Allgemeine Zeitung, Nr. 166, 14. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
militärischen Turnunterrichts geht ihrer definitiven Erledigung entgegen: auch ^ Berlin, 12 Jun. Das ausschließliche Gespräch des Tags Berlin, 12 Jun. Ueber die Verhandlungen welche der Zusammen- Oesterreich. Wien, 10 Jun. Seit der Eröffnung der Si- [Spaltenumbruch]
militäriſchen Turnunterrichts geht ihrer definitiven Erledigung entgegen: auch △ Berlin, 12 Jun. Das ausſchließliche Geſpräch des Tags Berlin, 12 Jun. Ueber die Verhandlungen welche der Zuſammen- Oeſterreich. ⌗ Wien, 10 Jun. Seit der Eröffnung der Si- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <p><pb facs="#f0004" n="2764"/><cb/> militäriſchen Turnunterrichts geht ihrer definitiven Erledigung entgegen: auch<lb/> im Cultusminiſterium wird darüber berathen wie auf den Schulen der Turn-<lb/> unterricht geregelt werden ſoll, dem dann ohne Anſtand eine mehr militäri-<lb/> ſche Organiſation verliehen werden könnte. Die Neubildung der zehn Caval-<lb/> lerieregimenter, Dragoner und Uhlanen, iſt vollendet; nur an Officieren fehlt<lb/> es noch — ein Mangel dem in Preußen leicht und bald abzuhelfen iſt. Die<lb/> Bürgerlichen beſchweren ſich weit mehr darüber daß ihnen ſo oft der Eintritt<lb/> in das Officiercorps ſchwer, wo nicht unmöglich gemacht wird.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline>△ <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 12 Jun.</dateline> <p>Das ausſchließliche Geſpräch des Tags<lb/> ſeit 48 Stunden iſt die nun feſtſtehende Zuſammenkunft des Prinz-Re-<lb/> genten mit dem Kaiſer der Franzoſen in Baden-Baden. Unter dem 30 Mai<lb/> (Nr. 153) meldete ich Ihnen aus „authentiſcher Quelle“ daß der Kaiſer L.<lb/> Napeleon das directe Anſuchen um eine ſolche Zuſammenkunft am Rhein bei<lb/> Gelegenheit der Eröffnung der Rhein-Nahe Bahn hieher gerichtet habe, daß<lb/> es jedoch in höflichſter Weiſe ablehnend beantwortet worden ſey. Ich war damals,<lb/> wie jetzt von hier eine officiöſe Correſpondenz der Köln. Ztg. beſtätigt, voll-<lb/> kommen genau unterrichtet. Seitdem hat L. Napoleon ſein Geſuch zum dritten-<lb/> mal wiederholt, und nach längern diplomatiſchen Verhandlungen, die wäh-<lb/> rend der hieſigen Anweſenheit des k. Geſandten am franzöſiſchen Hof, Grafen<lb/> v. Pourtal<hi rendition="#aq">è</hi>s, gepflogen wurden, iſt der Prinz-Regent darauf eingegangen.<lb/> Dieſe ſehr intimen und minutiöſen Vorverhandlungen ſollen beſonders zwei<lb/> Punkte zum Gegenſtande gehabt haben: einmal daß die Zuſammenkunft nur<lb/> in Mitgegenwart anderer deutſchen Fürſten ſtattfinde, als welche jetzt bekannt-<lb/> lich die Könige von Bayern und Württemberg und der Großherzog von Ba-<lb/> den bezeichnet werden; zweitens daß über Aunexirungen im weiteſten Sinn<lb/> keine Sylbe gewechſelt werde. Mit beiden Punkten ſoll der Kaiſer der Fran-<lb/> zoſen ſich einverſtanden