauf eingegangen.
Diese sehr intimen und minutiösen Vorverhandlungen sollen besonders zwei
Punkte zum Gegenstande gehabt haben: einmal daß die Zusammenkunft nur
in Mitgegenwart anderer deutschen Fürsten stattfinde, als welche jetzt bekannt-
lich die Könige von Bayern und Württemberg und der Großherzog von Ba-
den bezeichnet werden; zweitens daß über Aunexirungen im weitesten Sinn
keine Sylbe gewechselt werde. Mit beiden Punkten soll der Kaiser der Fran-
zosen sich einverstanden erklärt haben, da seine Hauptabsicht nur dahin gehe:
neben seinem Wunsch auch dem Repräsentanten der dritten östlichen Groß-
macht persönlich den Ausdruck seiner wohlwollenden Gefühle darzubringen,
einen beruhigenden Eindruck auf die grundlosen Kriegs- und Eroberungs-
besorgnisse in Deutschland auszuüben. So einfach liegt nun die Sache viel-
leicht nicht, denn, wie ich Ihnen schon früher schrieb (N. 147), mag lange
bei dem Kaiser die gewichtvolle Nebenabsicht bestehen sich durch persönliche
Fühlung
darüber zu informiren welches Gewicht er individuell dem Prinz-
Regenten und eventualiter seiner Freundschaft oder Gegnerschaft beizulegen
habe. Außerdem kann es dem Glanz des zweiten Decembers keinenfalls scha-
den wenn, nach den Zusammenkünften mit dem Kaiser von Rußland in Stutt-
gart und mit dem Kaiser von Oesterreich in Villafranca, die französische Presse
abermals Gelegenheit erhält aus der Zusammenkunft mit dem Prinz Regen-
ten in Baden-Baden den fortwährend steigenden Einfluß der Napoleoni-
schen Dynastie in vorgeschriebener Weise zu illustriren. Wir werden ja
bald hören welche Melodien die Pariser Organe anzustimmen für gut
finden. Seitens des Prinz-Regenten scheint indeß besonders der Um-
stand für die jetzige Annahme des kaiserlichen Besuchs maßgebend ge-
wesen zu seyn daß die fortwährenden Kriegsbefürchtungen wahrhaft vernich-
tende Einflüsse auf Handel und Industrie ausüben. Ich weiß aus sicherer
Quelle daß der Prinz auf beiden eben zurückgelegten Eisenbahnreisen, sowohl nach
dem Rhein wie nach dem Osten, vielfache Gelegenheit genommen hat sich bei
großen industriellen Capacitäten über die allgemeinen Conjuncturen zu unter-
richten, und überall die politischen Befürchtungen als Hinderungsgrund eines
sonst glanzvollen Industrie-Aufschwungs entgegengenommen hat. Es sind
also insofern die friedlichen Absichten und Wünsche beider Herrscher zusammen-
gefallen, nur bestand der Regent eben deßhalb auf der Mitanwesenheit ande-
rer deutschen Fürsten, um nicht in entgegengesetzter Richtung neue Befürch-
tungen zu provociren. Die Börse hat zunächst die wohlwollenden Absichten
des Prinz-Regenten in dem beabsichtigten Sinn aufgefaßt und mit einer nicht
unerheblichen Hausse geantwortet; ob und inwieweit sich dieselbe behaupten
wird, muß freilich abgewartet werden. In gewissen höhern Kreisen, denen
ich Besonnenheit und Voraussicht nicht absprechen darf, erwartet man von der
ganzen Zusammenkunft, außer der vergänglichen Einwirkung eines flüchtigen
Friedenssymptoms, für die Constellation der europäischen Politik nichts. Die
Lage der Staaten, die gegenseitigen Verhältnisse der Cabinette, das alte Miß-
trauen, die Besorgnisse wie die unerfüllten Hoffnungen werden bleiben. Die
unverkennbare Interessenverbindung zwischen Frankreich und Rußland wird
sich ebensowenig verändern als die daraus erwachsenden Gefahren für Deutsch-
land, und die Nothwendigkeit sich hier durch innere Organisationen und äußere
Allianzen zu compacterer Machtentwicklung aufzuschwingen. Daß der Prinz-
Regent dieß selbst so auffaßt, und namentlich weit davon entfernt bleibt einen,
wenn auch demonstrativen, Courtoistebesuch mit einem politischen Congreß und
dessen Folgen zu verwechseln, das erhellt am klarsten daraus daß kein Minister,
namentlich nicht der Minister des Auswärtigen, und überhaupt keine hervor-
ragende diplomatische oder politische Capacität, sondern nur ein geringes
militärisches und geschäftliches Gefolge die Begleitung nach Baden-Baden
bilden wird.