erklärt haben, da ſeine Hauptabſicht nur dahin gehe:<lb/> neben ſeinem Wunſch auch dem Repräſentanten der dritten öſtlichen Groß-<lb/> macht perſönlich den Ausdruck ſeiner wohlwollenden Gefühle darzubringen,<lb/> einen beruhigenden Eindruck auf die grundloſen Kriegs- und Eroberungs-<lb/> beſorgniſſe in Deutſchland auszuüben. So einfach liegt nun die Sache viel-<lb/> leicht nicht, denn, wie ich Ihnen ſchon früher ſchrieb (N. 147), mag lange<lb/> bei dem Kaiſer die gewichtvolle Nebenabſicht beſtehen ſich durch <hi rendition="#g">perſönliche<lb/> Fühlung</hi> darüber zu informiren welches Gewicht er individuell dem Prinz-<lb/> Regenten und eventualiter ſeiner Freundſchaft oder Gegnerſchaft beizulegen<lb/> habe. Außerdem kann es dem Glanz des zweiten Decembers keinenfalls ſcha-<lb/> den wenn, nach den Zuſammenkünften mit dem Kaiſer von Rußland in Stutt-<lb/> gart und mit dem Kaiſer von Oeſterreich in Villafranca, die franzöſiſche Preſſe<lb/> abermals Gelegenheit erhält aus der Zuſammenkunft mit dem Prinz Regen-<lb/> ten in Baden-Baden den fortwährend ſteigenden Einfluß der Napoleoni-<lb/> ſchen Dynaſtie in vorgeſchriebener Weiſe zu illuſtriren. Wir werden ja<lb/> bald hören welche Melodien die Pariſer Organe anzuſtimmen für gut<lb/> finden. Seitens des Prinz-Regenten ſcheint indeß beſonders der Um-<lb/> ſtand für die jetzige Annahme des kaiſerlichen Beſuchs maßgebend ge-<lb/> weſen zu ſeyn daß die fortwährenden Kriegsbefürchtungen wahrhaft vernich-<lb/> tende Einflüſſe auf Handel und Induſtrie ausüben. Ich weiß aus ſicherer<lb/> Quelle daß der Prinz auf beiden eben zurückgelegten Eiſenbahnreiſen, ſowohl nach<lb/> dem Rhein wie nach dem Oſten, vielfache Gelegenheit genommen hat ſich bei<lb/> großen induſtriellen Capacitäten über die allgemeinen Conjuncturen zu unter-<lb/> richten, und überall die politiſchen Befürchtungen als Hinderungsgrund eines<lb/> ſonſt glanzvollen Induſtrie-Aufſchwungs entgegengenommen hat. Es ſind<lb/> alſo inſofern die friedlichen Abſichten und Wünſche beider Herrſcher zuſammen-<lb/> gefallen, nur beſtand der Regent eben deßhalb auf der Mitanweſenheit ande-<lb/> rer deutſchen Fürſten, um nicht in entgegengeſetzter Richtung neue Befürch-<lb/> tungen zu provociren. Die Börſe hat zunächſt die wohlwollenden Abſichten<lb/> des Prinz-Regenten in dem beabſichtigten Sinn aufgefaßt und mit einer nicht<lb/> unerheblichen Hauſſe geantwortet; ob und inwieweit ſich dieſelbe behaupten<lb/> wird, muß freilich abgewartet werden. In gewiſſen höhern Kreiſen, denen<lb/> ich Beſonnenheit und Vorausſicht nicht abſprechen darf, erwartet man von der<lb/> ganzen Zuſammenkunft, außer der vergänglichen Einwirkung eines flüchtigen<lb/> Friedensſymptoms, für die Conſtellation der europäiſchen Politik nichts. Die<lb/> Lage der Staaten, die gegenſeitigen Verhältniſſe der Cabinette, das alte Miß-<lb/> trauen, die Beſorgniſſe wie die unerfüllten Hoffnungen werden bleiben. Die<lb/> unverkennbare Intereſſenverbindung zwiſchen Frankreich und Rußland wird<lb/> ſich ebenſowenig verändern als die daraus erwachſenden Gefahren für Deutſch-<lb/> land, und die Nothwendigkeit ſich hier durch innere Organiſationen und äußere<lb/> Allianzen zu compacterer Machtentwicklung aufzuſchwingen. Daß der Prinz-<lb/> Regent dieß ſelbſt ſo auffaßt, und namentlich weit davon entfernt bleibt einen,<lb/> wenn auch demonſtrativen, Courtoiſtebeſuch mit einem politiſchen Congreß und<lb/> deſſen Folgen zu verwechſeln, das erhellt am klarſten daraus daß kein Miniſter,<lb/> namentlich nicht der Miniſter des Auswärtigen, und überhaupt keine hervor-<lb/> ragende diplomatiſche oder politiſche Capacität, ſondern nur ein geringes<lb/> militäriſches und geſchäftliches Gefolge die Begleitung nach Baden-Baden<lb/> bilden wird.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 12 Jun.</dateline> <p>Ueber die Verhandlungen welche der Zuſammen-<lb/><cb/> kunft des Prinz-Regenten mit dem Kaiſer der Franzoſen vorangegangen ſind,<lb/> ſchreibt die N. <hi rendition="#g">Preuß. Ztg.</hi> folgendes: „An einem der letzten Tage voriger<lb/> Woche theilte der franzöſiſche Geſandte Fürſt Latour d’Auvergne dem Mini-<lb/> ſter der auswärtigen Angelegenheiten Frhrn. v. Schleinitz mit: daß ſein Sou-<lb/> verän vernommen habe der Prinz-Regent werde ſich nach Baden Baden be-<lb/> geben, und der Kaiſer fühle ſich gedrungen den Prinz-Regenten daſelbſt zu be-<lb/> grüßen; ſein Kaiſer ſehe dieſe Begrüßung als das geeignetſte Mittel an das<lb/> unſelige Mißtrauen zu zerſtreuen mit welchem Deutſchland jetzt auf Frank-<lb/> reich hinüber blicke. Der Miniſter v. Schleinitz ſoll nicht geglaubt haben dieſe<lb/> Mittheilung entgegeunehmen zu können, ohne den Geſandten darauf aufmerk-<lb/> ſam zu machen daß Preußen in einem großen Theil Deutſchlands, wenn auch<lb/> mit großem Unrecht, der Gegenſtand des Mißtrauens ſey, und daß deßhalb<lb/> jener Zweck des Kaiſers L. Napoleon durch die beabſichtigte Begrüßung des<lb/> Prinz-Negenten wohl nicht erreicht werden möchte. Fürſt Latour d’Anvergne<lb/> ſoll dieſes Bedenken der preußiſchen Regierung durch den Telegraphen nach<lb/> Paris gemeldet und umgehend auf demſelben Weg die Antwort erhalten haben<lb/> daß der Kaiſer ſehr erfreut ſeyn würde wenn er auch andere deutſche Fürſten<lb/> in Baden-Baden ſehen würde. So ſoll es gekommen ſeyn daß der Prinz-<lb/> Regent die Begrüßung des Kaiſers der Franzoſen in der Vorausſetzung an-<lb/> genommen hat daß auch andere deutſche Fürſten gleichzeitig in Baden-Baden<lb/> anweſend ſeyn werden. Preußiſcherſeits iſt alſo das möglichſte gethan um<lb/> dem gegen Preußen aus Anlaß dieſes Ereigniſſes etwa gerichteten Mißtrauen<lb/> keinen neuen Vorwand zu leihen.