Ueber die Verhandlungen welche der Zusammen-
[Spaltenumbruch] kunft des Prinz-Regenten mit dem Kaiser der Franzosen vorangegangen sind,
schreibt die N. Preuß. Ztg. folgendes: "An einem der letzten Tage voriger
Woche theilte der französische Gesandte Fürst Latour d'Auvergne dem Mini-
ster der auswärtigen Angelegenheiten Frhrn. v. Schleinitz mit: daß sein Sou-
verän vernommen habe der Prinz-Regent werde sich nach Baden Baden be-
geben, und der Kaiser fühle sich gedrungen den Prinz-Regenten daselbst zu be-
grüßen; sein Kaiser sehe diese Begrüßung als das geeignetste Mittel an das
unselige Mißtrauen zu zerstreuen mit welchem Deutschland jetzt auf Frank-
reich hinüber blicke. Der Minister v. Schleinitz soll nicht geglaubt haben diese
Mittheilung entgegeunehmen zu können, ohne den Gesandten darauf aufmerk-
sam zu machen daß Preußen in einem großen Theil Deutschlands, wenn auch
mit großem Unrecht, der Gegenstand des Mißtrauens sey, und daß deßhalb
jener Zweck des Kaisers L. Napoleon durch die beabsichtigte Begrüßung des
Prinz-Negenten wohl nicht erreicht werden möchte. Fürst Latour d'Anvergne
soll dieses Bedenken der preußischen Regierung durch den Telegraphen nach
Paris gemeldet und umgehend auf demselben Weg die Antwort erhalten haben
daß der Kaiser sehr erfreut seyn würde wenn er auch andere deutsche Fürsten
in Baden-Baden sehen würde. So soll es gekommen seyn daß der Prinz-
Regent die Begrüßung des Kaisers der Franzosen in der Voraussetzung an-
genommen hat daß auch andere deutsche Fürsten gleichzeitig in Baden-Baden
anwesend seyn werden. Preußischerseits ist also das möglichste gethan um
dem gegen Preußen aus Anlaß dieses Ereignisses etwa gerichteten Mißtrauen
keinen neuen Vorwand zu leihen." Sicherlich bedarf es kaum dieser Darstel-
lung noch des Circulars der preußischen Regierung (s. Beilage) um jeden
Verdacht abzuweisen als ob von dem Prinz-Regenten irgendwie undeutsche,
die Integrität und Selbständigkeit deutscher Länder gefährdende Verabredun-
gen zu befürchten wären. Niemand wagt es an der strengen aufrichtigen Lo-
yalität des Prinz Regenten auch nur im geringsten zu zweifeln. Wir warnen
vor den infamen Lügen welche von Paris aus jetzt schon sich zu verbreiten
suchen über die Bedeutung der Zusammenkunft, über ein französisch preußi-
sches Bündniß, und was des Unfinns mehr ist. Ist es die Absicht der Bade-
ner Zusammenkunft unter die deutschen Fürften und Bölker Mißtrauen zu
säen, so wird sie diesen Zweck sicherlich verfehlen.

Oesterreich.

Seit der Eröffnung der Si-
tzungen des Reichsraths ist das allgemeine Interesse an demselben mit jedem Tag
gestiegen. Die Thronrede des Kaisers mit der milden, aber bestimmten und festen
Betonung des Princips der Reichseinheit, mit der warmen Kundgebung des
kaiserlichen Willens das Wohl des Ganzen und der Einzelnen auf dauernde
Grundlagen zu stellen, mit der Verheißung gleichen Schutzes aller Stämme
und Länder, hat Zuversicht geweckt und Besorgnisse verscheucht. Auch die An-
rede des Erzherzogs Präsidenten hat befriedigt; sie war getragen von dem
Bewußtseyn der Wichtigkeit der dem Reichsrath gewordenen Mission. Und
dieser selbst -- schon jetzt in seinen Anfängen hat er die Erwartungen, welche
allerdings bei einem beträchtlichen Theil des Publicums nicht übermäßig wa-
ren, übertroffen. Mäßigung, der erste staatsmännische Charakterzug, ist das
Gepräge seines bisherigen Auftretens; wir hoffen daß er dieses von wahrer
Intelligenz zeugende Gleichgewicht auch in der Folge keinen Augenblick ver-
lieren werde. Sie schließt das Auseinandergehen und den bestimmten Aus-
druck der verschiedensten Meinungen und Richtungen nicht aus; sie ist nicht
etwa dort vorhanden wo individualisirte und ausgebildete Ansichten fehlen;
sie beruht wesentlich darauf: nur in der Stärke der Gründe, in der Höhe des
eingenommenen geschichtlichen -- doch nein, wir müssen, um nicht mißver-
standen zu werden, sagen des weltgeschichtlichen Standpunkts, in dem weiten
Ueberblick der Verhältnisse, ihre sichere Basis zu suchen. Zwar waren die
Gegenstände bisher nur formeller Natur; allein auch die Form ist der Aus-
druck eines Gedankens, und was immer für einen Inhalt man hineingießen
mag, die Form muß ihn begränzen, sie ist es die ihn lebensfähig macht, oder
nicht. Die Debatte über die Zahl der Mitglieder des Comite's für das Bud-
get zur Herstellung des Gleichgewichts im Staatshaushalt hat gezeigt daß
man im Reichsrath eine tiefere Einsicht in die Wesenheit des Uebels habe als
die von den Ministern aus abgeordneten Beamten zusammengesetzte Commis-
sion beurkundete, deren Elaborat die Vorlage bildet. So weit dieses veröffent-
licht worden ist, gibt es zu erkennen daß diese Commission ihre Aufgabe rich-
tig erfaßt zu haben glaubte wenn sie in diesem oder jenem Detail kleine Re-
ductionen vornahm. Dagegen hat nun der Reichsrath mit einer erfreulichen
Entschiedenheit den Gedanken heransgekehrt daß das äußere Siechthum nur
das Symptom eines tieferliegenden Uebels sey, und daß es mit Ersparungen
unter dem Fortbestand der gegenwärtig arbeitenden Maschine nicht gethan sey.
Das ist der eigentliche Inhalt der Debatte über das Comite der einundzwan-
zig, und des Beschlusses womit eine Bestimmung der Geschäftsordnung für
diesen Fall außer Wirksamkeit gesetzt wurde. Denn wenn man im wesentlichen
die Staatsmaschine im gegenwärtigen Stand lassen wollte, so konnte man
ohne weiteres die einzelnen Fragmente des Budgets an mehrere kleine ge-
schäftsordnungsmäßige Comites zur Berichterstattung verweisen. Dieß wollte
der Reichsrath mit 41 gegen 14 Stimmen nicht, und hat deutlich genug durch-

[Spaltenumbruch] militäriſchen Turnunterrichts geht ihrer definitiven Erledigung entgegen: auch
im Cultusminiſterium wird darüber berathen wie auf den Schulen der Turn-
unterricht geregelt werden ſoll, dem dann ohne Anſtand eine mehr militäri-
ſche Organiſation verliehen werden könnte. Die Neubildung der zehn Caval-
lerieregimenter, Dragoner und Uhlanen, iſt vollendet; nur an Officieren fehlt
es noch — ein Mangel dem in Preußen leicht und bald abzuhelfen iſt. Die
Bürgerlichen beſchweren ſich weit mehr darüber daß ihnen ſo oft der Eintritt
in das Officiercorps ſchwer, wo nicht unmöglich gemacht wird.

Das ausſchließliche Geſpräch des Tags
ſeit 48 Stunden iſt die nun feſtſtehende Zuſammenkunft des Prinz-Re-
genten mit dem Kaiſer der Franzoſen in Baden-Baden. Unter dem 30 Mai
(Nr. 153) meldete ich Ihnen aus „authentiſcher Quelle“ daß der Kaiſer L.
Napeleon das directe Anſuchen um eine ſolche Zuſammenkunft am Rhein bei
Gelegenheit der Eröffnung der Rhein-Nahe Bahn hieher gerichtet habe, daß
es jedoch in höflichſter Weiſe ablehnend beantwortet worden ſey. Ich war damals,
wie jetzt von hier eine officiöſe Correſpondenz der Köln. Ztg. beſtätigt, voll-
kommen genau unterrichtet. Seitdem hat L. Napoleon ſein Geſuch zum dritten-
mal wiederholt, und nach längern diplomatiſchen Verhandlungen, die wäh-
rend der hieſigen Anweſenheit des k. Geſandten am franzöſiſchen Hof, Grafen
v. Pourtalès, gepflogen wurden, iſt der Prinz-Regent darauf eingegangen.