“ Sicherlich bedarf es kaum dieſer Darſtel-<lb/> lung noch des Circulars der preußiſchen Regierung (ſ. Beilage) um jeden<lb/> Verdacht abzuweiſen als ob von dem Prinz-Regenten irgendwie undeutſche,<lb/> die Integrität und Selbſtändigkeit deutſcher Länder gefährdende Verabredun-<lb/> gen zu befürchten wären. Niemand wagt es an der ſtrengen aufrichtigen Lo-<lb/> yalität des Prinz Regenten auch nur im geringſten zu zweifeln. Wir warnen<lb/> vor den infamen Lügen welche von Paris aus jetzt ſchon ſich zu verbreiten<lb/> ſuchen über die Bedeutung der Zuſammenkunft, über ein franzöſiſch preußi-<lb/> ſches Bündniß, und was des Unfinns mehr iſt. Iſt es die Abſicht der Bade-<lb/> ner Zuſammenkunft unter die deutſchen Fürften und Bölker Mißtrauen zu<lb/> ſäen, ſo wird ſie <hi rendition="#g">dieſen</hi> Zweck ſicherlich verfehlen.</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">Oeſterreich.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline>⌗ <hi rendition="#b">Wien,</hi> 10 Jun.</dateline> <p>Seit der Eröffnung der Si-<lb/> tzungen des Reichsraths iſt das allgemeine Intereſſe an demſelben mit jedem Tag<lb/> geſtiegen. Die Thronrede des Kaiſers mit der milden, aber beſtimmten und feſten<lb/> Betonung des Princips der Reichseinheit, mit der warmen Kundgebung des<lb/> kaiſerlichen Willens das Wohl des Ganzen und der Einzelnen auf dauernde<lb/> Grundlagen zu ſtellen, mit der Verheißung gleichen Schutzes aller Stämme<lb/> und Länder, hat Zuverſicht geweckt und Beſorgniſſe verſcheucht. Auch die An-<lb/> rede des Erzherzogs Präſidenten hat befriedigt; ſie war getragen von dem<lb/> Bewußtſeyn der Wichtigkeit der dem Reichsrath gewordenen Miſſion. Und<lb/> dieſer ſelbſt — ſchon jetzt in ſeinen Anfängen hat er die Erwartungen, welche<lb/> allerdings bei einem beträchtlichen Theil des Publicums nicht übermäßig wa-<lb/> ren, übertroffen. Mäßigung, der erſte ſtaatsmänniſche Charakterzug, iſt das<lb/> Gepräge ſeines bisherigen Auftretens; wir hoffen daß er dieſes von wahrer<lb/> Intelligenz zeugende Gleichgewicht auch in der Folge keinen Augenblick ver-<lb/> lieren werde. Sie ſchließt das Auseinandergehen und den beſtimmten Aus-<lb/> druck der verſchiedenſten Meinungen und Richtungen nicht aus; ſie iſt nicht<lb/> etwa dort vorhanden wo individualiſirte und ausgebildete Anſichten fehlen;<lb/> ſie beruht weſentlich darauf: nur in der Stärke der Gründe, in der Höhe des<lb/> eingenommenen geſchichtlichen — doch nein, wir müſſen, um nicht mißver-<lb/> ſtanden zu werden, ſagen des weltgeſchichtlichen Standpunkts, in dem weiten<lb/> Ueberblick der Verhältniſſe, ihre ſichere Baſis zu ſuchen. Zwar waren die<lb/> Gegenſtände bisher nur formeller Natur; allein auch die Form iſt der Aus-<lb/> druck eines Gedankens, und was immer für einen Inhalt man hineingießen<lb/> mag, die Form muß ihn begränzen, ſie iſt es die ihn lebensfähig macht, oder<lb/> nicht. Die Debatte über die Zahl der Mitglieder des Comit<hi rendition="#aq">é</hi>’s für das Bud-<lb/> get zur Herſtellung des