Dieſe ſehr intimen und minutiöſen Vorverhandlungen ſollen beſonders zwei
Punkte zum Gegenſtande gehabt haben: einmal daß die Zuſammenkunft nur
in Mitgegenwart anderer deutſchen Fürſten ſtattfinde, als welche jetzt bekannt-
lich die Könige von Bayern und Württemberg und der Großherzog von Ba-
den bezeichnet werden; zweitens daß über Aunexirungen im weiteſten Sinn
keine Sylbe gewechſelt werde. Mit beiden Punkten ſoll der Kaiſer der Fran-
zoſen ſich einverſtanden erklärt haben, da ſeine Hauptabſicht nur dahin gehe:
neben ſeinem Wunſch auch dem Repräſentanten der dritten öſtlichen Groß-
macht perſönlich den Ausdruck ſeiner wohlwollenden Gefühle darzubringen,
einen beruhigenden Eindruck auf die grundloſen Kriegs- und Eroberungs-
beſorgniſſe in Deutſchland auszuüben. So einfach liegt nun die Sache viel-
leicht nicht, denn, wie ich Ihnen ſchon früher ſchrieb (N. 147), mag lange
bei dem Kaiſer die gewichtvolle Nebenabſicht beſtehen ſich durch perſönliche
Fühlung
darüber zu informiren welches Gewicht er individuell dem Prinz-
Regenten und eventualiter ſeiner Freundſchaft oder Gegnerſchaft beizulegen
habe. Außerdem kann es dem Glanz des zweiten Decembers keinenfalls ſcha-
den wenn, nach den Zuſammenkünften mit dem Kaiſer von Rußland in Stutt-
gart und mit dem Kaiſer von Oeſterreich in Villafranca, die franzöſiſche Preſſe
abermals Gelegenheit erhält aus der Zuſammenkunft mit dem Prinz Regen-
ten in Baden-Baden den fortwährend ſteigenden Einfluß der Napoleoni-
ſchen Dynaſtie in vorgeſchriebener Weiſe zu illuſtriren. Wir werden ja
bald hören welche Melodien die Pariſer Organe anzuſtimmen für gut
finden. Seitens des Prinz-Regenten ſcheint indeß beſonders der Um-
ſtand für die jetzige Annahme des kaiſerlichen Beſuchs maßgebend ge-
weſen zu ſeyn daß die fortwährenden Kriegsbefürchtungen wahrhaft vernich-
tende Einflüſſe auf Handel und Induſtrie ausüben. Ich weiß aus ſicherer
Quelle daß der Prinz auf beiden eben zurückgelegten Eiſenbahnreiſen, ſowohl nach
dem Rhein wie nach dem Oſten, vielfache Gelegenheit genommen hat ſich bei
großen induſtriellen Capacitäten über die allgemeinen Conjuncturen zu unter-
richten, und überall die politiſchen Befürchtungen als Hinderungsgrund eines
ſonſt glanzvollen Induſtrie-Aufſchwungs entgegengenommen hat. Es ſind
alſo inſofern die friedlichen Abſichten und Wünſche beider Herrſcher zuſammen-
gefallen, nur beſtand der Regent eben deßhalb auf der Mitanweſenheit ande-
rer deutſchen Fürſten, um nicht in entgegengeſetzter Richtung neue Befürch-
tungen zu provociren. Die Börſe hat zunächſt die wohlwollenden Abſichten
des Prinz-Regenten in dem beabſichtigten Sinn aufgefaßt und mit einer nicht
unerheblichen Hauſſe geantwortet; ob und inwieweit ſich dieſelbe behaupten
wird, muß freilich abgewartet werden. In gewiſſen höhern Kreiſen, denen
ich Beſonnenheit und Vorausſicht nicht abſprechen darf, erwartet man von der
ganzen Zuſammenkunft, außer der vergänglichen Einwirkung eines flüchtigen
Friedensſymptoms, für die Conſtellation der europäiſchen Politik nichts. Die
Lage der Staaten, die gegenſeitigen Verhältniſſe der Cabinette, das alte Miß-
trauen, die Beſorgniſſe wie die unerfüllten Hoffnungen werden bleiben. Die
unverkennbare Intereſſenverbindung zwiſchen Frankreich und Rußland wird
ſich ebenſowenig verändern als die daraus erwachſenden Gefahren für Deutſch-
land, und die Nothwendigkeit ſich hier durch innere Organiſationen und äußere
Allianzen zu compacterer Machtentwicklung aufzuſchwingen. Daß der Prinz-
Regent dieß ſelbſt ſo auffaßt, und namentlich weit davon entfernt bleibt einen,
wenn auch demonſtrativen, Courtoiſtebeſuch mit einem politiſchen Congreß und
deſſen Folgen zu verwechſeln, das erhellt am klarſten daraus daß kein Miniſter,
namentlich nicht der Miniſter des Auswärtigen, und überhaupt keine hervor-
ragende diplomatiſche oder politiſche Capacität, ſondern nur ein geringes
militäriſches und geſchäftliches Gefolge die Begleitung nach Baden-Baden
bilden wird.

Ueber die Verhandlungen welche der Zuſammen-
[Spaltenumbruch] kunft des Prinz-Regenten mit dem Kaiſer der Franzoſen vorangegangen ſind,
ſchreibt die N. Preuß. Ztg. folgendes: „An einem der letzten Tage voriger
Woche theilte der franzöſiſche Geſandte Fürſt Latour d’Auvergne dem Mini-
ſter der auswärtigen Angelegenheiten Frhrn. v. Schleinitz mit: daß ſein Sou-
verän vernommen habe der Prinz-Regent werde ſich nach Baden Baden be-
geben, und der Kaiſer fühle ſich gedrungen den Prinz-Regenten daſelbſt zu be-
grüßen; ſein Kaiſer ſehe dieſe Begrüßung als das geeignetſte Mittel an das
unſelige Mißtrauen zu zerſtreuen mit welchem Deutſchland jetzt auf Frank-
reich hinüber blicke. Der Miniſter v. Schleinitz ſoll nicht geglaubt haben dieſe
Mittheilung entgegeunehmen zu können, ohne den Geſandten darauf aufmerk-
ſam zu machen daß Preußen in einem großen Theil Deutſchlands, wenn auch
mit großem Unrecht, der Gegenſtand des Mißtrauens ſey, und daß deßhalb
jener Zweck des Kaiſers L. Napoleon durch die beabſichtigte Begrüßung des
Prinz-Negenten wohl nicht erreicht werden möchte. Fürſt Latour d’Anvergne
ſoll dieſes Bedenken der preußiſchen Regierung durch den Telegraphen nach
Paris gemeldet und umgehend auf demſelben Weg die Antwort erhalten haben
daß der Kaiſer ſehr erfreut ſeyn würde wenn er auch andere deutſche Fürſten
in Baden-Baden ſehen würde. So ſoll es gekommen ſeyn daß der Prinz-
Regent die Begrüßung des Kaiſers der Franzoſen in der Vorausſetzung an-
genommen hat daß auch andere deutſche Fürſten gleichzeitig in Baden-Baden
anweſend ſeyn werden. Preußiſcherſeits iſt alſo das möglichſte gethan um
dem gegen Preußen aus Anlaß dieſes Ereigniſſes etwa gerichteten Mißtrauen
keinen neuen Vorwand zu leihen.“ Sicherlich bedarf es kaum dieſer Darſtel-
lung noch des Circulars der preußiſchen Regierung (ſ. Beilage) um jeden
Verdacht abzuweiſen als ob von dem Prinz-Regenten irgendwie undeutſche,
die Integrität und Selbſtändigkeit deutſcher Länder gefährdende Verabredun-
gen zu befürchten wären. Niemand wagt es an der ſtrengen aufrichtigen Lo-
yalität des Prinz Regenten auch nur im geringſten zu zweifeln. Wir warnen
vor den infamen Lügen welche von Paris aus jetzt ſchon ſich zu verbreiten
ſuchen über die Bedeutung der Zuſammenkunft, über ein franzöſiſch preußi-
ſches Bündniß, und was des Unfinns mehr iſt. Iſt es die Abſicht der Bade-
ner Zuſammenkunft unter die deutſchen Fürften und Bölker Mißtrauen zu
ſäen, ſo wird ſie dieſen Zweck ſicherlich verfehlen.

Oeſterreich.

Seit der Eröffnung der Si-
tzungen des Reichsraths iſt das allgemeine Intereſſe an demſelben mit jedem Tag
geſtiegen. Die Thronrede des Kaiſers mit der milden, aber beſtimmten und feſten
Betonung des Princips der Reichseinheit, mit der warmen Kundgebung des
kaiſerlichen Willens das Wohl des Ganzen und der Einzelnen auf dauernde
Grundlagen zu ſtellen, mit der Verheißung gleichen Schutzes aller Stämme
und Länder, hat Zuverſicht geweckt und Beſorgniſſe verſcheucht. Auch die An-
rede des Erzherzogs Präſidenten hat befriedigt; ſie war getragen von dem
Bewußtſeyn der Wichtigkeit der dem Reichsrath gewordenen Miſſion. Und
dieſer ſelbſt — ſchon jetzt in ſeinen Anfängen hat er die Erwartungen, welche
allerdings bei einem beträchtlichen Theil des Publicums nicht übermäßig wa-
ren, übertroffen. Mäßigung, der erſte ſtaatsmänniſche Charakterzug, iſt das
Gepräge ſeines bisherigen Auftretens; wir hoffen daß er dieſes von wahrer
Intelligenz zeugende Gleichgewicht auch in der Folge keinen Augenblick ver-
lieren werde. Sie ſchließt das Auseinandergehen und den beſtimmten Aus-
druck der verſchiedenſten Meinungen und Richtungen nicht aus; ſie iſt nicht
etwa dort vorhanden wo individualiſirte und ausgebildete Anſichten fehlen;
ſie beruht weſentlich darauf: nur in der Stärke der Gründe, in der Höhe des
eingenommenen geſchichtlichen — doch nein, wir müſſen, um nicht mißver-
ſtanden zu werden, ſagen des weltgeſchichtlichen Standpunkts, in dem weiten
Ueberblick der Verhältniſſe, ihre ſichere Baſis zu ſuchen. Zwar waren die
Gegenſtände bisher nur formeller Natur; allein auch die Form iſt der Aus-
druck eines Gedankens, und was immer für einen Inhalt man hineingießen
mag, die Form muß ihn begränzen, ſie iſt es die ihn lebensfähig macht, oder
nicht. Die Debatte über die Zahl der Mitglieder des Comité’s für das Bud-
get zur Herſtellung des Gleichgewichts im Staatshaushalt hat gezeigt daß
man im Reichsrath eine tiefere Einſicht in die Weſenheit des Uebels habe als
die von den Miniſtern aus abgeordneten Beamten zuſammengeſetzte Commiſ-
ſion beurkundete, deren Elaborat die Vorlage bildet. So weit dieſes veröffent-
licht worden iſt, gibt es zu erkennen daß dieſe Commiſſion ihre Aufgabe rich-
tig erfaßt zu haben glaubte wenn ſie in dieſem oder jenem Detail kleine Re-
ductionen vornahm. Dagegen hat nun der Reichsrath mit einer erfreulichen
Entſchiedenheit den Gedanken heransgekehrt daß das äußere Siechthum nur
das Symptom eines tieferliegenden Uebels ſey, und daß es mit Erſparungen
unter dem Fortbeſtand der gegenwärtig arbeitenden Maſchine nicht gethan ſey.