Gleichgewichts im Staatshaushalt hat gezeigt daß<lb/> man im Reichsrath eine tiefere Einſicht in die Weſenheit des Uebels habe als<lb/> die von den Miniſtern aus abgeordneten Beamten zuſammengeſetzte Commiſ-<lb/> ſion beurkundete, deren Elaborat die Vorlage bildet. So weit dieſes veröffent-<lb/> licht worden iſt, gibt es zu erkennen daß dieſe Commiſſion ihre Aufgabe rich-<lb/> tig erfaßt zu haben glaubte wenn ſie in dieſem oder jenem Detail kleine Re-<lb/> ductionen vornahm. Dagegen hat nun der Reichsrath mit einer erfreulichen<lb/> Entſchiedenheit den Gedanken heransgekehrt daß das äußere Siechthum nur<lb/> das Symptom eines tieferliegenden Uebels ſey, und daß es mit Erſparungen<lb/> unter dem Fortbeſtand der gegenwärtig arbeitenden Maſchine nicht gethan ſey.<lb/> Das iſt der eigentliche Inhalt der Debatte über das Comit<hi rendition="#aq">é</hi> der einundzwan-<lb/> zig, und des Beſchluſſes womit eine Beſtimmung der Geſchäftsordnung für<lb/> dieſen Fall außer Wirkſamkeit geſetzt wurde. Denn wenn man im weſentlichen<lb/> die Staatsmaſchine im gegenwärtigen Stand laſſen wollte, ſo konnte man<lb/> ohne weiteres die einzelnen Fragmente des Budgets an mehrere kleine ge-<lb/> ſchäftsordnungsmäßige Comit<hi rendition="#aq">é</hi>s zur Berichterſtattung verweiſen. Dieß wollte<lb/> der Reichsrath mit 41 gegen 14 Stimmen nicht, und hat deutlich genug durch-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2764/0004]
militäriſchen Turnunterrichts geht ihrer definitiven Erledigung entgegen: auch
im Cultusminiſterium wird darüber berathen wie auf den Schulen der Turn-
unterricht geregelt werden ſoll, dem dann ohne Anſtand eine mehr militäri-
ſche Organiſation verliehen werden könnte. Die Neubildung der zehn Caval-
lerieregimenter, Dragoner und Uhlanen, iſt vollendet; nur an Officieren fehlt
es noch — ein Mangel dem in Preußen leicht und bald abzuhelfen iſt. Die
Bürgerlichen beſchweren ſich weit mehr darüber daß ihnen ſo oft der Eintritt
in das Officiercorps ſchwer, wo nicht unmöglich gemacht wird.
△ Berlin, 12 Jun. Das ausſchließliche Geſpräch des Tags
ſeit 48 Stunden iſt die nun feſtſtehende Zuſammenkunft des Prinz-Re-
genten mit dem Kaiſer der Franzoſen in Baden-Baden. Unter dem 30 Mai
(Nr. 153) meldete ich Ihnen aus „authentiſcher Quelle“ daß der Kaiſer L.
Napeleon das directe Anſuchen um eine ſolche Zuſammenkunft am Rhein bei
Gelegenheit der Eröffnung der Rhein-Nahe Bahn hieher gerichtet habe, daß
es jedoch in höflichſter Weiſe ablehnend beantwortet worden ſey. Ich war damals,
wie jetzt von hier eine officiöſe Correſpondenz der Köln. Ztg. beſtätigt, voll-
kommen genau unterrichtet. Seitdem hat L. Napoleon ſein Geſuch zum dritten-
mal wiederholt, und nach längern diplomatiſchen Verhandlungen, die wäh-
rend der hieſigen Anweſenheit des k. Geſandten am franzöſiſchen Hof, Grafen
v. Pourtalès, gepflogen wurden, iſt der Prinz-Regent darauf eingegangen.