Das iſt der eigentliche Inhalt der Debatte über das Comité der einundzwan-
zig, und des Beſchluſſes womit eine Beſtimmung der Geſchäftsordnung für
dieſen Fall außer Wirkſamkeit geſetzt wurde. Denn wenn man im weſentlichen
die Staatsmaſchine im gegenwärtigen Stand laſſen wollte, ſo konnte man
ohne weiteres die einzelnen Fragmente des Budgets an mehrere kleine ge-
ſchäftsordnungsmäßige Comités zur Berichterſtattung verweiſen. Dieß wollte
der Reichsrath mit 41 gegen 14 Stimmen nicht, und hat deutlich genug durch-

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[2764/0004] militäriſchen Turnunterrichts geht ihrer definitiven Erledigung entgegen: auch im Cultusminiſterium wird darüber berathen wie auf den Schulen der Turn- unterricht geregelt werden ſoll, dem dann ohne Anſtand eine mehr militäri- ſche Organiſation verliehen werden könnte. Die Neubildung der zehn Caval- lerieregimenter, Dragoner und Uhlanen, iſt vollendet; nur an Officieren fehlt es noch — ein Mangel dem in Preußen leicht und bald abzuhelfen iſt. Die Bürgerlichen beſchweren ſich weit mehr darüber daß ihnen ſo oft der Eintritt in das Officiercorps ſchwer, wo nicht unmöglich gemacht wird. △ Berlin, 12 Jun. Das ausſchließliche Geſpräch des Tags ſeit 48 Stunden iſt die nun feſtſtehende Zuſammenkunft des Prinz-Re- genten mit dem Kaiſer der Franzoſen in Baden-Baden. Unter dem 30 Mai (Nr. 153) meldete ich Ihnen aus „authentiſcher Quelle“ daß der Kaiſer L. Napeleon das directe Anſuchen um eine ſolche Zuſammenkunft am Rhein bei Gelegenheit der Eröffnung der Rhein-Nahe Bahn hieher gerichtet habe, daß es jedoch in höflichſter Weiſe ablehnend beantwortet worden ſey. Ich war damals, wie jetzt von hier eine officiöſe Correſpondenz der Köln. Ztg. beſtätigt, voll- kommen genau unterrichtet. Seitdem hat L. Napoleon ſein Geſuch zum dritten- mal wiederholt, und nach längern diplomatiſchen Verhandlungen, die wäh- rend der hieſigen Anweſenheit des k. Geſandten am franzöſiſchen Hof, Grafen v. Pourtalès, gepflogen wurden, iſt der Prinz-Regent darauf eingegangen. Dieſe ſehr intimen und minutiöſen Vorverhandlungen ſollen beſonders zwei Punkte zum Gegenſtande gehabt haben: einmal daß die Zuſammenkunft nur in Mitgegenwart anderer deutſchen Fürſten ſtattfinde, als welche jetzt bekannt- lich die Könige von Bayern und Württemberg und der Großherzog von Ba- den bezeichnet werden; zweitens daß über Aunexirungen im weiteſten Sinn keine Sylbe gewechſelt werde. Mit beiden Punkten ſoll der Kaiſer der Fran- zoſen ſich einverſtanden erklärt haben, da ſeine Hauptabſicht nur dahin gehe: neben ſeinem Wunſch auch dem Repräſentanten der dritten öſtlichen Groß- macht perſönlich den Ausdruck ſeiner wohlwollenden Gefühle darzubringen, einen beruhigenden Eindruck auf die grundloſen Kriegs- und Eroberungs- beſorgniſſe in Deutſchland auszuüben. So einfach liegt nun die Sache viel- leicht nicht, denn, wie ich Ihnen ſchon früher ſchrieb (N. 147), mag lange bei dem Kaiſer die gewichtvolle Nebenabſicht beſtehen ſich durch perſönliche Fühlung darüber zu informiren welches Gewicht er individuell dem Prinz- Regenten und eventualiter ſeiner Freundſchaft oder Gegnerſchaft beizulegen habe. Außerdem kann es dem Glanz des zweiten Decembers keinenfalls ſcha- den wenn, nach den Zuſammenkünften mit dem Kaiſer von Rußland in Stutt- gart und mit dem Kaiſer von Oeſterreich in Villafranca, die franzöſiſche Preſſe abermals Gelegenheit erhält aus der Zuſammenkunft mit dem Prinz Regen- ten in Baden-Baden den fortwährend ſteigenden Einfluß der Napoleoni- ſchen Dynaſtie in vorgeſchriebener Weiſe zu illuſtriren. Wir werden ja bald hören welche Melodien die Pariſer Organe anzuſtimmen für gut finden. Seitens des Prinz-Regenten ſcheint indeß beſonders der Um- ſtand für die jetzige Annahme des kaiſerlichen Beſuchs maßgebend ge- weſen zu ſeyn daß die fortwährenden Kriegsbefürchtungen wahrhaft vernich- tende Einflüſſe auf Handel und Induſtrie ausüben. Ich weiß aus ſicherer Quelle daß der Prinz auf beiden eben zurückgelegten Eiſenbahnreiſen, ſowohl nach dem Rhein wie nach dem Oſten, vielfache Gelegenheit genommen hat ſich bei großen induſtriellen Capacitäten über die allgemeinen Conjuncturen zu unter- richten, und überall die politiſchen Befürchtungen als Hinderungsgrund eines ſonſt glanzvollen Induſtrie-Aufſchwungs entgegengenommen hat. Es ſind alſo inſofern die friedlichen Abſichten und Wünſche beider Herrſcher zuſammen- gefallen, nur beſtand der Regent eben deßhalb auf der Mitanweſenheit ande- rer deutſchen Fürſten, um nicht in entgegengeſetzter Richtung neue Befürch- tungen zu provociren. Die Börſe hat zunächſt die wohlwollenden Abſichten des Prinz-Regenten in dem beabſichtigten Sinn aufgefaßt und mit einer nicht unerheblichen Hauſſe geantwortet; ob und inwieweit ſich dieſelbe behaupten wird, muß freilich abgewartet werden. In gewiſſen höhern Kreiſen, denen ich Beſonnenheit und Vorausſicht nicht abſprechen darf, erwartet man von der ganzen Zuſammenkunft, außer der vergänglichen Einwirkung eines flüchtigen Friedensſymptoms, für die Conſtellation der europäiſchen Politik nichts. Die Lage der Staaten, die gegenſeitigen Verhältniſſe der Cabinette, das alte Miß- trauen, die Beſorgniſſe wie die unerfüllten Hoffnungen werden bleiben. Die unverkennbare Intereſſenverbindung zwiſchen Frankreich und Rußland wird ſich ebenſowenig verändern als die daraus erwachſenden Gefahren für Deutſch- land, und die Nothwendigkeit ſich hier durch innere Organiſationen und äußere Allianzen zu compacterer Machtentwicklung aufzuſchwingen. Daß der Prinz- Regent dieß ſelbſt ſo auffaßt, und namentlich weit davon entfernt bleibt einen, wenn auch demonſtrativen, Courtoiſtebeſuch mit einem politiſchen Congreß und deſſen Folgen zu verwechſeln, das erhellt am klarſten daraus daß kein Miniſter, namentlich nicht der Miniſter des Auswärtigen, und überhaupt keine hervor- ragende diplomatiſche oder politiſche Capacität, ſondern nur ein geringes militäriſches und geſchäftliches Gefolge die Begleitung nach Baden-Baden bilden wird. Berlin, 12 Jun. Ueber die Verhandlungen welche der Zuſammen- kunft des Prinz-Regenten mit dem Kaiſer der Franzoſen vorangegangen ſind, ſchreibt die N. Preuß. Ztg. folgendes: „An einem der letzten Tage voriger Woche theilte der franzöſiſche Geſandte Fürſt Latour d’Auvergne dem Mini- ſter der auswärtigen Angelegenheiten Frhrn. v. Schleinitz mit: daß ſein Sou- verän vernommen habe der Prinz-Regent werde ſich nach Baden Baden be- geben, und der Kaiſer fühle ſich gedrungen den Prinz-Regenten daſelbſt zu be- grüßen; ſein Kaiſer ſehe dieſe Begrüßung als das geeignetſte Mittel an das unſelige Mißtrauen zu zerſtreuen mit welchem Deutſchland jetzt auf Frank- reich hinüber blicke. Der Miniſter v. Schleinitz ſoll nicht geglaubt haben dieſe Mittheilung entgegeunehmen zu können, ohne den Geſandten darauf aufmerk- ſam zu machen daß Preußen in einem großen Theil Deutſchlands, wenn auch mit großem Unrecht, der Gegenſtand des Mißtrauens ſey, und daß deßhalb jener Zweck des Kaiſers L. Napoleon durch die beabſichtigte Begrüßung des Prinz-Negenten wohl nicht erreicht werden möchte. Fürſt Latour d’Anvergne ſoll dieſes Bedenken der preußiſchen Regierung durch den Telegraphen nach Paris gemeldet und umgehend auf demſelben Weg die Antwort erhalten haben daß der Kaiſer ſehr erfreut ſeyn würde wenn er auch andere deutſche Fürſten in Baden-Baden ſehen würde. So ſoll es gekommen ſeyn daß der Prinz- Regent die Begrüßung des Kaiſers der Franzoſen in der Vorausſetzung an- genommen hat daß auch andere deutſche Fürſten gleichzeitig in Baden-Baden anweſend ſeyn werden. Preußiſcherſeits iſt alſo das möglichſte gethan um dem gegen Preußen aus Anlaß dieſes Ereigniſſes etwa gerichteten Mißtrauen keinen neuen Vorwand zu leihen.