Dieſe ſehr intimen und minutiöſen Vorverhandlungen ſollen beſonders zwei
Punkte zum Gegenſtande gehabt haben: einmal daß die Zuſammenkunft nur
in Mitgegenwart anderer deutſchen Fürſten ſtattfinde, als welche jetzt bekannt-
lich die Könige von Bayern und Württemberg und der Großherzog von Ba-
den bezeichnet werden; zweitens daß über Aunexirungen im weiteſten Sinn
keine Sylbe gewechſelt werde. Mit beiden Punkten ſoll der Kaiſer der Fran-
zoſen ſich einverſtanden erklärt haben, da ſeine Hauptabſicht nur dahin gehe:
neben ſeinem Wunſch auch dem Repräſentanten der dritten öſtlichen Groß-
macht perſönlich den Ausdruck ſeiner wohlwollenden Gefühle darzubringen,
einen beruhigenden Eindruck auf die grundloſen Kriegs- und Eroberungs-
beſorgniſſe in Deutſchland auszuüben. So einfach liegt nun die Sache viel-
leicht nicht, denn, wie ich Ihnen ſchon früher ſchrieb (N. 147), mag lange
bei dem Kaiſer die gewichtvolle Nebenabſicht beſtehen ſich durch perſönliche
Fühlung darüber zu informiren welches Gewicht er individuell dem Prinz-
Regenten und eventualiter ſeiner Freundſchaft oder Gegnerſchaft beizulegen
habe. Außerdem kann es dem Glanz des zweiten Decembers keinenfalls ſcha-
den wenn, nach den Zuſammenkünften mit dem Kaiſer von Rußland in Stutt-
gart und mit dem Kaiſer von Oeſterreich in Villafranca, die franzöſiſche Preſſe
abermals Gelegenheit erhält aus der Zuſammenkunft mit dem Prinz Regen-
ten in Baden-Baden den fortwährend ſteigenden Einfluß der Napoleoni-
ſchen Dynaſtie in vorgeſchriebener Weiſe zu illuſtriren. Wir werden ja
bald hören welche Melodien die Pariſer Organe anzuſtimmen für gut
finden. Seitens des Prinz-Regenten ſcheint indeß beſonders der Um-
ſtand für die jetzige Annahme des kaiſerlichen Beſuchs maßgebend ge-
weſen zu ſeyn daß die fortwährenden Kriegsbefürchtungen wahrhaft vernich-
tende Einflüſſe auf Handel und Induſtrie ausüben. Ich weiß aus ſicherer
Quelle daß der Prinz auf beiden eben zurückgelegten Eiſenbahnreiſen, ſowohl nach
dem Rhein wie nach dem Oſten, vielfache Gelegenheit genommen hat ſich bei
großen induſtriellen Capacitäten über die allgemeinen Conjuncturen zu unter-
richten, und überall die politiſchen Befürchtungen als Hinderungsgrund eines
ſonſt glanzvollen Induſtrie-Aufſchwungs entgegengenommen hat. Es ſind
alſo inſofern die friedlichen Abſichten und Wünſche beider Herrſcher zuſammen-
gefallen, nur beſtand der Regent eben deßhalb auf der Mitanweſenheit ande-
rer deutſchen Fürſten, um nicht in entgegengeſetzter Richtung neue Befürch-
tungen zu provociren. Die Börſe hat zunächſt die wohlwollenden Abſichten
des Prinz-Regenten in dem beabſichtigten Sinn aufgefaßt und mit einer nicht
unerheblichen Hauſſe geantwortet; ob und inwieweit ſich dieſelbe behaupten
wird, muß freilich abgewartet werden. In gewiſſen höhern Kreiſen, denen
ich Beſonnenheit und Vorausſicht nicht abſprechen darf, erwartet man von der
ganzen Zuſammenkunft, außer der vergänglichen Einwirkung eines flüchtigen
Friedensſymptoms, für die Conſtellation der europäiſchen Politik nichts. Die
Lage der Staaten, die gegenſeitigen Verhältniſſe der Cabinette, das alte Miß-
trauen, die Beſorgniſſe wie die unerfüllten Hoffnungen werden bleiben. Die
unverkennbare Intereſſenverbindung zwiſchen Frankreich und Rußland wird
ſich ebenſowenig verändern als die daraus erwachſenden Gefahren für Deutſch-
land, und die Nothwendigkeit ſich hier durch innere Organiſationen und äußere
Allianzen zu compacterer Machtentwicklung aufzuſchwingen. Daß der Prinz-
Regent dieß ſelbſt ſo auffaßt, und namentlich weit davon entfernt bleibt einen,
wenn auch demonſtrativen, Courtoiſtebeſuch mit einem politiſchen Congreß und
deſſen Folgen zu verwechſeln, das erhellt am klarſten daraus daß kein Miniſter,
namentlich nicht der Miniſter des Auswärtigen, und überhaupt keine hervor-
ragende diplomatiſche oder politiſche Capacität, ſondern nur ein geringes
militäriſches und geſchäftliches Gefolge die Begleitung nach Baden-Baden
bilden wird.