“ Sicherlich bedarf es kaum dieſer Darſtel- lung noch des Circulars der preußiſchen Regierung (ſ. Beilage) um jeden Verdacht abzuweiſen als ob von dem Prinz-Regenten irgendwie undeutſche, die Integrität und Selbſtändigkeit deutſcher Länder gefährdende Verabredun- gen zu befürchten wären. Niemand wagt es an der ſtrengen aufrichtigen Lo- yalität des Prinz Regenten auch nur im geringſten zu zweifeln. Wir warnen vor den infamen Lügen welche von Paris aus jetzt ſchon ſich zu verbreiten ſuchen über die Bedeutung der Zuſammenkunft, über ein franzöſiſch preußi- ſches Bündniß, und was des Unfinns mehr iſt. Iſt es die Abſicht der Bade- ner Zuſammenkunft unter die deutſchen Fürften und Bölker Mißtrauen zu ſäen, ſo wird ſie dieſen Zweck ſicherlich verfehlen. Oeſterreich. ⌗ Wien, 10 Jun. Seit der Eröffnung der Si- tzungen des Reichsraths iſt das allgemeine Intereſſe an demſelben mit jedem Tag geſtiegen. Die Thronrede des Kaiſers mit der milden, aber beſtimmten und feſten Betonung des Princips der Reichseinheit, mit der warmen Kundgebung des kaiſerlichen Willens das Wohl des Ganzen und der Einzelnen auf dauernde Grundlagen zu ſtellen, mit der Verheißung gleichen Schutzes aller Stämme und Länder, hat Zuverſicht geweckt und Beſorgniſſe verſcheucht. Auch die An- rede des Erzherzogs Präſidenten hat befriedigt; ſie war getragen von dem Bewußtſeyn der Wichtigkeit der dem Reichsrath gewordenen Miſſion. Und dieſer ſelbſt — ſchon jetzt in ſeinen Anfängen hat er die Erwartungen, welche allerdings bei einem beträchtlichen Theil des Publicums nicht übermäßig wa- ren, übertroffen. Mäßigung, der erſte ſtaatsmänniſche Charakterzug, iſt das Gepräge ſeines bisherigen Auftretens; wir hoffen daß er dieſes von wahrer Intelligenz zeugende Gleichgewicht auch in der Folge keinen Augenblick ver- lieren werde. Sie ſchließt das Auseinandergehen und den beſtimmten Aus- druck der verſchiedenſten Meinungen und Richtungen nicht aus; ſie iſt nicht etwa dort vorhanden wo individualiſirte und ausgebildete Anſichten fehlen; ſie beruht weſentlich darauf: nur in der Stärke der Gründe, in der Höhe des eingenommenen geſchichtlichen — doch nein, wir müſſen, um nicht mißver- ſtanden zu werden, ſagen des weltgeſchichtlichen Standpunkts, in dem weiten Ueberblick der Verhältniſſe, ihre ſichere Baſis zu ſuchen. Zwar waren die Gegenſtände bisher nur formeller Natur; allein auch die Form iſt der Aus- druck eines Gedankens, und was immer für einen Inhalt man hineingießen mag, die Form muß ihn begränzen, ſie iſt es die ihn lebensfähig macht, oder nicht. Die Debatte über die Zahl der Mitglieder des Comité’s für das Bud- get zur Herſtellung des Gleichgewichts im Staatshaushalt hat gezeigt daß man im Reichsrath eine tiefere Einſicht in die Weſenheit des Uebels habe als die von den Miniſtern aus abgeordneten Beamten zuſammengeſetzte Commiſ- ſion beurkundete, deren Elaborat die Vorlage bildet. So weit dieſes veröffent- licht worden iſt, gibt es zu erkennen daß dieſe Commiſſion ihre Aufgabe rich- tig erfaßt zu haben glaubte wenn ſie in dieſem oder jenem Detail kleine Re- ductionen vornahm. Dagegen hat nun der Reichsrath mit einer erfreulichen Entſchiedenheit den Gedanken heransgekehrt daß das äußere Siechthum nur das Symptom eines tieferliegenden Uebels ſey, und daß es mit Erſparungen unter dem Fortbeſtand der gegenwärtig arbeitenden Maſchine nicht gethan ſey. 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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 166, 14. Juni 1860, S. 2764. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine166_1860/4>, abgerufen am 01.06.2024.