Berlin, 12 Jun. Ueber die Verhandlungen welche der Zuſammen-
kunft des Prinz-Regenten mit dem Kaiſer der Franzoſen vorangegangen ſind,
ſchreibt die N. Preuß. Ztg. folgendes: „An einem der letzten Tage voriger
Woche theilte der franzöſiſche Geſandte Fürſt Latour d’Auvergne dem Mini-
ſter der auswärtigen Angelegenheiten Frhrn. v. Schleinitz mit: daß ſein Sou-
verän vernommen habe der Prinz-Regent werde ſich nach Baden Baden be-
geben, und der Kaiſer fühle ſich gedrungen den Prinz-Regenten daſelbſt zu be-
grüßen; ſein Kaiſer ſehe dieſe Begrüßung als das geeignetſte Mittel an das
unſelige Mißtrauen zu zerſtreuen mit welchem Deutſchland jetzt auf Frank-
reich hinüber blicke. Der Miniſter v. Schleinitz ſoll nicht geglaubt haben dieſe
Mittheilung entgegeunehmen zu können, ohne den Geſandten darauf aufmerk-
ſam zu machen daß Preußen in einem großen Theil Deutſchlands, wenn auch
mit großem Unrecht, der Gegenſtand des Mißtrauens ſey, und daß deßhalb
jener Zweck des Kaiſers L. Napoleon durch die beabſichtigte Begrüßung des
Prinz-Negenten wohl nicht erreicht werden möchte. Fürſt Latour d’Anvergne
ſoll dieſes Bedenken der preußiſchen Regierung durch den Telegraphen nach
Paris gemeldet und umgehend auf demſelben Weg die Antwort erhalten haben
daß der Kaiſer ſehr erfreut ſeyn würde wenn er auch andere deutſche Fürſten
in Baden-Baden ſehen würde. So ſoll es gekommen ſeyn daß der Prinz-
Regent die Begrüßung des Kaiſers der Franzoſen in der Vorausſetzung an-
genommen hat daß auch andere deutſche Fürſten gleichzeitig in Baden-Baden
anweſend ſeyn werden. Preußiſcherſeits iſt alſo das möglichſte gethan um
dem gegen Preußen aus Anlaß dieſes Ereigniſſes etwa gerichteten Mißtrauen
keinen neuen Vorwand zu leihen.“ Sicherlich bedarf es kaum dieſer Darſtel-
lung noch des Circulars der preußiſchen Regierung (ſ. Beilage) um jeden
Verdacht abzuweiſen als ob von dem Prinz-Regenten irgendwie undeutſche,
die Integrität und Selbſtändigkeit deutſcher Länder gefährdende Verabredun-
gen zu befürchten wären. Niemand wagt es an der ſtrengen aufrichtigen Lo-
yalität des Prinz Regenten auch nur im geringſten zu zweifeln. Wir warnen
vor den infamen Lügen welche von Paris aus jetzt ſchon ſich zu verbreiten
ſuchen über die Bedeutung der Zuſammenkunft, über ein franzöſiſch preußi-
ſches Bündniß, und was des Unfinns mehr iſt. Iſt es die Abſicht der Bade-
ner Zuſammenkunft unter die deutſchen Fürften und Bölker Mißtrauen zu
ſäen, ſo wird ſie dieſen Zweck ſicherlich verfehlen.
Oeſterreich.
⌗ Wien, 10 Jun. Seit der Eröffnung der Si-
tzungen des Reichsraths iſt das allgemeine Intereſſe an demſelben mit jedem Tag
geſtiegen. Die Thronrede des Kaiſers mit der milden, aber beſtimmten und feſten
Betonung des Princips der Reichseinheit, mit der warmen Kundgebung des
kaiſerlichen Willens das Wohl des Ganzen und der Einzelnen auf dauernde
Grundlagen zu ſtellen, mit der Verheißung gleichen Schutzes aller Stämme
und Länder, hat Zuverſicht geweckt und Beſorgniſſe verſcheucht. Auch die An-
rede des Erzherzogs Präſidenten hat befriedigt; ſie war getragen von dem
Bewußtſeyn der Wichtigkeit der dem Reichsrath gewordenen Miſſion. Und
dieſer ſelbſt — ſchon jetzt in ſeinen Anfängen hat er die Erwartungen, welche
allerdings bei einem beträchtlichen Theil des Publicums nicht übermäßig wa-
ren, übertroffen. Mäßigung, der erſte ſtaatsmänniſche Charakterzug, iſt das
Gepräge ſeines bisherigen Auftretens; wir hoffen daß er dieſes von wahrer
Intelligenz zeugende Gleichgewicht auch in der Folge keinen Augenblick ver-
lieren werde. Sie ſchließt das Auseinandergehen und den beſtimmten Aus-
druck der verſchiedenſten Meinungen und Richtungen nicht aus; ſie iſt nicht
etwa dort vorhanden wo individualiſirte und ausgebildete Anſichten fehlen;
ſie beruht weſentlich darauf: nur in der Stärke der Gründe, in der Höhe des
eingenommenen geſchichtlichen — doch nein, wir müſſen, um nicht mißver-
ſtanden zu werden, ſagen des weltgeſchichtlichen Standpunkts, in dem weiten
Ueberblick der Verhältniſſe, ihre ſichere Baſis zu ſuchen. Zwar waren die
Gegenſtände bisher nur formeller Natur; allein auch die Form iſt der Aus-
druck eines Gedankens, und was immer für einen Inhalt man hineingießen
mag, die Form muß ihn begränzen, ſie iſt es die ihn lebensfähig macht, oder
nicht. Die Debatte über die Zahl der Mitglieder des Comité’s für das Bud-
get zur Herſtellung des Gleichgewichts im Staatshaushalt hat gezeigt daß
man im Reichsrath eine tiefere Einſicht in die Weſenheit des Uebels habe als
die von den Miniſtern aus abgeordneten Beamten zuſammengeſetzte Commiſ-
ſion beurkundete, deren Elaborat die Vorlage bildet. So weit dieſes veröffent-
licht worden iſt, gibt es zu erkennen daß dieſe Commiſſion ihre Aufgabe rich-
tig erfaßt zu haben glaubte wenn ſie in dieſem oder jenem Detail kleine Re-
ductionen vornahm. Dagegen hat nun der Reichsrath mit einer erfreulichen
Entſchiedenheit den Gedanken heransgekehrt daß das äußere Siechthum nur
das Symptom eines tieferliegenden Uebels ſey, und daß es mit Erſparungen
unter dem Fortbeſtand der gegenwärtig arbeitenden Maſchine nicht gethan ſey.
Das iſt der eigentliche Inhalt der Debatte über das Comité der einundzwan-
zig, und des Beſchluſſes womit eine Beſtimmung der Geſchäftsordnung für
dieſen Fall außer Wirkſamkeit geſetzt wurde. Denn wenn man im weſentlichen
die Staatsmaſchine im gegenwärtigen Stand laſſen wollte, ſo konnte man
ohne weiteres die einzelnen Fragmente des Budgets an mehrere kleine ge-
ſchäftsordnungsmäßige Comités zur Berichterſtattung verweiſen. Dieß wollte
der Reichsrath mit 41 gegen 14 Stimmen nicht, und hat deutlich genug durch-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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